p r o z e s s e & o r g a n i s a t i o n 52 IN N OVATION S M A N A G ER | D ez e m be r 2 0 1 5 p r o z e s s e & o r g a n i s a t i o n Fix und fertig vom Nichtstun Chronisch unterforderte Mitarbeiter schaden sich selbst und dem Unternehmen Von Kinza Khan S ie arbeiten am längsten und am meisten – so scheint es. Doch eigentlich verursachen sie für das Unternehmen immense Kosten, wenig Nutzen und vor allem null Innovation: © Tim Pannell/Fuse/Thinkstock Mitarbeiter, die in der Bore-out-Falle stecken. Psychische Erkrankungen sind immer häufiger der Grund für Fehlzeiten und den frühzeitigen Einstieg in das Rentenalter, wie das Bundesministerium für Gesundheit erst jüngst auf seiner Webseite mahnte. Rund 10 Prozent aller Fehltage gehen demnach auf Erkrankungen der Psyche zurück, betroffen sind sämtliche Altersgruppen der Erwerbstätigen, so das Ministerium. Für Unternehmen führt das zu sinkender Produktivität und infolgedessen zu massiven wirtschaftlichen Schäden. Während das Burn-out-Phänomen viel Beachtung findet und zahlreiche solcher psychischen Erkrankungen bekannt sind, kursiert ein Phänomen, das bis heute kaum be- sprochen wird: der Bore-out. Anders als beim allseits bekannten Burn-out, der durch einen hohen Stresslevel und andauernde Überforderung entsteht, wird der Bore-out durch eine konsequente Unterforderung verursacht. Dabei geht der Mitarbeiter nicht etwa tiefenentspannt seiner für ihn überschaubaren und mit „links“ zu bewerkstelligenden Arbeit nach. Im Unternehmen darf niemand wissen, wie wenig Inhalt der eigene Arbeitstag hat, da der Betroffene nicht als nutzlos und faul gelten möchte. Langeweile mit System sozusagen. „Ich wurde befördert, dabei habe ich nur so getan, als würde ich arbeiten. Leider hat es keiner gemerkt“, erklärt Bernd Pricken, dessen Name auf seinen ▸ 53 p r o z e s s e & o r g a n i s a t i o n Sind Ihre Mitarbeiter in der Bore-out-Falle? Fragen für den Personalbogen Schreiben Sie private E-Mails an Kollegen und Freunde oder surfen Sie im Netz, weil Sie Ihr Arbeitspensum schon erledigt haben, aber Präsenzzeiten haben? Sehen Sie Sinnhaftigkeit in den Aufgaben, die Sie zu erledigen haben? Können Sie Ihre Stärken einbringen? Fühlen Sie sich durch Ihre Kerntätigkeiten fachlich unterfordert? Welche im letzten Mitarbeitergespräch gesetzten Ziele konnten Sie erreichen? Könnten Sie mehr Aufgaben in Eigenverantwortung übernehmen? Arbeiten Sie lieber schnell und konzentriert und würden das gern mit Freizeitausgleich, Incentives oder Weiterbildungen ausgleichen? An welchen neuen Projekten wollen Sie gern mitwirken? (Tipp an Unternehmer: Achten Sie darauf, wer Vermeidungsstrategien entwickelt.) Haben Sie einen fachlichen oder persönlichen Rat an mich? (Erweitert die eigene fachliche oder persönliche Meinung und hat eine motivierende Wirkung auf Mitarbeiter.) Quellen: INNOVATIONSMANAGER, Professor Michael Teubert 54 Leistung, die keine ist Menschen, die unterfordert sind, bleiben weit hinter ihrer Leistungsfähigkeit zurück. Sie machen ihre Routinetätigkeiten, verspüren aber kaum Motivation, innovative Ideen zu entwickeln oder neue Impulse ins Unternehmen einzubringen. Mehr noch: „Ein unzufriedener Mitarbeiter kann sich negativ auf Kollegen oder sogar eine ganze Abteilung auswirken“, erklärt der psychologische Berater Jan Göritz. Susanne Simon, deren Name ebenfalls auf eigenen Wunsch von der Redaktion geändert wurde, erzählt von ihren Erfahrungen bei einem Mittelständler aus der Automobilbranche. „Wenn uns langweilig wurde, haben wir uns über Privates unterhalten. Das ist aber meistens gekippt. Es wurde viel gelästert. Unzufriedenheit war zu spüren. Und die, die arbeiten wollten, wurden auch abgehalten.“ Pricken und Simon berichten unisono, dass sie schlichtweg nur suggerierten, ihrer Arbeit nachzugehen. Während der eine so tat, als würde er recherchieren und wichtige Stellen in Dokumenten markierte, erzählt die andere vom wahllosen Tippen auf Computertasten. Beide erinnern sich an enormen privaten Schriftverkehr mit Kollegen und Freunden oder stundenlanges Surfen im Netz. Er fing an zu zocken, sie buchte Urlaube. Und für beide wurde es zu einer psychischen Belastung. Sie wurde krank, er kündigte, erwähnte dem Vorgesetzten gegenüber jedoch mit keinem Wort, „fix und fertig vom Nichtstun“ zu sein. Heute ist Pricken selbständig, setzt täglich innovative Ideen um und ist deutlich zufriedener. Er hätte gern