21 Sonntag im Jahreskreis

21. Sonntag im Jahreskreis B 2012
(St. Benedikt, St. Stephan, St. Nepomuk)
Weggehen oder bleiben
Zum Evangelium: Joh 6,60-69
>Krise<, diesem Wort begegnen wir heute in sehr vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Wir
sprechen von der Finanz-, Wirtschafts- und Beschäftigungskrise. Wir kennen eine Energiekrise und
wir beklagen eine Krise der Moral und Wertvorstellungen. Es ist eine Krise der Institution Ehe im Blick
auf hohe Scheidungsraten festzustellen. Der Begriff Krise hat in den Bereichen Bildung und Erziehung
Einzug gehalten … Und wir sprechen auch von einer Kirche, die in der Krise steckt.
Das Wort >Krise< leitet sich vom griechischen Wort krisis her, wobei es so viel wie Trennung,
Entscheidung, entscheidende Wende bedeutet. Es geht bei einer Krise also um eine Wende in einer
entscheidenden und schwierigen Situation. In einer Krise scheiden sich die Geister. In einer Krise
zeigt sich, wes Geistes Kind wir sind …
Schockierende Botschaft und ihre Folgen
In einer vergleichbaren Bedeutung lässt sich dieser Begriff auch auf das heutige Evangelium
beziehen. Die Bibelwissenschaftler haben für diesen Abschnitt aus dem Johannesevangelium auch
den Ausdruck >galiläische Krise< geprägt, da der Ort der Handlung in Galiläa, im Norden Israels um
den See Genezareth mit den Ortschaften Nazareth, Kana und Kafarnaum liegt. Als Zeitpunkt dieser
Krise gilt die Rede Jesu vom Himmelsbrot nach der wunderbaren Speisung der Volksmenge
Kafarnaum. Wir hörten davon im Evangelium des vergangenen Sonntags (Joh 6,51-58).
Der Auslöser dieser Krise war, dass Jesus damals seinen Zuhörern verkündet hatte: „Ich bin das
lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit
leben. Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch, (ich gebe es hin) für das Leben der Welt“ (Joh
6,51).
Wahrlich, Worte mit hohem und scheinbar nicht erfüllbarem Anspruch. Sie führten zu heftigen
kontroversen Diskussionen und Reaktionen unter den Zuhörern Jesu: „Da stritten sich die Juden“ –
heißt es – „und sie sagten: wie kann der uns sein Fleisch zu essen geben?“ (Joh 6,52)
Aber nicht nur die Juden – mit >Juden< meint Johannes stets die Jesus feindlich gesonnen und ihn
ablehnenden Menschen – auch seine Jünger schockierten diese Worte. „Was er sagt, ist unerträglich;
wer kann das anhören?“, war ihre Reaktion darauf. Deshalb zogen sich in der Folge viele von Jesus
zurück und gingen nicht mehr mit ihm.
Darin zeigte sich das erste Abfallen der Jüngergemeinde von Jesus: Menschen, auf die Jesus
zugegangen war, die ihm nachfolgten, die von ihm die Perspektive und Halt für ihr Leben erwarteten,
die versagten ihm jetzt ihr Vertrauen. Sie wandten sich von ihm ab, kündigten ihm ihre Gefolgschaft
auf und gingen ihre eigenen Wege.
Sie waren der Meinung Jesus habe sie enttäuscht, sei ihren Erwartungen an ihn nicht gerecht
geworden, habe es mit seiner Botschaft überzogen …
Krise als Distanz zum Ursprung und Grund des Glaubens
Die Erfahrung des Sich-Abwendens von Jesus ist nicht eine Episode in der Vergangenheit geblieben.
