«Der ist wirklich unheimlich sensibel»

2 l Fokus
Region
ZO/AvU
Donnerstag, 3. Dezember 2015
«Der ist wirklich unheimlich sensibel»
E
Brandopfer
ist verstorben
USTER Am vergangenen Sonn­
tagabend brannte eine Wohnung
beim Ustermer Bahnhof (wir be­
richteten). Die 53-jährige Frau,
die beim Wohnungsbrand schwer
verletzt wurde, ist ihren Ver­
letzungen erlegen. Sie starb am
Dienstagabend im Spital, wie die
Kantonspolizei Zürich gestern
mitteilte.
Hausbewohner hatten am
Montagabend das Feuer ent­
deckt und die Polizei alarmiert.
Den Nachbarn gelang es, den
Brand selber zu löschen. Als die
Rettungskräfte vor Ort eintra­
fen, lag die Frau bewusstlos in
der verrauchten Wohnung. Nach
Erste-Hilfe-Massnahmen wurde
sie ins Spital gebracht. Weshalb
es in der Wohnung gebrannt
habe, sei weiterhin unklar, er­
klärte ein Sprecher der Polizei
auf Anfrage. Eine technische
Ursache könne aber ausgeschlos­
sen werden. liv/sda
r schaut an seinem Ge­
sprächspartner
vorbei.
Schaut nicht direkt in die
Augen. Sein flinker Blick tastet
aber genau die Umgebung ab.
Reto Würmli hat sich die BMWMütze tief in die Stirn gezogen.
Es ist kühl in der Hinwiler Gärt­
nerei Muggli. Trotzdem ist der
35-Jährige gerne hier. Seit dem
Frühling hat er hier einen
Arbeitsvertrag als Gärtnerei­
mitarbeiter und bezieht einen
der Leistung entsprechenden
Lohn. Züriwerk agiert als Ver­
mittler und Begleiter.
Reto Würmli jätet, mäht Rasen,
hilft bei der Bepflanzung auf den
Friedhöfen oder entsorgt selb­
ständig verblühte Blumensetz­
linge. Würmli hat eine kognitive
Beeinträchtigung. «Geistig be­
hindert» hat man früher gesagt.
Er wirkt wirklich nicht behin­
dert. Eigentlich nur langsam.
Persönlich
Streit in
Asylunterkunft
Reto Würmli ist trotz kognitiver
Beeinträchtigung ein wertvoller
Gärtnereimitarbeiter in Hinwil.
Seit 1998 ist er bei der Stiftung
Züriwerk, die sich für die beruf­
liche Integration von Jugend­
lichen und Erwachsenen mit Be­
einträchtigungen einsetzt. Erst
war er im geschützten Bereich
beschäftigt. Doch er wollte hin­
aus, in den ersten Arbeitsmarkt.
Unterstützt wird er dabei von
seinem Jobcoach Rahul Davé.
«Wir richten uns nicht an der Be­
hinderung aus, sondern an dem,
was der Mensch kann», unter­
streicht dieser. Bei Würmli war
schnell klar: Der muss hinaus.
Auf einen Hof, in die Landwirt­
schaft oder in eine Gärtnerei.
Eine wie die Gärtnerei Muggli.
In dieser konnte Würmli eine
intensive Schnupperzeit absol­
­
vieren – und danach war allen
Beteiligten klar: Die Chemie
stimmt. Gärtnereigeschäftsfüh­
rer Ueli Muggli konnte auf­
atmen, war er doch just auf der
Suche nach einer helfenden Hand.
Nein – für komplizierte Kultur­
züchtungen ist Würmli nicht der
richtige Mann. Aber fürs Rasen­
Mit Freude an der Arbeit: Reto Würmli hat seit vergangenem Frühling einen vom Züriwerk vermittelten Job in der Gärtnerei Muggli.
mähen zum Beispiel. Davon
kann er so schwärmen, dass
Golfplatzbetreiber leuchtende
Augen bekommen würden. Na­
türlich schiebt Würmli keinen
08/15-Mäher vor sich her. Er
fährt einen Aufsitzer.
Seine zweite Leidenschaft:
der Radlader, mit dem die Palet­
ten transportiert werden kön­
nen. Spontan zeigt er, wie hoch
er mehrere davon in die Lüfte
hieven kann. Gärtner Hausi
Steiner, sein direkter Vorgesetz­
ter, bleibt auch jetzt ruhig. Er
weiss genau, was sein neuer Mit­
arbeiter kann – und was nicht.
Und er weiss auch, was er nicht
mag. «Unkraut jäten mag ich
nicht. Überhaupt nicht. Da bin
ich hinten fertig und kann vorne
wieder anfangen.» Reto Würmli
unterstreicht seine Worte mit
grossen Gesten.
Plötzlich horcht er auf. Ein
Traktor ist vorbeigefahren.
Traktoren liebt er so wie die
meisten Männer Sportwagen. Er
weiss genau, welcher Bauer
im Ort welches Modell fährt.
