Grüner Integrationspfad (PK Korun, 6.11.2015)

GRÜNER INTEGRATIONSPFAD FÜR EINE BESSERE INTEGRATION VON FLÜCHTLINGEN
Pressekonferenz am 6.11.2015
Alev Korun
Die Flüchtlinge, die seit Jahresbeginn vermehrt, (auch) nach Österreich kommen, werden
das Land mitprägen, wie das übrigens frühere Flüchtlingsgruppen wie z.B. BosnienFlüchtlinge auch getan haben (Stichwort Flüchtlingskind & Nationalteamspieler Zlatko
Junuzović). Wie diese Veränderung und Prägung ausschaut und ob mehrheitlich zum
Positiven, das zu gestalten, liegt als Gesellschaft und als EU in UNSERER Hand.
Bis Ende August 2015 waren 65 % der AsylantragstellerInnen aus Syrien, Irak und
Afghanistan. Das sind alles Länder, in den Kriege bzw. langjährige Instabilität & Terror
herrschen: das heißt, der Großteil dieser Flüchtlinge wird nicht in absehbarer Zeit in ihre
Länder zurückgehen können.
Verantwortungsvolle Politik ist, der Bevölkerung reinen Wein einzuschenken und klar,
nüchtern & transparent zu sagen, was in den nächsten Jahren auf uns zukommt. Politik hat
diese Veränderungen bestmöglich und zum Vorteil der Gesellschaft zu GESTALTEN.
Statt mit dem sichtlich unerfüllbaren Versprechen Kurzzeitasyl – von der Regierung
schönfärberisch „Asyl auf Zeit“ getauft - der Bevölkerung Sand in die Augen zu streuen,
brauchen wir INTEGRATIONSMASSNAHMEN VOM ERSTEN TAG AN.
Das bedeutet:
ERSTENS:
mitgebrachte Berufsausbildungen und Qualifikationen müssen so rasch wie möglich erhoben
werden, am besten gleich nach dem ersten Asylgespräch.
Dafür brauchen wir ein DAUERHAFTES System für die Erhebung dieser ausländischen
Qualifikationen statt bloß vorübergehender und verstreuter uneinheitlicher Pilotprojekte wie
derzeit.
Unser Vorschlag: dass das Arbeitsmarktservice die mitgebrachten Qualifikationen unmittelbar
nach dem ersten Asylgespräch festhält. Dafür sollte ein Teil der für die
Arbeitsmarktintegration angekündigten 70 Millionen Euro vorgesehen werden (zusätzliches
Personal).
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ZWEITENS:
brauchen wir ein Berufsanerkennungsgesetz wie in Deutschland, das übrigens seit 2012 in
Kraft ist.
https://www.bmbf.de/de/anerkennung-auslaendischer-berufsqualifikationen-1091.html
Information über das deutsche Gesetz:
Zuvor hatten nur wenige zuwandernde Fachkräfte die Möglichkeit, ihre beruflichen
Qualifikationen bewerten zu lassen. Das Gesetz ändert dies und schafft für alle
bundesrechtlich geregelten Berufe möglichst einheitliche und transparente Verfahren. So
kann die Gleichwertigkeit des ausländischen Berufsabschlusses mit dem deutschen Abschluss
ermittelt werden. Dies ist in vielen Berufen Voraussetzung dafür, in diesem Beruf zu arbeiten
oder sich selbständig zu machen. Das gilt vor allem für die reglementierten Berufe, so im
zulassungspflichtigen Handwerk, für Ärzte, Krankenpfleger oder Apotheker. Das Gesetz
verbessert damit die Chancen für Menschen, die ihre beruflichen Qualifikationen im Ausland
erworben haben, in Deutschland in ihrem erlernten Beruf zu arbeiten und ermöglicht so
eine bessere Arbeitsmarktintegration.
Hier geht es um Berufsausbildungen und Bildungsabschlüsse, für die Österreich keinen Cent
gezahlt hat, die aber nicht wenige Schutzsuchende/Flüchtlinge mitbringen. Diese brach
liegen zu lassen wie das seit Jahren passiert, wäre nicht nur fahrlässig, sondern auch
volkswirtschaftlich unklug.
Trotz der vielen Ankündigungen in den letzten Jahren für raschere Anerkennung
mitgebrachter Ausbildungen ist das Einzige, was in diesem Bereich effektiv passiert ist: die
Verkürzung der Anerkennungsfrist für akademische Ausbildungen von 6 auf 3 Monate.
Damit wir in Zukunft keine Taxi fahrenden Ingenieure aus Syrien haben, muss das
Anerkennungsgesetz, das von der Regierung seit Langem angekündigt wird, endlich
umgesetzt werden.
DRITTENS:
braucht es FLÄCHENDECKEND und leistbare SPRACHKURSE.
Der Zustand, dass der Österreichische Integrationsfonds (ÖIF), die zentrale Einrichtung der
Regierung zum Deutschlernen, ganze 32 Deutschkurse bundesweit anbietet, ist schlicht
unfassbar.
Auf der HP des ÖIF steht: „Der Erwerb der deutschen Sprache ist Grundvoraussetzung für
eine gelungene Integration. Der ÖIF bietet ein umfangreiches Kursangebot für
unterschiedliche Ziel- und Altersgruppen an“. Und: „Sprachkurse auf unterschiedlichen
Niveaustufen ab Alphabetisierung“.
