POMP FUNEBRE Tradition hat hier Tradition

POMP FUNEBRE
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Tradition hat hier Tradition - im 23.Wiener Gemeindebezirk Mauer, einem traditionell
konservativen, biederen, idyllischen Randbezirk im Südwesten der Großstadt: gemütlich aber
nicht langweilig, nobel aber nicht versnobt, ein bisschen Biedermeier, viel Nostalgie, kein
Pomp. Gemütlich zockelt der Sechziger seiner Endstation entgegen. Der Kirchturm am
Maurer Hauptplatz mit seinem barocken Zwiebelhut schaut Richtung Maurer Friedhof, und
dort gibt es doch etwas Pomp zur Tradition: POMP FUNEBRE, Ur-Wiener Friedhofskultur.
Mit Gesang.
Natürlich ist es den vier singenden Herren unserer Geschichte bewusst, dass sie als Friedhofsänger in Mauer leider bestenfalls zweite Garnitur sind. Erste Garnitur sind die Vier aus dem
Opernchor. Diese bedienen die Prominentenviertel und den Zentralfriedhof nahe dem Haupteingang. Für unsere Vier bleiben die Stätten ab Tor 2 bis 3.Tor, dahinter liegen die Ruhestätten
der Muslime, die solche Dienste aber nicht in Anspruch nehmen. Und es bleiben ihnen die
Randbezirke, wie Mauer eben.
Unsere vier Wiener Sänger sind: Layos, ungarischer Herkunft und Bass; Wenzel, Tscheche
und Tenor; und Yu-ki, Japaner mit Begabtenstipendium und sehr hohem Tenor, und Schorsch,
ein echter Wiener Bariton mit zweifelsfreiem Hintergrund: er ist hauptsächlich Heurigensänger. Vom Fiakerlied, „Stellt’s meine Ross in Stall“ bis „Näher, mein Gott zu dir“ hat er
alles im Repertoire.
Die ernsthafte Berufsauffassung unseres Quartetts ist zu würdigen: strenges Outfit
(„Gwandl“) - schwarzer Mantel, Hut, Handschuhe. Mag der Westwind noch so grimmig über
die Perchtoldsdorfer Heide hereinpfeifen, mag das pannonische Klima Sommertemperaturen
von über 35 Grad über die Grabsteine stülpen - schwarz, hochgeschlossen und keine
Kompromisse! Das hat ihnen das Prädikat „Wiener Sänger-Raben“ eingebracht.
Fix ist ihr Auftreten mit Notenpulten: zusammenklappbare Gestelle mit schwarzpappkartonener Notenablage, Silberprägung mit Lesezeichen aus Kranzschleifenseide.
(Obwohl nicht erwiesen ist, ob diese Herren überhaupt vom Blatt singen können.) Ihr
Repertoire können sie auswendig:
„So nimm denn meine Hände und führe mich“ Oder das Hobellied: „Da leg’ ich meinen Hobel hin und sag’ der Welt adé…“
„Amazing grace“ ist auch ein Hit. Da kann mann Layos’ Akzent mühelos unterbringen. Mit
Schorschs LA-LA-LA für die verschiedenen Stimmlagen, nach gebührendem Räuspern und
Einsatzgeben durch Abheben des Kinns steht dem Auftritt nichts mehr im Wege, wie
gewünscht, wie von den Hinterbliebenen ausgewählt und zu bezahlen. Den religiösen Maurer
Wurzeln ist mit dieser Besetzung schwer Genüge zu tun: ein japanischer Buddhist und zwei
Atheisten aus dem Osten! Zu einer stimmigen Verabschiedung würde auf jeden Fall ein
Geistlicher mit Ministranten und Weihwasserwedel gehören, aber für die Ausgetretenen gibt
es das ja nicht mehr. Schorsch und Co. sind jetzt immer öfter optischer Ersatz für den Pfarrer
und psychischer Ersatz für Weihrauch und Tränen. Das oft gewünschte „Ave Maria“
übernimmt Schorsch generell selbst: Vom Japaner gesungen,, verkäme es zu einer KaraokeShow, und auch tschechischer und ungarischer Akzent macht sich auf Avä nicht stimmig.
