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Wohnungsgenossenschaften stellen in Einklang mit ihrer historischen und satzungsrechtlichen
Entwicklung eine spezifische Form der Unternehmensorganisation dar, die auf kooperativem Handeln
und kollektiven Eigentumsrechten beruht. Seit Ende der 1980er Jahre führen Genossenschaften
verstärkt eine Diskussion über ihre Identität und wie sie sich von privatwirtschaftlichen und
kommunalen Unternehmen unterscheiden. Was ist das Mitglied - Kunde, Teilhaber, Bewohner oder
Genosse? Im Meinungsstreit, was denn nun das Profil von Genossenschaften sei, lassen sich drei
Positionen deutlich herauszuhören. Zum einen seien Wohnungsgenossenschaften wirtschaftlich
effiziente Unternehmen, die sich dem Wettbewerb mit einer bestimmten Unternehmensstrategie
stellen und das Produkt „Genossenschaft“ entsprechend vermarkten. Zum anderen bildeten sie
soziale und Beziehungsgeflechte, die ein Gegengewicht zu überforderten Nachbarschaften und
sozialer Vereinzelung herstellen. Zudem seien sie demokratisch verfasste Organisationen, in denen
„echte“ Partizipation möglich sei, die durchaus Vorbildcharakter für die Gesamtgesellschaft besitzen
könnten.
Die einfachste Antwort liegt sich sicherlich im - vom Alltag immer wieder bestätigten – Bonmot, die
Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Das heißt allerdings, sich die Sicht auf gegensätzliche oder
mühsam ausbalancierte Entwicklungen zu verstellen, bei denen die Verknüpfung dieser drei
Ansprüche gelingt oder auch misslingt. Gerade die Analyse unterschiedlicher Lösungen in einem
spezifischen Kooperations- und Bindungsmanagement wohnungsgenossenschaftlicher
Unternehmungen bietet den Vorteil, aktuelle Probleme und Lösungsansätze genauer zu betrachten.
Das Mitglied ist Kunde, Teilhaber, Genosse und Nachbar.
Nach Draheim besitzt die genossenschaftliche Organisationsform ein Doppelgesicht der
wirtschaftlichen Unternehmung und des demokratischen Vereins. Insbesondere für
Wohnungsgenossenschaften tritt zu den satzungsmäßig verfassten Koordinationsmechanismen der
demokratischen Kontrolle und Mitbestimmung ein weiterer hinzu: die Gemeinschaft oder
Nachbarschaft. Es geht also um die informellen sozialen Beziehungen und Netzwerke sowie die
gemeinsam geteilten Überzeugungen, die wiederum die externe Marktstellung und die Anwendung
von internen Verfahren beeinflussen. Dabei bildet das Wissen um Gemeinschaften sicherlich das
schwächste Glied in der Gestaltung von Mitgliederbeziehungen, denn zu lange ging man davon aus,
dass Gemeinschaften antiquierte Bestandteile einer vormodernen Welt seien, die man in der
modernen Gesellschaft nicht benötigt. Unter einem erweiterten Blickwinkel betrachtet, „bauen“ Markt
wie Staat auf vielfältigen Formen der Gemeinschaft, nämlich dem Austausch, der Verarbeitung und
der Transformation von gesellschaftlichen –oder eben genossenschaftlichen- Erfahrungen. Nur in der
Zusammenschau der drei Aspekte lässt sich die Frage nach der weiteren Entwicklung von
Genossenschaften beantworten.
