Fix und fertig vom Nichtstun Chronisch unterforderte Mitarbeiter

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Fix und fertig
vom Nichtstun
Chronisch unterforderte Mitarbeiter schaden sich
selbst und dem Unternehmen
Von Kinza Khan
S
ie arbeiten am längsten und am meisten – so scheint es.
Doch eigentlich verursachen sie für das Unternehmen
immense Kosten, wenig Nutzen und vor allem null Innovation:
© Tim Pannell/Fuse/Thinkstock
Mitarbeiter, die in der Bore-out-Falle stecken.
Psychische Erkrankungen sind immer häufiger der Grund für Fehlzeiten und den frühzeitigen Einstieg in das Rentenalter, wie das
Bundesministerium für Gesundheit erst
jüngst auf seiner Webseite mahnte. Rund 10
Prozent aller Fehltage gehen demnach auf
Erkrankungen der Psyche zurück, betroffen
sind sämtliche Altersgruppen der Erwerbstätigen, so das Ministerium. Für Unternehmen führt das zu sinkender Produktivität
und infolgedessen zu massiven wirtschaftlichen Schäden.
Während das Burn-out-Phänomen viel Beachtung findet und zahlreiche solcher psychischen Erkrankungen bekannt sind, kursiert ein Phänomen, das bis heute kaum be-
sprochen wird: der Bore-out. Anders als beim
allseits bekannten Burn-out, der durch einen
hohen Stresslevel und andauernde Überforderung entsteht, wird der Bore-out durch
eine konsequente Unterforderung verursacht. Dabei geht der Mitarbeiter nicht etwa
tiefenentspannt seiner für ihn überschaubaren und mit „links“ zu bewerkstelligenden
Arbeit nach. Im Unternehmen darf niemand
wissen, wie wenig Inhalt der eigene Arbeitstag hat, da der Betroffene nicht als nutzlos
und faul gelten möchte. Langeweile mit System sozusagen. „Ich wurde befördert, dabei
habe ich nur so getan, als würde ich arbeiten. Leider hat es keiner gemerkt“, erklärt
Bernd Pricken, dessen Name auf seinen ▸
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Sind Ihre Mitarbeiter in der Bore-out-Falle?
Fragen für den Personalbogen
Schreiben Sie private E-Mails an Kollegen
und Freunde oder surfen Sie im Netz, weil
Sie Ihr Arbeitspensum schon erledigt haben,
aber Präsenzzeiten haben?
Sehen Sie Sinnhaftigkeit in den Aufgaben,
die Sie zu erledigen haben?
Können Sie Ihre Stärken einbringen?
Fühlen Sie sich durch Ihre Kerntätigkeiten
fachlich unterfordert?
Welche im letzten Mitarbeitergespräch gesetzten Ziele konnten Sie erreichen?
Könnten Sie mehr Aufgaben in Eigenverantwortung übernehmen?
Arbeiten Sie lieber schnell und konzentriert
und würden das gern mit Freizeitausgleich,
Incentives oder Weiterbildungen ausgleichen?
An welchen neuen Projekten wollen Sie
gern mitwirken? (Tipp an Unternehmer:
Achten Sie darauf, wer Vermeidungsstrategien entwickelt.)
Haben Sie einen fachlichen oder persönlichen Rat an mich? (Erweitert die eigene
fachliche oder persönliche Meinung und hat
eine motivierende Wirkung auf Mitarbeiter.)
Quellen: INNOVATIONSMANAGER, Professor Michael Teubert
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Leistung, die keine ist
Menschen, die unterfordert sind, bleiben
weit hinter ihrer Leistungsfähigkeit zurück.
Sie machen ihre Routinetätigkeiten, verspüren aber kaum Motivation, innovative
Ideen zu entwickeln oder neue Impulse ins
Unternehmen einzubringen. Mehr noch:
„Ein unzufriedener Mitarbeiter kann sich
negativ auf Kollegen oder sogar eine ganze Abteilung auswirken“, erklärt der psychologische Berater Jan Göritz. Susanne
Simon, deren Name ebenfalls auf eigenen
Wunsch von der Redaktion geändert wurde, erzählt von ihren Erfahrungen bei einem Mittelständler aus der Automobilbranche. „Wenn uns langweilig wurde,
haben wir uns über Privates unterhalten.
Das ist aber meistens gekippt. Es wurde
viel gelästert. Unzufriedenheit war zu spüren. Und die, die arbeiten wollten, wurden
auch abgehalten.“ Pricken und Simon berichten unisono, dass sie schlichtweg nur
suggerierten, ihrer Arbeit nachzugehen.
Während der eine so tat, als würde er recherchieren und wichtige Stellen in Dokumenten markierte, erzählt die andere vom
wahllosen Tippen auf Computertasten.
Beide erinnern sich an enormen privaten
Schriftverkehr mit Kollegen und Freunden
oder stundenlanges Surfen im Netz. Er fing
an zu zocken, sie buchte Urlaube. Und für
beide wurde es zu einer psychischen Belastung. Sie wurde krank, er kündigte, erwähnte dem Vorgesetzten gegenüber jedoch mit keinem Wort, „fix und fertig vom
Nichtstun“ zu sein.
