Ai B 1 0 | 201 4 Abnicken oder prüfen grundlagen der betriebsratsarbeit Abnicken oder prüfen wirtschaftsprüfung Der Jahresabschluss zeigt die wirtschaftliche Lage des Betriebs. Die wichtigsten Punkte zur Prüfung und dazu, wann Betriebsräte nachhaken sollten. VO N JOAC H I M E I S BAC H UND A N DREA ROT HKEGEL D as Oberlandesgericht Saarbrücken hat Mitte vergangenen Jahres einen Abschlussprüfer vom Vorwurf einer Reihe von Verstößen bei der Abschlussprüfung frei gesprochen. In der Zeitschrift „Steuern und Bilanzen (StuB)“ ist dieses Urteil heftig kritisiert worden. Der Autor der Kritik sieht eine „neue Variante der Erwartungslücke“ drohen: „Denn die Öffentlichkeit kann – oder muss (?) – das Urteil so lesen: Die Wirtschaftsprüfung erschöpft sich in der vertrauensseligen Entgegennahme von Auskünften und Unterlagen des geprüften Unternehmens, stellt also eine Nichtprüfung dar.“1 eine Verbindlichkeit gegenüber einem nahestehenden Unternehmen nicht ausgewiesen worden. Statt eines positiven Eigenkapitals hätte sich bei einer korrekten Prüfung eine bilanzielle Überschuldung herausgestellt. Der Insolvenzverwalter war der Ansicht, dass dem Abschlussprüfer der Sachverhalt bei einer sorgfältigen Prüfung hätte auffallen müssen, womit das Unternehmen früher einen Insolvenzantrag hätte stellen müssen. Stattdessen sei die Insolvenz mit einem erheblichen Schaden für die Insolvenzmasse verschleppt worden. Der beklagte Abschlussprüfer hielt dagegen und bekam vom Gericht Recht. Der Fall, um den es ging Auswirkungen auf Betriebsräte Worum ging es in dem Prozess?2 Ein Insol venz verwalter hatte einen Abschlussprüfer auf Schadensersatz verklagt, weil er einen uneinge schränkten Bestätigungsvermerk erteilt hat. Etwa ein Jahr später erstattete der Geschäfts führer des betreffenden Unternehmens Selbstanzeige wegen umfangreicher Bilanzmanipulation und stellte unmittelbar danach einen Insolvenzantrag. Er wurde später wegen Betrugs verurteilt. Der eingesetzte Insolvenzverwalter argumentierte nun, dass der Bestätigungsvermerk nicht nur nicht hätte erteilt werden dürfen, sondern wegen der Bilanzfälschung hätte versagt werden müssen. Der Abschlussprüfer habe sich bei der Inventur auf Mitteilungen der Lagerhaltung verlassen und nicht auf einen Systemausdruck bestanden, sondern sich mit Excel-Ausdrucken zufrieden gegeben, die durch den Geschäftsführer manipuliert waren. Stichproben wurden so gezogen, dass eine Überprüfung des unteren Preissegments der bevorrateten Handelswaren unterblieben sei. Somit wurden deutlich überhöhte Warenbestände ausgewiesen. Ferner sei Auf die Arbeitnehmervertretung im Unternehmen gewendet, die in vielen Fällen (zum Beispiel: Sanierungsbeiträge, Interessenausgleich) auch auf die Richtigkeit der Jahresabschlüsse angewiesen ist, stellt sich die Frage: Kann sich ein Mitglied des Betriebsrats oder des Wirtschaftsausschusses ohne weiteres darauf verlassen, dass die Jahresabschlüsse sorgfältig geprüft wurden, sie also ein den „tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage“ (§ 322 HGB) vermitteln und folglich zurecht einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk tragen? Anforderungen an die Abschlussprüfung Um sich dazu eine Meinung zu bilden, erscheint es sinnvoll, sich zu vergegenwärtigen, was unter einer sorgfältigen Prüfung verstanden wird. Zur Erinnerung: Den Jahresabschluss stellen die Unternehmen auf (§§ 264, 290 Handels gesetzbuch, HGB); die Wirtschaftsprüfer haben ihn unvoreingenommen und un- darum geht es 1. Die Anforderungen an die Bestätigungsvermerke von Abschlussprüfern bei dem Jahresabschluss sind hoch. 2. Dies zeigt auch eine aktuelle Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf. 3. Mitglieder des Betriebsrats oder Wirtschaftsausschusses können Verstoßrisiken bei der Prüfung eindämmen helfen. begriff Bei der Jahresabschlussprüfung stellt ein Abschlussprüfer für den den Jahresabschluss eines Unternehmens fest, ob Gesetze, Satzungen, der Gesellschaftsvertrag, die Grundsätze ordnungs mäßiger Buchführung und die Rechnungs legungsvorschriften eingehalten wurden. 