Unzweifelhaft stehen die Wohnungswirtschaft in einem gravierenden Umbruch, denn die Ansprüche
an Wohnstandards und Wohnumfeldbedingungen nehmen in der bundesdeutschen Bevölkerung zu,
und es besteht ein Bedarf an Wohnformen, die Wohlstandszuwächsen und ausdifferenzierten
Lebensstilen gerecht werden. Nahezu gleichzeitig geraten Stadtviertel oder gesamte Regionen in die
Gefahr zirkulärer Abstiegsprozesse, weil sie im Strukturwandel ihre Ressourcen verlieren oder nicht
mehr mobilisieren können. Der demographisch bedingte Wohnungsleerstand und die mangelnde
Wirtschaftskraft ganzer Regionen stellen Wohnungsgenossenschaften vor große ökonomische
Probleme. Vor allem in Ostdeutschland ist die wohnungswirtschaftliche Entwicklung eng mit dem
Funktionsverlust vieler Städte und regionalen Arbeitsmarktdefiziten verknüpft (vgl. die Diskussion um
„schrumpfende Städte“ und „überforderte Nachbarschaften“). In unterschiedlicher Ausprägung, die
u.a. der geographischen Lage, den Wohnbestandsmerkmalen und der Organisationsstruktur
geschuldet ist, sehen sich Wohnungsgenossenschaften mit den folgenden Problemen konfrontiert:
-
hoher Wohnungsleerstand und drohende Insolvenz infolge Überschuldung;
-
selektive Bewohnerentwicklungen und überforderte Nachbarschaften in den Wohnungsbeständen;
-
steigende Mobilität der Bewohner und verändertes Nachfrageverhalten von Wohnraum
-
unsichere wohnungspolitische Rahmenbedingungen und Marktentwicklungen.
Die akuten Problemlagen der ostdeutschen WG seit Mitte der 1990er Jahre gehen vor allem mit den
Entwicklungen des gesamten Wohnungsmarkes einher, sie lassen sich nur begrenzt
genossenschaftsspezifische beschreiben. Dennoch bleibt die Frage bestehen, welches spezifisch
genossenschaftliche Potential im der Bewältigung dieser Probleme vorhanden ist. Darauf zielt nun die
Untersuchungsrichtung des Forschungsprojektes, ob Wohngenossenschaften eine Bewohnerbindung
und Ressourcenaktivierung durch die gesetzlich vorgeschriebene Mitgliederbeteiligung und -förderung
erreichen, und damit ‚traditionelle‘ Werte in eine zukunftsfähige Unternehmensstrategie
transformieren. Anders formuliert, mit welchen Inhalten und in welcher Form spiegelt sich das
genossenschaftliche Selbstverständnis als spezifisches Potenzial im marktwirtschaftlichen
Wettbewerb wieder? Welche Rolle spielt dabei die Krisis der eigenen Identität, der
„Genossenschaftsidee“, die in Abhängigkeit von den jeweiligen Genossenschaftssparten mehr oder
weniger offen ausdiskutiert wird. Definitionsgemäß dienen Genossenschaften der Förderung ihrer
Mitglieder. Ginge es dem Unternehmen gut, dann ständen den Mitgliedern optimale Bedingungen zur
Verwirklichung ihrer Individualinteressen bereit. Dieser vereinfachten Kopplung stehen die folgenden
Bedenken entgegen, weil
-
Organisationen ihr eigenen Ziele entfalten,
-
Mitglieder nicht über die gleichen Interessen verfügen,
-
externe Steuerungen und Verflechtungen bestehen,
-
kurzfristige und langfristige Interessen konfligieren können
-
unter den Bedingungen zunehmender Flexibilisierung und Ausdifferenzierung in modernen
Gesellschaften Kooperationsbeziehungen unter veränderten Anforderungen stehen.
Zwar liegen bei den genossenschaftlichen Praktikern sehr viele Erfahrungen vor, doch bislang
existieren nur wenige empirisch gesicherte Ergebnisse, welche Rolle das „Genossenschaftliche“
tatsächlich in der Unternehmensentwicklung, den Bewohnerbeziehungen und aktuellen
Stadtentwicklungsprozessen spielt. Die Gestaltung von Mitgliederbeziehungen wird insofern einen
Aushandlungsprozess darstellen, der zwischen Mitgliedern, Mitgliedern und Genossenschaft und
Genossenschaft und Umwelt darstellen. Die Spezifik der genossenschaftlichen Organisationsform
besteht darin, dass die Mitglieder ihren Kapitalbetrag (in der Regel ökonomisches Kapital, aber auch
soziales und kulturelles) durch monetäre Anreize oder auch die ‚Muskelhypothek‘ zu bestimmten
Bedingungen erbringen und dafür nicht nur eine Dividende erhalten, sondern die Unternehmensziele
mitbestimmen. In der Realisierung eines bestimmten Kollektivgutes werden individuell nicht
erreichbare Ziele angestrebt. Darin liegt sicherlich der historische Sinn in der Entwicklung von
Genossenschaften (Genossenschaft als Gruppe). Dem gegenüber lassen sich
Individualisierungstendenzen stellen, die eine stärkere funktionale Differenzierung erkennen lassen
(Genossenschaft als Gesellschaft.
