Inwieweit berührt das Flüchtlingsthema die Arbeit der Stiftung

Inwieweit berührt das Flüchtlingsthema die Arbeit der Stiftung Gesellschaft macht Schule? Die Stiftung Gesellschaft macht Schule setzt sich mit der Verzahnung von Regelunterricht und Komplemen-­‐
tärangebot an Schulen für den Abbau von herkunftsbedingten Bildungsnachteilen und sozialer Armut ein. Im Schuljahr 2015/16 engagiert sie sich mit über 40 Projekten an sieben Grund-­‐ und Mittelschulen in München für 400 Kinder und Jugendliche. Die politisch unabhängige und gemeinnützige Bildungsstiftung, deren Pro-­‐
jekte durch Spenden ermöglicht werden, ist seit 2003 tätig und anerkannter Träger der freien Jugendhilfe. Die gesellschaftliche Herausforderung Der aktuelle Zuzug von Kinder und Jugendlichen fordert uns alle, insbesondere die Akteure im deutschen Bildungssystem. Er ist kein neues Phänomen, auch wenn er an Intensität ein bislang unbekanntes Ausmaß erreicht hat. Laut einer aktuellen Studie des Mercator-­‐Instituts hat sich die Anzahl der zugezogenen Kinder und Jugendlichen von 2006 bis 2014 mehr als vervierfacht. Bis Ende 2015 werden voraussichtlich selbst die hohen Zuzugszahlen vom Anfang der 1990er-­‐Jahre überschritten werden (Mercator-­‐Institut 2015: 60). In Bayern werden Schülerinnen und Schüler mit nichtdeutscher Muttersprache vor allem an Grund-­‐ und Mittelschulen unterrichtet (vgl. Regierung Oberbayern). In den Grundschulen werden sie oft in Regelklas-­‐
sen aufgenommen und mit zusätzlichen Deutschfördermaßnahmen beim Spracherwerb unterstützt (sog. Deutschförderklassen oder Sprachlernklassen), an den Mittelschulen, bei Bedarf aber auch an Grundschu-­‐
len, werden sogenannte Übergangsklassen eingerichtet. Wie stark der aktuelle Zuzug das bayerische Schul-­‐
system herausfordert, wird an der Anzahl der neuen Übergangsklassen deutlich: „Zu Beginn des Schuljahres 2015/16 waren an Bayerns Grund-­‐ und Mittelschulen gut 470 Übergangsklassen für schulpflichtige Flücht-­‐
linge und Asylbewerber eingerichtet; zu Beginn des Schuljahres 2014/15 waren es nur rund 300.“ (StBKWK, PM365/2015). Bei den Herausforderungen für die einzelnen Schulen zeigt sich ein deutliches Stadt-­‐Land-­‐Gefälle. Auch innerhalb einer Stadt können die Herausforderungen von Stadtteil zu Stadtteil und von Schule zu Schule ganz unterschiedlich sein. Die steigenden Zuwanderungszahlen betreffen die Arbeit von Gesellschaft macht Schule nicht erst seit die-­‐
sem Jahr. Bereits seit dem Schuljahr 2011/12 unterstützt sie eine altersübergreifende ABC-­‐Klasse (sog. Übergangsklasse) an der Münchner Mittelschule Simmernstraße mit einem unterrichtsbegleitenden Lese-­‐ und Förderangebot. 2012 hat der Filmregisseur Wolf Gaudlitz einen Dokumentarfilm mit dem Titel „Jetzt, nicht irgendwann“ über diese Klasse gedreht (Trailer unter https://www.youtube.com/watch?v=xuxiyTYveq4). Mittlerweile sind an der Mittelschule Simmernstraße zwei Deutschförderklassen und insgesamt drei Übergangsklassen eingerichtet. Drei weitere unserer Kooperationsschu-­‐ len haben Übergangsklassen eingerichtet. Eine davon ist die Mittelschule an der Ichostraße, an der mittlerweile drei Über-­‐ gangsklassen mit insgesamt 66 Kindern – überwiegend aus Syrien, Afghanistan, Irak, Somalia, Bulgarien und Rumänien – unterrichtet werden. F
Foto: Leseförderung für Flüchtlings-­‐ und Migrantenkinder, Mittel-­‐
schule Simmernstr. München, Klasse 7ü, Schuljahr 2014/15 Stiftung Gesellschaft macht Schule gemeinnützige GmbH · Waltherstraße 23 · 80337 München
