DER TESLA- COWBOY

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Oktober 2015
/
Ein Konzern
zerlegt
legt sich
sicch
Das deutsche Wirtschaftsmagazin
/
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DER TESLACOWBOY
Die unglaubliche Geschichte,
wie sich ein Bordellbesitzer
und Immobilienmagnat mit dem
berühmtesten Elektroautokonzern der Welt verbündete
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PHILIPS
Volkswagen
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Der neue
starke Mann
star
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MEDITATION
/
Wie Manager
die Nerven
behalten
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Deutsche Bank
deutsche-bank.de/sportstipendium
Sport-Stipendiat des Jahres 2015: Sophia Saller
Wir gratulieren zu Höchstleistung in Sport und Studium
Die Deutsche Bank und die Deutsche Sporthilfe haben zum dritten Mal den Sport-Stipendiaten
des Jahres gekürt. Diese Auszeichnung wird jährlich an einen Athleten aus dem Deutsche Bank
Sport-Stipendium vergeben, der neben sportlichen auch vorbildliche akademische Leistungen
erbringt. Siegerin der Publikumswahl ist die Triathletin und Mathematikstudentin Sophia Saller.
Die U23 Triathlon-Weltmeisterin 2014 hat Mathematik an der Universität Oxford studiert und
ihren Master mit der Auszeichnung „First Class Honours“ abgeschlossen. Derzeit bereitet sie
sich auf ihre Promotion in Oxford vor und geht bei Rennen der „World Triathlon Series“ mit
dem Blick auf Top-Platzierungen an den Start.
VORWORT
BILANZ / OKTOBER
/ 2015
Mein Unternehmen:
erfolgreich.
Meine Steuerberaterin: unentbehrlich.
VON RENO
NACH WOLFSBURG
Wie man Tempo bolzt, liebe Leser,
kann man von den Amerikanern lernen. Die Geschichte über unseren
Coverboy Lance Gilman zeigt, mit
welchem Affenzahn man heute wirtschaften muss. Wir erzählen, wie
dieser Cowboy in Wild-West-Manier einen Mann, der ebenfalls keine
Bummelei duldet, für eine Milliardeninvestition ins Niemandsland von
Nevada lockte: Elon Musk, den Multi- und Fortschrittsunternehmer, Idol
einer ganzen Gründergeneration.
Für sein Elektroauto „Tesla“ baut er
auf Gilmans Gelände bei Reno eine
Batteriefabrik, und zwar die größte
der Welt. Wenn es um Zukunftstechniken geht, halten sich die Amerikaner nicht mit halben Sachen auf.
Das Gleiche gilt für das selbstfahrende Auto, auch ein Thema in diesem Heft: Nicht in 15, nein, in zehn
Jahren soll es in den USA durch den
Stadtverkehr rollen. Man muss kein
Hellseher sein, um zu wissen, dass
Google, Apple und Tesla zu den herrschenden Kräften gehören werden.
Und die Deutschen, die von sich behaupten, die besten Autos der Welt zu
bauen? Nun, das Unternehmen, das
sich des weltweit größten Forschungsetats rühmt, Volkswagen, hat es nicht
fertiggebracht, einen Dieselmotor zu
entwickeln, der ohne Manipulation
die erforderlichen Abgaswerte einhält
und den Ansprüchen für seine Zulassung genügt. Stattdessen hat der Konzern seine Kunden, die Öffentlichkeit
und die Behörden getäuscht. Jahrelang, auf der ganzen Welt.
Zu verantworten haben dies in erster
Linie der zurückgetretene Vorstandschef Martin Winterkorn, aber auch
der zum angeblichen Alleswisser
überstilisierte Ferdinand Piëch, der
sich von 2002 bis 2015 in der Rolle des
patriarchalisch-dämonischen Aufsichtsratsvorsitzenden gefiel, seinen
Aufsichtspflichten aber offenkundig
nicht in hinreichendem Maße nachgekommen ist. Piëch und Winterkorn
haben eine Unternehmenskultur geschaffen, in der fortgesetzter schwerer Betrug zum Tagesgeschäft gehörte. Sie haben VW sehr groß und sehr
klein gemacht. Die Dieseltechnik hat
sich durch das VW-Debakel nicht erledigt. Aber der Betrugsskandal hat
einmal mehr gezeigt, dass Elektroautos die gesündere Alternative sind.
KLAUS BOLDT / Chefredakteur
TITELFOTO: JONATHAN SPRAGUE FÜR BILANZ
FOTO DIESE SEITE: GIANNI OCHIPINTI FÜR BILANZ
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CHEN KUN, DAN STEVENS, MATT BOMER
in
BILANZ / OKTOBER / 2015
AUS DER REDAKTION
Die Manager hatten sichtlich Spaß:
Audi-Lenker Stadler schaute durch
ein imaginäres Schiebedach, Daimlers
Lkw-Boss Wolfgang Bernhard
vertiefte sich in eine Scheinlektüre,
Continental-Chef Elmar Degenhart
(Foto) griff zu Teebecher und
Croissant. Zweck der Übung: Wir
wollten den Traum vom Roboterauto
visualisieren. Dafür hielt Fotograf
Bernd Hartung Degenhart noch vor
dem eigenen Frühstück im Bild fest.
Seinen Cowboy-Hut hat Lance
Gilman wirklich nur zum Mittagessen abgenommen. Es gab
Ribeye-Steak. Gegessen haben wir
an seinem privaten Tisch im
„Wild Horse Saloon“, und zwar in
eben jenem Raum, wo die Freier
abends die Damen der MustangRanch zum Line-up antanzen lassen.
Für die Bildstrecke über Philips habe
ich Modelle gebaut und fotografiert.
Ich wollte metaphorisch mit den
Produkten umgehen, um den Niedergang des Unternehmens zu versinnbildlichen: ein implodierter Fernseher,
Videokassetten, die im Bandsalat
versinken. Für die Aufnahmen ist die
Lichtsetzung sehr wichtig. Im
Fernseher steckt eine Lampe, für die
Illusion, im Gerät brenne Feuer – daher
das aus dem Bild laufende Kabel.
MARK C. SCHNEIDER
JÜRGEN SCHÖNSTEIN
DOC ROBERT
7
INHALT
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NAMEN & NACHRICHTEN
10
LUFTHANSA Warum Kai Pflaume 30.000 Euro pro Tag von den Managern
der Fluglinie bekommt – und Eva Padberg nur 25.000
11
BOSCH Früher ein Herz und eine Seele, heute eine zerrüttete Beziehung:
Bosch und die deutsche Autoindustrie haben Stress miteinander
12
ALLE WOLLEN ZETSCHE Dem Daimler-Hauptmann gelingt zurzeit alles. Jetzt
soll er auch die Präsidentschaft des europäischen Dachverbands ACEA übernehmen
12
HAPAG-LLOYD Ein hanseatischer Reeder ohne Schlips, aber mit Erfolg:
Wie Rolf Habben Jansen Hapag-Lloyd fit für den Börsengang macht
14
13
GEORGSMARIENHÜTTE Jürgen Großmann, der Magnat und Lebemann, lässt
sich erschreckend viel Zeit damit, sein Stahlwerk auf Vordermann zu bringen
Auto-Manager Pötsch:
Bei ihm dreht
sich alles um VW.
14
DIE WELT DES ... HANS DIETER PÖTSCH Bekommt der künftige
Aufsichtsratsvorsitzende den Krisenkonzern Volkswagen in den Griff?
FOTOS: BERND HARTUNG, JONATHAN SPRAGUE, DOC ROBERT
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BILANZ / OKTOBER / 2015
INHALT
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16
PHILIPS K onzernchef Frans van Houten setzt alles auf eine Karte –
doch er hat wenig Chancen gegen übermächtige Gegner
22
THIELE Gegendarstellung Julia Thiele-Schürhoff
24
MUNICH RE Der Mann der 1000 Katastrophen: Interview
mit Nikolaus von Bomhard, dem Chef des Rückversicherers
28
GESCHÄFTSBERICHTE-WETTBEWERB
Den besten macht die Telekom
30
PORTRÄT Pult-Figur: Kent Nagano soll Hamburgs Oper wieder
Weltgeltung verschaffen
36
PROZESS Im Oktober beginnt die Aufarbeitung der Übernahmeschlacht VW/Porsche. Wer Grund hat, sich zu fürchten
40
AUTONOMES FAHREN Der Fahrer kann zu Hause bleiben:
Jetzt kommen die Autoautos
46
WIE GEHT’S EIGENTLICH Michael Naumann und Jost Stollmann?
48
MOTO GUZZI Da wäre mehr drin: Die Kultmarke ist verkommen
24
Mann ohne Hosenträger: Rückversicherer Bomhard.
I
30
Kent Nagano soll
Weltniveau in
die Weltstadt bringen.
Die nächste BILANZ
erscheint am 6.November
IDEEN & INNOVATIONEN
50
TITELTHEMA T esla baut seine Gigafactory 1 in der Wüste von Nevada
– weil Lance Gilman, Bordellbesitzer und Bauunternehmer, es so will
58
MEDITATION Digitale Versenkung: die erste Meditations-App
P
64
Ihr seid schön:
Jungunternehmer in
Luxusfummeln.
UNTERNEHMEN & MÄRKTE
PRIVAT
64
LUXUS – MODE Was die Welt nicht braucht: Jungunternehmer
probieren teure Klamotten aus Kaschmir und Kroko an
72
LUXUS – TASCHEN Sattlerstich wie bei Hermès: Die Täschner
Stiebich & Rieth sind Lieblinge der Haute Volée
75
RANGLISTE HOLLYWOOD-HOTELS Schlafen bei den Stars
76
LUXUS – MUSEEN Armani, Ferragamo, Vuitton – alle leisten sich
ein eigenes Museum
80
LUXUS – AUTOS Das hat uns noch gefehlt: Bentley und Rolls-Royce
nehmen Geländewagen ins Programm
86
KUNST Max Hollein erklärt, wann Kunstfreunde wo sein müssen
88
KOCHEN Fred Baader verrät die Adresse
des weltbesten Brotbäckers
90
BILANZ-GEWINNER Till Reuter bringt den Roboterbauer Kuka
mächtig auf Touren
89
Register, Impressum
FOTOS: MICHAEL HERDLEIN,
ANATOL KOTTE, JESSICA BARTHEL
9
NAMEN / NACHRICHTEN
LUFTHANSA
KRAFT DURCH PFLAUME
Als ob sie keine anderen Sorgen hätte: Die Lufthansa verpflichtet mitten in der Krise
zwei „Markenbotschafter“ – und die sind noch teurer als die Flugkapitäne.
10
Er ist der Sorgenmann der deutschen
Wirtschaft: Carsten Spohr (48), Wirtschaftsingenieur, Verkehrspilot und
bei der Lufthansa im Range eines Vorstandsvorsitzenden beschäftigt. Im
Stammgeschäft verdient sein Unternehmen seit Jahren schon viel zu wenig Geld, Discountkonkurrenten wie
Easyjet und Ryanair machen ihm das
Wirtschaften zur Hölle – weshalb er
in Wien einen Gegendiscountableger
aufgemacht hat, Eurowings, um jene
Sparfreunde oder Minderbemittelten
unter Europas Flugzeugpassagieren
Piloten ist nichts verboten:
Kapitän Carsten Spohr und seine
Botschafter Padberg und Pflaume.
zurückzugewinnen, die auf die Maschinen der Wettbewerber umgestiegen
sind. Keine schlechte Idee im Grunde
genommen – allein Spohrs Lufthansa-Piloten halten sie für gar nicht gut:
13 Mal schon haben sie gegen seine Pläne gestreikt. Weitere Ausstände stehen
bevor. Kurz, Passagiere, Mitarbeiter
und Aktionäre der Lufthansa machen
einiges durch zurzeit.
Illustrationen /
LEHEL KOVÁCS
Grund zur Zufriedenheit haben indes
zwei freie Mitarbeiter: Im Rahmen
ihres „Botschafterkonzepts“ hat sich
die Lufthansa der Unterstützung des
Mannequins Eva Padberg (35) und des
TV-Conferenciers Kai Pflaume (48,
„Nur die Liebe zählt“) versichert. Die
eine sieht nicht schlecht aus, der andere ist mit einer Condor-Exstewardess
verheiratet, was sie in den Augen der
Frankfurter Luftverkehrsstrategen
offenkundig als sogenannte „Markenbotschafter“ qualifiziert. Pflaume kann
darüber hinaus einschlägige Erfah-
BILANZ / OKTOBER / 2015
rungen als Botschafter von „Oral-B“
einbringen.
