Handelsblatt Research

Rogoff-Interview:
Chinas Delle muss sein
Düsseldorf, 11. September 2015
Gregor Peter Schmitz
Kenneth Rogoff, 62, gehört zu den Ökonomen, die längst die Enge der Denkstube hinter sich gelassen haben und deren
Thesen weltweite Resonanz finden. Nicht, dass Rogoff in der Denkstube unbegabt wäre, er ist immerhin Thomas D.
Cabot Professor of Public Policy an der Harvard-Universität. Doch der Amerikaner hat zudem schon als IWFChefökonom aktiv Krisenmanagement betrieben - und sein Buch „Dieses Mal ist alles anders. Acht Jahrhunderte
Finanzkrisen" traf zum Ausbruch der jüngsten Weltfinanzkrise so einen Nerv, dass Rogoff danach bei US-Präsident
Barack Obama und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ein- und ausging. Ist der leidenschaftliche Schachspieler
bei Mächtigen zu Mittagsterminen geladen, befolgt er einen einfachen Trick. Er isst vorher: „Ich will nicht mit Obama
zusammensitzen und nur an das Essen denken", sagt Rogoff.
Herr Rogoff, mögen Sie Krisen?
Wie meinen Sie das?
Ihre Reputation beruht maßgeblich darauf, dass Sie als einer der wenigen Ökonomen die Euro-Krise
vorhergesagt haben. Seit Jahren warnen Sie auch vor einem Abschwung in China. Und erneut scheinen Sie recht
zu behalten.
Ich mag einen Satz des MIT-Ökonomen Rudi Dornbusch, der einst sagte, in der Ökonomie dauerten Dinge immer
länger, als man denkt - aber wenn sie passierten, käme alles schneller als gedacht.
Das müssen Sie uns erklären.
Gerade vor Finanzkrisen sind die möglichen Gründe dafür ja oft nicht unbekannt. Viele denken dann, es müsse schon
früher krachen, aber dann passiert lange doch nichts. Dann steht man als Krisenprophet ziemlich alleine. Wenn dann
aber was passiert, verläuft die Reaktion besonders heftig. Auch weil Leute geneigt sind zu sagen: War ja glasklar, dass
es dazu kommen musste, also reagieren wir nun besonders extrem.
Gilt der Satz nun auch für China, wo die Aktienkurse ins Bodenlose taumeln?
China war lange ein Beleg für die Vertreter einer anderen verbreiteten These: dass dieses eine Mal ausnahmsweise alles
anders ist und es nicht zu einer Krise kommen wird. Argumente dafür gab es viele: Die chinesische Spitze hat die
Wirtschaft lange hervorragend gemanagt. Chinesen arbeiten hart, sie sparen viel, das Land verfügt zudem über
gewaltige Devisenreserven.
Und nun scheint die Party dennoch vorbei.
Ich sehe in China natürlich keine Krise wie in Griechenland voraus. Aber zu sagen, dass die Chinesen keine erhebliche
Wachstumsdelle verkraften werden müssen, ist wirklich naiv. Die muss kommen. Das Land kann nicht 30 Jahre lang
ohne Rückschlag wachsen. Dafür sind Verschuldung und politische Probleme dort schlicht zu groß.
Meinen Sie die Schattenbanken, die maroden Staatsbetriebe, die hohen öffentlichen Schulden?
Ich meine das eher prinzipiell. China versucht derzeit einen Kurswechsel: von einer Volkswirtschaft, die 50 Prozent
ihres Bruttoinlandsproduktes investiert und ganz überwiegend vom Export lebt, hin zu einer, die sich eher auf
heimische Konsumenten verlässt. Dieser Übergang ist extrem schwierig. Selbst wenn er gelingt, wird die chinesische
Wirtschaft langsamer wachsen.
Und wenn es zu einem Zusammenbruch der Finanzmärkte käme - wäre dann auch soziales und politisches
Chaos programmiert?
Chinas Präsident Xi Jinping hat so viel Macht angehäuft wie wohl keiner seiner Vorgänger seit Mao. Wir können seine
starke Stellung durchaus mit der von Wladimir Putin in Russland vergleichen. Also muss die Krise nicht unbedingt zum
politischen Chaos führen. Ganz sicher wird es aber zu gewaltigen sozialen Spannungen kommen, sollte die Wirtschaft
langsamer wachsen.
Weil die Partei schnelles Wachstum garantiert hat?
Darauf beruht die Glaubwürdigkeit der Kommunistischen Partei. Sie liefert ja auch Wachstum, aber in einer Weise, die
auf keinen Fall aufrechtzuerhalten ist. Das würden Parteifunktionäre selber zugeben.
Wie offen sind die Chinesen für Ratschläge?
Sehr offen. Natürlich reden sie nicht mit Journalisten. Aber intern diskutieren die Machthaber seit Langem
ungeschminkt die Gefahren einer Abschwächung. Präsident Xi Jinping hat zu Beginn seiner Amtszeit gesagt, wir
werden irgendwann diese Krise erleben - und ich versuche, den Wandel schnell in meiner ersten Amtszeit einzuleiten,
damit ich die Vorgängerregierung dafür verantwortlich machen kann. Aber man muss auch sagen: Bislang war Xi
Jinping erfolgreicher darin, größere politische Kontrolle zu erlangen, als die nötigen wirtschaftlichen Reformen
anzugehen.
