Schwarzer Peter

Ausgabe Nr. 13 / März 2016
Schwarzer Peter
Reform 91
Selbsthilfegruppe für Strafgefangene und
Ausgegrenzte
Dachorganisation von:
Theatergruppe KORN
Therapeutisches Interaktions-Theater
HAS
Hilfe für Angehörige von Strafgefangenen
Reform 91, Kaiserweg 1 8552 Felben-Wellhausen Tel. 026 543 02 06 E-Mail: [email protected]
www.reform91.ch
Selbsterkenntnis in Straf-und Massnahmenzentren
Wir haben eine kleine Umfrage bei unseren Mitgliedern im Massnahmenvollzug gemacht und
insbesondere gefragt, ob in der Therapie auch die Lebensgeschichte aufgearbeitet werde, was unisono
verneint wurde.
Das hat erstaunt, ist aber auch bedenklich, denn die Aufarbeitung eines Delikts beginnt mit der
Selbsterkenntnis! Sich zu kennen ist das Schwierigste. Seine Komplexität zu erkennen, ist die
Herausforderung des Lebens an sich, zu merken, steuert das bewusste „Ich“ oder ein unbewusstes,
unbekanntes, ja verborgenes.
Das ganz Wichtige: Nur wenn man sich selber kennt, kann man sich auch selber helfen. Selbsthilfe
beginnt mit Selbsterkenntnis.
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Unsere Stärken und Schwächen
Wenn wir nach unseren Stärken gefragt werden, dann nennen wir etwa Ehrlichkeit, Güte, Humor,
Kreativität, Mut und andere Tugenden – selbst die edle Bescheidenheit1. Aber Selbstdisziplin zählt
nicht dazu. Bei einer Befragung von mehr als zwei Millionen Menschen in aller Welt landete die Selbstdisziplin auf der letzten Stelle. Hingegen bei den zwei Dutzend auf dem Fragebogen aufgelisteten
„Charakterschwächen“ kletterte die mangelnde Selbstdisziplin auf die obersten Plätze. Das ist paradox
und wohl eine späte und faule Frucht der 68er Bewegung, die auf Ablehnung der Autoritäten setzte,
auch der in sich selbst, der sogenannten Selbstautorität. Freiheit und freie Entfaltung war die Losung,
die antiautoritäre Haltung!
Im Kontext der 68er Bewegung war das als Reaktion auf eine falsche Autorität, wie sie die faschistischen
und staatskommunistischen Bewegungen zelebriert hatten, sowohl richtig wie auch verständlich. Doch
wie oft in der menschlichen Geschichte wird das Kind gleich mit dem Bad ausgeschüttet!
Das Problem ist nicht Autorität, verstanden als der Auftritt einer gefestigten und in sich ruhenden
Persönlichkeit, die überzeugt. Diese lebt, was sie sagt und handelt nicht nach dem Motto: Tut, wie ich
sage, aber nicht wie ich tue!
Diese Einheit von Sein und Handeln, das ist Selbstdisziplin.
Das wäre auch das Ziel einer erfolgreichen Massnahme nach Art 59 StGB. Ein ganzheitlicher Mensch
ist ein gesunder Mensch!
Hier hapert es auch in der Praxis der Massnahmenanstalten nach Art 59 StGB.
Es wird viel zu einseitig fokussiert auf die sogenannte Deliktsaufarbeitung, die Delikts- und Aggressionsvermeidung. Diese Therapie gehört selbstverständlich auch dazu, aber sie muss eingebettet sein in
eine klassische Selbsterkenntnistherapie, welche die Ursachen des Deliktes nicht in der Aussenwelt
vorweg sucht, sondern in sich selber!
Nicht nur die einseitige Fokussierung der Therapie auf die Deliktsaufarbeitung ist fragwürdig, sondern
auch die didaktische Methode, die ebenso einseitig auf Repression setzt. Dabei wäre Förderung
der Qualitäten angezeigt, offener Umgang mit Schwächen, die Möglichkeit Fehler zu machen, um
zu lernen, experimentieren zu können, um sich kennen zu lernen; lernen aufzustehen, wenn man
gefallen ist! Und das in einem gemeinschaftlichen Kreis, in welchem das eigene Bemühen kritisch,
aber empathisch begleitet wird. Das wäre Hilfe in Selbsthilfe, solidarische Hilfe zur Selbstdisziplin!
