Dossier: Schwarze Seelen

GIOACCHINO CRIACO
SCHWARZE
SEELEN
ROMAN
Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl
Unkorrigiertes Leseexemplar, mit Dossier im Anhang ab Seite 231
Erstverkaufstag 8. März 2016
Gebunden mit Schutzumschlag
229 Seiten, 13,5 x 21 cm
ca. € [D/A] 22,90 / € [I] 21,70
ISBN 978-3-85256-684-9
E-Book
€ 16,99
ISBN 978-3-99037-054-8
FOLIO VERLAG
WIEN • BOZEN
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Die Originalausgabe ist 2008 im Verlag Rubbettino, Soveria Mannelli,
unter dem Titel Anime Nere erschienen.
© Rubbettino, 2008, unter Vermittlung von Agenzia Piergiorgio Nicolazzini, Milano.
© der deutschprachigen Ausgabe
FOLIO Verlag Wien • Bozen 2016
Alle Rechte vorbehalten
Umschlagfoto: © Francesca Casciarri/Calias
Grafische Gestaltung: Dall’O & Freunde
Druckvorbereitung: Typoplus, Frangart
Printed in Europe
ISBN 978-3-85256-684-9
www.folioverlag.com
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DER WEG ZUM KALABRISCHEN NOIR …
Gioacchino Criaco - Dossier
„,Schwarze Seelen‘ erzählt ein finsteres Italien.“
Roberto Saviano
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„Criaco erzählt einen vergessenen Teil Italiens.“
La Stampa
„Africo, das schwarze Loch Kalabriens, Land der ’Ndrangheta,
aus der Innenperspektive erzählt.“
La Repubblica
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Die Hirten von Alvaro verwandeln sich in Dealer
Die moralische Verelendung der jugendlichen Protagonisten in einem
kalabrischen Gomorrha
„Das Leben der Hirten auf dem Aspromonte ist nicht angenehm
im Winter, wenn die tosenden Bäche ins Meer fließen und das
Land auf dem Wasser zu treiben scheint. Die Hirten bleiben in
ihren Hütten aus Ästen und Lehm und schlafen bei den Tieren.“
So beginnt der berühmte Roman von Corrado Alvaro „Leute vom
Aspromonte“, der das Leben der Hirten darstellt, eingeschlossen
in ihrer archaischen und primitiven Welt, Gefangene einer Isolation, die sie zu Opfern einer Willkür machen, gegen die aufzulehnen vergebens ist.
Dieselben wilden Orte von atemberaubender Schönheit und
dasselbe Hirtenleben bilden den Hintergrund von „Schwarze Seelen“, dem Roman Gioacchino Criacos, eines Schriftstellers, der aus
dem Dorf Africo am Aspromonte stammt. Doch mit einem Unterschied: Seine Hirten sind nicht mehr passive Opfer, sondern Protagonisten eines Lebens, in dem sich althergebrachte Werte mit
Kriminalität und Gewalt vereinen. Sie sind die Akteure des organisierten Verbrechens geworden, das über die Grenzen des Dörflichen hinausgeht, Verbindungen mit dem restlichen Italien und
dem Ausland hält und die Drehscheibe seiner Aktivität in jener
Stadt hat, die das wirtschaftliche Herz unseres Landes ist: Mailand.
Das Buch teilt sich in drei Teile:
„Die Söhne der Wälder“ spricht von der Kindheit der Protagonisten. Das Kapitel „Schatten im Licht“ beschreibt die kriminelle
Karriere, und zuletzt das Kapitel „Schwarze Seelen“.
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Es ist die Geschichte dreier junger Männer, die zwar an der
Universität studieren, jedoch hauptsächlich kriminellen Geschäften nachgehen, deren Entwicklung von Africo zum internationalen
Drogenhandel führt, zu den Drogen, die sie in Mailand in Umlauf
bringen.
Die Porträts dieser Jungen aus Africo, die sich zwischen Italien,
Spanien und Frankreich hin und her bewegen, um wieder nach
Italien zurückzukehren, nachdem sie illegale Geschäfte und Heroinlieferungen organisiert und dabei Milliardenprofite eingestrichen
haben, sind gnadenlos. Auch wenn der Autor behauptet, dass es
frei erfundene Geschichten sind, zeigt die Handlung des Romans,
welch hervorragendes Material die Literatur und kriminelle Realität für einen Erzähler darstellen, so wie wir es auch von Savianos
„Gomorrha“ kennen.