In einer internen Nachricht aus der Abteilung Marketing-Kooperationen wird
das Konzept erläutert: „Hierbei werden für unterschiedliche Themen Prominente genutzt, um LH in den externen Medien zu platzieren.“
Das hat seinen Preis. Beim Quizmaster
Pflaume, den die Lufthansa gleich für
zwei Jahre binden wollte, summieren
sich die Kosten auf 280.000 Euro im
Jahr, „zzgl. Reisekosten und Spesen“
– was mehr ist als LH-Aufsichtsräte
und die sich drangsaliert fühlenden
Piloten kassieren.
Dass Pflaume für sein Honorar viel arbeitet, wird nicht erwartet: vier Drehtage à 30.000 Euro, zwei Vorbereitungstage à 15.000, einen Tag Moderation à
30.000 sowie einen Tag Video- und Fotoaufnahmen zum gleichen Satz. Dazu
zahlen die armen, aber freigebigen Verkehrsflieger noch 70.000 Euro Werbeund Exklusivitätsabgeltung.
Etwas günstiger kamen die Spohr-Leute an Padberg heran. Sechs „Servicetage“ – zur Entlastung des Kabinenpersonals? – schlagen mit je 25.000
Euro zu Buche, ebenso werden Tage
entlohnt, an denen Frau Padberg ihrem
sogenannten Beruf nachgeht und etwa
im „Esmod Designwettbewerb“ Lufthansa-Uniformen vorführt. Aufgelistet
ist auch „1 Tag Bunte/First-Class-Story“. Summa summarum: 200.000 Euro
für Padberg, zuzüglich Spesen, auch für
eine Begleitperson, denn die Dame ist
betreutes Reisen gewöhnt.
Intern ist der Einsatz von Pflaume und
Padberg nicht unumstritten, zumal
wegen seiner als ungerechtfertigt hoch
empfundenen Kosten: Schleierhaft
bleibt der zu erwartende Mehrwert
der Aktion, zu schweigen davon, dass
die beiden Charisma-freien Diplomaten allenfalls den Glanz einer alten
Zinnkanne verbreiten. Von einer Verpflichtung des Skifahrers Felix Neureuther und des Sterne-Kochs Harald
Wohlfahrt hat die Abteilung Marketing-Kooperationen zunächst Abstand
genommen, „weil wir nicht ausreichend Budget haben“.
N
BOSCH
SZENEN
KEINER EHE
Der Autozulieferer und
seine Kunden stecken
in einer Beziehungskrise.
Nur keine Panik: „Es ist wie in einer
guten Ehe, es gibt Aufs und Abs“,
kommentiert man beim schwäbischen
Unternehmen Bosch lakonisch das aktuelle Verhältnis zur deutschen Automobilindustrie, dem wichtigsten Kunden des weltgrößten Autozulieferers
(49 Milliarden Euro Umsatz, 2,6 Milliarden Euro Reingewinn). Gleich eine
ganze Reihe von Vorfällen haben die
Beziehung vielleicht nicht zerrüttet,
aber zur Zermürbung der Beteiligten
durchaus beigetragen.
Gegenseitig nehmen sich die Partner
die Affäre um die manipulierten Abgaswerte bei VW übel. Bosch hat die
Abgaskomponenten für die Dieselmotoren des VW-Konzerns geliefert, auch
die Programme, die den Testzyklus
erkannten und die Motoreinstellungen veränderten. Auf die US-Abläufe – und vielleicht auch die anderer Länder – umprogrammiert und
dann eingesetzt, wurde sie freilich erst
von VW.
Bosch, größter Lieferant von Dieseleinspritzsystemen, fürchtet nun, dass
der Siegeszug der Selbstzünder durch
„Dieselgate“ jäh enden könnte. Das
wäre ein Schlag ins comptoir für die
deutschen Autobauer, die in der Dieseltechnik vorn liegen, und natürlich
für den Lieferanten Bosch.
Schon in den Monaten vor der Affäre hatte es Ärger zwischen Bosch
und dem damaligen VW-Chef Martin
Winterkorn (68) gegeben. Der schlug
Krach, weil er vom Zulieferer nicht die
georderte Menge von Turboladern für
Benzin- und Dieselmotoren bekommen hatte und deshalb VW-Kunden
auf ihre Autos länger warten mussten.
Die Verstimmung war umso größer,
als sich Winterkorn für Bosch und
dessen Partnerunternehmen Mahle stark gemacht hatte, damit der
Turbo-Auftrag nicht den Marktführern
Honeywell und Borg Warner in die
Hände fiel.
Auch die Beziehung zu den anderen
deutschen Autobauern ist belastet.
„Enttäuschte Liebe“, sagt ein Manager. Bosch sei Entwicklungspartner
Nummer eins von BMW, Daimler und
VW. Doch die Schwaben wirkten
lustlos, Vorstöße versandeten in Arbeitsgruppen. Weil die Bosch-Pläne
scheiterten, Batteriezellen zu fertigen,
muss etwa Audi sie von LG und Samsung beziehen.
Hier immerhin macht Bosch-Chef
Volkmar Denner (58) Hoffnung. Er
avisiert eine „wegweisende neue Batterietechnik für Elektrofahrzeuge“, die
dank der Übernahme des Start-ups
Seeo aus dem hippen Kalifornien den
Weg ins Bosch-Reich findet.
Denner will gleich noch die Kultur
des Silicon Valley mit importieren. Er
konzentriert immer mehr Ressourcen
auf die Entwicklung des „Internet der
Dinge“ – die Steuerung von Maschinen, Häusern und Autos via Internet.
Seinem Haus verordnet er „eine Revolution“ (Denner) und fängt mit der
Abschaffung individueller Boni an –
fürs Gehalt zählt nur noch der Erfolg
der Gesamtfirma.
Die Partner in der deutschen Autoindustrie murren: Sie würden sich wünschen, dass Bosch sich mehr auf die
Probleme rund um den Diesel konzentriert – zum gemeinsamen Wohl, der
Basis für gesunde Ehen.
N
11
NAMEN / NACHRICHTEN
DIETER ZETSCHE
FOR PRESIDENT
Der Chef von Daimler soll
den europäischen
Verband ACEA führen.
12
Dieter Zetsche (62) gelingt derzeit fast
alles. Zuletzt überholte er den Rivalen
Audi (beim Absatz) auf der Innenbahn.
Daimlers Chef macht, zum Leidwesen
der Konkurrenz, zurzeit keinen Fehler.
So einen Mann hat auch der europäische Herstellerverband ACEA gern an
seiner Spitze. Es laufe 2016 wohl auf
ihn als Präsidenten hinaus, sagt Zetsche. Der Deutsche war bereits einmal,
von 2010 bis 2011, oberster Branchenlobbyist gewesen.
Die Hersteller sind unterdes uneins,
wie es nach dem VW-Abgasskandal
weitergehen soll. Die Industrie hat ein
Glaubwürdigkeitsproblem. Derzeit
führt Nissan-Chef Carlos Ghosn (61)
den Verband.
N
HAPAG-LLOYD
GROSSE FAHRT
Der neue Chef bringt
eine frische Brise
in die Großreederei.
Manchmal sind es die unauffälligen Manager, die erfolgreich sind: Rolf Habben
Jansen (49) ist so einer. Der Chef von
Hapag-Lloyd, der größten deutschen
Containerreederei (Umsatz: neun Mrd.
Euro), die noch 2014 Verluste in Höhe
von 604 Millionen Euro machte, ist ein
bodenständiger Typ. Er trägt den Kragen offen, würde gern mehr Sport machen – wie wir alle. Der Normalo fällt
auf unter den blaubetuchten hanseatischen Reedern.
Das Beste: Der Holländer hat auch
noch Erfolg. Gerade rief Habben Jan-
sen seine 117 Führungskräfte in Hamburg zusammen und meldete ihnen
zwei Quartale mit positivem Ergebnis. Der operative Gewinn kletterte
im ersten Halbjahr auf 268 Millionen
Euro, das Sparprogramm „Octave“
ist abgeschlossen, die Einbettung der
chilenischen Reederei CSAV, mit der
sich die Hamburger im vergangenen
Jahr zusammenschlossen, vollzogen.
Das Schönste: Die günstigen Wirkungen, die man sich aus der Kollaboration versprach, fallen besser aus als
erwartet.
Mit „Octave 2“ will sich Habben Jansen einen dreistelligen Millionenbetrag ersparen. Seine Manager forderte
er auf, Vorschläge zu machen, wie die
Gewinne zu erhöhen seien: Wo kann
Hapag-Lloyd – wie in Afrika gelungen – neue Ziele finden? Wie können
die Hamburger sich in großen Märkten, wie beispielsweise Indien, besser
durchsetzen?
Der Hapag-Kapitän regt seine Mannschaft bewusst zum Mitmachen an.
„Wichtig ist, den Mitarbeitern klarzumachen, dass es kein Problem ist,
wenn etwas schiefgeht.“
Nach einer Feier der Führungs-Crew
mit den Mitarbeitern, bei denen auf
jedermanns Schild nur der Vorname
prangte, ist die Stimmung in der sonst
so steifen Zentrale spürbar aufgeräumt. „2016 wird für uns ein wichtiges Jahr“, sagt Habben Jansen, „dann
setzen wir konzernweit um, was wir
von CSAV bei der Betreuung von Kunden gelernt haben.“
Seine Manager beschwört er, dass sie
sich stärker um ihre Kunden kümmern
müssten. Die zeigen Einsicht und guten
Willen: Das sei wirklich nötig, räumen
selbst die Betroffenen ein. „Wir sind
gut organisiert und haben ein starkes
IT-System, aber Vertrieb war nie unsere Stärke“, sagt ein ranghoher Offizieller. Der Chef geht mit bestem Beispiel
voran, besucht so oft er kann Kunden
in aller Welt. Nur ungefähr die Hälfte
seiner Zeit ist er in der Zentrale an der
Binnenalster anzutreffen.
Dann beschäftigt ihn der Börsengang,
den Hapag-Lloyd sich vorgenommen
GEPLANTE
BÖRSENGÄNGE*
HAPAG-LLOYD
Mitte November | 20 Prozent / 1 Mrd.
XELLA
Ende Oktober / 40 Prozent / 600 Mio.
CHORUS-CLEAN-ENERGY
7. Oktober / 86 Prozent / 125 Mio.
SCHAEFFLER
5. Oktober / 25 Prozent / 2,5–3 Mrd.
COVESTRO
2. Oktober / 36 Prozent / 2,5–3 Mrd.
SCOUT 24
1. Oktober / 25 Prozent / 1,6 Mrd.
BISHERIGE
BÖRSENGÄNGE 2015*
DEUTSCHE PFANDBRIEFBANK
16. Juli / 80 Prozent / 1,16 Mrd.
ELUMEO
3. Juli / 28 Prozent / 37,5 Mio.
SILTRONIC
11. Juni / 42 Prozent / 380 Mio.
SIXT-LEASING
7. Mai / 60 Prozent / 247 Mio.
WINDELN.DE
6. Mai / 42 Prozent / 211 Mio.
TELE-COLUMBUS
23. Januar / 88 Prozent / 333 Mio.
hat, und zwar spätestens im November. Im September besprach der Aufsichtsrat zuletzt die Lage.
Doch im Unternehmen sprechen sie
längst über die Zeit nach dem Börsengang: Hapag-Lloyd, die Nummer
vier im weltweiten Containergeschäft, möchte in der Tabelle weiter vorrücken. Weitere Übernahmen
sind wahrscheinlich. Habben Jansens
Vorgänger Albert Ballin (158) würde
es freuen: Zu seiner Zeit Anfang des
20. Jahrhunderts war die Hapag die
größte Reederei der Welt.
N
*TAG DER ERSTNOTIZ / VERKAUFTE ANTEILE /
(ERWARTETER) EMISSIONSERLÖS IN EURO
BILANZ / OKTOBER / 2015
GEORGSMARIENHÜTTE
FRUST IN DER HÜTTE
Der Unternehmer Jürgen Großmann steckt in
Schwierigkeiten. Das Geld für Investitionen fehlt.
Schatten über Jürgen Großmann (63).
Der Stahlindustrielle, einer der erfrischendsten Bollerköppe der deutschen
Wirtschaft, hat offenbar Schwierigkeiten, genug Geld für Investitionen aufzubringen. Betroffen davon sind dummerweise nicht seine Rand-, sondern
seine Kerngeschäfte: Die Georgsma-
Viele Gutachter, beileibe nicht nur
Bankiers, meinen, dass Jürgen
Großmann das Geld zu lose sitzt.
rienhütte, die den Mittelpunkt eines
über 40 Unternehmen umfassenden
Firmenparks bildet und in erster Linie
die Autoindustrie mit Stahl versorgt,
Illustration /
LEHEL KOVÁCS
leidet bereits seit zwei Jahren darunter, dass Modernisierungen nicht im
gebotenen Umfang vorgenommen
werden. Vor allem die altfränkische
Strangguss-Anlage genügt nicht mehr
zeitgenössischen Erfordernissen. „Ein
ganzer Zyklus von Investitionen ist
ausgefallen“, stöhnt ein Manager. Der
Gruppenumsatz verengte sich zuletzt
um ein Zehntel auf ungesund keuchende 2,4 Mrd. Euro.
