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Energiewende: Windkraft-Branche nimmt deutsche Wälder ins Visier - DIE WELT
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23. Jul. 2015, 13:20
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22.07.15
Energiewende
Windkraft-Branche will jetzt die Wälder verspargeln
Ginge es nach dem Willen vieler Klimaschützer und der Windkraft-Lobby,
sollten auch bisher geschützte Mittelgebirge im großen Stil für Anlagen
genutzt werden. Die Deutschen allerdings begehren auf. Von Ulli Kulke
Die gute alte Bürgerinitiative, jahrzehntelang hoch gelobt als positives Element der
Demokratie, ist in Verruf geraten. Stromleitungen, Speicherbecken, Windkrafttürme – seit
solche Vorhaben für die Energiewende (Link: http://www.welt.de/themen/energiewende/) landauf, landab
ins Stocken geraten, weil sich Anwohner gegen die Anlagen vor ihrer Haustür wenden,
stehen die Mitglieder solcher Vereinigungen heute schnell im Verdacht, nur noch ihren
Egoismus auszuleben. Ihre Devise laute: Baut den Kram woanders hin, aber nicht bei uns.
Insbesondere anspruchsvolle Vorhaben für Windparks, zuletzt auch in Wäldern, scheitern
immer häufiger am Einspruch der Menschen aus den benachbarten Ortschaften. TourismusHochburgen fürchten um ihr Geschäft, Anwohner um ihren naturbelassenen Horizont. Immer
wieder provozierten sie damit den Vorwurf von Politikern, von Windkraftbetreibern, von
Klimaschützern: Grundsätzlich seien die Menschen von der Notwendigkeit des Ausbaus
überzeugt, auch auf Kosten der Landschaft. Nur wenn es um ihren Sprengel ginge, zeigten
sie sich bockig.
Das jetzt vorgelegte Ergebnis einer bundesweit durchgeführten Umfrage zeichnet ein
deutlich anderes Bild. Was den weiteren Ausbau der Windkraft
zumindest in den Wäldern angeht, gibt sich eine große
Mehrheit der Deutschen ablehnend, und zwar grundsätzlich, nicht nur als betroffener
(Link: http://www.welt.de/themen/windenergie/)
Anwohner.
Bei der vom Meinungsforschungsinstitut Emnid (Link: https://www.tns-emnid.com/) im Auftrag der
Deutschen Wildtierstiftung durchgeführten Erhebung stimmten 79 Prozent der Befragten der
Forderung zu, dass "für den Ausbau der Windenergie generell keine Waldgebiete
verschwinden oder zerschnitten werden sollten". Lediglich elf Prozent fanden es vertretbar,
den Wald im Sinne der Energiewende entsprechend in Mitleidenschaft zu ziehen. Handelt es
sich um erste Anzeichen für eine Akzeptanzkrise der Windkraft? Zumindest wohl um eine
Warnung vor dem allzu flotten Zubau der ungeliebten "Spargellandschaft".
Etwa 25.000 Windkraftanlagen stehen derzeit in der Bundesrepublik, eine auf etwa 15
Quadratkilometer – im Durchschnitt. Mitgerechnet sind dabei das Hochgebirge, Städte, Täler,
Feuchtgebiete, Einflugschneisen und andere Gebiete (bisher auch noch viele Wälder), in
denen der Bau nicht infrage kommt. Entsprechend dicht an dicht drehen sich die Rotoren auf
dem flachen Land, dort, wo der Wind weht, vor allem in Norddeutschland. Und dort wird der
Platz zunehmend knapp.
Status von Welterbestätten wäre gefährdet
Der "Bundesverband Windenergie" begehrt deshalb den Zugriff auf den Wald: "Die heutigen
Erfordernisse der Energiestrategie sind mit Windenergie in der Offenlandschaft allein nicht zu
erreichen." Während aber der Lobbyverband der Anlagenbauer sich bislang noch auf die
Wirtschaftswälder beschränken will, denkt einer der prominentesten Grünen, der Tübinger
Oberbürgermeister Boris Palmer schon einen Schritt weiter – mitten hinein in die geschützten
Wälder.
In einem Gastbeitrag (Link: http://www.welt.de/131181249) für die "Welt" schrieb er: "Wollte man alle
Landschafts- und Naturschutzgebiete, die Mittelgebirgszüge oder gar alle Flächen in
Sichtweite von Biosphärenreservaten von Windrädern frei halten, dann wäre der Ausbau der
Windkraft beendet." Prompt wies in einer Antwort auf Palmer die Präsidentin der deutschen
Unesco-Kommission, Verena Metze-Mangold, darauf hin, dass ein ungezügelter Ausbau der
Windkraft in Deutschland nach den Vorstellungen des Grünen den Status von
Welterbestätten gefährden könnte.
http://www.welt.de/politik/deutschland/article144313452/Windkraft-Branche-will-jetz... 23.07.2015
Energiewende: Windkraft-Branche nimmt deutsche Wälder ins Visier - DIE WELT
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Es sind nicht irgendwelche Wälder und beileibe nicht nur Wirtschaftsforste, auf welche die
Branche ihr Auge warf. Bekanntestes Beispiel war der Pfälzer Wald. Aber auch der
Bayrische Wald, das Fichtelgebirge, der Schwarzwald und viele mehr – kein nennenswertes
Mittelgebirge ist derzeit mehr frei von Begehrlichkeiten. Auch für manchen
Naturschutzverband, den anspruchsvollen Zielen der Energiewende zugetan, zählen
nachhaltig erzeugte Kilowattstunden bisweilen mehr als der Artenschutz. Seit das
Gründungsmitglied des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschlands, der prominente
Musiker und Dirigent Enoch zu Guttenberg, deshalb den BUND unter Protest und mit
öffentlichem Aplomb verlassen hat (Link: http://www.welt.de/106298533) , liegt der Streit offen in der
Landschaft.
