Ausführlich kommentierte Lösung zu

LS5 Grammatik II
SYNTAX
S. HACKMACK
Klausurvorbereitende Übungen 1: Kommentierte Lösungen
Teil I: Dependenz
1: Köpfe bestimmen
Bestimmen Sie die Köpfe in den nachstehend eingeklammerten Konstituenten. Zu welcher Kategorie gehört
die Konstituente folglich?
1. [des Kaisers neue Kleider]:
Kopf: Kleider, [des Kaisers neue Kleider]NP
2. [[der Stadt nahe] Häuser]
Kopf: nahe, [der Stadt nahe]PP | Kopf: Häuser, [[der Stadt nahe]PP Häuser]NP
3. [gelobten dem König ewige Treue]
Kopf: gelobten, [gelobten dem König ewige Treue]VP
4. [ganz versessen [auf den Kartoffelbrei]]
Kopf: auf, [auf den Kartoffelbrei]PP | Kopf: versessen, [ganz versessen [auf den Kartoffelbrei]PP]AP
5. [[über das Ergebnis] sehr froh]
Kopf: über, [über das Ergebnis]PP | Kopf: froh, [[über das Ergebnis]PP sehr froh]AP
2: Argumentation
Die nachstehende Nominalphrase umfasst die Nomina Töchter und Freundin. Wie begründen Sie, dass das
Nomen Töchter Kopfstatus der Gesamt-NP hat und nicht das Nomen Freundin? Illustrieren Sie Ihre Antwort
durch geeignete Beispiele:
[Die Töchter meiner Freundin].
In dieser Aufgabe sollten Sie das, was Sie in der vorigen Aufgaben vielleicht mehr oder weniger intuitiv gemacht
haben, begründen. Es bietet sich bei solchen Aufgaben an, sich zunächst auf das fragliche Konzept (hier »Kopf«)
bzw. dessen Definition zu beziehen und dann zu überlegen, ob die dafür eingeführten Kriterien mit der in der
Frage gemachten Aussage übereinstimmen. Bereits in der Morphologie haben wir den Kopf einer Konstituente
als dasjenige Element definiert, das Form und Distribution der Phrase bestimmt sowie die Form seiner
Dependentien. Diese Faktoren können wir nun auf sowohl Töchter als auch Freundin anwenden:
Der Kopf bestimmt die Form der Phrase: die fragliche NP trägt das Merkmal PLURAL. Um das anhand eines
»geeigneten Beispieles« zu illustrieren, können Sie die NP in einen PLURAL und in einen SINGULAR Kontext stellen:
Die Töchter meiner Freundin gehen in die Kita vs. *Die Töchter meiner Freundin geht in die Kita. Hier wird
deutlich, dass nach der Aussage »morphologische Form der Phrase ist durch den Kopf determiniert« nur
Töchter der Kopf sein kann; Freundin ist ja SINGULAR.
Der Kopf bestimmt die Form seiner Ergänzungen: über diesen Faktor kann Töchter ebenfalls als Kopf etabliert
werden, abhängig davon wäre dann die Genitiv-NP meiner Freundin. »Illustrierende Beispiele« müssten also
zeigen, dass die Form von Töchter variieren kann, während die Form von Freundin stets gleich bleibt: Ich gebe
es [den Töchtern meiner Freundin]DATIV vs. Ich sehe [die Töchter meiner Freundin]AKKUSATIV. Je nach Verb hat
Töchter bzw. die Konstituente, deren Kopf Töchter ist, unterschiedliche Kasusformen. Die NP meiner Freundin
ist aber stets Genitiv, ein Indiz dafür, dass dieser Kasus vom Kopf der NP zugewiesen ist, in der meiner Freundin
auftritt, also von Töchter.
3: Dependenzregeln interpretieren
Es gelten die folgenden generalisierten Dependenzregeln:
 Nomina regieren Adjektive
 Nomina regieren Determinatoren
 Verben regieren Nomina
 Adjektive regieren Adverbien
 Präpositionen regieren Nomina
Welche der folgenden Syntagmen können mit diesen Regeln erfasst werden, welche nicht, und wie müsste
das Regelset erweitert werden:
1. seine alte Mutter
geht
2. in der Nachspielzeit
geht
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3. mit der Mutter von meinem Mann
geht nicht, Ergänzung: Nomina regieren Präpositionen
4. kocht einen dicken Brei
geht
5. dieser absolut schreckliche Roman
geht
6. liest oft Romane
geht nicht, Ergänzung: Verben regieren Adverbien
7. sehr froh über den großen Erfolg
geht nicht, Ergänzung: Adjektive regieren Präpositionen
Wenn Sie sich für jedes Syntagma zunächst die Dependenzstruktur inklusive lexikalischer Kategorien vorstellen
bzw. aufnotieren, ist die Lösung dieser Aufgabe nicht schwer. In (1) haben wir seine(Det) alte(A) Mutter(N), d.h.
