AM 13.1 Silikose - die Bergmannskrankheit - QR

AM 13.1 Silikose - die Bergmannskrankheit
Text: Achim Heinz (Bergbaumuseum des Kreises Altenkirchen; Herdorf – Sassenroth)
Die Gesteinsstaublunge (Silikose) forderte auch unter den Bergleuten des Siegerlandes viele
Opfer. Bei der Arbeit unter Tage atmete der Bergmann feinsten Gesteinsstaub ein. Dieser
führte oft schon in jungen Jahren zur Erkrankung der Lungen und Atemwege. Die Silikose
verursachte die Berufsunfähigkeit und den Tod vieler Siegerländer Bergleute.
Atemwegserkrankungen gehörten schon immer zum Berufsrisiko der Bergleute. Ursache
hierfür waren die feuchten, meist schlecht belüfteten Arbeitsräume unter Tage sowie der bei
der Arbeit freigesetzte Gesteinsstaub.
Zu einem dramatischen Anstieg der Silikose kam es mit der Einführung der Pressluftbohrer ab
Ende des 19. Jahrhunderts. Das trockene Bohren der Sprenglöcher verursachte ein großes
Aufkommen quarzhaltigen Staubes. War der Bergmann diesem Staub ausgesetzt, konnte er
bereits nach wenigen Berufsjahren an der Silikose erkranken. In den Jahren 1929 bis 1936
erkrankten 57 % der Bergleute nach höchstens 15 Berufsjahren. Zu dieser Zeit erlebten nur
3 % der Bergleute das 60. Lebensjahr, 31 % starben vor dem 46. Lebensjahr. Das
durchschnittlich erreichte Alter lag bei 49 Jahren.
Intensive Maßnahmen wurden gegen die Staubentwicklung ergriffen, wie eine bessere
Belüftung (Bewetterung) der Arbeitsstellen oder das Nassspritzen des los gesprengten
Gesteins. Eine durch greifende Verbesserung war die erfolgreiche Einführung des
Nassbohrens. Hierbei wurden Hohlbohrer verwendet, durch welche das Wasser beim Bohren
bis direkt ins Bohrloch gelangte. So konnte der Staub direkt gebunden werden.
Alle diese Maßnahmen führten ab den 1930er Jahren zu einer Abnahme der
Silikoseerkrankungen. Zuletzt entsprach die Lebenserwartung der Bergleute nahezu der der
übrigen Bevölkerung.
Für viele Bergleute kamen diese Maßnahmen jedoch zu spät. Allein von 1936 bis 1963
starben im Siegerland 864 Bergleute an Silikose.
Text: Achim Heinz, Bergbaumuseum des Landkreises Altenkirchen, Herdorf – Sassenroth.
Worterklärung: silex (lateinisch) = der Stein, der Kiesel
Weitere Maßnahmen zur Vermeidung der Silikose:
- Verwendung von Atemmasken
- Schießen (= Sprengen) nur kurz vor Schichtende. (Der Abzug der Sprengstäube und
der Sprenggase vollzog sich dadurch nicht im Beisein der Bergleute.)
- Verwendung von Vidia-Bohrern mit Wasserführung bis zur Schneide der Bohrer.
- Früher: Verwendung von „Schlangenbohrern“. (Das Bohrmehl konnte durch
Linkslauf des Bohrers aus dem Sprengloch heraus befördert werden. Ein Ausblasen
des Bohrloches mit Druckluft war nicht erforderlich.
Literaturhinweis:
- Titus Kötting: Mein Leben als Bergmann; Betzdorf 2005
- Landwehr: Was der Bergmann von der Staublungen-Erkrankung (Silikose) und den
Möglichkeiten zu ihrer Bekämpfung wissen muss.
Herausgegeben von der Bergbau-Berufsgenossenschaft; Bochum 1948.
- H. G. Koch: Bevor die Lichter erloschen; Siegen 1967, S. 102 – 104.
