Rundfunk Berlin-Brandenburg Mo 01.12.2015/22.15 Uhr/ OZON unterwegs Waldschädlinge außer Kontrolle Die Raupen des gefürchteten Kiefernspinners haben in den Monokulturen Brandenburgs besonders leichtes Spiel. Deshalb gibt es hier im Frühjahr viele, bei Umweltverbänden umstrittene Einsätze mit chemischen Spritzmitteln. Nun musste bei Ziesar sogar ein Herbsteinsatz geflogen werden, weil Kahlfraß drohte. Auch bei Lieberose sahen die Mitarbeiter des Landeskompetenzzentrums Forst Eberswalde keine andere Möglichkeit, weil 600 Hektar Kiefernwald von Kahlfraß betroffen waren. Doch die Bekämpfung wurde nicht gestattet. Nicht nur, weil Spritzmittel wie "Karate" alle Insekten töten und in Naturschutzgebieten untersagt sind. Sondern auch, so das Umweltbundesamt, weil Waldumbau wichtiger ist als die chemische Keule. Manuskript des Beitrages: Ein Helikopter im Landeanflug. Für einen Sondereinsatz in einem Waldgebiet bei Ziesar. Getankt wird ein Pflanzenschutzmittel. ´Karate´, ein sogenanntes ´Kontaktinsektizid´. Es soll 200 Hektar Kiefernwald vor dem Kahlfraß retten. Eigentlich werden solche Bekämpfungseinsätze nur im Frühjahr geflogen. Doch diesen Herbst drohte hier die Zerstörung eines ganzen Waldgebietes. Die Raupen des gefürchteten Kiefernspinners vermehrten sich explosionsartig. Ihre Leibspeise sind Kiefernnadeln. In Brandenburg haben sie besonders leichtes Spiel. Denn immer noch bestehen 75 Prozent aller Wälder aus Kiefernmonokulturen. Brandenburg hat bundesweit am meisten mit diesen Forstschädlingen zu kämpfen. Deshalb gibt es überdurchschnittlich viele Einsätze. Dr. Katrin Möller - Waldschutzexpertin Brandenburg Es ist eine Rettungsmaßnahme. Und wir wissen aus verschiedenen Beobachtungen vorher, dass wir beim Kiefernspinner einfach nicht die Chance haben, lange zu warten, wenn wir Kahlfraß prognostizieren. Noch aus DDR-Zeiten verfügt Brandenburg über ein engmaschiges Schädlingsüberwachungssystem. Regelmäßig gehen am Landeskompetenzzentrum Forst in Eberswalde die Meldungen der Revierförster über die Schädlingsentwicklung ein. Wie auch im Fall des Naturschutzgebietes Lieberose im Frühjahr 2014. Die Raupendichte war so hoch, dass der Wald hätte dreißig Mal (!) kahl gefressen werden können. Die Waldschutzexpertin Katrin Möller wollte bekämpfen. Doch im Naturschutzgebiet wird das nicht genehmigt. Jetzt steht der zuständige Revierförster vor einem Desaster. Kahlfraß auf 600 Hektar. Die Rinde vieler Bäume hat sich schon gelöst. Sie besitzen keine Kraft mehr gegen Borkenkäfer und andere Totengräber anzukämpfen. Ohne Nadeln kann die Kiefer keine Photosynthese mehr durchführen. Wichtige Nährstoffe für den Baum bleiben aus. Auch die Naturverjüngung ist betroffen. Dr. Katrin Möller - Landeskompetenzzentrum Forst Wir wussten eigentlich, was passiert, umso schwieriger ist es, so eine Entscheidung zu akzeptieren, dass gar nichts gemacht werden darf. Wie schlimm es wird, werden wir erst in drei oder vier Jahren wissen. Vor-Ort-Termin mit dem Umweltbundesamt im Herbst. Diese Waldbilder sind auch für den Pflanzenschutzmittelexperten erschütternd. Eine Bekämpfung befürwortet er hier nur im Notfall, weil das Kontaktinsektizid ´Karate´ giftig für alle Insekten im Wald ist. Dr. Jörn Wogram - Umweltbundesamt Aus unserer Sicht ist deshalb nicht der Ruf nach der chemischen Keule das Allheilmittel, sondern damit bekämpft man nur Symptome eines Fehlers, den man begangen hat. Sondern es muss hier jetzt ein ökologischer Waldumbau stattfinden, d.h. das Einbringen wieder von mehr Arten, auch von mehr Laubhölzern mit dem Ziel, den Wald viel robuster zu machen. Doch der Waldumbau kommt in Brandenburg nur schleppend voran. Es fehlt vor allem an Geld. Die Gesellschaft ist immer weniger bereit, in den Wald zu investieren. Dem Revierförster in Lieberose bleibt nach dem Kahlfraß nur eins: die Kiefern auszuwählen, die noch Gewinn bringen. Denn je weiter der 2 Absterbeprozess der Bäume fortschreitet, um so wertloser wird das Holz. Peter Wöhrl - Revierförster Lieberose Natürlich geht es darum, die Holzqualität noch zu retten, solange der Baum noch verkaufbares Holz liefert. In Lieberose sind jetzt Notrodungen an der Tagesordnung. Das bringt Platz in den monotonen Kiefernwald. Und auch eine Chance! Unter dem Schutz verbleibender Kiefern können junge Bäume, auch Laubholz gepflanzt werden, wenn der Sandboden es hergibt. Doch ohne Holzgewinne kein Geld. Hinzu kommt die bange Frage, ob bis zum Frost erneut Raupenfraß zu erwarten ist? Eine Probefällung soll Gewißheit bringen. Suche nach den Eiern des Kiefernspinners in der Baumkrone. Wird es wieder so viel Raupen geben wie dies Frühjahr? Die Eiersuche ist Teil der Schädlingsüberwachung. Unterm Mikroskop entdeckt die Waldschutzexpertin auf den Eiern des Kiefernspinners winzige Ausstiegslöcher. Sie gehören Zwergwespen, die das Raupenei unschädlich machen. Ein Millimeter große Eiparasiten. Gegenspieler. Dr. Katrin Möller - Landeskompetenzzentrum Forst Brandenburg Wir haben eine sehr hohe Eiparasitierung. Das ist auch das, was wir erwartet haben, d.h. wir brauchen nicht zu bekämpfen. Aufatmen in Lieberose. Doch der Kampf gegen die Forstschädlinge ist längst nicht gewonnen. Nur ein artenreicher, robuster Wald kann langfristig etwas ändern. 3
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