B I L A N Z Oktober 2015 / Ein Konzern zerlegt legt sich sicch Das deutsche Wirtschaftsmagazin / O K T O B E R / 2 0 1 5 DER TESLACOWBOY Die unglaubliche Geschichte, wie sich ein Bordellbesitzer und Immobilienmagnat mit dem berühmtesten Elektroautokonzern der Welt verbündete L U X U S / S P E Z I A L PHILIPS Volkswagen / Der neue starke Mann star iin n Wolfsburg W MEDITATION / Wie Manager die Nerven behalten %FOLFO4JF.FUFSWPSBVT %FOLFO4JFBO-JDIU %FOLFO4JFIFMMFS %FOLFO4JFUBHIFMM %&/,&/4*&-*$)5/&6 %&3"/4136$) %3*7*/(-6963:%&3/&6&#.8FS.*5- "CCJMEVOH[FJHU4POEFSBVTTUBUUVOHFO-BTFSMJDIUPQUJPOBMJNOFVFO#.8FSFSI¤MUMJDI 70/.03(&/ -"4&3-*$)5 %FSOFVF#.8FS XXXCNXEFFS 'SFVEFBN'BISFO Deutsche Bank deutsche-bank.de/sportstipendium Sport-Stipendiat des Jahres 2015: Sophia Saller Wir gratulieren zu Höchstleistung in Sport und Studium Die Deutsche Bank und die Deutsche Sporthilfe haben zum dritten Mal den Sport-Stipendiaten des Jahres gekürt. Diese Auszeichnung wird jährlich an einen Athleten aus dem Deutsche Bank Sport-Stipendium vergeben, der neben sportlichen auch vorbildliche akademische Leistungen erbringt. Siegerin der Publikumswahl ist die Triathletin und Mathematikstudentin Sophia Saller. Die U23 Triathlon-Weltmeisterin 2014 hat Mathematik an der Universität Oxford studiert und ihren Master mit der Auszeichnung „First Class Honours“ abgeschlossen. Derzeit bereitet sie sich auf ihre Promotion in Oxford vor und geht bei Rennen der „World Triathlon Series“ mit dem Blick auf Top-Platzierungen an den Start. VORWORT BILANZ / OKTOBER / 2015 Mein Unternehmen: erfolgreich. Meine Steuerberaterin: unentbehrlich. VON RENO NACH WOLFSBURG Wie man Tempo bolzt, liebe Leser, kann man von den Amerikanern lernen. Die Geschichte über unseren Coverboy Lance Gilman zeigt, mit welchem Affenzahn man heute wirtschaften muss. Wir erzählen, wie dieser Cowboy in Wild-West-Manier einen Mann, der ebenfalls keine Bummelei duldet, für eine Milliardeninvestition ins Niemandsland von Nevada lockte: Elon Musk, den Multi- und Fortschrittsunternehmer, Idol einer ganzen Gründergeneration. Für sein Elektroauto „Tesla“ baut er auf Gilmans Gelände bei Reno eine Batteriefabrik, und zwar die größte der Welt. Wenn es um Zukunftstechniken geht, halten sich die Amerikaner nicht mit halben Sachen auf. Das Gleiche gilt für das selbstfahrende Auto, auch ein Thema in diesem Heft: Nicht in 15, nein, in zehn Jahren soll es in den USA durch den Stadtverkehr rollen. Man muss kein Hellseher sein, um zu wissen, dass Google, Apple und Tesla zu den herrschenden Kräften gehören werden. Und die Deutschen, die von sich behaupten, die besten Autos der Welt zu bauen? Nun, das Unternehmen, das sich des weltweit größten Forschungsetats rühmt, Volkswagen, hat es nicht fertiggebracht, einen Dieselmotor zu entwickeln, der ohne Manipulation die erforderlichen Abgaswerte einhält und den Ansprüchen für seine Zulassung genügt. Stattdessen hat der Konzern seine Kunden, die Öffentlichkeit und die Behörden getäuscht. Jahrelang, auf der ganzen Welt. Zu verantworten haben dies in erster Linie der zurückgetretene Vorstandschef Martin Winterkorn, aber auch der zum angeblichen Alleswisser überstilisierte Ferdinand Piëch, der sich von 2002 bis 2015 in der Rolle des patriarchalisch-dämonischen Aufsichtsratsvorsitzenden gefiel, seinen Aufsichtspflichten aber offenkundig nicht in hinreichendem Maße nachgekommen ist. Piëch und Winterkorn haben eine Unternehmenskultur geschaffen, in der fortgesetzter schwerer Betrug zum Tagesgeschäft gehörte. Sie haben VW sehr groß und sehr klein gemacht. Die Dieseltechnik hat sich durch das VW-Debakel nicht erledigt. Aber der Betrugsskandal hat einmal mehr gezeigt, dass Elektroautos die gesündere Alternative sind. KLAUS BOLDT / Chefredakteur TITELFOTO: JONATHAN SPRAGUE FÜR BILANZ FOTO DIESE SEITE: GIANNI OCHIPINTI FÜR BILANZ Zukunft gestalten. Gemeinsam. 5 Bei allen betriebswirtschaftlichen Entscheidungen und in der Personalwirtschaft können Sie auf die Unterstützung Ihres Steuerberaters vertrauen. Gemeinsam mit ihm und Software von DATEV werden alle Unternehmensfragen geklärt. Sprechen Sie mit Ihrem Steuerberater oder informieren Sie sich auf www.datev.de/vertrauen bzw. unter 0800 1001116. ARMANI.COM/ATRIBUTE CHEN KUN, DAN STEVENS, MATT BOMER in BILANZ / OKTOBER / 2015 AUS DER REDAKTION Die Manager hatten sichtlich Spaß: Audi-Lenker Stadler schaute durch ein imaginäres Schiebedach, Daimlers Lkw-Boss Wolfgang Bernhard vertiefte sich in eine Scheinlektüre, Continental-Chef Elmar Degenhart (Foto) griff zu Teebecher und Croissant. Zweck der Übung: Wir wollten den Traum vom Roboterauto visualisieren. Dafür hielt Fotograf Bernd Hartung Degenhart noch vor dem eigenen Frühstück im Bild fest. Seinen Cowboy-Hut hat Lance Gilman wirklich nur zum Mittagessen abgenommen. Es gab Ribeye-Steak. Gegessen haben wir an seinem privaten Tisch im „Wild Horse Saloon“, und zwar in eben jenem Raum, wo die Freier abends die Damen der MustangRanch zum Line-up antanzen lassen. Für die Bildstrecke über Philips habe ich Modelle gebaut und fotografiert. Ich wollte metaphorisch mit den Produkten umgehen, um den Niedergang des Unternehmens zu versinnbildlichen: ein implodierter Fernseher, Videokassetten, die im Bandsalat versinken. Für die Aufnahmen ist die Lichtsetzung sehr wichtig. Im Fernseher steckt eine Lampe, für die Illusion, im Gerät brenne Feuer – daher das aus dem Bild laufende Kabel. MARK C. SCHNEIDER JÜRGEN SCHÖNSTEIN DOC ROBERT 7 INHALT N NAMEN & NACHRICHTEN 10 LUFTHANSA Warum Kai Pflaume 30.000 Euro pro Tag von den Managern der Fluglinie bekommt – und Eva Padberg nur 25.000 11 BOSCH Früher ein Herz und eine Seele, heute eine zerrüttete Beziehung: Bosch und die deutsche Autoindustrie haben Stress miteinander 12 ALLE WOLLEN ZETSCHE Dem Daimler-Hauptmann gelingt zurzeit alles. Jetzt soll er auch die Präsidentschaft des europäischen Dachverbands ACEA übernehmen 12 HAPAG-LLOYD Ein hanseatischer Reeder ohne Schlips, aber mit Erfolg: Wie Rolf Habben Jansen Hapag-Lloyd fit für den Börsengang macht 14 13 GEORGSMARIENHÜTTE Jürgen Großmann, der Magnat und Lebemann, lässt sich erschreckend viel Zeit damit, sein Stahlwerk auf Vordermann zu bringen Auto-Manager Pötsch: Bei ihm dreht sich alles um VW. 14 DIE WELT DES ... HANS DIETER PÖTSCH Bekommt der künftige Aufsichtsratsvorsitzende den Krisenkonzern Volkswagen in den Griff? FOTOS: BERND HARTUNG, JONATHAN SPRAGUE, DOC ROBERT ILLUSTRATION: LEHEL KOVÁCS Für Männer, die kein GPS brauchen, um zu wissen, wo sie stehen. Saxon One Es sind die Ecken und Kanten, die von wahrem Charakter zeugen. Die Saxon One mit ihrem kantigen, zeitlosen Design gibt dieser Überzeugung eine neue Gestalt: Elegant, dynamisch, eigen. Und geschaffen mit eben jener Perfektion, die das Attribut „Made in Glashütte“ zu einem Qualitätsversprechen von Weltrang gemacht hat. Saxon One LS · Zentraler Minutenstopp Chronograph · 6422-01 Unverbindliche Preisempfehlung 4.900,– € Bestellen Sie jetzt unseren aktuellen Katalog kostenlos unter [email protected]. FÜR DIE GEMACHT, DIE MACHEN. TUTIMA UHRENFABRIK GMBH NDL. GLASHÜTTE 01768 Glashütte/Sa. · Deutschland · Tel. +49 35053 320 20 · [email protected] · www.tutima.com BILANZ / OKTOBER / 2015 INHALT U 16 PHILIPS K onzernchef Frans van Houten setzt alles auf eine Karte – doch er hat wenig Chancen gegen übermächtige Gegner 22 THIELE Gegendarstellung Julia Thiele-Schürhoff 24 MUNICH RE Der Mann der 1000 Katastrophen: Interview mit Nikolaus von Bomhard, dem Chef des Rückversicherers 28 GESCHÄFTSBERICHTE-WETTBEWERB Den besten macht die Telekom 30 PORTRÄT Pult-Figur: Kent Nagano soll Hamburgs Oper wieder Weltgeltung verschaffen 36 PROZESS Im Oktober beginnt die Aufarbeitung der Übernahmeschlacht VW/Porsche. Wer Grund hat, sich zu fürchten 40 AUTONOMES FAHREN Der Fahrer kann zu Hause bleiben: Jetzt kommen die Autoautos 46 WIE GEHT’S EIGENTLICH Michael Naumann und Jost Stollmann? 48 MOTO GUZZI Da wäre mehr drin: Die Kultmarke ist verkommen 24 Mann ohne Hosenträger: Rückversicherer Bomhard. I 30 Kent Nagano soll Weltniveau in die Weltstadt bringen. Die nächste BILANZ erscheint am 6.November IDEEN & INNOVATIONEN 50 TITELTHEMA T esla baut seine Gigafactory 1 in der Wüste von Nevada – weil Lance Gilman, Bordellbesitzer und Bauunternehmer, es so will 58 MEDITATION Digitale Versenkung: die erste Meditations-App P 64 Ihr seid schön: Jungunternehmer in Luxusfummeln. UNTERNEHMEN & MÄRKTE PRIVAT 64 LUXUS – MODE Was die Welt nicht braucht: Jungunternehmer probieren teure Klamotten aus Kaschmir und Kroko an 72 LUXUS – TASCHEN Sattlerstich wie bei Hermès: Die Täschner Stiebich & Rieth sind Lieblinge der Haute Volée 75 RANGLISTE HOLLYWOOD-HOTELS Schlafen bei den Stars 76 LUXUS – MUSEEN Armani, Ferragamo, Vuitton – alle leisten sich ein eigenes Museum 80 LUXUS – AUTOS Das hat uns noch gefehlt: Bentley und Rolls-Royce nehmen Geländewagen ins Programm 86 KUNST Max Hollein erklärt, wann Kunstfreunde wo sein müssen 88 KOCHEN Fred Baader verrät die Adresse des weltbesten Brotbäckers 90 BILANZ-GEWINNER Till Reuter bringt den Roboterbauer Kuka mächtig auf Touren 89 Register, Impressum FOTOS: MICHAEL HERDLEIN, ANATOL KOTTE, JESSICA BARTHEL 9 NAMEN / NACHRICHTEN LUFTHANSA KRAFT DURCH PFLAUME Als ob sie keine anderen Sorgen hätte: Die Lufthansa verpflichtet mitten in der Krise zwei „Markenbotschafter“ – und die sind noch teurer als die Flugkapitäne. 10 Er ist der Sorgenmann der deutschen Wirtschaft: Carsten Spohr (48), Wirtschaftsingenieur, Verkehrspilot und bei der Lufthansa im Range eines Vorstandsvorsitzenden beschäftigt. Im Stammgeschäft verdient sein Unternehmen seit Jahren schon viel zu wenig Geld, Discountkonkurrenten wie Easyjet und Ryanair machen ihm das Wirtschaften zur Hölle – weshalb er in Wien einen Gegendiscountableger aufgemacht hat, Eurowings, um jene Sparfreunde oder Minderbemittelten unter Europas Flugzeugpassagieren Piloten ist nichts verboten: Kapitän Carsten Spohr und seine Botschafter Padberg und Pflaume. zurückzugewinnen, die auf die Maschinen der Wettbewerber umgestiegen sind. Keine schlechte Idee im Grunde genommen – allein Spohrs Lufthansa-Piloten halten sie für gar nicht gut: 13 Mal schon haben sie gegen seine Pläne gestreikt. Weitere Ausstände stehen bevor. Kurz, Passagiere, Mitarbeiter und Aktionäre der Lufthansa machen einiges durch zurzeit. Illustrationen / LEHEL KOVÁCS Grund zur Zufriedenheit haben indes zwei freie Mitarbeiter: Im Rahmen ihres „Botschafterkonzepts“ hat sich die Lufthansa der Unterstützung des Mannequins Eva Padberg (35) und des TV-Conferenciers Kai Pflaume (48, „Nur die Liebe zählt“) versichert. Die eine sieht nicht schlecht aus, der andere ist mit einer Condor-Exstewardess verheiratet, was sie in den Augen der Frankfurter Luftverkehrsstrategen offenkundig als sogenannte „Markenbotschafter“ qualifiziert. Pflaume kann darüber hinaus einschlägige Erfah- BILANZ / OKTOBER / 2015 rungen als Botschafter von „Oral-B“ einbringen. In einer internen Nachricht aus der Abteilung Marketing-Kooperationen wird das Konzept erläutert: „Hierbei werden für unterschiedliche Themen Prominente genutzt, um LH in den externen Medien zu platzieren.“ Das hat seinen Preis. Beim Quizmaster Pflaume, den die Lufthansa gleich für zwei Jahre binden wollte, summieren sich die Kosten auf 280.000 Euro im Jahr, „zzgl. Reisekosten und Spesen“ – was mehr ist als LH-Aufsichtsräte und die sich drangsaliert fühlenden Piloten kassieren. Dass Pflaume für sein Honorar viel arbeitet, wird nicht erwartet: vier Drehtage à 30.000 Euro, zwei Vorbereitungstage à 15.000, einen Tag Moderation à 30.000 sowie einen Tag Video- und Fotoaufnahmen zum gleichen Satz. Dazu zahlen die armen, aber freigebigen Verkehrsflieger noch 70.000 Euro Werbeund Exklusivitätsabgeltung. Etwas günstiger kamen die Spohr-Leute an Padberg heran. Sechs „Servicetage“ – zur Entlastung des Kabinenpersonals? – schlagen mit je 25.000 Euro zu Buche, ebenso werden Tage entlohnt, an denen Frau Padberg ihrem sogenannten Beruf nachgeht und etwa im „Esmod Designwettbewerb“ Lufthansa-Uniformen vorführt. Aufgelistet ist auch „1 Tag Bunte/First-Class-Story“. Summa summarum: 200.000 Euro für Padberg, zuzüglich Spesen, auch für eine Begleitperson, denn die Dame ist betreutes Reisen gewöhnt. Intern ist der Einsatz von Pflaume und Padberg nicht unumstritten, zumal wegen seiner als ungerechtfertigt hoch empfundenen Kosten: Schleierhaft bleibt der zu erwartende Mehrwert der Aktion, zu schweigen davon, dass die beiden Charisma-freien Diplomaten allenfalls den Glanz einer alten Zinnkanne verbreiten. Von einer Verpflichtung des Skifahrers Felix Neureuther und des Sterne-Kochs Harald Wohlfahrt hat die Abteilung Marketing-Kooperationen zunächst Abstand genommen, „weil wir nicht ausreichend Budget haben“. N BOSCH SZENEN KEINER EHE Der Autozulieferer und seine Kunden stecken in einer Beziehungskrise. Nur keine Panik: „Es ist wie in einer guten Ehe, es gibt Aufs und Abs“, kommentiert man beim schwäbischen Unternehmen Bosch lakonisch das aktuelle Verhältnis zur deutschen Automobilindustrie, dem wichtigsten Kunden des weltgrößten Autozulieferers (49 Milliarden Euro Umsatz, 2,6 Milliarden Euro Reingewinn). Gleich eine ganze Reihe von Vorfällen haben die Beziehung vielleicht nicht zerrüttet, aber zur Zermürbung der Beteiligten durchaus beigetragen. Gegenseitig nehmen sich die Partner die Affäre um die manipulierten Abgaswerte bei VW übel. Bosch hat die Abgaskomponenten für die Dieselmotoren des VW-Konzerns geliefert, auch die Programme, die den Testzyklus erkannten und die Motoreinstellungen veränderten. Auf die US-Abläufe – und vielleicht auch die anderer Länder – umprogrammiert und dann eingesetzt, wurde sie freilich erst von VW. Bosch, größter Lieferant von Dieseleinspritzsystemen, fürchtet nun, dass der Siegeszug der Selbstzünder durch „Dieselgate“ jäh enden könnte. Das wäre ein Schlag ins comptoir für die deutschen Autobauer, die in der Dieseltechnik vorn liegen, und natürlich für den Lieferanten Bosch. Schon in den Monaten vor der Affäre hatte es Ärger zwischen Bosch und dem damaligen VW-Chef Martin Winterkorn (68) gegeben. Der schlug Krach, weil er vom Zulieferer nicht die georderte Menge von Turboladern für Benzin- und Dieselmotoren bekommen hatte und deshalb VW-Kunden auf ihre Autos länger warten mussten. Die Verstimmung war umso größer, als sich Winterkorn für Bosch und dessen Partnerunternehmen Mahle stark gemacht hatte, damit der Turbo-Auftrag nicht den Marktführern Honeywell und Borg Warner in die Hände fiel. Auch die Beziehung zu den anderen deutschen Autobauern ist belastet. „Enttäuschte Liebe“, sagt ein Manager. Bosch sei Entwicklungspartner Nummer eins von BMW, Daimler und VW. Doch die Schwaben wirkten lustlos, Vorstöße versandeten in Arbeitsgruppen. Weil die Bosch-Pläne scheiterten, Batteriezellen zu fertigen, muss etwa Audi sie von LG und Samsung beziehen. Hier immerhin macht Bosch-Chef Volkmar Denner (58) Hoffnung. Er avisiert eine „wegweisende neue Batterietechnik für Elektrofahrzeuge“, die dank der Übernahme des Start-ups Seeo aus dem hippen Kalifornien den Weg ins Bosch-Reich findet. Denner will gleich noch die Kultur des Silicon Valley mit importieren. Er konzentriert immer mehr Ressourcen auf die Entwicklung des „Internet der Dinge“ – die Steuerung von Maschinen, Häusern und Autos via Internet. Seinem Haus verordnet er „eine Revolution“ (Denner) und fängt mit der Abschaffung individueller Boni an – fürs Gehalt zählt nur noch der Erfolg der Gesamtfirma. Die Partner in der deutschen Autoindustrie murren: Sie würden sich wünschen, dass Bosch sich mehr auf die Probleme rund um den Diesel konzentriert – zum gemeinsamen Wohl, der Basis für gesunde Ehen. N 11 NAMEN / NACHRICHTEN DIETER ZETSCHE FOR PRESIDENT Der Chef von Daimler soll den europäischen Verband ACEA führen. 12 Dieter Zetsche (62) gelingt derzeit fast alles. Zuletzt überholte er den Rivalen Audi (beim Absatz) auf der Innenbahn. Daimlers Chef macht, zum Leidwesen der Konkurrenz, zurzeit keinen Fehler. So einen Mann hat auch der europäische Herstellerverband ACEA gern an seiner Spitze. Es laufe 2016 wohl auf ihn als Präsidenten hinaus, sagt Zetsche. Der Deutsche war bereits einmal, von 2010 bis 2011, oberster Branchenlobbyist gewesen. Die Hersteller sind unterdes uneins, wie es nach dem VW-Abgasskandal weitergehen soll. Die Industrie hat ein Glaubwürdigkeitsproblem. Derzeit führt Nissan-Chef Carlos Ghosn (61) den Verband. N HAPAG-LLOYD GROSSE FAHRT Der neue Chef bringt eine frische Brise in die Großreederei. Manchmal sind es die unauffälligen Manager, die erfolgreich sind: Rolf Habben Jansen (49) ist so einer. Der Chef von Hapag-Lloyd, der größten deutschen Containerreederei (Umsatz: neun Mrd. Euro), die noch 2014 Verluste in Höhe von 604 Millionen Euro machte, ist ein bodenständiger Typ. Er trägt den Kragen offen, würde gern mehr Sport machen – wie wir alle. Der Normalo fällt auf unter den blaubetuchten hanseatischen Reedern. Das Beste: Der Holländer hat auch noch Erfolg. Gerade rief Habben Jan- sen seine 117 Führungskräfte in Hamburg zusammen und meldete ihnen zwei Quartale mit positivem Ergebnis. Der operative Gewinn kletterte im ersten Halbjahr auf 268 Millionen Euro, das Sparprogramm „Octave“ ist abgeschlossen, die Einbettung der chilenischen Reederei CSAV, mit der sich die Hamburger im vergangenen Jahr zusammenschlossen, vollzogen. Das Schönste: Die günstigen Wirkungen, die man sich aus der Kollaboration versprach, fallen besser aus als erwartet. Mit „Octave 2“ will sich Habben Jansen einen dreistelligen Millionenbetrag ersparen. Seine Manager forderte er auf, Vorschläge zu machen, wie die Gewinne zu erhöhen seien: Wo kann Hapag-Lloyd – wie in Afrika gelungen – neue Ziele finden? Wie können die Hamburger sich in großen Märkten, wie beispielsweise Indien, besser durchsetzen? Der Hapag-Kapitän regt seine Mannschaft bewusst zum Mitmachen an. „Wichtig ist, den Mitarbeitern klarzumachen, dass es kein Problem ist, wenn etwas schiefgeht.“ Nach einer Feier der Führungs-Crew mit den Mitarbeitern, bei denen auf jedermanns Schild nur der Vorname prangte, ist die Stimmung in der sonst so steifen Zentrale spürbar aufgeräumt. „2016 wird für uns ein wichtiges Jahr“, sagt Habben Jansen, „dann setzen wir konzernweit um, was wir von CSAV bei der Betreuung von Kunden gelernt haben.“ Seine Manager beschwört er, dass sie sich stärker um ihre Kunden kümmern müssten. Die zeigen Einsicht und guten Willen: Das sei wirklich nötig, räumen selbst die Betroffenen ein. „Wir sind gut organisiert und haben ein starkes IT-System, aber Vertrieb war nie unsere Stärke“, sagt ein ranghoher Offizieller. Der Chef geht mit bestem Beispiel voran, besucht so oft er kann Kunden in aller Welt. Nur ungefähr die Hälfte seiner Zeit ist er in der Zentrale an der Binnenalster anzutreffen. Dann beschäftigt ihn der Börsengang, den Hapag-Lloyd sich vorgenommen GEPLANTE BÖRSENGÄNGE* HAPAG-LLOYD Mitte November | 20 Prozent / 1 Mrd. XELLA Ende Oktober / 40 Prozent / 600 Mio. CHORUS-CLEAN-ENERGY 7. Oktober / 86 Prozent / 125 Mio. SCHAEFFLER 5. Oktober / 25 Prozent / 2,5–3 Mrd. COVESTRO 2. Oktober / 36 Prozent / 2,5–3 Mrd. SCOUT 24 1. Oktober / 25 Prozent / 1,6 Mrd. BISHERIGE BÖRSENGÄNGE 2015* DEUTSCHE PFANDBRIEFBANK 16. Juli / 80 Prozent / 1,16 Mrd. ELUMEO 3. Juli / 28 Prozent / 37,5 Mio. SILTRONIC 11. Juni / 42 Prozent / 380 Mio. SIXT-LEASING 7. Mai / 60 Prozent / 247 Mio. WINDELN.DE 6. Mai / 42 Prozent / 211 Mio. TELE-COLUMBUS 23. Januar / 88 Prozent / 333 Mio. hat, und zwar spätestens im November. Im September besprach der Aufsichtsrat zuletzt die Lage. Doch im Unternehmen sprechen sie längst über die Zeit nach dem Börsengang: Hapag-Lloyd, die Nummer vier im weltweiten Containergeschäft, möchte in der Tabelle weiter vorrücken. Weitere Übernahmen sind wahrscheinlich. Habben Jansens Vorgänger Albert Ballin (158) würde es freuen: Zu seiner Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts war die Hapag die größte Reederei der Welt. N *TAG DER ERSTNOTIZ / VERKAUFTE ANTEILE / (ERWARTETER) EMISSIONSERLÖS IN EURO BILANZ / OKTOBER / 2015 GEORGSMARIENHÜTTE FRUST IN DER HÜTTE Der Unternehmer Jürgen Großmann steckt in Schwierigkeiten. Das Geld für Investitionen fehlt. Schatten über Jürgen Großmann (63). Der Stahlindustrielle, einer der erfrischendsten Bollerköppe der deutschen Wirtschaft, hat offenbar Schwierigkeiten, genug Geld für Investitionen aufzubringen. Betroffen davon sind dummerweise nicht seine Rand-, sondern seine Kerngeschäfte: Die Georgsma- Viele Gutachter, beileibe nicht nur Bankiers, meinen, dass Jürgen Großmann das Geld zu lose sitzt. rienhütte, die den Mittelpunkt eines über 40 Unternehmen umfassenden Firmenparks bildet und in erster Linie die Autoindustrie mit Stahl versorgt, Illustration / LEHEL KOVÁCS leidet bereits seit zwei Jahren darunter, dass Modernisierungen nicht im gebotenen Umfang vorgenommen werden. Vor allem die altfränkische Strangguss-Anlage genügt nicht mehr zeitgenössischen Erfordernissen. „Ein ganzer Zyklus von Investitionen ist ausgefallen“, stöhnt ein Manager. Der Gruppenumsatz verengte sich zuletzt um ein Zehntel auf ungesund keuchende 2,4 Mrd. Euro. Firmenchef Großmann, einem größeren Publikum noch aus seiner Zeit als RWE-Premier (2007–2012) ein Begriff, habe Millionenbeträge für pflegebedürftige Tochterfirmen erübrigen müssen, mit der bedauerlichen Folge, dass für die Hütte selbst nun die Mittel fehlen. Durch einen spartanischen Lebensstil ist der Unternehmer bislang auch nicht aufgefallen. Im Gegenteil, Großmann, dieser gemütvolle Bulldozer und Lebemann, der 2,03 Meter misst und donnern kann wie Zeus, liebt die Reichhaltigkeit sowohl wie die Sinnenfreude. In Osnabrück gehört dem aus Mülheim gebürtigen Epikureer die beste Gastwirtschaft der Gegend: das La Vie. Ob das Sterne-Restaurant indes viel Geld abwirft, ja, Geld überhaupt, darüber gehen die Meinungen auseinander. Das Gleiche gilt für sein Luxushotel Kulm in Arosa, das wegen des unglücklichen Frankenkurses wohl miserabel ausgelastet ist. Auch seine 60-Meter-Jacht, der Zweimaster „Germania Nova“ (ein Nachbau von Krupps „Germania“), kostet einiges an Unterhalt. Dass Großmann dazu noch Oldtimer-Rallyes fährt, spielt schon gar keine Rolle mehr. Der neue Vorstandschef der GMHObergesellschaft, der frühere SiemensManager Michael Süß (51), macht die unerlässlichen Aus- und Aufbesserungen nun abhängig von dem „Erreichen der Budgets aller Unternehmen der GMH-Gruppe“, wie er der konsternierten Belegschaft auf einer Betriebsversammlung mitteilte. Hilfe für die Hütte gebe es nur, wenn keine weiteren Millionenverluste anfallen wie 2013 und 2014. N 13 NAMEN / NACHRICHTEN DIE WELT DES … HANS DIETER PÖTSCH Auf diesen Mann kommt es bei Volkswagen in der Krise an. Der bisherige Finanzvorstand und designierte Aufsichtsratsvorsitzende muss die Verhältnisse beim Autobauer festigen. 14 Als Finanzvorstand bei Volkswagen hatte er einen schweren Start. Inzwischen gilt Hans Dieter Pötsch (64), der den Aufsichtsratsvorsitz übernehmen soll, zusammen mit dem neuen VWChef Matthias Müller (62) als eine der wenigen verbleibenden Säulen des Krisenkonzerns. Pötsch und Müller kennen sich seit über zehn Jahren. Sie werden gut mit- einander zurechtkommen. In Traun bei Linz geboren, gilt der groß gewachsene Pötsch mit der kerzengeraden Haltung als kühler Logiker und knallharter Kerl. Er hat sich den Respekt der Herrscherfamilien Porsche und Piëch erworben, namentlich durch die Eingliederungen von Porsche, Scania und MAN. Privat interessiert sich der Wirtschaftsingenieur für Kunst und Kul- Illustration / LEHEL KOVÁCS tur, er pflegt die Beziehung mit dem Kunstmuseum Wolfsburg ebenso wie mit dem Museum of Modern Art in New York. Bislang operierte er meist hinter den Kulissen: „Je weniger über mich in der Zeitung steht, umso besser finde ich das“, sagte er einmal. „Mir ist viel lieber, wenn die Zahlen für sich sprechen.“ Das wird sich nun ändern. Pötsch muss auf die Bühne. N BILANZ / SEPTEMBER / 2015 HERBERT DIESS (56) Der neue Leiter der Marke VW ist wie Pötsch in der Unternehmenskultur von BMW groß geworden. Diess ist der Hoffnungsträger für die Zeit nach Müller. MATTHIAS MÜLLER (62) Der Österreicher Pötsch und der gebürtige Sachse Müller sind nüchterne Analytiker – entscheiden in der Sache aber hart. Von ihrem Zusammenspiel hängt die VW-Zukunft ab. FERDINAND PIËCH (78) Anfangs machte der damalige VW-Chefaufseher Pötsch das Leben schwer. Dessen Karriere schien gefährdet. Doch Pötsch überzeugte den Patriarchen mit Leistung. WOLFGANG PORSCHE (72) Versiert hat Pötsch das Sportwagen- und Handelsgeschäft der Porsches und Piëchs in den Konzern integriert, als die Familie knapp war. Wolfgang Porsche ist dankbar. BERND PISCHETSRIEDER (67) Als VW-Chef holte er Pötsch 2003 nach Wolfsburg. Beide schätzten sich aus ihrer Zeit bei BMW. In Pischetsrieders VW-Jahren entstand die AbgasManipulations-Software. LIZ MOHN (74) Zu den wenigen externen Mandaten des VWManagers gehört sein Sitz im Kontrollgremium des Medienkonzerns Bertelsmann. Dort trifft er auf Großaktionärin Liz Mohn. PETER MITTERBAUER (72) Der Österreicher ist Oberaufseher des Zulieferers Miba und seit vielen Jahren ein Freund. Pötsch nennt er „bescheiden“ und „charakterlich einwandfrei“. HEINZ DÜRR (82) Bevor er zu VW stieß, versuchte sich Pötsch einige Jahre lang selbst als Firmenleiter. Von 1995 bis 2002 führte er den Maschinenbauer Dürr. Die Verbindung zu Ex-Chefaufseher Heinz Dürr blieb. FOTOS: PICTURE ALLIANCE (8) 15 UNTERNEHMEN / MÄRKTE FRANS IM GLÜCK Philips setzt alles auf eine Karte. Auf dem Gesundheitsmarkt will der Konzern jetzt sein Heil finden. Doch die Chancen stehen schlecht. Text / MICHAEL GATERMANN Illustrationen / DOC ROBERT 16 G roßversuch in Amsterdam. Wir schreiben das Jahr 2008: Die Angestellten im Hauptquartier des holländischen Elektrokonzerns Philips werden mit Fitness-Armbändern zum Schrittezählen und Pulsmessen ausgerüstet, eine Erfindung der Ingenieure in den Labors von Eindhoven. Braucht kein Mensch, befindet das Management nach der Testphase und stoppt die Entwicklung. Wieder einmal hatte Philips die richtige Idee zum richtigen Zeitpunkt und wieder einmal die falsche Entscheidung getroffen. Genau wie wenige Jahre zuvor, als die Holländer die moderne Kaffeekapsel erfanden, aber Nestlé das Milliardengeschäft mit ihr überließen. Findige Techniker, aber Kaufleute ohne Fortune: Das hat bei Philips eine große Tradition. Das Scheitern gehört seit den 70er-Jahren zum Programm, als man das Heimvideo-System „Video 2000“ erfand, aber es nicht als Standard durchzusetzen vermochte. Wie weiland Hans im Glück durchs Märchen irrlichtert Philips seit Jahrtausendbeginn durch die Märkte: Gestartet mit einem Goldklumpen (einer weltbekannten und hochprofitablen Marke der Spitzentechnik), verspielt das Unternehmen seine Substanz, einem fahrig-wirren Plan und einer unerfindlichen Zu- und Verkaufsstrategie folgend wie jener Hans, der, wir erinnern uns, seinen kopfgroßen Klumpen Gold am Ende gegen einen Feldstein eingetauscht und selbst den noch in einen Brunnen fallen gelassen hatte. So weit ist es bei Philips noch nicht. Aber seit dem Jahr 2000 hat sich der Umsatz auf 21 Milliarden Euro fast halbiert, vom Gewinn ist gerade noch ein Zwanzigstel geblieben (400 Mio. Euro). In den 90er-Jahren noch auf Augenhöhe mit Siemens, wird Philips an der Börse nur noch mit rund 20 Milliarden Euro bewertet (Siemens: ca. 70 Mrd. Euro). Nachdem sich die Niederländer vom größten Teil des vormaligen Kerngeschäfts getrennt haben – der Kom- munikationstechnik, Unterhaltungselektronik und Halbleiterproduktion –, will der seit 2011 amtierende Vorstandsvorsitzende Frans van Houten (55) jetzt auch noch die vorletzte tragende Säule des Geschäfts wegsprengen: 2016 soll die Lichtsparte an die Börse gehen, was einer Entwurzelung des Unternehmens gleichkommt. 