1 W.-D. Hoffmann, Wirtschaftsprüfung bei fraud, in: Steuern und Bilanzen, Nr. 22, S. 837 f. 2 Saarländisches Oberlandesgericht v. 18.7.2013 – 4 U 278/11–88. 59 BUND_AiB14-10_RZ.indd 59 12.09.14 13:24 grundlagen der betriebsratsarbeit Abnicken oder prüfen AiB 10 | 2014 unterschiede in den bilanzen definition Bilanzen vor und nach geänderten Warenbeständen und Verbindlichkeiten: APAK Die Abschlussprüfer aufsichtskommission (APAK) ist unabhängig und frei von Weisungen für die öffentliche fachbezogene Aufsicht über die Wirtschafts prüferkammer (WPK) und die dort vereinigten Abschlussprüfer zuständig. Die Fachaufsicht der APAK erstreckt sich auf Aufgaben der WPK nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Wirtschaftsprüfer ordnung gegenüber den Mitgliedern, die befugt sind, gesetzliche Abschlussprüfungen durchzuführen oder die solche ohne diese Befugnis tatsächlich durchführen. Darüber hinaus ist die APAK für die Organisation und Durchführung der anlassunabhängigen Sonderuntersuchungen (§§ 61 a Satz 2 Nr. 2, 62 b Absatz 1 Wirtschafts prüferordnung) unmittelbar verantwortlich. vorher nachher Aktiva Passiva Aktiva Eigenkapital Vermögen, unter Berücksichtigung niedrigerer Warenbestände Vermögen, inkl. erhöhter Warenbestände Schulden Bilanzsumme Passiva nicht durch Eigen kapital gedeckter Fehlbetrag Schulden (inkl. Verbindlichkeit gegenüber nahestehendem Unternehmen) Bilanzsumme Quelle: eigene Grafik (EWR) parteiisch auf seine Richtigkeit hin zu prüfen (§ 316 HGB). Das betrifft auch das Aufdecken von Unrichtigkeiten und Verstößen, auf die die Interne Revision und das Interne Kontroll system (Compliance) gerichtet sind. Zur Aufgabe der Wirtschaftsprüfer heißt es in § 323 HGB nur allgemein, dass der Abschlussprüfer „zur gewissenhaften und unparteiischen Prüfung und zur Verschwiegenheit verpflichtet“ ist. Ähnlich interpretationsoffen heißt es in der Wirtschaftsprüferordnung (§ 43 WPO): „Der Wirtschaftsprüfer hat seinen Beruf unabhängig, gewissenhaft, verschwiegen und eigenverantwortlich auszuüben.“ Diese Generalnorm wird in Prüfungsstandards (PS) des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland (IDW) konkretisiert: „Ziele und allgemeine Grund sätze der Durchführung von Abschlussprüfungen“ streben an, dem Adressaten zu ermöglichen, „die Glaubhaftigkeit der Buchführung, des Jahresabschlusses und ggf. des Lageberichts besser einzuschätzen.“3 Dabei ist die „Abschlussprüfung mit einer kritischen Grundhaltung zu planen und durchzuführen; die erlangten Prüfungsnachweise sind kritisch zu würdigen. Der Abschlussprüfer muss sich stets darüber im Klaren sein, dass Umstände (Fehler, Täuschungen …) existieren können, aufgrund derer der Jahresabschluss und der Lagebericht wesentliche falsche Aussagen enthalten. Er kann daher nicht ohne weiteres im Vertrauen auf die Glaubwürdigkeit der gesetzlichen Vertreter von der Richtigkeit ihrer Auskünfte ausgehen, sondern muss sich diese belegen lassen und die Über- zeugungskraft dieser Nachweise würdigen. Bei Anhaltspunkten für Verstöße … hat er ergänzende Prüfungshandlungen vorzunehmen …“. Aber: „Die Adres saten können jedoch nicht davon ausgehen, dass die Prüfungsaussagen des Abschlussprüfers eine Gewähr für die zukünftige Lebensfähigkeit des Unternehmens oder die Effektivität und Wirtschaftlichkeit der Geschäftsführung darstellen.