diese Leistungen und kreativen Ideen für seinen alten Ar- beitgeber erbracht, aber die Prozesse waren so gestaltet, dass er in die Bore-outFalle geraten war. Je länger er im Teufelskreis aus Unterforderung und Geheimniskrämerei gefangen war, desto auswegloser erschien ihm die Situation. Verantwortung abgeben Wie hätte ein Vorgesetzter vorbeugen können? Wichtig sind Mitarbeitergespräche in regelmäßigen Abständen. In diesen sollten klare Ziele definiert und regelmäßig abgefragt werden. So haben die Mitarbeiter das Gefühl, dass schnelles und effizientes Arbeiten wahrgenommen wird. Darüber hinaus kann das Pensum flexibel angepasst werden. Bei besonders schnellen und guten Leistungen sollten dem Mitarbeiter Freizeitausgleich oder Weiterbildungsmöglichkeiten angeboten werden. Dadurch wird eine leistungsstarke Person weiter motiviert und erfährt Anerkennung für ihre Tätigkeiten. „Sowohl Burn- als auch Bore-out sind schleichende Prozesse“, erklärt Professor Michael Teubert. Der ehemalige Geschäftsführer und Vorstand für Personal lehrt inzwischen an der Wirtschaftsuniversität Prag und kennt das Thema aus wissenschaftlicher und praktischer Tätigkeit. Die Anzeichen von Bore-out sind denen des Burnouts sehr ähnlich: Müdigkeit, Lustlosigkeit, Gereiztheit, Frustration bis hin zu Anzeichen einer krankhaften Depression. „Ein Boreout ist aber keinesfalls gleichzusetzen mit Faulheit. Vielmehr fehlen dem Mitarbeiter Herausforderung und Anerkennung sowie die Sinnhaftigkeit seiner Aufgabe“, hebt Teubert hervor. Dem stimmt auch der psychologische Berater Göritz zu und vermutet, dass das Phänomen des Bore-outs mit zunehmender beruflicher Verantwortung seltener wird. Beide raten Unternehmern, ihren Mitarbeitern Verantwortung zu übertragen und sie eigenverantwortlich arbeiten zu lassen. Büro-Generation besonders gefährdet Dabei ist besonders zu beachten, dass die Entscheidungsträger die Arbeitsprozesse nicht unnötig hemmen und verlangsamen sollten – das gilt für übermäßige Kontrolle IN N OVATION S M A N A G ER | D ez e m be r 2 0 1 5 © Makkuro_GL/iStock/Thinkstock IN F O Wunsch hin von der Redaktion geändert wurde. Bis in die späten Abendstunden im Büro sitzen, stets auf die Computertasten tippen und unentwegt E-Mails schreiben: Während die Überforderung heute in der Gesellschaft thematisiert wird, gilt das Gegenteil als Tabu. „Ich kenne niemanden, der zu seinem Vorgesetzten geht und sagt, er sei unterfordert“, berichtet Pricken. Dabei ist das ein ernstzunehmendes Problem. p r o z e s s e & o r g a n i s a t i o n ebenso wie für fehlendes Interesse. Simon erzählt, dass ihre Projekte sie am Anfang motiviert hätten. Doch als sie gemerkt habe, dass die Vorgesetzten erst Tage später Resonanz zeigten, habe sie das demotiviert. Es entsprach ihrem Wesen, Dinge schnell und effizient zu lösen. Also habe sie beschlossen, die Projekte, obwohl sie bereits erledigt waren, erst kurz vor Abgabedatum abzugeben und so zu tun, als würde sie bis in die späten Abendstunden bis zum letzten Tag daran arbeiten. Teubert kennt dieses Problem nur zu gut. Er betont, dass in Deutschland derjenige als am fleißigsten wahrgenommen wird, der am frühesten ins Büro kommt und am längsten bleibt. Die Präsenz sei wichtiger als die Effizienz und die Leistung. Deswegen rät er zu Vertrauensarbeitszeiten, das heißt, dass der Mitarbeiter selbstverantwortlich seine Arbeitszeiten bestimmen kann, solange er seine Aufgaben zur Zufriedenheit des Unternehmens erfüllt. Gerade in Zeiten des digitalen Wandels, in denen sich die Arbeit immer stärker hin zum PC und in Büros verlagert, wird die Arbeit des einzelnen Mitarbeiters unüberschaubar. „Meines Wissens ist Bore-out in Büros häufiger vertreten als im produzierenden oder im nicht-bürogebundenen Dienstleistungsgewerbe“, berichtet Göritz. Wenn die Unternehmen das Potential ihrer Mitarbeiter ausschöpfen wollen, werden sie sich auf die neue Bürogeneration einstellen müssen. „Als Selbständiger arbeite ich kürzer und leiste mehr“, erzählt Pricken. Allerdings, da sind sich Pricken und Simon einig: Es ist sehr schwer, Langeweile und Unterforderung zuzugeben. [email protected] ANZEIGE xRM Trendkonferenz MIT PREISVERLEIHUNG SAVE THE DATE 28. APRIL 2016, KUPFERBERGTERRASSE, MAINZ DER DIGITALISIERTE KUNDE Konferenz für Geschäftsführer, Vertriebs- und Marketingentscheider VERANSTALTER INITIATOREN MITVERANSTALTER www.trendkonferenz-xrm.de
© Copyright 2024 ExpyDoc