Erfahrungsbericht WS 2014/2015: Jagiellonien

B.A. Soziologie, 5. Fachsemester
Erfahrungsbericht WS 2014/2015: Jagiellonien-Universität, Krakau
Für mich stand schon zu Beginn des Studiums fest, dass ich unbedingt ein ErasmusSemester machen wollte. Wohin, wusste ich nicht, aber an Polen dachte ich zu diesem
Zeitpunkt nicht im Geringsten. Durch das Ändern von Erasmus zu Erasmus+ kamen viele
Verträge mit Partneruniversitäten dazu, viele fielen aber auch weg, was zu einer ziemlichen
Unübersichtlichkeit führte. Aus meinen ursprünglichen Wünschen für Partneruniversitäten
wurde dadurch nichts, und so bekam ich lediglich die Möglichkeit, einen der Restplätze zu
wählen. Zur Auswahl standen Breslau, Warschau und Krakau.
Ich kannte alle drei Städte nur vom Hören, war noch nie dort gewesen und wusste eigentlich
auch gar nicht recht, was die Städte interessant macht. Nach etwa 10 Minuten rumgoogeln
und dem Lesen von Erfahrungsberichten anderer Studenten entschied ich mich für Krakau;
meine Wahl war also eindeutig eher intuitiv als bedacht - aber es war die wohl beste
Entscheidung, die ich treffen konnte.
Die offizielle Zusage der Universität bekam ich im April. Mit der eigentlichen Planung zwecks
Uni-Organisation und Unterkunft begann ich erst im Sommer, also knapp 2 Monate vor
Beginn des Semesters Anfang Oktober. Am Soziologieinstitut der Jagiellonien-Universität
sind zwei Erasmus-Koordinatorinnen, die ausgesprochen nett und hilfsbereit sind und auch
auf Mails schnell antworten (das kann man leider nicht von vielen an der dortigen Universität
behaupten.). Die beiden Koordinatorinnen sowie das International Office halten einen mit
informativen Mails immer am Laufenden über sämtliche Fristen, Kursinformationen,
benötigte Dokumente, Beginn der Orientation Week etc. Diesbezüglich braucht man sich
also keine Sorgen machen, man wird immer früh genug und detailiert über sämtliche
Angelegenheiten informiert. Das International Office ist zentral gelegen und täglich von MoFr geöffnet. Gleich zu Beginn des Semesters sollte man einen Studentenausweis
beantragen, denn damit kann man die oft angebotenen Studentenrabatte nutzen. Dazu muss
man ein Dokument und ein Passbild abgeben sowie eine kleine Überweisung machen (ich
glaube, es waren nicht mehr als umgerechnet 5€); ein paar Tage nach Eingang der
Überweisung kann man den Ausweis dann im International Office abholen. Falls man ein
Semesterticket benötigt, kann man dieses an den Infostellen des Nahverkehrs kaufen. Der
Preis als Student ist um 50% reduziert.
Mein Learning Agreement war sehr lange eine vorläufige Version, da es unheimlich lange
gedauert hat, bis die endgültige Kursliste veröffentlicht wurde. Man kann sich aber an denen
aus den vorigen Semestern orientieren und somit ein Learning Agreement erstellen, das
sowohl von der Universität Bremen und der Jagiellonien-Universität vorläufig anerkannt wird.