Die Chronik gibt uns folgende Übereinstimmung: die drei Protagonisten des Films „Gomorrha“ wurden eingesperrt, weil sie
Raubüberfälle begangen haben; der Bruder Criacos, der seit 1997
untergetaucht war, weil er wegen schwerwiegender Mafiadelikte
gesucht wurde, ist kürzlich verhaftet worden. Die Protagonisten
versinken unabwendbar in einer moralischen Verelendung und
überschreiten ohne Gewissenskonflikte die Trennlinie zwischen
Gut und Böse.
„Wir mussten uns in diesem Augenblick zwischen einem Leben
als Sklaven und dem Tod entscheiden. Wir entschieden uns dafür,
in Freiheit, aber bewaffnet zu leben, bereit, uns zu verteidigen und
anzugreifen. Ehrenmänner und Bullen waren gleichermaßen unsere Feinde.“
Criaco, der sich mit diesem ersten Roman als Vollbluterzähler
erwiesen hat, ist auch Rechtsanwalt.
Er erzählt von der Komplizenschaft, auf die sich die Entführer
verlassen konnten, wenn sie ein Entführungsopfer, im Jargon „das
Schwein“, in den Ziegenställen versteckten, er beschreibt detailliert
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das Leben in den Wäldern des Aspromonte, die Verstrickungen
mit der Mailänder und südamerikanischen Kriminalität.
Auch wenn die Erzählung seiner Fantasie entspringt und Formen eines Thrillers annimmt, ist sie glaubwürdig: Criaco gelingt
es, die psychologischen und gesellschaftlichen Veränderungen aufzuzeigen, den Wandel, der sich in der archaischen Gesellschaft des
Aspromonte vollzogen hat.
Damit hat sich auch die Sprache geändert. In der Prosa von
Criaco nimmt man teil an dem hämmernden Rhythmus, in dem
sich Raubüberfälle, Morde und Entführungen abwechseln. Das ist
eine italienische Realität, die nicht nur in den Randbezirken Kalabriens angesiedelt ist, und mit „Schwarze Seelen“ einen literarischen Ausdruck gefunden hat.
Aus:
, 27. 01. 2009
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Warum „Schwarze Seelen“ ein besonderes Buch ist?
Weil es Criacos eigene Geschichte ist. Gioacchino Criaco, ein mutiger Schriftsteller im Gespräch
„Schwarze Seelen“ ist nicht nur ein Roman, sondern ein wesentlich
größeres Projekt. Ein Projekt, das aus der Leidenschaft und dem Engagement eines Einzelnen geboren, längst eine ganze Gemeinschaft miteinbezieht, nämlich die kalabrische Gemeinschaft des Aspromonte.
Criaco: Ja, ich erzähle in meinen Geschichten nicht vom Unbekannten, es ist vielmehr die Geschichte einer Generation, die mit
mir herangewachsen ist; von Menschen, mit denen ich gespielt,
studiert und diskutiert habe. Es ist ein Umfeld, in dem die Kriminalität der einzige Ausweg für ein Volk von Verlierern scheint. In
diesem Sinne ist das Buch ein Geschenk für die Jugendlichen von
heute; es ist eine Geschichte von Tragik, Verrat, Leid, Trauer, Bedauern für ein vergeudetes Leben. „Schwarze Seelen“ zeigt das
Böse, wie es ist, ohne zu moralisieren.
Woher kommt dieser innere Drang, den Aspromonte, diesen verlassenen und missbrauchten Fleck, mit den Augen eines Insiders zu erzählen? Das Buch beginnt in lakonischem Tonfall mit der Geschichte
eines jungen Hirten, der gemeinsam mit seinem Vater ein Entführungsopfer aus Norditalien, „das Schwein“ genannt, in die Berge bringt.