Ganz grundsätzlich stellt sich also die Frage, welche genossenschaftliche „Kulturen“ mit ihren
jeweiligen Deutungs- und Handlungsmustern in Auseinandersetzung mit einer veränderten
gesellschaftlichen "Nachfrage“ und (keineswegs einheitlichen) Wohnungsmarktentwicklungen
entstehen. Lässt sich daraus ein „Modell“ herausarbeiten, das mit einer bestimmten rechtlichen
Konstruktion wirtschaftliche, soziale und städtebauliche Nachhaltigkeit verspricht. Darin liegen vor
allem die Erwartungen „außerhalb“ der Genossenschaften, die sich von der rechtlichen Institution eine
Problemlösungsform erwarten, die aber mit sozialen Lernerfahrungen verbunden sein muss. Das
Forschungsprojekt wählt deshalb den Ausgangspunkt, dass in der wohnungswirtschaftlichen Praxis
sehr unterschiedliche „Logiken“ und Kulturen von Genossenschaften existieren. Ziel der Untersuchung
ist es, solche Typen institutionalisierter oder eher informeller Gestaltungsmöglichkeiten aufzuzeigen, in
wie weit Mitglieder in die Unternehmenssteuerung, zur Gewährleistung spezifischer Wohnbedürfnisse,
zur Stabilisierung von Nachbarschaften und zum Umbau von Siedlungsstrukturen beitragen können.
Im Vordergrund stehen dabei die Bewertungen und Erfahrungen von internen und externen Akteuren
(Vorstände, Mitarbeiter und engagierte Bewohner, Kommunalpolitiker) und Bewohnern, wie sie die
Möglichkeiten und Wirkungen von Mitgliederpartizipation und sozialen Netzwerken in
Genossenschaften einschätzen. Das methodische Vorgehen besteht in einer vergleichenden
Fallstudie von zehn Wohnungsgenossenschaften in der Region Berlin-Brandenburg, die sich in ihrer
regionalen Zugehörigkeit, der historischen Entwicklung und der Qualität ihrer Wohn- und
Siedlungsgebiete unterscheiden.
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Die Verlagerung von Kompetenzen an Funktionsträger, die über ausreichende fachliche
Qualifikationen verfügen, führt zu spezialisierten Denkweisen, die sich immer schwerer übersetzen
lassen. Mit dem Managertum verbindet sich tendenziell die Entkoppelung der Mitglieder- und
Eigentümerinteressen von denen der Geschäftsführung, das erfordert Beteiligung, Transparenz,
Kommunikation und Information.
Durch Bürokratisierung und Rationalisierung verselbständigen sich Routinen und Abläufe. Der „Macht“
der Verwaltungen gegenüber den Mitgliedern kann durch Kundennähe und Offenheit begegnet
werden. Die Konzentrationsprozesse in den Organisationsstrukturen sollen die Leistungsfähigkeit
erhöhen. Sie „zerstören“ aber auch kulturelle Eigenheiten und lokale Spezifika, die durch dezentrale
Strukturen und Ansprechpartner vor Ort teilweise erhalten werden können.
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Die Diversifikation von Geschäftsfeldern und Funktionsausweitungen, die nicht direkt mit dem
ursprünglichen Förderziel übereinstimmen, sowie Nichtmitgliedergeschäfte kennzeichnen die
Marktorientierung, zu der viele Unternehmen gezwungen sind. Sie erfordert eine verstärkte
„Identitätsarbeit“.
