Von der Romanik bis zum 21. Jahrhundert

GIESSEREI-ERFAHRUNGSAUSTAUSCH 12/2008
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Autor: Christina Cassim, Fotos: Bildarchiv Kunstgiesserei, Felix Lehner
Von der Romanik bis zum
21. Jahrhundert
Geschichte des Kunstgusses, Teil 2
Bild 1: Plastik von Aristide Maillol aus dem Jahr 1937 während einer Erneuerung der Patina in der Kunstgiesserei
Teil 1 des Beitrags in Heft 10 thematisierte die Technik des Metallgusses
bis zur Zeitenwende, zu der diese weitgehend ihren heutigen Stand
erreichte. Der vorliegende Teil 2 beschreibt die Erweiterung der technischen Möglichkeiten und den Wandel des künstlerischen Ausdrucks bis
zum Beginn des 21. Jahrhunderts.
Der künstlerische Bronzeguss wurde
im ersten Jahrtausend n. Chr. in den
Kulturen der römischen, frühchristlichen, chinesischen, byzantinischen
und burgundischen Herrscher betrieben. Die Gießhütte Karls des Großen
in Aachen brachte neue Meisterwerke hervor, ebenso wie die Werkstätten
Bischof Bernwards in Hildesheim, mit
denen eine neue Blüte in romanischer
Zeit begann.
Ln der Gotik verlor die Bronzekunst gegenüber der Stein bildhauerei an Bedeutung und wurde erst in der Renaissance von neuem wieder belebt. Mit
der Werkstatt von Lorenzo Ghiberti
und dem Auftrag zur Herstellung der
Bronzetüren am Baptisterium in Flo-
renz (1425 bis 1452) wurde eine neue
Schule der Plastik und des Kunstgusses begründet, die za.hlreiche Bildhauer beeinflusste. Einer der Schüler
Ghibertis war Donatello, der seinerseits
Werkstätten in Rom, Padua und Sienna
gründete und der Bildplastik eine neue
Richtung gab. Im Unterschied zu Ghiberti beschränkte sich Donatello ganz
auf die plastische Arbeit und führte
seine Güsse nicht selber aus.
Unter den italienischen Bildhauern des
16. Jahrhunderts in der Zeit des Manierismus erlebte die Bronzeplastik einen
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Das internationale Forschungsprojekt zum Betenden Knaben (1994 bis
1997) sollte helfen, Vorstellungen
über antike Schweiß- und Flicktechniken zu verifIzieren. Während heute übliche Schweißtechniken erst seit
dem 19. Jahrhundert bekannt sind,
wurden Metallverbindungen bis dahin vorwiegend in der so genannten
Überfangtechnik (Vascetta-Technik)
ausgeführt. Hierbei werden die beiden
zu verbindenden Teile eingekerbt und
mit einem Metall vergossen. Der Be-
tende Knabe (Bild) weist jedoch an seinen Fügestellen echte Schweißverbindungen auf, die wahrscheinlich in der
so genannten Tiegelschweißung ausgeführt sind. Hierbei wird ein Gusskanal um die Nahtstellen angelegt und
dieser mit Bronze gespült, bis das umliegende Metall gleichmäßig erhitzt ist
und sich mit dem Gießmetall verbindet.
Die Kunstgiesserei führte verschiedene
Proben durch, die zuvor aus Computersimulationen gewonnene Untersuchungsergebnisse bestätigten.
Das Forschungsprojekt zum Betenden
Knaben war eine Kooperation mit Uwe
Rohnstock-Peltz, Berliner Museen
Preußischer Kulturbesitz, dem Instituto Centro di Restauro, Rom, mit Edilberto Formigli und dem Gießerei-Institut, Aachen.