Criaco: Ich habe das Buch in wenigen Tagen in einem Wurf
geschrieben. Der Verlag Rubbettino hat es 2008 veröffentlicht. Das
Buch folgt den Schicksalen dreier Freunde, beginnend mit den Entführungen in den Siebzigerjahren, über die Verwicklungen der
„Schwarzen Seelen“ mit der ’Ndrangheta, bis in die Neunzigerjahre,
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als das Geschäft in den Drogenhandel überging. Die andere Hauptfigur des Buches ist Africo, das Dorf, von dem Giorgio Amendola
schrieb: „Africo erinnert mich an Afrika und an die Geschichten
über die Reisen auf dem Maultierpfad, um das Dorf zu erreichen.“
Es gibt zwei Africo, das in den Bergen und das neue am Meer,
wo auch ich geboren wurde. Aber wie wir alle spüre ich die jahrtausendealte Bindung mit den Bergen. Die Flut von 1951 forderte
zwar wenige Todesopfer, aber der Ort wurde zur Gänze verlassen.
Die Bewohner zogen in Hütten aus Holz und Blech, die die
Schweden gespendet haben, voll mit Tumor erregendem Asbest.
Das neue Africo wurde 1960 erbaut, das alte Dorf war siebzig Kilometer entfernt, unerreichbar. Wir waren nicht mehr in den Bergen,
wir waren keine Fischer, wir waren nichts mehr.
Im Gegensatz zu Werken wie „Gomorrha“ erklärt der Regisseur von
„Schwarze Seelen“, Francesco Munzi, dass keine Absicht bestand, die
soziologische Seite zu vertiefen, die ’Ndrangheta ist einfach da und
bildet den Hintergrund, im Zentrum jedoch steht der Konflikt zwischen den Protagonisten. Eine starke Geschichte, wie das Leben Gioacchino Criacos.
Criaco: Bevor ich zur Schule ging, brachte ich als Kind mit
meinem Vater die Tiere auf die Weide. Dann entdeckte ich die Bücher, ich habe studiert, zwanzig Jahre war ich weg. Dann bin ich
zurückgekommen und habe geschrieben, auch aus Reue: Ich habe
gespürt, dass ich erzählen musste, ohne Rechtfertigungszwang, die
Wahrheit über viele vom Bösen irregeleitete Jugendliche.
Viele Kinder aus der Gegend der Locride wurden zu Menschen,
die ständig auf der Flucht sind vor Kugeln und vor dem Gefängnis.
Sie haben etwas Böses getan, egal, ob das Böse aus ihnen kam oder
von einer blinden und tauben Gesellschaft verursacht wurde. Ich
bin in einer Siedlung, die wir Ruga nennen, geboren worden, diese Leute sind meine Leute.
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Criacos Vater Domenico wurde 1993 in einer Blutfehde ermordet.
Über seinen Bruder Pietro liest man Dinge, die Angst machen. Ein
Zeitungsartikel ist betitelt mit „Verhaftet der Boss, der Leichen küsst“.
Der Titel bezieht sich auf den Vorfall, als sich Pietro Criaco in der
Menge Platz verschafft hatte, um den Paten Cosimo Cordi zu küssen,
der vorher durch eine Schrotsalve auf einem öffentlichen Platz umgebracht worden war.
Criaco spricht nicht gerne über den jüngeren Bruder Pietro, der
bis zu seiner Verhaftung einer der meistgesuchten Kriminellen Italiens
war und heute im Gefängnis sitzt.
Criaco: Über ihn zu sprechen, ist ein Schmerz, der mir sehr weh
tut, noch mehr, öffentlich darüber zu sprechen ... Mein Buch hat
er in der Zelle gelesen. Das Lesen ist ihm ein großer Trost. Sein
Lieblingsbuch ist „Der Meister und Margarita“ von Bulgakow.
Wer normalerweise nach Kalabrien kommt, um eine Reportage über
diese Themen zu machen, hat einen erheblichen Vorteil: nach dem
Schreiben kann er wieder heimfahren. Ganz was anderes ist es, zu
schreiben und hier zu bleiben.
Criaco: Viele waren nicht erfreut. Es gab ein wenig Angst.
Aber bei der Erstpräsentation des Buches in Africo war das ganze
Dorf anwesend. Ich bin davon überzeugt, dass wir uns die Dinge
offen ins Gesicht sagen müssen. Wir müssen ehrlich sein. Wer jahrelang Tragödien erlebt hat, will etwas ändern.
Am Anfang habe ich nicht an ein Buch gedacht, ich wollte nur
schreiben.
Einmal hat mir dann ein Junge aus Africo gesagt: „Danke für
das Buch, du hast mich gerettet. Ich habe begriffen, welches
Schicksal mich erwartet hätte, wenn ich mich mit bestimmten
Menschen abgegeben hätte.“ Gibt es eine größere Genugtuung?
