Psychologie ohne ‚Seele` und ohne ‚Leib`.

Psychologie ohne ‚Seele‘ und ohne ‚Leib‘.
Anzeichen eines aufgelösten Problems oder
Anzeichen einer Problemverschiebung?
Wolfgang Mack
Vortragsfolien zur Ringvorlesung ‚Leib und Seele‘ an der Universität des 3. Lebensalters
der Goethe-Universität Frankfurt am Main WS 2015/16 am 04.11.2015
(Bitte nur zum persönlichen Gebrauch nutzen!)
Prof. Dr. Wolfgang Mack
Universität der Bundeswehr München
Fakultät für Humanwissenschaften
Department für Psychologie
Professur für Allgemeine Psychologie
Email: [email protected]
Homepage: https://www.unibw.de/hum/dfp/ap/personen/mack
Übersicht
1 Psychologie ohne Seele – aktuelle akademische Psychologie
2 Psychologie mit Seele
3 Wie kam es zur Psychologie ohne Seele?
4 Psychologie ohne Seele – Anzeichen für eine Problemverschiebung?
1 Psychologie ohne Seele – aktuelle akademische Psychologie
Wissenschaftliche Leitbegriffe sind primär Erklärungsbegriffe
Was ist in der Psychologie zu beschreiben, zu erklären und vorherzusagen?
- Verhalten und Handeln
- Erleben (Phänomene der Innerlichkeit, phänomenales Bewusstsein)
- Bewusstsein
- mentale Fähigkeiten und Fertigkeiten
- psychische Funktionen (Wahrnehmung, Denken, Fühlen, Wollen, …)
Seele wird nicht als Erklärungsbegriff für die genannten Erklärungsgegenstände
in der Psychologie verwendet
Seele ist kein wissenschaftlicher Grundbegriff der aktuellen Psychologie
1 Psychologie ohne Seele
Bibliometrische Aspekte zu „Seele“ und „Leib“
Datenbank (deutsch) PSYNDEX 29. Februar 2012:
1958 bis 2011
490 Einträge mit dem Wort Seele im Titel bei ca. 200 000 Einträgen
ca. 9 Titel bei ca. 8 000 neuen Titeln pro Jahr
172 Einträge mit dem Wort Leib im Titel bei ca. 200 000 Einträgen
ca. 3 Titel bei ca. 8 000 neuen Titeln pro Jahr
Datenbank (englisch) PSYCHINFO 29. Februar 2012:
1950 bis 2011
1160 Treffer zum Wort soul bei ca. 3 138 000 Titeln
ca. 19 Titel bei ca. 51 000 neuen Titeln pro Jahr
1 Psychologie ohne Seele
Semantische Vielfalt des mentalen Vokabulars
George Mandler (2007) History of modern experimental Psychology:
mind :
-
as soul
as faculty
as a brain function
as a summary term for complex human thought and
action
- as consciousness
1 Psychologie ohne Seele
Semantische Vielfalt des mentalen Vokabulars
George Mandler (2007) History of modern experimental Psychology:
„Versuche zu verstehen, was ‘mind’ wirklich ist, sind beschränkt auf
philosophische Spekulationen. Psychologen haben im allgemeinen das
Verständnis von ‘mind’ als dasjenige akzeptiert, was das Gehirn macht und
haben somit einen grundlegend materialistischen Standpunkt eingenommen.