1891 hatten Frederik Philips und sein Sohn Gerard jene Glühlampen-Fabrik angedacht und in die Register eingetragen, die es bald nicht mehr gibt. Statt aufs Licht setzt van Houten aufs Gesundheitsgeschäft. „Investoren schätzen diese Strategie“, sagt er im BILANZ-Interview (siehe Seite 21). Skeptiker sind sicher, dass Philips diese Wette nur verlieren kann: Denn die Holländer haben es in diesem Geschäft nicht nur mit den alten Hegemonen Siemens, General Electric und Angstgegner Samsung zu tun, sondern auch mit den giftig-aggressiven Technik-Multis Google und Apple. Und selbst wenn Philips sich achtbar schlüge und aus der Affäre zöge – BILANZ / OKTOBER / 2015 17 UNTERNEHMEN / MÄRKTE 18 als reiner Gesundheitsspezialist würde das Unternehmen rasch zur Beute kapitalkräftiger Konzerne: Philips-Aktien befinden sich in Streubesitz, ein Großaktionär als Bollwerk gegen einen Käufer fehlt. In Ansehung des niedrigen Börsenwerts könnten sich nicht nur Google und Apple den Holländer problemlos leisten. Auch neureiche Konzerne in Asien dürften sich für Philips interessieren. Auslöser der Malaise hollandaise sind die Veränderungen in der weltweiten Arbeitsteilung seit den 90er-Jahren: Machtvoll drängten damals südkoreanische, später chinesische Billiganbieter auf die Elektronikmärkte. Die etablierten Kräfte in Europa, den USA und Japan gerieten unter Druck. Dass man erfolgreich unter Voraussetzungen sein kann, die denen von Philips durchaus ähnlich waren (starke Marke, Innovationskraft, gesunde Finanzen), exerzierte Apple vor, als das dortige Geschäft mit PCs und Klapprechnern bedroht war: Mit cleverem Marketing und feinster Ingenieurskunst, dazu einem Design Made in California und einer Herstellung Made in China erschlossen Steve Jobs und seine Mitarbeiter gänzlich neue Märkte und machten Apple zum wertvollsten Unternehmen der Welt. Weniger spektakulär, aber erfolgreich rettete IBM sich das Leben, als seine Großrechner und PCs nicht mehr gefragt waren: Heute firmiert das Unternehmen als Systemintegrator, der Programme und Geräte liefert sowie den Betrieb und Service übernimmt. Aber es gibt auch Gegenbeispiele: Ähnlich unglücklich wie Philips stolpert der Computerkonzern HewlettPackard von einer Krise in die nächste – und spaltet das, was von der Firma noch übrig ist, gerade in zwei getrennte Abteilungen auf. Wie Philips. Noch 2001 hatte Philips in einer internen Präsentation das Geschäft mit Halbleitern, Komponenten und der Konsumelektronik zum „Herzstück“ des Unternehmens erklärt und wollte „diese Produkte für die digital verbun- dene Welt nutzbar machen“. Doch den damaligen Unternehmenschef Gerard Kleisterlee (69) wurde bang vor dem eigenen Mut: Er begann damit, die Herzstücke des Konzerns zu verkaufen. 2006 stieß er das Geschäft mit den Halbleitern ab, jenen Gewerbezweig, dem anno dazumal der heutige Konzernchef van Houten vorstand. Nachdem er von den neuen Eignern Ende 2008 vor die Tür gesetzt worden war, reüssiert das Unternehmen unter dem Namen NXP inzwischen als Autozulieferer. Philips selbst verbreitete seither vor allem schlechte Nachrichten: Gewinnwarnungen, Umstrukturierungen, Massenentlassungen. 2011 kehrte van Houten überraschenderweise als Vorstandsvorsitzender zu Philips zurück – obgleich er in seinen 20 Philipsjahren zuvor allenfalls als Abwickler und Oberinspektor aufgefallen war. Zügig brachte der neue Chef das traditionsreiche TV-Geschäft in eine Gemeinschaftsfirma mit dem chinesischen Fernseherhersteller TP Vision ein. Aber schon 2014 zog sich Philips ganz aus dem Gewerbe zurück und lizenziert seitdem nur noch die Marke. Mit dem Verkaufserlös wusste das Philips-Management wenig anzufangen. Statt in zukunftsträchtige Geschäfte zu investieren, steckte Philips seit 2005 rund 8,5 Milliarden Euro in Aktienrückkäufe. Anfang 2016 will van Houten die Lichttechnik an die Börse bringen oder im Stück verkaufen. Zwar soll die Royal Philips Healthtech einen Anteil behalten, doch altgediente Philipsianer prophezeien, dass nach dem Muster von NXP und dem TV-Geschäft über kurz oder lang der komplette Ausstieg folge. Immerhin gibt es jetzt eine Idee, was man mit dem Erlös anfangen kann: Van Houten sucht Akquise-Chancen im Gesundheitssektor. Noch trägt die Lichttechnik rund ein Drittel zum Philips-Umsatz bei. Philips ist damit Weltmarktführer. Der Konzern bietet Straßenbeleuchtungssysteme mit LED-Lampen an, COSY JEANS www.alberto-pants.com UNTERNEHMEN / MÄRKTE 20 die nach Bedarf über Bewegungsmelder gesteuert werden und für die man auch Wartung und Betrieb übernimmt. Doch in dem Geschäft herrschen rüde Sitten, der Preiskampf ist hart: 2014 verkümmerte der Philips-Umsatz um vier Prozent, und der Gewinn vor Steuern und Abschreibungen halbierte sich auf abgezehrt-knochige vier Prozent – was zu Vollkosten gerechnet einen Verlust bedeutet. Aber vielleicht winkt den Lichttechnikern ja eine Wiederauferstehung wie den Halbleiterbauern von NXP – wenn sie Philips los sind. Zufrieden kann van Houten derzeit nur mit der ungeliebten Konsumgütersparte sein. Am besten passen noch die „Sonicare“-Zahnbürsten zum angestrebten Gesundheits- und Wohlfühl-Portfolio, bei den umsatzstarken „Philishave“-Rasierern muss man schon viel Fantasie aufbringen, um sie der Medizintechnik zuzurechnen; bei Kaffeemaschinen, Dampfbügeleisen und Staubsaugern ist dies selbst Menschen mit völlig überspannten Ideen unmöglich. Szenekenner erwarten hier die nächsten Abstoßungsreaktionen und Säuberungen. Van Houten dementiert und erzählt von seinen StaubsaugerForschern („Erstaunlich, worauf die kommen, wenn du sie herausforderst“), die an Filtersystemen bosseln und friemeln, die Allergikern zugutekommen sollen: „Die Staubsauger von morgen helfen der Gesundheit.“ Philips neues Kerngeschäftsfeld kann tatsächlich jede Hilfe brauchen. Im hergebrachten Verkauf von Röntgengeräten, Kernspintomographen und anderem Großgerät herrscht reger Wettbewerbsdruck, 2014 degenerierte der Gewinn um fast 60 Prozent. Allerlei hausgemachte Probleme belasten das Ergebnis zusätzlich: Eine fortdauernde Bürde ist der viel zu hohe Preis von 3,6 Milliarden Euro, den Philips 2007 für das US-Unternehmen Respironics bezahlt hat. Außerdem wurden für ein aufgeflogenes Bildröhren-Kartell hohe Strafzahlungen fällig. Die US-Aufsichtsbehörde 2014 schloss sogar monatelang eine wichtige US-Fabrik wegen etlicher Gesetzesverstöße. Philips-Erfindungen stehen in jedem Haushalt. Spitzenidee 1982: der erste CD-Spieler der Welt. Vorkriegsware: Der erste „Philishave“Rasierer kam 1939. Philips erfand die modernen Kaffeekapseln, aber Nespresso eroberte damit die Welt. SEIT 15 JAHREN GEHT’S BERGAB Umsatz 38 IN MRD. EURO Gewinn IN MRD. EURO 32 Aktienkurs IN EURO 24 21 9,7 0,4 0 2000 QUELLE: PHILIPS, BILANZ-RECHERCHE 2015 Doch van Houten verfolgt unbeirrbar seinen Kurs. Er zielt auf die komplette Wertschöpfungskette in Sachen Gesundheit: Vom gesunden Lebensstil, der Prävention, über Diagnose, Behandlung, Gesundung bis zur Pflege im eigenen Heim will er die passenden Gerätschaften und Programme anbieten. Im Kern steht dabei das Sammeln, Auswerten und Speichern von Daten, die über mobile Geräte bei den Patienten erhoben werden. Insgesamt habe der Markt schon heute ein Volumen von mehr als 100 Milliarden Euro jährlich und wachse rasch. Eine zentrale Rolle soll die deutsche Philips-Gesellschaft (4.500 Mitarbeiter, 1,3 Milliarden Euro Umsatz) spielen. „Unser Kerngeschäft fokussiert künftig auf Gesundheit“, sagt der Hamburger Geschäftsführer Peter Vullinghs (44). „Der Markt ist da, und wir haben die Lösungen.“ Digitalisierung und Systemintegration heißt die Devise. Hier habe man Vorteile gegenüber den alten Rivalen Siemens und GE: „Die sind in einer anderen Richtung unterwegs.“ In zwei bis drei Jahren, meint er, werde sich der Erfolg auch in den Zahlen niederschlagen. Eine mutige Vorhersage, denn gerade bei der Digitalisierung bekommt er es mit humorlosen Gegnern zu tun: IBM, Apple, Google. Van Houten glaubt sich dank der Konsumgütererfahrung von Philips dennoch im Vorteil: „Wir verstehen die Bedürfnisse der Verbraucher.“ Dass er gerade die Kundennähe, für die Apple und Google neue Maßstäbe gesetzt haben, als Wettbewerbsvorteil betrachtet, deutet auf eine gewisse Weltfremdheit hin. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass sich etwa Google schon mit dem Pharmakonzern Sanofi verbündet hat, um Gesundheitsdaten zu sammeln und Sensoren für die Gesundheitsüberprüfung zu entwickeln. Auch Gerätelieferanten werden sich im Zweifel für gemeinsame Projekte begeistern lassen. Den Zeitpunkt, seine Strategie zu revidieren, hat Frans im Glück verpasst. Nun heißt es, sich Mut zu machen: „Die Kunden mögen, dass wir unsere Zukunft darauf verwetten, dass wir hier erfolgreich sind.“ U BILANZ / OKTOBER / 2015 „FURCHT IST EIN SCHLECHTER RATGEBER“ Philips-Chef Frans van Houten erklärt die Strategie seines Konzerns. 21 Herr van Houten, in einem internen Philips-Papier von 2001 wurden die Sparten Halbleiter, Komponenten und Unterhaltungs- sowie Haushaltselektronik zum „Herzstück“ des Unternehmens erklärt. Aus diesen Geschäften haben Sie sich komplett verabschiedet. Nach allem, was man heute weiß, war das ein grober Fehler, oder? Wir haben diese Bereiche ja nicht komplett aufgegeben – aber die Entscheidung, sie weitgehend zu räumen, war richtig. Man muss sich da noch einmal in die frühen 2000er-Jahre B FRANS VAN HOUTEN (55) arbeitet schon fast 30 Jahre für Philips. Kommunikationstechnik, Unterhaltungselektronik, Halbleiter: Was er führte, wurde bald verkauft. Nun spaltet er noch die Lichttechnik ab – und wettet Philips’ Zukunft allein auf den schwierigen Gesundheitsmarkt. zurückversetzen. Wir hatten damals zwar mit unseren Produkt-Divisionen vielversprechende Wachstumsfelder identifiziert, aber dabei die Kräfte des Wettbewerbs unterschätzt: Bin- nen weniger Jahre machten Hersteller vor allem aus Korea und China aus unseren Hochtechnologieprodukten Commodities – Allerweltsware. Im Geschäft mit den Fernsehgeräten ging es den Wettbewerbern in Asien schon bald vor allem um die Auslastung der Fabriken, weniger um das Geldverdienen. Da haben wir uns gesagt: Nur weil etwas ein Trend ist, muss es in unserem Unternehmen nicht automatisch im Fokus stehen. B In welcher Schlüsseltechnik fühlen Sie sich denn heute stark? Philips steht auf zwei starken Säulen: der Lichttechnik und dem Geschäft UNTERNEHMEN / MÄRKTE 22 rund um die Gesundheit. In beiden Bereichen verdienen wir gut. Aber es gibt zwischen ihnen nicht genug Synergien. Beide brauchen jetzt hohe Investitionen. Deshalb haben wir uns entschlossen, die Lichttechnik auszugliedern und sie zum Beispiel an die Börse zu bringen oder zu verkaufen. Dann ist Philips ein Unternehmen, das sich ganz auf Gesundheit und Wellness konzentriert – Investoren schätzen diese Strategie, sie wollen verstehen können, was ein Unternehmen macht. B Warum zeigt sich diese Wertschätzung denn nicht in steigenden Kursen Ihrer Aktie? Die richtige Frage ist doch: Wo wäre der Philips-Kurs, wenn wir unsere Strategie nicht geändert hätten? Wir wissen, dass Medizintechnik-Unternehmen an den Börsen hohe Bewertungen bekommen. Das hat Philips noch nicht erreicht, weil die Investoren erst mal sehen wollen, wie es nach der Abspaltung der Lichtsparte weitergeht. Wir sind überzeugt, dass der Wert der beiden Teile höher ist, als es unser Aktienkurs reflektiert. Es entstehen zwei Unternehmen mit sehr hohem Potenzial. B Noch einmal: Warum steigt der Kurs nicht, wenn doch die Investoren Ihre Strategie so lieben? Das kommt auf den Referenzzeitraum an: 2012 kostete die Aktie zwölf Euro, heute sind es zehn Euro mehr. Nachdem ich 2011 die Leitung übernommen hatte, begann ich, das Portfolio aufzuräumen. Jetzt müssen wir deutlich machen, wofür Philips heute steht, und dann müssen wir Ergebnisse liefern. Denn die beste Strategie nützt nichts ohne Exzellenz im operativen Geschäft. Wir müssen verlässlicher als bisher unsere Prognosen erfüllen. Seit 2000 hat Philips den Umsatz B fast halbiert, und vom Gewinn ist gerade ein Zwanzigstel geblieben. Nach 15 Jahren ständiger Umbauerei ist der Börsenwert auf knapp 20 Milliarden Euro geschrumpft. Sieht ganz so aus, als marschiere Philips in die falsche Richtung. Es macht einen doch nicht automatisch zu einem erfolgreichen Unternehmen, wenn man nur als Dachgesellschaft über ein großes Portfolio gebietet. Für uns zählt heute die relative Größe: Wir wollen die globale Nummer eins in der Lichttechnik sein, und wir wollen die Nummer eins im Geschäft mit der Gesundheitstechnik werden. Und ich bin optimistisch, dass wir beides schaffen. B Bei dem jetzigen Börsenwert kann Philips schnell einem finanzstarken Akteur im Gesundheitsmarkt in die Hände fallen, Apple oder Google zum Beispiel, die in dieser Wachstumsbranche zurzeit einen großen Ehrgeiz an den Tag legen. Keine Angst, von denen aufgesaugt zu werden? Furcht ist ein schlechter Ratgeber, wenn man seine Strategie sucht. Wir wollen unser Gesundheits-Portfolio kräftig verstärken und können dafür im nächsten Jahr die Erlöse aus dem Börsengang der Lichtsparte verwenden. Und das machen wir, weil wir fest überzeugt sind, dass wir da erfolgreich sein werden. Schließlich können wir nicht einfach dasitzen und nichts tun. Lieber suchen wir aktiv nach Übernahmechancen, M&A ist jetzt Teil unserer Strategie – schließlich gilt: Angriff ist die beste Verteidigung. B Worauf gründen Sie Ihre Hoffnung, sich im Gesundheitsmarkt durchsetzen zu können gegen mächtige Marktbeschicker wie Siemens, General Electric und Samsung sowie die außerordentlich bemittelten und angriffslustigen Konkurrenten wie Apple oder Google? Das Medizingeschäft verlagert sich. Früher standen die Kliniken und ihre Einkaufsabteilungen im Zentrum, künftig wird es vor allem ein Patienten-zentriertes Business, in dessen Mittelpunkt die Vernetzung chronisch Kranker mit den Krankenhäusern steht. Da wird per Datenübertragung nachgehalten, ob der Patient seine Medizin nimmt und seine Verhaltensmaßregeln befolgt und wie sich seine relevanten Gesundheitsdaten entwickeln. Gegenüber den Wettbewerbern haben wir einen großen Vorteil: Wir verstehen Konsumenten, wir sind seit Jahrzehnten in ihren Badezimmern. Hier entwickelt sich ein riesiger Wachstumsmarkt, und wir überwachen heute schon mit Datenarmbändern die Gesundheitsdaten von Millionen Patienten. B Und das ist ausreichend, um gegen die großen Wettbewerber zu gewinnen? Allein gewiss nicht. Wer in diesem Feld gewinnen will, braucht auch ein tiefes Verständnis der Praxis in den Kliniken. Und da kennen wir uns extrem gut aus. Nehmen Sie zum Beispiel unsere Zusammenarbeit mit dem KarolinskaKrankenhaus in Stockholm. Gemeinsam entwickeln wir ein System, das sicherstellen soll, dass Schlaganfallpatienten 90 Minuten nach dem Anfall die richtige Behandlung haben. Dazu muss man organisieren, was nach dem Ruf des Rettungswagens passiert: Die Triage während der Fahrt, die Datenübermittlung ins Krankenhaus, die Vorbereitung der Behandlung dort – so etwas entwickelt man nicht im Silicon Valley, sondern vor Ort aufgrund von Erfahrung. U GEGENDARSTELLUNG zum Artikel mit der Überschrift „DIE THIELES“ auf Seiten 28 ff. von „BILANZ – Das deutsche Wirtschaftsmagazin“ (im folgenden: „BILANZ“) vom 05.06.2015: „BILANZ“ berichtete, ich sei „Chefin der Knorr-Bremse-Stiftung Global Care“. Hierzu stelle ich fest: „Knorr-Bremse Global Care“ ist ein gemeinnütziger Verein. München, den 29. Juni 2015 Julia Thiele-Schürhoff FOR INDIVIDUALISTS. In formvollendeter Eleganz präsentiert sich der Sirius Régulateur Jumping Hour. Der Zeitmesser reiht sich harmonisch in die klassische Chronoswiss Linie ein und besticht durch ein aufwendig guillochiertes Zifferblatt und die springende Stunde im Fenster bei der „12“. Weitere Informationen unter www.chronoswiss.com UNTERNEHMEN / MÄRKTE „ BEI UNS ARBEITEN NICHT NUR LEUTE, DIE SICH MIT GÜRTEL UND HOSENTRÄGER DOPPELT ABSICHERN 24 Nikolaus von Bomhard, der Chef der Munich Re, übers Geschäft mit dem Risiko und der Gefahr und über seinen Aktionär Warren Buffett. München-Maxvorstadt, Firmendach: Aufs Sakko kann der Boss verzichten, aber nicht auf eine nahrhafte Akte. “ BILANZ / OKTOBER / 2015 Herr von Bomhard, wenn irgendwo auf der Welt ein Flugzeug abstürzt… …ist dies zunächst einmal eine menschliche Tragödie. Aber wir schauen uns auch immer sehr genau an, ob ein Unfall irgendeine neue Erkenntnis liefert. B Seit dem Selbstmord eines Germanwings-Piloten, der 150 Menschen in den Tod gerissen hat, wissen wir: Es gibt auch Risiken in der Luftfahrt, mit denen man nicht gerechnet hatte. Als Versicherer müssen wir uns die Frage stellen: Hat sich die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass ein Flugzeug abstürzt? Die Antwort ist: eher nein. Es gab schon früher solche Selbstmordfälle, aber über die ist nicht prominent berichtet worden. Daraus folgt aber: Die statistischen Reihen, mit denen wir die Risiken in der Luftfahrt berechnen, spiegeln dieses Risiko bereits wider. Trotzdem stellen wir uns unzählige Fragen nach einem solchen Ereignis, vor allem nach den Sicherheitsstandards. Und am Ende übersetzt sich das dann immer auch in eine neue Risikoabschätzung und damit auch oft in veränderte Preise und Bedingungen für die Deckung dieser Risiken. B Muss eine Fluggesellschaft, die häufiger in Unfälle verwickelt ist, höhere Prämien bezahlen? Eindeutig ja. Und manche Fluggesellschaften in der Dritten Welt versichern wir gar nicht. Es gibt in unserer Branche eben nicht für alles einen Preis. Wenn die Standards zu schlecht sind, können wir das auch nicht über höhere Prämien ausgleichen. B Was meinen Sie, können Sie als Versicherer dafür sorgen, dass unser Leben sicherer wird? Ja, das glaube ich schon. Nehmen Sie das Beispiel der großen Erdöltanker. Als Rückversicherer haben wir in der Vergangenheit eine wesentliche Rolle dabei gespielt, eine doppelwandige Außenhülle für diese Megaschiffe durchzusetzen. Damit ist das Risiko, dass es zu verheerenden Umweltverschmutzungen kommt, deutlich gesunken. Oder ein anderes Beispiel: Auch beim B erdbebensicheren Bauen war die Assekuranz einer der wesentlichen Treiber für neue Standards und Verfahren. B Sie untersuchen generell die Risikokultur von Unternehmen, bevor Sie sie versichern. Bestehen da wirklich so große Unterschiede, selbst unter den Dax-30-Konzernen? Doch, die gibt es. Wie stark beschäftigt sich ein Unternehmen mit der Schadenprävention? Welche Qualität hat das Risikomanagement? Das sind Fragen, die wir immer stellen. In manchen Unternehmen ist die Stellung der Risikomanager eher schwach. Und als Rückversicherer achten wir sehr genau auf Unternehmen, bei denen es immer wieder zu kleineren Schäden kommt, denn dies kann ein Indiz für eine gering ausgeprägte Risikokultur sein. B In den meisten Konzernen hat der Risikomanager keinen Sitz im Vorstand. Der sogenannte Chief Risk Officer muss nicht unbedingt im Vorstand sitzen, aber er sollte zumindest sehr eng am Vorstand angebunden sein. Hier sind die Banken und die Finanzwirtschaft durchaus Vorbild für andere Branchen. Daneben sollte es in jedem Unternehmen einen wirklich aussagekräftigen Risikobericht geben. B Dabei müssen wir uns doch mit immer vielschichtigeren Risiken beschäftigen, nicht wahr? Auf jeden Fall. Denken Sie nur daran, wie stark die Wirtschaft heute vernetzt ist. Der Ausfall eines einzelnen Unternehmens kann sich sehr stark auf viele andere Unternehmen auswirken. Diese komplexen Risiken in all ihren Ausprägungen zu erkennen wird immer anspruchsvoller. Das haben wir auch bei dem Unglück im Hafen von Tianjin gesehen. Dass sich solche Einzelereignisse sogar global auswirken können, haben wir immer wieder beobachtet. So ließen die Überschwemmungen in Thailand 2011 damals weltweit Produktionsbänder stillstehen. Oder nehmen wir die vielschichtigen politischen Konflikte, die sich oft erst über viele Stufen hinweg in unserem Text / BERND ZIESEMER FOTOS: MICHAEL HERDLEIN unmittelbaren Umfeld auswirken. Die geopolitischen Risiken nehmen gegenwärtig massiv zu. B Aber können Sie einem Stahlunternehmen in der Ostukraine, das plötzlich mit russischen Raketen beschossen wird, diese Risiken abnehmen? Im Kleingedruckten Ihrer Verträge steht doch bestimmt: Im Kriegsfall gilt die Versicherung nicht. Wir können in der Tat nicht alles versichern – aber wir decken mehr Risiken ab, als viele meinen. Von Menschen gemachte Konflikte, die allein dem Willen von Politikern unterworfen sind, können wir in der Tat in der Sachversicherung kaum absichern. Bei Kreditrisiken hingegen decken wir in bestimmten Fällen die Folgen eines Kriegsfalles ab. Und auch bei Schiffsversicherungen ist eine Deckung gegen Kriegsschäden möglich. B Sie bewegen sich in immer kleinere Marktnischen. Man kann sich bei Ihnen sogar gegen Ausfall eines Werbefensters in einer Fernseh-Direktübertragung versichern. Viele Risiken sind in der heutigen Unternehmenswelt zu einer Art Massenware geworden: kennt jeder, kann jeder versichern. Damit kann man nicht mehr viel Geld verdienen. Deshalb suchen wir in der Tat ständig neue Betätigungsfelder. Oft fängt das ganz kleinteilig an, entwickelt sich aber zu einem größeren Geschäft. In der Cyberwelt stehen die Versicherer noch ziemlich am Anfang, aber das ändert sich gerade sehr schnell. Ein hochinteressantes Geschäft für uns. Kann man sich als VersicherungsB konzern wirklich durch Neuerungen von den Wettbewerbern absetzen? Was Sie heute anbieten, bietet doch morgen schon jeder Konkurrent an. Es gibt keinen Patentschutz in unserer Branche, das stimmt. Wer mit etwas Neuem kommt, kann aber durchaus den Markt aufrollen. In der Erstversicherung war das zum Beispiel bei den Direktversicherern der Fall. Neue digitale Vertriebswege kombiniert mit 25 UNTERNEHMEN / MÄRKTE 26 dynamischen Angeboten, verändern unseren Markt weiter. Und in der Rückversicherung gilt sowieso: Der Markt ist intransparenter, die Konkurrenten können nicht alles so schnell kopieren. Es geht bei Rückversicherern immer mehr um die Lieferung von maßgeschneiderten Einzelstücken, nicht mehr um Massenware von der Stange. Die Beziehungen zu unseren Kunden sind sehr eng, wir haben mit vielen jede Woche Kontakt. B Dann müssen Sie aber auch immer mehr Risikoforschung betreiben. Wachsen die Ausgaben dafür? Im Augenblick gibt es in der Tat sehr intensive Bemühungen, die Grenzen der Versicherbarkeit durch großen Forschungsaufwand hinauszuschieben. Die Preise in der Rückversicherung stehen unter Druck, entsprechend wächst der Anstoß zu Innovationen. Wenn die Margen stimmen, lehnt sich die Branche gern zurück und erntet die Früchte, die man dann einfahren kann. B Lohnt sich der Aufwand wirklich, den Sie betreiben? Gewiss, Sie haben in Ihren Rechnern die Daten von 36.000 Naturkatastrophen gespeichert, aber Sie wissen trotzdem nicht, wo der nächste Tornado die höchsten Schäden anrichtet. Wir waren die Ersten, die sich systematisch mit den wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels beschäftigt haben. Auch heute betreiben wir noch gezielte Grundlagenforschung, zurzeit etwa zu Veränderungen der Schäden bei Gewittern. Hier profitieren wir von unserem Wissensvorsprung. So übernehmen wir im Bereich der Naturkatastrophen sehr hohe Risiken und müssen uns dabei nicht auf die Modelle anderer verlassen. Das ist ein klarer Wettbewerbsvorteil. Wenn wir diese außergewöhnliche Sachkunde auf diesem Gebiet nicht hätten, wäre die Höhe der Risiken, die wir schultern, nicht vertretbar. Bedenken Sie: Das ist unser Kerngeschäft. Sie können zwar einen tropischen B Sturm nicht vorhersagen, versu- chen aber, die Wahrscheinlichkeit seines Auftretens zu berechnen? Ja, so ist es. Und wir kalkulieren Ereignisse ein, die vielleicht nur alle 10.000 Jahre eintreffen. Auch die muss ein Rückversicherer finanziell bewältigen können. B Dann müssen Sie doch wunderbar ein Atomkraftwerk versichern können: Auch dort sagt man ja, ein GAU ereigne sich nur alle 30.000 Jahre. Es gibt weltweit Versicherungs-Pools für Kernkraftwerke, die Assekuranz deckt also durchaus Risiken in Höhe von mehreren Milliarden Euro ab. Und die Summen, die wir ins Feuer stellen, steigen weiter. Aber einen GAU wie in Tschernobyl können wir niemals vollständig versichern, weil das kumulierte Risiko zu groß ist. Wenn Radioaktivität in großem Ausmaß austritt, geht es ja keineswegs nur um die Anlage selbst, sondern um alle Menschen und alle Unternehmen im Umkreis von vielen Kilometern. Irgendeine Obergrenze für unsere Haftung muss es also geben. B Nach den Ereignissen von Tschernobyl und vor allem Fukushima wissen Sie jetzt doch, welche Auswirkungen ein großer Reaktorunfall hat. Sie können das also besser berechnen. Ja, das stimmt. So zynisch das vielleicht