Ursula Holzapfel / Ulrich Kollwitz Comisión Vida, Justicia y Paz Postadresse: Carrera 1, # 26-91 Quibdó – Chocó Tel: 0057 46 731 216 0057 -3183417290 [email protected] Skype: ursulayuli Quibdó, den 28.März 2016 Liebe Freundinnen und Freunde! Frohe Ostern! Nach unserem Kurzurlaub in Deutschland anlässlich des 90sten Geburtstags von Ulis Mutter sind wir wieder vor Ort und das ist auch gut so. Die Karwoche haben wir, so wie wir es uns vorgenommen hatten, in den Gemeinden im Bojayá verbracht. Uli war mit einem Laienmitarbeiter und einer Ordensfrau in den Dörfern von Opogadó und Ursula blieb im Hauptort Bellavista, um dort mit einer Gruppe von Frauen und Mädchen einen grossen Wandbehang zu gestalten, der die Namen der Opfer aufzeigen soll, die beim Massaker 2002 in der Kirche von Bellavista durch eine Splitterbombe umkamen. Mütter und Geschwister, Nichten und Neffen der Opfer trafen sich jeden Tag, um an diesem grossen Wandbehang zu arbeiten. Dabei wurde das Massaker auch immer wieder zum Thema.Viele der Kinder wissen, dass da etwas war, aber nie hat jemand ernsthaft mit ihnen darüber gesprochen. Sie stellen Fragen, sie wollen wissen, was wirklich passiert ist. Eine der Frauen gibt geduldig Auskunft über die Verwandtschaftsverhältnisse der Opfer zu den Kindern, die mit ihrer Stickarbeit beschäftigt sind. Andrés bemerkt: “Ich sticke den Namen meines Bruders, er war 5 Jahre älter als ich, jetzt kann ich nicht mit ihm Fussball spielen, aber seinen Namen kann ich sticken. Meine Mutter kann nicht mehr sticken.Vom vielen Weinen sind ihre Augen schlecht geworden”. Vor 13 Jahren, zum ersten Jahrgedächtnis, ist schon mal ein Wandbehang bestickt worden. Er war in vielen Orten von Kolumbien unterwegs. Viele Organisationen der Opfer haben ihn ausgeliehen und in Ausstellungen auf die Kriegstragödie aufmerksam gemacht. Die Opfer müssen uns in Erinnerung bleiben, damit so etwas nicht noch einmal geschieht. Bellavista ist Standort eines Bürgermeisteramtes und einer Pfarrei. Hier wimmelt es nur so von Militär und Polizei. Am Gründonnerstag waren 5 Soldaten in der Eucharistiefeier, zwar in Uniform, aber unbewaffnet. Vor der Kirche jedoch haben sich weitere 5 Polizisten herumgetrieben. Diese waren bis zu den Zähnen bewaffnet und auf die Frage, was sie denn hier wollten, meinte einer: “Die Gemeinde schützen.” Er hat aber nicht gemerkt, dass nur ganz Wenige aus der Gemeinde am Gottesdienst teilgenommen haben ( 7 Frauen, 2 Männer, 13 Kinder und die besagten 5 Soldaten). Viele Menschen bleiben fern. Gründe dafür gibt es einige. Es fällt ihnen schwer, in diese Kirche zu gehen, in der so Schlimmes passiert ist; sie wollen schon gar nicht in eine Kirche, vor der Bewaffnete stehen. Beim Kreuzweg durch das ganze Dorf war es dann schon anders. Viel mehr Menschen haben daran teilgenommen, aber auch die Bewaffneten mussten wieder einmal gesagt bekommen, dass sie sich bitte in einem angemessenen Abstand zu halten hätten. Diesesmal wurde der Bitte nachgekommen. Mit dem Kreuzweg identifizieren sich die Menschen hier, da sind sie dabei, damit können sie etwas anfangen, und der Kreuzweg findet im Freien statt. “Dann muss man nicht in der Kirche sitzen und an all das Schreckliche denken”, sagt Macaria, die oft zu den Gottesdiensten kommt. Aber wie sieht es in den umliegenden Dörfern aus? Einerseits ist überall ein gewisser Optimismus zu spüren, der sich darin ausdrückt, dass die Familien ihre Pflanzungen wieder auf Vordermann bringen, weil sie hoffen, dass es jetzt bald endlich zum Friedensabschluss