Nachdem wir den Geist aus der Maschine vertrieben haben, sind wir aber
immer noch bestrebt, über die Maschine und ihre Funktionen nachzudenken”
(S. 15, Übersetzung Mack)
1 Psychologie ohne Seele
Psychologie des 20 Jhd:
Die „Seele“ ist ein Automat, ein informationsverarbeitendes System
Systemische Informationsverarbeitungsanalyse
„black box“
Input
Throughput (Z1,…,Zi,…Zn)
(Programm, Informationsverarbeitung)
Output
Output O = f (Input, Z1,…,Zi,…Zn)
1 Psychologie ohne Seele
Psychologie des 20 Jhd:
Die „Seele“ ist ein Automat, ein informationsverarbeitendes System
„Computermodell“ des Geistes/der Seele
(philosophischer Funktionalismus)
Software-Metapher:
der Geist ist ein Programm (software), das Gehirn ist die hardware
1 Psychologie ohne Seele
Funktionalismus
Input
Mentaler Zustand
Output
 mentale Zustände = funktionale Zustände
 charakterisiert durch kausale Rollen
 multirealisierbar
Input
Funktionaler
Zustand
Output
1 Psychologie ohne Seele
Aktuelle Psychologie: Seele = informationsverarbeitendes System
Prinz & Müsseler (2008), Lehrbuch Allgemeine Psychologie, S. 9f.:
„Kein anderes theoretisches Programm ist bisher in der Geschichte der
Psychologie ähnlich erfolgreich gewesen wie der theoretische Ansatz der
modernen Kognitiven Psychologie, der kognitive Leistungen als Ergebnis
von Informationsverarbeitungsprozessen konzeptualisiert.[…]
(Hervorhebungen von Mack)
1 Psychologie ohne Seele
Aktuelle Psychologie: Seele = informationsverarbeitendes System
Psychologie ist eine erfolgreiche Wissenschaft.
Also scheint die aktuelle Psychologie insgesamt ein Anzeichen für ein
aufgelöstes Problem „Seele“ zu sein.
Ist das so? Ein Blick in die Geschichte der Psychologie…
1 Psychologie ohne Seele
Wie kam es zur Psychologie ohne Seele?
Ausdruck „Psychologie“ gibt es erst seit dem 16. Jahrhundert.
vorher:
psyche, pneuma, anima, nefaesch usw. im Kontext von Mythos, Ethik,
Naturlehre, Metaphysik und Theologie
 Ausgangs- und Zielpunkt mentaler Begriffsbildung: Selbstdeutung des
Menschen, der „innere“ Mensch, „merkwürdige“ Erfahrungen, Endlichkeit
(Bewusstsein des Todes)
 „Psychologie“ mit Seele
2 „Psychologie“ mit Seele
Nichttextliche Zeugnisse zu Vorstellungen des Psychischen
- Schriftliche Quellen gibt es erst seit ca. 5000 v. Chr.
Doppelexistenz des Menschen: die Seele im Körper
- Seelenvogel
aus: H. Hinterhuber (2001). Die Seele. Natur- und Kulturgeschichte von Psyche, Geist und Bewusstsein (S. 7). Springer: Wien etc.
„Psychologie“ mit Seele
Aus: Barasch, M. (2005). The departing soul. Artibus et Historiae, 26, 13-18.
„Psychologie“ mit Seele
Nichttextliche Zeugnisse zu Vorstellungen des Psychischen
- Plausible Vermutung: Vorstellungen der Seele entwickelten sich, weil man die
Sterblichkeit deuten wollte
-  Hauchseele: Sterben als Aushauchen der Seele (Körper als Behälter der
Seele)
-  ähnliches semantisches Feld bei „Geist“, „pneuma“, „spiritus“: Bezüge zu
stark bewegter Luft, Gischt: vermutlich, um sich die Unsichtbarkeit einer Kraft
zu verdeutlichen
- zu deuten aber auch Bewusstseinserscheinungen wie Träume,
Schlafwandeln, Außer-sich-sein-Erfahrungen (Out-of-Body-Experiences,
OBE)
2 „Psychologie“ mit Seele
„Psychologie“ mit Seele
Aus: Metzinger, 2005 (s. vorherige Folie z. Literaturangabe)
„Psychologie“ mit Seele
Seele bei Platon
•
geprägt durch mythische Seelenvorstellungen, z. B.
Seelenwanderung
•
Seele ist das, was lebendig macht, Identität verbürgt und das ist,
was am Menschen unsterblich ist (ob Platon die individuelle
Unsterblichkeit lehrte, ist umstritten).