auf den ersten Blick klingt: Jeder Schaden hilft uns, Risiken besser zu verstehen. Wir sind deshalb auch stark involviert, wenn es um eine Verbesserung der Schadenverhütung geht. Auch aus Fukushima wurden viele Lehren gezogen. Ein vergleichsweise einfaches Beispiel war hier die Erkenntnis, dass ein Notstromdiesel besser geschützt werden muss. Und für den Rückbau der deutB schen Atomkraftwerke… …bieten wir auch ein Deckungskonzept an. Bis zum Abtransport der Brennstäbe greift die Pool-Lösung, danach können wir als Rückversicherer direkt ins Geschäft kommen. Die Deckung für Bauprojekte ist B für Sie nichts Neues? Nein, wir bieten inzwischen sogar eine „Project Cost Insurance“ an, mit der Sie sich gegen Kostensteigerungen während der Bauphase versichern können. B Ach, hätte Klaus Wowereit den Berliner Flughafen doch bloß bei Ihnen gegen steigende Baukosten versichert! Da bin ich mir nicht sicher, ob er von uns eine Deckung bekommen hätte. B Haben Sie etwa Vorbehalte gegen Berliner Lokalpolitiker? Nein, überhaupt nicht. Aber wer eine solche Versicherung mit uns abschließt, muss damit leben, dass wir uns ganz tief in das Projektmanagement einmischen. Und dazu fehlt bei staatlichen Bauherren leider oft die Bereitschaft. Zudem erfordert unser Produkt eine virtuelle Detailplanung in einer Tiefe, die für so ein Großprojekt bislang vor Baubeginn nicht vorlag. B Aber im Allgemeinen… …tasten wir uns an solche großen Bauprojekte heran. B Ändert sich dadurch nicht grundsätzlich Ihre Rolle als Versicherer? Bei solchen Projektversicherungen, beispielsweise auch bei großen Ingenieurvorhaben, bleiben wir in der Tat ständig vor Ort. Anders geht es gar nicht. Wir warten gewiss nicht fern am Schreibtisch, ob etwas passiert oder nicht. B Auf diese Weise wird ein Versicherer zum Mitunternehmer. Wir nähern uns in der Tat dem Bereich unternehmerischer Risiken. Und das auf ganz vielen Gebieten, keineswegs nur bei der Versicherung von Bauprojekten. B Zum Beispiel? Wir bieten zum Beispiel Deckungen für Produktgarantien an, obwohl das eigentlich ein Kernbereich unternehmerischer Tätigkeit ist. So versichern wir nicht nur Herstellergarantien etwa bei Solarmodulen, sondern sogar die gesamte Performance von Solarparks. Bleibt diese unter den Erwartungen, zahlen wir, selbst wenn es nur an zu wenig Sonnenschein liegt. Auch die Reputationsrisiken von Unternehmen sind für uns ein Thema. Die Einführung von etwas Neuem in der Industrie verläuft häufig so: Man hat eine zündende Idee und geht voll ins Risiko. Bei einem Versicherer… …funktioniert das nicht ganz nach diesem Muster. Aber wir warten mit innovativen Angeboten auch nicht mehr wie früher, bis es eine umfassende Statistik gibt und wir alles in Ruhe auf der Basis reichhaltiger Daten berechnen können. Wir arbeiten stattdessen mit Simulationen und Modellen, versuchen vorauszudenken. Dabei fangen wir in der Regel mit kleineren Deckungssummen an, sammeln Erfahrungen mit ersten Schäden und weiten die Deckung dann aus. B Offenbar entwickelt man eine Déformation professionelle und weicht jedem größeren Risiko aus, wenn man wie Sie seit Jahrzehnten bei einem Versicherer arbeitet. Natürlich bewegen uns die menschlichen Tragödien hinter den Ereignissen, aber wir müssen bei der Analyse der Schäden und Risiken professionell vorgehen. „Risiko“ ist unser Geschäft – uns geht es nicht darum, Risiken zu vermeiden, sondern sie unseren Kunden, wo immer möglich, zu einem adäquaten Preis abzunehmen. B Und privat? Kann man bei einer Rückversicherung arbeiten und sich in der Freizeit als Fallschirmspringer betätigen? Durchaus. Wenn Sie glauben, bei Munich Re arbeiten nur Leute, die sich mit Hosenträgern und Gürtel doppelt absichern, dann liegen Sie falsch. Als Unternehmen sind wir sehr diszipliniert und beispielsweise konservativ bei unserer Kapitalanlage. Aber ich kenne eine Reihe von Mitarbeitern, die bei ihrer privaten Geldanlage deutlich risikobereiter sind. B Ist die Münchner Rück selbst noch ein gutes Investment? Aber sicher. B Ihr berühmtester Großaktionär Warren Buffett behauptet: Die Aussichten der Branche haben sich massiv verschlechtert. B FEINGEIST UNTER FINANZERN Beim größten Rückversicherer der Welt führt der Chef mit fünf Prozent Ironie. NIKOLAUS VON BOMHARD (59) kennt seit 1985 nichts anderes als die Munich Re (ehedem besser bekannt als Münchener Rück). Der promovierte Jurist brachte es in dieser Zeit vom Edelpraktikanten bis zum Vorstandschef. Seit über elf Jahren führt der Mann aus Gunzenhausen seine 43.000 Mitarbeiter mit der seltenen Gabe der feinen Selbstironie und mit intellektuellem Tiefgang. Der größte Rückversicherer der Welt arbeitet höchst profitabel (Konzernergebnis 2014: knapp 3,2 Milliarden Euro). Nur bei seiner Endversicherertochter Ergo sorgten frei verfügbare Budapester Bordelldamen bei einer Vertriebsfeier für einen Skandal. Nun soll der bisherige AllianzMann Markus Rieß (49) dort aufräumen. Trotzdem behält Warren Buffett unsere Aktien und seine eigene Aktivität als Rückversicherer. Er ist erfahren genug, um zu wissen: Zyklische Bewegungen gehören zum Geschäft der Rückversicherer, ebenso eine dem Preisniveau entsprechende Zeichnungspolitik; so geben wir derzeit einige Geschäfte auf. Andererseits müssen wir nun wirklich nicht befürchten, dass der Welt die Risiken und damit uns die Geschäftschancen ausgehen. Zudem schütten wir Jahr für Jahr eine sehr attraktive Dividende aus. Unsere Dividendenrendite gehört zu den besten im DAX und die letzte Dividendenkürzung liegt über 45 Jahre zurück, das überzeugt unsere Investoren – auch Warren Buffett. B Aber verändert sich die Branche nicht strukturell, weil viele Konzerne ihre Risiken direkt am Kapitalmarkt unterbringen – etwa mit sogenannten Katastrophenbonds? Ja, die Finanzierung von Risiken verändert sich. Viele Hedge-Fonds und Vermögensverwalter suchen Versicherungsrisiken als Anlageobjekt. B Dann halten Sie nicht für eine kurzfristige Mode, dass HedgeFonds in Ihr Geschäft drängen? Einige Akteure bleiben auf längere Sicht in diesem Markt, damit können wir leben. Wir begeben ja selbst auch Katastrophenbonds, wir kaufen sie und strukturieren sie auch für andere. Dadurch wird in unserem klassischen Geschäft natürlich auch Kapazität verdrängt. Die einzige Antwort darauf kann nur sein, neue Geschäfte zu entwickeln. B Übernehmen jetzt nicht wieder Leute Risiken, die sie gar nicht verstehen – so wie vor der Finanzkrise, als man Hypothekendarlehen für Kreditnehmer mit schlechter Bonität verteilte? Das ist zu befürchten. Und diese Spieler können viele Jahre Glück haben, so merkt man gar nicht, dass sie die Risiken falsch berechnet und gepreist haben. In der Assekuranz setzen wir jedoch nicht auf Glück, sondern auf Wissen und Erfahrung. U UNTERNEHMEN / MÄRKTE GALA DER GEWINNER Wer schreibt den besten Geschäftsbericht, wer informiert seine Aktionäre gut und ausführlich? BILANZ feierte den Sieger: die Deutsche Telekom. 28 Deutschlands renommiertester Wettbewerb für Finanzkommunikation, „Der beste Geschäftsbericht“, zelebrierte seine glanzvolle Rückkehr am Finanzplatz Frankfurt. Rund 100 Gäste aus Wirtschaft und Medien feierten im Ludwig-Erhard-Saal der Industrieund Handelskammer am Börsenplatz die Gewinner – allen voran den Gesamtsieger Deutsche Telekom. Zur Neuauflage des Wettbewerbs haben der Bilanzierungsexperte Jörg Baetge und sein Analyseteam von der Universität Münster die Bewertungsprinzipien überarbeitet, mehr noch: Sie haben den Wettbewerb auf seinen Markenkern konzentriert. Analysiert wird ausschließlich der Inhalt, und zwar gründlich. Jeden Geschäftsbericht aus Dax und M-Dax sowie die gemessen am Börsenwert zehn größten So sehen Sieger aus: Videobotschaft von Telekom-Chef Tim Hoettges an die Gäste der BILANZ-Gala. Unternehmen aus Tec-Dax und S-Dax begutachten die Bilanzierungsprofis anhand von 300 Kriterien. Der Vorteil: Für die Unternehmen sind Methode und Abschneiden transparent und klar nachvollziehbar (www.wiwi.uni-muenster.de/baetge). Der Wettbewerb, der von Evonik, dem Aktionärsforum und der Deutschen Börse gefördert wurde, legt offen, welche Unternehmen ihre Aktionäre gut informieren, wer trickst oder verschleiert. Dass in der Finanzkommunikation die inhaltliche Qualität vorrangig sein muss, machte auch Gregor Pottmeyer, Finanzvorstand der Deutschen Börse, in seiner Eröffnungsansprache deutlich. Mehrbändige Reports mit zum Teil mehr als 500 Seiten dienten eher der Absicherung der Unternehmen als der Information der Anleger. Allerdings machten es Regulierungsauflagen den Unternehmen häufig auch schwer, schlankere Geschäftsberichte zu erstellen. Über welche Zugkraft der Wettbewerb in der Finanzwelt verfügt, verdeutlichte die Video-Zuschaltung von Telekom-Chef Tim Hoettges. Hoettges, früherer Finanzchef des Telekommunikationskonzerns, hatte einst die Devise ausgegeben, den Preis für den besten Geschäftsbericht zu gewinnen. Jetzt hat er es geschafft. Aber auch im kommenden Jahr will er wieder um die Siegerurkunde kämpfen. U BILANZ / OKTOBER / 2015 29 Szenen einer Feier: Deutsche-Börse-Finanzvorstand Pottmeyer (l.o.), Tec-Dax-Sieger Park und Zinnhardt von der Software AG, Geschäftsberichte-Tester Baetge. BILANZ-Chefredakteur Boldt, Moderatorin Pawlu mit M-Dax-Sieger Wiedenfels (P7S1). Gäste (v.r.): Christian Rummel (Deutsche Bank), Jan Bayer (Axel Springer), Stephanie Caspar (Welt/N24). DIE GEWINNER DAX M-DAX TEC-DAX S-DAX 1 Deutsche Telekom 74,81 * 1 Pro 7 Sat 1 73,33 1 HHLA 53,78 1 Software AG 2 Adidas 71,15 2 DMG Mori Seiki 70,53 2 Wacker Neuson 52,06 2 United Internet 48,49 3 Infineon 65,45 3 Wacker Chemie 69,01 3 Puma 3 Freenet * VON 100 ERREICHBAREN PUNKTEN FOTOS: JAN HAAS/BILANZ/PICTURE ALLIANCE 48,69 48,99 48,16 UNTERNEHMEN / MÄRKTE 30 AUFTAKT IM DUETT Gemeinsam sollen Dirigent KENT NAGANO und Intendant GEORGES DELNON die bräsige Hamburgische Staatsoper wieder an die Weltspitze führen. Text / SOPHIE CROCOLL und STEPHAN KNIEPS Fotos ANATOL KOTTE BILANZ / OKTOBER / 2015 31 32 BILANZ / OKTOBER / 2015 G eorges Delnon (57) unterbricht uns: „Aber, Entschuldigung: Ich darf das sagen – dass Kent das nicht sagt, ist ja klar –, was unglaublich toll ist: Kent ist ein worker. Es wird bei ihm immer wieder geübt. Und trotzdem vermittelt er eine intellektuelle und spirituelle Dimension in der Musik. Das merken die Musiker!“ Delnon ist jetzt in Fahrt: „Es gibt zwischen uns nicht diesen Druck: Ich muss meine Ideen durchsetzen. Für mich ist ganz wichtig, dass ich mit Kent bis jetzt…“ – und hier beugt sich Delnon vor, der auf einem roten Ledersofa in der sogenannten StifterLounge, einem Gesellschaftsraum der Hamburger Staatsoper, sitzt, und klopft mit den Fingerknöcheln auf das Parkett – „…also dass wir ein unglaublich entspanntes Verhältnis haben, wie wir mit dem anderen umgehen. Und das macht wirklich Freude.“ Da regt sich auch Kent Nagano (63), der Gelobte, der bis dahin aus den bodentiefen Fenstern auf die grauen Büroblöcke gegenüber der Oper geschaut hatte. Er blickt zu Delnon, der neben ihm auf dem Sofa sitzt, klopft flink ebenfalls auf den Fußboden, streicht sich die melierte Mähne aus der Stirn und sagt in freundlichem Denglisch: „Unser Fundament ist, dass wir eine overlapping esthetics haben. Ich vertraue Delnon einfach.“ Kent Nagano, Kalifornier, Enkel japanischer Einwanderer, Surfer, Bach-Bewunderer, Präzisionsdirigent und „Pult-Figur“ („Taz“), einer der ganz Großen in der Musikwelt – und Georges Delnon, in Bern aufgewachsener Zürcher, FC-Basel-DauerkartenBesitzer, Opernbegünstiger und Entrümpelungsintendant… Im September haben die beiden ihren Dienst in Hamburg angetreten: Sie sollen die Staatsoper, die bei Feuilletonisten und Musikkritikern aller Schattierungen zuletzt kaum noch Beachtung fand oder wenn, dann als „bräsig“ („Zeit“) geächtet wurde, dorthin führen, wo sie vor über 300 Jahren schon stand, als ein Georg Friedrich Händel hier als Geiger und Cembalist beschäftigt war und das Haus zu den angesehensten Bühnen Europas gehörte. Auch mit dem Rang eines „Opernhauses des Jahres“, den das Magazin „Opernwelt“ den Hamburgern 2005 zuerkannte, wären die beiden Neuen durchaus zufrieden. Ob ihnen das gelingen wird? Eines ist gewiss: Ein Spaziergang wird es nicht. Die verabschiedete Opernchefin Simone Young (54) war nicht gerade vom Glück verwöhnt und hat eine Bühne hinterlassen, die einen gewissermaßen unentschiedenen Eindruck hinterlässt. Nagano ist ein schmaler, vielleicht einen Meter siebzig großer, fast asketisch wirkender Mann. Von 2006 bis 2013 war er Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper in München, vom Publikum verehrt, von der Kritik geschätzt: Seine „großen und beglückenden Aufführungen“ hätten „erfrischend und befreiend für München“ gewirkt, flötete die „SZ“ zum Abschied: „Die Gewinner werden die Hamburger sein.“ Aus München ist Nagano sicherlich nicht ganz freiwillig fortgezogen, auch wenn es am Ende wohl eine Befreiung war. Zwei Jahre lang hatte er die alleinige Verantwortung für die Münchner Oper gehabt, die immer ein traditionsfestes Repertoirehaus gewesen war mit Belcanto und all den Italienern. Mit dem neuen Intendanten Nikolaus Bachler (64), einem Österreicher, kam der kühle Strukturalist Nagano freilich nie zurecht. Bachler wollte Mozart, Nagano die Moderne: Unsuk Chin, Peter Eötvös oder Jörg Widmann. Am Ende passte es nicht mehr. Wolfgang Heubisch (69), ehedem bayerischer Kultur- und Wissenschaftsminister und an Naganos Weggang nicht unbeteiligt, weiß heute nur Vorteilhaftes über den Amerikaner zu berichten: „Nagano ist ein toller Mensch. Er hat einen Sensor für außergewöhnliche Dinge und ist sicher auch ein guter Manager.“ Der Impresario und sein Direktor: Delnon (links) und Nagano hinter den Kulissen der Hamburger Oper. Nagano nimmt seine Brille vom Tisch, setzt sie auf, schaut Delnon an und sagt: „Das Gute daran, mit Georges Delnon zu arbeiten, ist: Ich kann einfach über Musik nachdenken.“ Delnon erwidert seinen Blick und lacht. Findet er auch. Die beiden teilen sich die Führung des Opernbetriebs, der eine ist für die Kunst, der andere für die Kasse zuständig: Nagano als Chefdirigent des Philharmonischen Staatsorchesters und Generalmusikdirektor, Delnon als Intendant und kaufmännischer Leiter. Ihre Amtssprache ist Französisch. Es ist ein Neuanfang für den einen wie für den anderen: Obwohl Delnon selbstbewusst genug ist, es nicht zuzugeben, bedeutet Hamburg einen beruflichen Aufstieg für ihn, selbst wenn das Haus nicht mehr über das Renommee vergangener Tage verfügt. Bei Nagano, der alle großen Orchester der Welt dirigiert hat und seit vielen Jahren das Orchestre symphonique de Montréal leitet und Göteborgs Symfoniker berät, liegen die Dinge anders. Er sucht, was man eine Herausforderung nennt und ihm alle Reize des Neuen und der Abwechslung bietet. Ob Hamburg ein Karriereschritt für ihn ist, wird man in fünf Jahren sehen, wenn sein Vertrag ausläuft. Seine Premiere in der Stadt feierte Nagano am Abend des 13. Septembers in der Kirche St. Michaelis, dem barocken, backsteinernen Wahrzeichen Hamburgs. Er hatte den Pianisten Menahem Pressler eingeladen, ein Männchen von 91 Jahren mit flinken Fingern, das an mancher Stelle Mozarts 27. Klavierkonzert völlig anders gespielt habe als in der Probe, erzählt Nagano. Er grinst. So etwas gehört dazu: Künstler eben! Eine Woche später brachten „Delnon-Nagano“ (Nagano) Hector Berlioz’ Oper „Les Troyens“ zur Aufführung und zur Übertragung auf Großleinwand am Jungfernstieg, wenige Hundert Meter von der Staatsoper entfernt – ein Spektakel, „ein Dialog mit der Stadt“ (Delnon). Die Kritiken waren durchwachsen: Während die „Welt“ 33 UNTERNEHMEN / MÄRKTE 34 bei der Inszenierung „noch einige philharmonische Luft nach oben“ zu erkennen glaubte, hatte die „SZ“ den „Beginn der Oper“ als „zu hektisch“ beklagt, aber dennoch einen „guten Gesamteindruck“ gewonnen. Der „FAZ“-Rezensent erlebte gar „glückhafte Momente“. Die Erwartungen, die Nagano beim anspruchsvollen hanseatischen Publikum weckt, sind groß. Der Amerikaner steht in dem Ruf, jedes Orchester in ein Spitzen- und Meister-Ensemble verwandeln zu können. Doch auch in ihm schlägt nur das Herz eines empfindsamen Künstlers. Er ist ein höflicher und blitzgescheiter Mann, aber „sehr zurückhaltend“ in seiner Art und „anfangs unnahbar“, wie die Journalistin Inge Kloepfer sagt, die gemeinsam mit Nagano ein Buch („Erwarten Sie Wunder!“) verfasst hat. Der Druck hoher Erwartungen ist Nagano nicht unbekannt. Die erste Berührung mit der Musik hatte er mit vier Jahren, als ihn seine Mutter Ruth ans Klavier setzte; mit sechs lernte er Orchesterspiel und Musiktheorie; mit acht dirigierte er den Kinderchor seiner presbyterianischen Gemeinde in Morro Bay, einem Fischerdorf zwischen San Francisco und Los Angeles. Druck ist nichts, was ihn ängstigt, natürlich nicht – aber er macht sich einen Spaß daraus, so zu tun, als habe er unsere Frage nicht verstanden: Ob eben jener Druck, Hamburg an die Weltspitze zurückzuführen, gemeinsam mit Delnon, nicht schwer auf ihm laste? „Waaas?“, fragt er zurück. Dann schließt er die Augen erst einmal, stützt die Schläfe auf die Finger und sagt einen langen Augenblick gar nichts – „…ich habe in diesem Haus so viel Potenzial gefunden. Es ist beeindrucksvoll. Das war der Grund, weshalb ich hierhergekommen bin. Die Talente sind da. Nur, Talent ohne Ambition, ohne Hunger ist nichts. Nun kommen alle zusammen und zeigen den großen Willen, jetzt nach vorne zu gehen“. Mit seinem Orchester in Montréal ist Nagano etwas gelungen, das auch dem Hamburger Betrieb gut zu Gesicht stünde: dass bei stabilem Budget mehr und vor allem mehr jüngere Menschen zu den Aufführungen kommen. Die Schulden, die auf dem Haus lasteten, konnte er kräftig abbauen, nicht zuletzt dank einer ganzen Reihe außergewöhnlicher Inszenierungen. So ließ er etwa Richard Strauss’ „Heldenleben“ in einem Eisstadion aufführen. „Ganz klar, wenn die nächste Generation nicht denkt, dass das Opernhaus auch ihr Haus ist, haben wir unsere Kunst nicht verdient, haben wir unseren Job nicht gemacht.“ Er hoffe, dass in einigen Jahren die Menschen darüber sprechen, „dass wir es in Hamburg anders als in allen anderen Städten machen“ und „dass man eine größere flexibility, auch Leichtigkeit und Lust in den Köpfen der Menschen erreicht“. Worauf er auffordernd zu Delnon blickt. Sie nennen es „Pingpong“, wie sie miteinander umgehen. Delnon, der etwa so groß wie Nagano ist, aber vielleicht eineinhalb mal so breit, sagt: „Man hat von der Staatsoper Hamburg zu Liebermanns GROSSE OPERN BAYER. STAATSOPER, MÜNCHEN Kirill Petrenko* – 34,7 Mio. Euro** SEMPEROPER, DRESDEN Christian Thielemann – 20,2 Mio. Euro HAMBURGISCHE STAATSOPER Kent Nagano – 18,5 Mio. Euro STAATSOPER BERLIN Daniel Barenboim – 14,3 Mio. Euro DEUTSCHE OPER BERLIN Donald Runnicles – 13,7 Mio. Euro * KÜNSTLERISCHER LEITER ** EINNAHMEN AUS DER SPIELZEIT 2013/14 QUELLEN: DT. BÜHNENVEREIN, SEMPEROPER FOTO: PETER SYLENT/ULLSTEIN Zeiten gesagt, es sei das mutigste Opernhaus der Welt. Wenn man das in Zukunft wieder sagen würde, würde mir das natürlich nicht missfallen.“ Und er fügt hinzu: „Mit Sicherheit wollen wir auch mit Paris oder London durchaus mithalten.“ Das kann der Hamburger Kultursenatorin Barbara Kisseler (66) nur recht sein. Die Staatsoper trägt nicht einmal ein Viertel ihrer Kosten selbst. Gewiss, im Vergleich zu anderen Häusern ähnlicher Größe ist das ein guter Wert, und auch bei den Einnahmen liegt die Hamburgische Staatsoper bundesweit auf Rang drei. Dennoch ist für 2015 wieder Verlust fest veranschlagt, dieses Mal in Höhe von 54,3 Millionen Euro. Delnon sieht nicht so aus, als würden ihm die Zahlen schlaflose Nächte bereiten: „Selbstverständlich versucht ein Haus, seine eigene Leistung zu maximieren und mehr Einnahmen zu generieren. Es gibt aber Grenzen, die kann man nie übersteigen. Zum Beispiel ist der Auftrag, jüngere Menschen an die Oper zu bringen, genauso wichtig wie Geldverdienen. Ich finde schon, dass der Staat die Pflicht hat, uns zu finanzieren.“ Dem wachsenden Einfluss der „kapitalmarktgetriebenen und renditeorientierten Wirtschaft“ aufs Musikleben steht Nagano kritisch gegenüber. Das Operngeschäft ist diffizil: „Die reflexes zu sagen: Das hat gut in London oder in New York funktioniert, das bringen wir hierher – das ist Globalisierungsdenken. Es ist gefährlich, zu unterschätzen, wie kompliziert das ist.“ Und so bewegen wir den sanften Amerikaner am Ende zu einem mezzoforte, als wir ihn fragen, ob man die Entscheidung, welche Opernhäuser und Ensembles die besseren seien und sich durchsetzen sollen, nicht dem Markt überlassen sollte. „Wie definiert man besser?“, fragt er, beugt sich vor und erzählt, wie er in Las Vegas das Orchester des Cirque du Soleil gesehen und gehört habe. Die Truppe sei gewiss hochbegabt. Aber wie man „Parsifal“ spielt, nein, davon verstünde sie nichts. U ICH REISE, ALSO BIN ICH … GENUSSFREUDIG … G LÜ C K L I C H … G E S PA N N T CUBA HARLEYCONNAISSEUR TOUREN MIT WOLFGANG FIEREK EISBÄREN AN DER HUDSON BAY Kuba jetzt! Genießen Sie auf dieser Reise kubanisches Lebensgefühl. Abendessen im Kultrestaurant Paladar la Guarida, eine Oldtimerfahrt in Havanna und ein Treffen mit Amadito Valdé vom Buenos Vista Social Club. Born to ride free: Roadtrips mit dem Gefühl von Freiheit und Abenteuer durch Kalifornien, den Südwesten der USA mit den schönsten und wildesten Canyons oder jenseits der klassischen Routen durch New Mexiko. Begleitet und geführt durch Wolfgang und Djamila Fierek. Mit den Eisbären auf „Du und Du“. Im Tundra Buggy auf Bären-Safari, eine Fahrt mit dem Husky-Schlitten. Die winterlichen Niagara Falls und Oak Hammock Marsh sowie die kleine kanadische Stadt Churchill sind Höhepunkte dieser einzigartigen Reise in die Hauptstadt der Eisbären. Pro Person im Doppel ab Pro Person im Doppel ab Pro Person im Doppel ab 7.790 EUR 8.690 EUR 7.390 EUR 18.04.2016 – 26.04.2016 17.10.2016 – 25.10.2016 14.11.2016 – 22.11.2016 California Trip 12.05.2016 – 25.05.2016 Weitere Reisen zu Harley-Touren finden Sie auf unserer Website. inkl. Flüge in der Business Class Mehr Informationen zu diesen Reisen finden Sie unter: www.windrose.de/welt | [email protected] | +49 (0)30 20 17 21-280 08.10.2016 – 17.10.2016 UNTERNEHMEN / MÄRKTE 36 PROLOG Das Jahr 2015 geht als besonders düsteres Kapitel in die Annalen von Volkswagen ein: Erst drängten der langjährige Konzernchef Martin Winterkorn (68) und Wolfgang Porsche (72) nach einem beispiellosen Machtkampf VW-Patriarch Ferdinand Piëch (78) aus dem Kontrollgremium. Dann erschütterte der Skandal um manipulierte Schadstoff-Software den größten deutschen Automobilkonzern (mehr als 200 Milliarden Euro Umsatz, 600.000 Mitarbeiter). Winterkorn musste zurücktreten, die weiteren Folgen sind noch unabsehbar, fest steht nur: Es wird verdammt teuer. Und diesen Monat erreicht die juristische Aufarbeitung der Übernahme von Volkswagen durch Porsche ihren Höhepunkt: Am 22. Oktober, Punkt 9 Uhr, eröffnet Frank Maurer, der Vorsitzende Richter der 13. Großen Strafkammer am Landgericht Stuttgart, den Prozess gegen den einstigen Porsche-Primus Wendelin Wiedeking (63) und dessen Finanzchef Holger Härter (59). Die Anklage lautet auf „informationsgestützte Marktmanipulation“. Die Staatsanwaltschaft will beweisen, dass Wiedeking und Härter absichtlich und gezielt den VW-Aktienkurs manipuliert haben. Vor allem internationale Anleger werden in den kommenden Wochen und Monaten genau nach Stuttgart schauen: Für sie geht es in dem Strafverfahren um nicht weniger als die Glaubwürdigkeit des Finanzplatzes Deutschland. Sie wollen wissen, ob man hierzulande ungestraft Aktionäre hinters Licht führen darf bei einer Übernahme, die man sich finanziell sonst gar nicht hätte leisten können. ERSTER AKT: DIE STUNDE DER FINANZ-ALCHEMISTEN Auch wenn manch einer immer noch behauptet, der Versuch von Porsche, VW zu übernehmen, sei gescheitert – ein Blick auf die Eigentümerstruktur offenbart das Gegenteil: Die von den Familien Porsche und Piëch kontrollierte Porsche SE hält heute ES ROLLT UND ROLLT UND ROLLT… Erst manipulierte Abgasprogramme, jetzt manipulierte Aktienkurse bei der Übernahmeschlacht VW/Porsche – die Justiz hat Deutschlands größten Automobilkonzern fest im Griff. Text / ARNO BALZER WIEDEKING UND HÄRTER treffen sich ab 22. Oktober, immer donnerstags und freitags, auf der Anklagebank. 