DGSP-Fachausschuss Betreutes Wohnen in Familien für Menschen mit seelischer oder geistiger Behinderung Kriterien zur Beurteilung von Bewerberfamilien Eine Untersuchung zur Auswahl der Gastfamilien in den Teams des DGSP-Fachsausschusses Vorgelegt von Claudia Dondalski und dem Team des BWF Bad Emstal-Merxhausen DGSP- Fachausschuss BWF - Bewerberfamilien 1 Die Beurteilung von Bewerberfamilien für das Begleitete Wohnen behinderter Menschen in Familien (BWF) gehört zur alltäglichen Praxis der großen und kleinen BWF-Teams in Deutschland und sicher darüber hinaus. Die Kriterien dieses Vorgehens festzustellen ist der Anlass der vorliegenden Untersuchung. Sie dient zum einen der selbstkritischen Handlungsreflexion der beteiligten Teams des DGSP-Fachausschusses und zum anderen als Grundlage für eine konzeptionelle Orientierung neuer Teams im BWF Deutschland. Daher wurden vom BWF-Team Merxhausen zum einen die Antworten auf die drei Schlüsselfragen ausgewertet, zum anderen aus den Rückmeldungen der Teams ein Leitfaden für die Entwicklung eines Fragekataloges für das Erstgespräch mit Bewerberfamilien zusammengestellt. Die drei Fragen, welche den Teams vorgelegt wurden, lauteten: ¾ Welcher Aspekt scheint der Wichtigste bei der Beurteilung von Bewerberfamilien zu sein? ¾ Welchen Stellenwert nehmen bei der Beurteilung der Familien ein: a) der wirtschaftliche Hintergrund? (Einnahmen/finanzielle Verpflichtungen) b) der soziale Hintergrund (u.a. Vorlage eines polizeilichen Führungszeugnisses? ¾ An welcher Stelle gibt es Ausschlusskriterien? ¾ Haben sich die Art und Weise der Akquise, Gewichtungen bei der Beurteilung und Auswahl von Familien im Laufe der Zeit geändert? An der Beantwortung dieser Fragen haben sich 10 Teams des DGSPFachausschusses beteiligt. Zusätzlich haben davon 5 Teams ihren Fragenkatalog/Leitfaden für das Erstgespräch mit Bewerberfamilien zur Verfügung gestellt. DGSP- Fachausschuss BWF - Bewerberfamilien 2 Bei der Auswertung der Rückmeldungen der beteiligten Teams kristallisierte sich heraus, dass von allen Aspekten als der Wichtigste für die Beteiligten angesehen wird: 1. Die Kooperationsbereitschaft der Familien mit dem Fachdienst Von den 10 beteiligten Teams trafen 7 hierzu eine Aussage, jeweils mit allerhöchster Gewichtung. Zur Kooperationsbereitschaft werden gezählt: Offenheit der Familie gegenüber dem Fachdienst; gegenseitige erkennbare Sympathie; der erkennbare Wunsch, eine gute Beziehung aufzubauen. In zweiter Linie wird der ethischen Einstellung der Familien Beachtung geschenkt: 2. Menschenbild und Grundhaltung der Familien Von den 10 beteiligten Teams trafen 6 hierzu eine Aussage, jeweils mit allerhöchster Gewichtung. Zu diesem Aspekt gehören: Die Terminologie der Behinderung; die Bereitschaft, die Autonomie und Selbstbestimmung eines behinderten Menschen zu respektieren; den Status der Gleichberechtigung in der Familie einzuräumen; die Bereitschaft, eine Beziehung zum behinderten Menschen aufzubauen; die aktive Förderung der gesellschaftlichen Integration. Zum Dritten, thematisch dem vorhergehenden Aspekt verwandt, wurde gewichtet: 3. Motivation der Familien Von den 10 beteiligten Teams trafen 4 hierzu eine Aussage, jeweils mit allerhöchster Gewichtung. Die Offenlegung der Hintergründe