Einleitung zum Buch Körper und Kunst in der Psychotraumatologie Einleitung Tiefenpsychologische Integration - Kunstwerk - Körper - Traumatologie Nicht erst seit New Yorks Tower einstürzten, müssen sich moderne westliche Gesellschaften im Allgemeinen und moderne PsychotherapeutInnen im Besonderen mit extremen Formen traumatisierender Gewalt auseinander setzen. Auch vor diesem Hintergrund versteht sich der Titel dieses Buches, das auf der Grundlage von Diskussionsbeiträgen der beiden letzten Bonner Symposien zur Psychotherapie entstand. Die hier versammelten Beiträge zielen auf die Bedeutung kultureller Ressourcen für tiefenpsychologisch fundierte und Trauma adaptierte Psychotherapie ab. Tanz, Kunst und Musik werden von alters her entspannende -kathartische- und verbindende -Sicherheit schaffende- sowie stabilisierende -heilende- Wirkungen zugesprochen. Dies machen sich PraktikerInnen unterschiedlicher Psychotherapieschulen schon lange zunutze. Künstlerische Tätigkeiten sind Beschäftigungen mit der Wahrnehmung durch die Sinne. Kunst ist Ausdruck durch Bild, Musik, Tanz und Poesie. Kunst erfreut, Kunst regt an, Kunst brüskiert auch manchmal. Kunst braucht Publikum. Der Körper bewegt uns. Mit ihm und durch ihn verhalten wir uns, handeln, bewirken etwas. Ohne Körper keine Gefühle, ohne Körper keine Ratio. Der Körper braucht Ruhe und Aktivierung. Die Traumatologie stellt moderne neurophysiologisch untermauerte Theoriebausteine bereit. Ihre Integrationsmöglichkeiten im Rahmen der medizinischen Versorgungsstrukturen sind noch abzustecken. Die Traumatologie bezieht Körper und Sinneswahrnehmungen aktiv in Konzeptualisierung und Behandlung ein. Wie lassen sich diese drei Bereiche im Rahmen zeitgemäßer Psychotherapie „integrieren"? Der Begriff ‚Integration' kommt bekanntlich aus dem Lateinischen von ‚integrare' und bedeutet : „allmähliches eingliedern, zusammenfügen und ergänzen in einem Prozess". Methodenintegration - auch in der Tiefenpsychologie - fußt auf einer großen theoretischen Perspektivenvielfalt mit allen daraus resultierenden Vorteilen und Widersprüchen. Es geht in der Tat um einen langwierigen Prozess der Zusammenfügung von Erkenntnissen aus verschiedenen Wissensbereichen: aus der Medizin, der Psychologie und den Neurowissenschaften, aus der Entwicklungs- und Säuglingsforschung, aus der Bewegungs- und Verhaltensbeobachtung, aus den Künsten und der schöpferischen Gestaltung. Manchmal bleibt in diesem Prozess Unvereinbares nebeneinander bestehen. Die Neurobiologie hat neben der Bindungs- und Säuglingsforschung Einzug in die moderne Psychotherapie gehalten. Im Zeitalter der Hirnforschung und neuerer Erkenntnisse über frühe Mentalisierungsprozesse könnte man den ‚Körper als Kunstwerk' und die Psyche als ständig sich umformenden und neuroplastisch biegsamen ‚Atem des Seins' bezeichnen. Beide, Körper und Psyche, sind untrennbar zum ‚Kunstwerk Körper' verschmolzen. Etwas weniger philosophisch ausgedrückt: Die psychische Struktur eines Menschen wird u.a. im Rahmen tiefenpsychologisch traumatologischer Modellbildungen mit Rekursen auf die neuere Hirnforschung inzwischen immer präziser definiert. Dies fließt in die verschiedensten psychotherapeutischen Konzeptualisierungen ein. Aus der Metaperspektive der Neurobiologie betrachtet, können sowohl Körperinterventionen, als auch sinnliche Stimulationen, wie sie über die Verwendung künstlerischen Ein- und Ausdrucks möglich sind, psychotherapeutisch problemlos integriert werden. Wie viel Methodenintegration ist in der Praxis nötig, wie viel ist möglich? In ganz besonderer Weise fordern uns bei der Beantwortung dieser Frage die Opfer traumatischer Erfahrungen heraus. Menschen, die schweren Naturkatastrophen oder schweren Unfällen entkommen sind oder die Terror und Verfolgung ausgesetzt waren oder Missbrauch bzw. akute Gewalt erlitten haben, können therapeutisch mit den gängigen Mitteln eines einzigen schulenspezifischen Therapieverfahrens kaum erreicht werden. Hier greifen alte und neue, die gesunde Wahrnehmung stabilisierende und Ressourcen aktivierende Verfahren, z.B. Adaptionen körpertherapeutischer und kunsttherapeutischer Ansätze, die es allerdings immer weiter - auch theoriegeleitet - in