50,73 Prozent der VW-Stammaktien. Damit ist den Familien ein echter Coup gelungen – der Peter Daniell Porsche (41), den größten Einzelaktionär der Sippschaft, einst zu dem Wortspiel animierte, die Maus wolle den Elefanten schlucken. Aber wie hat die Maus das geschafft? Als die Stuttgarter 2005 erste Übernahme-Szenarien anstellten, hatte Porsche gerade einmal drei Milliarden Euro in der Kasse. Gewiss, viel Geld, aber nicht annähernd genug für die Finanzierung einer VW-Übernahme. Bei einem regulären, sauberen Unternehmenskauf an der Börse ist zudem üblicherweise eine hohe Prämie auf den Aktienkurs fällig. Das hätte weitere Milliarden gekostet; Milliarden, die Porsche ebenfalls nicht hatte – und die Banken nicht leihen wollten, jedenfalls nicht ohne Zugriff auf die Kasse von Volkswagen. Dieser Zugriff war jedoch nur über einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag möglich. Zusätzlich erschwerte das VW-Gesetz das Vorhaben: Es macht für einen Beherrschungsvertrag eine 80-Prozent-Mehrheit zur Bedingung; somit hätte allein schon das Land Niedersachsen mit seinem 20-Prozent-Anteil einen Angriff abwehren können. Porsche musste daher zweigleisig fahren: einerseits das VW-Gesetz zu Fall bringen und andererseits den Zugriff auf 75 Prozent der Stammaktien sichern, die nach dem Aktiengesetz für einen Zugriff auf die Kasse von VW erforderlich sind. Doch wie übernimmt man ein Unternehmen, dessen Übernahme man sich eigentlich gar nicht leisten kann? Genau die richtige Herausforderung für den Porsche-Vorstand Holger Härter, dem man zu jener Zeit die Fähigkeiten eines Finanz-Alchemisten nachsagte, besonders wenn er mit den Druiden von der Investmentbank Merrill Lynch operieren konnte, die schon bei so mancher unorthodoxen Übernahme beratend zur Seite standen. Heimlich entwickelte das Dreamteam eine gigantische Derivate-Ma- BILANZ / OKTOBER / 2015 schine. Bei Derivaten handelt es sich, vereinfacht gesagt, um Finanzinstrumente, bei denen man auf die Entwicklung verschiedener Basiswerte setzen kann, wie etwa Aktienkurse. Bei verhältnismäßig geringem Einsatz sind die Gewinne hoch, aber auch die möglichen Verluste. Das Geschäft ist hochriskant. Porsche erwarb über die Frankfurter Niederlassung der kanadischen Kleinstbank Maple Call-Optionen, also das Recht, sich zu aktuellen Kursen VW-Aktien für die Zukunft zu kaufen. Der Clou: Porsche konnte sich günstige Kurse sichern und profitierte zugleich von Kurssteigerungen, die die Absicherungskäufe der Großbanken, aber auch die Bekanntgabe der eigenen Zukäufe auslösten. Von den Kursgewinnen konnte man dann weitere Derivate oder Aktien kaufen. Das Beste an dem Plan war: Er schien zu funktionieren. So stieg der VW-Kurs in den Jahren 2005 bis Herbst 2008 von rund 35 Euro auf etwa 400 Euro – ein gemessen an anderen Automobilaktien irrsinniger Kurs. Heute kosten VW-Papiere rund 120 Euro. Beim Anschleichen half Porsche eine vermeintliche Gesetzeslücke. Da ihre Kaufoptionen auf Barausgleich gerichtet waren, sah Porsche keine Veröffentlichungspflicht, jedenfalls nicht nach den normalen Meldevorschriften. Die Stuttgarter informierten nur, wenn sie echte Aktien kauften und eine gesetzliche Meldeschwelle überschritten. Eine nach den Sondervorschriften zum Directors’ Dealing dem Wortlauf nach bestehende Meldepflicht übersah man geflissentlich. Dem Markt kommunizierte Porsche immer nur den gerade aktuellen Schritt und dementierte weitergehende Übernahmeabsichten, obwohl die Stuttgarter sich mit Derivaten heimlich bereits den Zugriff auf viel mehr VW-Aktien gesichert hatten. alles wie geölt. Weil die Stuttgarter seit 2005 zwar intern an der Übernahme gebastelt hatten, nach außen hin aber immer wieder das Gegenteil beteuerten, lockte die anschwellende Volkswagen-Aktie zunehmend Investoren an, die auf fallende Kurse setzten. Diese Gegenkräfte offenbarten eine Konstruktionsschwäche von Porsches Derivate-Maschine: Bei fallenden Kursen würde Finanzchef Härter erhebliche Gelder nachschießen müssen. Denn er hatte durch den heimlichen Verkauf von Verkaufsoptionen die Banken gegen einen Kursverfall abgesichert. Doch der Ernstfall trat im Oktober 2008 ein, und die VW-Aktie stürzte regelrecht ab: von 400 auf 200 Euro. Porsche erhielt von der Bank, mit der es die Derivate-Geschäfte abgeschlossen hatte, immer wieder hohe Nachschussforderungen. Folge: Die Liquidität des Unternehmens schmolz, wie die Staatsanwaltschaft später herausfand, innerhalb von drei Wochen von 4,2 Milliarden auf 326 Millionen Euro am Freitag, dem 24. Oktober. Allein an diesem Tag hatte Porsche zwischen 10.07 Uhr und 15.40 Uhr per E-Mail von der Maple Bank Zahlungsaufforderungen über mehr als 900 Millionen Euro erhalten. Obendrein verwandelte der Kursverfall die Derivate-Positionen in finanzwirtschaftlichen Giftmüll mit Potenzial für Milliardenverluste. Bei den meisten Managern hätte diese Entwicklung wohl Panik aus- WOLFGANG PORSCHE muss damit rechnen, beim Prozess in den Zeugenstand gerufen zu werden. ZWEITER AKT: PLAN B Solange der VW-Kurs stieg, befeuert durch entsprechende Aktienkäufe und Derivate-Geschäfte der Porsche SE, lief FOTOS: PICTURE ALLIANCE (2) gelöst, Angst vor einer drohenden Zahlungsunfähigkeit. Doch Porsche bestreitet energisch eine drohende Insolvenz und verweist auf angebliche gut zwei Milliarden Euro Liquidität bei einer Tochterfirma. Dies aber, so behaupten Kläger, stimme gar nicht. Denn es habe sich dabei weitgehend um Kreditlinien gehandelt, die Porsche nicht für den Ausgleich des ins Minus gerutschten Derivate-Kontos hätte verwenden dürfen. Selbst wenn man Porsche glaubt: Bei weiter fallenden Kursen hätten diese zwei Milliarden kaum eine weitere Woche gereicht. Porsche hatte also allen Grund, etwas zu unternehmen, um den Kursverfall der VW-Aktie zu stoppen und zu drehen. Aber was? Am Sonnabendnachmittag des 25. Oktober rief Härter den Leiter der Rechtsabteilung von Porsche an und erteilte ihm neue Order. Der Jurist solle klären, ob eine Offenlegung von Porsches Kurssicherungsgeschäften, der erworbenen VW-Aktienbestände sowie der zugehörigen Optionen, rechtlich zulässig sei. Anwälte der Kanzlei Freshfields, die mit dem Projekt bestens vertraut waren, sollten dabei helfen. Bereits am Sonntagvormittag stand der Entwurf einer Pressemitteilung, die freilich noch sehr viel mehr offenlegte. Sie kündigte etwa an, dass Porsche im Folgejahr 2009 die Beteiligung an Volkswagen auf 75 Prozent aufstocken wolle und einen Beherrschungsvertrag über die Volkswagen AG anstrebe. Dies hätte den Stuttgartern den Zugriff auf die Wolfsburger Kassen ermöglicht. Außerdem wolle man mit der Pressemitteilung den Leerverkäufern – also Investoren, die auf fallende VW-Kurse gesetzt hatten – Gelegenheit geben, ihre Positionen in Ruhe aufzulösen. Insgesamt vermittelte der Entwurf der Pressemitteilung den Eindruck, es bestünden für Porsches Ziele auf dem Weg zur VW-Übernahme keine Hindernisse mehr. Die Porsche-Rechtsabteilung erhielt den Entwurf erst am Sonntag. Für die Prüfung blieben den Juristen nur wenige Stunden. Angesichts der recht- 37 UNTERNEHMEN / MÄRKTE 38 lichen Brisanz der einzelnen Themen (Aufstockung auf 75 Prozent, Beherrschungsvertrag, Leerverkäufe) ein fast fahrlässiges Vorgehen. Kam den Advokaten nicht in den Sinn, dass diese Pressemitteilung die Märkte bewegen würde? Hätte der Vorstand wegen der Liquiditätsverluste in Milliardenhöhe nicht besser zu einer Ad-hoc-Mitteilung gedrängt werden müssen? Noch verwunderlicher ist, dass zu den Prüfungsvorgängen weder in der Rechtsabteilung noch bei Freshfields eine schriftliche Dokumentation angefertigt worden sein soll. Ein Vorgang, der angesichts des Haftungsrisikos für die externen Rechtsberater nur schwer nachvollziehbar und bei einem solchen Projekt außergewöhnlich ist. Zur Frage, ob dies den Standards einer angesehenen Londoner Law Firm entspreche, wollte Freshfields sich gegenüber BILANZ nicht äußern. Nach einer Telefonkonferenz mit den Anwälten stimmte Härter die Pressemitteilung mit Wiedeking ab. Der – so jedenfalls erinnerte sich der damalige Chefjurist später bei einer Anhörung vor dem Landgericht Hannover – wollte den Entwurf anschließend noch mit Aufsichtsrat Wolfgang Porsche besprechen. Dann ging die Pressemitteilung raus. Als die Börse am Montag öffnete, schoss die VW-Aktie wie ein Projektil nach oben: von 200 Euro auf 471 Euro. Am Dienstag setzte sich der Höhenflug rasant fort. Für Härter und Porsche hatte sich das Arbeitswochenende gelohnt: Dank des Kursanstiegs konnte Porsche mit der Auflösung von Derivate-Positionen rund fünf Milliarden Euro an frischer Liquidität einnehmen. ihre Position schließen mussten, waren daher gezwungen, am Markt zu nahezu jedem Preis zu kaufen, wenn sie wenigstens ein paar der wenigen noch freien VW-Aktien bekommen wollten, um ihre Rückgabepflichten aus den Leerverkäufen zu erfüllen. Die Folge: Der Kurs der Volkswagen-Stammaktie schoss in der Woche nach dem 26. Oktober kurzfristig auf mehr als 1.000 Euro und machte Volkswagen vorübergehend zum wertvollsten Unternehmen der Welt. Etliche Investoren, von kleinen Privatanlegern bis zum internationalen Hedgefonds, verloren durch den Short Squeeze Milliarden. Pech gehabt? Verspekuliert? Börsenprofis witterten schnell Schlimmeres. Klaus Kaldemorgen, damals Chef der Deutsche-Bank-Fondstochter DWS und mehr für besonnene Analyse als für unbeherrschte Wutausbrüche bekannt, gab zu Protokoll: „Ich kritisiere heftig, dass ein Unternehmen wie Porsche in unverantwortlicher Art und Weise den VW-Kurs manipuliert.“ Christian Wulff, seinerzeit niedersächsischer Ministerpräsident und VW-Aufseher, bezeichnete in der „Wirtschaftswoche“ das Verhalten von Porsche gar als „kriminell“. Eine amerikanische Fondsgröße, weltweit engagiert, flüchtete sich in Zynismus: „Für einen solchen Pump-and-Dump-Deal wandert man in den USA in den Knast, in Deutschland bekommt man offenbar eine Einladung ins Kanzleramt.“ HANS RICHTER hat im Fall VW/Porsche jahrelang ermittelt. Seine Klageschrift verspricht einen Wirtschaftskrimi. DRITTER AKT: DIE OPFER WEHREN SICH Mit der Pressemitteilung von Sonntag, dem 26. Oktober 2008, hatte Porsche ausgelöst, was im Finanzjargon Short Squeeze heißt: eine Marktpanik, weil die Menge der für Leerverkäufe an Investoren verliehenen Aktien jene, die für den Handel noch verfügbar waren, bei Weitem übertraf. Investoren, die FOTO: PICTURE ALLIANCE Geschädigte riefen nach Finanzaufsicht und Staatsanwaltschaft. Doch beide taten sich zunächst schwer. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) stellte ein Verfahren nach einigen Monaten ein, aus Mangel an Anhaltspunkten für Marktmanipulation. Erst nachdem Anwälte geschädigter Hedgefonds in langen Schriftsätzen Porsches Praktiken erklärten, schöpfte die Bafin einen Anfangsverdacht und übergab die Akten der Staatsanwaltschaft Frankfurt. Doch die hessischen Ankläger fielen monatelang nicht durch Eifer auf. Als dann der Stuttgarter Staatsanwalt Hans Richter Ermittlungen gegen Porsche wegen möglicher Marktmanipulation aufnahm, schoben die Frankfurter die Akten eilig nach Schwaben. Hans Richter ermittelte tatsächlich, es kam zu Hausdurchsuchungen bei Wiedeking und Härter. Doch dann zogen sich die Dinge hin zum Erstaunen auch internationaler Beobachter: Nahm womöglich die Politik Einfluss zugunsten der neuen Eigentümer? VIERTER AKT: DER RECHTSSTAAT ERREICHT DEN KAPITALMARKT Im Dezember 2012 erhob die Staatsanwaltschaft schließlich doch Anklage gegen Wiedeking und Härter. Ihr Hauptvorwurf: Porsche habe die Märkte zu spät über die wahre Absicht zur vollständigen Übernahme informiert und in fünf öffentlichen Erklärungen von März bis zum 2. Oktober 2008 über ihre Pläne getäuscht. Kurz, Porsche habe den Markt für VW-Aktien manipuliert. Die Pressemitteilung vom 26. Oktober 2008 ließen die Staatsanwälte erstaunlicherweise unberücksichtigt und stellten die Ermittlungen dazu vorläufig ein. Wiedeking und sein Verteidiger Hans Feigen waren auf diese eher beschränkte Anklage offenbar vorbereitet. Etliche, für Wiedeking entlastende Argumente fanden schnell in die Medien: Die formale Beschlussfassung für die vollständige Übernahme sei erst nach dem 2. Oktober 2008 erfolgt. Und die Anwaltskanzlei Freshfields habe befunden, dass keine Pflicht bestanden habe, die Derivate-Positionen offenzulegen. Aber selbst, wenn Freshfields sich geirrt haben sollte: Ein Vorstand müsse sich doch auf die hoch bezahlten Advokaten verlassen können. Das Landgericht Stuttgart nahm sich mit seiner Prüfung fast anderthalb Jahre Zeit und ließ die Anklage dann doch nicht zu. Die Erleichterung bei Wiedeking und Härter hielt freilich nicht lange an. Wenige Monate später, im Sommer 2014, akzeptierte das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart die Anklage doch. Die Entscheidung des OLG enthüllte Details, die darauf hindeuten, dass Porsche über längere Zeit eine von Freshfields entworfene Kommunikationsstrategie mit dem Ziel der Verschleierung der wahren Absichten genutzt haben könnte. Erstmals wurde auch das Wirken der sogenannten Pfinztalrunde bekannt, einer verschworenen Männerrunde, die die Übernahme von langer Hand vorbereitet hatte. Doch für Härter und Wiedeking sollte es noch schlimmer kommen. Kurz vor Beginn des für Ende Juli 2015 angesetzten Strafprozesses erhob die Staatsanwaltschaft Nachtragsanklage, diesmal wegen der Pressemitteilung vom 26. Oktober 2008, die den Short Squeeze ausgelöst hatte. Wiedekings Anwalt Feigen tobte und warf der Staatsanwaltschaft vor, sich von Leerverkäufern, die sich, so Feigen und seine Kollegen, verzockt hätten, „instrumentalisieren“ zu lassen. Das Landgericht Stuttgart ließ die Nachtragsanklage nach kurzer Prüfung zu und verschob den Prozessbeginn auf den 22. Oktober 2015, damit Anklage und Nachtragsanklage gemeinsam verhandelt werden können. Die Staatsanwaltschaft wirft darin Wiedeking und Härter vor, die Börse am 26. Oktober 2008 durch das gezielte Herbeiführen eines Short Squeeze mithilfe einer falschen und irreführenden Pressemitteilung manipuliert zu haben. Diesen Vorwurf hatten zuvor bereits die Hedgefonds Perry Capital und D.E. Shaw erhoben, deren Klage das Landgericht Hannover für schlüssig hielt. Die Beweisaufnahme dort macht derzeit Pause, um zu klären, welche Mitglieder des Porsche-Aufsichtsrats ihre Aussage wegen der Gefahr drohender eigener Strafverfolgung verweigern dürfen. FÜNFTER AKT: DIE GROSSE STRAFKAMMER HAT DAS WORT Für die Klärung der Causa hat die 13. Große Wirtschaftsstrafkammer am LG Stuttgart bisher 25 Fortsetzungstermine angesetzt, bis zum 26. Februar 2016, immer donnerstags und freitags um 9 Uhr morgens. Bereits der Prozessauftakt verspricht die Spannung eines Wirtschaftskrimis, wenn die Anklageschrift verlesen wird. Die Staatsanwaltschaft wird wohl argumentieren, dass Porsche finanziell gar nicht mehr in der Lage war, 75 Prozent an Volkswagen zu übernehmen, als die umstrittene Pressemitteilung veröffentlicht wurde. Die Ermittler haben minutiös rekonstruiert, wie Wiedeking, Härter & Co. in den Tagen vor dem 26. Oktober binnen kurzer Zeit die Liquidität ausging, als Folge der komplizierten Derivate-Konstruktion, mit deren Hilfe Porsche die Übernahme von Volkswagen bezahlen wollte. Die Verteidiger werden die Vorwürfe bestreiten. Sie könnten vielleicht ja argumentieren, Wiedeking und Härter hätten in Notwehr gegen die Leerverkäufer gehandelt. Aber ob das Gericht das für glaubwürdig hält? Aufschluss dürfte dann die Zeugenbefragung bringen. Dabei müssen alle Befragten, wie stets vor Gericht, die Wahrheit sagen. Von Schummelversuchen ist aber aus einem weiteren Grund dringend abzuraten: Frank Maurer, der Vorsitzende Richter der Strafkammer, beschäftigt sich seit Jahren wissenschaftlich mit dem Thema Glaubhaftigkeitsanalyse. U Den Fuhrpark meistern A.T.U – Ihr professioneller Partner für das Flottenmanagement Goldene Flottina 2012 Erster Platz in der Kategorie „Beliebteste freie Werkstatt“ Mehr Infos auf atu.de/b2b oder unter 0180 – 6 27 27 28 981 * * 0,20 Ct. je Anruf aus dem dt. Festnetz, max. 0,60 Ct. je Anruf aus den dt. Mobilfunknetzen Über 600 mal in Deutschland und Österreich. UNTERNEHMEN / MÄRKTE Foto / JAN RIEPHOFF FÜR BILANZ 40 RUPERT STADLER Der Chef von Audi hat lieber die Hände frei. BILANZ / OKTOBER / 2015 FREIHÄNDIG FAHREN Text / MARK C. SCHNEIDER Illustrationen / KATHARINA GSCHWENDTNER Aus der Kutsche wurde das Auto. Jetzt arbeiten Hersteller, Zulieferer und IT-Unternehmen am nächsten großen Ding: dem Robotermobil. W olfgang Bernhard (55) ist ehrgeizig. Manche schärfen nach: vielleicht sogar ein bisschen zu ehrgeizig. Aber Daimlers Lkw-Chef kann auch schon mal loslassen. Das Lenkrad zum Beispiel, bei voller Fahrt in einem Lastwagen auf einem Testgelände im US-Bundesstaat Nevada. Der Lkw hat gutes Tempo aufgenommen, als Bernhard die Hände vom Steuer nimmt. Er überlässt dem Gott der Technik die Kontrolle: bremsen, kurven, beschleunigen, halten, wachsam sein. Der Truck ist Arche- und Prototyp eines Fahrzeugs, das vielleicht schon in fünf Jahren serienreif ist und aus der Fabrik von Daimlers US-Tochterfirma Freightliner stammt. Schweres Gerät, Sattelzüge, die ohne Fahrer unterwegs sein werden. Das ist die Zukunft, sagt Bernhard. Am 2. Oktober lässt Daimler auch über Baden-Württembergs Autobahnen einen selbstfahrenden Mercedes rollen, den „Actros“, einen Vertreter der sogenannten „Schweren Klasse“. Startpunkt ist die Raststätte Denkendorf an der A8. Platz nehmen im Führerhaus und dort untätig herumsitzen werden Bernhard und seine Durchlaucht Winfried Kretschmann (67), der Herrscher von Baden-Württemberg. Bernhard hat einen Zeitplan ausgearbeitet („Entwicklungsstufen des autonomen Fahrens“) oder vielmehr eine Abfolge, denn Jahresangaben fehlen in dem Papier, auf dem eine breite rote Linie den Stand der Technik markiert: Beim „teilautonomen“ Fahren ist man angelangt („Wir sind hier“). „In der nächsten Stufe“, sagt Bernhard, „überwacht sich das Fahrzeug selbst“, gebe die Führung aber „in Grenzbereichen an den Fahrer“ ab. Frühestens 2030 wird man wohl erste Lkw ohne Fahrer sehen. Was die Speditionen freut. Denn es herrscht kein Überangebot an zuverlässigen Chauffeuren. „Der Gütertransport auf der Straße soll sich von heute bis zum Jahr 2050 verdreifachen. Autonom fahrende Lkw helfen, diesen Zu- wachs ökonomisch und ökologisch zu bewältigen.“ Bei seinen Ghost Trucks greift Bernhard auf die Neuerungen zurück, die in der Hexenküche und Erfinderwerkstatt seines Kollegen Thomas Weber (61) entstehen, des Entwicklungsvorstands von Daimler. „Wir arbeiten bei Pkw und Lkw eng zusammen“, sagt Weber. Denn die Systeme seien hie wie da einsetzbar und würden sich „nur bei der Feinabstimmung“ unterscheiden. Ob groß oder klein: Das Autoauto wird schon bald marktreif sein. „Wir kommen Schritt für Schritt voran, schneller, als ich gedacht habe“, sagt BMW-Entwicklungsvorstand Klaus Fröhlich (55). Selbstfahrende Autos auf der Autobahn, vollautomatisches Einparken – Kunststücke sind das keine mehr, vieles geht schon serienmäßig. Aber das ist erst der Anfang. Daimler-Chef Dieter Zetsche (62) spricht im Zusammenhang mit dem Roboterauto von der „Neuerfindung des Automobils“. Auch Rupert Stadler (52) von Audi 41 UNTERNEHMEN / MÄRKTE 42 sieht „gewaltiges Potenzial“. Eines Tages würden Kinder fragen: „Wieso haben die damals überhaupt selbst Hand ans Steuer gelegt?“ Die Errungenschaften der Technik, hier sind es wirklich welche: Rechnergesteuerte Automobile sind sicherer im Verkehr, sparen Energie, senken den Ausstoß von Abgasen und verbinden den Fahrer mit dem Internet. „Das Auto wird zum schnellsten, Kohlendioxid-freien und extrem vielseitigen Digital Mobile Device“, sagt Stadler im branchenüblichen Sprachcode. Blechbiegen war gestern. Das kann jeder. „Entscheidende“ Impulse kämen durch die Rechnerprogramme, sagt Daimler-Mann Weber. Das Budget für Vernetzung haben die Stuttgarter in den vergangenen zwei Jahren verdoppelt, jenes fürs autonomes Fahren werde demnächst verdreifacht. Das Rennen ist eröffnet, der Wettbewerb legt schon jetzt schwarze Streifen auf den Asphalt. Die Deutschen seien die „Treiber des Trends“, sagt Matthias Wissmann (66), Präsident des Verbands der Autoindustrie, im Duktus des Innungslobbyisten. Allein, jetzt darf es kein Nachlassen der Kräfte geben. Denn wer zurückfällt, bekommt keine zweite Chance. Vielen Automanagern indes kann es gar nicht schnell genug gehen. Die VW-Führung erwartet vom Gesetzgeber, dass er die rechtlichen Voraussetzungen in Angriff nimmt und schon „bald umsetzt“. Die Bundesregierung hat auch eine entsprechende Agenda erstellt. Deutschland soll den technischen Vorreiter spielen, juristische Hindernisse müssen beseitigt werden. Doch die Industrie bleibt abhängig von den Zufälligkeiten, mit der politische Entscheidungen häufig fallen. Die erlaubte Höchstgeschwindigkeit für selbstfahrende Autos soll im Aus- und Inland von 10 auf 130 Kilometer hochgesetzt, die zusätzlichen Haftungsrisiken nicht dem Fahrer bzw. Gefahrenen aufgebürdet werden. Der Rechtsrahmen, versprechen Regierung, Behörden und Politiker, werde, „wo nötig“, angepasst. Denn wenn ein System der fahrenden Rechner versagt, stehen „möglicherweise Regress-Ansprüche gegen Hersteller und Zulieferer“ im Raum, befürchtet Alexander Vollert (46), der bei der Allianz für das Schaden- und Unfallgeschäft zuständig ist. Bislang ist freilich der Mensch der größte Unsicherheits- und Risikofaktor. „90 Prozent aller Unfälle sind auf menschliches Fehlverhalten zurückzuführen“, sagt Vollert. Selbstfahrende Automobile führen praktisch zwangsläufig „zu weniger Unfällen“. Ihren Beitrag dazu liefern nicht zuletzt die großen Zuliefererfirmen wie Continental oder Bosch, die immer mehr und immer zuverlässiger arbeitende Apparate, Geräte und Systeme entwickeln, die den Fahrer zum Gefahrenen machen können. Als erster Autozulieferer erhielt Continental 2012 die Testlizenz in Nevada für automatisiertes Fahren auf öffentlichen Straßen. „Gesellschaftlich wäre es ideal, wenn die Sicherheitsunterschiede zwischen den einzelnen Fahrzeugen nahezu verschwinden würden“, sagt Firmenchef Elmar Degenhart (56). Beim technischen Fortschritt zählt In drei Schritten zur neuen Mobilität BIS 2016 TEILAUTOMATISIERTES FAHREN. Immer mehr Serienmodelle, wie der neue 7er von BMW, können automatisch einparken. Bei Geschwindigkeiten bis 30 Kilometer pro Stunde braucht der Fahrer nicht mehr selbst zu lenken. BIS 2020 HOCHAUTOMATISIERTES FAHREN. Jetzt wird der Fahrer auch bei höherem Tempo (bis zu 130 km/h) und bei Spurwechseln entlastet. BIS 2025 VOLLAUTOMATISIERTES FAHREN. Auf der Autobahn sollen nun hohe Geschwindigkeiten möglich sein. Selbst im Stadtverkehr dürften die Systeme weitgehend selbstständig fahren. zurzeit jeder Meter. Daimler demokratisiere die Technik und könne „so die Kosten dramatisch senken“, sagt Weber. Aber als Premiumhersteller müsse Daimler sie auch als Erster anbieten, um sich vom Wettbewerb abzuheben. Ein Kampf ist entbrannt rund um den Zukunftstrend, beteiligt sind neben den Traditionskonzernen der Autogilde und ihren Unterlieferanten Technik-Multis wie Apple und Google. Zwar behaupten Manager wie Chris Urmson, der bei Google die Abteilung „Selbstfahrende Autos“ leitet, „dass wir keine Wagen bauen, sondern ihre Technik verstehen wollen“. Es wäre „dumm“, wenn Google versuchte, mit den großen Autokonzernen zu wetteifern. Aber man muss kein Statiker sein, um zu erkennen, dass sich das Gleichgewicht der Kräfte, die in der Branche wirken, schon verändert hat. Das Automobil ist für die US-Datenkraken vor allem deshalb von Interesse, weil es einen unablässigen Strom von Informationen liefert, Bewegungsprofile, die sich vermarkten lassen, indem man etwa die Werbung eines Restaurants, an dem man gerade vorbeifährt bzw. gefahren wird, in den Autorechner auf den Monitor speist. Besonders gefürchtet ist die Abhängigkeit von Google, dem schon jetzt beherrschenden Internetkonzern und Weltvermesser. „Wenn ihr unsere Landkarten wollt, dann hätten wir dafür gern bestimmte Daten“, zitiert BMW-Vorstand Fröhlich aus seinen Gesprächen mit US-Managern. Doch die will man den Amerikanern vorenthalten. Die digitale Landkarte ist das Betriebssystem für ungezählte Geschäftsmodelle, die auf Standortinformationen beruhen. Kein Wunder, dass sich Fröhlich mit seinem Daimler-Kollegen Weber und Audis Entwicklungschef Ulrich Hackenberg (65) dafür eingesetzt hatte, gemeinsam für 2,8 Milliarden Euro die Nokia-Firma Here zu kaufen, die sich auf hochpräzises Kartenmaterial spezialisiert hat und einen Marktanteil von rund 80 Prozent bei fest eingebauten Auto-Navi- BILANZ / OKTOBER / 2015 FOTO / BERND HARTUNG FÜR BILANZ 43 gationssystemen für sich beansprucht. Anfang 2016 soll der Kauf abgeschlossen sein und Here allen Autobauern zur Verfügung stehen. Ohnehin kann sich BMW-Manager Fröhlich, ebenso wie Audi-Chef Stadler, eine engere Zusammenarbeit der hiesigen Hersteller bei grundlegenden Techniken vorstellen: Entscheidend sei doch, „auf welchen Feldern wir uns differenzieren können und auf welchen nicht“. Dabei geht es um das ganz große Geschäft: „Wir rechnen damit, dass 2035 gut zehn Millionen selbstständig fahrende Autos auf die Straße kommen“, sagt Juergen Reiner (41) von der Beratungsfirma Oliver Wyman. Er kalkuliert mit Mehrkosten von umgerechnet etwa 4.500 Euro je Auto. Damit erzielten Hersteller und Zulieferer Einnahmen von fast 45 Milliarden Euro allein durch die Zusatz-Ausstattung der Fahrzeuge. Zählt man teilautonome Systeme hinzu, hat der Markt einen Umfang von bis zu 175 Milliarden Dollar, digitale Dienste noch gar nicht einkalkuliert. Roland Keppler(51), Chef der Daimler-Firma Car2go, etwa rechnet damit, dass der Car Sharing-Betrieb deutlich weniger Autos benötige, wenn die von allein zum Mieter fahren. Die alles entscheidende Frage indes lautet: Wer vermarktet die Datendienste? Die Autohersteller, die Zulieferer, neue Akteure wie Google oder Baidu aus China? Es geht um die zusätzlichen Stunden im Internet – wer nicht selber lenken will, ist aufs Netz angewiesen. Continental-Chef Degenhart macht folgende Rechnung auf: Die weltweit drei bis 3,5 Milliarden Internetnutzer sind am Tag durchschnitt- ELMAR DEGENHART Frühstücken im Automobil? Kein Problem. lich mehr als drei Stunden im Netz. Angesichts von gut einer Milliarde Fahrzeugen, die täglich etwa eine Stunde lang unterwegs sind, ergibt sich ein ansehnliches Geschäftspotenzial: „Man kann davon ausgehen, dass eine Nutzerstunde einen Gegenwert von durchschnittlich zwei Dollar hat, durch Käufe, aber auch Marketing.“ Zunächst, sagt der Berater Reiner, würde die Entwicklung der Autoindustrie in die Karten spielen. Doch Apple und Google arbeiteten „nah am Kunden“. Die Autohersteller müssten aufpassen, dass sie nicht zu „Hardware-Lieferanten“ abstiegen. Google liefert das Hirn, Daimler das Gehäuse. Laut einer Studie des IT-Dienstleisters Capgemini wäre schon heute jeder dritte Autofahrer in Deutschland bereit, in ein Google- oder Apple-Mobil umzusteigen. „Verschiebungen halten wir UNTERNEHMEN / MÄRKTE FOTO: KATRIN BINNER FÜR BILANZ 44 für möglich“, sagt auch Conti-Admiral Degenhart. Zulieferern wie Continental kann dies theoretisch egal sein: Sie profitieren praktisch in jedem Fall. Entspannt betrachtet auch Kurt Sievers (46) die Entwicklung: Er lenkt beim Halbleiterhersteller NXP das Autogeschäft. Die Niederländer sind der weltgrößte Hersteller integrierter Schaltkreise für die Autoindustrie. „Wer auch immer Autos baut: Er braucht unsere Chips.“ Selbst die Anfälligkeit vernetzter Auto-Automobile für gezielte Angriffe auf ihre Rechnernetzwerke kann sich NXP zunutze machen. Jüngst hat Jeep einen Selbstversuch unternommen und zwei Programmierer von außen auf einen fahrenden „Cherokee“ losgelassen. Der Zugriff gelang: Sie konnten den Wagen bremsen, beschleunigen, sich an Klimaanlage und Radio zu schaffen machen. Alles aus der Ferne, vom Rechner aus. Einfallstor war die Musikanlage, via Mobilfunk mit dem Netz verbunden. „Die Autoindustrie muss nicht alles neu erfinden“, sagt Sievers. „Wir haben aus dem Mobilfunk Lösungen dafür, ein Chip verhindert das Knacken.