Firmenchef Großmann, einem größeren Publikum noch aus seiner Zeit als
RWE-Premier (2007–2012) ein Begriff, habe Millionenbeträge für pflegebedürftige Tochterfirmen erübrigen
müssen, mit der bedauerlichen Folge,
dass für die Hütte selbst nun die Mittel
fehlen.
Durch einen spartanischen Lebensstil ist der Unternehmer bislang auch
nicht aufgefallen. Im Gegenteil, Großmann, dieser gemütvolle Bulldozer
und Lebemann, der 2,03 Meter misst
und donnern kann wie Zeus, liebt die
Reichhaltigkeit sowohl wie die Sinnenfreude. In Osnabrück gehört dem
aus Mülheim gebürtigen Epikureer
die beste Gastwirtschaft der Gegend:
das La Vie. Ob das Sterne-Restaurant
indes viel Geld abwirft, ja, Geld überhaupt, darüber gehen die Meinungen
auseinander. Das Gleiche gilt für sein
Luxushotel Kulm in Arosa, das wegen
des unglücklichen Frankenkurses wohl
miserabel ausgelastet ist.
Auch seine 60-Meter-Jacht, der Zweimaster „Germania Nova“ (ein Nachbau
von Krupps „Germania“), kostet einiges an Unterhalt. Dass Großmann dazu
noch Oldtimer-Rallyes fährt, spielt
schon gar keine Rolle mehr.
Der neue Vorstandschef der GMHObergesellschaft, der frühere SiemensManager Michael Süß (51), macht
die unerlässlichen Aus- und Aufbesserungen nun abhängig von dem
„Erreichen der Budgets aller Unternehmen der GMH-Gruppe“, wie er der
konsternierten Belegschaft auf einer
Betriebsversammlung mitteilte. Hilfe
für die Hütte gebe es nur, wenn keine
weiteren Millionenverluste anfallen
wie 2013 und 2014.
N
13
NAMEN / NACHRICHTEN
DIE WELT DES …
HANS DIETER PÖTSCH
Auf diesen Mann kommt es bei Volkswagen in der Krise an.
Der bisherige Finanzvorstand und designierte Aufsichtsratsvorsitzende
muss die Verhältnisse beim Autobauer festigen.
14
Als Finanzvorstand bei Volkswagen
hatte er einen schweren Start. Inzwischen gilt Hans Dieter Pötsch (64), der
den Aufsichtsratsvorsitz übernehmen
soll, zusammen mit dem neuen VWChef Matthias Müller (62) als eine der
wenigen verbleibenden Säulen des Krisenkonzerns.
Pötsch und Müller kennen sich seit
über zehn Jahren. Sie werden gut mit-
einander zurechtkommen. In Traun bei
Linz geboren, gilt der groß gewachsene
Pötsch mit der kerzengeraden Haltung
als kühler Logiker und knallharter Kerl.
Er hat sich den Respekt der Herrscherfamilien Porsche und Piëch erworben,
namentlich durch die Eingliederungen
von Porsche, Scania und MAN.
Privat interessiert sich der Wirtschaftsingenieur für Kunst und Kul-
Illustration /
LEHEL KOVÁCS
tur, er pflegt die Beziehung mit dem
Kunstmuseum Wolfsburg ebenso wie
mit dem Museum of Modern Art in
New York. Bislang operierte er meist
hinter den Kulissen: „Je weniger über
mich in der Zeitung steht, umso besser
finde ich das“, sagte er einmal. „Mir
ist viel lieber, wenn die Zahlen für sich
sprechen.“ Das wird sich nun ändern.
Pötsch muss auf die Bühne.
N
BILANZ / SEPTEMBER / 2015
HERBERT DIESS (56)
Der neue Leiter der Marke
VW ist wie Pötsch in der
Unternehmenskultur von BMW
groß geworden. Diess ist
der Hoffnungsträger für die
Zeit nach Müller.
MATTHIAS MÜLLER (62)
Der Österreicher Pötsch
und der gebürtige Sachse
Müller sind nüchterne
Analytiker – entscheiden in
der Sache aber hart.
Von ihrem Zusammenspiel
hängt die VW-Zukunft ab.
FERDINAND PIËCH (78)
Anfangs machte der damalige
VW-Chefaufseher Pötsch
das Leben schwer. Dessen
Karriere schien gefährdet.
Doch Pötsch überzeugte den
Patriarchen mit Leistung.
WOLFGANG
PORSCHE (72)
Versiert hat Pötsch das
Sportwagen- und
Handelsgeschäft der
Porsches und Piëchs
in den Konzern integriert,
als die Familie knapp
war. Wolfgang Porsche
ist dankbar.
BERND
PISCHETSRIEDER (67)
Als VW-Chef holte er Pötsch
2003 nach Wolfsburg.
Beide schätzten sich aus
ihrer Zeit bei BMW.
In Pischetsrieders VW-Jahren
entstand die AbgasManipulations-Software.
LIZ MOHN (74)
Zu den wenigen externen
Mandaten des VWManagers gehört sein Sitz
im Kontrollgremium
des Medienkonzerns Bertelsmann. Dort trifft er auf
Großaktionärin Liz Mohn.
PETER
MITTERBAUER (72)
Der Österreicher ist
Oberaufseher des Zulieferers
Miba und seit vielen Jahren
ein Freund. Pötsch
nennt er „bescheiden“ und
„charakterlich einwandfrei“.
HEINZ DÜRR (82)
Bevor er zu VW stieß, versuchte sich Pötsch einige
Jahre lang selbst als Firmenleiter. Von 1995 bis 2002
führte er den Maschinenbauer Dürr. Die Verbindung
zu Ex-Chefaufseher
Heinz Dürr blieb.
FOTOS: PICTURE ALLIANCE (8)
15
UNTERNEHMEN / MÄRKTE
FRANS IM GLÜCK
Philips setzt alles auf eine Karte. Auf dem Gesundheitsmarkt will
der Konzern jetzt sein Heil finden. Doch die Chancen stehen schlecht.
Text / MICHAEL GATERMANN
Illustrationen / DOC ROBERT
16
G
roßversuch in Amsterdam. Wir schreiben das
Jahr 2008: Die Angestellten im Hauptquartier des holländischen
Elektrokonzerns Philips werden mit
Fitness-Armbändern zum Schrittezählen und Pulsmessen ausgerüstet, eine
Erfindung der Ingenieure in den Labors
von Eindhoven. Braucht kein Mensch,
befindet das Management nach der
Testphase und stoppt die Entwicklung.
Wieder einmal hatte Philips die
richtige Idee zum richtigen Zeitpunkt
und wieder einmal die falsche Entscheidung getroffen. Genau wie wenige Jahre zuvor, als die Holländer die
moderne Kaffeekapsel erfanden, aber
Nestlé das Milliardengeschäft mit ihr
überließen.
Findige Techniker, aber Kaufleute
ohne Fortune: Das hat bei Philips eine
große Tradition. Das Scheitern gehört
seit den 70er-Jahren zum Programm,
als man das Heimvideo-System „Video
2000“ erfand, aber es nicht als Standard durchzusetzen vermochte.
Wie weiland Hans im Glück durchs
Märchen irrlichtert Philips seit Jahrtausendbeginn durch die Märkte: Gestartet mit einem Goldklumpen (einer
weltbekannten und hochprofitablen
Marke der Spitzentechnik), verspielt
das Unternehmen seine Substanz, einem fahrig-wirren Plan und einer unerfindlichen Zu- und Verkaufsstrategie
folgend wie jener Hans, der, wir erinnern uns, seinen kopfgroßen Klumpen
Gold am Ende gegen einen Feldstein
eingetauscht und selbst den noch in
einen Brunnen fallen gelassen hatte.
So weit ist es bei Philips noch
nicht. Aber seit dem Jahr 2000 hat sich
der Umsatz auf 21 Milliarden Euro fast
halbiert, vom Gewinn ist gerade noch
ein Zwanzigstel geblieben (400 Mio.
Euro). In den 90er-Jahren noch auf
Augenhöhe mit Siemens, wird Philips an der Börse nur noch mit rund
20 Milliarden Euro bewertet (Siemens:
ca. 70 Mrd. Euro).
Nachdem sich die Niederländer
vom größten Teil des vormaligen Kerngeschäfts getrennt haben – der Kom-
munikationstechnik, Unterhaltungselektronik und Halbleiterproduktion –,
will der seit 2011 amtierende Vorstandsvorsitzende Frans van Houten
(55) jetzt auch noch die vorletzte tragende Säule des Geschäfts wegsprengen: 2016 soll die Lichtsparte an die
Börse gehen, was einer Entwurzelung
des Unternehmens gleichkommt. 1891
hatten Frederik Philips und sein Sohn
Gerard jene Glühlampen-Fabrik angedacht und in die Register eingetragen,
die es bald nicht mehr gibt.
Statt aufs Licht setzt van Houten
aufs Gesundheitsgeschäft. „Investoren schätzen diese Strategie“, sagt er
im BILANZ-Interview (siehe Seite 21).
Skeptiker sind sicher, dass Philips
diese Wette nur verlieren kann: Denn
die Holländer haben es in diesem Geschäft nicht nur mit den alten Hegemonen Siemens, General Electric und
Angstgegner Samsung zu tun, sondern
auch mit den giftig-aggressiven Technik-Multis Google und Apple.
Und selbst wenn Philips sich achtbar schlüge und aus der Affäre zöge –
BILANZ / OKTOBER / 2015
17
UNTERNEHMEN / MÄRKTE
18
als reiner Gesundheitsspezialist würde das Unternehmen rasch zur Beute
kapitalkräftiger Konzerne: Philips-Aktien befinden sich in Streubesitz, ein
Großaktionär als Bollwerk gegen einen Käufer fehlt.
In Ansehung des niedrigen Börsenwerts könnten sich nicht nur
Google und Apple den Holländer problemlos leisten. Auch neureiche Konzerne in Asien dürften sich für Philips
interessieren.
Auslöser der Malaise hollandaise sind
die Veränderungen in der weltweiten
Arbeitsteilung seit den 90er-Jahren:
Machtvoll drängten damals südkoreanische, später chinesische Billiganbieter auf die Elektronikmärkte. Die
etablierten Kräfte in Europa, den USA
und Japan gerieten unter Druck.
Dass man erfolgreich unter Voraussetzungen sein kann, die denen
von Philips durchaus ähnlich waren
(starke Marke, Innovationskraft, gesunde Finanzen), exerzierte Apple
vor, als das dortige Geschäft mit PCs
und Klapprechnern bedroht war: Mit
cleverem Marketing und feinster Ingenieurskunst, dazu einem Design Made
in California und einer Herstellung
Made in China erschlossen Steve Jobs
und seine Mitarbeiter gänzlich neue
Märkte und machten Apple zum wertvollsten Unternehmen der Welt.
Weniger spektakulär, aber erfolgreich rettete IBM sich das Leben, als
seine Großrechner und PCs nicht mehr
gefragt waren: Heute firmiert das Unternehmen als Systemintegrator, der
Programme und Geräte liefert sowie
den Betrieb und Service übernimmt.
Aber es gibt auch Gegenbeispiele:
Ähnlich unglücklich wie Philips stolpert der Computerkonzern HewlettPackard von einer Krise in die nächste
– und spaltet das, was von der Firma
noch übrig ist, gerade in zwei getrennte Abteilungen auf. Wie Philips.
Noch 2001 hatte Philips in einer internen Präsentation das Geschäft mit
Halbleitern, Komponenten und der
Konsumelektronik zum „Herzstück“
des Unternehmens erklärt und wollte
„diese Produkte für die digital verbun-
dene Welt nutzbar machen“. Doch den
damaligen Unternehmenschef Gerard
Kleisterlee (69) wurde bang vor dem
eigenen Mut: Er begann damit, die
Herzstücke des Konzerns zu verkaufen. 2006 stieß er das Geschäft mit den
Halbleitern ab, jenen Gewerbezweig,
dem anno dazumal der heutige Konzernchef van Houten vorstand.
Nachdem er von den neuen Eignern Ende 2008 vor die Tür gesetzt
worden war, reüssiert das Unternehmen unter dem Namen NXP inzwischen als Autozulieferer. Philips
selbst verbreitete seither vor allem
schlechte Nachrichten: Gewinnwarnungen, Umstrukturierungen, Massenentlassungen.
2011 kehrte van Houten überraschenderweise als Vorstandsvorsitzender zu Philips zurück – obgleich
er in seinen 20 Philipsjahren zuvor
allenfalls als Abwickler und Oberinspektor aufgefallen war. Zügig brachte der neue Chef das traditionsreiche
TV-Geschäft in eine Gemeinschaftsfirma mit dem chinesischen Fernseherhersteller TP Vision ein. Aber
schon 2014 zog sich Philips ganz aus
dem Gewerbe zurück und lizenziert
seitdem nur noch die Marke.