In Absprache mit den jeweiligen Erasmus-Koordinatoren wird dann festgelegt, welche Kurse
an der Universität Bremen nach der Rückkehr angerechnet werden. Es ist in der Regel kein
Problem, Kurse von anderen Instituten der Jagiellonien-Universität zu besuchen. Das
Kursangebot ist sehr breit gefächert; von Geschichte über technische Kurse bis hin zum
Hindi- und Urdu-Unterricht (kein Scherz!) findet man vieles mehr. Will man einen Kurs
außerhalb seines Instituts besuchen, wird das meist mit den Dozenten persönlich
besprochen. Anschließend trägt man sich in einem Online-System (USOS web) ein und
erstellt so seinen Stundenplan. Dass ein Kurs zunächst angeboten wird, bedeutet jedoch
leider nicht, dass er tatsächlich zustande kommt; in den ersten Wochen des Semesters wird
darauf geachtet, dass mehr als 15 Leute die Kurse besuchen. Erst dann bleibt der Kurs bis
zum Ende des Semesters bestehen. Das Uni-Leben ist ziemlich verschieden von dem der
Universität Bremen. Die Kurse bestehen meist aus weniger Personen, und nur selten sind
polnische Studenten dabei. Des Weiteren besteht Anwesenheitspflicht, in der Regel darf
man 3x pro Semester fehlen. Fehlt man öfter, muss man mit Punktabzug für die Endnote
oder mit einer Extraaufgabe rechnen. An der Universität ist es üblich, über das Semester
verteilt mehrere kleinere Prüfungen (meist Referate) zu absolvieren, anstatt am Ende des
Semesters eine große Klausur oder Hausarbeit zu schreiben, die dann 100% der Endnote
ausmacht. Das Ganze hat den Vorteil, dass man über das gesamte Semester am Ball bleibt
und nicht so wie in Bremen am Ende des Semesters in einen mehrwöchigen
Klausurenstress kommt. Die Ansprüche sind nicht unbedingt niedriger als in Deutschland,
aber die Dozenten sind deutlich großzügiger bei der Verteilung von guten Noten. Die
Dozenten sind außerdem offen für Kompromisse; so war es bei mir der Fall, dass ich für
einen Kurs 6 statt nur 5 ECTS gebraucht habe, um mir diesen in Bremen anrechnen zu
lassen. Nach Absprache mit der Dozentin und den Koordinatoren der Universität Bremen
und der Jagellonien-Universität konnte ich durch eine Extraarbeit ohne Probleme den
zusätzlichen Punkt bekommen.
Die Jagiellonien-Universität ist keine Campus-Uni, sondern die Gebäude der einzelnen
Institute sind über die ganze Stadt, meistens jedoch im Zentrum, verstreut. Jedes Institut
verfügt über eine eigene Bibliothek, das aufgrund der kleinen Größe eher an einen Leseraum
erinnert. Anstatt selber zu stöbern, sucht man in einem Karteikasten nach dem Titel des
Buches, das man möchte und lässt sich dieses dann von einer Bibliothekarin raussuchen. Es
gibt zwar eine Zentralbibliothek, für die man sich separat registrieren muss, doch das System
ist ähnlich. Man kann außerdem kaum Bücher ausleihen, sondern muss sich die
dementsprechenden Seiten vor Ort kopieren. Ehrlich gesagt habe ich bis zuletzt nicht
wirklich verstanden, wie das System der Bibliotheken funktioniert. Glücklicherweise hatte ich
die vpn-Verbindung der Uni Bremen auf meinem Computer eingerichtet, was mir die
Literaturrecherche dann sehr erleichtert hat.
Krakau hat etwa 700.000 Einwohner, wovon knapp ein Viertel Studenten sind. Die Stadt ist
zwar keine Weltmetropole, überzeugt aber durch einen wunderschönen Stadtkern, der nach
dem Vorbild Wiens entstanden ist. Das ehemalige jüdische Viertel Kazimierz ist mittlerweile
sehr hip und bietet eine Reihe an gemütlichen Cafés und alternativen Bars. Des Weiteren
gibt es unheimlich viele Museen, in die man an einem Tag der Woche umsonst besuchen
kann. Das Leben in Krakau ist generell billiger als in Deutschland, man kann um einen
Spottpreis essen und trinken gehen. Häufig bekommt man als Student sogar 10% in
Restaurants und Cafés. Die Mietpreise unterscheiden sich jedoch nur selten von denen in
Bremen. Wer Polnisch kann und lokale Webseiten wie www.gumtree.pl verwendet, ist da
meist klar im Vorteil. Die meisten, die ich kenne, haben sich an Agenturen gewendet, die für
Erasmus-Studenten gerne einen höheren Mietpreis verlangen. Der Mietpreis pro Zimmer ist
dann etwa 250€. Man muss dazu aber fairerweise auch sagen, dass die Wohnungen dann
sehr gut in Schuss sind und eine super Lage haben. Die Studentenwohnheime sind sehr
billig (umgerechnet ungefähr 80€ pro Monat), allerdings nicht besonders empfehlenswert.
