Deutsche und österreichische Facharbeiter in der Sowjetunion Ende der 20er, Anfang der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts bekamen viele ausländische Facharbeiter die Möglichkeit, in die Sowjetunion zu gehen, um dort am Aufbau des Landes mitzuhelfen. Man umwarb die ausländischen Arbeiter, da es im eigenen Land an gutausgebildeten Fachkräften für die Großprojekte des 1. Fünfjahrplans mangelte. Anreiz für die Ausreise in die Sowjetunion waren die große Arbeitslosigkeit im Heimatland und die vielen Privilegien, die die Sowjetunion (zumindest in den Anfangsjahren) den ausländischen Facharbeitern einräumte. Als in den Jahren 1930/31 die Nachfrage an Arbeitskräften stark anstieg, erhielten auch unqualifizierte Arbeiter die Erlaubnis, in die Sowjetunion zu emigrieren. Die ausländischen Facharbeiter wurden vom „Auslandsbüro des Zentralrates der Gewerkschaften der Sowjetunion“ (INO - Büro WZSPS) betreut. Diese Instanz war eine Abteilung des Zentralrates der Gewerkschaften und hatte genau festgelegte Aufgaben. Sie kümmerte sich um Produktion, Kultur, Verbesserung des Lebensstandards, Überwachung der Eingliederung und sinnvolles Einsetzen der Arbeitskräfte, Kontrolle und Überwachung der Vorschläge der Ausländer. Man gab sich viel Mühe bei der Gestaltung der Freizeitbeschäftigungen für die Ausländer. Wandzeitungen, Bibliotheken und Theatergruppen wurden eingerichtet, Sprach- und Technikkurse angeboten. Von den zahlreichen Möglichkeiten waren die Sportangebote die am meisten besuchten, da die Arbeiter dort von politischer Propaganda verschont blieben. Mit der Kulturarbeit versuchte man auch, die Ehefrauen der Facharbeiter anzusprechen: zahlreiche Kurse wie beispielsweise über Haushaltsführung wurden angeboten. Es wurden regelmäßig Betriebsversammlungen abgehalten, bei denen nicht, wie man erwarten könnte, Meinungsaustausch und Diskussionen im Vordergrund standen. Vielmehr verliefen sie oft chaotisch, weil sich die Arbeiter verspäteten. Die Versammlungen wurden zudem als eher langweilig empfunden, weil lange Reden vorgetragen und Diskussionen kurz gehalten wurden. Es herrschten schlechte Verhältnisse in den Betrieben. Man arbeitete ohne System, so dass dabei Rohstoffe und menschliche Arbeit verschwendet wurden. Mangelhafte Sicherheitsvorkehrungen führten zu vielen Arbeitsunfällen. Noch häufiger kam es zu Erkrankungen auf Grund schlechter Hygieneverhältnisse in den Toiletten und Küchen der Betriebe. Dies wirkte sich demotivierend auf die ausländischen Arbeiter aus. Die größten Rückreisewellen fanden in den Jahren 1933/34, 1935 und 1937 statt. 1933/1934 kehrten viele Arbeiter in ihre Heimat zurück, weil sie krank wurden oder nicht mehr ausreichend Gehalt bekamen. Auch gab es Mitte der 30er Jahre wieder bessere Möglichkeiten, in Deutschland Arbeit zu finden. Der starke Preisanstieg der Lebensmittel in der Sowjetunion wie die wachsende Ablehnung der ausländischen Arbeiter waren weitere Rückkehrmotive: In der UdSSR glaubte man, schon genügend eigene Arbeiter ausgebildet zu haben und daher auf das Wissen der Ausländer nicht mehr angewiesen zu sein. Die sowjetischen Behörden und Betriebe versuchten nun, die ausländischen Facharbeiter wieder zur Abreise zu bewegen. Am einfachsten ging dies, indem man den Arbeitsvertrag oder die Aufenthaltsgenehmigung nicht mehr verlängerte. Gegen 1932 begannen die ersten politischen Verhaftungen unter den Facharbeitern, wobei der Hauptanklagepunkt meist im Vorwurf der Spionage lag. Die genaue Zahl der Facharbeiter, die während des Terrors ums Leben kamen, ist nicht bekannt. Den meisten Verhaftungen folgte, sofern die Gefangenen überlebten, die Ausreise oder während des Hitler-Stalin-Paktes die Auslieferung an die Gestapo. Lilli Ruks Quellen: Barry McLoughlin / Hans Schafranek / Walter Szevera: Aufbruch, Hoffnung, Endstation. Österreicherinnen und Österreicher in der Sowjetunion 1925-1945, Wien 1997
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