Mit dem Verkaufserlös wusste das
Philips-Management wenig anzufangen. Statt in zukunftsträchtige Geschäfte zu investieren, steckte Philips
seit 2005 rund 8,5 Milliarden Euro in
Aktienrückkäufe.
Anfang 2016 will van Houten die
Lichttechnik an die Börse bringen
oder im Stück verkaufen. Zwar soll die
Royal Philips Healthtech einen Anteil
behalten, doch altgediente Philipsianer prophezeien, dass nach dem Muster von NXP und dem TV-Geschäft
über kurz oder lang der komplette
Ausstieg folge. Immerhin gibt es jetzt
eine Idee, was man mit dem Erlös anfangen kann: Van Houten sucht Akquise-Chancen im Gesundheitssektor.
Noch trägt die Lichttechnik rund
ein Drittel zum Philips-Umsatz bei.
Philips ist damit Weltmarktführer.
Der Konzern bietet Straßenbeleuchtungssysteme mit LED-Lampen an,
COSY JEANS
www.alberto-pants.com
UNTERNEHMEN / MÄRKTE
20
die nach Bedarf über Bewegungsmelder
gesteuert werden und für die man auch
Wartung und Betrieb übernimmt.
Doch in dem Geschäft herrschen rüde Sitten, der Preiskampf ist hart: 2014
verkümmerte der Philips-Umsatz um
vier Prozent, und der Gewinn vor Steuern und Abschreibungen halbierte sich
auf abgezehrt-knochige vier Prozent –
was zu Vollkosten gerechnet einen Verlust bedeutet. Aber vielleicht winkt den
Lichttechnikern ja eine Wiederauferstehung wie den Halbleiterbauern von NXP
– wenn sie Philips los sind.
Zufrieden kann van Houten derzeit
nur mit der ungeliebten Konsumgütersparte sein. Am besten passen noch die
„Sonicare“-Zahnbürsten zum angestrebten Gesundheits- und Wohlfühl-Portfolio, bei den umsatzstarken „Philishave“-Rasierern muss man schon viel
Fantasie aufbringen, um sie der Medizintechnik zuzurechnen; bei Kaffeemaschinen, Dampfbügeleisen und Staubsaugern ist dies selbst Menschen mit
völlig überspannten Ideen unmöglich.
Szenekenner erwarten hier die
nächsten Abstoßungsreaktionen und
Säuberungen. Van Houten dementiert
und erzählt von seinen StaubsaugerForschern („Erstaunlich, worauf die
kommen, wenn du sie herausforderst“),
die an Filtersystemen bosseln und friemeln, die Allergikern zugutekommen
sollen: „Die Staubsauger von morgen
helfen der Gesundheit.“
Philips neues Kerngeschäftsfeld
kann tatsächlich jede Hilfe brauchen.
Im hergebrachten Verkauf von Röntgengeräten, Kernspintomographen und anderem Großgerät herrscht reger Wettbewerbsdruck, 2014 degenerierte der
Gewinn um fast 60 Prozent.
Allerlei hausgemachte Probleme belasten das Ergebnis zusätzlich: Eine fortdauernde Bürde ist der viel zu hohe Preis
von 3,6 Milliarden Euro, den Philips 2007
für das US-Unternehmen Respironics
bezahlt hat. Außerdem wurden für ein
aufgeflogenes Bildröhren-Kartell hohe
Strafzahlungen fällig. Die US-Aufsichtsbehörde 2014 schloss sogar monatelang
eine wichtige US-Fabrik wegen etlicher
Gesetzesverstöße.
Philips-Erfindungen
stehen in jedem Haushalt.
Spitzenidee
1982: der
erste
CD-Spieler
der Welt.
Vorkriegsware:
Der erste
„Philishave“Rasierer kam
1939.
Philips erfand
die modernen
Kaffeekapseln,
aber Nespresso
eroberte
damit die Welt.
SEIT 15 JAHREN
GEHT’S BERGAB
Umsatz
38
IN MRD. EURO
Gewinn
IN MRD. EURO
32
Aktienkurs
IN EURO
24
21
9,7
0,4
0
2000
QUELLE: PHILIPS, BILANZ-RECHERCHE
2015
Doch van Houten verfolgt unbeirrbar
seinen Kurs. Er zielt auf die komplette
Wertschöpfungskette in Sachen Gesundheit: Vom gesunden Lebensstil, der Prävention, über Diagnose, Behandlung, Gesundung bis zur Pflege im eigenen Heim
will er die passenden Gerätschaften und
Programme anbieten. Im Kern steht dabei das Sammeln, Auswerten und Speichern von Daten, die über mobile Geräte
bei den Patienten erhoben werden. Insgesamt habe der Markt schon heute ein
Volumen von mehr als 100 Milliarden
Euro jährlich und wachse rasch.
Eine zentrale Rolle soll die deutsche
Philips-Gesellschaft (4.500 Mitarbeiter,
1,3 Milliarden Euro Umsatz) spielen.
„Unser Kerngeschäft fokussiert künftig
auf Gesundheit“, sagt der Hamburger
Geschäftsführer Peter Vullinghs (44).
„Der Markt ist da, und wir haben die
Lösungen.“
Digitalisierung und Systemintegration heißt die Devise. Hier habe man
Vorteile gegenüber den alten Rivalen
Siemens und GE: „Die sind in einer anderen Richtung unterwegs.“ In zwei bis
drei Jahren, meint er, werde sich der Erfolg auch in den Zahlen niederschlagen.
Eine mutige Vorhersage, denn gerade bei der Digitalisierung bekommt er es
mit humorlosen Gegnern zu tun: IBM,
Apple, Google. Van Houten glaubt sich
dank der Konsumgütererfahrung von
Philips dennoch im Vorteil: „Wir verstehen die Bedürfnisse der Verbraucher.“
Dass er gerade die Kundennähe, für
die Apple und Google neue Maßstäbe
gesetzt haben, als Wettbewerbsvorteil
betrachtet, deutet auf eine gewisse Weltfremdheit hin. Ganz abgesehen von der
Tatsache, dass sich etwa Google schon
mit dem Pharmakonzern Sanofi verbündet hat, um Gesundheitsdaten zu sammeln und Sensoren für die Gesundheitsüberprüfung zu entwickeln. Auch Gerätelieferanten werden sich im Zweifel für
gemeinsame Projekte begeistern lassen.
Den Zeitpunkt, seine Strategie zu
revidieren, hat Frans im Glück verpasst.
Nun heißt es, sich Mut zu machen: „Die
Kunden mögen, dass wir unsere Zukunft
darauf verwetten, dass wir hier erfolgreich sind.“
U
BILANZ / OKTOBER / 2015
„FURCHT IST EIN SCHLECHTER
RATGEBER“
Philips-Chef Frans van Houten erklärt die Strategie seines Konzerns.
21
Herr van Houten, in einem internen Philips-Papier von 2001
wurden die Sparten Halbleiter,
Komponenten und Unterhaltungs- sowie Haushaltselektronik
zum „Herzstück“ des Unternehmens erklärt. Aus diesen Geschäften haben Sie sich komplett
verabschiedet. Nach allem, was
man heute weiß, war das ein
grober Fehler, oder?
Wir haben diese Bereiche ja nicht
komplett aufgegeben – aber die Entscheidung, sie weitgehend zu räumen,
war richtig. Man muss sich da noch
einmal in die frühen 2000er-Jahre
B
FRANS VAN HOUTEN (55)
arbeitet schon fast 30 Jahre für Philips.
Kommunikationstechnik,
Unterhaltungselektronik, Halbleiter:
Was er führte, wurde
bald verkauft. Nun spaltet er
noch die Lichttechnik ab – und wettet
Philips’ Zukunft allein auf
den schwierigen Gesundheitsmarkt.
zurückversetzen. Wir hatten damals
zwar mit unseren Produkt-Divisionen
vielversprechende Wachstumsfelder
identifiziert, aber dabei die Kräfte
des Wettbewerbs unterschätzt: Bin-
nen weniger Jahre machten Hersteller vor allem aus Korea und China aus
unseren Hochtechnologieprodukten
Commodities – Allerweltsware. Im
Geschäft mit den Fernsehgeräten
ging es den Wettbewerbern in Asien
schon bald vor allem um die Auslastung der Fabriken, weniger um das
Geldverdienen. Da haben wir uns
gesagt: Nur weil etwas ein Trend ist,
muss es in unserem Unternehmen
nicht automatisch im Fokus stehen.
B
In welcher Schlüsseltechnik
fühlen Sie sich denn heute stark?
Philips steht auf zwei starken Säulen:
der Lichttechnik und dem Geschäft
UNTERNEHMEN / MÄRKTE
22
rund um die Gesundheit. In beiden
Bereichen verdienen wir gut. Aber es
gibt zwischen ihnen nicht genug Synergien. Beide brauchen jetzt hohe
Investitionen. Deshalb haben wir uns
entschlossen, die Lichttechnik auszugliedern und sie zum Beispiel an die
Börse zu bringen oder zu verkaufen.
Dann ist Philips ein Unternehmen, das
sich ganz auf Gesundheit und Wellness
konzentriert – Investoren schätzen
diese Strategie, sie wollen verstehen
können, was ein Unternehmen macht.
B
Warum zeigt sich diese Wertschätzung denn nicht in steigenden Kursen Ihrer Aktie?
Die richtige Frage ist doch: Wo wäre
der Philips-Kurs, wenn wir unsere
Strategie nicht geändert hätten? Wir
wissen, dass Medizintechnik-Unternehmen an den Börsen hohe Bewertungen bekommen. Das hat Philips
noch nicht erreicht, weil die Investoren erst mal sehen wollen, wie es
nach der Abspaltung der Lichtsparte
weitergeht. Wir sind überzeugt, dass
der Wert der beiden Teile höher ist,
als es unser Aktienkurs reflektiert. Es
entstehen zwei Unternehmen mit sehr
hohem Potenzial.
B
Noch einmal: Warum steigt der
Kurs nicht, wenn doch die Investoren Ihre Strategie so lieben?
Das kommt auf den Referenzzeitraum an: 2012 kostete die Aktie zwölf
Euro, heute sind es zehn Euro mehr.
Nachdem ich 2011 die Leitung übernommen hatte, begann ich, das Portfolio aufzuräumen. Jetzt müssen wir
deutlich machen, wofür Philips heute
steht, und dann müssen wir Ergebnisse liefern. Denn die beste Strategie nützt nichts ohne Exzellenz im
operativen Geschäft. Wir müssen
verlässlicher als bisher unsere Prognosen erfüllen.
Seit 2000 hat Philips den Umsatz
B
fast halbiert, und vom Gewinn ist
gerade ein Zwanzigstel geblieben.
Nach 15 Jahren ständiger Umbauerei ist der Börsenwert auf knapp
20 Milliarden Euro geschrumpft.
Sieht ganz so aus, als marschiere
Philips in die falsche Richtung.
Es macht einen doch nicht automatisch
zu einem erfolgreichen Unternehmen,
wenn man nur als Dachgesellschaft
über ein großes Portfolio gebietet. Für
uns zählt heute die relative Größe: Wir
wollen die globale Nummer eins in der
Lichttechnik sein, und wir wollen die
Nummer eins im Geschäft mit der Gesundheitstechnik werden. Und ich bin
optimistisch, dass wir beides schaffen.
B
Bei dem jetzigen Börsenwert kann
Philips schnell einem finanzstarken Akteur im Gesundheitsmarkt
in die Hände fallen, Apple oder
Google zum Beispiel, die in dieser
Wachstumsbranche zurzeit einen
großen Ehrgeiz an den Tag legen.
Keine Angst, von denen aufgesaugt
zu werden?
Furcht ist ein schlechter Ratgeber,
wenn man seine Strategie sucht. Wir
wollen unser Gesundheits-Portfolio
kräftig verstärken und können dafür
im nächsten Jahr die Erlöse aus dem
Börsengang der Lichtsparte verwenden. Und das machen wir, weil wir fest
überzeugt sind, dass wir da erfolgreich
sein werden. Schließlich können wir
nicht einfach dasitzen und nichts tun.
Lieber suchen wir aktiv nach Übernahmechancen, M&A ist jetzt Teil unserer
Strategie – schließlich gilt: Angriff ist
die beste Verteidigung.
B
Worauf gründen Sie Ihre Hoffnung, sich im Gesundheitsmarkt
durchsetzen zu können gegen
mächtige Marktbeschicker wie
Siemens, General Electric und
Samsung sowie die außerordentlich bemittelten und angriffslustigen Konkurrenten wie Apple oder
Google?