und Intentionen ihrer Arbeit mit behinderten Menschen erscheint eminent bedeutsam für die Entwicklung erfolgreicher rehabilitativer Begleitung/ Unterstützung behinderter Menschen. Eine Mischung zwischen Sozialem Engagement und finanzieller Interessen für einen Nebenverdienst wird als gesund eingeschätzt. DGSP- Fachausschuss BWF - Bewerberfamilien 3 Die nächst wichtige Kategorie zur Beurteilung von Bewerberfamilien bezieht mit gleicher Einschätzung das Augenmerk sowohl auf die Ressourcen als auch auf die Dynamiken der Familie: 4. Ressourcen der Familie und Familiendynamik Von den 10 beteiligten Teams trafen zu den beiden Kategorien jeweils 5 eine Aussage mit allerhöchster Gewichtung und je 1 mit zweithöchster Gewichtung. wie ihr soziales Netzwerk, ihr soziales Engagement, sowie ihre Zeitkontingente, wie auch die räumlichen Ressourcen. Die Familiendynamik schließt das Augenmerk auf eine gute Kommunikationsstruktur, eine angemessene Reflexionsfähigkeit, den konstruktiven Umgang mit Krisen; auf die Erwartung geringer eigener Bedürftigkeit der Familien mit ein. Weiterhin folgt die Beachtung des Familiensystems bei der Beurteilung von Bewerberfamilien: 5. Das Familiensystem Von den 10 beteiligten Teams trafen hierzu 2 eine Aussage mit höchster Gewichtung und 1 mit der zweithöchsten Gewichtung. Zur Beachtung des Familiensystems wird das Erstellen einer Familienbiografie empfohlen und das Gesamtbild der Familie mit in die Beurteilung einzubeziehen. Die Frage nach dem wirtschaftlichen Hintergrund der Bewerberfamilie ist allen Teams, wenn auch völlig unterschiedlich gewichtet, bekannt: 6. Der wirtschaftliche Hintergrund der Familie 9 von 10 beteiligten Teams trafen hierzu eine Aussage: 4 mit höchster Gewichtung; 4 mit zweithöchster Gewichtung; 1 mit geringster Gewichtung. Zu dieser Kategorie gehören die Aspekte: Einkommen; Verschuldung; Umgang mit Finanzen. DGSP- Fachausschuss BWF - Bewerberfamilien 4 Auch die Frage nach dem sozialen Hintergrund ist evident in den Fragekatalogen der Teams, jedoch ebenso unterschiedlich gewichtet: 7. Der soziale Hintergrund der Familie Auch hier trafen 9 von 10 Teams eine Aussage: 3 mit höchster Gewichtung; 5 mit zweithöchster Gewichtung; 1 mit geringster Gewichtung. Zum sozialen Hintergrund wird der gesellschaftliche Status gezählt, auch die Frage nach einem polizeilichen Führungszeugnis und einer evtl Vorbestrafung. Der Umgang mit diesen Erkenntnissen ist unterschiedlich. Die Frage nach den örtlichen Gegebenheiten/ Lebensverhält-nissen/ Infrastrukturen / Möglichkeiten der Komplementärver-sorgung wurde wenig in den Fokus des Interesses gerückt: 8. Die örtlichen Gegebenheiten Hier trafen nur 2 von 10 Teams eine Aussage: 1 mit hoher Gewichtung, 1 mit niedriger Gewichtung. Zu den örtlichen Gegebenheiten werden die Lebensverhältnisse, die Infrastrukturen, die Möglichkeiten der Komplementär-Versorgung gezählt. Mehrheitlich haben die Teams die Ausschlusskriterien genannt, welche eine Zusammenarbeit mit Bewerberfamilien verhindern: 9. Ausschlusskriterien Hier erfolgte seitens 7 Teams (von 10) eine Aussage. • • • • • • • • • • • • Gewalt Sucht Familienkrisen Religiöser und ideologischer Fanatismus Feindliche Haltung Kriminelle Vergangenheit Keine Kooperationsbereitschaft