AM 13.1.1 Bohrgestänge zum Trockenbohren
Foto: Albert Schäfer
Das Bild zeigt ein Bohrgestänge, wie es zum Trockenbohren mit Preßlufthämmern genutzt
wurde. Das trockene Bohren der Sprenglöcher verursachte ein großes Aufkommen quarzhaltigen
Staubes. War der Bergmann diesem Staub ausgesetzt, konnte er bereits nach wenigen Berufsjahren
an der Silikose erkranken. In den Jahren 1929 bis 1936 erkrankten 57 % der Bergleute nach
höchstens 15 Berufsjahren. Zu dieser Zeit erlebten nur 3 % der Bergleute das 60. Lebensjahr, 31 %
starben vor dem 46. Lebensjahr. Das durchschnittlich erreichte Alter lag bei 49 Jahren.
AM 13.1.2 Bohrkronen zum Naßbohren
Foto: Albert Schäfer
Das Foto zeigt Bohrkronen, durch welche das Wasser beim Bohren direkt ins Bohrloch
gelangte. So konnte der Staub direkt gebunden werden.
Diese Maßnahme führte ab den 1930er Jahren zu einer Abnahme der Silikoseerkrankungen.
Zuletzt entsprach die Lebenserwartung der Bergleute nahezu der der übrigen Bevölkerung.
AM 13.2 Das große Unglück auf Grube Bindweide am 6. und 7. März 1872
Berichterstattungen
Siegener Zeitung
Didaktische Hinweise
Der Wasser- und Schlammeinbruch aus einer Pinge in die Grube Bindweide am 6. u. 7. März
1872 ist das wohl größte Grubenunglück im Siegerländer und Wieder Spateisensteinrevier.
Mit der Lektüre der Berichte können folgende Unterrichtsziele erreicht werden:
- Die Berichterstattung darüber in der „Siegener Zeitung“ ist geeignet, den Schülern
die näheren Umstände verständlich zu machen.
- Die Texte sollen dazu beitragen, den Schülern die im Bergbau stets drohende
Unfallgefahr deutlich zu machen.
- Die Lektüre der Unfallberichte soll den Schülern verdeutlichen, wie sehr es den
Bergleuten ein Bedürfnis war, ihre berufsbezogene Religiosität auszuüben.
1. Bericht der „Siegener Zeitung“:
„Ein schreckliches Unglück hat sich am Mittwoch, dem 6. März, auf der im Bergrevier Daaden
bei Steinebach gelegenen, dem Herrn Theodor Stein in Kirchen gehörigen „Grube Bindweide
& Herkules“ ereignet.
Ein Theil der großen Belegschaft der auf Eisenglanz betriebenen Grube war an dem
Vormittage genannten Tages mit Heranholen des sog. „Alten Manns“ (Berg- und GesteinÜberreste von früherem Betriebe, womit die bergmännischen Baue ganz oder theilweise
ausgefüllt werden) beschäftigt.
Eine eintretende Stockung in dem Nachrutschen desselben veranlasste gegen 11 Uhr
vormittags das Einsetzen eines Schusses in ein größeres Felsstück, worauf sich die Massen,
wie hier gewöhnlich stark mit Wasser vermischt, sehr lebhaft in Gang zu setzen begannen,
so zwar, dass es nach beendigter Brodschicht angezeigt erschien, die ernstlich bedrohte
Strecke zu verlassen. Ehe dies jedoch geschehen konnte, erfolgte der plötzliche Durchbruch so
gewaltiger Massen, dass 15 Mann davon verschüttet wurden. Den sofort gemachten
allseitigen Anstrengungen gelang es, bis zum andern Tage 2 Personen todt und 3 lebend
heraus zu schaffen.
Während nun die Rettungsarbeiten noch weiterhin unausgesetzt fortgeführt wurden, war auf
geschehene Meldung der in Betzdorf wohnende Bergmeister des Reviers, Herr Joh. Schmidt,
ein ausgezeichneter, pflichttreuer und in hohem Grade beliebter Beamter, herbeigeeilt und
hatte sich sofort auf die Unglücksstätte begeben, auch demnächst mit den geretteten Leuten
ein ausführliches Protocoll über den Hergang aufgenommen.