Telefon 089-544 796 85-0 · Fax 089-544 796 85-29 · Mail [email protected] · Web www.gesellschaft-macht-schule.de
Bankverbindung Hypo Vereinsbank AG, München · BLZ 700 202 70 · Konto 10 36 22 65 · IBAN DE43700202700010362265
Geschäftsführerin Dr. Sandra Mittag · Amtsgericht München · HRB 196867 · BIC HYVEDEMMXXX
Zum Schuljahr 2016/17 werden voraussichtlich 15 dieser Kinder in die Regelklassen wechseln. Im aktuellen Schuljahr 2015/16 haben bereits vier Kinder aus der Übergangsklasse in „unsere“ Ganztagsklassen 6g und 8g gewechselt und nehmen an allen unseren hier angebotenen Kursen teil, u.a. auch an dem mit dem WIRKT-­‐Siegel ausgezeichneten „Sozialtraining: Team und Sport“. Unsere Projekte an der Mittelschule an der Ichostraße im Schuljahr 2015/16 Ein weiteres Projekt, in dem wir bisher ein Flüchtlingskind aufgenommen haben, ist unser Berufsorientie-­‐
rungsprojekt BEO+ (Projekt-­‐Website: www.beo-­‐muenchen.org). Bei BEO+ handelt es sich um ein Gesamt-­‐
projekt zur Berufsorientierung für Schüler im gebundenen Ganztag an Münchner Mittelschulen, um gelin-­‐
gende Übergänge Schule-­‐Beruf zu fördern. Da der Migrationsanteil an den beiden Mittelschulen, an denen das Projekt umgesetzt wird, sehr hoch ist, liegt das Augenmerk des Projekts auf einer kultursensiblen Über-­‐
gangsgestaltung. Übergang Schule - Beruf
BEO+ Berufsorientierung an Mittelschulen
Mittelschule an der Guardinistraße
Mittelschule an der Wiesentfelser Straße
BEOlino
Kompetenzen fördern
BEOg
Ein kultursensibles
Angebot im
gebundenen Ganztag
BEOi
Individuelle Betreuung
Potentiale entdecken
und Stärken fördern
in der 7. Klasse
Berufsorientierung
und Berufswahlentscheidung
in der 8. Klasse
Einzelcoachings
ab Mitte der 8.
bis Ende der
9. Klasse
angelehnt an Team
und Spiel
Unterstützung beim
Bewerbungsprozess
in der 9. Klasse
Nachbetreuung
in Anschluss an den
Abschluss und
Übergang
max. 11 Monate
+
+
BEO+ für Eltern: Information und Dialog
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Zwei weitere unserer Kooperationsschulen (eine Grundschule und eine Mittelschule) rechnen damit, im Laufe dieses Schuljahres bzw. zum kommenden Schuljahr zugewanderte Kinder und Jugendliche aufzuneh-­‐
men. An der Grundschule werden die Kinder direkt in die Regelklassen aufgenommen und zusätzlich in sogenannten Sprachlernklassen in Deutsch unterrichtet. An der Mittelschule wird voraussichtlich noch im Lauf des Schuljahres 2015/16 eine Übergangsklasse mit ca. 22 Kindern eingerichtet. Unser Lösungsansatz Die Stiftung Gesellschaft macht Schule möchte dazu beitragen, dass die nachhaltige Integration von jungen Flüchtlingen und Migranten in Schule und Gesellschaft gelingt. Dabei geht es uns nicht nur um das erfolg-­‐
reiche gemeinsame Lernen. Es geht vor allem um eine gelingende soziale und kulturelle Aufnahme im schu-­‐
lischen und sozialen Umfeld. Die aktuelle Studie des Mercator-­‐Instituts bestätigt uns in unserem Ansatz, dass die Bildung der zugewanderten Schülerinnen und Schüler nicht auf die Sprachförderung im Deutschen reduziert werden darf: „Vielmehr erfordert die Heterogenität der neu zugewanderten Kinder und Jugendli-­‐
chen einen ressourcenorientierten Zugang und ein hohes Maß an individueller Förderung und Differenzie-­‐