Meister. Viele der damals entstandenen
Großplastiken fIelen der Revolution
zum Opfer oder wurden zu Kanonen
umgeschmolzen. Die Arbeitsteilung in
vielen Werkstätten entsprach schon
damals einer ausgesprochenen Spezialisierung: Es gab verschiedene Künstler für die einzelnen Arbeitbereiche,
wie Entwurf, Modellieren der Figuren
und des Zierrats: den Gipsformer, den
Gießer, den Ziseleur und den Vergolder. Die serielle Produktion professioneller Gießereibetriebe fand bisweilen massenhaften Absatz. Wie schon
in der römischen Antike wurden Reiterstandbilder und volkstümliche Szenen in frei kombinierbaren Einzelteilen
mit wunschgemäß portraitähnlichen
Köpfen angeboten. Die Verflachung
der Qualität mit der Befriedigung des
populistischen Geschmacks trug zum
Niedergang der Bronzeplastik bis zum
19. Jahrhundert bei.
Verfeinerte Schmelz- und Gießtechniken
Im 18. und 19. Jahrhundert wurde die
Bronzeplastik meistens durch günstigeren Bleiguss ersetzt. In den Gärten
von Versailles wurden vergoldete Bleigüsse mit einem Zinnanteil von 20%
aufgestellt. Im 19. Jahrhundert kamen
vermehrt auch Zinkgüsse in Mode.
Durch verfeinerte Schmelz- und Gießtechniken wurde der Eisenkunstguss
zunehmend bedeutsam. Die Entwicklung des Sandformgießens und seine
rege Verwendung brachten im 19. Jahrhundert das Wachsausschmelzverfahren nahezu zum Verschwinden. Mit der
Zeit ließen sich immer feinere Sandformen und dünnflüssigere Eisenlegierungen herstellen. Die rauere und
verflachende Ästhetik des Eisenkunstgusses wurde zeitweise der warmen,
lebendigen Anmutung der Bronze vorgezogen. Gleichzeitig wurde durch die
Kunstgiesserei-Sonderprojekt: "Der betende
Knabe"
"Der betende Knabe" in der Kunstgiesserei
neuen Höhepunkt, vor allem unter den
Meistern Benvenuto Cellini und Giovanni da Bologna. Neben bedeutenden
Großplastiken blühte auch die Bronzekleinkunst. Aus Cellinis Schriften ist
einiges über das Verhältnis der Künstler zu ihren Auftraggebern und über
die Probleme des Handwerks bekannt.
Schon damals führten wenige Bildhauer ihre Güsse selbst aus. Cellini besaß
wie Ghiberti eine Ausbildung als Goldschmied und hatte den Ehrgeiz, seinen
Güssen selbst die größtmögliche Perfektion zu verleihen, was schon damals
eher eine Seltenheit war. Der Meister
selbst geriet häufIg an die Grenzen seiner Handwerkskunst und musste gelegentlich Glockengießer zu Rate ziehen.
Im Barock blühte die Bronzekunst vorwiegend in Frankreich, vor allem durch
den Einfluss Berninis. In Deutschland
war August Schlüter der maßgebliche
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Erfmdung eines VerkJeinerungsapparates 1839 zur Reproduktion von Plastiken injedem beliebigen Maßstab eine
massenweise Herstellung von Kopien
eingeleitet. Dadurch verlor der Bildhauer gegenüber dem Gießer an Bedeutung, und der Markt wurde von da
an mit minderwertigen Kleinbronzen
überschwemmt.
Ende des 19. Jahrhunderts lebte die
Verwendung von Bronze zum Teil
wieder auf. Im Jugendstil und Art
Deco kam es zu einer florierenden
kunsthandwerkJichen Industrie. Plastiken in Serienguss, Möbel, Lampen,
Vasen, Tafelschmuck, Kamingarnituren, Schreibtischgeräte, Beschläge,
Füße und anderes wurden in Bronze
und anderen Kupferlegierungen gegossen.
Die EntwickJung der Bronzeplastik gegen Ende des 19. Jahrhundert wurde
vor allem von Rodin beeinflusst. Ein
weiterer wesentlicher Einfluss zum
Ausbruch aus der idealistisch-naturalistischen Bronzeplastik kam von
Seiten der Malerei von Künstlern wie
Daumier oder Degas.
Gießereitechnologie in der
Neuzeit
Viele Neuerungen auf dem Gebiet der
Gießereitechnologie stammen aus der
Rüstung und dem sich entwickelnden
Gesundheitswesen, der modellhaften
Anatomie und der Zahnheilkunde. Für
Forschung und Heilkunde wurden seit
dem 17. Jahrhundert naturalistische
Körperabformungen und Modelle aus
Wachs gefertigt. Die Fertigung des Abdruckes eines Gebisses zur Herstellung
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von Zahnersatz kam um 1700 in Gebrauch.