kommt. Andererseits verstrich der 23.März, den Staatspräsident Santos alsStichtag angekündigt hatte, ohne dass es zur Unterzeichnung eines Vertrages und zur Niederlegung der Waffen seitens der FARC kam. Das ist auch kein Wunder, solange die Paramilitärs, die es offiziell ja schon seit zehn Jahren nicht mehr geben dürfte, wieder ungehindert in grosser Stärke und in nächster Nähe aufmarschieren. So sind die Menschen in den Indigenen- und Afrogemeinden weiter hin und hergerissen zwischen Hoffnung und Skepsis.Vor allem ein Thema macht ihnen Sorge: wo sollen die ehemaligen Guerillakämpfer angesiedelt werden, wenn die Demobilisierung unterzeichnet wird? Zwar sind die Gemeinden dazu bereit, diejenigen aufzunehmen, die aus ihrer Gegend stammen, auch wenn sie grosse Schwierigkeiten bei der Integration bereits voraussehen. Doch die lokalen Guerillakommandanten streben an, dass alle Kämpfer sich dort niederlassen dürfen, wo sie sich gerade befinden, und die grosse Mehrheit der Truppen, welche die FARC in den letzten Jahren im Chocó zusammengezogen hat, kommen aus den verschiedensten Regionen Kolumbiens und bringen ganz andere Kulturen und Traditionen mit, besonders, was das Wirtschaften, die Anbaumethoden und den Umgang mit der Natur und der Umwelt betrifft. Die Regierung hat sich zu dieser Frage noch nicht eindeutig geäussert. Die Sorge der Afros und der Indigenen ist daher völlig berechtigt, dass in La Habana ein Friede ausgehandelt werden könnte, dessen Bedingungen die ethnischen Minderheiten einmal mehr zu Opfern macht. Um dieser Gefahr vorzubeugen, ist es dringend notwendig, die Autorität der Dorfräte zu stärken. Vor allem die Afrogemeinden haben diesbezüglich grossen Nachholbedarf. Daher wurde neben den liturgischen Feiern dieser Karwoche in allen Dörfern Gemeindeversammlungen einberufen, an denen wir aktiv teilgenommen haben. Überall war deutlich zu spüren, dass die Menschen merken: die von Allen gemeinsam seit langem aufgestellten Regeln des Zusammenlebens müssen auch von Allen eingehalten werden. Dazu braucht es in jeder Gemeinde eine Ordnungskraft, die die Einhaltung der Regeln durchsetzen kann. So wie bisher kann es nicht weitergehen, sonst wird es keinen Frieden geben. Mechanismen zu finden, die das garantieren, wird in den Gemeinden hier am Atrato die Hauptaufgabe für das Jahr 2016 sein, das Jahr, in dem die Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen der kolumbianischen Regierung und der Guerilla der FARC trotz aller noch bestehenden Hindernisse erwartet wird. Wie Ihr sehen könnt, werden wir also auch in diesem Jahr genug zu tun haben.Wir danken Allen, die unsere Arbeit mit ihrem Gebet, mit der politischen Solidarität und auch finanziell unterstützen. An dieser Stelle wollen wir auch all denen danken, die ihr Schärflein zur Misereor-kollekte beitragen, denn Misereor unterstützt schon seit Jahrzehnten die Arbeit der Sozialpastoral der Diözese Quibdó in der Begleitung der Organisationsprozesse und finanziert auch die Verträge, die unseren persönlichen Unterhalt und Versicherung garantieren. Manche von Euch haben gelegentlich durchblicken lassen, dass unsere Rundbriefe in letzter Zeit etwas resigniert und pessimistisch geklungen haben. Heute, am Ostermontag, wollen wir uns darüber freuen, dass der Glaube an den Auferstandenen uns immer wieder motiviert, Schwächen und Tiefpunkte zu überwinden. Dasselbe wünschen wir auch jedem von Euch in seiner ganz konkreten Lebenssituation. Herzliche Grüsse Ursula und Uli
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