Klimaschutz gegen Naturschutz. Auch nach diesem Zielkonflikt ließ die Wildtierstiftung das
Meinungsforschungsinstitut die Menschen fragen. Knapp zwei Drittel (64 Prozent) stimmten
dabei der Forderung zu, dass "im Zweifelsfall der Schutz von Vögeln oder anderen Tieren
Vorrang vor dem Bau von Windkraftanlagen" genießen solle. Nur 20 Prozent forderten
hierbei Vorrang für die Windkraft.
Den sachlichen Hintergrund dieses Konfliktes zeigte eine Studie, die dieselbe Wildtierstiftung
im vergangenen Herbst vorlegte zu den Gefahren, die von den Windkraftanlagen auf die
Fauna der Wälder ausgingen. Fritz Vahrenholt, Vorstand der Stiftung, sagte bei der
Vorstellung des Papiers: "Die Energiewende braucht eine Wende zugunsten der Natur."
Der Biologe Klaus Richarz, Autor der Studie, beklagte, dass jährlich 240.000 Fledermäuse
den Rotoren zum Opfer fallen. Sie würden von den Rotorblättern nicht unmittelbar
erschlagen, vielmehr sei es der Unterdruck auf der Rückseite der Anlagen, der die Lungen
der fliegenden Säuger zum Platzen bringe. Auch der äußerst seltene Schwarzstorch, dessen
Brutbestand am hessischen Vogelsberg nach dem Bau der dortigen Windparks sich in einem
Zeitraum von nur sechs Jahren halbierte, fliege nicht blindlings in die drehenden Flügel. Doch
der sehr empfindliche Vogel werde durch den Bau und den störenden Betrieb der Anlagen
schlicht abgeschreckt. Es seien vor allem viele Greifvogelarten, auch gefährdete, die direkt
den tödlichen Kollisionen mit den Rotoren zum Opfer fielen. Vahrenholt forderte: "Der
Ausbau von Windkraftanlagen im Wald muss gestoppt werden." Jetzt fühlt er sich durch das
Ergebnis der Emnid-Umfrage bestätigt: "Die Menschen in Deutschland wollen nicht, dass der
Wald einer eindimensionalen Klimapolitik geopfert wird."
Wer zweifelt, gilt sofort als "Klimaskeptiker"
Naturschützer Vahrenholt stellt sich für viele, denen der Klimaschutz
heilig ist, stets als ein rotes Tuch dar. Allzu verlockend ist
es dabei, seine Biografie ins Spiel zu bringen. Das SPD-Mitglied war nicht nur
(Link: http://www.welt.de/themen/klimaschutz/)
Umweltsenator von Hamburg, sondern anschließend auch bei der Deutschen Shell und bei
der RWE, bevor er zur Wildtierstiftung wechselte. Ganz klar also ein Vertreter der "alten
Energie", ein Fossil? Zu gern wird dabei vergessen, dass er bei den Energiekonzernen
gerade für die "Erneuerbaren" zuständig war, für den Ausbau der Windkraft, ein Lobbyist
(Link: http://www.welt.de/themen/lobbyismus/) also eher für nachhaltige Energieversorgung.
Weil er mit Koautor Sebastian Lüning ein Buch schrieb ("Die kalte Sonne"), in dem er die
These vertrat, dass das Klima nicht nur von menschlichem Kohlendioxid, sondern auch von
der Sonne beeinflusst wird, gilt Vahrenholt als "Klimaskeptiker". Entsprechend scharfes
Geschütz fuhr denn auch nach der Vorstellung jener Studie im November das Lobbyblatt
"Erneuerbare Energien Magazin" ("Das Infoportal für Entscheider im Bereich regenerativer
Energien") gegen ihn auf: "Klimaskeptiker Vahrenholt beauftragt Studie gegen Wind im
Wald". Dass Windkraftanlagen im Wald zu einer Gefahr für bedrohte Tierarten werden",
seien lediglich "pauschale und nicht belegte Thesen".
Die 79 Prozent der Deutschen, welche die stärkere Nutzung von Waldflächen ablehnen,
stehen jedoch nicht nur der Windanlagenbranche gegenüber. Laut einem Positionspapier
des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) aus dem Jahr 2011 werde "der Nutzungsdruck auf
Waldflächen deutlich zunehmen". Als Grund dafür führt das BfN an, was die Gegner und
Freunde des unberührten Tanns gerade abschrecken dürfte: die "technisch machbare
Anlagenhöhe von bis zu 200 m". 13,6 Prozent der deutschen Waldfläche kämen danach für
Windparks infrage. Das ist ein Siebtel.
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