Leider wird in vielen Massnahmenzentren mit „Hammer-Methoden“, also mit repressiven Mitteln die
Erlernung von Selbstdisziplin ‚vermittelt‘. Das ist indessen keine Therapie, sondern brutale Zucht,
Kasernenhofstil alter Schule.
1 Beachte die Volksweisheit: Bescheidenheit ist ein Zier, doch ist man besser ohne ihr!
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Ein Beispiel:
Übt ein Massnahmenpatient – denn es sind gemäss Gesetz eben Patienten – Kritik an einer Therapie,
die durchaus berechtigt sein kann, so wird dies meist als Widersetzlichkeit qualifiziert und der Patient
wird abgeschoben und in einem Regionalgefängnis zwischengelagert, wo er in den Genuss keiner
Therapie kommt, vor sich hin vegetiert, oft genug in die Depression abgleitet.
Das ist inakzeptabel. Die Anstalt darf erwarten – wie jedermann –, dass Kritik sachlich und höflich,
aber durchaus engagiert, vorgebracht werden kann. Sie hat sich ebenso dieser Kritik zu stellen und
konstruktiv zu reagieren. Das umso mehr, als viele der gebotenen Therapien im Massnahmenvollzug
reine Scheintherapien sind, die keinen echten Fortschritt dem Patienten gewährleisten, da viel zu
schematisch und formell konzipiert, viel zu wenig an der betroffenen Person ausgerichtet sind.
Ein reformatorischer Ansatz wären Selbsthilfegruppen, wo die Patienten – wie bei den Anonymen
Alkoholikern – ihre Geschichten erzählen, also schon mal ihre Gedanken organisieren müssen, damit
ihr Verhalten zu beobachten und im Spiegel ihrer Zuhörer den Blick auf die Zukunft zu richten haben.
Das mobilisiert Selbstheilungskräfte und pendelt auf realistische Perspektiven ein, vor allem macht es
sozialverträglich, weil die Gruppe zu sozialem Verhalten zwingt. Zwingend zu solcher Arbeit gehört die
Aufarbeitung des Erlebten in der Reflexion und Diskussion mit einem Therapeuten.
Solche Gruppen gibt es teilweise, aber wir glauben zu beobachten, dass die anstaltliche Leitungsautorität
viel zu sehr auf der Gruppe lastet und deren Selbstentfaltung behindert.
Die Forensik setzt nach unserem Dafürhalten zu sehr auf Fremdsteuerung, statt Selbststeuerung
und -erkenntnis. Gewiss können wissenschaftlich fundierte Multiple Choice Erhebungen Indizien für
Neigungen und Risiken liefern, aber sie bilden keinen realen Menschen ab. Dieser offenbart sich erst
und nur im persönlichen Kontakt, wenn man ihn spürt und auf seiner Reise zu sich selbst begleitet –
ehrlich, schonungslos, aber empathisch.
Repression zerstört! Der Patient ist zu fordern, aber auch und vor allem zu fördern, auf dass er seine
Zukunft als ganzer Mensch selber in die Hand nehmen kann.
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„Das Knast Dillema“
Auszug aus dem Buch von Bernd Maelicke/Bertelsmann Verlag 2015
„Wer ins Gefängnis geht, heisst es, der soll „Verantwortung“ für seine begangene Straftaten übernehmen.
Er soll lernen, sich nach der Entlassung jeweils für das „gesetzeskonforme Alternativverhalten“, wie es
Staatsanwälte gern ausdrücken, zu entscheiden.
Diesem gut gemeinten Ansatz steht jedoch ein grundlegendes Problem entgegen: Es gibt kaum
einen Ort, an dem Menschen so sehr jeglicher Verantwortung für ihr eigenes Leben enthoben sind,
wie das Gefängnis. Statt Eigenverantwortung und Selbstbestimmung des Einzelnen dominiert die
Reglementierung, Das Gefängnissystem nimmt dem Gefangenen systematisch alle Entscheidungen
ab. Es macht somit aus einem Straffälligen jemanden, der über nichts mehr frei bestimmen kann.
