Präklinische Stabilisierung im traumatisch-hämorrhagischen Schock Kristalloide, Kolloide, hypertone Lösungen Aktueller Stellenwert Thomas Standl Klinik für Anästhesie, Operative Intensiv- u. Palliativmedizin STÄDTISCHES KLINIKUM AKADEMISCHES LEHRKRANKENHAUS DER UNIVERSITÄT KÖLN gemeinnützige GmbH Schocktherapie in der Notfallmedizin Frage 1: Welche Antwort ist richtig? Der Begriff des traumatisch-hämorrhagischen Schocks…… 1. ist nicht exakt definiert 2. entspricht einer schweren Hypotension infolge kardialen Versagens 3. entspricht einem intravasalem Volumenmangel aufgrund von Flüssigkeitsverlusten in das Interstitium 4. beschreibt einen intravasalen Volumenmangel aufgrund einer blutungsbedingten kritischen Vorlastsenkung 5. ist pathophysiologisch durch Vasodilatation und Maldistributon charakterisiert Definition des traumatisch-hämorrhagischen Schocks Adams HA et al.: AINS 2001;36:S140-3, DÄV 2005 Zustand unzureichender Durchblutung vitaler Organe mit konsekutivem Missverhältnis von Sauerstoff-Angebot und -Verbrauch aufgrund kritisch verminderter kardialer Vorlast infolge akuter Blutung und gleichzeitig ausgedehnter Gewebeschädigung mit Mediatorenfreisetzung. Frage 2: Welche Antwort ist richtig? Der Blutverlust beim Traumapatienten kann folgende Mengen betragen…… 1. Oberarmfraktur: 3-4 l 2. Oberschenkelfraktur: 3-4 l 3. Hämatothorax: 3-4 l 4. Leberruptur: bis 5 l 5. Beckenfraktur: bis 5 l Hämatothorax 500-1000ml Oberarmfraktur 100-800ml Unterarmfraktur Leberruptur 50-400ml 1500-2000ml Milzruptur 1500-2000ml Beckenfraktur 500-5000ml Oberschenkelfraktur 300-2000ml Unterschenkelfraktur 100-1000ml Volumentherapie im hämorrhagischen Schock Ziel der initialen Kreislauftherapie ist die Wiederherstellung der Normovolämie durch kristalloide und kolloidale Lösungen unter Inkaufnahme einer Dilution der vorhandenen Blutbestandteile. Diese Blutkomponenten werden erforderlichenfalls gezielt substituiert. Therapie des Volumenmangels S3 – Leitlinie Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung AWMF Register-Nr. 012/019 Empfehlungen für die Volumentherapie • 18. Bei schwer verletzten Patienten sollte eine Volumentherapie eingeleitet werden, die bei unkontrollierbaren Blutungen in reduzierter Form durchgeführt werden sollte, um den Kreislauf auf niedrig-stabilem Niveau zu halten und die Blutung nicht zu verstärken. B • 19. Bei hypotensiven Patienten mit einem Schädel-Hirn-Trauma sollte eine Volumentherapie mit dem Ziel der Normotension durchgeführt werden. B • 20. Normotensive Patienten bedürfen keiner Volumentherapie, es sollten jedoch venöse Zugänge gelegt werden. B Volumentherapie im hämorrhagischen Schock Leistungsfähige Gefäßzugänge Mindestens 2 großlumige Venenverweilkanülen (1,7-2 mm) Ggf. Druckinfusion ZVK nicht zur Primärversorgung Schockraum: 3-Lumen ZVK und/oder Shaldon-Katheter Volumentherapie im hämorrhagischen Schock Autotransfusion Zugänge beim Säugling, Kleinkind: intravenös: V. saphena, V. jugularis externa EZ-IO für den intraossären Zugang Tibia: Innenknöchel oder Tuberositas, Humerus Cave: Epiphysenfuge Frage 3: Welche Antwort ist richtig? Um den akuten Blutverlust von 1 l beim Traumapatienten zu kompensieren benötigt man…… 1. 1 l Kolloid z.B. 6% HES 130/0,4-042 2. 2 l NaCl 0,9% (physiol. Kochsalzlösung) 3. 2 l balanciertes Kristalloid 4. 4 l balanciertes Kristalloid 5. 