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Der Film
• Erfolgreich verfilmt von Francesco Munzi
• 71. Filmfestspiele von Venedig, Nominierung für den Goldenen
Löwen
• Ausgezeichnet in 9 von 16 Kategorien beim „Davide-di-Donatello“ der Accademia del Cinema Italiano: Bester Film, beste
Regie, bestes Drehbuch, bester Produzent, beste Kamera, beste
Musik, bester Titelsong, bester Schnitt, bester Ton.
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„Am Begräbnis der mafiösen Mafiaopfer nehmen nur
die Frauen teil. In Africo hat jeder Blick eine Bedeutung,
jedes Schweigen schreit.“
La Repubblica
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,Anime Nere‘ ist einer der besten italienischen Filme, die in
den letzten Jahren im Wettbewerb in Venedig zu sehen waren.“
Süddeutsche Zeitung, Susan Vahabzadeh
„Authentic atmosphere and charismatic characters make this
one of the most convincing films about Italy’s ‘Ndrangheta
crime lords.“
The Hollywood Reporter, Deborah Young
„Carefully constructed, allowing each scene to develop,
Souls is set to be this year‘s mafia pic.“
VARIETY, Jay Weissberg
„Luchino Visconti also runs through the core of Munzi’s film.“
The Telegraph, Robbie Collin
„„A powerful family tragedy […] It is a strength of the film
to show with clarity these tenebrous structures […] The
characters are excellently drawn.“
Le Figaro, Marie Noëlle Tranchant
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Die Bürgermeister, die die Vorführung des Films von Munzi
auf Sky verhindern wollen, täten gut daran, an die Schwarzen
Seelen auf ihren Straßen zu denken.
In Kalabrien haben der Bürgermeister von Locri, sein Kollege aus
Staiti und der Gemeindepräsident des Bezirks Locride rechtliche
Schritte angedroht, um die Ausstrahlung des Meisterwerks „Schwarze Seelen“ auf Sky zu verhindern.
Über die Qualitäten des Films sprechen die weltweiten Erfolge bei den
Filmfestivals Bände.
Ich gebe zu bedenken, dass diese empörten Bürgermeister überhaupt nicht besorgt waren, als der Film in den Kinos zu sehen war,
in die ganze Welt verkauft und auf internationalen Festivals gezeigt wurde. „Schwarze Seelen“ hat diese schönen, mit der Trikolore gewandeten Seelen erschüttert, als via Satellit den Massen, die
sonst Fußballspiele, Filme und „Wer wird Millionär“ aus dem
häuslichen Badezuber sehen, eine angeblich falsche Sicht auf ihre
kleine alte Welt gezeigt werden sollte.
Und all das in einer Region, in der es unzählige Gemeinden
gibt, die aus Korruptionsgründen aufgelöst und kommissarisch
verwaltet werden, in der man um den Bestand von Krankenhäusern kämpft, in der der Vizepräsident des Regionalrats ermordet
wird, in der an jeder Straßenecke und in den Gemeindestuben
schwarze Seelen anzutreffen sind. In jene Region wurde vor zehn
Jahren viel Geld für neue Infrastrukturen geschickt – und es ist
fast nichts investiert worden.
aus:
23/10/2015
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© Fotos S. 229 ff.: Francesca Casciarri
© Foto 244: Ubaldo Franco
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Biografie
Gioacchino Criaco, geboren 1965 in Africo/Kalabrien als Sohn
einer Hirtenfamilie. Nach dem Abitur studiert er mit Hilfe eines
Begabtenstipendiums an der Universität Bologna Jus. Nach 20
Jahren Rechtsanwaltstätigkeit in Mailand kehrt er in seinen Geburtsort Africo am Aspromonte in Kalabrien zurück.
Er setzt sich für die Aufwertung des Aspromonte und des verlassenen Weilers Africo antico ein.
Der Vater Domenico wurde 1993 in einer Blutfehde umgebracht. Der Bruder Pietro Criaco war bis zu seiner Verhaftung einer der 30 meistgesuchten Kriminellen Italiens.
2008 erscheint sein Romanerstling „Schwarze Seelen“, der 2014
mit großem Erfolg von Francesco Munzi verfilmt wurde.
Weitere Publikationen: Zefira (2009); American Taste ( 2011),
Il Saltazoppo (2015).
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