Nicht über das Essen, nicht über die Kleidung, nicht über den Aufschluss seiner Zelle, nicht über Ort
und Zeit für Besuche, nicht über die Struktur seiner Tage. Das Gefängnis beraubt die Insassen der
Verantwortung für ihr eigenes Leben.
Das ist besonders problematisch, weil oft gerade jene in den Knast kommen, die es draussen nicht
geschafft haben, ihrem Leben eine sinnvolle, befriedigende und befriedende Struktur zu geben. Im
Knast ist diese Struktur dann plötzlich wieder da (wenn auch weder befriedigend noch befriedend). Sie
ergibt sich aus den Erfordernissen einer funktionierenden Anstalt. Mit dem Tag der Entlassung löst sich
diese Ordnung schnell in Luft auf, für das Leben in der zweiten Halbzeit der Resozialisierung – für das
Leben in der Freiheit – ist sie nicht zu gebrauchen.“
von Bernd Maelicke/Bertelsmann Verlag 2015
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"Wenn man sich erst fragt, was das Handeln ist, so ist man kein Mann des Handelns. Handeln bedeutet,
aus dem Gleichgewicht geschleudert zu sein. Um zu handeln, muss man toll sein. Ein eingermassen
vernünftiger Mensch begnügt sich mit dem Denken".
Clemenceau 1.1.1928
Aus der Praxis der Reform 91
Ein Patient schreibt:
Von der Reform 91 erfuhr ich erstmals durch das "Buschtelefon" des Massnahmenzentrums, in welchem
ich zur Zeit mein Dasein friste. Nach der Suche nach einem vernünftigen und brauchbaren Anwalt
sprach ich mit verschiedenen Insassen, bis mir diese Organisation wärmstens empfohlen wurde. Per
Telefon fragte ich meinen Vater, ob er mir beim nächsten Besuch einige Informationen zur Reform 91
beschaffen könnte, worauf ich zum ersten Mal Kontakt mit Peter Zimmermann aufnahm.
Peter besuchte mich insgesamt 12 Mal im Massnahmenzentrum, ausserdem pflegen wir ausgiebig
telefonischen Kontakt.
Peter baute für mich nicht nur den Kontakt zu einem neuen Anwalt auf, er half mir auch beim
"Aufbau 1", wie Reform 91 es nennt, nämlich jenem des "sozialen Filters". Besonders unterstützte er
mich beim erneuten Beziehungsaufbau zu meiner Gotte, meiner Grossmutter und einer nahestehenden
Freundin. Durch ein Gespräch mit meinem Einweiser konnte er sogar erwirken, dass ich mit meinen
Eltern zu einem ärztlichen Termin, ohne Begleitung einer Betreuungsperson vom Massnahmenzentrum,
ins Paraplegikerzentrum nach Nottwil fahren durfte.
Dieser Ansatz der Re-sozialisierung steht jener der Justiz diametral gegenüber. Während sich der
Forensiker im Bitzi gleich zu Beginn auf das Delikt stürzt, beginnt Reform 91 beim sozialen Umfeld,
dem Stützkorsett im Straf- oder Massnahmenvollzug und der Vorbereitung auf die Entlassung.
Ausserdem kann ich mit Peter offen und ehrlich kommunizieren, während ich beim Therapeuten jedes
Wort auf die Goldwaage legen muss.
Wie freie Marktwirtschaft scheinen eben auch Deliktaufarbeitung und Re-sozialisierung am besten
ohne Staat zu funktionieren.
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Eine neue Sektion der Reform 91 ist gegründet
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Die Ankettungsmethoden auf dem Thorberg
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Reform 91
Selbsthilfeorganisation für Strafgefangene
und Ausgegrenzte
Kaiserweg 1
8552 Felben-Wellhausen
Tel. 026 543 02 06
[email protected]
www.reform91.ch
Geschäftsleitung:
Präsident:
Peter Zimmermann
Gabrielle Hirt
Walo Ilg
Arbeitsgruppen:
Theatergruppe KORN
HAS
(Hilfe für Angehörige von Strafgefangenen)
Felben-Wellhausen, den 14. Februar 2016
PRESSEMITTEILUNG
Auf dem Thorberg ist das Mittelalter noch nicht vorbei: Gefangene sind immer noch angekettet!