Das Medizingeschäft verlagert sich.
Früher standen die Kliniken und ihre
Einkaufsabteilungen im Zentrum,
künftig wird es vor allem ein Patienten-zentriertes Business, in dessen
Mittelpunkt die Vernetzung chronisch
Kranker mit den Krankenhäusern
steht. Da wird per Datenübertragung
nachgehalten, ob der Patient seine
Medizin nimmt und seine Verhaltensmaßregeln befolgt und wie sich
seine relevanten Gesundheitsdaten
entwickeln. Gegenüber den Wettbewerbern haben wir einen großen
Vorteil: Wir verstehen Konsumenten,
wir sind seit Jahrzehnten in ihren Badezimmern. Hier entwickelt sich ein
riesiger Wachstumsmarkt, und wir
überwachen heute schon mit Datenarmbändern die Gesundheitsdaten
von Millionen Patienten.
B
Und das ist ausreichend, um
gegen die großen Wettbewerber
zu gewinnen?
Allein gewiss nicht. Wer in diesem Feld
gewinnen will, braucht auch ein tiefes
Verständnis der Praxis in den Kliniken.
Und da kennen wir uns extrem gut
aus. Nehmen Sie zum Beispiel unsere
Zusammenarbeit mit dem KarolinskaKrankenhaus in Stockholm. Gemeinsam entwickeln wir ein System, das
sicherstellen soll, dass Schlaganfallpatienten 90 Minuten nach dem Anfall
die richtige Behandlung haben. Dazu
muss man organisieren, was nach dem
Ruf des Rettungswagens passiert: Die
Triage während der Fahrt, die Datenübermittlung ins Krankenhaus, die
Vorbereitung der Behandlung dort –
so etwas entwickelt man nicht im Silicon Valley, sondern vor Ort aufgrund
von Erfahrung.
U
GEGENDARSTELLUNG
zum Artikel mit der Überschrift
„DIE THIELES“ auf Seiten 28 ff.
von „BILANZ – Das deutsche Wirtschaftsmagazin“ (im folgenden:
„BILANZ“) vom 05.06.2015:
„BILANZ“ berichtete, ich sei „Chefin der Knorr-Bremse-Stiftung Global Care“.
Hierzu stelle ich fest: „Knorr-Bremse Global Care“ ist ein gemeinnütziger Verein.
München, den 29. Juni 2015
Julia Thiele-Schürhoff
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UNTERNEHMEN / MÄRKTE
„
BEI UNS ARBEITEN NICHT
NUR LEUTE, DIE SICH MIT
GÜRTEL UND HOSENTRÄGER
DOPPELT ABSICHERN
24
Nikolaus von Bomhard,
der Chef der Munich Re,
übers Geschäft mit
dem Risiko und der Gefahr
und über seinen
Aktionär Warren Buffett.
München-Maxvorstadt, Firmendach:
Aufs Sakko kann der Boss verzichten,
aber nicht auf eine nahrhafte Akte.
“
BILANZ / OKTOBER / 2015
Herr von Bomhard, wenn
irgendwo auf der Welt ein Flugzeug abstürzt…
…ist dies zunächst einmal eine menschliche Tragödie. Aber wir schauen uns
auch immer sehr genau an, ob ein Unfall irgendeine neue Erkenntnis liefert.
B
Seit dem Selbstmord eines Germanwings-Piloten, der 150 Menschen in den Tod gerissen hat,
wissen wir: Es gibt auch Risiken
in der Luftfahrt, mit denen man
nicht gerechnet hatte.
Als Versicherer müssen wir uns die Frage stellen: Hat sich die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass ein Flugzeug abstürzt?
Die Antwort ist: eher nein. Es gab schon
früher solche Selbstmordfälle, aber
über die ist nicht prominent berichtet
worden. Daraus folgt aber: Die statistischen Reihen, mit denen wir die Risiken
in der Luftfahrt berechnen, spiegeln
dieses Risiko bereits wider. Trotzdem
stellen wir uns unzählige Fragen nach
einem solchen Ereignis, vor allem nach
den Sicherheitsstandards. Und am
Ende übersetzt sich das dann immer
auch in eine neue Risikoabschätzung
und damit auch oft in veränderte Preise und Bedingungen für die Deckung
dieser Risiken.
B
Muss eine Fluggesellschaft, die
häufiger in Unfälle verwickelt ist,
höhere Prämien bezahlen?
Eindeutig ja. Und manche Fluggesellschaften in der Dritten Welt versichern wir gar nicht. Es gibt in unserer
Branche eben nicht für alles einen
Preis. Wenn die Standards zu schlecht
sind, können wir das auch nicht über
höhere Prämien ausgleichen.
B
Was meinen Sie, können Sie als
Versicherer dafür sorgen, dass
unser Leben sicherer wird?
Ja, das glaube ich schon. Nehmen Sie
das Beispiel der großen Erdöltanker.
Als Rückversicherer haben wir in der
Vergangenheit eine wesentliche Rolle
dabei gespielt, eine doppelwandige Außenhülle für diese Megaschiffe durchzusetzen. Damit ist das Risiko, dass es
zu verheerenden Umweltverschmutzungen kommt, deutlich gesunken.
Oder ein anderes Beispiel: Auch beim
B
erdbebensicheren Bauen war die Assekuranz einer der wesentlichen Treiber
für neue Standards und Verfahren.
B
Sie untersuchen generell die
Risikokultur von Unternehmen, bevor Sie sie versichern.
Bestehen da wirklich so große
Unterschiede, selbst unter den
Dax-30-Konzernen?
Doch, die gibt es. Wie stark beschäftigt sich ein Unternehmen mit der
Schadenprävention? Welche Qualität
hat das Risikomanagement? Das sind
Fragen, die wir immer stellen. In manchen Unternehmen ist die Stellung der
Risikomanager eher schwach. Und als
Rückversicherer achten wir sehr genau
auf Unternehmen, bei denen es immer
wieder zu kleineren Schäden kommt,
denn dies kann ein Indiz für eine gering ausgeprägte Risikokultur sein.
B
In den meisten Konzernen hat
der Risikomanager keinen Sitz
im Vorstand.
Der sogenannte Chief Risk Officer
muss nicht unbedingt im Vorstand
sitzen, aber er sollte zumindest sehr
eng am Vorstand angebunden sein.
Hier sind die Banken und die Finanzwirtschaft durchaus Vorbild für andere
Branchen. Daneben sollte es in jedem
Unternehmen einen wirklich aussagekräftigen Risikobericht geben.
B
Dabei müssen wir uns doch mit
immer vielschichtigeren Risiken
beschäftigen, nicht wahr?
Auf jeden Fall. Denken Sie nur daran,
wie stark die Wirtschaft heute vernetzt ist. Der Ausfall eines einzelnen
Unternehmens kann sich sehr stark
auf viele andere Unternehmen auswirken. Diese komplexen Risiken in all
ihren Ausprägungen zu erkennen wird
immer anspruchsvoller. Das haben wir
auch bei dem Unglück im Hafen von
Tianjin gesehen. Dass sich solche Einzelereignisse sogar global auswirken
können, haben wir immer wieder beobachtet. So ließen die Überschwemmungen in Thailand 2011 damals weltweit Produktionsbänder stillstehen.
Oder nehmen wir die vielschichtigen
politischen Konflikte, die sich oft erst
über viele Stufen hinweg in unserem
Text / BERND ZIESEMER
FOTOS: MICHAEL HERDLEIN
unmittelbaren Umfeld auswirken. Die
geopolitischen Risiken nehmen gegenwärtig massiv zu.
B
Aber können Sie einem Stahlunternehmen in der Ostukraine, das
plötzlich mit russischen Raketen
beschossen wird, diese Risiken
abnehmen? Im Kleingedruckten Ihrer Verträge steht doch
bestimmt: Im Kriegsfall gilt die
Versicherung nicht.
Wir können in der Tat nicht alles versichern – aber wir decken mehr Risiken
ab, als viele meinen. Von Menschen
gemachte Konflikte, die allein dem
Willen von Politikern unterworfen
sind, können wir in der Tat in der
Sachversicherung kaum absichern.
Bei Kreditrisiken hingegen decken wir
in bestimmten Fällen die Folgen eines
Kriegsfalles ab. Und auch bei Schiffsversicherungen ist eine Deckung gegen Kriegsschäden möglich.
B
Sie bewegen sich in immer kleinere Marktnischen. Man kann
sich bei Ihnen sogar gegen Ausfall
eines Werbefensters in einer Fernseh-Direktübertragung versichern.
Viele Risiken sind in der heutigen Unternehmenswelt zu einer Art Massenware geworden: kennt jeder, kann jeder versichern. Damit kann man nicht
mehr viel Geld verdienen. Deshalb
suchen wir in der Tat ständig neue
Betätigungsfelder. Oft fängt das ganz
kleinteilig an, entwickelt sich aber zu
einem größeren Geschäft. In der Cyberwelt stehen die Versicherer noch
ziemlich am Anfang, aber das ändert
sich gerade sehr schnell. Ein hochinteressantes Geschäft für uns.
Kann man sich als VersicherungsB
konzern wirklich durch Neuerungen von den Wettbewerbern
absetzen? Was Sie heute anbieten,
bietet doch morgen schon jeder
Konkurrent an.
Es gibt keinen Patentschutz in unserer
Branche, das stimmt. Wer mit etwas
Neuem kommt, kann aber durchaus
den Markt aufrollen. In der Erstversicherung war das zum Beispiel bei
den Direktversicherern der Fall. Neue
digitale Vertriebswege kombiniert mit
25
UNTERNEHMEN / MÄRKTE
26
dynamischen Angeboten, verändern
unseren Markt weiter. Und in der
Rückversicherung gilt sowieso: Der
Markt ist intransparenter, die Konkurrenten können nicht alles so schnell
kopieren. Es geht bei Rückversicherern immer mehr um die Lieferung
von maßgeschneiderten Einzelstücken, nicht mehr um Massenware von
der Stange. Die Beziehungen zu unseren Kunden sind sehr eng, wir haben
mit vielen jede Woche Kontakt.
B
Dann müssen Sie aber auch
immer mehr Risikoforschung
betreiben. Wachsen die Ausgaben
dafür?
Im Augenblick gibt es in der Tat sehr
intensive Bemühungen, die Grenzen
der Versicherbarkeit durch großen Forschungsaufwand hinauszuschieben.
Die Preise in der Rückversicherung
stehen unter Druck, entsprechend
wächst der Anstoß zu Innovationen.
Wenn die Margen stimmen, lehnt sich
die Branche gern zurück und erntet die
Früchte, die man dann einfahren kann.
B
Lohnt sich der Aufwand wirklich, den Sie betreiben? Gewiss,
Sie haben in Ihren Rechnern
die Daten von 36.000 Naturkatastrophen gespeichert, aber
Sie wissen trotzdem nicht, wo der
nächste Tornado die höchsten
Schäden anrichtet.
Wir waren die Ersten, die sich systematisch mit den wirtschaftlichen
Folgen des Klimawandels beschäftigt
haben. Auch heute betreiben wir noch
gezielte Grundlagenforschung, zurzeit
etwa zu Veränderungen der Schäden
bei Gewittern. Hier profitieren wir
von unserem Wissensvorsprung. So
übernehmen wir im Bereich der Naturkatastrophen sehr hohe Risiken
und müssen uns dabei nicht auf die
Modelle anderer verlassen. Das ist ein
klarer Wettbewerbsvorteil. Wenn wir
diese außergewöhnliche Sachkunde
auf diesem Gebiet nicht hätten, wäre
die Höhe der Risiken, die wir schultern, nicht vertretbar. Bedenken Sie:
Das ist unser Kerngeschäft.
Sie können zwar einen tropischen
B
Sturm nicht vorhersagen, versu-
chen aber, die Wahrscheinlichkeit
seines Auftretens zu berechnen?
Ja, so ist es. Und wir kalkulieren Ereignisse ein, die vielleicht nur alle
10.000 Jahre eintreffen. Auch die
muss ein Rückversicherer finanziell
bewältigen können.
B
Dann müssen Sie doch wunderbar ein Atomkraftwerk versichern können: Auch dort sagt
man ja, ein GAU ereigne sich nur
alle 30.000 Jahre.
Es gibt weltweit Versicherungs-Pools
für Kernkraftwerke, die Assekuranz
deckt also durchaus Risiken in Höhe
von mehreren Milliarden Euro ab. Und
die Summen, die wir ins Feuer stellen,
steigen weiter. Aber einen GAU wie in
Tschernobyl können wir niemals vollständig versichern, weil das kumulierte Risiko zu groß ist. Wenn Radioaktivität in großem Ausmaß austritt, geht
es ja keineswegs nur um die Anlage
selbst, sondern um alle Menschen und
alle Unternehmen im Umkreis von
vielen Kilometern. Irgendeine Obergrenze für unsere Haftung muss es
also geben.
