Die kranke Niere, Probleme im hohen Alter

fortbildung
Geri atri e
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für den Hausarzt
Die kranke Niere
Probleme im hohen Alter
Mark Dominik Alscher
Der demografische Wan­
del betrifft alle Gebiete
der Medizin. Das bedeutet
auch für die Nephrologie,
dass immer mehr Patien­
ten im vorgerückten Alter
mit Multimorbidität zur
Behandlung kommen. Er­
fahren Sie, wie mit alters­
bedingten Problemen bei
geriatrischen Nierenkranken am besten umgegan­
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gen werden sollte.
W
ir haben es in der Nephrologie
mit zunehmend älteren Patienten zu tun, die ihre Eigenheiten haben hinsichtlich Diagnostik einer chronischen Nierenerkrankung, Einsatz von Diagnostik und Therapie
sowie Indikation zum Nierenersatz (Dialyse).
krankungen sind häufig und nicht selten sind
diese prägend. Letztendlich fängt das Problem
in dieser Altersgruppe bereits mit der Diagnose einer Nierenerkrankung an.
Typische Aspekte
Eine eingeschränkte Nierenfunktion hat eine
hohe Prävalenz im Kollektiv der Älteren und
ist zudem ein unabhängiger Risikofaktor für
kardiovaskuläre Ereignisse [1 – 3]. Die Leitlinien der Kidney Disease Improving Global Out- →
Besonders trifft dies für geriatrische Patienten
zu, also definitionsgemäß alle Patienten ab dem
80. Lebensjahr oder ab dem 70. Lebensjahr bei
Vorliegen geriatrischer Symptome. Nierener-
56
Nierenerkrankungen
bei geriatrischen Patienten
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comes (KDIGO)-Organisation definiert eine
errechnete oder gemessene glomeruläre Fil­
trationsrate (GFR) < 60 mL/min/1,73 m2 als eine
eingeschränkte Nierenfunktion (altersunabhängig) [4]. Goldstandardverfahren zur Bestimmung der Nierenfunktion sind zum Beispiel
die Inulin- oder Iohexolclearance. In der klinischen Praxis wird die Nierenfunktion jedoch
nicht direkt gemessen, sondern vielmehr über
tabelle 1
Einteilung in der Geriatrie
Go-Go‘s
Slow-Go‘s
No-Go‘s
•• fühlen sich nicht alt
•• sind stark an Freizeit
­interessiert
•• wollen es sich gut gehen
lassen
•• tun endlich das, was sie
schon immer tun wollten
•• schätzen guten Service
•• haben eine hohe Kaufkraft
•• gönnen sich etwas
•• sind sich ihres Alters
­bewusst
•• lieben Sicherheit
•• sind besonders anspruchs­
voll
•• kümmern sich um sich
•• sind sehr markentreu
•• streben viel Lebens­
qualität an
•• sind positiv misstrauisch
•• eine besonders große
Gruppe
•• meist alleinstehende
­Damen
•• haben mit körperlichen
­Beeinträchtigungen zu
kämpfen
•• genießen gerne
•• sind bereit, für eine gute
Qualität mehr auszugeben
•• bleiben meist nur noch in
Deutschland
Vorschlag für Handlungsfelder in der geriatrischen
­Nephrologie
tabelle 2
Go-Go‘s
Slow-Go‘s
No-Go‘s
•• siehe nichtgeriatrische
­Patienten
•• Vorrang Erhalt, Funktion
und Selbstständigkeit
•• Palliative Nephrologie
endogene Biomarker und mittels mathematischer Formeln abgeschätzt. Beruhend auf Untersuchungen an einer gesunden, hauptsächlich kaukasischen US-amerikanischen Kohorte
wurde eine jährliche, alters­abhängige Abnahme der glomerulären Filtrationsrate (GFR) von
ca. 0,75 mL/min/1,73 m2 beobachtet [5, 6].
Die aktuellen KDIGO-Guidelines teilen die Stadien der chronischen Nieren▪▪▪▪▪▪▪▪▪ insuffizienz beruhend auf der
„estimated glomerular filtra­
tion rate“ (eGFR) und dem Ausmaß der Albuminurie ein. Eine
exakte Einteilung der Stadien
hat insbesondere im Hinblick
auf die Dosisanpassung einer
Pharmakotherapie eine praktische klinische Relevanz. Weiter▪▪▪▪▪▪▪▪▪ hin hat die Stadieneinteilung
auch prognostische Relevanz.
