1. Platz: Alma Dewerny, 17 Jahre, Robert-Havemann-Gymnasium Alma Dewerny 1 Theorie des Glückes Theorie des Glückes 1.1 Lichtbrechung 12.07. 2015 Im Süden und Osten sind Bahngleise, im Westen ein Waldstück und im Norden eine asphaltierte Nebenstraße, die nie jemand befährt. Dazwischen ein nur kniehohes Weizenfeld, dessen schimmernder Gelbton von dem ansonsten so grauen Tag überdeckt wird. Wir sind allein. Ich renne entlang einer Reifenspur und bei jedem Schritt versinken meine Turnschuhe ein bisschen, weil ich nur über dem Boden, auf dem überfahrenen Weizenteppich laufe. Je schneller ich renne, desto weniger spüre ich den Regen. Ich drehe mich um, stoppe und realisiere, dass du direkt hinter mir bist. In dem Moment als ich begann nicht mehr vor mir wegzulaufen, überranntest du mich. Unwissend liefen in dir, die zarten Risse gesprungenen Glases zusammen. Ungeduldig tippe ich von einen Fuß auf den anderen, beiße aus Gewohnheit auf meiner Lippe herum und schubse dich leicht. Endlich kapierst du und rennst auch los, weg vor mir. Ich beginne leise zu zählen. Du hast einen Vorsprung von 7 Sekunden. Wenn Sonnenlicht im richtigen Winkel auf unversehrtes Glas trifft, wird es auch in 7 Farben gebrochen. Erst dann, in ihren einzelnen Komponenten, begreift man die reizende Schönheit einer Banalität. Jetzt renne ich dir hinterher, aber du bleibst stehen und bevor meine Schuhe anhalten können, laufe ich in deine Arme, die mich fest umschließen und mich sanft hochheben und ich den Boden vollständig unter meinen Schuhe verliere. Lachend vergrabe ich mein Gesicht zwischen deinem Hals und deiner Schulter. Das ist eine unserer 7 Farben, die wir manchmal in nur einer halben Minute erkennen, bevor alles wieder zusammenläuft in einem ansonsten grauen Tag. 1.2 Vergiss den Dualismus 22.05.2015 Bis auf uns drei ist der östliche Bahnhof leer. Ich fahre mit meiner Hand durch meine Haare, um meine Müdigkeit zu überspielen, obwohl ich nicht weiß, ob ich wirklich müde bin. Halbfünf nachts ist alles dazwischen. Es ist noch nicht morgens, nachts ist es auch nicht mehr. Das Schwarz von gestern wird ersetzt durch das Weiß von morgen. Und alles was bleibt ist grau (um Halbfünf). Alma Dewerny 2 Theorie des Glückes Von den leeren Bahngleisen kann man gut die schwach erleuchteten Straßen sehen, einige Straßenlaternen sind schon ausgegangen. Bisher liegt auch noch nicht der Morgentau in der Luft. An Jonas selbstbewusstem Gang und dem Niveau seiner Worte, erkenne ich, dass noch Alkohol in seinem Blut sein muss. Ich höre ihm zu und lache, vielleicht nur, weil er nicht bemerkt, dass du und ich nicht die geringste Absicht haben ihm zu folgen. Als einziger läuft er also die Bahnhofstreppe runter, bis er im neonlichtflackernden Tunnel verschwindet. Ich beiße aus Gewohnheit auf meiner Lippe herum, du imitierst albern meinen Gesichtsausdruck. Dann nimmst du meine Hand und ich drehe mich unter deinem Arm, mehrmals. Die Bahngleise und unten die Straße, die Glasabdeckung über uns, deine Gesichtszüge, der Morgen oder die Nacht verwischen in meinen Drehungen, dazwischen ich. Seit langem ist einfach nichts schwarz und nichts weiß, sondern- Halbfünf ist alles dazwischen- grau. Wir lachen, bis du meine Hüfte umgreifst und mich unmerklich näher an dich heran ziehst, dann folgen wir Jonas. Ich, zwischen dir und Joans, laufen wir nach Hause und ab und zu lache ich wirklich über einen seiner schlechten Witze. 1.3 Winkelpräzision 5.04.2015 Wenn sie auf dem Klettergerüst sitzen, sagt ihnen ihr Bauch, sie sind genauso weit vom Boden wie vom Himmel entfernt. Wenn die Sonne, im weißgelbton, durch die Blätter schimmert und sie im richtigen Winkel sitzen, werden sie geblendet und realisieren, dass es Sommer wird. Der richtige Winkel ist leicht zu finden auf dem Klettergerüst, ihre Beine zum Himmel gestreckt und alles ist präzise ungerade, die Wolken, die Flugzeuge, auch ihre Gedanken, genauso, dass alles richtig ist. Mit ihren zierlichen Fingern verfolgt eine von ihnen den Abwärtstrend der Narben des Holzes. Nur im Richtigen Winkel laufen sie alle in einem Fixpunkt zusammen. Die Eine von ihnen liegt auf dem Bauch der anderen, beide werden in diesem Winkel von der Sonne geblendet.
© Copyright 2024 ExpyDoc