B
Nach den Ereignissen von Tschernobyl und vor allem Fukushima
wissen Sie jetzt doch, welche
Auswirkungen ein großer Reaktorunfall hat. Sie können das also
besser berechnen.
Ja, das stimmt. So zynisch das vielleicht auf den ersten Blick klingt: Jeder Schaden hilft uns, Risiken besser
zu verstehen. Wir sind deshalb auch
stark involviert, wenn es um eine
Verbesserung der Schadenverhütung
geht. Auch aus Fukushima wurden
viele Lehren gezogen. Ein vergleichsweise einfaches Beispiel war hier die
Erkenntnis, dass ein Notstromdiesel
besser geschützt werden muss.
Und für den Rückbau der deutB
schen Atomkraftwerke…
…bieten wir auch ein Deckungskonzept an. Bis zum Abtransport der
Brennstäbe greift die Pool-Lösung, danach können wir als Rückversicherer
direkt ins Geschäft kommen.
Die Deckung für Bauprojekte ist
B
für Sie nichts Neues?
Nein, wir bieten inzwischen sogar
eine „Project Cost Insurance“ an, mit
der Sie sich gegen Kostensteigerungen während der Bauphase versichern
können.
B
Ach, hätte Klaus Wowereit den
Berliner Flughafen doch bloß bei
Ihnen gegen steigende Baukosten
versichert!
Da bin ich mir nicht sicher, ob er von
uns eine Deckung bekommen hätte.
B
Haben Sie etwa Vorbehalte gegen
Berliner Lokalpolitiker?
Nein, überhaupt nicht. Aber wer
eine solche Versicherung mit uns abschließt, muss damit leben, dass wir
uns ganz tief in das Projektmanagement einmischen. Und dazu fehlt bei
staatlichen Bauherren leider oft die
Bereitschaft. Zudem erfordert unser
Produkt eine virtuelle Detailplanung in
einer Tiefe, die für so ein Großprojekt
bislang vor Baubeginn nicht vorlag.
B
Aber im Allgemeinen…
…tasten wir uns an solche großen Bauprojekte heran.
B
Ändert sich dadurch nicht grundsätzlich Ihre Rolle als Versicherer?
Bei solchen Projektversicherungen, beispielsweise auch bei großen Ingenieurvorhaben, bleiben wir in der Tat ständig
vor Ort. Anders geht es gar nicht. Wir
warten gewiss nicht fern am Schreibtisch, ob etwas passiert oder nicht.
B
Auf diese Weise wird ein Versicherer zum Mitunternehmer.
Wir nähern uns in der Tat dem Bereich unternehmerischer Risiken.
Und das auf ganz vielen Gebieten,
keineswegs nur bei der Versicherung
von Bauprojekten.
B
Zum Beispiel?
Wir bieten zum Beispiel Deckungen
für Produktgarantien an, obwohl das
eigentlich ein Kernbereich unternehmerischer Tätigkeit ist. So versichern
wir nicht nur Herstellergarantien etwa
bei Solarmodulen, sondern sogar die
gesamte Performance von Solarparks.
Bleibt diese unter den Erwartungen,
zahlen wir, selbst wenn es nur an zu
wenig Sonnenschein liegt. Auch die
Reputationsrisiken von Unternehmen
sind für uns ein Thema.
Die Einführung von etwas Neuem
in der Industrie verläuft häufig
so: Man hat eine zündende Idee
und geht voll ins Risiko. Bei einem
Versicherer…
…funktioniert das nicht ganz nach
diesem Muster. Aber wir warten mit
innovativen Angeboten auch nicht
mehr wie früher, bis es eine umfassende Statistik gibt und wir alles in Ruhe
auf der Basis reichhaltiger Daten berechnen können. Wir arbeiten stattdessen mit Simulationen und Modellen, versuchen vorauszudenken. Dabei
fangen wir in der Regel mit kleineren
Deckungssummen an, sammeln Erfahrungen mit ersten Schäden und weiten
die Deckung dann aus.
B
Offenbar entwickelt man eine
Déformation professionelle und
weicht jedem größeren Risiko
aus, wenn man wie Sie seit Jahrzehnten bei einem Versicherer
arbeitet.
Natürlich bewegen uns die menschlichen Tragödien hinter den Ereignissen, aber wir müssen bei der Analyse
der Schäden und Risiken professionell
vorgehen. „Risiko“ ist unser Geschäft
– uns geht es nicht darum, Risiken zu
vermeiden, sondern sie unseren Kunden, wo immer möglich, zu einem adäquaten Preis abzunehmen.
B
Und privat? Kann man bei einer
Rückversicherung arbeiten und
sich in der Freizeit als Fallschirmspringer betätigen?
Durchaus. Wenn Sie glauben, bei Munich Re arbeiten nur Leute, die sich
mit Hosenträgern und Gürtel doppelt
absichern, dann liegen Sie falsch. Als
Unternehmen sind wir sehr diszipliniert und beispielsweise konservativ
bei unserer Kapitalanlage. Aber ich
kenne eine Reihe von Mitarbeitern, die
bei ihrer privaten Geldanlage deutlich
risikobereiter sind.
B
Ist die Münchner Rück selbst noch
ein gutes Investment?
Aber sicher.
B
Ihr berühmtester Großaktionär
Warren Buffett behauptet: Die
Aussichten der Branche haben
sich massiv verschlechtert.
B
FEINGEIST
UNTER
FINANZERN
Beim größten
Rückversicherer der Welt
führt der Chef
mit fünf Prozent Ironie.
NIKOLAUS VON BOMHARD
(59) kennt seit 1985 nichts anderes
als die Munich Re (ehedem besser
bekannt als Münchener Rück).
Der promovierte Jurist brachte es in
dieser Zeit vom Edelpraktikanten bis zum
Vorstandschef. Seit über elf Jahren
führt der Mann aus Gunzenhausen seine
43.000 Mitarbeiter mit der seltenen
Gabe der feinen Selbstironie und mit
intellektuellem Tiefgang. Der größte
Rückversicherer der Welt arbeitet höchst
profitabel (Konzernergebnis 2014:
knapp 3,2 Milliarden Euro). Nur bei seiner
Endversicherertochter Ergo sorgten
frei verfügbare Budapester Bordelldamen
bei einer Vertriebsfeier für einen
Skandal. Nun soll der bisherige AllianzMann Markus Rieß (49) dort aufräumen.
Trotzdem behält Warren Buffett unsere Aktien und seine eigene Aktivität als
Rückversicherer. Er ist erfahren genug,
um zu wissen: Zyklische Bewegungen
gehören zum Geschäft der Rückversicherer, ebenso eine dem Preisniveau
entsprechende Zeichnungspolitik; so
geben wir derzeit einige Geschäfte auf.
Andererseits müssen wir nun wirklich
nicht befürchten, dass der Welt die
Risiken und damit uns die Geschäftschancen ausgehen. Zudem schütten
wir Jahr für Jahr eine sehr attraktive
Dividende aus. Unsere Dividendenrendite gehört zu den besten im DAX
und die letzte Dividendenkürzung
liegt über 45 Jahre zurück, das überzeugt unsere Investoren – auch Warren Buffett.
B
Aber verändert sich die Branche nicht strukturell, weil viele
Konzerne ihre Risiken direkt
am Kapitalmarkt unterbringen
– etwa mit sogenannten Katastrophenbonds?
Ja, die Finanzierung von Risiken verändert sich. Viele Hedge-Fonds und
Vermögensverwalter suchen Versicherungsrisiken als Anlageobjekt.
B
Dann halten Sie nicht für eine
kurzfristige Mode, dass HedgeFonds in Ihr Geschäft drängen?
Einige Akteure bleiben auf längere
Sicht in diesem Markt, damit können
wir leben. Wir begeben ja selbst auch
Katastrophenbonds, wir kaufen sie
und strukturieren sie auch für andere.
Dadurch wird in unserem klassischen
Geschäft natürlich auch Kapazität verdrängt. Die einzige Antwort darauf kann
nur sein, neue Geschäfte zu entwickeln.
B
Übernehmen jetzt nicht wieder Leute Risiken, die sie gar
nicht verstehen – so wie vor der
Finanzkrise, als man Hypothekendarlehen für Kreditnehmer
mit schlechter Bonität verteilte?
Das ist zu befürchten. Und diese Spieler können viele Jahre Glück haben,
so merkt man gar nicht, dass sie die
Risiken falsch berechnet und gepreist
haben. In der Assekuranz setzen wir
jedoch nicht auf Glück, sondern auf
Wissen und Erfahrung.
U
UNTERNEHMEN / MÄRKTE
GALA DER GEWINNER
Wer schreibt den besten Geschäftsbericht, wer informiert seine Aktionäre gut
und ausführlich? BILANZ feierte den Sieger: die Deutsche Telekom.
28
Deutschlands renommiertester Wettbewerb für Finanzkommunikation,
„Der beste Geschäftsbericht“, zelebrierte seine glanzvolle Rückkehr am
Finanzplatz Frankfurt. Rund 100 Gäste aus Wirtschaft und Medien feierten
im Ludwig-Erhard-Saal der Industrieund Handelskammer am Börsenplatz
die Gewinner – allen voran den Gesamtsieger Deutsche Telekom.
Zur Neuauflage des Wettbewerbs
haben der Bilanzierungsexperte Jörg
Baetge und sein Analyseteam von der
Universität Münster die Bewertungsprinzipien überarbeitet, mehr noch:
Sie haben den Wettbewerb auf seinen
Markenkern konzentriert. Analysiert
wird ausschließlich der Inhalt, und
zwar gründlich. Jeden Geschäftsbericht aus Dax und M-Dax sowie die gemessen am Börsenwert zehn größten
So sehen Sieger aus: Videobotschaft
von Telekom-Chef Tim Hoettges
an die Gäste der BILANZ-Gala.
Unternehmen aus Tec-Dax und S-Dax
begutachten die Bilanzierungsprofis
anhand von 300 Kriterien.
Der Vorteil: Für die Unternehmen sind Methode und Abschneiden
transparent und klar nachvollziehbar
(www.wiwi.uni-muenster.de/baetge).
Der Wettbewerb, der von Evonik,
dem Aktionärsforum und der Deutschen Börse gefördert wurde, legt offen, welche Unternehmen ihre Aktionäre gut informieren, wer trickst oder
verschleiert.
Dass in der Finanzkommunikation
die inhaltliche Qualität vorrangig sein
muss, machte auch Gregor Pottmeyer,
Finanzvorstand der Deutschen Börse,
in seiner Eröffnungsansprache deutlich. Mehrbändige Reports mit zum
Teil mehr als 500 Seiten dienten eher
der Absicherung der Unternehmen
als der Information der Anleger. Allerdings machten es Regulierungsauflagen den Unternehmen häufig auch
schwer, schlankere Geschäftsberichte
zu erstellen.
Über welche Zugkraft der Wettbewerb in der Finanzwelt verfügt, verdeutlichte die Video-Zuschaltung von
Telekom-Chef Tim Hoettges. Hoettges, früherer Finanzchef des Telekommunikationskonzerns, hatte einst die
Devise ausgegeben, den Preis für den
besten Geschäftsbericht zu gewinnen.
Jetzt hat er es geschafft. Aber auch im
kommenden Jahr will er wieder um die
Siegerurkunde kämpfen.
U
BILANZ / OKTOBER / 2015
29
Szenen einer Feier: Deutsche-Börse-Finanzvorstand Pottmeyer (l.o.), Tec-Dax-Sieger
Park und Zinnhardt von der
Software AG, Geschäftsberichte-Tester Baetge.
BILANZ-Chefredakteur Boldt, Moderatorin Pawlu
mit M-Dax-Sieger Wiedenfels (P7S1). Gäste (v.r.):
Christian Rummel (Deutsche Bank), Jan Bayer
(Axel Springer), Stephanie Caspar (Welt/N24).
DIE GEWINNER
DAX
M-DAX
TEC-DAX
S-DAX
1
Deutsche Telekom 74,81 *
1
Pro 7 Sat 1
73,33
1
HHLA
53,78
1
Software AG
2
Adidas
71,15
2
DMG Mori Seiki 70,53
2
Wacker Neuson 52,06
2
United Internet 48,49
3
Infineon
65,45
3
Wacker Chemie 69,01
3
Puma
3
Freenet
* VON 100 ERREICHBAREN PUNKTEN
FOTOS: JAN HAAS/BILANZ/PICTURE ALLIANCE
48,69
48,99
48,16
UNTERNEHMEN / MÄRKTE
30
AUFTAKT
IM DUETT
Gemeinsam sollen Dirigent KENT NAGANO und Intendant GEORGES DELNON
die bräsige Hamburgische Staatsoper wieder an die Weltspitze führen.