Die Bestimmung der Nierenfunktion ist bei
älteren und vor allem bei hochbetagten Men-
Eine eingeschränkte
Nierenfunktion hat eine hohe
Prävalenz im Kollektiv der
­Älteren und ist zudem ein
­Risikofaktor.
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schen (> 80 Jahren) einerseits aufgrund einer
möglichen „physiologischen“ Abnahme der
Nierenfunktion im Alter und andererseits aufgrund nicht gut evaluierter Messparameter
nicht trivial. Sowohl die MDRD (Modification
of Diet in Renal Diseases)- als auch die CKDEPI-Formel (Chronic Kidney Disease Epidemiology Collaboration) benutzen standardmäßig
das Serumkreatinin als Biomarker. Beide Formeln sind jedoch im Kollektiv der älteren Patienten entweder gar nicht (MDRD) oder nur
an einer kleinen Personenzahl validiert. Die Bestimmung des Cystatin-C (muskelmasseunabhängiger Biomarker) zur Abschätzung der Nierenfunktion scheint beim älteren Menschen
Vorteile zu haben. Seit dem Jahr 2012 stehen
uns durch die Ergebnisse der Berliner Initiative
Studie (BIS) erstmals Daten zur Abschätzung
der Nierenfunktion beim hochbetagten Menschen zur Verfügung [7].
Bedeutung einer eingeschränkten
Nierenfunktion bei geriatrischen
Patienten
Das Vorliegen einer Nierenerkrankung ist für
Patienten, die andere Erkrankungen haben, ein
Risikofaktor. Beispielsweise zeigt sich bei orthopädischen Patienten (Altersbereich 27 – 98
Jahre), dass das Vorhandensein einer chronischen Nierenerkrankung einen eindeutigen
Einfluss auf die stationäre Aufenthaltsdauer
hat [8]. Dazu finden sich vermehrt Komplikationen und weitere Verschlechterungen der
Nierenfunktionen.
Neuere Daten zeigen, dass es mit zunehmendem Alter zu einer Reduktion der Nierenrinde
kommt – der Bereich, in dem sich die Glomerula befinden. Dies geht parallel mit einer Abnahme der glomerulären Filtrationsrate einher
[9]. Neben dem allgemeinen Alterungsprozess
führt mit zunehmendem Lebensalter ein Bündel von Krankheiten zu einer weiteren Schädigung der Nieren. Es gehören dazu an erster
Stelle die Hypertension und der Diabetes mellitus, aber auch alle klassischen kardiovaskulären Risikofaktoren, maligne Erkrankungen
(multiples Myelom, Amyloidose, Vaskulitiden
etc.), Nierenerkrankungen im engeren Sinne
und weitere Probleme, die sich im Alter gehäuft
finden. Allein die Gruppe der obstruktiven Uro­
pathien mit Abflussstörungen summiert sich,
sodass es mit zunehmendem Lebensalter zu
einer Veränderung der Nierengefäße kommt
(arterielle Sklerose), zu einer vermehrten Hyp­ →
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mit zunehmender Schädigung der Niere im Rahmen eines akuten Nierenversagens die Überlebenswahrscheinlichkeit deutlich abnimmt.
Geriatrische Patienten mit einem akuten Nierenversagen haben damit auch ein deutlich erhöhtes Risiko, im Krankenhaus zu versterben.
Beispielsweise findet sich bei über 76-jährigen
Patienten mit einem akuten Nierenversagen,
wenn dies zu einer Verdreifachung des Kreatinins bzw. einer Kreatininerhöhung > 4 mg/
dl führt bzw. einem Abfall der Urinproduktion
< 0,3 ml/h über 24 Stunden, ein um den Faktor
6,33 erhöhtes Mortalitätsrisiko [11].
oxie und Ischämie der Nierenrinde, die dann
in einer Gesamtheit zu einer glomerulären
Sklerose, einer tubulären Atrophie und einer
interstitiellen Fibrose mit zunehmender Einschränkung der Nierenfunktion führt [10]. Im
Sinne eines Feed-forward-Mechanismus wird
über die Minderperfusion der Niere die zunehmende Einschränkung der Nierenfunktion über
die entsprechenden Regulationsmechanismen
und eine Hypertension verstärkt.