“ Die Branche produziert einen technischen Superlativ nach dem anderen, die Geschäftsaussichten bieten ein malerisches Panorama. Dennoch dämpfen die Strategen die Erwartungen. „Wir glauben nicht, dass in zehn Jahren das Auto weder Lenkrad noch Pedale haben wird“, sagt Continental-Chef Degenhart. „Das bleibt vorerst Utopie.“ Ausgerechnet in den Innenstädten, wo das Roboterauto vor allem zur Entlastung des Fahrers beitragen könnte, wird es geraume Zeit keine Hilfe sein können: „Die Stadt ist der Dschungel, KURT SIEVERS Der Chiphersteller schläft nicht, sondern denkt nach. in dem es am schwierigsten wird“, sagt BMW-Vorstand Fröhlich. Verglichen mit dem steten Fahrzeugstrom auf Autobahnen ist der Stadtverkehr das reinste Chaos: „Stellen Sie sich nur einmal für ein paar Minuten an die Straßenecke, und schauen Sie sich an, was dort alles passiert – und den Verkehrsregeln widerspricht“, sagt Degenhart. „In Gefahrensituationen überlegen wir nicht immer genau, wir handeln. Wir reagieren intuitiv. Das werden wir einer Maschine nicht so schnell beibringen können.“ Aber irgendwann in Bälde dann doch: Denn einem Ingeniör ist nix zu schwör. „Das Auto wächst mit seinen Aufgaben“, sagt Audi-Chef Stadler. Man setzt auf künstliche Intelligenz, die Zusammenhänge erkennt, und darauf, dass es immer eine Zukunft hinter der Zukunft gibt. U BILANZ / OKTOBER / 2015 FOTO: JAN RIEPHOFF FÜR BILANZ 45 WOLFGANG BERNHARD Daimler entlastet den Lkw-Fahrer. UNTERNEHMEN / MÄRKTE WIE GEHT’S EIGENTLICH… …MICHAEL NAUMANN und JOST STOLLMANN? SETZT DIE SEGEL, GENOSSEN! MICHAEL NAUMANN 46 Der 1941 in Köthen geborene Medienmann und -manager, einst Rowohlt-Chef, Minister und 2001 „Zeit“-Herausgeber, leitet heute die Berliner Barenboim-Said-Akademie. Im August war Michael Naumann segeln. Zwischen den Inseln vor Maine, an der Nordostküste der USA. Hier liegt seine „Basta“ (11,5 m), auf der er auch lebt, wenn er drüben ist. Es waren herrliche, warme Sommertage. Der 73-Jährige scheint noch den Wind und die Wärme zu spüren, als er am Telefon mit sonniger Stimme davon erzählt: „Ein heißer Sommer… Erinnert mich an die Kindheit – in der es ja bekanntlich immer nur heiße Sommertage gab.“ Seit drei Jahren bereitet Naumann in Berlin die Barenboim-Said-Akade- mie auf ihre Eröffnung im Juni 2016 vor: eine Musikhochschule für rund 100 Studenten aus dem Nahen Osten und Israel. Das Kulturstaatsministerium hat 20 Millionen Euro für den Bau überwiesen, weitere 13 Millionen musste Naumann, der den Rang des Hochschuldirektors bekleidet, bei Privatleuten auftreiben. Die Aufgabe liegt ihm, er sei auf seinen vielen „wunderbaren“ Berufsstationen als Verleger (Rowohlt), Journalist („Zeit“, „Spiegel“), Hochschullehrer (Humboldt-Uni) und Heraus- Text / STEPHAN KNIEPS geber („Zeit“) ja immer auch Manager gewesen. „Man kann sagen, dass ich in meinem jetzigen Beruf mehr Manager bin als jemals zuvor.“ Sein Ausflug in die Politik 1998 war Ausdruck seiner Vielseitigkeit, hatte aber eher experimentellen Charakter. Auf seine zwei Jahre als Kulturminister blickt er dennoch mit „Nostalgie“ zurück. Zu Gerhard Schröder habe er noch „gelegentlich“ Kontakt. Dass sein Kanzler „die Bundeswehr nicht in den Irak-Krieg geführt“ hat, dafür ist Naumann bis heute dankbar. U OLYMP Luxor Bügelfrei. Knitterfrei. 100 % Baumwolle. Comfort fit oder modern fit. OLYMP Strick Extrafeine Qualitäten. OLYMP Krawatte Reine Seide. Fleckabweisend. OLYMP Level Five Comfort Stretch. Body fit. OLYMP Level Five Strick Extrafeine Qualitäten. Body fit. OLYMP Level Five Comfort Stretch. Body fit. O LYM P FA C H H Ä N D LE R B U S I N E S S LUXEMBURG Bertrange Bram Diekirch Calliste Wemperhardt Calliste DEUTSCHLAND Aachen Galeria Kaufhof • Männersache • Schlips und Kragen • Sinn Leffers Aalen Funk • Modepark Röther • Saturn Achern Pfeiffer Ahrensburg Nessler Alzey Schönenberger Amberg Wöhrl Ansbach TC I. Buckenmaier • Wöhrl Asbach Anton Limbach Aschaffenburg Wöhrl Augsburg Modepark Röther • Peek & Cloppenburg • Rübsamen • Wöhrl Backnang Modepark Röther Bad Birnbach Mode Feminin Bad Hersfeld Sauer Bad Homburg Karstadt Bad Kötzting Schödlbauer Bad Mergentheim Kuhn Bad Neustadt Wöhrl Bad Schwartau Matzen Baden-Baden Wagener Balingen Gühring Bamberg Karstadt • Wöhrl Bassum Lammers Bayreuth Wöhrl Bergisch Gladbach Peek & Cloppenburg Berlin Anson‘s • Galeria Kaufhof • KaDeWe • Karstadt • Peek & Cloppenburg • Wöhrl Bielefeld Peek & Cloppenburg • Sinn Leffers Billerbeck Bruns Bocholt Peek & Cloppenburg Bochum Baltz • Karstadt • Sinn Leffers Bonn Anson‘s • Galeria Kaufhof • Karstadt • Sinn Leffers Borken Cohausz Braunschweig Karstadt • Peek & Cloppenburg • Pohland Bremen Anson‘s • Karstadt • Leffers • Peek & Cloppenburg Bretten Modepark Röther Buchloe Stammel Bühl Pfeiffer Bünde Bünder Modehaus Buxtehude Stackmann Chemnitz Life Style Xquisit • Peek & Cloppenburg Coburg Wöhrl Cottbus Code 911 Crailsheim TC I. Buckenmaier • Woha Darmstadt Henschel • Karstadt • Römer Deggendorf Wöhrl Dessau-Roßlau Karstadt Dillingen Hertle Donauwörth Woha Dornstetten Schwarz Dortmund Anson‘s • Boecker • Karstadt • Peek & Cloppenburg • Pohland Dresden Karstadt • Peek & Cloppenburg • Sinn Leffers • Wöhrl • xquisit Duisburg Pohland Düsseldorf Anson‘s • Breuninger • Galeria Kaufhof • Karstadt • Peek & Cloppenburg Eberbach Müller Ehingen Modepark Röther Eisenach Schwager Emmendingen MODEBOX Endingen Fuchs Erding Gewandhaus Gruber Erfurt Breuninger • Papenbreer Erlangen Peek & Cloppenburg • Wöhrl Essen Anson‘s • Karstadt • Peek & Cloppenburg • Pohland Esslingen Karstadt • Kögel Euskirchen Ley Flensburg Peek & Cloppenburg Frankfurt am Main Anson‘s • Galeria Kaufhof • Karstadt • Peek & Cloppenburg • Pohland Frechen Ley Freiburg Breuninger • Galeria Kaufhof • Karstadt Freudenstadt Peters Friedrichshafen HEKA Fulda Hohmann + Heil Fürstenfeldbruck Fuchsweber Fürth Wöhrl Geislingen Rösch Gelsenkirchen Sinn Leffers Gießen Franck • Karstadt • Köhler • Modepark Röther • Pohland Göppingen Metzmeier Göttingen Boecker • Karstadt Greifswald Krafczyk Greven Ahlert Großostheim AUBI Günthersdorf Peek & Cloppenburg • Wöhrl Gütersloh Finke Hamburg Anson‘s • Galeria Kaufhof • Karstadt • Peek & Cloppenburg • Sinn Leffers Hameln Wellner Hamm Peek & Cloppenburg Hanau Peek & Cloppenburg Hannover Galeria Kaufhof • Karstadt • Peek & Cloppenburg • Pohland Haslach Giesler Heidelberg Kraus Heidenheim Steingass Heilbronn Galeria Kaufhof • Modepark Röther Hilden Peek & Cloppenburg Hildesheim Adamski • Pohland Hockenheim Modepark Röther Hof Wöhrl Hürth Peek & Cloppenburg Husum Schmidt Ingolstadt Wöhrl Jestetten MM Fashion Kaiserslautern Modepark Röther Kaltenkirchen Dodenhof Kandel Meier Karlsruhe Anson‘s • Breuninger • Karstadt • Peek & Cloppenburg Kassel Galeria Kaufhof • Peek & Cloppenburg • Sinn Leffers Kaufbeuren Modepark Röther Kempten Reischmann Kerpen Modepark Röther Kiel Anson‘s • Peek & Cloppenburg Kirchheim unter Teck Eck am Markt Kleve Alexander Koblenz Boecker • Pohland • Sinn Leffers Köln Anson‘s • Galeria Kaufhof • Karstadt • Peek & Cloppenburg • Weingarten Konstanz Bachstein • Karstadt • Zwicker Krefeld Anson‘s • Sinn Leffers Lage Schlichting Landshut Oberpaur • Wöhrl Lauchringen Banholzer Leer Leffers Leipzig Breuninger • Fischer • Karstadt • Peek & Cloppenburg Lennestadt Fischer Leonberg Karstadt • Schmidt Leverkusen Peek & Cloppenburg Lippstadt Lott Lohne Lammers • Leffers Lörrach Karstadt • Kilian • Reichert Lübeck Peek & Cloppenburg Lüdenscheid Sinn Leffers Ludwigsburg Breuninger • Oberpaur Lüneburg Peek & Cloppenburg Magdeburg Karstadt • Sinn Leffers • Wöhrl Mainz Galeria Kaufhof • Peek & Cloppenburg • Sinn Leffers Mannheim Engelhorn • Peek & Cloppenburg Marburg Ahrens • Begro Mayen Hiebel-Weingart Menden Sinn Metzingen Bugatti-Shop Michelfeld Modepark Röther Mindelheim Stammel Minden Hagemeyer Mitterteich Zeitler Mönchengladbach Peek & Cloppenburg • Sinn Leffers Mühlacker Sämann Mühldorf Modepark Röther Mülheim Anson‘s • Boecker Mülheim-Kärlich Ley München Galeria Kaufhof Marienplatz • Hirmer • Karstadt am Bahnhof • Karstadt OEZ • Konen • Oberpollinger • Peek & Cloppenburg • Wöhrl Münster Galeria Kaufhof • Karstadt • Ley‘s Megastore • Peek & Cloppenburg • Pohland • Sinn Leffers Neubrandenburg OMEGA-Männermoden Neumarkt M + K • Wöhrl Neumünster Nortex Neunkirchen Peek & Cloppenburg Norderstedt Peek & Cloppenburg Nördlingen Steingass Nürnberg Anson‘s • Breuninger • Karstadt • Wöhrl Oberhausen Galeria Kaufhof • Peek & Cloppenburg • Pohland • Sinn Leffers Oberndorf Hoffmeyer Offenburg Zinser Öhringen Bär Oldenburg Bruns • Leffers Osnabrück Lengermann & Trieschmann • Peek & Cloppenburg Paderborn Klingenthal • Peek & Cloppenburg Passau Wöhrl Pforzheim Galeria Kaufhof Plauen Wöhrl Posthausen Dodenhof Potsdam Peek & Cloppenburg Ravensburg Bredl • Reischmann Recklinghausen Peek & Cloppenburg Rees Alexander Regensburg Peek & Cloppenburg • Pohland • Wöhrl Remscheid Boecker Reutlingen Breuninger Rosenheim Karstadt • Modepark Röther • Peek & Cloppenburg Rostock Peek & Cloppenburg Roth Wöhrl Rüsselsheim Hartmann Saarbrücken Anson‘s • Karstadt • Peek & Cloppenburg Saarlouis Pieper Schorndorf Bantel Schwabach Modepark Röther Schwäbisch Gmünd Dieterich • Modepark Röther • Röttele Schwäbisch Hall Woha Schweinfurt Wöhrl Senden Schmid Sindelfingen Breuninger Singen Heikorn Stralsund Peek & Cloppenburg Straubing Hafner • Wöhrl Stuttgart Breitling • Breuninger • Galeria Kaufhof • Gessler • Modepark Röther • Peek & Cloppenburg Sulzbach Anson‘s • Breuninger • Galeria Kaufhof • Karstadt • Peek & Cloppenburg Teltow Modepark Röther Trier Sinn Leffers Tübingen Zinser Tuttlingen Modepark Röther Uhingen Frey Ulm Galeria Kaufhof • Peek & Cloppenburg • Wöhrl Unkel Anton Limbach Unterföhring Wöhrl Vechta Leffers Viernheim Peek & Cloppenburg VillingenSchwenningen Broghammer • Götz • Modepark Röther Waldkirchen Garhammer Waldshut-Tiengen May Weiden Turban • Wöhrl Weimar Fashion & Style Weinstadt Modepark Röther Weiterstadt Ley • Peek & Cloppenburg Wiesbaden Anson‘s • Peek & Cloppenburg Wildau Peek & Cloppenburg Wilhelmshaven Leffers Winnenden HAR.DY Winterbach Raithle Wittlich Bungert Wolfsburg Hempel Wuppertal Peek & Cloppenburg Würzburg Galeria Kaufhof • Götz • Schlier • Severin • Wöhrl Zell Trendhouse Zwickau Kress • Wöhrl O LYM P G R O S S E G R Ö S S E N Bad Kötzting Schödlbauer Berlin Hirmer Bremen Hirmer Dresden Hirmer Frankfurt am Main Hirmer Hamburg Hirmer Hannover Hirmer Karlsruhe Hirmer Köln Hirmer • Weingarten Leipzig Hirmer Mannheim Hirmer München Hirmer Münster Hirmer Neumünster Nortex Nürnberg Hirmer Stuttgart Hirmer O LYM P STO R E S Aachen Aquis Plaza Aschaffenburg City Galerie Augsburg City-Galerie Bamberg Grüner Markt 1 Berlin ALEXA • Das Schloss • Mall of Berlin Bonn Markt 39 Braunschweig Schloss-Arkaden Bremen Waterfront Dortmund Thier-Galerie Dresden Altmarkt-Galerie Düsseldorf Düsseldorf Arcaden Erlangen Erlangen Arcaden Essen Limbecker Platz Frankfurt am Main Skyline Plaza • Schillerstraße 14 Freiburg Kaiser-Joseph-Str. 250 Graz (Österreich) Shoppingcity Seiersberg Hamburg Alstertal-Einkaufszentrum • Elbe-Einkaufszentrum • Europa Passage • Flughafen Airside Hameln Stadt-Galerie Hannover Ernst-August-Galerie Heidelberg Hauptstraße 90 Heilbronn Stadtgalerie Ingolstadt Westpark Karlsruhe Ettlinger Tor Kassel Königs-Galerie Kempten Forum Allgäu Koblenz Löhr-Center Köln RheinCenter Konstanz LAGO Laatzen Leine-Center Leverkusen Rathaus-Galerie Linz (Österreich) Haid Center Ludwigshafen Rhein-Galerie München Flughafen Airport Center (Landside) • Olympia-Einkaufszentrum • Pasing Arcaden • PEP Einkaufszentrum • Riem Arcaden Münster Münster Arkaden Neu-Isenburg Isenburg-Zentrum Neuss Rheinpark-Center Nürnberg City-Point Pforzheim Schlössle-Galerie Regensburg Regensburg Arcaden Salzburg (Österreich) Europark Schweinfurt Stadtgalerie Siegen City-Galerie Stuttgart Königsbau Passagen • Milaneo Sulzbach Main-Taunus-Zentrum Trier Trier Galerie Ulm Blautal-Center Viernheim Rhein-Neckar-Zentrum Weiterstadt LOOP5 Wiesbaden LuisenForum O LYM P O N LI N E - H Ä N D LE R W W W. O LYM P S H O P. D E www.breuninger.com • www.businesshemd.eu • www.excellent-hemd.de • www.FashionID.de • www.galeria-kaufhof.de www.gutehemden.de • www.hemden.de • www.hemdenbox.de • www.hemden-meister.de • www.herrenausstatter.de www.hirmer.de • www.hirmer-grosse-groessen.de • www.just4men.de • www.mensclassic.de • www.mode-schoedlbauer.de www.modeweingarten.de • www.vangraaf.com • www.woehrl.de • www.zalando.de D I E S E U N D W E ITE R E B EZ U G S Q U E LLE N F I N D E N S I E A U F W W W. O LYM P. C O M OLYMP Bezner KG · Bietigheim-Bissingen · GERMANY Telefon +49 7142 592-0 · [email protected] · www.olymp.com OLYMP Level Five Casual-Shirts, Polos, Strick. Body fit. OLYMP Casual Hemden, Polos, Strick. O LYM P FA C H H Ä N D LE R C A S U A L Aachen Sinn Leffers Aalen Funk • Modepark Röther • Saturn Ansbach TC I. Buckenmaier Augsburg Jung • Rübsamen Backnang Modepark Röther Bad Kötzting Schödlbauer Bad Mergentheim Kuhn Bamberg Wöhrl Berlin Anson‘s Bonn Anson‘s • Sinn Leffers Bretten Modepark Röther Crailsheim TC I. Buckenmaier • Woha Donauwörth Woha Dornstetten Schwarz Dortmund Anson‘s Düsseldorf Anson‘s Ebersbach Holdenried Men Emmendingen MODEBOX Essen Anson‘s Esslingen Kögel Frankfurt am Main Anson‘s • Galeria Kaufhof Geislingen Rösch Göppingen Metzmeier Großostheim AUBI Hamburg Anson‘s Heilbronn Modepark Röther Hildesheim Adamski Ingolstadt Wöhrl Jena Sinn Leffers Kempten Reischmann Kirchheim unter Teck Eck am Markt Koblenz Galeria Kaufhof Köln Anson‘s • Galeria Kaufhof • Peek & Cloppenburg Konstanz Bachstein Landshut Oberpaur Lennestadt Fischer Ludwigsburg Oberpaur Mannheim Engelhorn • Galeria Kaufhof Memmingen Reischmann Metzingen Bugatti-Shop Michelfeld Modepark Röther München Galeria Kaufhof • Hirmer • Wöhrl OEZ Nürnberg Anson‘s • Wöhrl Oberhausen Sinn Leffers Offenburg Zinser Öhringen Bär Osnabrück Lengermann & Trieschmann Pforzheim Galeria Kaufhof Radolfzell Kratt Ravensburg Bredl • Reischmann Rheinhausen meierfashion Saarlouis Pieper Schopfheim Adelbrecht Schorndorf Bantel Schwäbisch Gmünd Röttele Schwäbisch Hall Woha Singen Heikorn Stuttgart Breitling • Galeria Kaufhof • HSG Flughafen Stuttgart • Modepark Röther Sulzbach Anson‘s Tübingen Zinser Uhingen Frey Ulm Galeria Kaufhof • Wöhrl Villingen-Schwenningen Modepark Röther Waldshut-Tiengen May Weinstadt Modepark Röther Winnenden HAR.DY Winterbach Moden Raithle Würzburg Severin • Wöhrl O LYM P G R O S S E G R Ö S S E N Bad Kötzting Schödlbauer Berlin Hirmer Bremen Hirmer Dresden Hirmer Frankfurt am Main Hirmer Hamburg Hirmer Hannover Hirmer Karlsruhe Hirmer Köln Hirmer Leipzig Hirmer Mannheim Hirmer München Hirmer Münster Hirmer Nürnberg Hirmer Stuttgart Hirmer O LYM P STO R E S Aachen Aquis Plaza Aschaffenburg City Galerie Augsburg City-Galerie Bamberg Grüner Markt 1 Berlin ALEXA • Das Schloss • Mall of Berlin Bonn Markt 39 Braunschweig Schloss-Arkaden Bremen Waterfront Dortmund Thier-Galerie Dresden Altmarkt-Galerie Düsseldorf Düsseldorf Arcaden Erlangen Erlangen Arcaden Essen Limbecker Platz Frankfurt am Main Skyline Plaza • Schillerstraße 14 Freiburg Kaiser-Joseph-Str. 250 Graz (Österreich) Shoppingcity Seiersberg Hamburg Alstertal-Einkaufszentrum • Elbe-Einkaufszentrum • Europa Passage • Flughafen Airside Hameln Stadt-Galerie Hannover Ernst-August-Galerie Heidelberg Hauptstraße 90 Heilbronn Stadtgalerie Ingolstadt Westpark Karlsruhe Ettlinger Tor Kassel Königs-Galerie Kempten Forum Allgäu Koblenz Löhr-Center Köln Rhein-Center Konstanz LAGO Laatzen Leine-Center Leverkusen Rathaus-Galerie Linz (Österreich) Haid Center Ludwigshafen Rhein-Galerie München Flughafen Airport Center (Landside) • OlympiaEinkaufszentrum • Pasing Arcaden • PEP Einkaufszentrum • Riem Arcaden Münster Münster Arkaden Neu-Isenburg Isenburg-Zentrum Neuss Rheinpark-Center Nürnberg City-Point Pforzheim Schlössle-Galerie Regensburg Regensburg Arcaden Salzburg (Österreich) Europark Schweinfurt Stadtgalerie Siegen City-Galerie Stuttgart Königsbau Passagen • Milaneo Sulzbach Main-Taunus-Zentrum Trier Trier Galerie Ulm Blautal-Center Viernheim Rhein-Neckar-Zentrum Weiterstadt LOOP5 Wiesbaden LuisenForum O LYM P O N LI N E - H Ä N D LE R W W W. O LYM P S H O P. D E www.excellent-hemd.de • www.galeria-kaufhof.de • www.hemden.de www.hemden-meister.de • www.herrenausstatter.de • www.hirmer.de www.hirmer-grosse-groessen.de • www.just4men.de • www.mode-schoedlbauer.de D I E S E U N D W E ITE R E B EZ U G S Q U E LLE N F I N D E N S I E A U F W W W. O LYM P. C O M OLYMP Bezner KG · Bietigheim-Bissingen · GERMANY Telefon +49 7142 592-0 · [email protected] · www.olymp.com BILANZ / OKTOBER / 2015 Zwei Männer, Manager, Segler und Unangepasste – die beiden Quereinsteiger verkörperten 1998 die Aufbruchstimmung in der rot-grünen Politik: Doch während Publizist Naumann Kulturminister wurde, trat Unternehmer Stollmann sein Amt gar nicht erst an. JOST STOLLMANN 47 Im Alter von 29 Jahren gründete der Jurist den EDV-Dienstleister Compunet, den er 1996 an GE verkaufte. Seit 2004 lebt der Beinahe-Wirtschaftsminister mit seiner Familie in Sydney. Um in sein Büro zu kommen, nimmt Jost Stollmann die Fähre: vom Bezirk Double-Bay ins Finanzzentrum von Sydney. „Nur zehn Minuten. Das ist schon toll.“ Stollmann, 60 Jahre alt, führt seit elf Jahren die von früheren Cisco-Leuten gegründete Fintech-Firma Tyro, die E-Bezahlsysteme anbietet und Kredite an Mittelständler vergibt. Stollmann war der Inbegriff des Gründers, als es in Deutschland noch gar keine Gründerszene gab, gleichsam der Samwer der 80er-Jahre, mit dem Unterschied, dass er seriöser gewirtschaftet hat. Sein 1984 in Köln gegründeter EDV-Dienstleister Compunet war ein Geschäftserfolg und für viele Jungunternehmer eine Inspiration, nicht zuletzt wegen seiner fortschrittlichen Führungskultur. Der Verkauf der Firma an General Electric für weit, weit über 100 Millionen Euro machte Stollmann unabhängig, aber nicht unbedingt glücklich. Denn GE kam mit Compunet nicht zurecht. Die Firma ist heute Geschichte. 1998 wurde Gerhard Schröder, der „Genosse der Bosse“, auf den stets FOTOS: ANDREAS FRIESE, MARTIN BERRY, PICTURE ALLIANCE (2) jungenhaft auftrumpfenden Hoffnungs- und Sympathieträger aufmerksam und wollte ihn zum Wirtschaftsminister machen. Stollmann sagte zu – und ab: Der spätere Finanzminister Oskar Lafontaine hatte ihm Zuständigkeiten streitig gemacht. Statt in die Politik zu gehen, ging er mit Frau und fünf Kindern zwei Jahre lang auf See. Vor den Fidschis liefen die Stollmanns auf ein Riff, das Boot musste in Australien in die Werft. So landete er in Sydney. Er vermisst nichts: „Es geht mir fantastisch.“ U UNTERNEHMEN / MÄRKTE GUZZI, AMORE MIO 48 Moto Guzzi! Größere Verehrung genießt kaum eine Motorradmarke. Doch während die Geschäfte der Branche blühen, röhrt das Kultfabrikat auf der Stelle. Text / THOMAS DELEKAT Eine „Guzzi 1000 SP“ aus dem Jahr 1978, umgebaut vom Fotografen Ben Part. Nur Tonti-Rahmen und Motor sind original, Tank und Höcker selbstgemacht. Das Rücklicht ist von Ford. BILANZ / OKTOBER / 2015 Was hat er denn? Der Pressemann kommt gerade von der Toilette zurück. Er wirkt nicht erleichtert, eher verstört. Als hätte er ein Gespenst erblickt. Ist da was losgewesen zwischen seinem Abgang im Sturmschritt und seiner Rückkehr zur Modellpräsentation im Moto-Guzzi-Werk Mandello del Lario am Comer See? Der Mann sagt nichts, er deutet nur mit dem Daumen über die Schulter: „Im ersten Stock.“ Eine historische Gelegenheit. Denn eine Treppe hoch befindet sich das Allerheiligste. Die schmale, dunkle Stiege dreht sich nach oben, alte Ölfarbe an den Wänden, abgebröckelte Putzplacken auf den Stufen, im ersten Stock ist es dämmrig, still. Ein verlassener Fenstergang, man sieht leere Büros mit gebohnerten Holzdielenböden. Ein paar Stühle, die niemand wollte, ein Zylinderkopf auf dem Sims. Am Ende des Gangs: das heilige Zimmer des Chefs, der Schreibtisch des Chefs mit Linoleumauflage, das Telefon des Chefs, ein Siegerkranz an der Wand. Das Licht ist milchig, Staubkörner schweben hindurch. In der gespenstischen Bruchbude von Mandello del Lario steht die Zeit still, hier lebt der Geist fort von Carlo Guzzi (1889–1964). Die 1921 vom Heeresflieger Giorgio Parodi (1897–1955) und seinem Freund, dem Flugzeugtechniker Carlo, ins Leben gerufene Firma war eine industrielle Macht in Italien, einer der ältesten, wichtigsten, neben Harley-Davidson größten Motorradhersteller der Welt. Die Maschinen: siegreich, überlegen, schön. Die Helden im Guzzi-Sattel: umjubelt. Und der Witz am ganzen Spuk ist jetzt der, dass heutzutage trotz superstarker Hondas, Ducatis und BMWs eine alte, in 40 Jahren ramponierte Guzzi so ziemlich das Geilste ist, was man als obercoole Sau so fahren kann. Unter 10.000 Euro ist kaum ein brauchbares Exemplar zu bekommen. Im nationalen Wertekanon Italiens rangiert Moto Guzzi fast auf Augenhöhe mit der Pizza und dem Turm von Pisa. Eine nüchterne Einschätzung, absolut zutreffend, wie der österrei- chische KTM-Chef Stefan Pierer (58) findet: „Moto Guzzi ist dasselbe wie Harley-Davidson, bloß auf europäisch.“ Pierer gilt in der Branche als der instinktsicherste und erfolgreichste Unternehmer (siehe BILANZ 5/14): KTM bringt weltweit mehr Motorräder an den Mann als BMW. Pierer bestreitet nicht, dass die größte Versuchung seiner Karriere Moto Guzzi hieß. Er hat sie 2004 nur überstanden, überwunden aber bis heute nicht. Es hatte da ein Kaufvertrag auf dem Tisch gelegen, der Notar den Füllhalter schon aufgeschraubt. Aber Pierer schob seine Rechte in die Hosentasche, zur Faust geballt – es war ein Fehler, eine vergeigte Jahrhundertchance, das ahnte er damals schon. Stattdessen griff Aprilia zu, eine Motorradfabrik aus der Nähe von Venedig. Aber dreieinhalb Jahre später stürzte Aprilia selber ab. Der Konzern fiel dem Mofa- und Motorroller-Fabrikanten Piaggio in die Hände, mit allem Drum und Dran, auch Moto Guzzi. Aber rasch wurde klar: Den neuen Eignern war gar nicht bewusst, welch großer Fisch ihnen da ins Netz gegangen war. Sie hielten Moto Guzzi allen Ernstes für Beifang. Eine Groteske: Die Ahnungslosen von Piaggio hatten den fettesten claim der Branche arrondiert – setzten aber alles auf Aprilia. Auf den großen Motorradmessen spielte jetzt Aprilia seine vermeintli- In den alten Fabrikhallen von Mandello del Lario setzen GuzziMonteure nur noch Fertigteile zusammen. Hier das Modell „Eldorado“: von Luft gekühlt, stark wie 96 Rösser und 18.500 Euro teuer. FOTOS: BEN PART, THOMAS DELEKAT chen Trümpfe aus, es waren Cäsarengesten: neue, moderne Generationen von Motoren, Baureihen, Modellen. Sie schienen finanziell ohne limit. Die Leute von Moto Guzzi am Stand nebenan hielten lieber den Mund. Heute funktioniert Moto Guzzi nach der Ikea-Methode: einfach zusammenschrauben, was fix und fertig angeliefert wird. Zuletzt hat BMW 22.000 Motorräder in Deutschland verkauft. Moto Guzzi 1.000. Das ist ein Witz. Aber Eigentümer Piaggio feiert. Das Ergebnis vom Vorjahr war noch mieser gewesen. Der Motorradmarkt röhrt, er legt inzwischen zweistellige Zuwachsraten vor. Es gibt neue Fans und frische Leidenschaft, bei den ganz Jungen sind 125er-Renner angesagt. Wer ein Auto hat, parkt es um die Ecke. 860 Millionen Euro hat VW für Ducati gezahlt, vor drei Jahren. Und weshalb? Fürs Renommee: Damit etwas abfällt vom Esprit, vom Charisma der roten, hämmernden Zweizylindermaschinen. Mercedes griff über seine Tuning-Firma AMG 2014 bei den Edelmotorrädern von MV Agusta zu. Und BMW? Die Münchner lächelten freundlich. Sie waren immer schon da, in Deutschland die Nr. 1, und man darf sagen: Mit „erfreulich“ sind die Gewinne zurückhaltend umschrieben. Der englische Bauunternehmer John Bloor hat mit nichts als den Namensrechten an der Marke Triumph ein weltumspannendes Industrieunternehmen aufgebaut. Bloß bei Moto Guzzi, der grandiosesten Adresse, kam niemand vorbei, der die Ärmel hochkrempeln wollte. Es ist so, wie Jo Soppa, der klügste Kenner der Branche, es im Motorradmagazin „MO“ beschreibt: „Seit Jahrzehnten scheint es zwischen den Guzzi-Fans und den Guzzi-Machern eine stille Übereinkunft zu geben. Die Ersteren haben sich damit abgefunden, dass das Werk nichts auf die Reihe bekommt und mit fast schon ans Magische grenzender Wahrscheinlichkeit stets die falsche Neuheit bringt. Das Werk wiederum sieht sich von Ignoranten umzingelt, die das Unmögliche verlangen.“ U 49 IDEEN / INNOVATIONEN Text / JÜRGEN SCHÖNSTEIN Fotos / JONATHAN SPRAGUE 50 WIE MAN IM WILDEN WESTEN GESCHÄFTE MACHT In der Wüste von Nevada errichtet der Elektroautobauer Tesla die größte Batteriefabrik der Welt. Und zwar, weil Lance Gilman es so wollte. BILANZ / OKTOBER / 2015 51 „Wenn ihr eine Schaufel dabeihabt, könnt ihr gleich anfangen zu buddeln.“ (Lance Gilman) IDEEN / INNOVATIONEN G 52 ilman ist 71 Jahre alt. Sein Vorname ist Lance, er trägt einen feinen Stetson auf dem Kopf. Der Stetson sitzt immer auf seinem Schädel. Festgeschmettert wie angewachsen, immer oben, überall. Nur zum Essen und Schlafen nimmt er ihn ab. Aber auch dann wahrscheinlich ungern: „Der Hut ist ein Teil meiner persönlichen Westernkultur.“ Gilmans Vater war Rodeo-Cowboy und berittener Grenzschützer unten in Texas an der Grenze zu Mexiko, seine Mutter Rodeo-Queen in Oregon, er selber ist business man, ein Cowboy-business man. Er macht Geschäfte, er macht sie von einem Baucontainer aus, der in der Staub- und Niemandslandschaft von Nevada steht, nahe Reno, aber mitten drin in the wild wild west. Wilde Mustangs leben hier, und in den Saloons trifft, wer Glück hat, noch einen alten Goldgräber und trinkt einen Whiskey mit ihm. Reisende verirren sich nur selten hierher. Sie bleiben in Reno hängen: zocken, saufen, rumhuren. Gilmans Unternehmen heißt Tahoe Reno Industrial Center, kurz TRIC. Es umfasst mit einer Fläche von 433 Quadratkilometern mit Sicherheit das größte Gewerbegebiet Nevadas, vielleicht sogar das größte der Welt. So steht es jedenfalls auf dem Eingangsschild. Aber Gilman kann nun auch nicht überallhin zum Nachmessen. Gut 160 Unternehmen haben sich auf seinem Gelände angesiedelt, und ein weltberühmtes ist gerade im Bau: die Gigafactory 1, die größte Fabrik für Lithium-Ionen-Akkumulatoren und Akkupacks auf Erden, errichtet vom Elektroauto-Hersteller Tesla Motors und Panasonic. Cowboy Gilman in seinem Container ist ein Mann ohne Geldsorgen. Und er hat deshalb keine Geldsorgen, weil er ein Kerl ist, dem es nichts ausmacht, in einem Baucontainer zu arbeiten, an einer staubigen Straßenecke gegenüber der einzigen Tankstelle des Industrieparks: „Vor einem Monat hat mir ein Arzt mein Büro abgekauft und wollte gleich mit seiner Praxis loslegen. Tja. Ich würde nicht einen Moment zögern, auch diese Box hier zu verkaufen und von einem Kartentisch am Straßenrand aus weiterzuarbeiten.