In Tirol, Vorarlberg, der Steiermark & Kärnten hat der ÖIF laut eigenen Angaben keinen
einzigen Deutschkurs. In Oberösterreich und Salzburg ganze 2, wobei einer dieser Kurse mit
0 Stunden angegeben ist (?). Gerade Minister Kurz, der ständig Deutschlernen predigt und
"Leistung" zu seinem Mantra gemacht hat, hätte die Frage zu beantworten, wo seine
Leistung liegt.
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Wir haben derzeit laut Innenministerium 61.200 Schutzsuchende in Grundversorgung. Je
schneller diese Menschen, von denen 65 % aus Syrien, Irak und Afghanistan sind und sehr
wahrscheinlich länger nicht zurückgehen werden können, sprachlich, beruflich und
wirtschaftlich auf eigenen Füßen stehen, umso weniger werden die Kosten der
Grundversorgung und in weiterer Folge der Mindestsicherung sein. Es ist also eine Win-WinSituation für alle, dass mit Deutschlernen vom ersten Tag an begonnen wird, auch bei
AsylwerberInnen. Dazu braucht es aber mehr als 32 Kurse vom Österreichischen
Integrationsfonds, der mit Steuergeld und mit EU-Mitteln ausgestattet ist.
Die angekündigten 75 Millionen Euro für Integration sollen - erhöht um ebenso hohe EUMittel, die abholbar sind - in Sprach- und Berufssprachkurse und Berufsanerkennung
investiert werden.
Jeder Euro, den wir heute in Berufsanerkennung und Sprache investieren, kommt als
doppelter zurück und verhindert höhere Sozialkosten von Menschen, die vom Staat abhängig
bleiben, da sie die Sprache nicht können oder nicht in ihrem erlernten Beruf arbeiten
können.
Die Einschulung von Kinderflüchtlingen sollte - wie von Bildungsministerin angekündigt - in
Regelklassen statt in Ghettoklassen, allerdings mit ZUSÄTZLICHEN FÖRDERSTUNDEN,
erfolgen.
VIERTENS:
„ÖSTERREICH FÜR NEUANKÖMMLINGE“ WORKSHOPS
Sie sollen in modularer Form Alltagshilfe anbieten, um Österreich kennenzulernen, besser
miteinander auszukommen, Missverständnisse zu vermeiden und das Zusammenleben zu
verbessern.
Inhalt: Do’s & Don’ts, in Österreich übliche Umgangsformen, Was kommt gut an, Was irritiert
viele in Österreich?
Praktische Tipps zu Lärm ab 22 Uhr, Laut reden oder schreien in öffentlichen
Verkehrsmitteln, Mülltrennung, Pünktlichkeit …
Und Module wie Wie schaut das Schulsystem in Österreich aus; wie tut man, wenn man zum
Arzt gehen will; wo gibt es Infos über Gesetze?
Bei derzeit kursierenden, pauschalen Annahmen über potenzielle Demokratiedefizite bei
Flüchtlingen sollte nicht vergessen werden, dass die meisten dieser Flüchtlinge vor
autoritären, undemokratischen Regimen/Herrschern, also vor einem Mangel an Demokratie,
geflüchtet sind. Unsere Gesellschaftsordnung ist zuletzt deshalb für sie attraktiv, weil sie
Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie bedeutet und lebt. Diese positiven Merkmale von
Rechtsstaat, Freiheit und Demokratie sind stark und überzeugend, auch und vor allem, für
Flüchtlinge.
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FÜNFTENS:
BURSCHEN- und MÄNNERARBEIT AUSBAUEN
Derzeit besteht der Großteil der Asylwerbenden aus jungen Burschen und Männern. Die
sozialen Normen, mit denen sie aufgewachsen sind, unterscheiden sich oft von denen in
Österreich. Meinungsfreiheit, Geschlechtergleichheit lernt man nicht bloß auswendig aus
Büchern, sondern am besten, wenn es einem vorgelebt wird und man einen Diskussionsraum
hat, um Fragen zu stellen, Erlerntes & Gewohntes zu hinterfragen, neue Deutungsmuster
und zB neue Geschlechterrollen kennenzulernen.
Das Vorzeigeprojekt „Heroes“ („Helden“) in Berlin macht genau diese notwendige Burschenund Männerarbeit mit (auch mehrsprachigen) SozialarbeiterInnen, PsychologInnen und
KulturtrainerInnen. Es schafft einen offenen, aber begleiteten Diskussionsraum, in dem
Austausch, Hinterfragen von Klischees und starren Rollenbildern möglich wird.
In diesem Sinn brauchen wir einen massiven Ausbau von Burschen- und Männerarbeit; in
außerschulischen Workshops, bei Weiterbildungsmaßnahmen, Jugendprojekten, aber auch in
Schulen. Statt jungen Männern in einem Tageskurs bloß zu sagen, dass Männer und Frauen
in Österreich gleich sind – wie es derzeit von Minister Kurz geplant zu sein scheint -,
schlagen wir Diskussionsmodule vor, die eine inhaltliche Auseinandersetzung und Aneignung
von Neuem möglich machen. Zum Beispiel durch die Beschäftigung mit dem
Frauenwahlrecht, seiner Geschichte und wie es hart erkämpft wurde, würde man viel
nachhaltiger das Thema Gleichberechtigung verankern und für Neuankömmlinge auch
nachvollziehbar machen.
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