hier regiert ein N ein A und einen Det, was gleich in den ersten beiden Regeln erfasst ist. In (6) dagegen taucht
ein Adverb auf, das frei herumschwebt, da die fragliche Regel fehlt und ergänzt werden muss. Was Kette (3)
und die Regel »Nomina regieren Präpositionen« betrifft, gab es darüber in der Sitzung einen kleinen Exkurs.
Sehen Sie dazu den auf der Materialseite verlinkten Text über Dependenzstrukturen mit Präpositionen. Was
diese Aufgabe erneut deutlich machte, ist, dass Sie sich in den Wortarten auskennen müssen.
Teil 2: Konstituenz
1: Konstituenten beurteilen
Finden alle der nachstehenden Konstituentenstrukturen Ihre Zustimmung? Wenn nicht, warum nicht?
1. [[Die Mäuse] [tanzen [auf [dem Tisch]]]]
2. [[[Die Mutter] [meiner Freundin]] [wohnt [in [Berlin]]]]
3. [[Die Schüler] [legten [das Buch [auf den Tisch]]]]
4. [[Die Schüler] [lesen [ein Buch] [in Afrika]]]
5. [[Er] [überrascht [das Kind] [mit [dem Ball]]]
Jeder der obigen Klammerausdrücke macht eine Aussage über die Konstituentenstruktur des fraglichen Satzes.
Ihr Aufgabe ist es, diese Aussagen einer kritischen Prüfung zu unterziehen. In (1) wird ausgesagt, dass in dem
Satz Die Mäuse tanzen auf dem Tisch folgende Ketten Konstituentenstatus haben: [Die Mäuse], [tanzen auf
dem Tisch], [auf dem Tisch] und [dem Tisch]. Jede dieser Aussagen kann belegt werden, also ist die Analyse
gerechtfertigt. In (2) wird ausgesagt, dass [Die Mutter meiner Freundin], [die Mutter], [meiner Freundin],
[wohnt in Berlin] und [in Berlin] Konstituentenstatus haben. Diese Aussage ist insofern problematisch, als die
vermeintliche Konstituente [die Mutter] weder pronominalisiert noch erfragt werden kann: *Wer meiner
Freundin... bzw. *Sie meiner Freundin... Also hat [die Mutter] keinen Konstituentenstatus und die korrigierte
Fassung sähe so aus: [[Die Mutter [meiner Freundin]] [wohnt [in Berlin]]]. In (3) wird [das Buch auf den Tisch]
als Konstituente ausgewiesen, was nicht zulässig ist: [das Buch] und [auf den Tisch] sind zwei separate
Konstituenten und beide unmittelbare Töchter der VP: [legten [es] [auf den Tisch]] bzw. [legten [das Buch]
[dorthin]]. Auch semantisch ergibt die vorgegebene Analyse keinen Sinn, da auf den Tisch nicht das Buch näher
beschreibt, sondern den Zielort der Handlung. Satz (4) ist wieder in Ordnung, Satz (5) ist ambig und müsste
durch eine Struktur ergänzt werden, in der deutlich wird, dass [mit dem Ball] auch nähere Bestimmung zu Kind
sein kann: [[Er] [überrascht [das Kind [mit dem Ball]]]].
2: Konstituenten ermitteln
Zeigen Sie anhand geeigneter Tests, dass sich die nachstehenden Sätze strukturell unterscheiden.
Konzentrieren Sie sich auf die unterstrichenen Syntagmen:
1. Er mag blutige Steaks.
2. Er mag Steaks blutig
Sinnvollerweiser geht man strukturiert an eine solche Aufgabe heran. »Strukturiert« heißt, dass man sich
zunächst genau die Optionen überlegt, die für die Beispielkette in Frage kommen. Da Sie sich auf die
unterstrichenen Syntagmen konzentrieren sollen, ergibt dies die folgenden vier Hypothesen, die Sie dann
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schrittweise prüfen können:
o Hypothese A: blutige Steaks in (1) ist eine Konstituente.
o Hypothese B: Steaks blutig in (2) ist eine Konstituente.
o Hypothese C: blutige Steaks in (1) ist keine Konstituente.
o Hypothese D: Steaks blutig in (2) ist keine Konstituenten.
