Ramelows Zettel von Friedhelm Wachs Volkenroda. Landesbischöfin Ilse Junkermann spricht in der ihr eigenen fröhlichen Ernsthaftigkeit über die ethischen Grundlagen des Wirtschaftens. Sie zitiert Luther. Sie nutzt das Bild der Gemeinschaftsgerechtigkeit. In der ersten Reihe lauscht Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow ihren Worten. Jahresempfang des Arbeitskreises Evangelischer Unternehmer (AEU) in Mitteldeutschland am Donnerstag (14.4.2016) in der Mitte von Mitteldeutschland. Im Norden von Thüringen, in der Nähe von Nirgendwo. Im Kloster Volkenroda. Die Abendsonne dieses Frühlings fällt auf Ramelow durch die Fenster des Klosterkonvents. Plötzlich kramt er in seiner Jackettasche, findet nicht, was er sucht, greift in die Hosentasche. Hinten. Umständlich. Er zieht sein Portemonnaie hervor. Plattgedrückt ist es, lange nicht gebraucht. Junkermann spricht währenddessen weiter. Er öffnet die Geldbörse, nestelt eine Plastikhülle aus dem Fach hervor, wo sonst nur die selten gebrauchten Dinge in einer Geldbörse verschwinden, in dieser Art Geheimfach. Sperrig klebt das Plastik im Portemonnaie fest. Kreditkarten, Ausweise scheinen nicht das, was er sucht. Aber er sucht. Junkermann spricht weiter. Auch diese transparente Plastikhülle ist zusammengeklappt, die beiden Seiten kleben aneinander. In ihr ein Zettel, die Schrift nach innen zusammengefaltet. Bodo Ramelow fingert ihn heraus, öffnet ihn, liest. Alt sieht er aus, der Zettel. In Bodo Ramelow kehrt Ruhe ein. Zwischen Daumen und Zeigefinger hält er nun diesen Zettel. Fest. Als wäre es ein Wahlzettel im Landtag. Bedeutungsvoll. Als würden der Zettel und er miteinander kommunizieren. Sich gegenseitig Kraft geben. Er lauscht wieder Junkermann. In sich ruhend. Der Zettel und Ramelow halten sich auch weiter fest, als Christian Treumann auf dem Flügel virtuos Johann Sebastian Bach in einer Fassung von Franz Liszt darbietet. Bodo Ramelow schließt die Augen, versinkt in der Musik. Den Zettel haltend wie ein ruhiges Kind an der Hand. Entspannt und doch auftankend. Eine Gemeinschaft, der Zettel und Ramelow. Und dann steht er auf, ganz Ministerpräsident, den Zettel, das Kind in der Hand. Jetzt führt er. Und legt los. Es gebe in seiner Partei viele, die auf den Staat setzten. Er halte denen dann gerne die Realität entgegen. Umerziehen würde nicht funktionieren, denn auf jedes Gesetz käme mindestens einer, der es clever zu umgehen verstehe. Und dadurch zum Helden werde. Auf den Menschen käme es deshalb an, auf seine Haltung, nicht auf den Staat. Er öffnet den bis dahin gefalteten Zettel, hebt ihn an. Der, sagt Thüringens Ministerpräsident, begleite ihn jetzt weit über 20 Jahre und er beschreibe seine Haltung. Aus seiner christlichen Überzeugung würde er handeln und dies sei auch seine Maxime für die Wirtschaft. Er sei Paulus dankbar, diesem Übersetzer, ohne den aus der jüdischen Sekte nie diese Weltreligion Christentum geworden wäre. Aus dem Brief von Paulus an die Philipper, 2. Kapitel, trägt er die Verse 3 und 4 vor. Trägt vor, was ihn trägt: „Weder Eigennutz noch Streben nach Ehre sollen euer Handeln bestimmen. Im Gegenteil, seid bescheiden, und achtet den anderen mehr als euch selbst. Denkt nicht an euren eigenen Vorteil, sondern habt das Wohl der anderen im Auge“, steht auf dem Zettel. Und in einer ruhigen Stimme, ganz von innen heraus, wiederholt er diese Sätze auswendig: „Weder Eigennutz noch Streben nach Ehre sollen euer Handeln bestimmen. Im Gegenteil, seid bescheiden, und achtet den anderen mehr als euch selbst. Denkt nicht an euren eigenen Vorteil, sondern habt das Wohl der anderen im Auge.“ Dann legt er los über die Herausforderungen der sozialen Marktwirtschaft, über Großbanken, too big to fail, wegen denen nun die kleinen Genossenschaftsbanken und Sparkassen unter Regulierungen ächzten, über Altersarmut und den Unsinn von Riester. Über Norbert Blühm. Und in allem, so scheint es, trägt ihn der Inhalt seines Zettels. Das ist es, was den Unterschied macht: Haltung.
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