Zitat Bund: „In der Berner Strafanstalt Thorberg werden Insassen in einer Sicherungszelle an die Wand
gekettet. Die Antifolterkommission stuft die Methode als veraltet ein“.
Man ahnte, was im Bund vom 13. Februar 2016 unter dem Titel „Die Ankettungsmethoden auf dem
Thorberg“ stand: Im Gefängnis Thorberg ist das Mittelalter noch sehr präsent!
Dafür gab und gibt es wesentliche Belege, wie beispielsweise:
• Die Organisation der Besuche der Gefangenen am Sonntag. Die Türen gehen genau um 14 Uhr
auf, so dass man durchaus eine halbe Stunde braucht, bis man endlich beim Gefangenen ist
und die effektive Besuchszeit beschnitten wird. Zum Ausgleich dieses verspäteten Besuchsantritts wird dafür das Ende der Besuchszeit mit rigoroser Pünktlichkeit eingeläutet.
• Wenn die Besucher Glück haben, dürfen sie in strömenden Regen auf Einlass warten. Das ist
auch richtig, denn sie sollen in mittelalterlicher Mentalität auch merken, dass sie ebenso kriminell
sind wie die zu Besuchenden. Der Apfel fällt bekanntlich nicht weit vom Stamm. Die Folgerung
ist von scholastischer Stringenz: Der Stamm ist für die Art des Apfels verantwortlich!
• Die Personenkontrolle beim Besuch ist teils schikanös – wie Unberufene meinen. Dabei geht es
doch nur darum, im Sinne einer mittelalterlichen göttlichen Hierarchie zu zeigen, dass die Obrigkeit immer Recht hat.
• Gleiches gilt für die Willkür in der Triage von Geschenken. Der Schenker muss merken und wissen, dass sein Schicksal in der Hand Gottes liegt, hier verlängert durch den weltlichen Arm der
Obrigkeit und frohgemut in gläubiger Hingabe soll er leben und das ganz und gar im Sinne des
berührenden Gedichtes von Magister Martinus aus dem 15. Jahrhundert – das noch exemplarisch das mittelalterliche Denken spiegelt:
Ich leb und waiß nit wie lang,
ich stirb und waiß nit wann,
ich far und waiß nit wahin,
mich wundert das ich so frölich bin.
Bankverbindung: Kantonalbank Frauenfeld, PC 85-123-0, CH55 0078 4295 1467 2200
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16.2.2016
Krauchthal: Thorberg: Umstrittene Zelle wird nicht mehr benutzt ­ News Region: Kanton Bern ­ bernerzeitung.ch
Thorberg: Umstrittene Zelle wird nicht
mehr benutzt
Krauchthal Nach Kritik an der Ankettung eines Insassen darf in der Berner Strafanstalt Thorberg die
dafür vorgesehene Zelle einstweilen nicht mehr benutzt werden.
Stichworte
Anstalten Thorberg
Artikel zum Thema
Kritik an Ankettung im
Thorberg
Die Sicherheitszelle in der Strafanstalt Thorberg, wo Gefangene angekettet wurden, ist nicht
mehr in Betrieb. Bild: Stefan Anderegg
Nach der Kritik an der sogenannten Sicherungszelle hat der Vorsteher des
bernischen Amts für Freiheitsentzug und Betreuung, Thomas Freytag, angeordnet,
diese nicht mehr zu benutzen. Er habe den Direktor der Strafanstalt auch
aufgefordert, Varianten zur Ankettung von Insassen in dieser Zelle zu prüfen, sagte
Freytag am Dienstagabend im Regionaljournal Bern Freiburg Wallis von Radio SRF.
Auf die Frage, was das sein könne, sagte Freytag, nach wie vor stünden Hand­ und
Fussfesseln zur Verfügung, wenn Insassen sich selber verletzten wollten und etwa
mit dem Kopf gegen Tische schlügen. Auch Helme zu ihrem Schutz gebe es.