Medizin und Psychotherapie zu integrieren gilt. Neuere Trauma adaptierte Psychotherapieverfahren haben bereits den ‚kreativen Körper' (wieder) entdeckt: Psychotherapeutische Theoriebildungen aller Schulen wenden sich seit der verstärkten Rezeption der Hirnforschung in innovativer Weise dem ‚Kunstwerk Körper' zu, was die Fülle von Veröffentlichungen in den letzten Jahren zu diesem Thema dokumentiert. Und tatsächlich hat darüber auch der alte Schulenstreit zwischen Tiefenpsychologie und Verhaltenstherapie endlich seine Brisanz eingebüßt. Nun ist es allerdings ein Merkmal von Kunstwerken und auch von Körperprozessen, dass erlebte Zeit für ihre Entfaltung eine große Rolle spielt. Haben Ansätze, die Kreativität und (Körper-) Kunst propagieren, unter dem wachsenden gesellschaftlichen Druck von Gesundheitsreform und Kostendämpfung da eine Chance? Schließlich müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass der gesellschaftliche Mainstream eigentlich keine Zeit mehr für körperliche Achtsamkeit und/ oder zeitintensive ästhetisch-sinnliche Auseinandersetzungen bzw. ‚schöpferische Prozesse' hat! Passen also, mit anderen Worten, diese Entwicklungen einer ‚modernen PsychotherapieDiskussion' überhaupt ins globalisierte 21. Jahrhundert, in dem sich heilkundlich engagierte SpezialistInnen zunehmend mehr mit Definitionen der ‚wirksamsten' Behandlungsmethoden für bestimmte ICD 10 - definierte psychische Störungen befassen? Benötigt die psychotherapeutische Gilde nicht vor allen Dingen kurze, gut strukturierte und manualisierte Behandlungsanleitungen statt eines ‚schöpferischen Chaos', das an vergangen geglaubte Psycho-Selbsterfahrungs-Zeiten erinnert? Psychotherapeutische Integrationsbemühungen entstehen aus klinisch-praxeologischen Erfahrungen heraus. Je nach Störungsbild und Kontextvariablen müssen nämlich im klinischen Alltag VertreterInnen verschiedener psychotherapeutischer Richtungen zum Wohle ihrer PatientInnen miteinander auskommen. In den meisten Kliniken ist es üblich, dass Verhaltenstherapeuten, Kunsttherapeuten, Sporttherapeuten und psychosomatische Mediziner, um nur einige zu nennen, im selben Team sitzen und sich über ihre PatientInnen austauschen. Aber sie haben durchaus unterschiedliches Ansehen: Wie sieht es z.B. mit der Finanzierung ‚zwischen Kunst und Krankenkasse' aus? Wie steht es mit empirischen Nachweisen über plausible, aber wenig empirisch untermauerte Patientenaussagen? Wir wissen ja, dass PatientInnen symbolisch oder sensorisch mehrmodal vernetzte, m. a. W.: künstlerisch vermittelte Auseinandersetzungen im weitesten Sinne immer wieder als hilfreich und förderlich einschätzen. Nur: Wer fragt danach? Die Autoren dieses Buches widmen sich diesen und angrenzenden Fragen in drei Schritten. In Teil I geht es um tiefenpsychologische Integration als Gratwanderung zwischen Eklektizismus und methodischer Bindung. In Teil II geht es um das Spannungsfeld der Heilung zwischen Kunst und Forschung. In Teil III berichten PsychotherapeutInnen aus ihrer Praxis unter Verwendung künstlerischer Prozesse. PsychotherapeutInnen sind nicht selten selbst KünstlerInnen und verhelfen sich mit Mitteln der Kunst dazu, Psychohygiene zu betreiben, sich selbst in ihrem Handeln besser zu verstehen oder kreative Lösungsstrategien zu entwerfen. Welche Impulse für psychotherapeutische Beziehungsgestaltungen verdanken sich der gestaltgebenden Kunstfertigkeit professioneller TherapeutInnen? Welchen Stellenwert haben künstlerische Verdichtungen für TherapeutInnen in einem Zeitalter, in dem kulturelle und ästhetische Auseinandersetzungen häufig als Gegensatz zu den ‚New Sciences' definiert werden? Vernetzung, Integration und Kreativität müssen nicht auf der einen Seite stehen - und reale Gesundheitspolitik auf der anderen. Es geht in diesem Buch darum, aus fachwissenschaftlicher und aus der Sicht von praktisch tätigen PsychotherapeutInnen deutlich zu machen, dass manche Wurzeln moderner therapeutischer Bewegungen in der Philosophie und in der Kunst liegen und dass wir heute in der glücklichen Lage sind, viele gut formulierte alte Gedanken mit Hilfe der neueren Hirnforschung besser zu verstehen.
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