•
S = das, was sich selbst bewegt (autokinesis)
•
Wert-Begriff: mit der Seele strebt der Mensch nach dem Guten und
erkennt er das Gute
–
•
Die Seele ist wertvoller als der Körper: dieser ist das Gefängnis der Seele
Gleichnis vom Wagenlenker
2 „Psychologie“ mit Seele
Platon - Seelenlehre
Mutartiger
Seelenteil
Denkender
Seelenteil
= Geist
•Aufgabe, Gespann auf
dem Lebensweg zu steuern
•Sitz: Kopf;
•Kognitive Fähigkeiten;
Tugend der Weisheit
•Strebt zurück in die höhere Welt
•Sitz: Brust;
•Conativ-motivationale Fähigkeiten;
Tugend der Tapferkeit
Begehrlicher
Seelenteil
•Strebt zum Materiellen in die Welt
•Sitz: unterer Leib;
•emotionale Fähigkeiten;
•Tugend der Selbstbeherrschung
• Seele kommt aus dem Reich der Ideen, sehnt sich dorthin zurück;
• Ist nur wegen der Neugier auf die materielle Welt gefallen
• Kehrt nach dem Tod (Zurückfinden in das Reich der Ideen) wieder dorthin zurück
„Psychologie“ mit Seele
Aristoteles - Hylemorphismus
Lebewesen
Synholon
Hyle (materia)
in - formatio
Morphe (forma)
„Psychologie“ mit Seele
Aristoteles
Psyche = erste entelechie eines Körpers, der lebendig sein kann
Entelecheia = Entität, die in sich ein Ziel habend anstrebt dies zu verwirklichen
Leben als Übergang von Möglichkeit in Wirklichkeit
Psyche = Erklärungsbegriff, denn zu erklären ist: Warum sind bestimmte Körper
lebendig? Was heißt es, ein Lebewesen zu sein?
Psyche = Prinzip des Lebendigseins
Beseelt = belebt
Christlicher Aristotelismus: anima forma corporis (Thomas v Aquin)
„Psychologie“ mit Seele
Aristoteles
Aristotelisches Modell der Leib-Seele-Einheit
intellektive Seele
Körper
sensitive Seele
vegetative Seele
„Psychologie“ mit Seele
Griechische Seelenlehre und Christentum
Ein Kerndogma des Christentums ist der Glaube an die Auferstehung der
Menschen von den Toten.
Interessant:
Glaube an die Auferstehung von den Toten = Dogma (Nizäanum)
Glaube an die Unsterblichkeit der Seele ≠ Dogma
Seele als Kontinuant (Verbürger numerischer Identität des Individuums) nötig?
Tod des Körpers empirisches Faktum
Anima separata kein empirisches Faktum
 Versuch, die Seele zu wiegen (Duncan MacDougall 1901: 21 Gramm
(Gewicht einer Scheibe Brot))
3 Wie kam es zur Psychologie ohne Seele?
Entstehung der neuzeitlichen Psychologie:
René Descartes
Descartes Ontologie: res extensa – res cogitans
Sicher ist nur die res cogitans erkennbar, da man am Zweifeln nicht zweifeln
kann und Zweifeln Denken (cogitare) ist.
(Ausgangspunkt einer strikten Widerlegung des Materialismus)
Die psychobiologische Seele wird auf die intellektive Seele reduziert, da die
vegetative und sensitive Seele körperlich sind und deren Existenz
bezweifelbar ist.
 Untergang der aristotelischen Seele
 Seele verliert seine Funktion als Erklärungsbegriff für „Lebendigsein“
3 Wie kam es zur Psychologie ohne Seele?
Entstehung der neuzeitlichen Psychologie / Biologie:
Descartes Ontologie: res extensa – res cogitans
Probleme:
 Wie wirkt die res cogitans auf res extensa?
 bis heute ungelöstes Problem, ob es mentale Kausalität gibt
 Lebewesen (ausgenommen der Mensch) sind Automaten: Sind Lebewesen
nach dem Vorbild der (klassischen) Physik erklärbar (ist Biologie auf Physik
reduzierbar? Organismen = Maschinen?)
3 Wie kam es zur Psychologie ohne Seele?
Entstehung der neuzeitlichen Psychologie:
John Locke: statt soul -> self, mind
psychisches Element: idea
Verbindung durch Assoziation -> Vorstellungsassoziation -> reflection
David Hume:
soul nicht empirisch (z. B. durch Introspektion) zu identifizieren
self = Bündel von Vorstellungen (man erkennt nur das Kommen und Gehen
einzelner Vorstellungen  Bündeltheorie des „Selbst“)
 die Seele kann nicht als Prinzip der numerischen Identität eines
Individuums bilden, denn woran erkennt man, dass man heute dieselbe Seele
hat wie gestern?
