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Aufnahme unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge
in Angeboten des Betreuten Jugendwohnens
Kriterien für eine mittel- und langfristige Aufnahme von unbegleiteten minderjährigen Flücht­
lingen­in Angeboten des Betreuten Jugendwohnens
Das Betreute Jugendwohnen (BJW) ist durch seine Flexibilität und Variationsmöglichkeiten ein ge­
eignetes Angebot für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF), in dem sie sich in ihre neue
Lebens­situation einfinden können. Dieses Angebot der Hilfen zur Erziehung (§ 34 SGB VIII) leistet
­einen wichtigen Beitrag, die aktuell dramatische Situation für junge geflüchtete Menschen und die
Herausforderungen für die staatlichen Institutionen und das Hilfesystem zu bewältigen.
Gegenüber Spezialeinrichtungen für UMF hat das BJW den Vorteil, von Beginn an die unbegleiteten
Minderjährigen in vorhandene Strukturen und Angebote zu integrieren.
Die „Formbarkeit“ der Hilfe wird dem individuellen Bedarf eines geflüchteten jungen Menschen ge­
recht. Das BJW stellt grundsätzlich einen sicheren Rahmen her. Der Wechsel zwischen individuel­
len Angeboten (zuvorderst sprachliche Integration und rechtliche Absicherung) und gemeinschafts­
orientierten Aktivitäten (zuvorderst kulturelle Interaktion) führt zu einer frühzeitigen psychosozialen
Stabilisierung im Alltagserleben der neuen Heimat.
Das BJW hält sowohl Angebote in Einzelwohnungen mit Gruppenanbindung (BEW) vor als auch
Wohngemeinschaften (JWG), in denen sprachliche und kulturelle Integration und Interaktion mit an­
deren in der Jugendhilfe betreuten jungen Menschen alltägliche Realität sind.
Jeder geflüchtete unbegleitete Minderjährige hat seine eigene, teilweise dramatische Geschichte,
die Grund für seine Flucht ist, Erlebnisse einer meist gefährlichen Flucht sowie den Verlust seiner
Herkunftsfamilie zu verarbeiten. Einfache Verallgemeinerungen zielen an der Realität vorbei.
Ein Angebot muss darauf vorbereitet sein, diesem Personenkreis und ihren Bedürfnissen­ gerecht zu
werden, um einen adäquaten Umgang insbesondere in folgenden Bereichen zu ge­währ­leisten:
›Unterstützung und Begleitung in hochbelasteten Situationen mit oft traumatischen, noch nicht
verarbeiteten Erlebnissen, Aufarbeitung der „Entwurzelung“ aus dem Herkunftsland
›Unterstützung bei der Einleitung einer „Verwurzelung“: kulturelles Umfeld, Sprache, Anpassung,
Regeln u.a.
›Beratung und Begleitung bei besonders komplexen rechtlichen Grundlagen zur Existenzsicherung.
Durch eine partizipative und individuelle Hilfeplanung können die besonderen Notwendigkeiten
einer­Hilfe vereinbart und durch verschiedene Intensitäten dem jeweiligen Bedarf angepasst werden.
Damit das Betreute Jugendwohnen diesen hohen Anforderungen an ein Hilfesystem gerecht
werden kann, müssen spezifische Kriterien für die Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen
Flüchtlingen beachtet werden.
Aufnahme unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge in Angeboten des Betreuten Jugendwohnens
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Gleiche Rechte
Gemäß der UN-Kinderrrechtskonvention besteht das Recht auf gesetzlich verpflichtende Gleichbe­
handlung von in- und ausländischen Jugendlichen (Art. 3, Art. 20 sowie Art. 22 UN-Kinderrrechts­
konvention und § 6 SGB VIII), wodurch eine Betreuung nach geltenden Jugendhilfestandards erfol­
gen muss:
›Beachtung und Einhaltung des Aufnahmeverfahrens im BJW
›gleiche Ausstattung mit Wohnraum
›begrenzte Zahl von jungen Flüchtlingen in Gruppen, um Integration und erhöhten Bedarf zu
gewährleisten.
Aufnahmesituation und -kriterien
›abgeschlossene Clearingphase (medizinische (Erst-)Untersuchungen, geklärte Vormundschaft)
›Der Aufenthalt in Deutschland muss zumindest gewährt und eine mittelfristige Perspektive in
Berlin sollte angestrebt sein.