Ankettung nach Verlust der Selbstkontrolle
Die Zeitung «Der Bund» hatte am Samstag berichtet, in einer sogenannten
Sicherungszelle würden auf dem Thorberg Insassen an die Wand gekettet, wenn sie
die Selbstkontrolle verlören und sich oder andere gefährdeten. Ein Insasse sei
mehrere Stunden lang so fixiert worden, ohne dass der Forensisch­Psychiatrische
Dienst der Uni Bern beigezogen worden sei.
Die nationale Kommission zur Verhütung von Folter stufe diese Zelle als nicht
zeitgemäss ein. Freytag sagte am Dienstagabend dazu, der Forensisch­Psychiatrische
Dienst sei im fraglichen Fall durchaus avisiert worden. Nur dauere es eben eine Zeit
lang, bis ein Arzt an Ort und Stelle sei. Der Forensiker sei nicht 24 Stunden am Tag
im Haus. Wenn eine Person nicht mehr ansprechbar sei, müsse das Personal sofort
reagieren. (sih/sda)
Krauchthal Zur Ruhigstellung werden
Gefangene in der Strafanstalt Thorberg
für mehrere Stunden angekettet. Dies sei
nicht zeitgemäss, sagen Kritiker. Mehr...
14.02.2016
Auf dem Thorberg hat der
Ramadan seinen festen Platz
Krauchthal Ramadan – der Monat der
Selbstreinigung im Islam. Ihn im
Gefängnis zu begehen, ist erlaubt. Die
Anstalten Thorberg achten gar besonders
auf die religiösen Feiertage. Sie erhoffen
sich davon Ruhe. Mehr...
Von Dominik Galliker 30.06.2015
Schlechtes Zeugnis für Käser
in der Thorberg-Affäre
Thorberg Die
Geschäftsprüfungskommission des
Grossen Rates kritisiert sowohl die Rolle
von Polizeidirektor Käser als auch jene
der Gesamtregierung in der Thorberg­
Affäre. Beide hätten nicht optimal agiert.
Mehr...
Von Andrea Sommer 03.07.2015
(Erstellt: 16.02.2016, 18:47 Uhr)
http://www.bernerzeitung.ch/region/kanton­bern/thorberg­umstrittene­zelle­wird­nicht­mehr­benutzt/story/21926291
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Von der Disziplin in den Anstalten:
Verfehlte Therapien, Angekettete Insassen, Mangel an Selbsthilfegruppen in Anstalten, was ist eigentlich
los, welcher Geist weht durch die schweizerischen Anstalten? Und das, obschon in den Hausordnungen
der Straf- und Massnahmenanstalten viel die Rede von gegenseitigem Respekt ist; aber gleichzeitig
eben auch viel von Sanktionen für alle möglichen Unterlassungen und Regelübertretungen.
Viele der durch Sanktionen geschützten Regeln haben überhaupt keine ethische Substanz, sondern sind
reine Sicherheitsklauseln, oft genug behauptete Sicherheitsbedingungen, noch öfter nur Regeln, die
den Dienst des Aufsichtspersonals bequemer gestalten oder Arbeit von ihnen fern hält – beispielsweise,
dass man keine Bücher oder DVD’s einem Insassen schicken kann.
Solche Regeln entbehren krass der Überzeugungskraft und Legitimation. Ihre Durchsetzung grenzt
immer an Willkür und verletzt damit den vielgerühmten Respekt, der auch dem Gefangenen entgegen
gebracht werden sollte. Solche Regeln und die daraus erwachsenden Massnahmen sind überwiegend
nur die Dokumentation von einem: Nämlich der Machtüberlegenheit der Anstaltsorganisation über den
Gefangenen und oft genug auch – leider – über deren Angehörige und Freunde. Da ist oft Regel und
Schikane nicht mehr unterscheidbar.
Beispiele gefällig? Kein Problem, die haben wir zuhauf!