Seine Eltern hatten früher selber
einen Hof. Das ist vorbei. Doch er
wohnt noch bei seinen Eltern.
«Aber ich koche mir schon selber
was, dazu bin ich schliesslich alt
genug», unterstreicht er. Dann
gibt es Spiegelei oder Fischstäb­
chen.
Ehrensache übrigens, dass er
auch zu Hause fürs Rasenmähen
zuständig ist. Und wenn dann al­
les getan ist, spielt er mit der
Eisenbahn oder setzt sich mal
vor den Fernseher. «Bauer sucht
Frau», das sieht er schon gerne.
Steiner schmunzelt, doch er wird
gleich wieder ernst. «Manche
glauben, dass gerade Behinderte
mal gute oder schlechte Tage ha­
ben. Dabei ist es genau umge­
kehrt. Reto spürt sofort, wenn
ich mal nicht so gut drauf bin.
Der ist wirklich unheimlich sen­
sibel», erläutert er.
Um diese Sensibilität weiss
auch Rahul Davé. «Als Job­coach versuche ich im Hinter­
grund zu bleiben. Am besten ist
es, wenn man mich gar nicht
braucht. Aber das birgt auch Ge­
fahren. Bei Problemen glauben
viele Arbeitgeber, dass sie das
­a llein lösen können.» Menschen
mit einer kognitiven Beeinträch­
tigung hätten – wie jedermann –
manchmal Mühe, mit Stress
­umzugehen. Kritik an der Arbeit
werde schnell mit Kritik an der
eigenen Person gleichgesetzt.
«Natürlich müssen wir bei
Reto mal ein Auge zudrücken,
Seraina Boner
weil die Arbeit nicht so korrekt
ist», sagt sein Chef Muggli. «Aber
das ist okay. Dafür ist er oft sehr
humorvoll. Das gleicht das aus.»
Zu 40 Prozent arbeitet Würmli
in der Gärtnerei, zu weiteren
40 Prozent ist er in der Baurent
AG als Mitarbeiter Service und
Unterhalt tätig. Reto Würmli
wollte ausdrücklich in den ers­
ten Arbeitsmarkt. «Ich würde
mir wünschen, dass es noch viel
mehr Arbeitgeber gäbe, die teilgeschützte Arbeitsplätze anbö­
ten. Das ist nicht nur eine
­Chance für Menschen mit einer
Einschränkung, sondern oft auch
eine Bereicherung für den Be­
trieb», sagt Regula Weber von
Züriwerk.
Birgit Schlieper
Video zum Thema unter
video.zol.ch
ZÜRIWERK
Zehn Jahre
Pionierarbeit
Gegenwärtig betreut das Züri­
werk 85 Auszubildende und
52 Personen im ersten Arbeits­
markt. In 120 Partnerbetrieben
sind diese in 40 Branchen tätig.
Diese Zahlen zeigen, wie auf­
strebend das Integrationsunter­
nehmen ist. Trotzdem werden
weitere Firmen gesucht, die Ju­
gendliche oder Erwachsene mit
einer Einschränkung über das
Züriwerk anstellen wollen. Allen
Angestellten steht ein Job- oder
ein Ausbildungscoach zur Seite.
Die Leistung von Züriwerk ist
für alle Seiten kostenlos. Der
Lohn geht vollends an den
Arbeitnehmer, finanziert wird
die Integrationsstelle über den
Kanton.
Seit zehn Jahren leistet Züri­
werk damit Pionierarbeit. Hin­
tergrund ist auch, dass man von
der «Scheinarbeitswelt» wegwill
in den ersten Arbeitsmarkt. Erst
dort kann wirkliche Integration
gelebt werden. bis
Weitere Infos gibt es unter www.
zueriwerk.ch oder heute von 17 bis
20 Uhr auf dem Fest zum Internationalen Tag der behinderten Menschen bei der Stiftung Züriwerk an
der Niderwisstrasse 1 in Grüningen. Nachgefragt
Annette
Wilson
Leiterin der
­Sozialberatung
bei Pro Infirmis
Zürich (zuständig für Bezirke
Uster/Hinwil)
«Erst wer
Verantwortung
tragen darf, fühlt
sich vollwertig.»
Die Schweiz hat vor einem
Jahr die Behindertenrechtskonvention der Uno unterschrieben. Das heisst, dass
­behinderte Menschen gleichgestellt werden sollen. Ist
das in der Praxis der Fall?
Annette Wilson: Die Schweiz wird
nächstes Jahr mit ihrem ersten
Länderbericht in Genf erstmals
Rechenschaft ablegen müssen.
Dann entsteht ein Aktionsplan,
der den Handlungsbedarf fest­
hält. Wir sind der Meinung, dass
der Kanton Zürich und die Ge­
meinden jetzt die Chance haben,
diesbezüglich eine Vorreiterrolle
in der Schweiz einzunehmen. In­
klusion heisst, Menschen mit Be­
hinderung in allen Gesellschafts­
bereichen mit einzubeziehen,
mitreden und vor allem auch
mitbestimmen zu lassen.