“ Art und Umfang der Prüfung bestimmen sich nach dem einzelfallbezogenen Ermessen des Prüfers. Sie sind so zu bestimmen, „dass unter Beachtung des Grundsatzes der Wesentlichkeit (und Wirtschaftlichkeit – die Verf.) die geforderten Prüfungsaussagen möglich werden“ und mit hinreichender Sicherheit getroffen werden können. „Hinreichende Sicherheit bedeu tet nicht absolute Sicherheit, die bei der Abschlussprüfung nicht zu erreichen ist. Immer besteht dabei jedoch die Gefahr, dass Fehler unentdeckt bleiben. „Aus der nachträglichen Entdeckung eines Fehlers kann daher nicht zwingend auf berufliches Fehlverhalten des Ab schluss prüfers geschlossen werden.“ Darauf bezog sich denn auch das Oberlandesgericht: Die Haftung des Abschlussprüfers aus Verletzung seiner Prüfungspflichten tritt hinter die vorsätzliche Bilanzfälschung des Geschäftsführers zurück. Risikoorientierte Planung der Prüfung Wo es um das Erkennen von Unregelmäßigkeiten geht, die aus dem absichtlichen Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften resultieren 3 IDW PS S. 200 60 BUND_AiB14-10_RZ.indd 60 12.09.14 13:24 Ai B 1 0 | 201 4 (Täuschungen, Vermögensschädigungen; auch als „Fraud“ bezeichnet), kommt der IDW PS 210 „Aufdeckung von Unregelmäßigkeiten im Rahmen der Abschlussprüfung“ ins Spiel. Der Standard konkretisiert die Vorschrift nach § 317 HGB, wonach die Prüfung so anzulegen ist, dass Unrichtigkeiten und Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften, Gesellschaftsvertrag oder Satzung „bei gewissenhafter Berufsausübung erkannt werden“ (risikoorientierter Prüfungsansatz). Damit ist jedoch keine gezielte und von tiefem Misstrauen geprägte Untersuchung gemeint – wie etwa bei einer Unterschlagung. Im „Normalfall“ und bei fehlenden Hinweisen auf wesentliche Unrichtigkeiten und Verstöße „kann der Abschlussprüfer die Buchführung und den Abschluss sowie den Lagebericht als ordnungsgemäß akzeptieren und bestätigen. Gleichwohl darf ein Abschlussprüfer das Risiko von Fehlern und Verstößen nicht aus dem Auge verlieren. Er muss seine Prüfung mit Rücksicht auf besondere Risikofaktoren planen. Dazu sind eventuelle Auffälligkeiten und ungewöhnliche Geschäfte zu registrieren und bisherige Erfahrungen zu verarbeiten. Nachvollziehbarkeit und Lückenlosigkeit Die Nachvollziehbarkeit und Lückenlosigkeit von Dokumentationen, beispielsweise bei Änderungen von IT-Programmen und der Zugriff darauf, spielen ebenso eine Rolle wie hohe Provisionen oder behördliche Straf- oder Bußgeld bescheide. Gespräche sind nicht nur mit dem Management, sondern ebenso mit Vertretern der Aufsichtsorgane, Mitarbeitern der Internen Revision oder des Internen Kontrollsystems (IKS) zu führen. Zu prüfen ist, ob eine wirtschaftlich schlechte Lage oder Kontrollmängel die Anfälligkeit für Manipulationen erhöhen. Darüber hinaus hat der Abschlussprüfer sich ein Bild von der Kompetenz der mit Controllingaufgaben befassten Mitarbeiter zu machen. Zudem sollte er sich selbst – bei längerfristigen Mandaten – hinsichtlich seiner Einstellung zum Management hinterfragen: Kann er seine Aufgaben noch kritisch und unvoreingenommen erfüllen oder haben sich in die Beurteilung von Unterlagen oder Auskünfte bereits früher gewonnene Ansichten über die Solidität von Unternehmen und Unternehmer eingeschlichen? Bei aufgedeckten oder vermuteten Unregelmäßigkeiten hat der Abschlussprüfer das Management – zumeist