Seine politische Glaubwürdigkeit ist auch angeknackst, weil die Regierung gerade nach Chemieunfällen hilflos
agierte.
Hinzu kommt der Frust über Umweltprobleme! Je reicher die Chinesen werden, desto unattraktiver ist Wachstum um
jeden Preis.
Wird sich die Kommunistische Partei von ihrem Wachstumsversprechen verabschieden?
Auf keinen Fall. China will weiter als aufsteigende Supermacht gelten. Dazu gehört unbedingt Wirtschaftswachstum.
Wie wird die Krise Chinas Ehrgeiz bremsen, international mehr Einfluss zu erlangen?
Die Chinesen dachten, ihre Devisenreserven im Wert von rund vier Billionen Dollar machten sie unverwundbar. Aber
allein im letzten Monat haben sie Hunderte Milliarden Dollar verloren. Sie werden gewiss etwas weniger großzügig
werden. Doch sie wollen weiter international mitmischen. Und für die Welt ist ein stabiles und engagiertes China ja gut.
Wäre das Land instabil, könnte es nach Feinden außerhalb suchen. So wie wir es in Russland erleben, wo die
Ukrainekrise zumindest politisch gelegen kam, um von der instabilen Wirtschaftslage daheim abzulenken.
Stabilität ist derzeit auch in Europa dringend gesucht, vor allem in Griechenland. Wie beurteilen Sie die
Regierung dort?
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Die Syriza-Regierung hat nicht nur reihenweise Versprechen gebrochen, sie erwies sich auch als spektakulär
inkompetent.
Trotzdem haben die Geberinstitutionen mit ihr ein weiteres Hilfspaket vereinbart.
Dieses Paket bietet höchstens temporäre Linderung. Die zentrale Frage ist doch: Werden die Griechen bereit sein, sich
selbst aus der Misere zu befreien, oder machen sie Deutschland weiter für all ihre Probleme verantwortlich? Tun sie
Letzteres, müssen sie irgendwann die Euro-Zone verlassen.
Sie selbst wollten aber großzügiger sein als die Bundesregierung und die griechischen Schulden massiv erlassen.
Die Ironie ist: Selbst dann wäre das Land weiter auf Hilfe angewiesen, denn seine Institutionen wären ja nicht
reformiert.
Also ist Griechenland eher ein Fall für die Weltbank, also für die Entwicklungshilfe?
Ja, das trifft es ziemlich gut. Das Land wird dauerhaft Hilfe brauchen. Und das ist keine gesunde Entwicklung, vor
allem weil Griechenland ja keineswegs das ärmste Land in der Euro-Zone ist.
Verstehen Sie die harte Verhandlungslinie von Finanzminister Wolfgang Schäuble, der mit einem Grexit auf
Zeit liebäugelte?
Viele Syriza-Leute haben überlegt, dass Griechenland zumindest eine Weile den Euro verlassen könnte. Auch ich
glaube, dass Griechenland sich so eher erholen könnte.
Aber dies als Politiker auszusprechen, ist etwas anderes.
Wer Schäubles Haltung als hart bezeichnet, muss genau hingucken, was damit verbunden war. Deutschland hätte
Nothilfe gewährt, Schuldenerlasse erwogen. Dass sich in den Verhandlungen nur Deutschland durchgesetzt hat, ist aus
meiner Sicht falsch. Eigentlich sind die Franzosen doch mit ihrem milderen Kurs durchgekommen.
Dennoch stand Deutschland als Totengräber der europäischen Idee da.
Es war einfach lächerlich, dass Leute wie US-Nobelpreisträger Paul Krugman den Deutschen vorwarfen, sie hätten
Griechenland zu massiven Einsparungen gezwungen. Das entspricht schlicht nicht den Zahlen.
Krugman und andere haben Athen auch geraten, Deutschland offen herauszufordern, statt Reformen
anzugehen.
Unfassbar, das war teuer für die Griechen und so irreführend. Schauen Sie sich doch das IWF-Programm für
Griechenland an: Das war eines der großzügigsten Programme in der Geschichte der Institution. Dass die Anpassung in
Athen so hart ausfallen musste, ist dem Umstand geschuldet, dass die Griechen Haushaltsdefizite von bis zu zehn
Prozent angehäuft haben. Die einzige Alternative dazu, dieses Defizit zu schließen, wäre eine deutsche Garantie für alle
griechischen Schulden gewesen, ohne Zeitbeschränkung. Schlicht unmöglich.
Haben auch die Griechen das Vertrauen in ihre Regierung verloren?
Dafür spricht, dass sie ihr Geld in Sicherheit bringen. Binnen Monaten haben griechische Bürger sehr viele Milliarden
Euro von ihren griechischen Konten abgehoben.
Wird der IWF bei einem dritten Hilfspaket für Griechenland mitmachen? Seine Chefin Christine Lagarde
zögert, weil die Schuldentragfähigkeit des Landes nicht gegeben sei.
Der IWF befindet sich wirklich in einer schwierigen Lage. Viele Mitgliedstaaten aus ärmeren Weltregionen sind
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stinksauer über die großzügigen Kreditbedingungen für Griechenland. Sie wollen die gleiche Behandlung. Doch ließe
der IWF dies zu, würden seine Reformprogramme dort genauso wenig funktionieren wie in Griechenland.
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