In der Summe besteht dann
auch ein erhöhtes Risiko für
ein akutes Nierenversagen bei
geriatrischen Patienten, was
zusätzlich durch Faktoren wie
Hypovolämie, Inflammation,
septische Komplikationen und
Expositionen nephrotoxischer
Medikamente verstärkt wird.
Dialyse bei geriatrischen Patienten
Erreichen geriatrische Patienten die Dialysepflichtigkeit, so stellt sich die Frage, ob diese
von einer Dialyse profitieren. Auch hier gibt es
eindeutige Daten, die zeigen, dass ohne Dialysen das Überleben deutlich reduziert ist [13].
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Bereits zuvor (vor Auftreten einer Dialysepflichtigkeit) stellt sich oft die Frage, ob bei älteren
Patienten eine Nierenbiopsie bei entsprechender Indikationsstellung überhaupt noch sinnvoll ist. Daten in der Vergangenheit zeigten,
dass bei Durchführung einer solchen Biopsie
in einem hohen Prozentsatz eine rasch progrediente Glomerulonephritis diagnostiziert wird
[14]. Dies betraf die Gruppe der über 80-jährigen Patienten. Damit muss eine Biopsie bei
älteren Patienten durchaus erwogen werden.
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Spezielle geriatrische Aspekte
Neuere Daten zeigen, dass
es mit zunehmendem
Alter zu einer Reduktion der
Nierenrinde kommt.
Akute Schädigungen der Niere werden gemäß
der KDIGO-Klassifikation eingeteilt. Speziell für
ältere Patienten konnte gezeigt werden, dass
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Symptomkontrolle und maximale Lebensqualität sind das
Therapieziel bei geriatrischen
Patienten.
Aber auch chronische Nierenerkrankungen
sind bei älteren, insbesondere geriatrischen
Patienten deutlich erhöht. Zum Beispiel findet sich in der Altersgruppe der 75- bis 84-Jährigen in 40 % eine eingeschränkte Nierenfunktion (GFR < 16 ml/min), bei 85- bis 100-Jährigen
in 50 % [12]. Die Mortalität wiederum ist in
Abhängigkeit vom Stadium der Nierenfunktionseinschränkung deutlich erhöht. Bei 85bis 100-Jährigen korreliert die Einschränkung
der Nierenfunktion eindeutig mit der Mortalität. Dies trifft in abgeschwächter Form auch
für 75- bis 84-jährige und 65- bis 74-jährige
Patienten zu.
Geriater führen sehr häufig für diese Patientenpopulation Vereinfachungen durch. Eine
der beliebtesten Vereinfachungen ist die Einteilung in sogenannte „Go Go‘s“, „Slow Go‘s“ →
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und „No Go‘s“ (Tabelle 1). Die Prinzipien der
geriatrischen Beurteilung orientieren sich an
einer Unterstützungsfunktion für Wohlbefinden und Unabhängigkeit. Der Fokus ist auf
funktionellen Erhalt und Verrichtung gerichtet.
Zu den rein medizinischen Aspekten kommen
kognitive, psychologische und soziale Dimensionen hinzu. Das Vorgehen ist ein multidisziplinäres. Ziel ist immer der Erhalt der Lebensqualität. Eine geriatrische Beurteilung erhebt
deshalb nicht nur den medizinischen Status,
sondern insbesondere auch den funktionalen
und den psychosozialen Status. Daraus abgeleitet werden Behandlungsplan und Vorgehen (Tabelle 2).
Eines der Hauptthemen der Geriatrie ist die
Hinfälligkeit von Patienten („Frailty“). Es gibt
auch für die Dialysepopulation Studien, welche die Signifikanz dieser Hinfälligkeit untersuchen. Fried und Kollegen haben dafür ein diagnostisches Vorgehen empfohlen [15]. Dieses
▪▪▪▪▪▪▪▪▪
Erreichen geriatrische
Patienten die Dialysepflichtigkeit, stellt sich die Frage, ob
diese von einer Dialyse profitieren.