5 l freies Wasser (z.B. Glucose 5%) Kristalloide und Kolloide zur Volumensubstitution Zander R: Fluid Manangement 2006 Alle Interventionen erhöhen das intravasale Volumen um 1 l Damage-controlled Volume Therapy Ponschab M et al.: BMC Anesthesiol 2015;15:133.doi 10.1186 24 Schweine mit 50% Blutverlust und 1:1 (LV) oder 1:3 (HV) Volumenersatz mit Ringeracetat MAP (LV) vs (HV): 61±7 vs 82±14 mm Hg; Hkt (LV) vs (HV): 20 vs 16% Kerntemperatur 37,5±0,2 (LV) vs 36,0±0,6°C, Thrombozyten 318±77 (LV) vs 231±53/µl (HV) Volumentherapie mit hypertoner Lösung Kramer GC et al.: Surgery 1986;100:239-47 Vassar MJ et al.: J Trauma 1993;34:622-32 Wirkprinzip: Small Volume Resuscitation 7,2% NaCl erzeugt einen osmotischen Gradienten 2464 -> 290 mosm/l und mobilisiert körpereigene Flüssigkeit aus dem ISR und IZR Zusatz von 6% HES 200.000 erzielt Wirkungsverlängerung über KOD Dosierung: 4 ml/kg KG = 250 ml in 2 - 5 min Wirkung akut: + 1000 ml im IVR = 250 ml Infusion + 375 ml aus dem ISR + 375 ml aus dem IZR Äquilibrium: 250 ml im IVR, - 750 ml im ISR, IZR und durch Diurese Klinische Wirkung: MAP + , PCWP + , CI + , positiv inotrop? Passagere Kompensation von Blutverlusten von 50% (Tierversuch) und 20% (Menschen) nachgewiesen Therapie des traumatischen Volumenmangels S3 – Leitlinie Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung AWMF Register-Nr. 012/019 Empfehlungen für die Volumentherapie • 21. Zur Volumentherapie bei Traumapatienten sollten Kristalloide eingesetzt werden. B • 22. Isotone Kochsalzlösung sollte nicht verwendet werden, Ringer-Malat, alternativ Ringer-Acetat oder Ringer-Laktat, sollte bevorzugt werden. B • 23. Humanalbumin soll nicht zur präklinischen Volumentherapie herangezogen werden. A • 24. Werden bei hypotensiven Traumapatienten kolloidale Lösungen eingesetzt, sollte HAES 130/0,4 bevorzugt werden. B Therapie des traumatischen Volumenmangels S3 – Leitlinie Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung AWMF Register-Nr. 012/019 Empfehlungen für die Volumentherapie • 25. Beim polytraumatisierten Patienten nach stumpfem Trauma mit hypotonen Kreislaufverhältnissen können hypertone Lösungen verwendet werden. 0 • 26. Bei penetrierendem Trauma sollten hypertone Lösungen verwendet werden, sofern hier eine präklinische Volumentherapie durchgeführt wird. B • 27. Bei hypotonen Patienten mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma kann eine hypertone Lösung verwendet werden. 0 • 28. Anti-Schock-Hosen sollen zur Kreislaufunterstützung bei PolytraumaPatienten nicht eingesetzt werden. A Volumentherapie mit hypertoner Lösung Bulger EM et al.: Ann Surg 2011;253:431-41 Kein Vorteil in Bezug auf 28 Tage Überleben zwischen 7,5% NaCl (73,0%), 7,5% NaCl + Dextran (74,5%) und 0,9% NaCl (74,4%) bei 853 Patienten mit traumatisch-hämorrhagischem Schock (blunt and penetrating trauma) Delano MJ et al.: Shock 2015;55:25-31 Erniedrigte Gerinnungsfähigkeit und mehr Hyperfibrinolyse nach 7,5% NaCl + Dextran vs 7,5% NaCl und 0,9% NaCl bei 34 Patienten mit traumatisch-hämorrhagischem Schock und höherem Aufnahme RR sowie Na+ und Cl- Volumentherapie mit hypertoner Lösung bei SHT Gantner D et al.: Curr Opin Crit Care 2014;20:385-9 Kein Vorteil in Bezug auf Outcome Hypertonic saline and mannitol decrease ICP, but may not improve survival or neurological outcomes in patients with traumatic brain injury. 