“ Gern erzählt Gilman die Geschichte, wie er das Tesla-Genie Elon Musk (44) nach Nevada gelockt hat. Aber dazu muss man vorher wissen: was es mit TRIC auf sich hat und mit Reno, „the biggest little city in the world“, dem kleinen Las Vegas. TRIC liegt auf dem Gebiet der ehemaligen Comstock-Silberader, die Nevada im 19. Jahrhundert reich gemacht hat. Die Gegend hier soll zu den wohlhabendsten der Welt gehört haben. Heute aber ist hier nur noch wenig los, der Highway 50, der den Staat durchquert, sei „der einsamste Highway“. Das große Geld wird in San Francisco, im Silicon Valley, gemacht, wo auch Tesla seine E-Sportwagen baut. Gut drei Autostunden entfernt, jenseits der Sierra Nevada. Gilmans TRIC erstreckt sich über die Hälfte des Landkreises Storey County. Als Gilman und sein im wahrsten Sinne des Wortes stiller Partner Roger Norman (der so gut wie nie in Erscheinung tritt) hier 1998 auftauchten, „war Storey County der ärmste Landkreis in Nevada“. Eine Halbwüste. „Die waren so pleite, dass sie sich nicht mal mehr ihre Schulen leisten konnten.“ Storey County hatte keine Zukunft, die Nachbargemeinden waren sich schon einig, wie sie den Landkreis unter sich aufteilen wollten – als Gilman und Norman auf den Plan traten und der Gemeinde ein Angebot machten, das sich nicht ablehnen ließ: „Einen zinslosen Sofortkredit über 400.000 Dollar, damit sie ihre Schulen und damit auch ihre Selbstständigkeit behalten konnte.“ Die großzügige Offerte kam natürlich nicht von ungefähr: Gilman und Norman hatten dem Ölkonzern Gulf Oil gerade für 20 Millionen Dollar die ehemalige Asamera-Ranch abgekauft, die sich weitgehend mit dem Gelände des heutigen Industrieparks deckt. Der Boden, auf dem die Ranch steht, gehörte einst den Flugpionieren Orville und Wilbur Wright. Asamera Minerals, eine Tochterfirma von Gulf Oil, hatte hier später die Silbervorkommen ausgebeutet. Zuletzt hatte Gulf, wie Gilman erzählt, mit dem Gedanken gespielt, hier eine Art Safari-Wildpark einzurichten, für reiche Jäger, die auf exotische Tiere schießen wollen. Das TRIC-Gelände ist das größte Gewerbegebiet der Welt. Aber nur vielleicht. BILANZ / OKTOBER / 2015 53 Gilmans Kommando-Container: „Zum Arbeiten würde mir auch ein Tisch am Straßenrand genügen.“ Aus diesem Plan wurde nichts – und zumindest die 1.100 Mustangs, die unter dem Schutz und der Betreuung des US-Innenministeriums durch das Gebiet ziehen, bleiben unbehelligt. Dass hier seit Jahren gebaut wird und Straßen mit Schwerlastverkehr durch ihre Weiden schneiden, störe die Wildpferde nicht: „Sie mögen die Baustellen, weil sie dort viel leichter an Wasser rankommen.“ Ihr Anblick begeistert vor allem jene Frauen der Manager, die sich für eine Parzelle auf seinem Industriegelände interessieren. Gilman liebt die Mustangs. Sie sind ihm regelrecht ans Herz gewachsen. „Gott hat jedem von uns eine besondere Gabe gegeben“, sagt er. „Meine Gabe ist die Vision, etwas aufzubauen!“ Doch warum muss das ausgerechnet hier sein, in einer der gottverlassensten Gegenden, die man sich vorstellen kann? „Ich bin hierhergekommen, weil die ,Washington Post‘ Reno in einem Artikel als eine der zehn Boomtowns der 90er-Jahre angepriesen hatte.“ Gilmans Geschäfte in Reno liefen zunächst ganz ordentlich, er konnte ein paar Tausend Hektar von der Asamera-Ranch als Industriegelände an den Mann bringen. Aber die große Blüte, auf die er gehofft hatte, wollte sich nicht entfalten. Im Gegenteil, Finanz- und Wirtschaftskrise stürzten die Region ab 2008 für einige Jahre in die tiefste Rezession, die der Staat jemals durchgemacht hat. Nichts blühte und gedieh, alles welkte und verdorrte. Dass es in Storey County endlich aufschwungartig vorangeht, ist Tesla zuzuschreiben und dem Entschluss von Elon Musk, hier seine Gigafactory zu errichten. Es wird viele neue Jobs geben, weit mehr als jene 6.500 in der künftigen Fabrik. Die Immobilienpreise haben sich seit 2012 praktisch verdoppelt. Die Ortspresse spricht vom „TeslaEffekt“. Dabei war die Autofirma ursprünglich gar nicht interessiert daran, sich hier anzusiedeln. 37 US-Bundesstaaten hatten Musk und seine Leute hofiert, spitz und scharf auf Kapitalanlagen von mehr als fünf Milliarden Dollar. Nevada war zwar in der engeren Wahl, zusammen mit Texas, New Mexico und Arizona; aber die Aufmerk- IDEEN / INNOVATIONEN 54 Mustangs ziehen an dem Lagerhaus einer Amazon-Firma vorbei. BILANZ / OKTOBER / 2015 samkeit richtete sich auf den Großraum Las Vegas im Süden des Bundesstaates. Doch dann geschah Folgendes: „Es war Anfang Dezember 2013“, sagt Gilman, „als mich eine Freundin – die den Gewerbepark des Flughafens in Reno betreut – anrief und mich fragte: ,Lance, hast du was von Tesla gehört?‘ Nope, hatte ich nicht.“ Aber die Freundin hatte was mitbekommen: dass Tesla-Manager nach Las Vegas fliegen wollten, um ein Gelände auszukundschaften. „Wie wär’s“, fragte sie, „wenn wir einen Jet chartern und sie auf unsere Kosten nach Vegas fliegen – mit einem Zwischenstopp hier bei uns in Reno?“ Der Gedanke, die Tesla-Leute sozusagen zu entführen, war verrückt genug, um Gilman zu überzeugen. Mit 10.000 Dollar für den Jet sei er dabei, sagte er. Aus dem „Kidnapping“, geplant für den 9. Dezember, wurde allerdings nichts: „Die Maschine stand schon zum Einsteigen bereit in Kalifornien, als die Tesla-Anwälte davon Wind bekamen und die Sache abbliesen.“ Doch Kevin Kassekert, Direktor der Tesla-Abteilung Infrastruktur und Entwicklung, blieb nicht unbeeindruckt von der cleverness und tenacity, die Gilman an den Tag gelegt hatte, und billigte ihm eine Woche später doch noch einen Zwischenstopp-Termin zu. Aber mehr als 15 Minuten seien auf keinen Fall drin. Aus der Viertelstunde wurde ein halber Tag. „Ich fragte die Tesla-Leute gleich vom Start weg, was denn ihre größte Sorge für das Projekt sei. Und sie sagten: Terminschwierigkeiten und Behinderungen durch Bürokratie.“ Da wusste der Cowboy, die Sache ist geritzt. Der Grund dafür heißt Dean Haymore, ein Mann von Gewicht und Leibesfülle. Er sieht aus wie ein gemütlicher Charakter. Aber da haben sich schon viele getäuscht. Haymore ist sowohl der Baudezernent von Storey County als auch der örtliche Bauinspektor und, wenn’s drauf ankommt, auch der Baupolizist. Sein Credo lautet: „Ich mag keine Regierungen, und ich mag keine Steuern.“ Haymore vertritt die Meinung, dass man eine Gemeinde wie ein Unternehmen führen sollte. Immobilienspekulant Gilman findet: Der Mann hat vernünftige Ansichten. Die beiden hatten im Zusammenhang mit der TRIC-Gründung nicht nur gemeinsam einen Bebauungsplan für das Gelände aufgestellt, sondern auch gleich ein Expressverfahren für die Baugenehmigungen ausgeheckt, das im Prinzip aus drei Formularen bestand. Stadträte, Anrainer, Bürger blieben weitgehend außen vor. Die Gigafactory 1* Eröffnung: Dezember 2017 Größte Industriehalle der Welt nach Fläche: zwei Stockwerke à 400.000 Quadratmeter (Rekordhalter zurzeit: Boeing mit 399.000 Quadratmetern) Baukosten: mehr als fünf Mrd. Dollar Arbeitsplätze in der Gigafactory: ca. 6.500 (Tesla insgesamt: ca. 12.000) Wer Gelände von TRIC erwirbt, ist vor allen Eventualitäten sicher, alles ist sozusagen pre-approved, also vorab genehmigt, wie Gilman versichert. Er könne garantieren, dass zwischen dem ersten Spatenstich und der Einweihung eines Neubaus nie mehr als 180 Tage vergehen würden. Und damit alles auch so schön einfach bleibt, kandidierte er vor drei Jahren für den dreiköpfigen Gemeinde-Rat – und gewann die Wahl mit 62 Prozent der Stimmen. Damit ist Gilman vermutlich der erste * RECHNER-SIMULATION, TESLA MOTORS Bordellbesitzer in den USA, der in ein öffentliches Amt gewählt wurde. Bordellbesitzer? In der Tat: Gilman ist im Besitz der denkwürdigen Mustang-Ranch, ein gesetz- und rechtmäßig zugelassenes Freudenhaus, das er – auch das eine geradezu bizarre Geschichte – auf Ebay ersteigert hatte, wo es von der US-Regierung zum Kauf angeboten worden war. An der Zufahrt steht ein großes Leuchtschild mit der Aufschrift „Brothel“ (zu Deutsch: Freudenhaus). Dies allein wäre ein Kapitel für sich, aber im Zusammenhang mit dem Industriepark, an dessen nordwestlicher Ecke sich die Mustang-Ranch befindet, ist es für Gilman nur wichtig zu betonen, dass der Kauf der Bordell-Lizenz selbstverständlich nur „eine reine Abwehrmaßnahme“ gewesen sei. Prostitution ist seit 1971 in Nevada zugelassen, wenngleich streng reglementiert. Mithilfe seiner Lizenz, sagt Gilman listig, habe er die Ansiedlung weiterer Bordelle in der Nähe seines Reviers verhindert. Mal abgesehen davon, dass die Mustang-Ranch früher eine der wichtigsten Einnahmequellen des Bezirks gewesen war, mit einem Anteil am kommunalen Haushalt von mehr als zehn Prozent. Gilmans Nebengeschäfte sind Kassekert und seiner Tesla-Truppe egal. Es geht ums Geschäft, sie interessieren sich nur fürs Geld und dafür, wie schnell die Verfahren in Storey County sind. Kassekerts erste und wichtigste Frage lautete natürlich: Wie lange dauert es, bis wir eine Genehmigung für die Planierung des Geländes bekommen? Wie fix seid ihr Jungs hier? Die Fertigungshalle der Fabrik soll schließlich gut einen Kilometer lang sein. Baudezernent Haymore, den Gilman zu dem Zwischenstopp-Treffen selbstverständlich gleich mitgebracht hatte, zog ein Formular aus der Tasche: „Wenn ihr hier unterschreibt, habt ihre eure Genehmigung.“ Gilman sagte: „Ich kann euch ein paar Schaufeln geben, dann könnt ihr gleich anfangen zu buddeln.“ 55 IDEEN / INNOVATIONEN 56 Kraftwerke von NV Energy versorgen TRIC mit Elektrizität (Foto: die Frank-Tracy-Generating-Station). Ganz so schnell schießen die Leute im Wilden Westen dann freilich doch nicht. Vor allen Dingen sollte der Bundesstaat Nevada den Tesla-Leuten erst einmal beweisen, wie lieb und teuer ihm 6.500 neue Arbeitsplätze sind. Am Ende ertrotzte sich Tesla Beihilfen, Förderungen und Zuschüsse in Höhe von rund 1,25 Milliarden Dollar, zahlbar in Steuernachlässen und Energiezuwendungen über eine Laufzeit von 20 Jahren. Auch die Wahl des Bauplatzes nahm dann einige Zeit in Anspruch: „Erst wollten die Tesla-Leute 400.000 Quadratmeter haben“, sagt Gilman. „Zwei Wochen später sollten es 1,2 Millionen sein. Noch mal vier Wochen, und sie wollten plötzlich zwei Millionen Quadratmeter, 200 Hektar.“ Platz gibt es in dem Industriepark immer noch reichlich, darum konnte Gilman immer „Yes, yes, yes“ sagen. Nachdem die Subventionsverhandlungen mit dem Gouverneur von Nevada Brian Sandoval (52) weitgehend abgeschlossen waren, kam die vorerst endgültige Ansage: Tesla wollte 400 Hektar haben. Also noch einmal doppelt so viel. Vier Millionen Quadratmeter. Es gab nur ein klitzekleines Problem: Tesla wollte nichts für das Grundstück bezahlen. Keinen Cent. „Na, ich habe hier nichts zu verschenken“, sagt Gilman. Der ortsübliche Quadratmeterpreis für Bauland liegt zwischen 10 und 20 Dollar. Aber Gilman hatte noch ein Ass im Ärmel und rückte mit einem Vorschlag heraus, auf den er von Anfang an spekuliert hatte: Wie wäre es, wenn die Regierung ihm die Hauptstraße durch den Park abkauft? Die Piste führt zum Interstate-Highway 80 am Nordrand des Geländes – die Anbindung an den Highway 50 im Süden steht allerdings noch aus… Rund 40 Millionen Dollar hatte TRIC in diese Hauptverkehrsader gesteckt, die volle Anbindung würde weitere 40 Millionen verschlingen, vielleicht mehr – also in etwa dem Gegenwert des Landes entsprechen, das Tesla haben wollte. 40 Millionen Dollar sind bei einem Subventionspaket von 1,25 Milliarden Dollar kaum mehr als ein Rundungsfehler; und da die Straße sowieso einen übergeordneten Nutzen als Um- BILANZ / OKTOBER / 2015 gehung für den Großraum Reno erfüllen konnte, kam der Handel richtig elegant zustande. Kritiker dieser Zuwendung auf Kosten der Steuerzahler könnten „Scheiße nicht von Schuhwichse unterscheiden“, knurrt Gilman und rechnet vor, dass allein die erwarteten 6.500 Tesla-Leute in den nächsten fünf Jahren mehrere Hundert Millionen Dollar in die Region bringen würden, von den Steuereinnahmen ganz zu schweigen. Obwohl nur die Unterschrift fehlte, wollte Tesla noch ein bisschen weiterpokern: Konzernchef Elon Musk hatte auf der Hauptversammlung im Juni 2014 angekündigt, dass er einen Wettbewerb zwischen zwei oder drei möglichen Standorten veranstalten werde: Der Schnellste werde den Zuschlag für Gigafactory 1 erhalten. Am Nachmittag des 26. Juni 2014 klingelte das Telefon bei Randy Pitts, dem Boss der Baufirma F&P Construction, spezialisiert auf Planierarbeiten. Am Apparat war ein Manager von Tesla: Ob Pitts und seine Männer in der Lage wären, das Gelände für die Riesenhalle, sagen wir mal: innerhalb eines Monats abzutragen, einzuebnen und zu walzen? Ja klar, antwortete Pitts, das würden er und seine Leute schon hinbekommen. Mit 625 schweren Bergbau-Fahrzeugen sei Pitts angerückt, erzählt Bauinspektor Haymore: Bagger, Planierraupen, Muldenkipper, Teleskoplader. Allein die Miete für das schwere Gerät kostete 65 Millionen Dollar. Hunderte von Arbeitern schoben in drei Schichten rund um die Uhr insgesamt 3,4 Millionen Kubikmeter Erde beiseite – das entspricht dem Fassungsvermögen der Cheops-Pyramide. Nach 25 Tagen war die Arbeit getan. „Biblisch!“, sagt Gilman, und weil er’s so schön formuliert findet, gleich noch mal hinterher: „Biblisch!“ Die anderen Möchtegern-Standorte hätten in dieser Zeit noch nicht mal ihren Papierkram erledigt: „Biblisch!“ Am 31. Juli 2014 veröffentlichte Elon Musk eine Erklärung, wonach Tesla gemeinsam mit seinem Partner Panasonic die Fabrik mit einer Kapazität von insgesamt 85 Gigawattstunden an Batterieleistung auf einem Areal bei Reno bauen werde. Spätestens 2020 soll die Gigafactory fertiggestellt sein. Aber bei der ei- nen Anlage wird es wohl nicht bleiben. „Als Elon Musk das Gelände hier besuchte, schaute er sich um und sagte, er wolle alles kaufen, so weit das Auge reicht“, sagt Gilman. Seit diesem Sommer umfasst die Tesla-Parzelle in der Halbwüste Nevadas nun zwölf Quadratkilometer, umgerechnet 1.200 Hektar – genug, um mindestens noch eine zweite oder dritte Fabrik gleichen Ausmaßes hinzustellen. Gilman strich weitere 80 Millionen Dollar ein. Tesla errichtet die Werkshalle, die einmal die größte der Welt sein wird, in Etappen – „walking a building“ nennt Haymore das Vorgehen. Einige Bereiche der Anlage sind bereits betriebsfertig, während an anderer Stelle noch Fundamente gegossen (wegen der trockenen Hitze immer nur nachts) und Stahlträger hochgezogen werden. Die Arbeiten schreiten zügig voran. Immer häufiger begegnet man jetzt auch Panasonic-Managern auf der Baustelle, sie treiben sich im einzigen Sandwich-Laden herum und besprechen die technischen Installationen. Die ersten Batterien sollen nicht erst im Dezember 2017, sondern vermutlich schon Mitte 2016 vom Band laufen. Gilman selbst aber wird wohl bald weiterziehen: „Drei oder dreieinhalb Jahre noch, dann habe ich alles hier verkauft.“ Der DatenDienstleister Switch hat, inspiriert von Tesla, ein noch größeres Gelände erworben: 2.000 Hektar für ein Hochsicherheits-Datenspeicherzentrum, umgeben von einer fünf Meter hohen Stahlmauer und geschützt von schwer bewaffnetem Personal. „Die größten Geheimnisse der Welt werden hier verwahrt“, sagt Gilman. Die Planierarbeiten haben schon begonnen. Zwei weitere Unternehmen, die noch mehr Land für noch mehr Geld erwerben wollen, stünden auch schon bereit. Und danach, wie sehen seine Pläne aus? Rente mit 75? „Vielleicht kümmere ich mich nur noch um das Bordell“, lacht er. Aber nein, er habe schon ein neues Projekt im Auge. Gilman reitet weiter: „Ich verhandele gerade über den Kauf einer Ranch.“ I Das beste Bordell weit und breit: Lance Gilmans Mustang-Ranch. 57 IDEEN / INNOVATIONEN DIGITALISIERTE VERTIEFUNG Zwei Leute aus Witten und ein Zen-Meister aus Düsseldorf wollen deutsche Manager in die Versenkung treiben. Text / JAN VOLLMER Fotos / HARTMUT NÄGELE 58 E s war ein sonniger, kalter Mittwochnachmittag in Davos in den Schweizer Alpen, als der in den Ruhestand versetzte Medizinprofessor Jon Kabat-Zinn (71) merkte, dass Meditation – sein großes Thema – in der Wirtschaftswelt angekommen war. Mit ihm auf der Bühne saß William George (73), Management-Gelehrter an der Harvard Business School und Verwaltungsrat sowohl von Goldman Sachs als auch von Exxon Mobil. Die beiden philosophierten übers achtsame Führen – „Leading Mindfully“ – und darüber, wie Meditation den Menschen und Managern dabei helfen kann, mit ihren Ängsten und Mühen und Plagen besser fertig zu werden und zurechtzukommen. Im Publikum über hundert Teilnehmer des Weltwirtschaftsforums, minutenlang in ihr Schweigen und die Stille ihrer Aufmerksamkeit gehüllt. Gewiss, „Meditation“ hatte in Davos schon in den Vorjahren auf den Tagesordnungen gestanden. Aber da- mals „kam noch niemand“, sagte Kabat-Zinn, ein früherer Molekularbiologe am MIT, also kein esoterischer Spinner. „In diesem Jahr gab es mehr Interesse als je zuvor.“ Fernöstliche Entspannungstechniken sind allenthalben en vogue, Selbstversenkung ist das aktuelle Trallala, nicht nur unter Hausfrauen und Kfz-Mechanikern, sondern vor allem in Kreisen, die sich der Erfolgselite zugehörig fühlen. In den USA sprechen Karriereberater von einer „Mindful Revolution“ – cool bleiben auch in Augenblicken schärfster Anspannung: dank Meditation (und Yoga). „MBSR“ heißt das Kabat-ZinnProgramm: „Mindfulness-Based Stress Reduction“. Der Amerikaner vertritt den Standpunkt: „Achtsamkeit ist etwas, das du trainieren kannst wie einen Muskel.“ Großunternehmen bieten ihren Beschäftigten inzwischen Kurse an, Krankenkassen tragen die Kosten als Maßnahme zur Erschöpfungsvorsorge. Meditation & Management – le dernier cri. Der frühere BMW-Chef Norbert Reithofer (59) meditiert ebenso wie sein noch amtierender Kollege Peter Terium (52) von RWE. Auch Wolfgang Reitzle (66), ehemaliger Vorstandschef der Linde AG und jetzt Verwaltungsratspräsident von Lafarge-Holcim, soll sich zur mentalen Einkehr bekennen. Bei Bosch, wo der Krawattenzwang schon aufgehoben wurde, bei DM und Siemens werden Achtsamkeitsübungen angeboten; auch bei der Europäischen Zentral- und der Deutschen Bank treffen sich Manager zum gemeinsamen In-sich-Gehen. „Hier sind wir, in diesem wundervollen Land“, sagte William George, der Goldman-Sachs-Mann, versonnen zu Kabat-Zinn, „und hat sich irgendwer mal bemüht, zu den Bergen hinaufzuschauen? Oder suchen wir nur nach der nächsten Person, die wir treffen könnten?“ Selten wurden auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos so achtsam die Berge betrachtet. Ja, die Leute schauen zurzeit am liebsten in sich selbst hinein, auf der BILANZ / OKTOBER / 2015 59 PAUL KOHTES ist die Galionsfigur der Zen-Zunft. Der frühere PR-Berater hat einen Seinszustand erreicht, den viele als beneidenswert betrachten: Er nimmt nichts mehr richtig ernst. IDEEN / INNOVATIONEN 60 JONAS LEVE (M.) und MANUEL RONNEFELDT führen Zen-Mann KOHTES ihre Mobilanwendung „7 Mind“ vor. Man darf davon ausgehen, dass alle drei den Kopf endlich frei haben für andere Dinge. BILANZ / SEPTEMBER / 2015 Suche nach Erleuchtung oder etwas Licht am Ende des Korridors. Jonas Leve (30) und Manuel Ronnefeldt (27) stehen auf einer wesentlich kleineren Bühne als jener in Davos, nämlich auf dem Festivalgelände Odonien, in der Nähe vom Kölner Hauptbahnhof, doch sie haben das gleiche Stück im Programm. Um sie herum Piraten-Deko aus Holz und rostigem Metall, es sieht ein bisschen so aus wie der Spielplatz von „Mad Max“. Von der Bühne ragt eine Bohle ins Publikum wie die Planke von einem Piratenschiff. Das Start-up-Festival heißt „Pirate Summit“. Leve und Ronnefeldt sehen aus wie IT-Nerds-Darsteller Anfang der 2000er: helle, freundlich-jugendliche Gesichter, Nietenhosen, T-Shirts, Kapuzenpulli. Sie haben drei Minuten, um sich und ihr Meditationsprogramm „7 Mind“ vorzustellen. Die Gründer im Publikum (alle um die Mitte 20) und die etwas älteren Herrschaften (Geldanleger Mitte 30) fühlen sich gut unterhalten: „Ach, ist ja auch mal ganz nett, so eine Meditations-App.“ Als Jonas und Manuel zu den Zahlen kommen, nickt das Publikum anerkennend: „7 Mind“ wurde in eineinhalb Jahren rund 55.000 Mal heruntergeladen. Wöchentliche Wachstumsrate: rund sechs Prozent. Das ist viel für eine Mobilanwendung, angesichts der Tatsache, dass die beiden Gründer kein Geld fürs Marketing ausgegeben, sondern alles, was sie aufbringen konnten, in die Technik gesteckt haben. Ende Oktober soll eine erweiterte Version für Unternehmen herauskommen. Die Digitalisierung der Meditation begann im Silicon Valley, mit der Anwendung „Headspace“: In kurzen, animierten Videos und unter Zuhilfenahme von insgesamt 350 Stunden gesprochener Unterweisungen leitet der ehemalige buddhistische Mönch Andy Puddicombe (43) mit ruhiger Stimme zur Meditation an. Seit ihrer Einführung im Januar 2012 wurde „Headspace“ mehr als drei Millionen Mal heruntergeladen. Vielleicht ist es William George, dem Goldman-Sachs-Manager aus Davos, zu verdanken, aber alle Mitarbeiter seiner Anlagebank bekommen das Abonnement kostenlos. Die Gestaltung von Jonas und Manuels Anwendung „7 Mind“ erinnert übrigens durchaus an „Headspace“. Nach ihrer Präsentation auf dem Piraten-Festival sitzen Jonas und Manuel auf einer Holzbank unter einem Bierzelt. Nebenan legt jemand Techno auf. Wenn Menschen von Meditation erzählen, sucht man bei ihnen automatisch nach Hinweisen oder Spuren der Erleuchtung. Jonas’ Art zu reden ist gelassen und einfühlsam – so, als würde man sich mit einer Freundin unterhalten, die gut zuhören kann. Auch Manuel wirkt fröhlich und aufgeräumt. Die beiden sammeln und versenken sich seit Jahren: Jonas hat die Meditation über seinen Vater kennengelernt, einen Fotografen, der irgendwann beschlossen hat, Buddhist zu sein. Kennengelernt haben sie sich über Manuels Vater, einen Gitarrenlehrer, bei dem Jonas einst Unterricht genommen hatte. Manuel selbst leistete nach dem Abitur Zivildienst in Indien und ging dort, aus Neugier, für drei Tage in ein Kloster. Und meditierte. Beim BWL-Studium in Witten trafen sich die beiden schließlich wieder. Auf einer Tagung, die sie an der Universität organisiert hatten, machten sie schließlich die Bekanntschaft des sogenannten Zen-Meisters Paul Kohtes. Kohtes ist 70 Jahre alt und so etwas wie die Galionsfigur der deutschen Wirtschafts-Meditationsszene: „Wenn irgendein Konzern ein Seminar zu Achtsamkeit machen möchte – sie fragen immer Paul an“, sagt Jonas. Außerhalb der Versenkungsgilde erinnert man den Namen vielleicht noch von der PR-Firma Kohtes & Klewes, die zu den großen des Landes gehörte und in der Agenturgruppe Ketchum Pleon aufgegangen ist. Kohtes hat bei Ketchum noch einen Beratervertrag und spricht auf der Weihnachtsfeier. Jonas und Manuel legten dem ZenMeister Kohtes den Geschäftsplan für ihre Mobilanwendung auf den Tisch. 24 Stunden später sagte er: „Ja. Das machen wir.“ Kohtes ließ seine Kontakte spielen, und über 100.000 Euro kamen zusammen – genug, um ein Modell beziehungsweise Muster zu programmieren und eine GmbH zu gründen. Ein potenzieller Investor habe den Wert der Firma kürzlich auf über eine Million Euro beziffert, sagt Jonas. Aber das sei „im Moment nur eine Zahl, wir zahlen uns selbst noch nicht mal Gehalt aus“. Wenn Jonas und Manuel auf Messen oder Festivals gehen, haben sie ihre geräuschhemmenden Kopfhörer dabei, damit man in ihre Anwendung hineinhören kann. Ich setze die Kopfhörer auf, es wird still, die ruhige, feste Stimme eines älteren Mannes begrüßt mich – es ist die Stimme von Paul Kohtes. Auf dem Bildschirm meines Telefons erscheint das siebeneckige Erkennungszeichen der App und eine Spieltaste, die langsam pulsiert, als würde sie atmen. Kohtes duzt mich: „Nimm deinen Körper wahr, spüre den Boden unter deinen Fußsohlen. Rechts und Links. Nimm wahr, wie sich deine Füße anfühlen. Kalt. Oder warm. Entspannt. Oder angespannt.“ Die Pausen zwischen den Worten werden länger. „Lass es geschehen, wenn es geschieht.“ Wenn man jeden Morgen sieben Minuten lang (deswegen „7 Mind“) meditiert, gewöhnt man sich schnell an die Routine: Körper spüren, Atem spüren, Spüren spüren, Außenwelt leise stellen, altem Mann zuhören. Die Projektentwicklerin einer PR-Firma, die mithilfe der Anwendung meditiert, sagte mir: „Es ist wie tauchen. Der Lärm des Schwimmbads verschwindet. Man ist in einer Unterwasserwelt nur mit sich selbst und blendet alles für die Zeit aus. Man ist leichter, aber sehr präsent. Man merkt, was im Kopf los ist, kann sich sortieren.“ Es ist einfach, sich mit der App und der Kohtes-Stimme auf Innenschau zu begeben, es ist wie ein Pawlow’scher Reflex: Der Hund hört die Glocke und 61 IDEEN / INNOVATIONEN 62 sabbert, der Mensch hört Kohtes und versinkt in sich selbst. Ohne Anleitung zu meditieren kann nämlich durchaus enttäuschend und entmutigend sein, denn man weiß nie, ob man alles richtig macht. Kohtes sagt einem ziemlich genau, was man tun muss, und redet beruhigend auf einen ein wie auf ein nervöses Pferd: „Vielleicht nimmst du auch nichts wahr. Dann ist es das.“ Meditation sei kein Medikament, das ein bestimmtes Leiden heilen oder einen Mangel lindern könne und dessen Wirkung sich mit einem Placebo prüfen ließe, wie Aspirin. Der Effekt auf das eigene Leben ließe sich eher mit Gewohnheiten vergleichen, wie „jeden Morgen laufen gehen“. Auch die Auswirkung der Meditation auf Wirtschaftsleute ist ambivalent. Der Seelenkundler Niko Kohls (41), Professor an der Hochschule Coburg, erzählte mir von einem Experiment, das er mit 20 Mitarbeitern eines Telefonberatungszentrums („Callcenter“) in Freiburg angestellt habe. Nach acht Wochen Meditation, sagt Kohls, hätten vier der 20 Mitarbeiter gekündigt. „Diesen vier Mitarbeitern hat die Meditation anscheinend geholfen, zu verstehen, dass das Callcenter nicht der beste Platz im Kosmos für sie ist.