›Partizipation des UMFs an der Hilfeplanung ist gesichert (sprachliche Hürde darf kein Hindernis
sein).
Intensive Betreuung und Beratung in der Eingangsphase
Zu Beginn einer Hilfe (ca. 3 bis 6 Monate) für geflüchtete minderjährige Menschen ist in jedem Fall
davon auszugehen, dass ein erhöhter Klärungsbedarf besteht. In den ersten Monaten ist daher eine
intensive Form der Betreuung und Begleitung zu gewährleisten.
›weitere Abklärung der (ausländer-)rechtlichen Situation
›Ankommen und Kennenlernen des neuen Umfeldes/Kulturkreises
›Erlangung erster sprachlicher Kompetenzen
›Klärung einer schulischen oder beruflichen Perspektive
›in der Eingangsphase aktive Begleitung zu allen relevanten Stellen (Behörden, Schule, Bürgeramt).
Während der Eingangsphase ist eine konkretisierte weitere Hilfeplanung durchzuführen, um zu einer
Vereinbarung für einen bedarfsgerechten Betreuungsumfang nach der Eingangsphase zu gelangen.
Erhöhter Bedarf
In der Hilfeplanung ist für jeden geflüchteten Minderjährigen ein erhöhter Bedarf zu prüfen und ggf.
zu gewährleisten:
›Erstausstattung für Wohnung, Bekleidung, ggf. Schulmaterialien
›Hilfen im Bereich Stabilisierung von traumatischen Erlebnissen, Therapie, Anbindung an spezifische
Gruppen
›Unterstützung der Verständigung durch kontinuierlich und ausreichend finanzierte
Dolmetscherinnen für wichtige Gespräche, innerhalb der Betreuung und für Behördengänge
›Finanzierung von Sprachkursen
›zusätzliche rechtliche Beratung für junge Flüchtlinge und für die Berater
›aktive Begleitung zumindest in der Anfangszeit zu Ämtern und Terminen
›Gewährleistung einer Unterstützung auch nach dem 18. Geburtstag.
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Förderung und Unterstützung von Personalkompetenzen
Die in den Hilfen für unbegleitete junge Geflüchtete eingesetzten Sozialarbeiterinnen benötigen
Möglichkeiten für:
›zusätzliche Fortbildungen, spezifische Angebote in Fortbildungsstätten
›spezifischen Supervisionsbedarf
›Vernetzung mit und Beratung durch Spezialisten (für bestimmte Herkunftsländer und
Regionen)
›die Erweiterung ihrer interkulturellen Kompetenzen durch Fachtage.
Sozialraumorientierte Unterstützungs- und Vernetzungsstrukturen
In den Bezirken sollte eine Infrastruktur geschaffen werden, in die die Leistungen für junge
Flüchtlinge eingebunden und vernetzt sind, z.B.:
›regionale Bündnisse, Gremien (AG nach § 78) unter Einbeziehung von:
°Schulen, Nachhilfeorganisationen
°Ausbildungsbetrieben
°Ausländerbehörden
°Arbeitsagenturen/Jobcenter
°Freizeiteinrichtungen
°Vereinen
°Kulturzentren
°Beratungsstellen
›Weitere Kooperation und Vernetzung mit:
°Gesundheitseinrichtungen, Ärztinnen, Therapeuten
°Spezialistinnen für rechtliche Beratungen
°Dolmetscher, Sprachlehrerinnen.
Die Mitgliedsorganisationen des Paritätischen Berlin im Bereich des Betreuten Jugendwohnens sind
sich der aktuell komplexen Situation bei der Versorgung und Betreuung der jungen geflüchteten
Menschen bewusst, stellen sich den Herausforderungen und bieten ihre Kooperation an.
Berlin, im September 2015
Erstellt im Arbeitskreis BJW im Paritätischen Berlin
mit besonderem Dank an Sabine Abu-Taá (Kompaxx e.V.), Klaus-Peter Dilger (Trägerverbund Independent Living e.V.) und
Bernd Albrecht-Hielscher (Pfefferwerk Stadtkultur gGmbH)
Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband Landesverband Berlin e.V. / Referat Jugendhilfe / Andreas Schulz / [email protected]
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