Die Kirche als Gemeinschaft der im Glauben an Jesus geeinten Jünger und Jüngerinnen muss diese
Erfahrung bis heute immer wieder machen. Wir erfahren es schmerzlich, wie sich die Kirche in
unserem Land trotz gefestigter Organisationsstrukturen und trotz überwiegend günstiger finanzieller
Absicherung infolge einer Erosion und eines >Verdunstens< des Glaubens in einer Krise befindet. Es
entsteht der Eindruck, Kirche befinde sich zunehmend in Distanz zu Jesus Christus, dem Ursprung
und Grund ihres Glaubens. Die Folge ist, dass sich auch heute nicht wenige Menschen von Jesus
abwenden oder dass er ihnen scheinbar nichts mehr zu sagen hat. Das Weggehen von ihm und von
der von ihm gewollten und gegründeten Kirche vollzieht sich oft viel früher, als durch
Kirchenaustritte vollzogen wird. Fragen wir noch einmal, weshalb sich die Menschen damals Jesus
entfremdeten und sich von ihm zurückzogen: der Grund für dieses Sich-Abwenden lag darin, dass die
Menschen von Jesus etwas anderes erwarteten, als es dieser ihnen zu bringen schien. Sie sahen ihn
ihm einen innerweltlichen Heilsbringer. Sie wollten von ihm reales Brot statt eine Verheißung des
Brotes des Lebens. Sie erwarteten von ihm das Überwinden sozialer Ungerechtigkeit und das Frei
sein vom Joch politischer Unterdrückung. In solcher Hoffnung sahen sie sich enttäuscht. Ihre Herzen
waren deshalb nicht offen und aufnahmebereit für die viel größere Verheißung Jesu, ihnen sein
eigenes Fleisch und Blut in der Gestalt des Brotes als innigstes Zeichen seiner Verbundenheit mit
ihnen geben zu wollen
Weggehen oder bleiben
Aufgrund ihres fehlenden Vertrauens und Glaubens entschieden sie, wegzugehen und sich von Jesus
zu trennen. Jesus ließ ihnen die freie Entscheidung zu seiner Person. Er versuchte nicht, sie zum
Bleiben zu überreden. Er ging keine >faulen Kompromisse< mit ihnen ein, um jeden und jede >bei der
Stange zu halten<. Es wollte vielmehr die freie Entscheidung zu seiner Person und zum Glauben an
ihn.
Und es geht ihm auch heute um unseren Glauben. Seine Frage an jeden/jede von uns lautet: „Wollt
auch ihr weggehen?“ Auch wir erfahren uns immer wieder in Situationen, die mit denen der Jünger
vergleichbar sind. Weggehen, in dieser Versuchung haben wir uns doch auch schon befunden.
Wegzugehen ist unter Umständen gar nicht so schwierig, ins besonders wenn um uns herum aus
unserem Bekanntenkreis sich schon viele von Jesus abgewendet haben. Damit ist es jeoch nicht
getan. Denn dahinter tut sich eine Frage auf, die nicht leicht zu beantworten ist: Wohin dann? Was
kommt dann? Gibt es Alternativen, die ein Weggehen sinnvoll erscheinen lassen und rechtfertigen?
Gibt es ein besseres und tragfähigeres Ziel als das Leben mit Jesus?
Man mag durchaus persönlich gerechtfertigt einiges gegen das erlebte Christentum und gegen die
Kirche einwenden können. Man mag von Entwicklungen in der Kirche betroffen und enttäuscht sein.
Aber kommen vermeintliche oder tatsächliche Missstände in der Kirche gegen das Gewicht der Frage
auf, die Jesus auch uns stellt: „Wollt auch ihr weggehen?“ Sind unsere Bedenken und Einwände so
tragfähig, dass wir uns von Jesus abwenden und den Sinn und das Ziel unseres Lebens in den
löchrigen Zisternen der Verheißungen vermeintlicher Heilsbringer finden können? …
Worte der Hoffnung und des Lebens
Eine Entscheidung für oder gegen Jesus bleibt uns nicht erspart. Petrus kann auch uns heute wie den
Jüngern damals die rechte Entscheidungshilfe geben. Stellvertretend für uns wie damals für die
Jünger fragt er zurück: „Herr zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens“ (Joh 6,68).
Es sind Worte wie diese: „Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit“ (Mt 5,6) – „Wer
sein Leben … verliert, wird es gewinnen.“ (Lk 17,33). – „Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt
einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben“ (Joh 13,34) – „Im Haus meines
Vaters gibt es viele Wohnungen …“ (Joh 14,2) – „Es ist aber der Wille dessen, der mich gesandt hat,
dass ich keinen von denen, die er mir gegeben hat, zugrunde gehen lasse, sondern dass ich ihn
auferwecke am letzten Tag“ (Joh 6,39).
Sind diese und vergleichbare Worte Jesu überholt? – Keinesfalls! Es sind Worte, die durch das Leben,
Sterben und die Auferstehung Jesus gedeckt sind. Es sind Worte, die Hoffnung auf ein Leben
schenken, das Bestand hat. Es sind auch Worte aus dem Munde dessen, über den wir am Beginn des
Johannesevangeliums lesen: „Am Anfang war das Wort … und das Wort war Gott“ (Joh 1,1). Es sind
Worte mit denen man leben – und auf die hin man sterben kann. Wir feiern jetzt die Eucharistie. In
ihr tritt der Herr in unsere Mitte und ist uns nahe. Vertrauen wir ihm, dem Wort und Brot des Lebens,
und bitten ihn: Herr stärke unseren Glauben!