▪▪▪▪▪▪▪▪▪
orientiert sich an den Kriterien Gewichtsverlust, muskuläre Schwäche, allgemeine Schwäche, geringe körperliche Aktivität und langsame Gehgeschwindigkeit. Das Vorhandensein
von drei oder mehr dieser Kriterien definiert
dann die Hinfälligkeit. Mit diesem Tool wurde
eine Dialysepopulation von über 3 000 Patienten untersucht. Es fand sich in 2/3 der Fälle
eine Hinfälligkeit orientiert an diesen Diagnosekriterien. In einer weiteren Arbeit wurde untersucht, inwiefern eine Spätbetreuung durch
den Nephrologen bei älteren Patienten (≥ 75
Jahre) den Verlauf der Dialyse beeinflusste [16].
Es konnte deutlich gezeigt werden, dass insbesondere für über 80-jährige Patienten, aber
auch darunter, eine nephrologische Betreuung
mindestens acht Wochen vor Dialyse einen signifikanten Einfluss auf harte Endpunkte wie
beispielsweise Mortalität hatte.
Ein weiterer Aspekt, der zunehmend mehr in
das Bewusstsein der betreuenden Nephrolowww.allgemeinarzt-online.de gen kommt, ist die Beeinträchtigung zerebraler Funktionen bei eingeschränkter Nierenfunktion. In einer Arbeit mit über
20 000 Patienten konnte ge- ▪▪▪▪▪▪▪▪▪
zeigt werden, dass in Abhängigkeit von der Nierenfunktion in einem hohen Prozentsatz
(20 % bei GFR < 20 ml/min) eine entsprechende zerebrale Beeinträchtigung vorliegt [17]. In
einem Viertel der Fälle war bereits eine zerebro-vaskuläre Er▪▪▪▪▪▪▪▪▪
krankung zu diagnostizieren.
Ein weiterer Aspekt, der
­zunehmend mehr in das
­Bewusstsein kommt, ist
die Beeinträchtigung der
­zerebralen Funktion.
Damit kommen viele Aspekte, die den Geriater
beschäftigen, in gleicher Weise und verstärkt
bei nephrologischen Patienten zur Anwendung.
Das Fach der Nephrologie muss sich also der
Geriatrie gegenüber öffnen und die Subspezialität geriatrische Nephrologie als wesentlichen
Aspekt heutiger nephrologischer Versorgung
verstehen. Entsprechend der vorhandenen Lebenserwartung und der Lebensqualität muss
sich die geriatrische Neph­rologie an den Vorgehensweisen der Geria­trie orientieren.
 online
Diesen Beitrag sowie die vollständige
Literaturliste finden Sie auch unter
www.allgemeinarzt-online.de
Nephrologische Patienten mit einem hohen
chronologischen Alter, Multimorbidität, Vorliegen von Erkrankungen mit limitierter Lebensprognose (beispielsweise Herzinsuffizienz
NYHA IV, maligne Erkrankungen, Demenz), ausgeprägten funktionellen Einschränkungen und
Vorliegen von geriatrischen Syndromen (Hinfälligkeit) haben in diesem Stadium dann eher
Symptomkontrolle und maximale Lebensqualität als Therapieziel.
Palliative Nephrologie
Es gibt in dem Bereich der geriatrischen Nephrologie dann auch breite Überschneidungen zum
Themenkomplex palliative Nephrologie. Eine
Möglichkeit des Vorgehens, um diese Patientenpopulation sicher zu identifizieren, könnte
darin bestehen, wie von Jassal vorgeschlagen,
dass man sich die einfache Frage stellt: „Wäre ich überrascht, wenn der Patient innerhalb
des nächsten Jahres versterben würde?“ [18].
Wenn die Antwort „Nein“ ist, könnte eine palliative Situation bestehen. Dies ist ein Vorgehen, das viele Dinge letztendlich vielleicht zu
sehr vereinfacht. Auf der anderen Seite würde
es helfen, unnötige Therapien, die dann häufig
auch zu einem Verlust an Lebensqualität führen, nicht unkritisch einzusetzen.
▪
Prof. Dr. med.
Mark Dominik Alscher
Robert-Bosch-Krankenhaus
70376 Stuttgart
interessenkonflikte:
Der Autor hat keine deklariert.
Nachdruck aus „Der Nierenarzt“ 2/2015
Der Allgemeinarzt 17/2015
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