Gesundheit Spenden rettet Leben Diese Organe werden transplantiert: Was muss ich tun, wenn ich Organspender werden will? Woher wissen die Ärzte, ob ich wirklich tot bin? Und wie läuft eine Transplantation ab? Wir beantworten die drängendsten Fragen zu einem brisanten Thema. Fotos: Keystone Text Ginette Wiget Grafik tnt-graphics.ch 88 Wenn ich mich zur Organspende bereit erkläre, entnehmen mir die Ärzte nach meinem Tod automatisch alle Organe? Nein. Weniger als 0,5 Prozent aller Verstorbenen kommen überhaupt als Organspender in Frage. Wer zu Hause verstirbt, scheidet als Spender aus. Denn die Entnahme braucht medizinische Vorbereitungen, die nur im Spital möglich sind. Die meisten Organspender sind Menschen mit einer Hirnblutung oder Unfallopfer mit Hirnverletzungen, die auf der Intensivstation sterben. Die Wahrscheinlichkeit, eines Tages selbst auf eine Transplantation angewiesen zu sein, ist fünf- bis sechsmal höher als die, überhaupt als Spender in Frage zu kommen. Was muss ich tun, wenn ich Organspender werden will? Sie müssen nur die Spendekarte des Bundesamts für Gesundheit ausfüllen (siehe Box). Falls Sie nur bestimmte Organe spenden möchten, lässt sich das vermerken. Am besten tragen Sie den Ausweis im Portemonnaie mit sich. Sie können Ihre Wünsche zur Organspende auch in einer Patientenverfügung festhalten. Es ist ratsam, auch die Angehörigen über Ihre Entscheidung zu informieren. Warum sind Organspenden sinnvoll? Weil damit kranken Menschen geholfen wird. Bis zu sieben Leben kann ein einziger Spender mit seinen verschiedenen Organen retten. Infolge des medizinischen Fortschritts wird immer häufiger eine Schweizer Familie 44/2012 Transplantation möglich. Die Organspenden jedoch haben nicht zugenommen. Deshalb stehen in der Schweiz mehr Leute auf der Warteliste als früher: Mit aktuell 1102 Menschen ist sie fast doppelt so lang wie noch vor zehn Jahren. Jährlich sterben rund 100 Menschen, weil für sie kein lebensrettendes Organ zur Verfügung steht. Wie lange müssen Menschen in der Schweiz auf ein Organ warten? Das hängt davon ab, um welches Organ es sich handelt und wie dringend ein Patient es braucht. Im Jahr 2011 warteten Patienten im Schnitt 242 Tage bis zur Transplantation eines Herzens. Für eine Leber waren es 191 Tage, für eine Niere 692 Tage. Warum ist es wichtig, sich ausdrücklich für oder gegen eine Organspende zu entscheiden? Weil Sie Ihren Liebsten womöglich eine schwierige Situation ersparen. Ist unklar, Spendekarte Sie kann in Apotheken, Arztpraxen und Spitälern bezogen oder unter 0800 570 123, info@ swisstransplant.org bestellt werden. Es gibt auch die Möglichkeit, sie unter www. transplantinfo.ch oder www.swisstransplant. org herunterzuladen und auszudrucken. ob ein Verstorbener ein Organspender sein könnte, befragen die Ärzte die Angehörigen. Denn laut Gesetz dürfen die Organe eines Verstorbenen nur dann entnommen werden, wenn der Verstorbene zu Lebzeiten einer Spende zugestimmt hat oder seine nächsten Angehörigen eine Spende erlauben. Sie müssen dabei im Sinne des Verstorbenen entscheiden. Diese Regelung heisst erweiterte Zustimmungslösung. Viele Menschen fürchten, bei der Organentnahme noch nicht tot zu sein. Wie können die Ärzte sicher sein, dass der Tod wirklich eingetreten ist? Zwei Ärzte müssen unabhängig voneinander nachweisen, dass der Mensch hirntot ist. Um den Hirntod zu diagnostizieren, führen sie eine Reihe von Tests durch. Sie prüfen zum Beispiel, ob grundlegende Reflexe wie der Husten- oder Schluckreflex noch funktionieren, die durch das Gehirn gesteuert werden. Ausserdem wird getestet, ob der Patient nicht bei abgeschaltetem Beatmungsgerät wieder von selbst zu atmen beginnt. Was bedeutet «Hirntod»? Ein Mensch ist hirntot, wenn sein Gehirn nicht mehr durchblutet wird und unwiderruflich ausfällt. Rein äusserlich unterscheidet sich ein Hirntoter nicht von einem bewusstlosen Menschen: Seine Gewebe Zwei Fünftel aller Transplantationen betreffen Gewebe, am häufigsten die Augenhornhaut. 