Heime sind ja per se geschlossene Institutionen, oft ausserhalb der Dörfer gebaut. Wie
können Menschen mit Behinderung integriert werden?
Die Behindertenrechtskonven­
tion hat auch Auswirkungen auf
die Institutionen im Zürcher
Oberland. Viele richten sich ent­
sprechend mit Angeboten neu
aus und arbeiten an ihren Hal­
tungen. Inklusion bedeutet, dass
unterschiedliche Menschen mit­
einander im Austausch sind. Der
Jobcoach des Züriwerks schafft
dies im Bereich der Arbeit. Im
Bereich des Wohnens können
zum Beispiel kleinere Wohnein­
heiten in Quartieren diesen Ge­
danken fördern. In Schweden
gibt es keine Heime mehr – das
können wir uns hier in der
Schweiz erst schwer vorstellen.
Was können Bürger tun, um
einen Beitrag an Integration
und Inklusion zu leisten?
Falls Sie ein Geschäft führen,
können Sie sich überlegen, ob
Ihre Arbeitsbedingungen auch
die Einstellung von Menschen
mit Behinderung erlauben. Es
gibt verschiedene Angebote, die
Arbeitgeber unterstützen, ent­
sprechende Strukturen zu schaf­
fen. Ein Bauzeichner mit Legas­
thenie braucht vielleicht etwas
mehr Zeit, um Pläne anzuschrei­
ben, kompensiert diese Schwä­
che aber durch andere Stärken.
Alle Bürger können aber auch in
der Freizeit einen Teil zur Inklu­
sion beitragen. Zum Beispiel
durch ein Engagement in Ver­
einen, wo Menschen mit und
ohne Behinderung mitwirken.
Ist es schwierig, Unternehmen
zu finden, die Menschen mit
einer Einschränkung einstellen?
Wir beobachten an einigen Orten
ein Umdenken. Das stimmt uns
zuversichtlich. Eine Umfrage,
die wir vor fünf Jahren bei den
grössten Schweizer Unterneh­
men durchgeführt haben, zeigte
aber auch, dass die meisten vor
dieser gesellschaftlichen Verant­
wortung zurückschrecken und
noch viel Potenzial vorhanden
ist. Es gibt Studien, die belegen,
dass Arbeitnehmer mit Behin­
derung unter gewissen Rahmen­
bedingungen ein aussergewöhn­
liches Engagement und eine über­
durchschnittliche Leistungsbe­
reitschaft zeigen.
Welche Auswirkungen hat es
für den Betroffenen, wieder
arbeiten zu können?
Das Gefühl, gebraucht zu wer­
den, in ein Team, ein Unterneh­
men oder einen Prozess inte­
griert zu sein, ist gesundheits­
fördernd. Die meisten Menschen
wollen einen Beitrag leisten, ein
Teil eines grösseren Ganzen, der
Gesellschaft und der Wirtschaft
sein. Das macht stolz. Erst
wer Verantwortung tragen darf,
fühlt sich vollwertig und ge­
braucht.
Interview: Birgit Schlieper
FEHRALTORF Bei einem Streit
zwischen zwei Personen wurde
am Dienstagabend in Fehraltorf
ein Mann verletzt. Gemäss den
bisherigen Ermittlungen kam es
gegen 22 Uhr im Durchgangs­
zentrum an der Undermüli­
strasse zu einer Auseinanderset­
zung zwischen zwei Asylbewer­
bern, in deren Verlauf ein Messer
eingesetzt worden war. Wie die
Kantonspolizei Zürich in einer
Mitteilung schreibt, erlitt dabei
ein 18-jähriger Eritreer Stich­
verletzungen an den Armen, die
aber nicht lebensgefährlich wa­
ren. Der Verletzte wurde durch
die Ambulanz ins Spital ge­
bracht. Der mutmassliche Täter,
ebenfalls ein Eritreer, flüchtete
noch vor dem Eintreffen der
Polizei. Es wird nach ihm ge­
fahndet. Die genauen Umstände,
welche zum Streit führten, sind
noch unklar. zo
In Kandelaber
gefahren
HINWIL Am
Dienstagabend
fuhr ein Autolenker in einem
schwarzen Mercedes-Benz S500
auf dem Betzholzkreisel in Rich­
tung Hinwil. Auf der Höhe der
Ausfahrt geriet er um 17.50 Uhr
aus noch unbekannten Gründen
über den linken Fahrbahnrand
hinaus und kollidierte mit einer
Böschung und einem Kandela­
ber, wie die Kantonspolizei Zü­
rich mitteilt. Es entstand hoher
Sachschaden. Personen, welche
Angaben zum Ereignis machen
können, werden gebeten, sich
mit der Kantonspolizei Zürich,
Verkehrszug Hinwil, unter Tele­
fon 044 938 30 10 in Verbindung
zu setzen. liv
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