3 Wie kam es zur Psychologie ohne Seele?
Entstehung der neuzeitlichen Psychologie:
Immanuel Kant:
Psychologie nicht als Naturwissenschaft möglich, da auf den inneren Sinn
nicht Mathematik angewandt werden kann.
Paralogismuskapitel der Kritik der reinen Vernunft: rationale (metaphysische)
Psychologie ist nicht möglich, Seele ist keine Substanz (im metaphysischen
Sinne)
statt Seele: Ich (das stets all unser Denken begleiten muss)
3 Wie kam es zur Psychologie ohne Seele?
Herausbildung der modernen Psychologie in der frühen Neuzeit
Mit Descartes, über Locke, Hume, Wolff und dann schließlich Kant wird der
aristotelische Seelenbegriff aufgegeben.
Das wird noch begünstigt durch den Umstand, dass man keine „Lebenskraft“
fand (Annahme einer Lebenskraft = Vitalismus)
Helmholtz, DuBois-Reymond, Brücke (bekanntester „Schüler“ Brückes ist S.
Freud): Lebendigsein kann man physikalisch erklären, d.h. Lebenskräfte sind
stets physische Kräfte ( Anti-Vitalismus der experimentellen Physiologie des
19 Jhd)
Die moderne Psychologie wird somit nicht als Seelenwissenschaft
herausgebildet, sondern als Wissenschaft vom Bewusstsein.
- Wilhelm Wundt: Seele ist seelisches Geschehen
- William James: stream of consciousness (ego, empirical self)
3 Wie kam es zur Psychologie ohne Seele?
Entstehung der neuzeitlichen Psychologie:
Franz Brentano:
Psychologie als Wissenschaft seelischer Phänomene, Annahme einer Seele
nicht unbedingt nötig:
Formulierung eines Unterscheidungskriteriums des Psychischen vom
Physischen:
Intentionalität (engl. „aboutness“)
-> Seelisches ist stets auf etwas gerichtet, das es selbst nicht ist (mentale
Objekte)
- Vorstellen -> Vorgestelltes
- Urteilen -> Beurteiltes
- Lieben -> Geliebtes
3 Wie kam es zur Psychologie ohne Seele?
Franz Brentano:
heute in der philosophy of mind: Brentanos Problem:
Wie kommen psychische Zustände (oder Hirnzustände) zu ihrem semantischen
Gehalt?
(Wie kommen Bedeutungen in den Kopf?
Wie artikulieren sie sich weltverändernd im menschlichen Tun?)
A. Beckermann: Bedeutungsverstehen als Kennzeichen des Mentalen
4 Psychologie ohne Seele – Anzeichen für eine Problemverschiebung?
Seele – Annahme einer Entität im Körper, die lebendig macht, sinnvoll?
 Suche nach dem Sitz der Seele im Körper
 früher: Herz, Blut, Atem
 heute: Gehirn
 aber: wo ist die Seele, wenn sie unräumlich (res cogitans !) ist?
 Neurowissenschaft: es gibt keine Entität Seele, sondern nur seelische
Eigenschaften (als Eigenschaften des Gehirns)
4 Psychologie ohne Seele – Anzeichen für eine Problemverschiebung?
Seele – Erklärung des Lebendigseins
- Erklärung der Selbstbewegung eines Lebewesens
- Lebewesen bewegt sich von selbst, es ist kein äußerer physikalischer AnStoß wahrnehmbar
-
Zuschreibung „innerer Kräfte“ (-> Motive (von movere), Triebe)
- was bewegt uns? (nur unsere Körperkräfte?)
4 Psychologie ohne Seele – Anzeichen für eine Problemverschiebung?
Aristoteles – Seele ist das, was lebendig macht
- beseelt = lebendig
- Seele keine Art Seelenvogel im Körperhäuschen, sondern, modern
gesprochen, die dynamische Organisation eines bestimmten Körpers, der
aus Organen besteht und mit diesen zu seelischen Leistungen fähig ist.