4% albumin worsens mortality by increased ICP during the first week. Sodium lactate may be a future therapy for treatment and prevention of secondary brain injury. Focus 28/2013 Frage 4: Welche Antwort ist richtig? Die Titulierung „Tod aus dem Tropf“ bezieht sich auf…… 1. NaCl 0,9% 2. HES 3. Gelatine 4. Humanalbumin 5. Ringerlaktat Entwicklungen in Sachen HES Deshalb balancierte Kristalloide zur Flüssigkeitsund Volumentherapie Chowdhury AH et al.: Ann Surg 2012;256:18-24 Yunos NM et al.: JAMA 2012;308:1566-72 Perfusion der Nierenrinde nach 2l/h Infusion 0,9% NaCl vs bal. Kristalloid Inzidenz von ANV nach Cl--reichem vs Cl--restriktivem Infusionsregime Frage 5: Welche Antwort ist richtig? Ein Ersatz von HCO3- in kristalloiden Lösungen ist 1. verzichtbar 2. am besten durch Laktat 3. am besten durch Citrat 4. am besten durch Malat 5. am besten durch Acetat Welche organische Säure ist der ideale Ersatz für Hydrogencarbonat ? Zander R: Fluid Manangement 2006 Physiologische H+-Quelle ist Kohlensäure: H2CO3- ↔ HCO3- + H+ ► Acetat and Lactat liefern 1 mol, Malat 2 mol und Citrat 3 mol HCO3- pro mol organische Säure +2 O2 ► Risiko der metabolischen Alkalose: Citrat > Malat > Acetat und Lactat 2( ) ► Acetat, Malat und Citrat benötigen 2 Moleküle O2, Lactat 3 Moleküle O2 First Trial HES 130/0,4 vs NaCl bei Traumapatienten James MF et al.: Br J Anaesth 2011;107:693-702 FIRST trial (Fluids in Resuscitation of Severe Trauma) Design • Monozentrisch (Kapstadt), randomisiert, doppelblind Patientenkollektiv • 109 Patienten mit schwerem Trauma (stumpf oder penetrierend) Studienarme • 2 l 0,9% NaCl plus 6% HES 130/0,4 (Voluven®) • 2 l 0,9% NaCl plus 0,9% NaCl Primärer Endpunkt • Tod und volle Wiederherstellung der gastrointestinalen Funktion Dauer Follow-up • 30 Tage First Trial HES 130/0,4 vs NaCl bei Traumapatienten James MF et al.: Br J Anaesth 2011;107:693-702 NaCl 0,9% HES 130/0,4 (24 h) (24 h) Fluids blunt trauma (n=42) 6,3±2,2 l 6,1±1,9 l RBCs blunt trauma ISS 1,5±1,1 l 18 2,9±1,6 l 30 p=0,005 Fluids penetrating trauma (n=67) 7,5±4,3 l 5,1±2,7 l p<0,001 Nierenversagen (PT) 16% 0% p=0,018 Laktat (0-1. Tag nach PT) 3,2±2,2 mmol/l 2,1±1,4 mmol/l p=0,017 CRISTAL-Study Colloids vs Crystalloids in Critically Ill Patients With Hypovolemic Shock Annane D et al.: JAMA 2013;310:1809-17 Design • multizentrisch, randomisiert, einfach blind Patientenkollektiv • 2.857 Patienten auf ICU, 57 Kliniken (F, B, CAN, TUN) • Studienarme • Kolloide: Gelatine, Dextran, HA 4% u. 20%, HES (33 ml/kg die, 70% der Patienten!) • NaCl (iso- u. hyperton), Ringerlaktat Primärer Endpunkt • Mortalität nach 28 Tagen Sekundäre Endpunkte • Mortalität nach 90 Tagen, Lebenstage ohne Katecholamine, Nierenersatz oder Beatmung Status • Datenerhebung 2003-2012 90 Tage Mortalität: KOL 30,7% vs NaCl 34,2% (p=0,03) Mehr Beatmungs- u. Katecholamin-freie Tage mit KOL (p=0,01 u. 0,03), RRT gleich Blutersatz bei hämorrhagischem Schock Holcomb JB et al.: JAMA 2015;313:471-82 680 Traumapatienten mit traumatisch hämorrhagischem Schock (PROPPR trial) Plasma : TKZ : EK 338 Patienten 1:1:1 342 Patienten 1:1:2 Mortalität 24h: 12,7 vs 17,0% Mortalität 30d: 22,4 vs 26,1% Tod durch Verbluten in 24h: 9,2 vs 14,6% (p=0,03) Hämostase erzielt: 86 vs 78% (p0,06) Resümee der wichtigen Leitlinien zur Volumensubstitution beim traumatischhämorrhagischen Schock • S3 Polytrauma: Empfehlung von (B), bei Hypotension (B); kein HA zur präklinischen Volumentherapie (A), bei penetrierendem Trauma sollten (B), bei hypotonem stumpfem Trauma und SHT können eingesetzt werden (O). Gültigkeit nach Überprüfung durch das Leitliniensekretariat verlängert bis 30.06.2016 • S3 Intravasale Volumentherapie bei Erwachsenen: Peri-interventionell (B). Beim Intensivpatienten prinzipiell (B), HES soll nicht gegeben werden, im hämorrhagischen Schock kritische Abwägung (A). Die Leitlinie ist gültig bis zum 30.06.2017. • Resümee: hypertone Lösungen und HES 130 sind bei bestimmten Indikationen einsetzbar! Editorial Anesth Analg 2014;119:737-9 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit !
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