2010 wurden in der Schweiz 862 Gewebetransplantationen gemeldet: 551 Augenhornhäute, 141 Knochen, 102 Amnionmembranen, 50 Gefässe und 18 Herzklappen. Lunge 1993 wurden in der Schweiz nur gerade 15 Lungen transplantiert, im Jahr 2011 waren es schon 54. 113 Menschen standen 2011 auf der Warteliste. Leber Die Leber ist das in der Schweiz am zweithäufigsten transplantierte Organ nach der Niere. Der Anteil der Lebendleberspenden ist dabei eher klein. Im Jahr 2011 wurden 109 Lebertransplantationen durchgeführt, auf der Warteliste standen 289 Personen. Dünndarm Dünndarmtransplantationen werden weltweit nur selten durchgeführt. In der Schweiz waren es bisher nur 6 Operationen. Pro Jahr stehen höchstens 1 bis 2 Personen auf der Warteliste. Herz Jährlich werden schweizweit rund 30 Herzen transplantiert. Zwischen 60 und 70 Menschen warteten in den letzten Jahren auf ein Herz. 2011 war die Warteliste lang wie noch nie und umfasste 88 Menschen. Niere Die Nierentransplantation ist weltweit die häufigste Organtransplantation, 282 Nieren wurden letztes Jahr hierzulande transplantiert, 1185 Menschen standen auf der Warteliste. Bauchspeicheldrüse Sie wird meist zusammen mit einer Niere transplantiert, zur Therapie des Typ-1-Diabetes. Oft werden auch nur die aus der Bauchspeicheldrüse isolierten Inselzellen übertragen, die das den Blutzucker regulierende Hormon Insulin produzieren. Im Jahr 2011 waren es 28 Bauchspeicheldrüsen und Inselzellen, die übertragen wurden. 84 Menschen standen auf der Warteliste. Die Zahlen stammen von Swisstransplant. Schweizer Familie 44/2012 89 Gesundheit Ziel ist es, dass schweizweit alle die gleiche Chance auf ein Organ haben. Fotos: Keystone (3) Ein Ärzteteam entnimmt ein Spenderherz. Das Organ ist für ein Kind bestimmt. Links: ein Kühlbehälter. Hautfarbe ist rosig, der Brustkorb hebt und senkt sich, und das Herz schlägt. Das Herz-Kreislauf-System wird jedoch nur dank Geräten der Intensivmedizin aufrechterhalten. Würden die Ärzte die künstliche Beatmung abstellen, stünden auch das Herz und der Kreislauf still. Zum Hirntod kommt es, wenn das Hirn eines Patienten schwer geschädigt wird, zum Beispiel durch einen Unfall. Nur wenige Menschen sterben auf diese Weise, bei den allermeisten hört das Herz auf zu schlagen, etwa durch einen Herzinfarkt. Auch dann kommt es als Folge zum Hirntod, weil das Gehirn nicht mehr durchblutet wird. Geben es Ärzte schneller auf, einen lebensgefährlich verletzten Organspender zu retten als jemanden, der keine Organe spendet? Nein. Die Ärzte auf den Intensivstationen unternehmen alles, um das Leben ihrer Patienten zu retten. Für die Transplantation sind zudem Ärzte einer anderen Abteilung zuständig. Kann jeder Organe spenden? Grundsätzlich ja. Es gibt keine Altersgrenze, weder nach unten noch nach oben. Ob eine Organspende möglich ist, hängt lediglich vom Gesundheitszustand ab. So können zum Beispiel unklare, schwere Infektionskrankheiten oder eine aktive Krebserkrankung eine Organspende verhindern. Wie läuft eine Organspende ab? Zunächst klären die Ärzte ab, für wen sich die Organe eignen. Dazu braucht es Laboruntersuchungen. Währenddessen bleibt der hirntote Organspender an ein Beatmungsgerät angeschlossen, denn für die Transplantation sollten die Organe noch durchblutet sein. Sind die Empfänger gefunden, werden dem Spender die Organe entnommen. Danach werden sie gekühlt und mit dem Helikopter oder der Ambulanz zu einem Transplantationszentrum gebracht. Das muss innert weniger Stunden geschehen, weil die Organe nicht mehr durchblutet werden und mit der Zeit Schaden nehmen. Weniger schnell muss es bei Gewebe wie Augenhornhaut, Knochen, Knorpel oder Haut gehen. Ist der Leichnam nach einer Organspende entstellt? Nein. Nach der Entnahme werden die Wunden verschlossen und abgedeckt. Die Wundnähte sind die einzigen sichtbaren Zeichen dafür, dass Organe entnommen wurden. Die Angehörigen können den Verstorbenen nach der Operation sehen und Abschied von ihm nehmen. Weiss der Empfänger des Organs, wer es gespendet hat? Nein. Genauso wenig wissen die Angehörigen des Spenders, wer das Organ erhält. Möchten sie erfahren, ob die Transplantation gut verlaufen ist, wird ihnen das mitgeteilt. Können auch zu Lebzeiten Organe gespendet