• Eine Anstalt droht einem Besucher mit Ausschluss aus dem Besuch, wenn ein Kleidungsstück mit
Metall besetzt ist, das im Metalldetektor angeben kann. Logisch, dass man zum Besuch nicht in der
Ritterrüstung oder Nietenkleidung antritt. Aber Ich kenne nur wenig Hosenknöpfe, Reissverschlüsse,
Gurtschnallen, Schuhösen, Hosenträgerklemmen, Büstenhalterverstärker, Taschen etc., die aus
Holz gefertigt sind – Metall ist da immer noch der gebräuchlichste Werkstoff! In der Regel ist ja
rasch geklärt, was da piepst. Solche Bestimmungen sind schlicht schikanös! Folgender Wunsch an
die Besucher würde vollkommen genügen: „Das Besuchspublikum wird gebeten, darauf zu achten,
dass möglichst wenig Metall in der Kleidung verarbeitet ist. Gegebenenfalls kann der Besuch
verweigert werden“. Das würde vollkommen genügen und hätte nicht den willkürlich repressiven
Gehalt einer heute gültigen Anstaltsbestimmung: „Kleider und Ausstattung müssen so beschaffen
sein, dass kein Signal ausgelöst wird.“ – Unmöglich!
• Internet ist den Insassen in der Regel verwehrt. Internet ist heute unabdingbar und gehört zum
Alltagsleben wie Telefon und Alphabet. Dessen souveräner und verantwortungsvoller Gebrauch ist
ein wichtiger Faktor der Wiederintegrierung in die Gesellschaft. Paradox ist dabei, dass telefonische
Kommunikation über die Anstaltstelefone frei ist, aber schwer und zeitaufwendig zu kontrollieren,
während die Nutzung des Internets samt Emails keine Kontrollschwierigkeiten bereitet und durch
geeignete Software noch vereinfacht werden kann! Hier besteht Revisionsbedarf dringlich.
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• Inhaftierte geben ihre Sexualität nicht in der Anstaltsgarderobe ab. Es bleibt ihnen bloss, diese
alleine zu pflegen und nicht einmal substanziell unterstützt durch Bild oder Lektüre. Die Regeln sind
in dieser Hinsicht rigoros, was dazu führt, dass filmische Meisterwerke wie auch Weltliteratur für
die Insassen unerreichbar ist. Diese Zensur ist unerträglich und nur in Extremfällen zu tolerieren.
• Was die Zulassung von Nahrungsmitteln betrifft, so sind die Grenzen auch überaus eng und oft
wenig einsichtig.
• Reizvoll sind immer Situationen, wo die Anstalt sich nicht an die Hausordnung hält, selbstverständlich
für diese im Unterschied zu den Insassen, ohne jegliche Konsequenzen. Das gilt etwa für die
Besuchszeit und Ihre Organisation. Die Anstalten erklären unisono: "Die Strafanstalt fördert die
Beziehung der Eingewiesenen zur Aussenwelt." Das hindert mitunter nicht, den Besuch so zu
organisieren, dass die zur Verfügung stehende Zeit nicht voll genutzt werden kann und Wartezeiten
bis zu ¾ Stunden in Kauf genommen werden müssen, um in den Besucherraum zu gelangen. Das ist
nicht erträglich und eine krasse Missachtung der durch die Hausordnung festgelegte Besuchszeit.
Diese muss faktisch voll nutzbar sein!
• Etc.
Und das alles ist zulässig unter Generalklauseln, die sich in jeder Anstaltsordnung ähnlich finden, wie
beispielsweise:
Der Vollzug von Strafen und Massnahmen soll Eingewiesene zu einem eigenverantwortlichen Verhalten
unter Achtung der Rechte der anderen im Hinblick auf ein straffreies Leben in der Gemeinschaft führen.
Er soll die Einsicht der Eingewiesenen in die Folgen begangener Straftaten für sich selbst, das Opfer
und die Allgemeinheit wecken. Er soll auf die Wiedergutmachung des Unrechts hinwirken, welches
den Geschädigten zugefügt worden ist.
Und
Eingewiesene haben Anspruch auf Achtung ihrer Persönlichkeit und ihrer Menschenwürde. Ihre
verfassungsmässigen und gesetzlichen Rechte dürfen nur so weit beschränkt werden, als es der
Entzug der Freiheit und das Zusammenleben in der Vollzugseinrichtung erfordern. Beschränkungen
müssen in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen.
Da sind gleich zwei Gretchenfragen drin: Was oder wie hält ihr es mit der Verhältnismässigkeit und
Förderung der Insassen? In vielen Bereichen lautet die Antwort: Nicht sehr viel!