“ Nun ja. Mit Wissenschaft hat dies nur am Rande zu tun. „Wer sich auf Meditation einlässt, verändert sich“, erzählt Kohtes. „Er wird für einen Moment fitter, aber auch bewusster für das, was passiert.“ Man könnte sagen, dass Meditation eine gewisse Distanz zu den äußeren Umständen des Lebens schafft und eine gewisse Eigen-Empfindsamkeit wachruft. Dass die japanische Armee am Ende des Zweiten Weltkrieges auch Kamikaze-Piloten mit Meditation auf ihren Einsatz vorbereitete und dass die US-Marine heute ihre Scharfschützen mit Meditation trainiert, ist kein Widerspruch. „Es hängt also davon ab, in welchem Kontext das Ganze präsentiert wird“, sagt Psychologe Kohls. „Letztendlich ist Meditation aus funktiona- ler Sicht ein Instrument wie ein Hammer: vielseitig einsetzbar.“ Betritt man Paul Kohtes’ Erdgeschosswohnung in Oberkassel, einem der schönsten und teuersten Stadtteile Düsseldorfs, weht einem ein Hauch Bildungsbürgertum entgegen: An den Wänden ziehen sich Bücherregale entlang, dazwischen Holzskulpturen. In einem Regal seines Arbeitszimmers steht eine Nachbildung der Himmelsscheibe von Nebra, auf der Gästetoilette gibt es viele kleine Frotteehandtücher, die man nach Benutzung in eine Tonne wirft. Paul Kohtes trägt ein kariertes Hemd, ein Armband mit bunten Steinen und, unauffällig unter dem Kragen, eine Kette mit Holzperlen. Als er mit 28 Jahren seine PR-Agentur gründete, muss er so etwas wie der Inbegriff des Erfolgsunternehmers gewesen sein: charismatisch, impulsiv, energisch. Mit 32 erkrankte er an Tuberkulose. „Das war ein Kulturschock“, erzählt Kohtes. „Als junger Unternehmer zu sehen: Jetzt kannst du nichts mehr tun. Du sitzt da zu Hause, und die Firma läuft gegen die Wand.“ Über einen Freund landete er in dieser Zeit in einem Kloster im Saarland und saß eine Woche lang vor einer weißen Wand. „Nie wieder“, dachte sich Kohtes. Nie wieder wollte er eine Woche lang eine weiße Wand anstarren. Ein halbes Jahr später war er wieder dort: zum Meditieren. Die weiße Wand hatte ihm etwas gegeben, was er in Düsseldorf-Oberkassel nicht finden konnte. Bis zu dreimal im Jahr verschwand Kohtes dann. Wenn man Paul Kohtes danach fragt, wie die Meditationswochen seine Arbeit verändert hätten, erzählt er von einer Krisensitzung mit den Anteilseignern seiner PR-Agentur: „Es war sehr ernst, alles sehr angespannt. Ich bin danach aufgestanden und habe einen Witz gemacht, einen Scherz. Einer der Partner sagte, er findet das unmöglich, dass ich nach so einer Sitzung einfach so einen Scherz machen kann.“ Paul Kohtes’ Berichte aus der Welt der Meditation sind voll von diesen Anekdoten: Mal geht es um einen Vorstandschef, der seine Angst vor einem Gespräch mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden dank Zen überwinde, mal um ihn selbst und wie der wirtschaftliche Erfolg jetzt ganz mühelos auf ihn zukomme, wie „7 Mind“ ja auch „zu ihm gekommen“ sei. Kurz nach der Jahrtausendwende kaufte Kohtes einen Freiburger Verlag für spirituelle Literatur – wenig später machte er pleite. „Da war nichts zu retten“, sagt Kohtes. Die Erinnerung scheint ihn eher zu amüsieren. „Ich habe eine Verlustzuweisung, die ich mein Leben lang nicht mehr ausfüllen werde. Ich zahle also keine Steuern mehr. Immerhin. Sie sehen doch, ich hab’s überlebt. Läuft doch gut. Ich hab’ was zu essen. Was zu trinken. Interessante Aufgaben…“ Paul Kohtes, könnte man sagen, nimmt das Leben nicht mehr so richtig ernst. Ist ja ohnehin alles Illusion: „Ich zitiere mal Shakespeare: Er hat gesagt, das ganze Leben ist nichts anderes als ein Theater.“ Eine von Paul Kohtes’ Erleuchtungserfahrungen war ein Autounfall: „Nach einem Seminar habe ich auf der Rückfahrt ein Auto gerammt. Ich fand’s interessant. Nichts Schlimmes passiert. War nur ein Blechschaden.“ Meditation bringt eine spirituelle Erfahrung mit sich, egal, wie säkular sie sein will. Warum Meditation gerade heute wieder so in Mode gekommen ist, hat mit der spirituellen Erfahrung zu tun, die sich mit ihr angeblich machen lässt. An Effizienz-Steigerung ist den Wirtschaftsleuten nicht gelegen. Die lassen sich mit anderen Methoden schneller erzielen. „Alle Führungskräfte, die ich treffe, haben hinter der Fassade eine tiefe Sehnsucht nach Sinn. Dass sie nicht einfach nur so durch das Leben laufen und hinterher in die Klappe fallen, und das war’s“, erzählt Kohtes. Mit „7 Mind“ haben sie ihren Sinn, ihren neuen Geschäftsgott, dann auf dem Telefon, immer in der Tasche. I PRIVAT / LUXUS HIPSTER MIT STIL Die deutsche Gründerszene gilt als eine der lebendigsten in Europa. Weil Luxusmode so gar nicht zu den Aufsteigern passt, haben wir sie einfach mal hineingesteckt. 64 Wie man sich anzieht, so steht man da. Kaschmirwolle, Pelz, Krokodil-Leder – dieser Herbst wird luxuriös. Wir haben 15 erfolgreiche Jungunternehmer eingeladen, um für BILANZ Modell zu stehen. Es war nicht einfach, alle zur selben Zeit am selben Ort zu versammeln (was unser Ehrgeiz gewesen war), denn Erfolg steht ja meist in unmittelbarem Wechselverhältnis zu einem vollen Terminkalender. Aber dann klappte es doch: Flüge wurden umgebucht, Besprechungen abgesagt, Arztbesuche verschoben – und am Ende kamen alle nach München. Im GOP Varieté an der Maximilianstraße, wo normalerweise Clowns, Komödianten und Artisten auf der Bühne stehen, inszenierten wir am 26. August zwischen 8 Uhr morgens und 15 Uhr eine Art vorherbstliche Dinnerparty. Eingeladen waren und eingekleidet wurden namhafte Gäste, unter ihnen Catharina van Delden, Gründerin der Internetplattform Innosabi, auf der Unternehmen zusammen mit ihren Kunden neue Produkte entwickeln; Maria Spilka, die Gebrauchtmode über Maedchenflohmarkt.de verkauft; oder Maru Winnacker, Chefin von Project-oona.com, eines Netzhandels für individualisierte Handtaschen. Besuch hatte sich auch aus der dinglichen Welt angesagt: PR-Beraterin Ala Zander etwa und die Ärztin Miriam Rehbein. Unter den Vertretern des schwachen Geschlechts fanden sich u.a. Holger Teske und Steffen Reitz, Chefs von Gini.net, einer Mobilanwendung für Dokumenten-Management, und die Internetunternehmer Andreas Bruckschlögl und Bernd Storm, die auch die Gründerkonferenz Bits & Pretzels ausrichten. Fotos JESSICA BARTHEL Styling VERONIQUE TRISTRAM Produktion ANNETTE PAWLU Haare und Make-up ELIZABETA ZEFI und EVANGELOS TZIMIKAS Die Mode-Macherinnen: Maria Spilka (26, links im Bild) von Maedchenflohmarkt.de und Maru Winnacker (36), Project-oona.com. LINKS: KLEID: PRADA, SCHUHE: MIU MIU, BROSCHE: PRADA; RECHTS: KLEID, STRICKMANTEL UND SCHAL: LALA BERLIN, STRUMPFHOSE: CALZEDONIA, SCHUHE: JIL SANDER, TASCHE: FENDI BILANZ / OKTOBER / 2015 65 PRIVAT / LUXUS 1 VON LINKS: (EINS UND ZWEI WIE AUF SEITE 65), BLUSE UND SAMTBLAZER: PUCCI, HOSE: DKNY, KETTEN: SUSA BECK, TASCHE: HERMÈS; HOSE, BLUSE, PULLOVER, PELZ, LEDERGÜRTEL, TASCHE UND SCHUHE: MICHAEL KORS, ARMREIF: HERMÈS 66 BILANZ / OKTOBER / 2015 1 – Macht-und-Kraft-Frauen mal vier (v.l.): Die Unternehmerinnen Maria Spilka und Maru Winnacker neben Catharina van Delden (31), der Gründerin der sogenannten Crowdsourcing-Plattform Innosabi.com, und der Ärztin Miriam Rehbein (32), Gründerin der dermatologischen Klinik am Friedensengel in München. 3 SIE: HOSE, PULLOVER UND MANTEL: BRUNELLO CUCINELLI, KETTEN: SUSA BECK; ER: PULLOVER: MARC O’POLO, HOSE: BRUNELLO CUCINELLI, SCHUHE: SANTONI, MANTEL: ETRO, SCHAL: ZEGNA, TASCHE: HACKETT 67 3 – Berkeley-Absolventin Catharina van Delden ist das jüngste Präsidiumsmitglied des IT-Branchenverbandes Bitkom und eine der einflussreichsten Figuren der deutschen IT-Wirtschaft. Bernhard Hering (28) ist Mitgeschäftsführer von Blogbox, die eine Mobilanwendung für Blog-Leser entwickelt hat. 2 VON LINKS: ANZUG, POLOHEMD UND SCHUHE: BRIONI (ÜBER STYLEBOP.COM), TRENCHCOAT: BURBERRY; MANTEL, PULLOVER UND RUCKSACK: MICHAEL KORS, JEANS: BALDESSARINI, BOOTS VON BRIONI 2 – v.l.: Andreas Bruckschlögl (30), Gründer von Onpage.com, und Bernd Storm (40), Chef von Aboalarm.de. Die beiden veranstalten auch die Digitalkonferenz Bits & Pretzels. Rechts im Bild: Ralph Graf Strachwitz (44), seines Zeichens Geldanleger und Aufdie-Beine-Steller der Liefer-Plattform Kulinado.de. PRIVAT / LUXUS 1 – „Luxus bedeutet für mich, es mir zu gönnen, den Tag und den Moment zu zelebrieren“ – Maria Spilka (un- ten rechts) hat auf ihrem Maedchenflohmarkt auch einen professionellen Concierge-Service eingerichtet, der für ihre Kundschaft das Fotografieren und Präsentieren der SecondhandMode übernimmt. 1 HOSE UND TOP: PRADA, SCHUHE: SANTONI, HAARKLAMMERN UND BROSCHE: PRADA, RING: SUSA BECK 2 LINKS: KLEID: KOLLEKTION ANTONIA ZANDER, SCHUHE: FERRAGAMO, HALSKETTE: SÉVIGNÉ; RECHTS: BLUSE: EQUIPMENT FEMME, ROCK: ROLAND MOURET (ÜBER STYLEBOP.COM), SCHUHE: JIMMY CHOO, UHR: CHRONOSWISS, SCHMUCK: SÉVIGNÉ UND OLE LYNGGAARD COPENHAGEN, BRILLE: VIU EYEWEAR 68 2 – Die Erfolgsschwestern Antonia Zander (38, links), Gründerin der Modemarke „Antonia Zander Cashmere“, und Ala Zander (41), Chefin der PRFirma Stilart, die für Kosmetik- und Modeunternehmen arbeitet. 3 – Wer bei ihnen drin ist, ist in: Sascha Arnold (47, links) ist nicht nur Architekt, sondern auch seit Jahren erfolgreicher Gastronom (u.a. The Flushing Meadows Hotel und Bar). Fürs BILANZ-Shooting sitzt er Rücken an Rücken mit dem denkwürdigen Kostas Ignatiadis (40), BarkeeperLegende im Schumann’s. 3 BILANZ / OKTOBER / 2015 BILANZ / SEPTEMBER LINKS: HEMD, PULLOVER UND HOSE: MARGIELA, MANTEL: ACNE; RECHTS: HEMD: AGLINI/ THOMAS MASON, PULLOVER: CRUCIANI, HOSE: DONDUP, MANTEL: ACNE 69 PRIVAT / LUXUS 70 1 1 – Alle „Models“ waren im Münchner GOP-Varieté-Theater zum Gruppenbild versammelt. Ein bisschen wie zum letzten Abendmahl: Sascha Arnold, Holger Teske, Bernd Storm, Kostas Ignatiadis, Dr. Miriam Rehbein, Catha- rina van Delden und Bernhard Hering (stehend von links), Antonia Zander, Maru Winnacker, Steffen Reitz, Ala BILANZ / OKTOBER / 2015 2 LINKS: PULLOVER, BLAZER, SCHAL UND SCHUHE: ZEGNA, MANTEL: BALDESSARINI, HOSE: ETRO (ÜBER STYLEBOP.COM), UHR: HERMÈS; RECHTS: JEANS: MICHAEL KORS, SAKKO: ETRO, PULLOVER: ETRO, SCHUHE: ZEGNA, HUT: HACKETT, UHR: FREDERIQUE CONSTANT 71 2 – Die Gründer und Geschäftsführer von Gini.net, Steffen Reitz (32, l.) und Holger Teske (32). Gini.net versteht Dokumente in Echtzeit und bekämpft Papierkram – wie eine echte, helfende Gini eben. Nur ohne Flasche. Zander, Andreas Bruckschlögl, Maria Spilka, Ralph Graf Strachwitz und ganz außen Johannes Woll (45, sit- zend von links), Geschäftsführer der Münchner Networking-Plattform Miitya.com – the instant meeting app. Er trägt einen Anzug und einen Gürtel von Hermès, Hemd und Schuhe sind von Brioni. PRIVAT / LUXUS DIE HABEN EINEN STICH Und zwar einen besonderen: Das Designer-Duo Stiebich & Rieth entwirft handgemachte Taschen, die es mit denen von Hermès aufnehmen können. Text / SOPHIE CROCOLL D 72 er Sattlerstich erfordert Geschick und Kraft, eine ruhige Hand und ein gutes Auge: Beide Enden eines Fadens müssen bei dieser Handwerkstechnik durch die Ösen zweier Nadeln und das Garn durch ein Ahlenloch im Leder geführt werden. Man stößt abwechselnd die linke und die rechte Nadel durch das folgende Loch, zieht den Faden stramm und so weiter, bis die Teile zusammenhalten. Der Sattlerstich bringt eine besonders feste Naht hervor, die sich auch dann nicht löst, wenn ein Faden schon gerissen ist. Einige Berühmtheit erlangte er als jene Kunstfertigkeit, mit der Hermès-Taschen in Form und Fasson gezwungen werden. Auch die Kreationen von Julia Rieth (49) und Detlef Stiebich (54), zwei aufstrebenden, vielversprechenden Designern aus Hamburg, machen sich in aufsehenerregender Weise diese mittelalterliche Technik zunutze. Galeries Lafayette und Kadewe, die Berliner Luxushäuser, stellen Stiebich&Rieth-Modelle ins Schaufenster neben Schöpfungen von Armani und Jil Sander; Modegeschäfte in Paris und Zürich, in München und auf Sylt bieten ihre Taschen feil. Die „Bunte“-Illustrierte verlieh den Hamburgern den sogenannten New Faces Award Fashion , der Veranstalter der Berliner Modemesse Premium den Young Designers Award unter Hinweis darauf, dass wirklich „jeder Nadelstich selbst gesetzt“ sei, und Christiane Arp, Chefredakteurin der deutschen „Vogue“, pries in der „SZ“ das „echte Handwerk“ und „tolle Design“. Auf der Sonnenseite: die Taschengestalter JULIA RIETH und DETLEF STIEBICH. Stiebich&Rieth gilt als große Entdeckung der deutschen Edelzubehörund Chichi-Szene. Nach Meinung von Fachleuten und Anhängern haben die Designer das Zeug, in ähnlicher Weise für Furore zu sorgen wie die jungen deutschen Modemarken „Lala Berlin“, „Odeeh“ oder „Bobby Kolade“. Zupass kommt Stiebich und Rieth, dass manchen Kunden die Modelle von Louis Vuitton, Gucci oder Chanel schon nicht mehr exklusiv genug sind, nachdem diese nun auch in Mexiko-Stadt, Moskau oder Mumbai verkauft werden, wo die Nouveaux Riches zu Hause sind, die nicht gerade für ihr Fein- und Stilgefühl bekannt sind. Liebhaber des Luxuriösen sehnen sich nach Dingen, die handgearbeitet, exquisit und vor allem selten sind. Fotos / BENNE OCHS Den Ansprüchen an Rarität und Außergewöhnlichkeit genügen die Handtaschen von Rieth und Stiebich aufs Verbindlichste: Vor zweieinhalb Jahren verkauften sie gerade einmal 70 Stück, und auch jetzt, in ihrer fünften Kollektion, wird es nur 500 neue Taschen geben – ausschließlich für Damen im Übrigen, zwischen 1.000 und 2.000 Euro teuer, als Umhänge- oder Handtasche, aus Leder, in Schwarz, Grau, Piniengrün, mokka- oder bordeauxfarben, mit wenigen Beschlägen und Schnallen; allesamt von jener Schlichtheit und Eleganz, mit der deutsche Mode seit den Entwürfen Jil Sanders die Welt beeindruckt. „Protzerei liegt uns fern“, sagt Julia Rieth. „Unser Luxus besteht darin, wie wir die Taschen produzieren, und in der Zeit und Liebe, die in ihnen stecken.“ In Frankreich, sagt Kompagnon Detlef Stiebich, sei Luxus, anders als in Deutschland, „ein Kulturgut: Man achtet und schätzt Marken wie Hermès und Saint Laurent“. In Deutschland habe Luxus häufig diesen Beiklang von Prunksucht und Verschwendung. Die Designer sitzen in Stiebichs Wohnzimmer. Seine Altbauwohnung im Stadtteil Harvestehude, der an die Außenalster grenzt und zu den teuersten Nachbarschaften Hamburgs zählt, dient den beiden auch als Atelier: An den Wänden lehnen gerahmte Fotografien, auf den Dielen stapeln sich Zeitschriften, obenauf ein Telekom-Kundenmagazin aus dem vergangenen Jahr. Sie arbeiten viel, seit sie 2012 ihre eigene Marke ins Leben riefen: Entwürfe anfertigen, Leder auswählen, Reißverschlüsse finden, Modelle BILANZ / OKTOBER / 2015 73 Um ein erstes Muster zu fertigen, markiert Stiebich die Nahtlinien der Taschenteile mit einem Reifeleisen (u.l.) und durchbohrt das Leder mit einer Lochzange (M.r.). Für den Sattlerstich wird ein Faden an beiden Enden aufgefädelt, beide Nadeln durch dasselbe Loch gestoßen (u.M.). An der Wand: die Garnfarbkarte mit gewachstem Handnähgarn (o.r.). PRIVAT / LUXUS 74 nähen, die Herstellung überwachen, sich auf Messen zeigen, Händler besuchen, Händler beeindrucken. Bevor sie sich selbstständig machten, hatten sie lange Zeit für andere Modeunternehmen Taschen gestaltet, für Joop etwa und Bogner: Sie lieferten Skizzen und Entwürfe ab, wurden bei der Umsetzung aber immer seltener eingebunden. Am Ende erkannten sie ihre eigenen Ideen häufig kaum wieder. Um ihren eigenen Stil wiederzuentdecken, ihre Marke zu entwickeln und zu gestalten, nahmen sie sich Zeit: „Es gibt so viele Produkte auf dem Markt, es braucht ja niemand etwas Neues“, sagt Rieth. Ein Jahr dauerte es, bis sie ihre Stiebich&Rieth-Linie endlich gefunden hatten. Ein Glück, dass Luxus weniger bedeutet, etwas zu brauchen, als es haben zu wollen. Es kann viele Stunden dauern, bis eine Tasche gefertigt ist. Das Leder beziehen Rieth und Stiebich aus Santa Croce am Arno, etwa 30 Kilometer östlich von Pisa. Die ausgewählten Betriebe gerben nicht mit Chrom, sondern mit Naturstoffen wie Eichenlaub oder Kastanien. Im Atelier suchen die Hamburger alle Häute unter Tageslichtlampen nach Mückenstichen, Narben und anderen Malen ab, die die Taschen verunzieren könnten. In der Lederwerkstatt Ludwig Schröder in Uetersen, 30 Kilometer nordwestlich von Hamburg, schneiden Fachleute die Häute zu, jagen mit einer Maschine Tausende Löcher ins Leder, polieren und färben Kanten, prägen Firmenzeichen auf mit Goldfolie. In zwei weiteren norddeutschen Betrieben fügen Näherinnen die Teile mit dem guten alten Sattlerstich zusammen. Wo genau, will Rieth nicht verraten: Zu wenige Manufakturen gebe es noch in Deutschland, die dieses Handwerk beherrschten, als dass man ihre Namen den Rivalen preisgeben könne. Das Leder sei so fest, dass man es während des Nähens nicht umstülpen könne, sagt Stiebich: „Zum Teil brauchen die Näherinnen Stirnlampen, um zu sehen, wo sie ihre Stiche setzen müssen.“ Die Fertigung übernimmt die Manufaktur Ludwig Schröder in Uetersen bei Hamburg. An der Spaltmaschine wird das Leder zerteilt, dann seine Stärke gemessen (rechts). Die Präge- und Presswalzen benötigt man für Riemen (links oben). Darunter: eine fertige Tasche des Modells „Hunter“. Auch in Japan ist man auf die Handwerkskünstler vom Alsterufer aufmerksam geworden: Einkäufer stellen gerade einigen exklusiven Warenhäusern Stiebich&Rieth-Kreationen vor; auch mit potenziellen Geschäftspartnern in England und den USA führen die Hamburger Gespräche. Selbst Interessenten aus Italien, der Heimat von Prada und Bottega Veneta, haben sich bei ihnen gemeldet. „Dabei haben wir bisher gedacht: Taschen nach Italien zu bringen, das ist, wie Eulen nach Athen zu tragen“, sagt Stiebich und lacht. Ihre nächsten Kollektionen will das Duo nun um Gürtel, Männertaschen und Taschen aus weicherem Leder erweitern – und dann, in etwa einem Jahr, auch erstmals Gewinne erwirtschaften. Erstes Ziel ist es, jemanden einzustellen, der für sie den Vertrieb übernimmt und die Finanzen regelt. Noch beschäftigen die beiden nur eine Mitarbeiterin, die ihnen einigen Verwaltungskram abnimmt. Bislang haben Rieth und Stiebich ihr Unternehmen mit eigenem und von Familie und Freunden geliehenem Geld finanziert. „Der nächste Schritt muss sein, einen stillen Teilhaber zu finden“, sagt Rieth: „Wir müssen international präsenter sein und wollen unser Geschäft ausbauen.“ Dabei sollen die weicheren Taschen helfen, deren Herstellung weniger aufwendig ist. An dem Grundsatz der Handarbeit aber wollen sie freilich nichts ändern – und sich so ihre Eigenart und Exklusivität bewahren. Rieth sagt: „Ein vollständig handgenähtes Produkt wird immer limitiert bleiben.“ P RANG LISTE & 1 WOHNEN WIE IM FILM M Möglicherweise mal ein Thema für eine Doktorarbeit:: „Auswirkungen des Hotelierzwangs auf Prominente“.. 2 PALAZZ MARGHERITA (ab ca. 850 Euro) PALAZZO Francis Ford Coppola (76) hat viele Hotels, aber dieses ist sein schönstes: in Bernalda, Süditalien, der Heimat seines Großvaters. Stil: arabischer Neobarock. Neun Suiten. SUNDANCE MOUNTAIN RESORT (ab ca. 235 Euro) Wildwestlicher Rückzugs- und Abhängort für Kuhjungen und Skifahrer, von Robert Redford (79) in Utah errichtet: 95 Cottages, Indianerkunst. No air-conditioning: alles Öko. 3 4 75 b ca. 340 Euro) E ) THE BEDFORD POST INN (ab Richard Gere (66) wohnt nebenan und ist fast täglich im Hotel. New Yorker kommen übers Wochenende, Susan Sarandon und Ralph Lauren regelmäßig zum lunch. THE GREENWICH HOTEL ( ab ca. 595 Euro) Robert De Niro (72) ist business man. Sein Hotel im NYC-Bezirk ribeca dient allein alle der Geldanlage. Nur wenn der GeschäftsTribeca erfo ford fo r ert, muss m gangg es erfordert, er sich mal eminenzhaft blicken lassen. 5 6 L (ab ca ELEVEN MIRRORS DESIGN HOTEL ca. 195 Euro) 1.000 Meter vom Maidan entfernt, mitten in Kiew. Elegant, klar, schlicht: »Inspired by Wladimir Klitschko« (Eigenwerbung). Seit 2012 im Besitz des Meisters (39). MIS MISSION RANCH HOTEL (ab ca. 110 Euro) Ehemalige Milchfarm in Carmel, südlich von Frisco. Hier war Clint Eastwood (85) Bürgermeister, hier lebt er auch, liiert mit der Hotelchefin. Hauseigene Brauerei, 31 Zimmer. FOTOS: PICTURE ALLIANCE (2), GETTY IMAGES (4), PALAZZO MARGHERITA, SUNDANCE MOUNTAIN RESORT, THE BEDFORD POST INN, THE GREENWICH HOTEL, COURTESY OF DESIGN HOTELS, MISSION RANCH HOTEL PRIVAT / LUXUS TRETEN SIE NÄHER! Viele Hersteller von Luxuswaren leisten sich eine neue Art von Schauraum: ihre eigenen Museen. Text SOPHIE CROCOLL 76 Teilweise bis zu sechs Stunden harrten New Yorker und Besucher der Stadt im Sommer 2011 vor dem Metropolitan Museum of Art aus, um die Schau „Alexander McQueen – Savage Beauty“ zu sehen: Entwürfe des britischen Stardesigners, der sich im Jahr zuvor das Leben genommen hatte. Die Ausstellung gehört mit ihren mehr als 650.000 Besuchern bis heute zu den erfolgreichsten des Met überhaupt. Mode und Kunst nähern sich, auf unterschiedliche Weise, seit Jahren immer weiter an: Kuratoren in New York, Paris und London inszenieren Luxusgüter (Kleider, Schmuck und Accessoires) als geschichtsträchtige Artefakte. Unternehmen wie Prada und LVMH stellen in eigenen Museen Kunst aus – und nehmen so auch Einfluss darauf, wie sich zeitgenössische Werke verkaufen (BILANZ 7/14). Wieder andere Luxuskonzerne errichten Museen, in denen sie ihre Geschichte erzählen. 2011, im Jahr der McQueen-Ausstellung, eröffneten in Florenz das Gucci- und im Baskenland das Balenciaga-Museum. Im Mai schenkte sich Giorgio Armani (81) zum 40-jährigen Bestehen seines Unternehmens einen eigenen Ausstellungsraum. Vielleicht werden sich die Menschen dort unbefangener bewegen als in seinen Boutiquen: Immerhin kann man sich einfach nur umsehen – ohne unangenehm aufzufallen. BILANZ / OKTOBER / 2015 77 Armani Silos Im ehemaligen Mailänder Industrieviertel Tortona hat Armani für 50 Millionen Euro seine Ausstellungsräume eingerichtet, die er als „Silos“ bezeichnet: Sie stecken in einem früheren Kornspeicher. „Ich habe sie Silos genannt, weil dort Nahrungsmittel aufbewahrt wurden, die natürlich lebenswichtig sind. Für mich gehören Kleider genauso zum Leben wie Nahrung“, teilte Armani zur Eröffnung mit. Die Form der Betonfassade, die an Bienenwaben erinnern soll, wurde beibehalten, auf Schmuck und Zier aber verzichtet. Auf vier Stockwerken sind mehrere Hundert Aufmachungen und Accessoires des Gestalters ausgestellt. www.armanisilos.com Via Bergognone, 40 Dienstag, Mittwoch, Freitag und Sonntag 11 bis 20 Uhr, Donnerstag und Samstag bis 22 Uhr, 12 Euro FOTOS: DAVIDE LOVATTI PRIVAT / LUXUS 78 Museo Salvatore Ferragamo In einem 1289 erbauten Palast in Florenz richtete die FerragamoFamilie 1995 ein Museum ein, um „internationales Publikum von den künstlerischen Qualitäten Salvatore Ferragamos“ zu überzeugen. Den Beweis erbringen sollen: natürlich die ausgestellten, von Ferragamo entworfenen Schuhe, solche, mit denen frau gehen, und solche, auf denen sie mit Glück immerhin das Gleichgewicht halten konnte. Außerdem zeigt das Museum noch bis April 2016 die Geschichte des Palasts, in dem es sich befindet. Fondation Louis Vuitton Wenn der Luxuskonzern LVMH beim Architekten Frank Gehry (86) ein Pariser Museum bestellt, dort Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts ausstellt, hält Frankreichs Präsident François Hollande (61) die Eröffnungsrede. www.ferragamo.com/museo Piazza Santa Trinita 5/R täglich 10 bis 19.30 Uhr, 6 Euro www.fondationlouisvuitton.fr 8, Avenue du Mahatma Gandhi Mo., Mi. und Do. 12 bis 19, Fr. bis 23 Uhr, Sa. und So. 11 bis 20 Uhr, 14 Euro FOTOS: MUSEO SALVATORE FERRAGAMO (3), GETTY IMAGES (2) FOTOS: GETTY IMAGES BILANZ / OKTOBER / 2015 79 Fondation Pierre Bergé – Yves Saint Laurent In der Ortschaft Getaria, zwischen Bilbao und San Sebastián, thront auf einer Kuppe das BalenciagaMuseum: ein moderner Anbau an den Palacio Aldamar, in dem einst die Balenciaga-Förderer, die Marquis von Casa Torres, lebten. In der Fassade des Neubaus spiegeln sich die grünen Hügel des Baskenlands. Nachdem sie die Marke YSL an Gucci verkauft hatten und sich Yves Saint Laurent 2002 aus dem Modegeschäft verabschiedet hatte, schufen Saint Laurent und sein Lebensgefährte Pierre Bergé (84) in Paris die nach beiden benannte Stiftung, die Leben und Aufstieg des Couturiers auch nach dessen Tod für die Nachwelt fest- und erhalten soll: 5.000 Haute-Couture-Stücke, 15.000 Accessoires, dazu Skizzen und andere Denkwürdigkeiten. www.cristobalbalenciagamuseoa.com Aldamar Parkea, 6 Dienstag bis Freitag 10 bis 17 Uhr, an Wochenenden 10 bis 19 Uhr, 10 Euro www.fondation-pb-ysl.net 3, Rue Léonce Reynaud Dienstag bis Sonntag 11 bis 18 Uhr, Donnerstag bis 21 Uhr, 7 Euro Cristóbal Balenciaga Museoa FOTOS: GETTY IMAGES FOTOS: FONDATION PIERRE BERGÉ – YVES SAINT LAURENT PRIVAT / LUXUS MEHR GELÄNDE WAGEN 80 Von Zurückhaltung keine Spur: Den „Bentley Continental“, hier in „Applegreen metallic“, gibt es in 104 Farben. D er Anfang war schwer. Als Wolfgang Dürheimer (57) im März 2012 auf dem Genfer Autosalon die Studie eines Geländewagens von Bentley vorstellte, war das Echo verheerend: ein Panzer, zu gewaltig, zu ungelenk. Selbst seine Vorgesetzten bei VW in Wolfsburg schüttelten den Kopf. „Die Studie war überzogen“, sagt der Bentley-Boss. „So ein unerwartetes neues Konzept schockiert viele erst einmal“, fördere auf der anderen Seite aber auch die Auseinandersetzung mit der Marke. Mitte September zeigte er am Vorabend der Autoschau IAA die zum wiederholten Male überarbeitete Serienversion, den „Bentayga“ – den ersten Geländegänger der britischen Luxusmarke. Bronzefarben glänzte der 608 PS starke und mindestens 208.500 Euro teure Koloss, zwei Flaschen „Dom Pérignon“ im Kofferraumkühlschrank. Noch immer spaltet das Auto die Gemüter, aber beim Publikum findet der Wagen Anklang. Die Produktion 2016 dürfte bereits in diesem Jahr verkauft sein. Angefangen hatte alles mit einem Koffer, den Markenchef Dürheimer 2012 in die Zentrale nach Wolfsburg trug: Er enthielt 2.000 Karten, jede einzelne mit einer Unterschrift versehen. Es waren Blanko-Bestellungen: Alle wollten den Anglo-Hochbeiner haben – und waren bereit, üppige Anzahlungen zu leisten. Und dies, ohne je ein Modell zu Gesicht bekommen zu haben. „Wir müssen dieses Auto bauen“, sagte Dürheimer zum damaligen VW-Premier BILANZ / OKTOBER / 2015 Die britischen Luxusmarken Rolls-Royce und Bentley beharken sich 17 Jahre nach ihrer Trennung verbissener denn je. Beide riskieren viel – und legen nun erstmals Geländewagen auf. Text / STEPHAN KNIEPS und MARK C. SCHNEIDER Fotos / PETER GUENZEL 81 Große Klappe: Das „Phantom“ ist der Stolz des Hauses Rolls-Royce. Man hält die Karosse für die beste Limousine der Welt. Winterkorn. Und Bentley baute es: Anfang 2016 wird der bis zu 300 Stundenkilometer schnelle „Chelsea Tractor“, wie Engländer solche Giganten aus den Feineleutevierteln nennen, ausgeliefert, mit einer Karosserie aus der Volkswagen-Fabrik Bratislava und erprobter VW-Großserientechnik. Ästhetischer Irrweg oder kluges Kalkül? Auch wenn die Geschäftsaussichten in der Branche schon einmal besser waren – Sorgen bereiten namentlich die früheren Hoffnungsmärkte Brasilien, Russland und China –, VERDOPPLUNG IN FÜNF JAHREN Anzahl der verkauften Autos 11.020 10.120 8510 7003 5117 3538 3575 3630 4063 2282 2010 2011 2012 2013 BENTLEY ROLLS-ROYCE QUELLEN: VW, BMW 2014 auf eines können sich die Strategen verlassen: auf die fast grenzenlose Hingabe des städtischen Bürgertums für Geländemodelle, die sogenannten Sport Utility Vehicles, vulgo SUV. In jedem Teilmarkt, von der Unter- bis zur Oberklasse, reüssieren sie. Studien zufolge soll ihr Anteil an den Neuzulassungen in Europa zwischen 2014 und 2018 um 37 Prozent auf 4,8 Millionen Einheiten steigen. In den USA haben SUVs bereits einen Marktanteil von 36,5 Prozent und sind damit die beliebteste Fahrzeuggattung. PRIVAT / LUXUS Auch Dürheimers Kontrahenten nutzen die Gunst der Stunde: Lamborghini und Maserati arbeiten ebenso an luxuriösen Kraxlern und verstören die Traditionalisten wie Aston Martin. Jaguar bringt im Frühling den „F-Pace“ auf den Markt, um dem „Porsche Macan“ Kundschaft abzujagen. Und auch bei Rolls-Royce, einst Inbegriff der Limousinenhaftigkeit, soll ein Querfeldein-Gefährt in Serie gehen. Dies haben Rolls-Royce-Geschäftsführer Torsten Müller-Ötvös (54) und der für die Marke zuständige BMW-Vorstand Peter Schwarzenbauer (55) in einem offenen Brief annonciert. Erst jetzt, könnte man einwenden in Anbetracht des Vorsprungs der Wettbewerber, allen voran Bentley – jener Firma, die bis 1998 zu Rolls-Royce gehört und immer im Rufe gestanden hatte, die etwas zu kurz gekommene Schwestermarke zu sein. Vor 17 Jahren hatten deutsche Konzerne den gemeinsamen Geschäftsgang beendet: BMW fing mit Rolls-Royce in Goodwood völlig neu an, während VW mit Bentley gleich die geschichtsträchtige Fabrik 275 Kilometer entfernt in Crewe bei Manchester übernahm. Getrennt voneinander gewannen beide Marken richtiggehend Drive, stellten Absatzrekorde auf und erwirtschafteten feine Renditen – wobei fairerweise angemerkt werden muss, dass BMW, im Gegensatz zu VW, keine Geschäftszahlen ihrer britischen Tochterfirma veröffentlicht. Müller-Ötvös führt seit 2010 die Geschäfte von Rolls-Royce. Sein Büro ist mit weinrotem Teppich ausgelegt, in einem Regal steht – neben einigen passen in idealer Weise zum künftigen SUV des Hauses, der in aller Unbescheidenheit den Namen des größten jemals gefundenen Diamanten der Welt trägt und „Cullinan“ heißt. Vor 2018 wird dieser Diamant auf Rädern freilich nicht durchs Gelände gleiten. Grundsätzlich hat man es nicht eilig: „Das Projekt ,Cullinan‘ ist nicht dadurch entstanden, dass andere Marken sich entschieden haben, in dieses Segment zu gehen.