diejenige Ebene über Abnicken oder prüfen grundlagen der betriebsratsarbeit derjenigen, auf der die Fehler und Verstöße festgestellt wurden – zu informieren. Hat er den begründeten Verdacht, dass Geschäftsführung oder Vorstand dabei mitgewirkt haben, so ist das Aufsichtsorgan zu informieren. Die erkannten Verstöße sind zu dokumentieren; im Prüfungsbericht ist darüber zu berichten; der Bestätigungsvermerk ist dann einzuschränken, wenn die Verstöße oder Unrichtigkeiten wesentliche Auswirkungen auf den Jahresabschluss haben. Zwiespältiger Eindruck des Urteils Im Hinblick auf das Saarbrücker Urteil bleibt somit ein zwiespältiger Eindruck. Zum einen geben die IDW PS keine eindeutigen Anhaltspunkte für eine Verletzung der Sorgfaltspflicht des Abschlussprüfers in dem betreffenden Fall, zum anderen fordern die IDW PS die Abschlussprüfer jedoch nachdrücklich zur Aufmerksamkeit gegenüber Fehlern und Verstößen auf und erwarten, dass ihre Prüfungsaussagen auf der Grundlage hinreichender Sicherheit erfolgen. Die Abschlussprüfer sind gehalten, ihre Prüfung auszuweiten, wenn Fehler und Verstöße entdeckt wurden. In diesem Punkt kann jedoch die kritische Grundhaltung des Prüfers mit seinen Gewinnzielen in Konflikt geraten, nämlich dann, wenn die getroffene Honorarvereinbarung derartige Prüfungsausweitungen nicht abdeckt und der Prüfer weitere Prüfungshandlungen auf eigene Rechnung vornehmen müsste. So stellt APAK (s. Randspalte S. 60) in ihrem Tätigkeitsbericht für 2012 fest: „Zu oft verlassen sich Abschlussprüfer bei der Beurteilung wesentlicher Sachverhalte maßgeblich auf Aussagen des Managements … ohne weitere Prüfungsnachweise einzuholen.“4 Tipp für die Praxis Aufgrund seiner Verschwiegenheitspflicht wird kein Abschlussprüfer eventuell gewonnene Erkenntnisse über Verstöße mit Betriebsrat oder Wirtschaftsausschuss diskutieren. Aber beharrliches Nachfragen nach den von ihm unternommenen Schritten zur Eingrenzung möglicher Verstoßrisiken kann einen Eindruck von der Sorgfalt der Prüfung vermitteln. v Dr. Joachim Eisbach, Berater bei EWR Consulting GmbH. Andrea Rothkegel, Beraterin und Gesellschafterin bei EWR Consulting GmbH. 4 Abschlussprüferaufsichtskommission (APAK). Tätigkeitsbericht 2012, S. 14. Der Bericht kritisiert ferner die oftmals unkritische Übernahme von Schätz- und Zeitwerten, unzureichende Befassung mit den in den Unternehmen zur Aufdeckung von Unregelmäßigkeiten eingerichteten Kontrollen oder nicht angesprochene Risiken im Lagebericht. BUND_AiB14-10_RZ.indd 61 checkliste Mögliche Fragen des Betriebsrats oder des Wirtschaftsausschusses an die Abschlussprüfer (AP) ··Mit welchen Personen oder Abteilungen außer dem Management haben die AP gesprochen? ··Welchen Eindruck haben die AP von den Kompetenzen und der Arbeit der Kontrollorgane (IKS, interne Revision)? ··Werden die Erkenntnisse der Kontrollorgane von der Geschäftsleitung angemessen beachtet? ··Sind im abgelaufenen Geschäftsjahr früher unübliche Geschäfte getätig worden? ··Sind sämtliche Risiken, denen das Unternehmen ausgesetzt ist, identi fiziert und bewertet worden? ··Gibt es Risiken, die zwar darzeit für wenig wahrscheinlich gehalten werden, die aber zu hohen Belastungen führen können? ··Hat sich die wirtschaftliche Situation des Unternehmens derart verschlechtert, dass Manipulationen wahrscheinlicher geworden sind? ··Ist die Datenverarbeitung ausreichend gegen nicht autorisierte und externe Zugriffe geschützt? ··Haben die AP nach Hinweisen von Beschäftigten auf Misstände im Unternehmen gefragt und sind sie ihnen nachgegangen? 61 12.09.14 13:24
© Copyright 2024 ExpyDoc