rung“ (Mercator-­‐Institut 2015: 63). Unser Anliegen ist es, den Kindern und Jugendlichen trotz ihrer Fluchthistorie so bald wie möglich eine ganz normale Kindheit und Jugend in Deutschland zu ermöglichen, mit denselben Teilhabechancen an Bildung, Ausbildung und Arbeitsmarkt wie ihre in Deutschland lebenden Altersgenossen. Denn Normalität bringt diesen Kindern und Jugendlichen die größte Stabilität. Sobald die Jugendlichen aus den Übergangsklassen in die Regelklassen im Ganztag wechseln, nehmen wir sie -­‐ wie oben beschrieben -­‐ in unsere bestehenden Projekte auf. Auf diese Weise kommen sie mit den hier lebenden Kindern und Jugendlichen in Kontakt. Integration wird auf diesem Weg erleich-­‐
tert, da die Kinder sich in bereits stabile Strukturen integrieren. Foto: Sozialtraining: Team & Spiel, Mittel-­‐
schule Ichostr., Klasse 9g, SJ 2014/15 Die Integration der Kinder und Jugendli-­‐
chen mit Fluchthistorie in unsere beste-­‐
henden Projekte ist für uns aus mehreren Gründen sehr gut umsetzbar: 1) In allen unseren Projekten ist der Anteil an Kindern und Jugendli-­‐
chen mit Migrationshintergrund sehr hoch (ca. 60 bis 85%). Eine migrationssensible Haltung, wie sie das Mercator-­‐Institut für alle Akteure im Bildungssystem emp-­‐
fiehlt (Mercator-­‐Institut 2015: 65), ist für uns seit Jahren eine gelebte Selbstverständlichkeit. 2) Ein Teil unserer Kooperationsschulen hat seit mehreren Schuljahren Übergangsklassen. Eines unse-­‐
rer Projekte richtet sich seit dem Schuljahr 2011/12 gezielt an eine Übergangsklasse. Wir haben mit der Zielgruppe bereits Erfahrungen und können dieses Erfahrungswissen nun an die Schulen weit-­‐
ertragen, die in diesem Schuljahr erstmalig mit dem Problem konfrontiert sind. 3) Wir arbeiten in allen unseren Projekten mit einem hohen Betreuungsschlüssel von ca. 1:6. 3
4) Wir arbeiten mit einem ressourcen-­‐ und beziehungsorientierten Ansatz, der ein hohes Maß an indi-­‐
vidueller Stärkung anstrebt und ermöglicht. 5) Wir haben die relevanten Kompetenzen im Team: Unsere Projektleiterinnen sind ausgebildete So-­‐
zialpädagoginnen mit mehrjähriger Berufserfahrung. Darüber hinaus wird unsere Arbeit von Beginn an von unserer freiberuflichen Psychologin, Sonja Veit, begleitet, die unsere Fortbildungen und Su-­‐
pervisionen durchführt und uns auch in der Projektkonzeption unterstützt. 6) Unsere Kursleiter werden in einer internen Fortbildung (FamilienTeam Profi, s. Anlage 1) und jährli-­‐
chen Workshops zu unterschiedlichen, für ihre Arbeit mit den Schülern, relevanten Themen fortge-­‐
bildet und erhalten die Möglichkeit zur regelmäßigen Supervision ihrer Arbeit mit unserer freiberuf-­‐
lichen Psychologin. Die Themen der Workshops orientieren sich am Bedarf. Die Integration, ggfs. traumatisierter, Kinder und Jugendlicher mit Fluchthistorie ist bereits Gegenstand der Supervisio-­‐
nen und Workshops. 7) Unser Ansatz ist präventiv: Wir können Kinder und Jugendliche mit Fluchthistorie und Traumata im schulischen Kontext nicht therapieren, aber wir können und wollen einer Stigmatisierung und Re-­‐
traumatisierung vorbeugen, indem wir die Jugendlichen in ihrer Identitätsentwicklung unterstützen und stärken. 8) Wir arbeiten in einem Netzwerk: Wir stehen im Austausch mit der Landeshauptstadt München, dem Bayerischen Kultusministerium, dem Münchner Lehrerinnen und Lehrerverband sowie weite-­‐
ren Stiftungen und gemeinnützigen Einrichtungen. Quellen Mercator-­‐Institut 2015 (Hrsg.): Neu zugewanderte Kinder und Jugendliche im deutschen Schulsystem. Mer-­‐
cator-­‐Institut für Sprachförderung und Deutsch als Fremdsprache und Zentrum für LehrerInnenbildung der Universität zu Köln, 2015. Regierung Oberbayern. Deutschfördermaßnahmen für Schülerinnen und Schüler mit nichtdeutscher Mutter-­‐