Bringen Repression und Kontrolle das, was der Strafvollzug vermitteln sollte? Wird so die Wiedereingliederung in die Gesellschaft, die Gesundung in der Massnahme erreicht? Man darf zweifeln, aber
ebenso wenig nur kritisieren. Denn vieles ist erreicht worden und vieles wird erreicht, was lebhaft zu
unterstreichen ist. Und trotzdem ist zu fragen: Könnte man anders vielleicht nicht mehr erreichen? Wie
wäre es beispielweis mit folgendem Versuch:
Warum wird eigentlich nicht so vorgegangen, dass bei unbeanstandetem Verhalten jeder Insasse täglich
einen Bonus erhält, der dann allfällige Verfehlungen auffängt und diese erst in eine Disziplinarmassnahme
ausfliessen lässt, wenn die Punktzahl unter einen gewissen Wert fällt? Das wäre auch wesentlich
lebensnaher, weil ebenfalls in der Arbeitswelt praktiziert. Regelmässig finden Bewertungsgespräche
statt, die eben Schwächen wie auch Stärken beleuchten und würdigen und dazu führen, das mässige
Laster durch die markanten Vorzüge einer Persönlichkeit kompensiert werden. Das wäre nicht nur
fordern, sondern auch fördern!
Da ist grosser Bedarf und es stellt sich deshalb die Frage, wie sich generell in letzter das Strafrechtes
und der Strafvollzug entwickelt haben?
Es wuchs die Skepsis gegenüber den sogenannten Massnahmen gemäss Art 59 u.ff. StGB und den
psychiatrischen Gutachten gegenüber. Und das ist unter mehreren Aspekten gut so! Gleichzeitig ist die
Berichterstattung über die "Verbrechen" überwiegend zu einem Sensationsjournalismus degradiert,
dessen Folgen unabsehbar sind.
• Einerseits hat man in der Vergangenheit viel zu rasch Massnahmen ausgesprochen und dabei
schlicht verkannt, dass der Mensch an sich mangelhaft ist und von Natur aus "spinnt". Normale
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Menschen gibt es nicht. Massgeblich für die soziale Verträglichkeit ist bloss das Mass und die
Konstanz der "Abnormität". Das Wort sagt es klar, die Anomalität, als Abnormität, ist keine absolute
und wertfreie, sondern eine Abweichung von der Norm und die ist immer gesellschaftlich und
politisch bedingt. Das zeigt sich deutlich an den sogenannte Sittlichkeitsdelikten. Was gestern
unsittlich war, bewegt heute niemanden mehr. Überhaupt muss man sich immer dessen bewusst
sein, dass die Gesetzgebung von gestern das Unrecht von heute ist, und die Gesetzgebung von
heute das Unrecht von morgen! Zurückhaltende Rechtsprechung drängt sich auf. Unaufgeregte
Beurteilung tut not.
• Andrerseits ist nicht zu verkennen – diese Erkenntnis setzt sich bis in die höchsten Gerichtsinstanzen
durch -, dass die Methode zur Bestimmung von Mass und Konstanz der "Abnormität" eine höchst
fragile ist. Viele Gutachten genügen den Ansprüchen einer wissenschaftlich tragbaren Grundlage
nicht, sondern erweisen sich bei deren Vertiefung als redundante1 dogmatische, ja scholastische2,
Elaborate, die keine harten Fakten ausweisen, sondern eigentliche Spekulationsmühlen sind,
welche dann die Grundlagen einer Verurteilung abgeben sollen. Das ist nicht haltbar. Die Sache wird
auch nicht besser, wenn gestützt auf statistische Werte deliktische Wahrscheinlichkeitsprognosen
zur Stützung einer Hypothese herangezogen werden. Zur Beurteilung steht nämlich nie ein Durchschnittsmensch, sondern ein Individuum, das in seiner Einmaligkeit einzig ist. Die Strafrichter sind
nicht zu beneiden!