- Seele = dynamisches schöpferisches System
-
(Busche, H. (2001). Die Seele als System. Aristoteles’ Wissenschaft von der Psyche.Hamburg: Meiner.)
4 Psychologie ohne Seele – Anzeichen für eine Problemverschiebung?
Gibt es eine Seele?
Aristoteles und Hylemorphismus: ja, Seele ist ein Erklärungsbegriff, der erklärt,
was einen bestimmten Körper zu einem lebendigen macht
Organisation / Struktur eines Lebewesens, das den seelischen Leistungen
eines Lebewesens zugrunde liegt und diese ermöglicht.
Mainstream Naturalismus (Physikalismus): nein
Das Gehirn bringt seelische Eigenschaften hervor, die evolutionär selektiert
worden sind. (--> Verhaltensdispositionen)
4 Psychologie ohne Seele – Anzeichen für eine Problemverschiebung?
Hauptströmung der Naturwissenschaften:
Monistischer Naturalismus
Vor diesem Hintergrund der mainstream-Naturwissenschaften ist Seele kein
naturwissenschaftlicher Begriff.
4 Psychologie ohne Seele – Anzeichen für eine Problemverschiebung?
Hauptströmung der Naturwissenschaften:
Monistischer Naturalismus
Es gibt nur physische, also natürliche Veränderungen und diese haben nur
natürliche, also physische Ursachen.
Analytische bottom-up Forschungsstrategie: Zerlege komplexe Entitäten in ihre
Teile und zeige, dass sie eine mereologische Summe dieser Teile sind
(Mereologie: Lehre von der Relation Ganzes – Teile)
4 Psychologie ohne Seele – Anzeichen für eine Problemverschiebung?
Monistischer Naturalismus
- Dominanz der Korpuskularontologie: Einheiten (= identifizierbare Entitäten)
sind mereologische Summen physikalischer Elemente
-  Biologie: Synthetische Evolutionstheorie
- Selbstorganisation und Zufall
- („Selbst“ wurde von selbst)
- Erfolge der Molekularbiologie und Genetik
4 Psychologie ohne Seele – Anzeichen für eine Problemverschiebung?
Grenzen des Naturalismus
- Korpuskularontologie ist falsch ( Quantenfelder, 4 Kräfte, Energie, …)
- Nichtreduzierbarkeit der Biologie auf Physik
- Systembiologie, Ökologie, Unanwendbarkeit der Ereigniskausalität
- Geist als seelische Fähigkeit: Denken ewiger Gedanken
- Seele als kommunikativer Text
- Grundgedanke (Mack & Röttgers): Wichtiger als das, was in uns ist, ist
das, was zwischen uns ist.
- Zwischen = Fluss der Zeichen = kommunikativer Text
- das Innere ist nicht der „Ort eines Privatus (=Idioten)“, sondern Text
4 Psychologie ohne Seele – Anzeichen für eine Problemverschiebung?
- Seele als kommunikativer Text / Semiosis
Seele als Bezugspunkt im kommunikativen Text,
der den inneren Anderen mit dem äußeren Anderen verbindet (Röttgers)
Interpretand
Zeichen
Referent
endlose semiotische Schleife nach C.S.Peirce
4 Psychologie ohne Seele – Anzeichen für eine Problemverschiebung?
Seele = Leben = Semiosis
„Man kann rein empirisch zeigen, daß nirgendwo in der Welt eine
Organisation, eine planmäßige Gestaltung von Stoffprozessen im
Dienste des Lebens vorkommt ohne Zeichenverkehr“ (S. 18f.)
Bühler, K. (1936). Die Zukunft der Psychologie und die Schule. (Schriften des
pädagogischen Instituts der Stadt Wien) Wien, Leipzig. Deutscher Verlag für Jugend und
Volk Gesellschaft M.B.H.)
4 Psychologie ohne Seele – Anzeichen für eine Problemverschiebung?
Sebeoks These:
To be alive is to be semiotically active. Thomas A. Sebeok
“Semiosis is what distinguishes all that is animate from lifeless”
(Sebeok 1988: 1089).