Heute ist Pricken selbständig, setzt täglich innovative Ideen um und ist deutlich
zufriedener. Er hätte gern diese Leistungen
und kreativen Ideen für seinen alten Ar-
beitgeber erbracht, aber die Prozesse waren so gestaltet, dass er in die Bore-outFalle geraten war. Je länger er im Teufelskreis aus Unterforderung und Geheimniskrämerei gefangen war, desto auswegloser
erschien ihm die Situation.
Verantwortung abgeben
Wie hätte ein Vorgesetzter vorbeugen können? Wichtig sind Mitarbeitergespräche in
regelmäßigen Abständen. In diesen sollten
klare Ziele definiert und regelmäßig abgefragt werden. So haben die Mitarbeiter das
Gefühl, dass schnelles und effizientes Arbeiten wahrgenommen wird. Darüber hinaus kann das Pensum flexibel angepasst
werden. Bei besonders schnellen und guten Leistungen sollten dem Mitarbeiter Freizeitausgleich oder Weiterbildungsmöglichkeiten angeboten werden. Dadurch wird eine leistungsstarke Person weiter motiviert
und erfährt Anerkennung für ihre Tätigkeiten. „Sowohl Burn- als auch Bore-out sind
schleichende Prozesse“, erklärt Professor
Michael Teubert. Der ehemalige Geschäftsführer und Vorstand für Personal lehrt inzwischen an der Wirtschaftsuniversität Prag
und kennt das Thema aus wissenschaftlicher und praktischer Tätigkeit. Die Anzeichen von Bore-out sind denen des Burnouts sehr ähnlich: Müdigkeit, Lustlosigkeit,
Gereiztheit, Frustration bis hin zu Anzeichen
einer krankhaften Depression. „Ein Boreout ist aber keinesfalls gleichzusetzen mit
Faulheit. Vielmehr fehlen dem Mitarbeiter
Herausforderung und Anerkennung sowie
die Sinnhaftigkeit seiner Aufgabe“, hebt
Teubert hervor. Dem stimmt auch der psychologische Berater Göritz zu und vermutet,
dass das Phänomen des Bore-outs mit zunehmender beruflicher Verantwortung seltener wird. Beide raten Unternehmern, ihren Mitarbeitern Verantwortung zu übertragen und sie eigenverantwortlich arbeiten zu
lassen.
Büro-Generation besonders gefährdet
Dabei ist besonders zu beachten, dass die
Entscheidungsträger die Arbeitsprozesse
nicht unnötig hemmen und verlangsamen
sollten – das gilt für übermäßige Kontrolle
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© Makkuro_GL/iStock/Thinkstock
IN F O
Wunsch hin von der Redaktion geändert
wurde. Bis in die späten Abendstunden im
Büro sitzen, stets auf die Computertasten
tippen und unentwegt E-Mails schreiben:
Während die Überforderung heute in der
Gesellschaft thematisiert wird, gilt das Gegenteil als Tabu. „Ich kenne niemanden,
der zu seinem Vorgesetzten geht und sagt,
er sei unterfordert“, berichtet Pricken. Dabei ist das ein ernstzunehmendes Problem.
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ebenso wie für fehlendes Interesse. Simon
erzählt, dass ihre Projekte sie am Anfang
motiviert hätten. Doch als sie gemerkt habe, dass die Vorgesetzten erst Tage später
Resonanz zeigten, habe sie das demotiviert. Es entsprach ihrem Wesen, Dinge
schnell und effizient zu lösen. Also habe
sie beschlossen, die Projekte, obwohl sie
bereits erledigt waren, erst kurz vor Abgabedatum abzugeben und so zu tun, als
würde sie bis in die späten Abendstunden
bis zum letzten Tag daran arbeiten. Teubert
kennt dieses Problem nur zu gut. Er betont,
dass in Deutschland derjenige als am fleißigsten wahrgenommen wird, der am frühesten ins Büro kommt und am längsten
bleibt. Die Präsenz sei wichtiger als die
Effizienz und die Leistung. Deswegen rät
er zu Vertrauensarbeitszeiten, das heißt,
dass der Mitarbeiter selbstverantwortlich
seine Arbeitszeiten bestimmen kann, solange er seine Aufgaben zur Zufriedenheit
des Unternehmens erfüllt.
Gerade in Zeiten des digitalen Wandels,
in denen sich die Arbeit immer stärker hin
zum PC und in Büros verlagert, wird die
Arbeit des einzelnen Mitarbeiters unüberschaubar. „Meines Wissens ist Bore-out in
Büros häufiger vertreten als im produzierenden oder im nicht-bürogebundenen
Dienstleistungsgewerbe“, berichtet Göritz.
Wenn die Unternehmen das Potential ihrer
Mitarbeiter ausschöpfen wollen, werden
sie sich auf die neue Bürogeneration einstellen müssen. „Als Selbständiger arbeite
ich kürzer und leiste mehr“, erzählt Pricken. Allerdings, da sind sich Pricken und
Simon einig: Es ist sehr schwer, Langeweile
und Unterforderung zuzugeben. 
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