«Auf den Flaschen, wo Eglisauer Wein drin ist, soll auch AOC Eglisau draufstehen. Nur so kann sich der Ort in Zukunft als das präsentieren, was er ist: ein Weinbaustädtchen mit einer Grand-Cru-Lage.» Mathias Bechtel Jungwinzer ENTDECKUNG DES JAHRES VINUM-Entdeckung des Jahres 2015 Bechtel gibt Gas Rund 100 VINUM-Leser(innen) haben den 32-jährigen Mathias Bechtel kürzlich im Rahmen einer Blindverkostung, zu der zehn ambitionierte Jungwinzer(innen) angetreten waren, zur VINUM-Entdeckung des Jahres 2015 gekürt. Vor wenigen Monaten hat der quirlige Bündner in Eglisau sein eigenes Weingut gegründet. Zürich hat einen neuen Spitzenwinzer! Text: Thomas Vaterlaus S ein Weingut in Eglisau ist zwar neu, aber er kennt das Städtchen und seinen Grand Cru, den Stadtberg, schon längst wie seine Westentasche. Sieben Jahre lang arbeitete Mathias Bechtel im Vorzeigeweingut von Urs Pircher als Önologe. Und Pircher gab ihm, indem er ihm sein Equipment lieh, auch die Chance, parallel zum Job seine eigene Kollektion Bechtel-Weine aufzubauen. Es waren prägende Jahre: «Urs Pircher ist ein Winzer mit einer klaren Handschrift. Er weiss, was er will, und zieht sein Konzept durch. Er ist aber glücklicherweise kein Mensch, der anderen seine Ideen aufdrängt. So konnte ich bei ihm auch meine eigene Stilistik finden und kontinuierlich weiterentwickeln.» Tatsächlich ist ein Vergleich der Weine von Pircher und Bechtel interessant. Die Weine von Urs Pircher wirken durchweg klar, geradlinig, manchmal fast puristisch, die Gewächse von Bechtel dagegen eine Spur würziger und fülliger, freilich ohne dass es ihnen an der nötigen Ausgewogenheit, Frische und Trinkigkeit mangelt. Bechtel experimentiert gerne in der Vinifikation, baut seine weissen Crus oft auf der Ersthefe aus, die er gut belüftet wieder in den Jungwein zurückgibt, und arbeitet bei den Roten mit verschiedenen Formen von Maischenstandzeiten. Fotos: Linda Pollari, Thomas Vaterlaus Ein Chardonnay als Referenz Bechtels Flaggschiff-Wein war in den letzten Jahren sein Chardonnay. Der Kreis der wirklichen Top-Chardonnays ist in der Schweiz überschaubar, der Cru von Mathias Bechtel gehört mit Bestimmtheit dazu. Sein 2011er, den er bei der VINUM-Verkostung durch die Leser zur Kür der VINUM-Entdeckung des Jahres 2015 einreichte, überzeugt mit seiner Balance zwischen Komplexität, Frische und Schmelz und einer gut integrier- ten Eichenholzwürze. «Ich fand diesen 2011er selbst lange Zeit eine Spur zu holzbetont, erst nach vier Jahren hat er wirklich zu seiner Balance gefunden», sagt Bechtel. Die Chardonnay-Trauben für diesen 2011er stammten noch vom Taggenberg bei Winterthur, die folgenden Jahrgänge vinifizierte er mit Trauben aus der Gemeinde Benken, künftig wird er nun einen Eglisauer Chardonnay in die Flaschen bringen. Dass er bisher Trauben verschiedenster Herkunft in einem nicht ihm gehörenden Keller zu Wein verarbeitet hat, gehört zu seinem Konzept eines flexiblen «Winemakings», das in der Schweiz höchst ungewöhnlich anmuten mag, in der Neuen Welt hingegen schon seit langem praktiziert wird. Im Napa Valley beispielsweise ist es völlig normal, dass jemand Trauben aus verschiedenen Toplagen kauft und diese dann in einer Kellerei, in die er sich temporär einmietet, vinifiziert. Für Mathias Bechtel war es der einzig gangbare Weg, um in der Schweizer Weinszene Fuss zu fassen. Der Bündner ist zwar im Weinbaudorf Zizers aufgewachsen, stammt aber