Sebeok, Thomas A. 1988. Communication, language and speech: Evolutionary considerations. In: Herzfeld,
Michael; Melazzo, Lucio (eds.), Semiotic Theory and Practice: Proceedings of the Third International
Congress of the IASS Palermo, 1984, vol. II. Berlin: Mouton de Gruyter, 1083–1091.
Leben = Zeichenverkehr = Semiosis (genauer: Zoosemiosis; Sebeok,
1990)
Sebeok, Thomas A. 1990. Essays in Zoosemiotics. Toronto: Toronto Semiotic Circle.
Rothschild, Friedrich Salomon 1968. Concepts and methods of biosemiotic. Scripta
Hierosolymitana 20: 163–194.
C. Emmeche/K. Kull (Hgg.) (2011): Towards a Semiotic Biology: Life is the Action of Signs,
London.
4 Psychologie ohne Seele – Anzeichen für eine Problemverschiebung?
Explananda für den Begriff Psyche:
Funktionelle Organisation (Differenzierung, Integration, Veränderung und
diachrone Identität) von Lebewesen als Systemische Information:
•
•
•
•
von der genetischen Information (Transkription, Translation in Proteine)
von den molekularen Komponenten und der Organisation einzelner Zellen
über die arbeitsteilige Organisation von vielen Zellen zu Organen
über die Organisation von Organen zu Organismen, die als Lebewesen
Ökosysteme ausbilden,
• wachsen, sich selbst erhalten, selbst reparieren (in bestimmtem Maße),
sich fortpflanzen und die
• Umgebungs- und Selbstmodelle bilden (Aufnahme, Verarbeitung von
„Formen“ = Prozess der In-Formation), und
• Kultur (Komplexitätssteigerung der Biosphäre zur Semiosphäre) formen.
4 Psychologie ohne Seele – Anzeichen für eine Problemverschiebung?
Explananda für den Begriff Psyche:
Leben ist Zeichenverkehr (und Informationsverarbeitung)
Psyche ist geeignet, diese funktionelle semiotische Organisation zu
bezeichnen und kommt damit der aristotelischen Konzeption von Psyche am
nächsten.
Psychologie und Biologie versäum(t)en es, das Lebendigsein angemessen
theoretisch einzufangen.
„Seele“ könnte doch als wissenschaftlicher Begriff gebraucht werden…
4 Psychologie ohne Seele – Anzeichen für eine Problemverschiebung?
Semantische Felder zu Seele (für mich zunächst relevante):
1. Eigenständige Entität, die unabhängig vom Körper existieren kann (anima
separata)
2. Identitätsprinzip der Person
3. Mythologem animistische Weltdeutung
4. Interpretationskonstrukt: Interpretation der Innerlichkeit, des Gemütes
5. Erklärungsbegriff für das Explanandum: Lebewesen (Differenzbegriff)
6. Seele als Organisation (Entelechie) eines bestimmten Körpertyps
7. Seele als Prinzip der Lebendigkeit ist zugleich als Semiose aufzufassen
8. Seele als Bezugspunkt im kommunikativen Text, der den inneren Anderen (=
Seele) mit dem äußeren Anderen verbindet
Literatur
Gil, T. & Mack, W. (2015). Funktionen der Seele. (Reihe Philosophie und Psychologie im
Dialog). Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht.
Mack, W. (2015). Psychologie ohne ‚Seele‘ und ‚Leib‘. Wie es dazu kam, weswegen es
aktuell so ist und ob die akademische Psychologie den Begriff der ‚leibbezogenen Seele‘
braucht. In J. Dierken & M. D. Krüger (Hrsg.), Leibbezogene Seele? Interdisziplinäre
Erkundungen eines kaum noch fassbaren Begriffs (S. 167 – 193). Tübingen: Mohr
Siebeck.
Mack, W. & Röttgers, K. (2007). Gesellschaftsleben und Seelenleben. Anknüpfungen an
Gedanken von Georg Simmel. (Reihe Philosophie und Psychologie im Dialog). Göttingen:
Vandenhoeck und Ruprecht.
Mack, W. (2007). Braucht die Wissenschaft der Psychologie den Begriff der Seele?
http://www.jp.philo.at/texte/MackW1.pdf (Heft 7).
f
i
n
i
s