Friedhofsingen hat mit Psychologie zu tun, und so kann durchaus das Andreas-Hofer-Lied für
einen in Mauer dahingegangenen Tiroler Schützen oder das ergreifende „Verlassn, verlassen
bin i“ für einen Kärntner Ortstafelkämpfer das Passendste sein. Schorsch empfiehlt auch
gerne „Fein sein, beinander bleibn“ für Geschiedene, Witwen und Witwer. Einfühlungsvermögen erhöht den Umsatz. Es geht ja nicht mehr um Entscheidungen für das Leben,
ganz im Gegenteil.
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Ein dem Anlass entsprechendes Auftreten wird bei aller Hetze nicht vernachlässigt. Es gehört
sich einfach, pünktlich dazustehen, sei es in der Aufbahrungshalle oder am offenen Grab. Es
gehört sich, nach dem Singen und der diskreten Übernahme des Kuverts leise und unauffällig
wieder zu verschwinden - ausgenommen Schorsch. Es ist eine Wiener Tradition, die Toten
hoch leben zu lassen, und so wird Schorsch gelegentlich gleich weiter verpflichtet (ein
kariertes Sakko hat er für alle Fälle im Kofferraum) zur „schönen Wiener Leich’ ,“ jetzt trink
ma noch a Flascherl Wein, holladaro, beim Heurigenwirt am Maurer Wald oberhalb der
Leitengasse.
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In letzter Zeit macht sich Schorsch Sorgen um den Fortbestand des Friedhofsängerquartetts:
Wenzels Tenor-Tremolo klingt manchmal schon wie Parodie mit bähmisch Knädel im Hals.
„Aner hat immer das Bummerl, meint Wenzel wehmütig und singt „schön ist die Ju-hugend“.
Sie kommt nicht mehr.
Layos überlegt, sich selbständig zu machen. Friedhofsingenn auch in Budapest!! Es wird ihm
nicht gelingen, der Mentalitätsunterschied zu Mauer ist zu groß. So etwas kann man nicht
einfach aus der Pußta stampfen. „Wenn der Herrgott ned will, nutzt des gar nix“.
Yu-ki ist ehrgeizig. Sein Begabtenstipendium lässt ihn zum Opernchor schielen. Er schwänzt
in letzter Zeit Termine.. Und sein angeborenes Lächeln ist eigentlich geschäftsschädigend.
„Mach keine Umständ’, geh.“
Schorsch selber, typisch Wiener, sehnt sich nach einem frühpensionsähnlichen Status,
besonders wenn die Winterstürme über die Heide erbarmungslos unter seinen schwarzen Hut
fahren, sein Tinnitus erbärmlich pfeift und er sich nach Veränderung sehnt: nach einer
warmen Pudelmütze, nach einer heißen Rindsuppe mit Frittaten und einem warmen Platzerl
beim Schnitzelwirt.
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Und dann standen Schorsch und seine Kollegen noch einmal vollzählig auf dem Maurer
Friedhof, am Tag vor Weihnachten, einem Vater und zwei kleinen Kindern gegenüber, die sich
für ihre Mama „Stille Nacht, heilige Nacht“ gewünscht haben, „schlafe in himmlischer Ruh“
…
Da waren schlagartig alle eigenen Beschwernisse weg und vergessen, die kalten Füße und der
raue Hals und der ganze Pomp funèbre. Da ist in unserem Quartett alles zusammengeschmolzen wie Kerzenwachs, die ganze Psychologie und der Buddhismus und Atheismus
und das goldene Wiener Herz, wie sie da in der Eiseskälte gestanden sind vor dem heiligen
Abend, vor der kleinen traurigen Dreiviertelfamilie.
Nein, dieses Kuvert haben sie nicht angenommen, natürlich nicht. Das ist für die Kinder,
haben sie gesagt und haben verlegen die Taschentücher in ihren Mantelsäcken zerknüllt.
Denn Friedhofssingen ist mehr als bloßes Geldverdienen. Es ist kultisch und ernst und
tieftraurig und urkomisch und kult-kulturell gewachsenes Pomp-funèbre Ritual in Wien,
schwer beschreiblich, endlich und ehrlich. Mehr als Geldverdienen, jawohl.
Auch in Mauer. Na, selbstverständlich: Schorsch anrufen, Termin vereinbaren …
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