Text / SOPHIE CROCOLL
und STEPHAN KNIEPS
Fotos
ANATOL KOTTE
BILANZ / OKTOBER / 2015
31
32
BILANZ / OKTOBER / 2015
G
eorges Delnon (57) unterbricht uns: „Aber,
Entschuldigung: Ich
darf das sagen – dass
Kent das nicht sagt, ist ja
klar –, was unglaublich toll ist: Kent
ist ein worker. Es wird bei ihm immer
wieder geübt. Und trotzdem vermittelt er eine intellektuelle und spirituelle Dimension in der Musik. Das merken die Musiker!“
Delnon ist jetzt in Fahrt: „Es gibt
zwischen uns nicht diesen Druck:
Ich muss meine Ideen durchsetzen.
Für mich ist ganz wichtig, dass ich
mit Kent bis jetzt…“ – und hier beugt
sich Delnon vor, der auf einem roten
Ledersofa in der sogenannten StifterLounge, einem Gesellschaftsraum
der Hamburger Staatsoper, sitzt, und
klopft mit den Fingerknöcheln auf das
Parkett – „…also dass wir ein unglaublich entspanntes Verhältnis haben, wie
wir mit dem anderen umgehen. Und
das macht wirklich Freude.“
Da regt sich auch Kent Nagano
(63), der Gelobte, der bis dahin aus
den bodentiefen Fenstern auf die grauen Büroblöcke gegenüber der Oper geschaut hatte. Er blickt zu Delnon, der
neben ihm auf dem Sofa sitzt, klopft
flink ebenfalls auf den Fußboden,
streicht sich die melierte Mähne aus
der Stirn und sagt in freundlichem
Denglisch: „Unser Fundament ist, dass
wir eine overlapping esthetics haben.
Ich vertraue Delnon einfach.“
Kent Nagano, Kalifornier, Enkel japanischer Einwanderer, Surfer,
Bach-Bewunderer, Präzisionsdirigent
und „Pult-Figur“ („Taz“), einer der
ganz Großen in der Musikwelt – und
Georges Delnon, in Bern aufgewachsener Zürcher, FC-Basel-DauerkartenBesitzer, Opernbegünstiger und Entrümpelungsintendant…
Im September haben die beiden
ihren Dienst in Hamburg angetreten: Sie sollen die Staatsoper, die bei
Feuilletonisten und Musikkritikern
aller Schattierungen zuletzt kaum
noch Beachtung fand oder wenn,
dann als „bräsig“ („Zeit“) geächtet
wurde, dorthin führen, wo sie vor über
300 Jahren schon stand, als ein Georg
Friedrich Händel hier als Geiger und
Cembalist beschäftigt war und das
Haus zu den angesehensten Bühnen
Europas gehörte. Auch mit dem Rang
eines „Opernhauses des Jahres“, den
das Magazin „Opernwelt“ den Hamburgern 2005 zuerkannte, wären die
beiden Neuen durchaus zufrieden.
Ob ihnen das gelingen wird? Eines ist gewiss: Ein Spaziergang wird
es nicht. Die verabschiedete Opernchefin Simone Young (54) war nicht
gerade vom Glück verwöhnt und hat
eine Bühne hinterlassen, die einen
gewissermaßen unentschiedenen Eindruck hinterlässt.
Nagano ist ein schmaler, vielleicht
einen Meter siebzig großer, fast asketisch wirkender Mann. Von 2006 bis
2013 war er Generalmusikdirektor
der Bayerischen Staatsoper in München, vom Publikum verehrt, von der
Kritik geschätzt: Seine „großen und
beglückenden Aufführungen“ hätten
„erfrischend und befreiend für München“ gewirkt, flötete die „SZ“ zum
Abschied: „Die Gewinner werden die
Hamburger sein.“
Aus München ist Nagano sicherlich
nicht ganz freiwillig fortgezogen, auch
wenn es am Ende wohl eine Befreiung
war. Zwei Jahre lang hatte er die alleinige Verantwortung für die Münchner
Oper gehabt, die immer ein traditionsfestes Repertoirehaus gewesen war
mit Belcanto und all den Italienern.
Mit dem neuen Intendanten Nikolaus Bachler (64), einem Österreicher, kam der kühle Strukturalist
Nagano freilich nie zurecht. Bachler
wollte Mozart, Nagano die Moderne:
Unsuk Chin, Peter Eötvös oder Jörg
Widmann. Am Ende passte es nicht
mehr.
Wolfgang Heubisch (69), ehedem bayerischer Kultur- und Wissenschaftsminister und an Naganos
Weggang nicht unbeteiligt, weiß heute
nur Vorteilhaftes über den Amerikaner
zu berichten: „Nagano ist ein toller
Mensch. Er hat einen Sensor für außergewöhnliche Dinge und ist sicher
auch ein guter Manager.“
Der Impresario und sein Direktor:
Delnon (links) und Nagano hinter
den Kulissen der Hamburger Oper.
Nagano nimmt seine Brille vom Tisch,
setzt sie auf, schaut Delnon an und
sagt: „Das Gute daran, mit Georges
Delnon zu arbeiten, ist: Ich kann einfach über Musik nachdenken.“ Delnon
erwidert seinen Blick und lacht. Findet
er auch.
Die beiden teilen sich die Führung
des Opernbetriebs, der eine ist für die
Kunst, der andere für die Kasse zuständig: Nagano als Chefdirigent des
Philharmonischen Staatsorchesters
und Generalmusikdirektor, Delnon als
Intendant und kaufmännischer Leiter.
Ihre Amtssprache ist Französisch.
Es ist ein Neuanfang für den einen
wie für den anderen: Obwohl Delnon
selbstbewusst genug ist, es nicht zuzugeben, bedeutet Hamburg einen beruflichen Aufstieg für ihn, selbst wenn
das Haus nicht mehr über das Renommee vergangener Tage verfügt.
Bei Nagano, der alle großen Orchester der Welt dirigiert hat und seit
vielen Jahren das Orchestre symphonique de Montréal leitet und Göteborgs Symfoniker berät, liegen die
Dinge anders. Er sucht, was man eine
Herausforderung nennt und ihm alle
Reize des Neuen und der Abwechslung
bietet. Ob Hamburg ein Karriereschritt
für ihn ist, wird man in fünf Jahren sehen, wenn sein Vertrag ausläuft.
Seine Premiere in der Stadt feierte
Nagano am Abend des 13. Septembers
in der Kirche St. Michaelis, dem barocken, backsteinernen Wahrzeichen
Hamburgs. Er hatte den Pianisten
Menahem Pressler eingeladen, ein
Männchen von 91 Jahren mit flinken
Fingern, das an mancher Stelle Mozarts 27. Klavierkonzert völlig anders
gespielt habe als in der Probe, erzählt
Nagano. Er grinst. So etwas gehört dazu: Künstler eben!
Eine Woche später brachten „Delnon-Nagano“ (Nagano) Hector Berlioz’ Oper „Les Troyens“ zur Aufführung
und zur Übertragung auf Großleinwand am Jungfernstieg, wenige Hundert Meter von der Staatsoper entfernt
– ein Spektakel, „ein Dialog mit der
Stadt“ (Delnon). Die Kritiken waren
durchwachsen: Während die „Welt“
33
UNTERNEHMEN / MÄRKTE
34
bei der Inszenierung „noch einige
philharmonische Luft nach oben“ zu
erkennen glaubte, hatte die „SZ“ den
„Beginn der Oper“ als „zu hektisch“
beklagt, aber dennoch einen „guten
Gesamteindruck“ gewonnen. Der
„FAZ“-Rezensent erlebte gar „glückhafte Momente“.
Die Erwartungen, die Nagano beim
anspruchsvollen hanseatischen Publikum weckt, sind groß. Der Amerikaner
steht in dem Ruf, jedes Orchester in
ein Spitzen- und Meister-Ensemble
verwandeln zu können. Doch auch in
ihm schlägt nur das Herz eines empfindsamen Künstlers. Er ist ein höflicher und blitzgescheiter Mann, aber
„sehr zurückhaltend“ in seiner Art und
„anfangs unnahbar“, wie die Journalistin Inge Kloepfer sagt, die gemeinsam
mit Nagano ein Buch („Erwarten Sie
Wunder!“) verfasst hat.
Der Druck hoher Erwartungen ist
Nagano nicht unbekannt. Die erste
Berührung mit der Musik hatte er mit
vier Jahren, als ihn seine Mutter Ruth
ans Klavier setzte; mit sechs lernte
er Orchesterspiel und Musiktheorie;
mit acht dirigierte er den Kinderchor
seiner presbyterianischen Gemeinde
in Morro Bay, einem Fischerdorf zwischen San Francisco und Los Angeles.
Druck ist nichts, was ihn ängstigt,
natürlich nicht – aber er macht sich
einen Spaß daraus, so zu tun, als habe er unsere Frage nicht verstanden:
Ob eben jener Druck, Hamburg an die
Weltspitze zurückzuführen, gemeinsam mit Delnon, nicht schwer auf ihm
laste? „Waaas?“, fragt er zurück.
Dann schließt er die Augen erst
einmal, stützt die Schläfe auf die Finger und sagt einen langen Augenblick
gar nichts – „…ich habe in diesem Haus
so viel Potenzial gefunden. Es ist beeindrucksvoll. Das war der Grund, weshalb
ich hierhergekommen bin. Die Talente
sind da. Nur, Talent ohne Ambition,
ohne Hunger ist nichts. Nun kommen
alle zusammen und zeigen den großen
Willen, jetzt nach vorne zu gehen“.
Mit seinem Orchester in Montréal
ist Nagano etwas gelungen, das auch
dem Hamburger Betrieb gut zu Gesicht
stünde: dass bei stabilem Budget mehr
und vor allem mehr jüngere Menschen
zu den Aufführungen kommen. Die
Schulden, die auf dem Haus lasteten,
konnte er kräftig abbauen, nicht zuletzt dank einer ganzen Reihe außergewöhnlicher Inszenierungen. So ließ er
etwa Richard Strauss’ „Heldenleben“
in einem Eisstadion aufführen. „Ganz
klar, wenn die nächste Generation
nicht denkt, dass das Opernhaus auch
ihr Haus ist, haben wir unsere Kunst
nicht verdient, haben wir unseren Job
nicht gemacht.“
Er hoffe, dass in einigen Jahren die
Menschen darüber sprechen, „dass wir
es in Hamburg anders als in allen anderen Städten machen“ und „dass man
eine größere flexibility, auch Leichtigkeit und Lust in den Köpfen der Menschen erreicht“. Worauf er auffordernd
zu Delnon blickt. Sie nennen es „Pingpong“, wie sie miteinander umgehen.
Delnon, der etwa so groß wie Nagano ist, aber vielleicht eineinhalb
mal so breit, sagt: „Man hat von der
Staatsoper Hamburg zu Liebermanns
GROSSE OPERN
BAYER. STAATSOPER, MÜNCHEN
Kirill Petrenko* – 34,7 Mio. Euro**
SEMPEROPER, DRESDEN
Christian Thielemann – 20,2 Mio. Euro
HAMBURGISCHE STAATSOPER
Kent Nagano – 18,5 Mio. Euro
STAATSOPER BERLIN
Daniel Barenboim – 14,3 Mio. Euro
DEUTSCHE OPER BERLIN
Donald Runnicles – 13,7 Mio. Euro
* KÜNSTLERISCHER LEITER
** EINNAHMEN AUS DER SPIELZEIT 2013/14
QUELLEN: DT. BÜHNENVEREIN, SEMPEROPER
FOTO: PETER SYLENT/ULLSTEIN
Zeiten gesagt, es sei das mutigste
Opernhaus der Welt. Wenn man das
in Zukunft wieder sagen würde, würde mir das natürlich nicht missfallen.“
Und er fügt hinzu: „Mit Sicherheit
wollen wir auch mit Paris oder London
durchaus mithalten.“
Das kann der Hamburger Kultursenatorin Barbara Kisseler (66) nur recht
sein. Die Staatsoper trägt nicht einmal
ein Viertel ihrer Kosten selbst. Gewiss,
im Vergleich zu anderen Häusern ähnlicher Größe ist das ein guter Wert,
und auch bei den Einnahmen liegt die
Hamburgische Staatsoper bundesweit
auf Rang drei. Dennoch ist für 2015
wieder Verlust fest veranschlagt, dieses
Mal in Höhe von 54,3 Millionen Euro.