Am Donnerstag nachmittags um 4 Uhr war Herr Schmidt mit Herrn Utsch, Steiger der Grube,
und dem Diätar Stein des Reviers Kirchen wiederum in der Grube. Der Erstere hatte noch in
richtiger Würdigung der Gefahr seiner Umgebung eine Stelle bezeichnet, wohin sie sich
eintretenden Falles flüchten sollten, als ein neuer und wiederum so unheilvoller Durchbruch
erfolgte, dass er die genannten drei Personen und außerdem noch zwei Bergleute begrub.
Einigen nun gelang es, die bezeichnete Stelle noch rechtzeitig zu erreichen.
Hülfe war leider diesmal nicht möglich. Die gefallenen Gebirgsmassen sind so bedeutend,
dass ein längeres planmäßiges und mit vieler Vorsicht vorzunehmendes Arbeiten erforderlich
sein wird, um zu den Leichen der Verschütteten zu gelangen. Es mögen wohl noch Wochen
darüber hingehen.
Ein Trost bei dem schrecklichen Unglück bleibt es immerhin, namentlich für die Familien der
beklagenswerthen Opfer ihrer Amtstreue und ihres Berufs, dass mit aller Sicherheit der
unmittelbare Eintritt des Todes nach stattgehabter Katastrophe anzunehmen ist. Die
gestürzte Last ist so enorm, dass die Zimmerung in bedeutender Stärke zu Splittern zermalmt
erschien und die compacte Masse des meist sehr zerkleinerten Gesteins die Bildung größerer
Höhlungen nicht zuläßt.
Über Grund und Ursache des furchtbaren, in den Annalen des Bergbaus hiesiger Gegend
glücklicherweise ganz vereinzelt dastehenden Unglücksfalls lässt sich einstweilen mit
Sicherheit keine Behauptung aufstellen. Es mag eben, wie man die Meinung Sachkundiger
sich äußern hört, hauptsächlich in einem unvermutheten, durchaus nicht vorherzusehenden
Wasserdurchbruch in der Grube begründet sein, die - kann man einer Sage Glauben
schenken - schon vor mehreren Jahrhunderten der Schauplatz eines ähnlichen, noch
bedeutenderen Unglücksfalles gewesen sein soll.“
2. Bericht der „Siegener Zeitung“ (3 Wochen später):
„Von competenter Seite geht uns über den Verlauf der Arbeiten zum Auffinden der Leichen in
der Grube Bindweide bei Gebhardshain folgender Bericht zu:
„Die Arbeiten zur Aufsuchung der Leichen, welche von den am 6. und 7. d. M. auf der
Rotheisensteingrube Bindweide bei Gebhardshain verunglückten 12 Personen noch
verschüttet sind, zu deren Anordnung und Leitung der Königl. Bergassessor Dr. Diesterweg
aus Bonn commitirt worden ist, werden theils unterirdisch, theils über Tage betrieben.
Die erstern sind die eigentlichen Rettungsarbeiten und bestehen in der einige Meter im
Liegenden des Ganges aufgefahrenen Grundstrecke in der Ausführung eines rechtwinklig
vom Gangstreichen in das Liegende abgewandte 8 Meter langen Querschlages, welchem ein
seigerer Überbruch von 14 Meter Höhe folgt, und eines in dieser Höhe rechtwinklig dem
Gangstreichen zugewandten Querschlages von 14 Meter Länge. Mit letzterem wird man die
Unglücksstätte direct erreichen.
Diese Arbeiten werden zwar energisch, aber mit der größten Vorsicht betrieben. Es ist dies
zur Vermeidung weiteren Unglücks geboten, indem das in Grauwackenschiefer bestehende
Liegende sehr gebräch und in Folge der in der Gangspalte angehäuften Schlamm- und
Wasssermassen einem großen Drucke ausgesetzt ist. Es werden daher diese neuen Baue
gehörig verzimmert werden, während man zur Controlle über den Wasserstand vorbohren
wird.