Man muss sich zu zweit ein etwa 12m² großes Zimmer teilen und teilweise gibt es nur einen
Herd und ein Badezimmer pro Gang. Außerdem befinden sich diese relativ weit weg vom
Stadtzentrum, was sehr schade ist, denn in Krakau ist ansonsten alles wunderbar fußläufig
erreichbar - ein Semesterticket habe ich daher nicht gebraucht. Bezüglich der Sicherheit
muss man sich keine Sorgen machen. Ich habe mein Zimmer über facebook gefunden und
muss sagen, dass ich ein großes Glück hatte mit dem Mietpreis als auch mit meinen
Mitbewohnern. Da sieht man schon mal über einen Wasserschaden und nicht vorhandene
Heizungen (dafür Heizlüfter) hinweg. Entscheidet man sich dazu, vor Ort zu suchen, so gibt
es die Möglichkeit für 1-2 Wochen in einem Hostel unterkommen. Man sollte dann aber etwa
2-3 Wochen vor Semesterbeginn nach Krakau anreisen, da viele Wohnungen und Zimmer
zu späterem Zeitpunkt dann vergeben sind. Die Mieten werden meist in bar bezahlt, was für
uns ziemlich ungewohnt ist. Ein örtliches Bankkonto hatte ich mir nicht eingerichtet, sondern
habe immer an den Bankautomaten mit meiner deutschen EC-Karte Geld abgehoben. Die
Abbuchungsgebühren waren nicht besonders hoch. Es gibt aber auch die Möglichkeit, vor
Ort in den sogenannten „Kantor“ Geld zu wechseln. Dazu lohnt es, ein wenig außerhalb des
Stadtkerns zu gehen, wo man für seine Euros ein paar mehr Zloty bekommt.
Generell ist facebook sehr nützlich, um sich über das Leben außerhalb der Uni zu
informieren. Das Erasmus Student Network (ESN) veranstaltet über das ganze Semester
Studentenpartys sowie verschiedene Städtetrips. Reisen innerhalb Polens ist unheimlich
billig, das sollte man dementsprechend ausnutzen. Vor allem Warschau und Breslau ist eine
Reise wert, und viele waren auch von Lublin begeistert. Es gibt genug Möglichkeiten, auch
außerhalb von Polen zu reisen. Krakau hat sehr billige und direkte Bus- oder
Bahnverbindungen nach Berlin, Budapest, Wien und auch nach L'viv in die Ukraine
(Reisepass nicht vergessen).
Das Leben in Krakau ist geprägt von den vielen Studenten und ausländischen Touristen;
tags- als auch nachtsüber wird einem nie langweilig. Manche Bewohner sind dadurch ein
wenig genervt und nicht besonders freundlich; durch das Verwenden einiger polnischer
Floskeln wie "Dziekuje" (Danke) und "Do widzenia" (Tschüss) sammelt man schnell
Sympathiepunkte. Die Universität bietet auch einen Polnisch-Kurs für ausländische
Studenten an, der allerdings zahlungspflichtig ist. Polnisch ist eine unheimlich schwere
Sprache und ich habe deshalb trotz des Kurses nicht viel gelernt, aber für die alltäglichen
Basics war es dennoch hilfreich. Mit Englisch kommt man jedoch gut genug durch, vor allem
unter jungen Leuten, den Kurs sehe ich daher nicht als „Pflichtprogramm“.
Konkret schlechte Erfahrungen habe ich in dem Semester nicht gemacht. Man darf aber
auch nicht vergessen, dass man doch sehr in einer "Erasmus-Touri-Blase" lebt. Das
Semester in Krakau war eine wirklich tolle Erfahrung und ich kann nur jedem empfehlen,
seinen Erasmus-Aufenthalt dort zu verbringen. Man kommt mit Studenten aus ganz Europa
in Kontakt, kann sich mit ihnen über viele Dinge austauschen und lernt so teilweise völlig
neue Perspektiven kennen. Das Semester hat außerdem dazu beigetragen, dass ich ein
neues Bild von Polen und Osteuropa bekommen habe. Viele Dinge, die aus der deutschen
Sicht völlig falsch laufen, lassen sich für mich nun einfacher erklären oder nachvollziehen.
In diesem Sinne: na zdrowie und viel Spaß in Krakau!