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Die gesellschaftlichen Wertvorstellungen durchlaufen einen Wandel von der konventionellen Pflichtethik zur Selbstverwirklichung, neue Lebensbereiche (wie Freizeitgestaltung, Gesundheitspflege oder
Touristik) nehmen an Bedeutung zu, die Erwartungen und Ansprüche an Dienstleitungen steigen.
Andererseits bleibt die Bereitschaft, sich für sein Wohnumfeld und seine Wohnung zu engagieren.
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Die erhöhte Fluktuation und Mobilität in der Bevölkerung stellt kein allgemeines, sondern ein
spezielles Phänomen dar, das auf bestimmte Bewohnergruppen und Stadtviertel beschränkt ist. In
den 1990er Jahren nahm vor allem die kleinräumige Mobilität zu; sie wird oft als Gefährdung von
Nachbarschaften angesehen. Trotzdem zeigt sich bei den Mitgliedern ein hoher Verbleib in den
Genossenschaften (Umzüge innerhalb der Genossenschaft, Rückkehr).
Erwerbstrukturelle Umbrüche und Probleme in den beruflichen Karrieren zeigen unmittelbare Folgen
auf die wirtschaftliche Situation der Haushalte, auf soziale Polarisierungen in den Stadtgebieten und
auf das Alltagsleben der Bewohner. Genossenschaften zeigen häufig sehr „soziale Seiten“.
Die Altersstruktur und die Struktur der Haushalte ändert sich und mit ihnen die sozialen Beziehungen
in den Familien, zwischen den Generationen und in den Nachbarschaften. Was früher vielleicht
selbstverständlich war, verlangt heute neues Engagement und bewusstes Handeln in den
Genossenschaften.
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Genossenschaften befinden sich in der Situation, dass die Beziehungen der Mitglieder stärker
thematisiert werden. In welchen Beziehungen stehen die Mitglieder zu einer
Wohnungsgenossenschaft?
als Nutzer von Wohnungen, diese Bedeutung steigt mit dem Wohnungsleerstand und ist teilweise
auch als Tendenz zum Nichtmitgliedergeschäft erkennbar;
als Kapitalgeber, diese Funktion spielt für ältere Genossenschaften eine geringere, für neue
Genossenschaften oft eine ganz erhebliche Rolle, im Zusammenhang mit der Eigenheimzulage
und bei einigen Modellprojekten sind auch nichtnutzende Kapitalgeber von Interesse;
als Aktiv Beteiligte, dazu zählen vielfältige Aufgaben in der genossenschaftlichen
Selbstverwaltung, in den wohnungsnahen Dienstleistungen aber auch bei der Unterstützung von
unternehmerischen Anforderungen (z.B. der Mitgliederwerbung);
als Nachbar, zum Wohnumfeld gehören nicht nur Infrastruktur und Grünanlagen, sondern auch
die Mitbewohner, in vielen Stadtvierteln ein sehr sensibler Bereich, dem oft mit einer
entsprechenden Vorsicht bei der Auswahl von Bewohnern begegnet wird.
Mitgliedschaften zeigen sich dort besonders stabil und mit der Genossenschaft identifiziert, wo sie
nicht als Einzelkämpfer dem Unternehmen gegenüberstehen, sondern in Netzwerken agieren oder
sich in solche eingebunden fühlen. Dabei wird oftmals auf frühere Gemeinschaften zurückgegriffen
(Stichwort: Aufbaugeneration) und seltener neue soziale Gruppen gebildet. Die Mitgliederbeziehungen
sind in den Genossenschaften sehr unterschiedlich ausgebildet. Drei Grundmuster herrschen vor: (1)
die Mitglieder sind auf den Vorstand konzentriert, (2) es gibt innerhalb der Genossenschaft eine
Zwischenebene von Mitgliederbeziehungen, (3) die Mitglieder „dominieren“ die Genossenschaft.