Ende des 19. Jahrhunderts kam es zu
zahlreichen Neuerungen auf dem Gebiet der zahntechnischen Gießverfahren. Keramische Gebisse aus Speziallegierungen wurden seit 1929 gefertigt
und bald auch hochschmelzende Metalle für die Anfertigung von Zahnprothesen eingesetzt.
Im 20. Jahrhundert ermöglichte die industrielle Gießereiproduktion das Anfertigen von großen Zahlen gleicher
Formstücke (Bild 1). Im Schleuder- und
Druckgießen wurden Serienschmuck
und Maschinenteile gegossen. Die Präzisionsgießerei wurde zu Anfang des
20. Jahrhunderts in der Rüstungsindustrie erheblich vorangetrieben und
nach 1945 im Fahrzeug- und Schiffbau, für die Luft- und Raumfahrtindustrie, im Maschinen, Turbinen-,
Pumpen-, Apparatebau und der Medizinaltechnik weiterentwickelt. Spezialstähle und Nichteisenlegierungen
(Kupfer, Messing, Aluminium, Kobalt,
Chrom, Wolfram) wurden in KeramikFormteilen oder Metallformen vergossen.
Die Entwicklungen der industriellen
Gießerei hatten ihren Einfluss auch
auf die künstlerische Produktion, nicht
erst, seit dem die Pop Art in den 60erJahren die serielle Warenproduktion von Konsumgütern thematisierte.
Mit Direktabformung und multipler
Vervielfältigung in nichtmetall ischen
Materialien, vor allem in modernen
Kunststoffen, nahm die plastische
Kunst Einflüsse aus der industriellen
Fertigung auf. Durch die EntwickJung
hoch technisierter Präzisionsgießverfahren wurden die Anforderungen an
die Materialästhetik auch im Kunstguss beeinflusst.
Mit ihrer Verfeinerung erlangen digitaJe Techniken am Anfang des 21. Jahrhunderts vor allem im Modell- und
Formenbau eine immer größere Bedeutung. Dreidimensionale Zeichnungen
werden direkt am Computer erstellt
oder mithilfe von optischen Scannern
oder Computertomographen vom Modell zunächst in räumliche Information verwandelt. Bei der Umsetzung zu
plastischen Prototypen kommen unterschiedliche Verfahren zum Einsatz, bei
denen flüssiger oder pulverförmiger
Kunststoff schichtweise ausgehärtet
bzw. verschmolzen wird (Stereolithographie, Lasersintering). Mithilfe von
Robotern und 5-Achs-Fräsmaschinen
lassen sich auch großdimensionale
Modelle aus Kunststoff fräsen.
Auch in der zeitgenössischen Kunst
fmden solche Techniken immer mehr
Anwendung, beispielsweise wenn vom
Modell detailgenaue Abformungen in
monumentaler Größe gefertigt werden sollen. Digitalverfahren werden
zum Experimentierfeld, wenn es darum geht, den Grad zu hinterfragen, in
dem der Mensch Computern die Gestaltung und Fertigung seiner Artefakte überlässt.
Christina Cassim, Dipl. -Designerin,
Berlin
Weitere Informationen:
www.kunstguss.ch
Literatur
Zimmer, G.: Antike Werkstattbilder. Bilderheft der Staatlichen Museen Preussischer Kulturbesitz, Heft 42. Gebr. Mann
Verlag, Berlin 1982.
Spycher, A.: Der Bronzeguss - ein antikes Kunsthandwerk. Heft 58. Verlag der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde, Basel.
Hauser, Ch.: Die Kunstgiesserei. Les Editions de Bonvent, Genf 1972.
Bol, C. P.: Antike Bronzetechnik. Kunst und Handwerk antiker Erzbildner. Verlag Ch.H. Beck, München 1985.
Moesta, H.: Erze und Metalle - ihre KuJturgeschjchte im Experiment. Springer Verlag, BerIin, Heidelberg, New York,
Tokyo 1986.
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