Verschiebe bzw. Umstellungs- bzw. Permutationstest:
belegen Hypothesen (A) und (D), widerlegen Hypothese (B) und (C):
Blutige Steaks mag er.
*Steaks blutig mag er
*Steaks mag er blutige.
*Blutige mag er Steaks
Steaks mag er blutig.
Blutig mag er Steaks.
Pronominalsierungstest:
belegt Hypothesen (A) und (D), widerlegt Hypothesen (B) und (C):
Er mag sie (für Satz 1)
Er mag sie für Satz 2 ist zwar ein korrekter Satz, aber keine Paraphrase des Inhalts von Satz 2, die würde
nämlich lauten: Er mag sie so. Das wiederum geht nicht bei Satz 1: *Er mag so Steaks/sie.
*Er mag blutige sie.
Er mag sie blutig.
Danach treffen die Hypothesen A und D zu und Sie haben gezeigt, dass die Strukturen der Sätze (1) und (2)
unterschiedlich sind.
Er mag Steaks blutig ist eine Form von Satz, die die moderne Sprachwissenschaft intensiv diskutiert. Das
Problem, das hier vorliegt, ist folgendes: Steaks und blutig bilden keine Konstituente, wie die Tests zeigen.
Dennoch aber wissen wir, dass blutig einen direkten Bezug zu Steaks hat. Wenn wir davon ausgehen, dass in
Konstituenz- und Dependenzstrukturen angezeigt wird, was im Satz zusammengehört, und dass eine
Konstituente auch eine Art semantische Einheit darstellt – wie gehen wir dann mit solchen Sätzen um? Sehen
Sie, wenn Sie sich für sowas interessieren, den auf der Webseite verlinkten Text über Prädikation und
sekundäre Prädikation.
Teil 3: Phrasenstrukturen
1: PS-Strukturen beurteilen
Kommentieren Sie die nachstehenden PS-Bäume für englische Sätze. Sind Sie mit diesen Strukturen
einverstanden? Erstellen Sie, falls nötig, korrigierende oder ergänzende Fassungen für die jeweiligen Sätze.
(Hinweis: das Dreieck drückt aus, dass die interne Struktur der fraglichen Phrase nicht von Bedeutung ist)
a)
S
NP
VP
Dieser Baum ist in Ordnung.
John
V
NP
PP
told
his wife
about the accident
b)
S
Dieser Baum ist nicht in Ordnung. Korrektur:
NP
S
VP
NP
Det
the
AP
V
A
N
little
boy
threw
NP
Det
N
PP
Det
AP
N
V
the
A
boy
threw
little
the ball into the water
3
VP
NP
Det
PP
N
the ball
into the water
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c)
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S
NP
Det
Dieser Baum ist nicht in Ordnung. Korrektur:
S
VP
A
V
The rich live
d)
NP
PP
P
NP
in
mansions
Det
NP
VP
N
V
P
NP
in
mansions
Dieser Baum ist in Ordnung. Der Satz ist aber ambig und
folgende Strukturbeschreibung muss ergänzt werden:
VP
V
complain
PP
The rich live
S
Many
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S
NP
PP
P
Many
NP
about Det
VP
N
complain
PP
the weather P
V
PP
about the weather
PP
in England
NP
in England
2: PS-Regeln interpretieren
Gegeben sei die folgende Grammatik:
S  NP VP
N  {boy, girl, garden, car}
NP  Det N (PP)
P  {in, behind}
PP  P NP
V  {kissed, hit, slept}
VP  V NP
Det  {the}
Welche der nachstehenden Sätze sind durch diese Grammatik beschrieben, welche nicht und wie müsste
die Grammatik erweitert werden, um auch die anderen Sätze zu beschreiben?
1. The boy kissed the girl.
2. The boy in the car kissed the girl.
3. The rather ugly boy hit the girl.
4. The boy in the car slept.
5. The girl kissed the boy in the garden.
The boy kissed the girl: Kann beschrieben werden.
The boy in the car kissed the girl: Kann beschrieben werden
The rather ugly boy hit the girl: Kann nicht beschrieben werden.
Umgangssprachliche Beschreibung: in diesem Satz taucht eine AP bestehend aus Adverb und Adjektiv auf
([rather ugly]). Es gibt aber (a) keine Regel für die AP, (b) keine Lexikonregeln für rather und ugly und (c)
keine NP-Regel für eine NP mit AP. Diese müssen ergänzt werden:
Adj  {ugly}
Adv  {rather}
AP  Adv A
NP  Det AP N
The boy in the car slept: Kann nicht beschrieben werden.
