Bericht der Esslinger-Zeitung vom 08.08.15 als PDF

Des Guten zu viel – wenn Feuchttücher zum Problem werden
Eigenbetrieb Stadtentwässerung schlägt Alarm: Kanalisation stark belastet – Immer mehr Störungsmeldungen
Stuttgart – Als Saubermacher stehen Feuchttücher heute in fast jedem Badezimmer. Es gibt sie als Toilettenpapier, zur Babypflege, zum
Abschminken und zum Putzen. Dabei können die reißfesten Tücher
aus Vlies eine Sauerei verursachen:
in der Kanalisation, wenn sie im WC
entsorgt werden. Der städtische Eigenbetrieb Stadtentwässerung
(SES) schlägt Alarm: Feuchttücher
verstopfen zunehmend die Kanalisation und die Pumpen.
Von Elke Hauptmann
Feuchte Tücher, eine Erfindung aus
dem Jahr 1958, sind in Deutschland in den vergangenen Jahren
immer beliebter geworden, das Angebot im Handel immer breiter.
„Das bekommen wir deutlich zu
spüren“, sagt Boris Diem von der
SES. „Die Tücher stellen zunehmend ein Problem dar.“ Grund dafür ist ihr Grundmaterial: Trockenes Toilettenpapier besteht aus Zellstoff, der sich in Verbindung mit
Wasser schnell in einzelne Fasern
auflöst. Feuchtes Toilettenpapier
hingegen wird aus Vliesstoff gefertigt, die Fasern sind mit speziellen
Chemikalien zusammengeklebt, um
es reißfest zu machen. Die Folge: Sie
Immer häufiger werden Feuchttücher zur Reinigung verwendet – sehr zum
Ärger des städtischen Abwasserbetriebs. Foto: dpa
verknoten sich ineinander und verfangen sich an den Engstellen im
1685 Kilometer langen Kanalnetz
der Landeshauptstadt – vorzugsweise an den Pumpen, die das Abwasser zu den Kläranlagen befördern sollen. Lange, verfilzte und
zähe Stränge setzen sich dort fest
und bringen die Pumpen letztendlich zum Stillstand. „Feuchttücher
sind wahre Pumpenkiller“, meint
Diem. Wie häufig die Kanalarbeiter
deshalb eingreifen müssen, kann er
nicht genau sagen. Aber er räumt
ein: „Die Störungsmeldungen nehmen zu. Die Bereitschaftsdienste
müssen immer öfter ausrücken, um
Pumpen auszubauen und zu reparieren.“
Tücher, die den Weg in der Kanalisation unbeschadet überstehen,
landen in einem der vier Stuttgarter Klärwerke. 250 000 Kubikmeter Abwasser werden dort täglich
aufbereitet. In in einem ersten Reinigungsschritt werden feste Stoffe
in Grob- uns Feinrechenanlagen
herausgefiltert. „Allein dabei fällt
im Jahr 2500 Tonnen Material an,
das dann verbrannt werden muss“,
berichtet Diem und seufzt: Der
Aufwand werde immer größer – es
seien ja nicht allein Feuchttücher,
die Probleme bereiten würden.
Sondern auch Babywindeln, Ziga-
rettenfilter, Ohrenstäbchen, Pflaster, Tampons, Kondome, Katzenstreu, Socken, Essensreste. Es gibt
eigentlich nichts, was Diem und
seine Kollegen nicht schon aus dem
Wasser gezogen haben. „Abfälle
sollten nicht mit dem Abwasser
entsorgt werden“, mahnt Diem.
Verstopfte Kanäle und Abwasserpumpen erhöhen den Energieverbrauch; die Behebung der Störung kostet Geld. Die Konsequenzen müssen alle Verbraucher tragen – die stetig steigenden Kosten
fließen in die Kalkulation der Abwassergebühren ein. Der SES setzt
daher auf Aufklärung: Eigens
wurde ein Handzettel erstellt, auch
bei Betriebsführungen macht man
auf das Problem aufmerksam. „Der
Verbraucher ist gefordert, sein
Verhalten zu überdenken“, sagt
Diem.
Die Hersteller von Feuchttüchern sehen sich übrigens kaum in
der Pflicht: Einige verweisen darauf, ihre Produkte seien mit einem
Piktogramm gekennzeichnet, das
vom Entsorgen im WC abrate. Zudem würden auf Toilettenpapier
oder WC-Desinfektionstüchern Begriffe stehen wie „spülbar“ oder
„biologisch abbaubar“. Doch was
genau das bedeutet, erläutert so
gut wie keiner von ihnen.