Till Krause (SZ-Magazin) in seiner Laudatio

Laudatio Karl-Buchrucker-Themenpreis am 14. März 2016
Wolfgang Kerler
„Millionen-Geschäft Asyl – Wer an den Flüchtlingen verdient“
gesendet im Bayerischen Rundfunk, B5 Reportage – 22.2.2015
Gute Geschichten entwickeln sich oft aus einem Anfangsverdacht heraus. In diesem Falle
war es eine Notiz in einer Lokalzeitung: Ärger um Betreiber eines Flüchtlingsheims. Der
Vorwurf: Ein ehemaliges Hotel wurde ohne Zustimmung des Bürgermeisters zu einer
Flüchtlingsunterkunft – nachdem ein Unternehmer aus Oberbayern die Immobilie gekauft hatte. Der Mann soll bereits früher durch krumme Geschäftemacherei aufgefallen
sein und wurde sogar angezeigt. Und ausgerechnet so jemand soll sich um eines der
dringendsten Probleme unserer Zeit kümmern – der Versorgung und Unterbringung von
Flüchtlingen?
Der 29-jährige Radio- und Fernsehjournalist Wolfgang Kerler hat etwas getan, das für
Reporter eigentlich selbstverständlich sein sollte: Er ist hingefahren. Hat sich ein Bild
der Lage gemacht. Und festgestellt: Die Sache ist kompliziert. Wir hören einen Ausschnitt aus seiner Reportage „Millionen-Geschäft Asyl – Wer an den Flüchtlingen verdient“, ausgestrahlt am 22. Februar bei B5 aktuell.
(AUSCHNITT DER SENDUNG, ca. 5 MINUTEN)
Die Recherche hat sich gelohnt. Statt eine simple Gut-gegen-Böse-Geschichte mitzubringen – hier die engagierten Bürger, dort die bösen Geschäftemacher – hat der Autor
gemerkt: So einfach ist es nicht. Selbstverständlich zieht das Geschäft mit der Not auch
zweifelhafte Unternehmer an. Aber: Geld für Flüchtlinge ist überall knapp, Aufträge für
das Betreiben von Unterkünften müssen schnell vergeben – und möglichst preisgünstig
umgesetzt werden. Natürlich kommt es da zu Pannen und Streit.
Also hat Wolfgang Kerler weiterrecherchiert, in Bayern und Sachsen, und ist auf Fälle
gestoßen, in denen sich Menschen an Flüchtlingen bereichern. Dann hat er auf die Zahlen geschaut, die genau regeln, wie viel Geld für die Versorgung eines geflüchteten Menschen von den Behörden gezahlt wird: teils weniger als sechs Euro pro Tag. Wie soll
man geflüchteten Menschen mit so wenig Geld ein Leben in Würde möglich machen?
Der Autor hat mir am Telefon von seinen Recherchen erzählt und dabei ein Wort besonders häufig benutzt: Grauzone. Denn natürlich gibt es schwarze Schafe beim Geschäft
mit der Not – aber eben auch Menschen, die zwar ihren Lebensunterhalt mit dem Betrieb von Erstaufnahmeeinrichtungen verdienen, aber keineswegs nur auf maximalen
Profit aus sind. Einer der Protagonisten der Geschichte, ausgerechnet ein Mann mit
Stasi-Vergangenheit, hat den Journalisten in einem kleinen und schmucklosen Büro
empfangen, davor parkte ein unauffälliges Auto älteren Baujahrs. So stellt man sich
keinen auf maximalen Profit ausgerichteten Abzocker vor. Der Mann, so hat Kerler mir
erzählt, gibt sich Mühe, mit knappem Budget zumindest einigermaßen erträgliche Zustände für Flüchtlinge zu schaffen.