Umgangssprachliche Beschreibung: in allen VP, die mit der Grammatik beschrieben werden, kommt
obligatorisch eine NP vor. Es fehlt also an einer Regel für VP mit intransitiven Verben. Diese muss ergänzt
werden:
VP  V.
The girl kissed the boy in the garden.: Kann in einer Lesart beschrieben werden.
Der Satz ist aber ambig, und die Bedeutung, nach der der »Küßvorgang« im Garten stattfindet, ist nicht
erfasst.
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Umgangssprachliche Beschreibung: die Grammatik stellt nur die Lesart dar, in der in the garden Attribut zu
boy ist. Was fehlt, ist die Regeln, nach der die fragliche PP auch Teil der VP sein kann. Diese muss ergänzt
werden:
VP  V NP PP
Danach hat die ergänzte Grammatik folgende Form:
S  NP VP
Det  {the}
NP  Det N (PP)
N  {boy, girl, garden, car}
NP  Det AP N
P  {in, behind}
AP  Adv A
V  {kissed, hit, slept}
PP  P NP
A  {ugly}
VP  V NP
Adv  {rather}
VP  V
VP  V NP PP
Ob Sie diese Regeln noch wie folgt durch runde bzw. geschweifte Klammer abkürzen, ist Ihnen freigestellt. Sie
sollten das nur machen, wenn Sie hier sicher sind:
NP  Det N (PP)
NP  Det (AP) N (PP)
NP  Det AP N
VP  V NP
NP 
VV(
VP  V
NP PP )


VP  V NP PP
3: Syntaktisch argumentieren
Die VP der nachstehenden Sätze enthalten jeweils einen eingebetteten Satz:
John said that the girl kissed the boy. | Mary said that the boy slept.
Um auch diese VP mit der modifizierten Grammatik aus 3.2 zu beschreiben, haben wir theoretisch zwei
Möglichkeiten der Erweiterung (eS in Möglichkeit 2 steht für »eingebetteter Satz«):
Möglichkeit 1:
VP  V Conj S
Conj  {that}
Möglichkeit 2:
VP  eS
eS  Conj S
Conj  {that}
Welche dieser Möglichkeiten würden Sie für sinnvoller erachten und warum?
Auch bei dieser Aufgabe geht es darum, Strategien der linguistischen Argumentation anzuwenden.
Entscheidend hier ist, dass Sie sich stets vor Augen halten, dass sich die von tatsächlichen Daten scheinbar
losgelösten Regeln doch immer auf konkretes Sprachmaterial beziehen. Es bietet sich immer an, solche Regeln
oder andere, eher abstrakt wirkende Aussagen über sprachliche Strukturen in direkten Bezug zu den
sprachlichen Daten zu setzen. Für die konkrete Frage bedeutet das, sich genau anzusehen, wie denn die
Strukturen der VP aus den Beispielsätzen mit diesen Regeln aussähen:
Regel 1 liefert uns folgende Strukturen:
[[said]V [that]CONJ [the girl kissed the boy]S]VP und [[said]V [that]CONJ [the boy slept]S]VP
Regel 2 dagegen hat folgendes Ergebnis::
[[said]V [[that]CONJ [the girl kissed the boy]S]eS]VP und [[said]V [[that]CONJ [the boy slept]S]eS]VP
Der kriegsentscheidende Unterschied ist, dass den Ketten [that the girl kissed the boy] bzw. [that the boy slept]
per Regel 2 Konstituentenstatus zugewiesen wird, was über Regel 1 nicht ausgedrückt ist. Wenn Sie das
herausarbeiten, haben Sie die halbe Miete, denn nun müssen Sie nur noch prüfen, ob die Aussage in Regel 2
sinnvoll ist. Genau zu diesem Zweck können wir wieder die »Verfahren zur Satzanalyse« einsetzen, die uns
bestätigen werden, dass es Regel 2 ist, die die Daten besser beschreibt:
Pronominalisierung: Mary said it (it = that the boy slept)
Clefting: What Mary said was that the boy slept.
Umstellung: That the boy slept, Mary said .
Diese Test zeigen, dass der eingebettete Satz eine Konstituente darstellt, und dass Regel 2 – obwohl sie
vielleicht mit »eS« eine unerwünschte Zunahme an Kategorien darstellt – besser in der Lage ist, dieses Faktum
auszudrücken.
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