nicht aus einer Winzerfamilie. Sein Vater arbeitete in der technischen Abteilung eines Medienhauses. Trotzdem entschied sich Mathias Bechtel für den Winzerberuf und absolvierte ein Jahr seiner Lehre bei Manfred Meier in Zizers und ein weiteres Jahr im waadtländischen Pully, in der Aussenstelle der Forschungsanstalt Agroscope Changins. In der dortigen Hochschule liess er sich in Weinbau und Önologie weiterbilden. Kurz danach kam VINUM 31 Mit seiner «Step by Step»-Aufbauarbeit zeigt Mathias Bechtel, wie ein junger Winzer heute in der Schweiz ein Weingut gründen kann, ohne es von der Familie zu erben oder mit reichlich vorhandenem Kapital zu kaufen. ENTDECKUNG DES JAHRES er zu Urs Pircher nach Eglisau, wo er schon 2007 seinen ersten eigenen Wein kelterte, nämlich einen süssen Vintage, einen Pinot Noir, dessen Gärung mit hochprozentigem Weinbrand gestoppt wurde und der dann vier Jahre in Barriques ausgebaut wurde. Bei der Erweiterung seiner Kollektion konnte Mathias Bechtel in der Folge auf andere Jungwinzer zählen, die er während seiner Ausbildung in Changins kennengelernt hatte. Beispielsweise Raphaël Piuz aus dem Genfer Weinbaudorf Hermance, der ihm in den letzten Jahren erstklassige MerlotTrauben verkaufte. Diese Trauben fuhr er jeweils mit einem Bus vom äussersten Zipfel des Kantons Genf nach Eglisau, um sie zu vinifizieren. «Wir ernteten die Trauben im kühlen Morgengrauen. Als wir vier Stunden später in Zürich ankamen, hatten die Trauben immer noch eine frische Temperatur von 13 Grad Celsius. Ideal, um mit einer kalten Maischenstandzeit vor der Vergärung zu beginnen», erzählt Mathias Bechtel. So wuchs seine eigene Weinkollektion mit der Zeit auf sechs Weine. Neben seinem Job als Kellermeister bei Urs Pircher vinifizierte er im Herbst 2014 bereits Trauben von insgesamt zwei Hektar. Es war an der Zeit, nun wirklich ein eigenes Weingut zu gründen. Endlich am Ziel Mit seiner «Step by Step»-Aufbauarbeit hat Mathias Bechtel einen Weg aufgezeigt, wie ein junger Winzer heute in der Schweiz ein Weingut gründen kann, ohne dieses von der Familie zu erben oder es mit reichlich vorhandenem Geld zu kaufen. «Etliche meiner Studienkollegen haben ein bestehendes Weingut übernommen. Sie konzentrierten sich auf den An- und Ausbau der Trauben, unterschätzten aber die Anstrengungen, die im Verkauf und in der Kommunikation nötig sind, um sich im umkämpften Markt zu etablieren», sagt Bechtel. Seine «Nebenerwerbsaufbauarbeit» war zwar ein aufwändiger, arbeitsintensiver Weg, ja ein eigentlicher Kraftakt mit vielen Arbeitstagen von 15 Stunden und mehr, dafür verfügt Bechtel heute über das Netzwerk und auch den Kundenstamm, um den letzten entscheidenden Schritt zu wagen: Im Frühling dieses Jahres schloss er eine Übernahmevereinbarung mit Esther und Edi Hangartner in Eglisau, die einen klassischen Mischbetrieb führen. In den nächsten zwei Jahren wird er die 2,25 Hektar Reben der Hangartners im Eglisauer Stadtberg übernehmen. Die Aussichten sind heute mehr als günstig, denn Eglisau befindet sich in einer Zeit des Umbruchs. So ist im Stadtberg eine Melioration geplant, um eine bessere Bewirtschaftung der Parzellen zu gewährleisten. Gleichzeitig sind hier viele ältere Nebenerwerbswinzer tätig, die ihre Parzellen gerne in gute Hände übergeben möchten. Dies eröffnet Bechtel die Chance, seine angestrebte Betriebsfläche von drei Hektar schnell zu erreichen. Zudem besitzen die Hangartners