Große Bedürftigkeit/hohe Ansprüchlichkeit der Familien nach emotionaler Zuwendung/Aufmerksamkeit/Hilfe Ausschließlich finanzielles Interesse Schlechte Wohnverhältnisse Sprachbarrieren Andere Träger in der Familie DGSP- Fachausschuss BWF - Bewerberfamilien 5 Fast alle Teams haben veränderte Sichtweisen im Laufe der Zeit bezüglich des Umgangs mit Bewerberfamilien festgestellt: 10. Veränderte Sichtweisen des Fachdienstes im Laufe der Zeit Hier erfolgte seitens 9 Teams (von 10) eine Aussage. Veränderungen werden dahingehend konstatiert, dass im Laufe der Zeit mehr Beachtung geschenkt wurde und wird: • • • • • dem religiösen bzw ideologischen Hintergrund einer Bewerberfamilie dem sozialen und wirtschaftlichen Hintergrund der Motivation der Familien den Zeitressourcen der Familien dem Freizeitverhalten der Familien Wenngleich die obg. Aspekte mehr beachtet und diskutiert werden, aber nicht unbedingt gleich oder gleich hoch gewichtet, stellt sich heraus: Wesentlich erscheint den damit reflektierenden Teams eine großzügigere Annahme/Akzeptanz von Familien im Laufe der Zeit;es wird mehr intuitiv entschieden; es wurden/werden immer weniger Bewerberfamilien abgelehnt. 11. Nachbetrachtung Die Auswertung der Fragen erbringt kein spektakuläres Ergebnis, jedoch eine hilfreiche Erkenntnis: Es finden Entwicklungen statt, von einem anfänglichen (beim Aufbau von BWF) vorsichtigen, eher auf Absicherung bedachten Umganges mit Bewerberfamilien. Im Laufe der Zeit wächst die interaktionelle Sicherheit seitens der Fachdienste und damit auch der Mut zur Offenheit gegenüber den Bewerberfamilien, von denen zunehmend weniger abgelehnt werden. Damit verbunden sind differenziertere Wahrnehmungen der Familiendynamik bezogen auf die Motivation für die angestrebte Betreuungsarbeit, den Umgang miteinander, die Bewältigung von Krisen, die ethische Grundhaltung gegenüber Menschen mit Behinderungen, das Freizeitverhalten, das Zeitmanagement, das soziale Engagement, den Umgang mit den finanziellen Gegebenheiten. Ebenso entwickelt sich im Laufe der Zeit die differenziertere Wahrnehmung von Haltungen, Verhaltensauffälligkeiten, Störungen im Familiensystem, und die Bedürfnisse der Familien. Das genauere Hinsehen und klare Benennen der Wahrnehmungen führt insofern zu klareren Zu- wie Absagen an die Bewerber-familien. DGSP- Fachausschuss BWF - Bewerberfamilien 6 Gleichwohl bleibt die Kooperationsbereitschaft der Familien das wichtigste Kriterium zur Entscheidung über eine Zusammenarbeit. Ein gerade im Aufbau befindliches Team kann sich die vorgenannten Kategorien zu Nutze zu machen, um die Art und Weise der Bewerberauswahl als einen Prozess des professionellen Handelns zu akzeptieren und in der konkreten Situation das Kennenlernen nicht nur interessant zu gestalten, sondern auch profunde Erkenntnisse für die späteren Vermittlungen zu gewinnen und gleichzeitig schon den Grundstein für die Entwicklung einer guten, tragfähigen Beziehung zur Gastfamilie zu legen. Ebenso hilft diese Untersuchung durchaus den bestehenden Teams, ihre inzwischen vorhandenen Routineabläufe zu hinterfragen und ggfls. an die aktuellen Gegebenheiten anzupassen. DGSP- Fachausschuss BWF - Bewerberfamilien 7
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