• Umso mehr als diese Richter sich in einem medialen Umfeld bewegen, das erschreckt. Da wird
populistisch dem Sicherheitswahn das Wort gesprochen, wie wenn absolute Sicherheit je gewährleistet werden könnte. Die Verhältnismässigkeit geht auch verloren: Die Wahrscheinlichkeit, sein
Geld durch Bankermachenschaften als durch Raub zu verlieren, ist wesentlich höher, aber über
jeden Raub wird berichtet, über dubiose Bankenmachenschaften wesentlich weniger und wenn
berichtet wird, dann zurückhaltender. Die Wahrscheinlichkeit an Mord zu sterben, ist in der Schweiz
wesentlich tiefer, als unter den Rädern eines Autos seine Seele auszuhauchen. Über Tötungsdelikte
wird aufgeregt berichtet, über tödliche Autounfälle eher am Rande. Verbunden mit diesem Verbrechensjournalismus ist auch eine überbordende Spekulationsreportage. Wunderbar das Beispiel
der Tötungsdelikte in Rupperswil, wo ein Experte nach dem anderen sich in Mutmassungen
überschlägt. Die Aufklärungsbehörden haben noch nicht einmal gesicherte Spuren! Was soll das?
Ist das die Aufgabe der berühmten vierten Gewalt im Staate, welche die drei anderen kontrollieren
sollte? Wo bleibt deren staatspolitische Verantwortung, mit Augenmass und Verantwortung zu
informieren, um den Staatsbürger in die Lage zu versetzen, eine seinem Stimmrecht angemessene
Meinungsvielfalt zu analysieren und bedacht zu wägen, um zu entscheiden? Man hat Mühe,
diese journalistische Verantwortung zu orten. Geschafft wird ein Klima der Angst, der Verzerrung,
Verhetzung und Panik. Diese Atmosphäre dräut über jedem Gericht. Kein Urteil ergeht mehr, ohne
dass auf Volkes Stimme gehört wird. Dabei wäre es Aufgabe der Gerichte, Gesetze anzuwenden,
nicht Befindlichkeiten des "Volkes". Das wäre der Kern des Rechtsstaates!
• Erfreulich hingegen, dass die Einsicht wächst, dass Straf- und Massnahmenvollzug effizient zu
sein hat, nicht vorwiegend teuer! Da ist noch viel zu tun. Viele heute in Gefängnissen angebotene
Therapien sind Scheintherapien, welche bloss Sicherheit vermitteln sollen, kaum aber solche
schaffen. Da liegt eine Menge Arbeit vor uns.
Packen wir sie an! Bleiben wir dran!
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Der Begriff redundant hat seine Herkunft im lateinischen Wort redundare (re = zurück und unda = Welle) und bedeutet soviel wie
„mehrfach vorhanden, überreichlich, wiederholt oder überzählig“.
Scholastik (von lateinisch scholasticus „schulisch“, „zum Studium gehörig“) ist die wissenschaftliche Denkweise und Methode der
Beweisführung, die in der lateinischsprachigen Gelehrtenwelt des Mittelalters entwickelt wurde.
ACHTUNG!
• Fürsorgerische Unterbringung / Zwangsmassnahmen?
• Wie weiter?
• Wann darf ich gehen?
• Was passiert mit meiner Wohnung?
• Wer sorgt sich um meine Möbel?
• Inhaftiert, verurteilt und längere Zeit hinter Gitter?
• Allein, niemand kümmert sich, keine Angehörige?
• Was passiert mit der Wohnung, meinem Hausstand?
Die Genossenschaft SNAP & Org. übernimmt die Organisation der Räumung und die Endreinigung.
Ein Inventar wird erstellt, Wertgegenstände wie Uhren, Schmuck oder Bargeld werden gesichert und
in Obhut genommen.
Die Möbel werden fachgerecht demontiert, Geschirr und Zerbrechliches wird sorgfältig verpackt und
zum Transport vorbereitet.
Der Hausstand wird bis maximal 3 Jahren eingelagert.
Die Wohnung /das Haus wird gereinigt und dem Vermieter in gutem Zustand übergeben.
Adresse/Informationen:
Isabel Juchli, Präsidentin
René Heer, Vizepräsident
Bruggerstr. 29
5103 Wildegg
Tel
+41 62 511 2464
Mob +41 78 698 2876
[email protected]
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Die nächste Ausgabe erscheint
Ende Herbst 2016
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