werden? Ja. Es ist möglich, zu Lebzeiten eine Niere, einen Teil der Leber, Lunge, Bauchspeicheldrüse oder einen Teil des Dünndarms zu spenden. Meistens sind es enge Verwandte, die ihrem Angehörigen damit das Leben retten. Eine besondere Beziehung zwischen dem Spender und dem Empfänger braucht es aber nicht. ANZEIGE Der Rotkreuz-Notruf, weil immer etwas passieren kann. Mehr Informationen erhalten Sie unter www.rotkreuz-notruf.ch oder Tel. 031 387 74 90 unterstützt durch: 90 Schweizer Familie 44/2012 Welche Risiken hat eine Lebendspende? Das hängt vom Organ ab. Am häufigsten sind Lebendspenden von Nieren. Bei ihnen ist für den Spender das Risiko gering, schwer zu erkranken oder früher zu sterben. Eine Schweizer Datenanalyse hat ergeben, dass das gesundheitliche Wohlbefinden durch die Spende einer Niere meistens nicht leidet. 95 Prozent der Spender bereuen ihre Entscheidung nicht. Das Risiko, nach einer Nieren-Lebendspende irgendwann auf eine Nierenersatztherapie (Dialyse) angewiesen zu sein, ist nur leicht erhöht. Bekomme ich eine Entschädigung, wenn ich ein Organ spende? Nein, das ist nicht erlaubt. Die Krankenkasse trägt jedoch alle Kosten, die durch eine Lebendspende entstehen. Zudem erhält der Spender eine Entschädigung für den Lohnausfall während der Zeit im Spital und für andere Auslagen im Zusammenhang mit der Entnahme. Warum liegt die Schweiz im europäischen Vergleich bei den Organspenden auf den hintersten Rängen? Es liegt nicht daran, dass die Schweizer spendeunwilliger sind. Die niedrige Rate lässt sich eher damit erklären, dass die Spendersuche bei uns weniger gut organisiert ist als anderswo. Diskutiert wird ausserdem, ob die Gesetzgebung eine Rolle spielt. Während in der Schweiz für die Organspende die erweiterte Zustimmungsregel gilt (siehe Seite 88), haben die meisten anderen europäischen Länder die Widerspruchsregelung. Sie sieht vor, dass dem Toten ein Organ entnommen werden darf, solange sich der Spender nicht zu Lebzeiten dagegen ausgesprochen hat. Wie lässt sich die Zahl der Spender erhöhen? Spanien hat in Europa die höchste Spenderrate. Dort arbeiten in den Spitälern sogenannte Transplantations-Koordinatoren. Sie haben die Aufgabe, mögliche Organspender zu erkennen. Unsere Kantone sind per Gesetz verpflichtet worden, solche Koordinatoren in den Spitälern einzusetzen. Vor allem in der Deutschschweiz hapert es aber noch mit der Um- setzung. Manche Politiker sind der Ansicht, dass es auch einen Systemwechsel braucht: von der Zustimmungs- zur Widerspruchslösung. In der Praxis ist der Unterschied zwischen den beiden Regelungen aber nicht so gross. Denn auch mit der Widerspruchslösung werden vor der Organentnahme immer die Angehörigen um Erlaubnis gefragt. In Deutschland wurden Krankenakten manipuliert, um Patienten auf der Warteliste nach oben zu befördern. Wäre das in der Schweiz auch möglich? Das ist unwahrscheinlich. Unser System hat mehr Kontrollmechanismen. Die Dateneingabe für die Zuteilung von Organen wird zudem nicht von den direkt involvierten Chirurgen gemacht. Nach welchen Kriterien wird die Warteliste geführt? Zuoberst stehen Menschen, die dringend eine Transplantation brauchen, weil ihr Zustand lebensbedrohlich ist. Dann wird der medizinische Nutzen berücksichtigt. Das heisst: Das verfügbare Organ wird dem passendsten Empfänger zugeteilt. Bei einem Herz werden zum Beispiel in einem ersten Schritt alle Empfänger mit passender Blutgruppe herausgesucht, die nicht mehr als 15 Jahre vom Alter und nicht mehr als 20 Prozent vom Gewicht des Spenders abweichen. Von diesen wiederum wird jener Patient ausgewählt, welcher am längsten auf der Warteliste ist. Ziel ist es, dass schweizweit alle die gleiche Chance auf ein Organ haben. ■ Ein Spenderherz wird mit einem Rega-Helikopter ins Inselspital in Bern geflogen. Fachliche Mitarbeit: Franz Immer, Direktor Swisstransplant, und Susanne Nyfeler, Co-Leiterin Sektion Transplantations- und Fortpflanzungs medizin des Bundesamts für Gesundheit ANZEIGE Verloren: Zuversicht. www.clienia.ch chiatrie Führend in Psy ie rap und Psychothe Schweizer Familie 44/2012 91
© Copyright 2025 ExpyDoc