Die Arbeiten zu Tage bezwecken die Verminderung des bezeichneten Druckes auf die 54 bis
60 Meter tiefer liegenden Rettungsarbeiten und bestehen in der Entziehung des Wassers der
an ihrem oberen Rand 60 Meter breiten Pinge durch eine 50 Meter lange und in der Nähe der
Pinge 5 Meter breite Tagesrösche, welche demnächst in Zimmerung gesetzt und von Tage
aus zugedeckt wird.
Mit der Sohle der letzteren gelangt man unter den Wasserspiegel der Pinge, welche also
einen Theil ihres Inhalts durch die Rösche wird ablaufen lassen. Der übrige mit 9 Meter tiefe
Pingensumpf soll mittelst eines etwa 60 Meter weit über Tage fortgeführten Hebers entleert
werden.
Ein besonderes Hemmniß in der Fortführung dieser Tagesarbeiten bietet eine neben der
Pinge vorbeiführende chaussirte Straße, deren unterröschter Theil vermauert werden muß.
An den Rettungsarbeiten sind über hundert Leute beschäftigt. Bei guter Witterung hofft man
in vier bis sechs Wochen die Leichen zu Tage fördern zu können.“
3. Bericht der „Siegener Zeitung“ (1 Monat später):
„Im Verfolg unserer Mittheilungen über das Unglück auf Grube Bindweide bei Gebhardshain
können wir heute weiterhin berichten. Die Arbeiten, welche über Tage zur Herausschaffung
der auf genannter Grube noch begrabenen 10 Leichen betrieben wurden, sind als beendigt
anzusehen., indem die Pingenwasser aus einer 80 Meter langen, 9 Meter Teufe unter Tage
eindringenden Rösche zum Abflusse gebracht worden sind. Die Pinge hat an ihrem oberen
Rand eine Weite von 16 Meter und ist etwa 12 Meter tief. Das Wasser, was nicht aus der
Rösche abläuft, wird mittelst Pumpe und Heber gehoben.
Die Arbeit hat 40 Tage gedauert bei einer durchschnittlichen Belegschaft von 80 Leuten. Es
wurden in dieser Zeit etwa 6000 Cubicmeter feste Masse bewegt, welche aufgeschüttet
immerhin 9000 Cubikmeter ausmachen. Nachdem diese Hülfsbaue beendigt, werden
nunmehr die eigentlichen Rettungsarbeiten sicher betrieben werden können, so dass in nicht
langer Zeit die Leichen zu Tage gefördert werden dürften. Möge das Ende dieser traurigen
Arbeiten ein gutes sein!“
4. Bericht der „Siegener Zeitung“ vom 10.Juni 1872:
„Die sterblichen Überreste des in der Grube Bindweide verunglückten Bergmeisters Schmidt
sind vorige Woche Donnerstag in feierlicher Weise und unter zahlreicher Begleitung ihrer
letzten Ruhestätte übergeben worden. Wir hoffen, demnächst einen näheren Bericht über
das Auffinden der Leichen geben zu können.“
Anmerkung:
Theodor Stein verkaufte die Grube Bindweide unter dem Eindruck des großen Unglücks vom
6. und 7. März 1872 an die Firma Krupp (Essen). Ein Neffe Theodor Steins war unter den
Verschütteten, außerdem sein enger Berater, der Bergmeister Schmidt (s.o.). Die Geschichte
der Grube Bindweide kann somit in die Ära Stein (1853 – 1872) und in die Ära Krupp (1872 –
1931) aufgegliedert werden.
Literaturhinweise:
-
Joachim Weger: Das Grubenunglück von Bindweide 1872; in: Heimatjahrbuch AK
1991, S. 218 ff.
Horst G. Koch: Bevor die Lichter erloschen; Siegen 1968, S. 147 – 149.
Horst G. Koch: Glanz aus der Tiefe; Siegen 1990, S. 16 – 18.
Entlang der Erzstraße; PZ-Information 18/ 1997, s. 119 – 124.