am unteren Rand des Stadtberges von Eglisau ein Stück Bauland, das sich ideal für einen Kellerneubau mit moderner Technik eignen würde. Die Gemeinde Eglisau dürfte Die Weine von Mathias Bechtel Sechs Überraschungen Bechtel-Weine, Eglisau Sauvignon Blanc 2014 16 Punkte | 2015 bis 2017 Sortentypischer Sauvignon Blanc mit intensiven Aromen von Stachelbeeren, dazu eine Spur Holunder und Cassis. Im Gaumen ausgewogen, mit spannendem Spiel zwischen einem Hauch Restsüsse und knackiger Säure. Bechtel-Weine, Eglisau Chardonnay 2013 17 Punkte | 2015 bis 2020 Wirkt noch immer sehr jugendlich, mit verhaltenen, aber edlen Noten von Zitrusfrüchten und Wiesenkräutern sowie überaus dezenten Würzaromen. Im Gaumen sehr gut strukturiert, mit kernigem Tannin und saftiger Säure. Bechtel-Weine, Eglisau Saignée 2014 17 Punkte | 2015 bis 2018 Ein toller Rosé aus reinem Saftabzug. Neun Monate in der Barrique auf der Hefe ausgebaut. Mit Aromen von frischen roten Beeren, noblen Kräutern, dazu angepasste Würznoten. Im Gaumen saftig, cremig und angenehm frisch. ENTDECKUNG DES JAHRES also in Kürze ein neues Weingut bekommen, und zwar eines mit hohem qualitativem Anspruch. Eglisau braucht Schub Fotos: Thomas Vaterlaus, Philippe Rérat Ein bisschen frischer Wind tut dem beschaulichen Eglisau gut. Der 16 Hektar umfassende Stadtberg, aufgeteilt in die Lagen Vorderer Stadtberg, Hinterer Stadtberg und Im Wiler, gehört zweifellos zu den beeindruckendsten und besten Lagen in der ganzen Deutschschweiz, besonders die steilen Terrassen über dem Rhein sind faszinierend. Und doch gab es ausser den Weinen von Urs Pircher bisher kaum Eglisauer Gewächse von über-regionalem Bekanntheitsgrad. Mathias Bechtel möchte mithelfen, das zu ändern: «Auf den Flaschen, wo Eglisauer Wein drin ist, soll auch Eglisau draufstehen», sagt er. Nur so könne sich der Ort als das präsentieren, was er eigentlich doch im Grunde ist: «Ein Weinbaustädtchen mit einer Grand-Cru-Lage.» Man darf also auf Bechtels nächsten Coup gespannt sein: Erst vor kurzem präsentierte er erstmals seinen Saignée. Der behutsam in Barriques ausgebaute Rosé besticht mit zarter, rotbeeriger Frucht, vornehm zurückhaltenden Würznoten, vor allem aber mit viel Saft und Schmelz im Gaumen. Es scheint tatsächlich, als wolle Bechtel, der nun wahrlich eh schon genug zu tun hat, denn parallel zu seiner Weingutsgründung wird er in den kommenden Monaten auch noch Ehemann und Vater, zusätzlich noch schnell den Ruf des Schweizer Rosés retten! www.bechtel-weine.ch Bechtel-Weine, Eglisau Pinot Noir 2014 16.5 Punkte | 2015 bis 2022 In der Nase zuerst würzige Noten mit einer Spur Anis und Nelken, dahinter folgen Aromen von roten Beeren und Unterholz. Im Gaumen sehr elegant, mit angepasstem, unaufdringlichem Tannin und einer präsenten, erfrischenden Säure. Bechtel-Weine, Eglisau Merlot 2013 17 Punkte | 2015 bis 2022 Frische Aromen von roten und dunklen Beeren, besonders Brombeeren, dazu eine Spur Lakritze und florale Noten. Gut angepasste Würznoten. Im Gaumen straff und vielschichtig strukturiert, mit kernigem Tannin und guter Säure. Bechtel-Weine, Eglisau Vintage 2010 16.5 Punkte | 2015 bis 2025 Mittleres Purpurrot bei leichter Trübung. Aromen von reifen Waldbeeren, aber auch Zwetschen und Rumtopf. Im Gaumen sehr klar strukturiert und konzentriert, mit festem Tannin und guter Balance zwischen Süsse und Säure.
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