Was die Reportage von Wolfgang Kerler so besonders macht, ist neben der akribischen
Recherche auch seine Weigerung, einfache Lösungen zu akzeptieren. Kerler sagt: „Ich
bin Wirtschaftsjournalist – und habe grundsätzlich kein Problem, wenn Menschen Geld
verdienen.“ Nur fair müsse es eben zugehen. Und das sei in vielen Fällen bei der Versorgung von geflüchteten Menschen eben nicht der Fall. In der Branche herrsche „Goldgräberstimmung“, sagt Kerler, ein krasser Gegensatz zum unendlichen Leid, das hinter den
Menschen liegt, die vor Krieg und Terror zu uns geflohen sind.
Trotz des emotionalen Themas bleibt Kerler sachlich und schildert die Vielschichtigkeit
des Problems, wenn Gemeinden in kurzer Zeit tausende Menschen versorgen müssen.
Politiker, die überfordert sind mit der Auftragsvergabe. Privatpersonen, die ein großes
Geschäft wittern. Firmen, wie die im Ausschnitt schon erwähnte „European Homecare“,
die Millionen verdienen. Und immer wieder Aufträge für neue Unterkünfte bekommen,
obwohl sich in den von ihnen betriebenen Einrichtungen die Skandale häufen: Gewalt
der Wachmänner, minderwertiges und überteuertes Essen. Und dazu immer Beschwerden der Anwohner.
Kerler ist über Monate am Thema drangeblieben, auch als seine Radioreportage längst
gesendet worden war: Für einen im Bayerischen Fernsehen ausgestrahlten Beitrag
konnte er auf seine bisherigen Recherchen und Kontakte zurückgreifen und einen weiteren Großverdiener im Geschäft mit den Flüchtlingen mit Vorwürfen konfrontieren: Die
Jonas Betterplace GmbH, die unter anderem in der Bayernkaserne hier in München für
die Versorgung zuständig ist. Seine Recherchen haben ergeben: Auch hier wird viel verdient – obwohl der Autor nachweisen konnte, dass man deutlich besseres Essen auch für
deutlich weniger Geld anbieten kann.
Soweit die von diesem außerordentlich engagierten Journalisten aufgedeckten Missstände. Doch seine Radioreportage, für die der Autor mehr als vier Monate recherchiert
hat und acht Tage unterwegs war, zeigt, dass es auch anders gehen kann. In Freyung im
Bayerischen Wald wurde eine leer stehende Klinik zur Notunterkunft für Flüchtlinge.
Doch gekauft hat die alte Immobilie kein Unternehmer, sondern die Gemeinde. Die Renovierung war eine Art Konjunkturprogramm für die örtlichen Handwerker. Die Verpflegung übernimmt eine ortsansässige Firma. So ist fast jeder in der Stadt ein Teil der
riesigen Aufgabe, geflüchteten Menschen eine neue Heimat zu geben – das kreiert nicht
nur Arbeitsplätze, sondern auch ein Gefühl, das Angela Merkel zur Leitlinie ihrer Flüchtlingspolitik gemacht hat: „Wir schaffen das.“
Wolfgang Kerler, der zur Zeit im wohlverdienten Urlaub ist und daher den Preis nicht
persönlich entgegennehmen kann, hat mit dieser Reportage ein meisterhaftes Stück
Radiojournalismus abgeliefert, in dem viele Menschen zu Wort kommen, viele Orte bereist werden und man als Hörer trotzdem immer nah an der Geschichte ist. Eine solche
Recherche zu ermöglichen, ist in Zeiten sinkender Budgets leider nicht immer selbstverständlich. Auch dafür soll ich, im Auftrag des Autors, Danke sagen an die Frau, die als
Redakteurin mitverantwortlich ist für diese herausragende Arbeit. Die ihm vertraut hat,
dass er mit einer tollen Geschichte zurückkommt. Und die nicht darauf gepocht hat, doch
jetzt bitte mal schnell ein Stück abzuliefern. Nur so kann preiswürdiger Journalismus
entstehen. Darum bitte ich die BR-Redakteurin Ina Krauß auf die Bühne. Im Namen der
Jury gratuliere ich Ihnen und natürlich dem Autor Wolfgang Kerler zum KarlBuchrucker-Themenpreis.
Dr. Till Krause