“ Das wäre ja auch noch schöner. Und Müller-Ötvös unterrichtet seinen Besucher dahingehend: „Wir sind nicht getrieben.“ Aber ein wenig schon. Denn BMW-Vorstand Schwarzenbauer erzählt, wie er, Schwarzenbauer, „die Designkollegen fast verrückt gemacht“ habe: Solange er nicht das Gefühl hatte, „das ist jetzt ein vollwertiger RollsRoyce“, konnte er auch keine Entscheidung fällen, das Modell aufzulegen. Gewiss, der „Cullinan“ wird „nicht die dominante Rolle spielen wie Geländewagen bei anderen Marken“. In Kühle Figur: Rolls-Royce-Lord TORSTEN MÜLLER-ÖTVÖS. 82 Dabei brachten sie das Kunststück zuwege, weder das Wort „Geländewagen“ noch den Gattungscode „SUV“ zu verwenden. Das Schreiben ist, gedruckt auf ein Plakat, in der Empfangshalle der Rolls-Royce-Zentrale im südenglischen Goodwood ausgestellt. Jeder der Besucher liest die salbungsvollen Worte: „Viele unserer Kunden haben uns aufgefordert, ein Fahrzeug wie dieses zu entwickeln.“ Da ist die Rede von einem „noch nie dagewesenen Automobil“, das „jedes Terrain durchfahren kann“. Zum Schluss verkünden die Manager: „Die Reise beginnt jetzt.“ Nachbildungen der Rolls-Royce-Kühlerfigur „Spirit of Ecstasy“ – ein Foto, das ihn mit Premierminister David Cameron zeigt. Müller-Ötvös trägt dunkelblaues Tuch, blütenweiße Manschetten und schwarze Lackschuhe. Seine silbergrauen Haare hat er mit schneidiger Eleganz nach hinten gegelt. Er sieht aus wie gestärkt. Es knistert, wenn er sich bewegt. Er lebt am Ärmelkanal, in der Nähe von Portsmouth. Wenn er Zeit hat, geht er angeln. Süßwasser, im Fluss, fliegenfischen: Lachse, Forellen. „Es gibt nichts Schöneres, als im Fluss zu stehen.“ Abends wirft er die Fische in die Pfanne. Der Mann mit dem Doppelnamen ist für die Marke mit dem Doppelnamen wie gemacht: Als Graf von Hampshire würde er eine ebenso gute Figur abgeben, wie er es als Angler in Gummistiefeln und Wathose tut. Fluidum und Aura des Landadligen ihrer 111-jährigen Geschichte haben die Briten noch nie einen Geländewagen aufgelegt. Auch deshalb, weil ein Rolls-Royce überallhin gelangte. Müller-Ötvös weist vornehm darauf hin, dass Lawrence von Arabien seinerzeit mit einem Rolls-Royce die Wüste durchquert habe. Zumindest dann, wenn kein Ross zur Verfügung stand. Aber wie das Leben so spielt, werden auch die Rolls-Royce-Fahrer mit der Zeit nicht älter, sondern immer jünger, zumindest von marketingtechnischer Warte aus betrachtet. Insofern könnte der „Cullinan“ durchaus neue Kunden ansprechen. Viele werden es freilich nicht sein. Über Details zu sprechen, dafür sei es noch zu früh, sagt Müller-Ötvös höflich. Er könne aber bestätigen, dass es selbstredend ein Zwölf-Zylinder-Motor sei, der den Wagen antreibe. „Selbstverständlich wird dieses Auto fähig sein, off-road zu gehen, selbstverständlich kommen Sie mit BILANZ / OKTOBER / 2015 Handarbeit: Für den Sternen-Himmel im Rolls-Royce (u.) werden Glasfasern für 1.340 Lämpchen gelegt. 83 PRIVAT / LUXUS 84 Aufwand: 17 Rindviecher aus Bayern sind angeblich vonnöten, um den Innenraum eines einzigen Bentleys durchzuledern. BILANZ / OKTOBER / 2015 diesem Auto problemlos hoch in Ihr Chalet in den Schweizer Alpen, Sie kommen auch runter an den Jachthafen, und Sie werden auch in Dubai in den Dünen fahren können.“ Womit er die Absatzmärkte grob umreißt: In den Großstädten der USA, Asiens und Europas, vermuten die Strategen, thront die Kundschaft – wo auch sonst, möchte man hinzufügen. Der Preis für einen „Cullinan“ dürfte zwischen den Modellen „Ghost“ und „Phantom“ liegen, also zwischen 250.000 und 370.000 Euro, womöglich sogar darüber. Bis zu 600 solcher Fahrzeuge im Jahr, prognostizieren die Marktforscher von IHS Automotive, könne die erlauchte BMW-Tochter ab 2018 absetzen. Und, ja, sagt Müller-Ötvös, er habe schon Anrufe von Kunden erhalten: „Torsten, ich will der Erste sein.“ Ein Luxusproblem allerdings stellt sich mit dem „Cullinan“ ein: „Wir werden mit ihm sicherlich mehr Autos verkaufen als heute“, sagt der Ma- die Exklusivität der Marke unter dem großen Zuspruch von Tätowierten litte, hat bislang noch kein BentleyManager für nötig erachtet. Der Umsatz kletterte zuletzt um vier Prozent auf 1,7 Milliarden Euro, die operative Rendite lag bei sorglos guten 9,7 Prozent. Um die Nachfrage zu stillen, ist frisches Personal vonnöten, die Aufstockung der Belegschaft dringend geboten: „Die Zahl der Mitarbeiter in Crewe steigt mit dem neuen Geländewagen von 3.800 auf 4.100 zum Jahresende“, sagt Dürheimer. Der Bentley-Chef gilt als besonders fleißig und eifrig. Seit einigen Monaten lässt er für den gesamten VW-Konzern Zwölfzylinder fabrizieren, und schon drängt es ihn weiter: Bei Fahrerassistenzsystemen und digitaler Vernetzung, bisher keine Bentley-Stärken, will er im Wettbewerb vorn landen. Der „Bentayga“ werde „Umsatz und Ergebnis in neue Dimensionen führen“, sagt Dürheimer voraus. Neue Märkte wie Russland und sogar Afrika er. Der „Cullinan“ soll demzufolge nicht der zweitbeste Luxusgeländewagen werden. Trotz aller Vergleiche ist Müller-Ötvös darauf bedacht, keine allzu große Nähe zu Bentley aufkommen zu lassen: „Die Trennung beider Marken Der Konkurrenz enteilt: Bentley-Chef DÜRHEIMER und der „Bentayga“. nager. Seit er in Goodwood die Regie führt, stellt Rolls-Royce neue Absatzrekorde auf. Dies kommt der Kasse zugute, aber nicht dem exklusiven Charakter der Marke. Ihm ist kein Kunde bekannt, der sich darüber freute, dass neben ihm an der Ampel der gleiche Wagen steht, in dem er selber sitzt. Luxus sei schließlich etwas, was sich nicht jedermann leisten soll und darf. „Ob wir 4.000 verkaufen oder 6.000 – das ist kein großer Unterschied“, sagt Müller-Ötvös. Aber jenseits dieser Zahl hört offenbar der Spaß auf. Derlei Wachstumssorgen sind dem Kontrahenten Bentley unbekannt. Im vergangenen Jahr stieg der Absatz des Hauses um beachtliche 8,9 Prozent auf 11.020 Fahrzeuge. Und Dürheimer spricht schon mal vom Ziel, 15.000 Autos bis zum Jahr 2018 verkaufen zu wollen. Besonders unter Fußballprofis erfreut sich die Marke großer Popularität. Der Herzensangst und Besorgnis darüber Ausdruck zu verleihen, dass will er so erschließen. Dort sollen die Rückgänge im China-Geschäft wettgemacht werden. „Aber auch Europa und die USA verlangen nach sportlichen und luxuriösen Geländewagen.“ Für Vorreiter Bentley dürfte sich der Schritt ins Gelände lohnen: Die Astrologen von IHS Automotive sehen 2017 und 2018 jeweils einen Absatz von bis zu 3.000 Fahrzeugen, man erwartet auch weitere Modellvarianten, etwa mit Dieselmotor oder eine Steckdosen-Kreuzung, die Elektro- und Verbrennungsmotor verbindet. Wer den „Bentayga“ bewohne – er sagt tatsächlich „bewohnt“ –, der „kommt in den Genuss von edlem Holz und üppig verarbeitetem Leder“. Wolkig-ambitionierte Verse dichtet auch Müller-Ötvös über seine Rolls-Royce: „Dieses Gefühl, etwas zu fahren, was eigentlich nicht mehr Teil der automobilen Welt ist.“ Die beste Limousine der Welt baue man mit dem „Phantom“ ohnehin schon, behauptet 85 1998 hat ihnen sehr gut getan. Beide haben mittlerweile einen vollkommen unterschiedlichen Charakter und eine vollkommen unterschiedliche Strategie und Philosophie. Ich kann nur beurteilen, was für uns richtig ist. Und ich weiß, dass die Strategie von Bentley für Rolls-Royce falsch wäre.“ Aber vielleicht nicht so falsch. BMW-Vorstand Peter Schwarzenbauer denkt darüber nach, unter der Marke „Rolls-Royce“ auch Waren zu verkaufen, die nur mittelbaren Bezug zum Auto haben, zum Beispiel Reisegepäck de luxe. Aber Duftwasser, Haarseifen, wie sie Bentley lizenziert? Torsten Müller-Ötvös lächelt. U FOTO: IMAGO SPORTFOTODIENST PRIVAT IM HAMSTERRAD DER KUNSTWELT Eine Reise durchs Jahr zu den wichtigsten wiederkehrenden Kunstereignissen der Welt. NEW YORK MIAMI 86 Die Welt der zeitgenössischen Kunst besitzt eine unheimliche Anziehungskraft. Einer der Gründe dafür ist, dass man ein ganzes Jahr in dem Kokon der Kunstwelt mit Ereignissen, Veranstaltungen und Szenetreffen auf eine sehr angenehme, kulturell-hedonistische Weise verbringen kann. Doch wie soll man diese zwölf Monate einteilen und planen? Nicht nur für den neu in die Kunstwelt eintretenden Leser ist dies fürwahr eine Herausforderung, sondern selbst und gleichermaßen für die Sammler und Galeristen, die weltweit tätigen Museumskuratoren und Künstler, die Champagner-Glas schwenkenden Adabeis und pensionierten PrivateEquity-Millionäre, die diese Welt bevölkern. Insofern hier ein Fahrplan zu den wichtigsten, immer wiederkehrenden Kunstereignissen. Wenn Sie dies lesen, waren Sie hoffentlich gerade auf der ABC in Berlin, die Ihnen Mitte September am besten vorführt, warum die Stadt ein Zentrum künstlerischer Produktion und HOLLEINS KUNSTWELT internationalen Austauschs ist. Zu sehen sind die interessantesten neuen Kunstentwicklungen sowohl in den Berliner Galerien als auch auf der von ihnen organisierten ABC-Leistungsund Verkaufsausstellung. Dabei sein ist alles – eine Woche lang so viele Eröffnungen, Veranstaltungen, Einladungen und Feiern gibt es sonst in Deutschland nirgendwo. Ein umwerfendes städtisches Erlebnis garantiert auch Istanbul: die 14. Istanbul Biennale, die noch bis zum 1. November läuft. Die Stadt am Bosporus ist in meinen Augen nicht nur die faszinierendste Metropole zwischen den Kulturen, sie bietet auch eine der buntesten Kunstszenen. Getragen von mehreren Industriellenfamilien, ist die Biennale zu einer bedeutenden Bühne geworden für den internationalen Dialog aktueller künstlerischer Positionen. Kuratiert hat die diesjährige Veranstaltung die ehemalige Documenta-Leiterin Carolyn Christov-Bakargiev. Sie zeigt, gleichsam als kulturelle Schnitzeljagd quer über ganz Istanbul verstreut, einen Überblick über die zeitgenössische Kunst, die sich mit der kulturellen Vielfalt und sozio-politischen Fragen auseinandersetzt. Im September starten auch die 13. Biennale de Lyon sowie die 6. Biennale in Moskau, deren Besuch sich lohnt – nicht nur, weil Sie damit Ihren Vielfliegerstatus zementieren, sondern vor allem Ihr Überblickswissen über neue Entwicklungen in der Kunst vertiefen. (Dabei haben Sie noch Glück, dass in diesem Herbst nicht auch noch die Gwangju Biennale in Südkorea sowie die São Paulo Biennale stattfinden…) Auffallen dürfte Ihnen jedenfalls, dass eine Karawane von Künstlern – derzeit etwa Jungstars wie Ed Atkins oder Simon Denny – von Biennale zu Biennale zieht und rund ums Jahr im Quartalstakt neue Großinstallationen präsentiert. Fragmente davon finden Sie auf den Kunstmessen wieder. BILANZ / OKTOBER / 2015 BILA MOSKAU AU BERLIN R RLIN LONDON PARIS LYON ISTANBULL Endlich zurückgekehrt, wartet bereits das nächste Ereignis auf Sie, die Kunstmesse Frieze in London. Sie hat sich als die maßgebende Messe für zeitgenössische Kunst etabliert und kann selbst eine Weltstadt wie London gänzlich in Atem halten. In der Frieze-Woche finden darüber hinaus die ambitioniertesten Ausstellungen der exzellenten Londoner Galerieszene statt, und auch Institutionen wie die Tate, Hayward und die Whitechapel Art Gallery, das Barbican Centre und das Institute of Contemporary Arts warten mit ihrem besten Programm auf. Es versteht sich fast von selbst, dass auch die großen Auktionen von Sotheby’s und Christie’s zur zeitgenössischen Kunst an eben diesen Tagen in London terminiert sind. Der Kunsttross zieht sodann weiter nach Paris, wo am 21. Oktober die Foire Internationale d’Art Contemporain eröffnet, die mit dem Grand Palais nicht nur über die allerschönste Räumlichkeit verfügt, sondern auch eine besonders erlesene, halbwegs übersichtlich präsentierte Auswahl europäischer Spitzengalerien zeigt. Wie bei den anderen Kunstmessen können Sie sich in Paris über ein VIP-Programm Zutritt zu Privatsammlungen verschaffen, zur Cocktail-Stunde in Museen und zu exklusiven Vorträgen. Das Geld, das Sie bis dahin noch nicht ausgegeben haben, werden Sie garantiert bei der direkt darauf folgenden Auction Week in New York los, wo Anfang November die großen Auktionshäuser regelmäßig neue Preisrekorde für Gegenwartskunst in den Evening Sales aufstellen und die weniger teure Ware in den Day Sales versteigern. Jeder Sammler und Händler, der auf sich hält, weilt dieser Tage in der Stadt – und damit auch die New Yorker Künstler, die diese Klientel bedienen. Zur Erholung können Sie dann gleich in den USA bleiben und nach Thanksgiving zur Art Basel nach Miami fliegen: Hier findet Anfang Dezember die genussvollste Mischung aus Kunst, Glamour und Event statt – ein konkurrenzloses, vorweihnachtliches ILLUSTRATIONEN: SIRI MATTHEY, ALEXANDRA COMPAIN-TISSIER FÜR BILANZ FOTOS: FIAC, ABC Ereignis mit einer verführerischen, die Kauflaune steigernden Mischung von Prominenz aus Kunst, Mode und Musik bei Sonne, Strand, Meer und fast 30 Grad im Dezember. Sehen (nicht unbedingt nur Kunst) und gesehen werden lautet die Devise. Bei all dem heißt es dann: Bewahren Sie einen kühlen Kopf – und konzentrieren Sie sich auf das Wesentliche! P MAX HOLLEIN ist der berühmteste und einflussreichste Museumsdirektor des Landes und womöglich der beste Manager Frankfurts. Er hat das Städel, die Schirn Kunsthalle und das Liebieghaus zu internationaler Geltung geführt. 87 BAADERS BESTE MEIN LUXUS IST, WAS DRUNTER LIEGT Fünf Empfehlungen für den Weinmonat. THE TABLE Shanghaiallee 15, 20457 Hamburg www.the-table-hamburg.de daraus rühren, die zu Stein- oder Heilbutt, zu Kalb und Huhn oder auch nur zu einem Kartoffelpüree passt. ADLER WIRTSCHAFT FRANZ KELLER Hauptstraße 31, 65347 Hattenheim www.franzkeller.de 88 Seit August ist Kevin Fehling mit The Table in der Hamburger Hafencity vertreten. Der Mittdreißiger verzichtet fast vollständig auf Old-School-Rituale: keine Tischdecken, keine Flüsterkellner, kein Serviettenterror. Im Kontrast dazu ein siebengängiges Menü, das an Kreativität und Präzision kaum zu überbieten ist. 20 Food -Verrückte können am großen und einzigen (tresenartigen) Tisch an fünf Abenden der Woche Platz nehmen. Obolus: 180 Euro fürs Menü, 95 für die passenden Weine. 6. Arrondissement in Paris. Dort, in der Backstube, kommen die Boules (Sauerteig, Mehl, Wasser, Salz) aus demselben Holzofen wie 1932 zu Großvater Pierres Zeiten. Heute führt Enkelin Apollonia die Manufaktur am Rand von Paris. Kunden u.a.: Robert De Niro, Käfer in München, Genusshandwerker.de. LOHNINGER Schweizer Straße 1, 60594 Frankfurt/Main www.lohninger.de Der Schilderwald in Hattenheim hat wenig mit der StVO zu tun. Hauptsächlich geht es um Navigation für Wein und Winzer. Es ist eine völlig andere Welt, in die man da gerät, 40 Autominuten von Frankfurt: malerisch, romantisch, schön. Das sagte sich auch Franz Keller, der kochende Star der Winzer-Dynasten vom Kaiserstuhl; er betreibt dort seit 1993 eine unaufgeregte Küche mit bedingungsloser Konzentration auf Handwerk und Produkt. Inzwischen hat sie sein Sohn übernommen, der Einfachheit halber auch ein Franz. PAIN POILÂNE 8, Rue du Cherche-Midi, Paris 75006 www.poilane.com Ein Teller Pasta mit Albatrüffel zum Dinner ist nobel. Zum Lunch serviert, wird er zum Luxus. Umstände verändern eine Sache. Das Mittagessen ist die privilegierte Mahlzeit des Tages. Und besonders schmackhaft und stilvoll einzunehmen im Restaurant des Österreichers Mario Lohninger. Mit Black Cod und Ceviche, aber ebenso mit Wiener Schnitzel. Bloß nicht vergessen: die Focaccia vorweg. P MORCHELSAUCE Mein Rezept mit Einkaufsliste und Anleitung finden Sie auf www.bilanz-magazin.de Perigord-Trüffel sind allerorts als höchste Form des Luxus anerkannt. Verständlich bei 1500 Euro fürs Kilo. Morcheln hingegen kennt man weniger, obwohl auch sie aus der Beletage der Feinschmeckerei stammen. Z.B. lässt sich eine meisterliche Soße FRED BAADER Nicht der Serrano-Schinken oder die Mortadella aus Bologna – mein Luxus ist das, was drunter liegt: das Pain Poilâne, das Brot vom weltbesten Bäcker aus dem war mit seiner Agentur Baader Lang Behnken einer der Großen in der deutschen Werbewirtschaft. 2013 veröffentlichte der Hamburger Genussmensch sein erstes Kochbuch. FOTOS: THE TABLE, HEINER BAYER, FRANZ KELLER, PAIN POILÂNE, THOMAS SCHAUER ILLUSTRATION: ALEXANDRA COMPAIN-TISSIER FÜR BILANZ REGISTER A B D Aboalarm.de ACEA Adidas Apple ARMANI, GIORGIO ARNOLD, SASCHA Audi 67 12 29 16 76 68 40 BAETGE, JÖRG 28 Bentley 80 BERGÉ, PIERRE 79 BERNHARD, WOLFGANG 41 Blogbox 67 BMW 11, 49, 82 Borg Warner 11 Bosch 11, 59 BRUCKSCHLÖGL, ANDREAS 64 BUFFETT, WARREN 24 K HOETTGES, TIM HOLLANDE, FRANÇOIS Honeywell 28 78 11 IBM IGNATIADIS, KOSTAS Infineon Innosabi 19 68 29 64 KABAT-ZINN, JON KASSEKERT, KEVIN KELLER, FRANZ KEPPLER, ROLAND KISSELER, BARBARA KLEISTERLEE, GERARD KLITSCHKO, WLADIMIR KOHLS, NIKO 59 55 88 43 34 19 75 62 Daimler 11, 12, 41 DEGENHARD, ELMAR 42 DELNON, GEORGES 30 DE NIRO, ROBERT 75, 88 DENNER, VOLKMAR 11 Deutsche Bank 59, 90 Deutsche Telekom 28 DIESS, HERBERT 15 DMG Mori Seiki 29 DÜRHEIMER, WOLFGANG 80 DÜRR, HEINZ 15 E EASTWOOD, CLINT 75 F FEHLING, KEVIN FEHRENBACH, FRANZ FORD COPPOLA, FRANCIS Freenet FRÖHLICH, KLAUS 88 11 75 29 41 GEHRY, FRANK General Electric GEORGE, WILLIAM Georgsmarienhütte GERE, RICHARD GHOSN, CARLOS Gigafactory 78 16 59 13 75 12 52 G I IMPRESSUM Piaggio 49 PIËCH, FERDINAND 15, 36 PIERER, STEFAN 49 PISCHETSRIEDER, BERND 15 PITTS, RANDY 57 Poilâne, Pain 88 Porsche 14, 36 PORSCHE, PETER DANIELL 36 PORSCHE, WOLFGANG 36 PÖTSCH, HANS DIETER 14 POTTMEYER, GREGOR 28 PRESSLER, MENAHEM 33 Pro 7 Sat 1 29 PUDDICOMBE, ANDY 60 Puma 29 R S KOHTES, PAUL KRETSCHMANN, WINFRIED KTM Kuka Kulinado.de 60 41 49 90 67 L LEVE, JONAS LOH, FRIEDHELM LOHNINGER, MARIO Lufthansa 60 90 88 10 M Mahle MAN MAURER, FRANK Miitya.com MITTERBAUER, PETER MOHN, LIZ Moto Guzzi MÜLLER, MATTHIAS MÜLLER-ÖTVÖS, TORSTEN Munich Re MUSK, ELON 11 14 36 71 15 15 48 14 82 24 52 H 50 64 16 13 HABBEN JANSEN, ROLF HACKENBERG, ULRICH Hapag-Lloyd HÄRTER, HOLGER HAYMORE, DEAN HERING, BERNHARD Hermès HHLA HEUBISCH, WOLFGANG 12 42 12 36 55 67 72 29 33 N NAGANO, KENT NAUMANN, MICHAEL NXP 30 46 19 O Onpage.com 67 P PADBERG, EVA Panasonic Perigord-Trüffel PFLAUME, KAI Philips 10 52 88 10 16 75 64 43 59 64 59 90 38 27 72 82 60 Samsung 11, 16 Scania 14 SCHRÖDER, GERHARD 46 SCHWARZENBAUER, PETER 82 Seeo 11 Siemens 16, 59 SIEVERS, KURT 44 Software AG 29 SPILKA, MARIA 64 SPOHR, CARSTEN 10 STADLER, RUPERT 40 STIEBICH, DETLEF 72 STOLLMANN, JOST 47 Storey County 55 STORM, BERND 64 STRACHWITZ, RALPH GRAF 67 SÜSS, MICHAEL 13 T TERIUM, PETER TESKE, HOLGER Tesla 59 64 50 U United Internet 29 V VAN DELDEN, CATHARINA 64 VAN HOUTEN, FRANS 16 Voith 90 VOLLERT, ALEXANDER 42 VON BOMHARD, NIKOLAUS 24 VW 11, 12, 14, 36, 49, 80 VULLINGHS, PETER 20 W GILMAN, LANCE Gini.net Google GROSSMANN, JÜRGEN REDFORD, ROBERT REHBEIN, MIRIAM REINER, JUERGEN REITHOFER, NORBERT REITZ, STEFFEN REITZLE, WOLFGANG REUTER, TILL RICHTER, HANS RIESS, MARKUS RIETH, JULIA Rolls-Royce RONNEFELDT, MANUEL Wacker Chemie 29 Wacker Neuson 29 WEBER, THOMAS 41 WIEDEKING, WENDELIN 36 WINNACKER, MARU 64 WINTERKORN, MARTIN 11, 14, 36, 80 WISSMANN, MATTHIAS 42 WOWEREIT, KLAUS 26 Y YOUNG, SIMONE Z ZANDER, ALA ZANDER, ANTONIA ZETSCHE, DIETER 33 64 68 12, 41 BILANZ Deutschland Wirtschaftsmagazin GmbH, Axel-Springer-Platz 1, 20350 Hamburg Tel.: (040) 347 234 47 Fax: (040) 347 234 50 E-Mail: [email protected] Herausgeber: DR. ARNO BALZER Chefredakteur: KLAUS BOLDT (v.i.S.d.P.) Chef vom Dienst: JOACHIM TRÖSTER Artdirektion: KATJA KOLLMANN Chefreporter: VOLKER TER HASEBORG Redaktion: SOPHIE CROCOLL, STEPHAN KNIEPS, DR. ANNETTE PAWLU, MARK C. SCHNEIDER Bildredaktion: ULRICH MAHN Autoren: FRED BAADER, MAX HOLLEIN, JÜRGEN SCHÖNSTEIN, JAN VOLLMER, SIBYLLE ZEHLE, BERND ZIESEMER Freie Mitarbeiter: JASMIN DOEHL, RONNY GALCZYNSKI, MICHAEL GATERMANN, NIKOLAS KAMKE, SIRI MATTHEY Beratung Fotografie und Illustration: HEIDI RUSSBUELT Büroleitung: ANNETTE KLANGWALD Redaktionsassistenz: NADINE MENTZEL Geschäftsführer: JOHANNES BOEGE, DR. STEPHANIE CASPAR Gesamtanzeigenleiter: STEFAN MÖLLING; Leiter Premiumvermarktung: STEPHAN MADEL; Objektleitung Anzeigen BILANZ: FLORIAN REINARTZ ([email protected]) Herstellung: OLAF HOPF Druck: Weiss-Druck GmbH & Co. KG, Postfach 30, 52153 Monschau BILANZ erscheint als Beilage der WELT am ersten Freitag im Monat und danach im ausgewählten Zeitschriftenhandel. Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 2 für BILANZ Deutschland, gültig ab 1.1.2015 Unsere Standards der Transparenz und der journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter www.axelspringer.de/unabhaengigkeit Die Rechte für die Nutzung von Artikeln für elektronische Pressespiegel erhalten Sie über die PMG Presse-Monitor GmbH, Tel.: (030) 284930 oder www.pressemonitor.de Leserservice und Heftbestellungen: BILANZ – das deutsche Wirtschaftsmagazin, Leserservice, 20583 Hamburg E-Mail: [email protected] Tel.: (0800) 888 66 30 E-Paper erhältlich unter: www.lesershop24.de und www.ikiosk.de 89 PRIVAT TILL REUTER BILANZGEWINNER Alles tipptopp beim Augsburger Roboterhersteller Kuka. Der Chef, Ex-Investmentbanker, Restaurantbesitzer und Familienmensch, kennt keine Sorgen. 2015 Till Reuter hat neue Rekorde aufstellen lassen. Umsatz: zwei Mrd. Euro, Gewinn: 142 Mio. Euro. Der Anlagenbauer Voith (25,1%) und der Schaltschrank-Milliardär Friedhelm Loh (10%) sind eingestiegen. 2014 verbuchte Kuka mit 73 Prozent das größte Kurs-Plus im M-Dax. 2009 Reuter wird Kuka-Chef. Die Firma hat Probleme: Kaum Eigenkapital, der Vorstand streitet, und die Autoindustrie-Großkunden schwächeln. 2008 Kurz vor der Lehman-Pleite macht sich Reuter selbstständig; gründet im Pfäffikon die Beteiligungsfirma Rinvest, über die er Kuka-Anteile kauft. 1999 Schon nach zwei Jahren wechselt er ins Investmentfach, zunächst für die US-Bank Morgan Stanley, dann für die Deutsche Bank (für die er u.a. Lufthansas Swiss-Übernahme begleitet), ab 2005 für Lehman Brothers. 90 1997 Zurück in Deutschland stellt ihn die Anwaltskanzlei Shearman & Sterling ein. Erst Düsseldorf, dann Frankfurt. Skifahren, Surfen, Yoga, Laufen: Reuter ist gut in Form. „ DER AUGSBURGER IST MIT LOB ZURÜCKHALTEND UND SAGT GERN: NET G’SCHIMPFT IS SCHO G’NUG G’LOBT. “ Till Reuter über schwäbische Huldigungen 1995 Nach Jahren in der Provinz muss Reuter „die Welt kennenlernen“: Als Wirtschaftsjurist arbeitet er für Kanzleien in New York und São Paulo. 1993 Reuter entwickelt derartige Freude am Studieren, dass er gleich zwei Disziplinen abschließt: BWL in St. Gallen und Jura in Konstanz (1994). 1968 Geburt und Aufwuchs im hessischen Eltville am Rhein, nahe Wiesbaden. Der Vater ist Mineralölhändler. ILLUSTRATION: ALEXANDRA COMPAIN-TISSIER FOTOS: GETTY IMAGES, PICTURE ALLIANCE (2), GASTHAUS HÖHWALD, PLASSEN-VERLAG Neues Hobby Windeln wechseln: Seit Kurzem ist Reuter Vater eines Sohnes. Eine Familie zu gründen war seine „beste Entscheidung“. „Von Thomas Mann bis Krimi“ lese er alles, zuletzt: „The Second Machine Age“ von Erik Brynjolfsson. Reuter besitzt das Gasthaus Höhwald, nordöstlich von Davos. Wiener Schnitzel gibt’s für 39 Euro. Vor allem Autohersteller setzen auf die orangefarbenen Kuka-Flamingos.
© Copyright 2024 ExpyDoc