sprache. URL: http://www.regierung.oberbayern.bayern.de/aufgaben/schulen/grundhaupt/integration/03721/ (Letzter Zugriff am 09.12.2015). StBKWK, PM365/2015. Angebote für junge Asylbewerber und Flüchtlinge in Bayern stark ausgeweitet – Dynamische Entwicklung beobachten. Pressestelle des Bayerischen Staatsministerium für Bildung und Kul-­‐
tus, Wissenschaft und Kunst. Trailer zum Film „Jetzt nicht irgendwann“. URL: https://www.youtube.com/watch?v=xuxiyTYveq4, letzter Zugriff: 09.12.2015. Webseiten der oben erwähnten Projekte der Stiftung Gesellschaft macht Schule: •
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„Leseförderung für Flüchtlings-­‐ und Migrantenkinder“. URL: http://gesellschaft-­‐macht-­‐
schule.de/cms/Projekte/lesefoerderung/ „BEO+. Berufsorientierung an Mittelschulen im Ganztag.“ URL: http://www.beo-­‐muenchen.org/ „Sozialtraining: Team und Sport.“ URL: http://gesellschaft-­‐macht-­‐schule.de/cms/Projekte/team-­‐-­‐
sport/. 4
Anlage 1: Fortbildungen und Supervisionen Um ihrer Rolle gerecht zu werden, müssen die Kursleiter von Gesellschaft macht Schule zunächst die für die Arbeit mit Schülern nötigen professionellen, pädagogisch-­‐psychologischen und menschlichen Vorausset-­‐
zungen erfüllen. Außerdem sind alle „Team und Spiel“-­‐Kursleiter verpflichtet, eine von Gesellschaft macht Schule speziell für den Einsatz an Grund-­‐ und Mittelschulen konzipierte 24-­‐stündige Fortbildung zu besu-­‐
chen, die auf dem Trainingsprogramm FamilienTeam Profi (Graf 2008) basiert. Dieses wurde Mitte der 2000er Jahre als Training für pädagogische Fachkräfte entwickelt, die mehrheitlich mit Kindern arbeiten, die kein angemessenes Sozialverhalten zeigen bzw. Lernschwierigkeiten haben (http://pz5nvbgs.bplaced.net/FamilienTeam/FT_Profi.html). Eine Evaluation des Trainingsangebots hat eine sehr gute Bewertung bescheinigt. Im Rahmen der Fortbildung werden unsere Kursleiter in acht Sitzungen à drei Stunden dazu befähigt •
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eine von Respekt, Vertrauen und Wertschätzung getragene Bindungsbeziehung zu den einzel-­‐
nen Schülern aufzubauen eine Haltung von Optimismus und Zuversicht zu fördern ein positives Klassenklima herzustellen Schüler in ihrem Selbstwert zu stärken und ihre Selbstverantwortung zu fördern die Ressourcen der Schüler zu aktivieren Verhaltensauffälligkeiten zu verstehen und mit kritischen Situationen kompetent umzugehen Spaß an der nicht immer einfachen, doch spannenden Arbeit mit Schülern zu haben. Ergänzend zur Fortbildung können alle Kursleiter das ganze Schuljahr über an Supervisionen teilnehmen, um ihre Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern gemeinsam mit der FamilienTeam-­‐Profi-­‐Trainerin zu reflektieren und bei Bedarf nach möglichen Handlungsalternativen zu suchen. Zusätzlich zur FamilienTeam Profi-­‐Fortbildung werden für die Kursleiter jährliche Workshops angeboten (vier Sitzungen à 2,5 Stunden), in denen bedarfsorientiert Themen aufgegriffen werden, die über Einzelfälle hinausgehen. Die Themenschwerpunkte umfassen u.a.: Aggression, Mobbing, Kindschutzgefährdung, Hilfe zur Selbsthilfe für Jugendliche, sozialpädagogische Spiele, sensibler Umgang mit dem Flüchtlingsthema (u.a. Risiken und Gefahren wie Retraumatisierung; „normaler“ Umgang mit den Kindern bei gleichzeitiger Sensi-­‐
bilität für ggfs. weitergehenden professionellen Handlungsbedarf). 5