Delnon sieht nicht so aus, als würden ihm die Zahlen schlaflose Nächte bereiten: „Selbstverständlich versucht ein Haus, seine eigene Leistung
zu maximieren und mehr Einnahmen
zu generieren. Es gibt aber Grenzen,
die kann man nie übersteigen. Zum
Beispiel ist der Auftrag, jüngere Menschen an die Oper zu bringen, genauso
wichtig wie Geldverdienen. Ich finde
schon, dass der Staat die Pflicht hat,
uns zu finanzieren.“
Dem wachsenden Einfluss der „kapitalmarktgetriebenen und renditeorientierten Wirtschaft“ aufs Musikleben
steht Nagano kritisch gegenüber. Das
Operngeschäft ist diffizil: „Die reflexes
zu sagen: Das hat gut in London oder
in New York funktioniert, das bringen
wir hierher – das ist Globalisierungsdenken. Es ist gefährlich, zu unterschätzen, wie kompliziert das ist.“
Und so bewegen wir den sanften
Amerikaner am Ende zu einem mezzoforte, als wir ihn fragen, ob man die
Entscheidung, welche Opernhäuser
und Ensembles die besseren seien und
sich durchsetzen sollen, nicht dem
Markt überlassen sollte.
„Wie definiert man besser?“, fragt
er, beugt sich vor und erzählt, wie er
in Las Vegas das Orchester des Cirque
du Soleil gesehen und gehört habe. Die
Truppe sei gewiss hochbegabt. Aber
wie man „Parsifal“ spielt, nein, davon
verstünde sie nichts.
U
ICH REISE,
ALSO BIN
ICH
… GENUSSFREUDIG
… G LÜ C K L I C H
… G E S PA N N T
CUBA
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WOLFGANG
FIEREK
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Vista Social Club.
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Kalifornien, den Südwesten der USA mit
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oder jenseits der klassischen Routen durch
New Mexiko. Begleitet und geführt durch
Wolfgang und Djamila Fierek.
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Niagara Falls und Oak Hammock Marsh
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UNTERNEHMEN / MÄRKTE
36
PROLOG
Das Jahr 2015 geht als besonders
düsteres Kapitel in die Annalen von
Volkswagen ein: Erst drängten der
langjährige Konzernchef Martin Winterkorn (68) und Wolfgang Porsche
(72) nach einem beispiellosen Machtkampf VW-Patriarch Ferdinand Piëch
(78) aus dem Kontrollgremium. Dann
erschütterte der Skandal um manipulierte Schadstoff-Software den größten
deutschen Automobilkonzern (mehr
als 200 Milliarden Euro Umsatz,
600.000 Mitarbeiter). Winterkorn
musste zurücktreten, die weiteren Folgen sind noch unabsehbar, fest steht
nur: Es wird verdammt teuer.
Und diesen Monat erreicht die juristische Aufarbeitung der Übernahme
von Volkswagen durch Porsche ihren
Höhepunkt: Am 22. Oktober, Punkt
9 Uhr, eröffnet Frank Maurer, der Vorsitzende Richter der 13. Großen Strafkammer am Landgericht Stuttgart,
den Prozess gegen den einstigen Porsche-Primus Wendelin Wiedeking (63)
und dessen Finanzchef Holger Härter
(59). Die Anklage lautet auf „informationsgestützte Marktmanipulation“.
Die Staatsanwaltschaft will beweisen,
dass Wiedeking und Härter absichtlich
und gezielt den VW-Aktienkurs manipuliert haben.
Vor allem internationale Anleger
werden in den kommenden Wochen
und Monaten genau nach Stuttgart
schauen: Für sie geht es in dem Strafverfahren um nicht weniger als die
Glaubwürdigkeit des Finanzplatzes
Deutschland. Sie wollen wissen, ob
man hierzulande ungestraft Aktionäre hinters Licht führen darf bei einer
Übernahme, die man sich finanziell
sonst gar nicht hätte leisten können.
ERSTER AKT: DIE STUNDE
DER FINANZ-ALCHEMISTEN
Auch wenn manch einer immer noch
behauptet, der Versuch von Porsche,
VW zu übernehmen, sei gescheitert – ein Blick auf die Eigentümerstruktur offenbart das Gegenteil: Die
von den Familien Porsche und Piëch
kontrollierte Porsche SE hält heute
ES ROLLT
UND
ROLLT
UND
ROLLT…
Erst manipulierte
Abgasprogramme, jetzt
manipulierte Aktienkurse
bei der Übernahmeschlacht
VW/Porsche – die Justiz
hat Deutschlands
größten Automobilkonzern
fest im Griff.
Text / ARNO BALZER
WIEDEKING UND HÄRTER
treffen sich ab 22. Oktober,
immer donnerstags und freitags,
auf der Anklagebank.
50,73 Prozent der VW-Stammaktien.
Damit ist den Familien ein echter
Coup gelungen – der Peter Daniell
Porsche (41), den größten Einzelaktionär der Sippschaft, einst zu dem
Wortspiel animierte, die Maus wolle
den Elefanten schlucken.
Aber wie hat die Maus das geschafft? Als die Stuttgarter 2005 erste
Übernahme-Szenarien anstellten, hatte
Porsche gerade einmal drei Milliarden
Euro in der Kasse. Gewiss, viel Geld,
aber nicht annähernd genug für die
Finanzierung einer VW-Übernahme.
Bei einem regulären, sauberen Unternehmenskauf an der Börse ist zudem üblicherweise eine hohe Prämie
auf den Aktienkurs fällig. Das hätte
weitere Milliarden gekostet; Milliarden, die Porsche ebenfalls nicht hatte
– und die Banken nicht leihen wollten,
jedenfalls nicht ohne Zugriff auf die
Kasse von Volkswagen. Dieser Zugriff
war jedoch nur über einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag möglich. Zusätzlich erschwerte
das VW-Gesetz das Vorhaben: Es
macht für einen Beherrschungsvertrag eine 80-Prozent-Mehrheit zur
Bedingung; somit hätte allein schon
das Land Niedersachsen mit seinem
20-Prozent-Anteil einen Angriff abwehren können.
Porsche musste daher zweigleisig
fahren: einerseits das VW-Gesetz zu
Fall bringen und andererseits den Zugriff auf 75 Prozent der Stammaktien
sichern, die nach dem Aktiengesetz für
einen Zugriff auf die Kasse von VW erforderlich sind. Doch wie übernimmt
man ein Unternehmen, dessen Übernahme man sich eigentlich gar nicht
leisten kann?
Genau die richtige Herausforderung für den Porsche-Vorstand Holger Härter, dem man zu jener Zeit die
Fähigkeiten eines Finanz-Alchemisten
nachsagte, besonders wenn er mit den
Druiden von der Investmentbank Merrill Lynch operieren konnte, die schon
bei so mancher unorthodoxen Übernahme beratend zur Seite standen.
Heimlich entwickelte das Dreamteam eine gigantische Derivate-Ma-
BILANZ / OKTOBER / 2015
schine. Bei Derivaten handelt es sich,
vereinfacht gesagt, um Finanzinstrumente, bei denen man auf die Entwicklung verschiedener Basiswerte
setzen kann, wie etwa Aktienkurse.
Bei verhältnismäßig geringem Einsatz
sind die Gewinne hoch, aber auch die
möglichen Verluste. Das Geschäft ist
hochriskant.
Porsche erwarb über die Frankfurter Niederlassung der kanadischen
Kleinstbank Maple Call-Optionen, also das Recht, sich zu aktuellen Kursen
VW-Aktien für die Zukunft zu kaufen.
Der Clou: Porsche konnte sich günstige Kurse sichern und profitierte zugleich von Kurssteigerungen, die die
Absicherungskäufe der Großbanken,
aber auch die Bekanntgabe der eigenen Zukäufe auslösten. Von den Kursgewinnen konnte man dann weitere
Derivate oder Aktien kaufen.
Das Beste an dem Plan war: Er
schien zu funktionieren. So stieg der
VW-Kurs in den Jahren 2005 bis Herbst
2008 von rund 35 Euro auf etwa 400
Euro – ein gemessen an anderen Automobilaktien irrsinniger Kurs. Heute
kosten VW-Papiere rund 120 Euro.
Beim Anschleichen half Porsche
eine vermeintliche Gesetzeslücke. Da
ihre Kaufoptionen auf Barausgleich gerichtet waren, sah Porsche keine Veröffentlichungspflicht, jedenfalls nicht
nach den normalen Meldevorschriften.
Die Stuttgarter informierten nur, wenn
sie echte Aktien kauften und eine gesetzliche Meldeschwelle überschritten.
Eine nach den Sondervorschriften zum
Directors’ Dealing dem Wortlauf nach
bestehende Meldepflicht übersah man
geflissentlich. Dem Markt kommunizierte Porsche immer nur den gerade
aktuellen Schritt und dementierte
weitergehende Übernahmeabsichten,
obwohl die Stuttgarter sich mit Derivaten heimlich bereits den Zugriff auf
viel mehr VW-Aktien gesichert hatten.
alles wie geölt. Weil die Stuttgarter seit
2005 zwar intern an der Übernahme
gebastelt hatten, nach außen hin aber
immer wieder das Gegenteil beteuerten, lockte die anschwellende Volkswagen-Aktie zunehmend Investoren an,
die auf fallende Kurse setzten. Diese
Gegenkräfte offenbarten eine Konstruktionsschwäche von Porsches Derivate-Maschine: Bei fallenden Kursen
würde Finanzchef Härter erhebliche
Gelder nachschießen müssen. Denn
er hatte durch den heimlichen Verkauf von Verkaufsoptionen die Banken
gegen einen Kursverfall abgesichert.
Doch der Ernstfall trat im Oktober
2008 ein, und die VW-Aktie stürzte
regelrecht ab: von 400 auf 200 Euro.
Porsche erhielt von der Bank, mit der
es die Derivate-Geschäfte abgeschlossen hatte, immer wieder hohe Nachschussforderungen. Folge: Die Liquidität des Unternehmens schmolz, wie
die Staatsanwaltschaft später herausfand, innerhalb von drei Wochen von
4,2 Milliarden auf 326 Millionen Euro
am Freitag, dem 24. Oktober. Allein an
diesem Tag hatte Porsche zwischen
10.07 Uhr und 15.40 Uhr per E-Mail
von der Maple Bank Zahlungsaufforderungen über mehr als 900 Millionen
Euro erhalten. Obendrein verwandelte
der Kursverfall die Derivate-Positionen
in finanzwirtschaftlichen Giftmüll mit
Potenzial für Milliardenverluste.
Bei den meisten Managern hätte
diese Entwicklung wohl Panik aus-
WOLFGANG PORSCHE
muss damit rechnen,
beim Prozess in den Zeugenstand
gerufen zu werden.
ZWEITER AKT:
PLAN B
Solange der VW-Kurs stieg, befeuert
durch entsprechende Aktienkäufe und
Derivate-Geschäfte der Porsche SE, lief
FOTOS: PICTURE ALLIANCE (2)
gelöst, Angst vor einer drohenden
Zahlungsunfähigkeit. Doch Porsche
bestreitet energisch eine drohende
Insolvenz und verweist auf angebliche
gut zwei Milliarden Euro Liquidität
bei einer Tochterfirma. Dies aber, so
behaupten Kläger, stimme gar nicht.
Denn es habe sich dabei weitgehend
um Kreditlinien gehandelt, die Porsche nicht für den Ausgleich des ins
Minus gerutschten Derivate-Kontos
hätte verwenden dürfen.
Selbst wenn man Porsche glaubt:
Bei weiter fallenden Kursen hätten
diese zwei Milliarden kaum eine weitere Woche gereicht. Porsche hatte also
allen Grund, etwas zu unternehmen,
um den Kursverfall der VW-Aktie zu
stoppen und zu drehen. Aber was?
Am Sonnabendnachmittag des
25. Oktober rief Härter den Leiter der
Rechtsabteilung von Porsche an und erteilte ihm neue Order. Der Jurist solle
klären, ob eine Offenlegung von Porsches Kurssicherungsgeschäften, der
erworbenen VW-Aktienbestände sowie
der zugehörigen Optionen, rechtlich
zulässig sei. Anwälte der Kanzlei Freshfields, die mit dem Projekt bestens vertraut waren, sollten dabei helfen.
Bereits am Sonntagvormittag stand
der Entwurf einer Pressemitteilung, die
freilich noch sehr viel mehr offenlegte. Sie kündigte etwa an, dass Porsche
im Folgejahr 2009 die Beteiligung an
Volkswagen auf 75 Prozent aufstocken
wolle und einen Beherrschungsvertrag
über die Volkswagen AG anstrebe.
Dies hätte den Stuttgartern den
Zugriff auf die Wolfsburger Kassen
ermöglicht. Außerdem wolle man mit
der Pressemitteilung den Leerverkäufern – also Investoren, die auf fallende
VW-Kurse gesetzt hatten – Gelegenheit geben, ihre Positionen in Ruhe
aufzulösen. Insgesamt vermittelte der
Entwurf der Pressemitteilung den Eindruck, es bestünden für Porsches Ziele
auf dem Weg zur VW-Übernahme keine Hindernisse mehr.
Die Porsche-Rechtsabteilung erhielt den Entwurf erst am Sonntag. Für
die Prüfung blieben den Juristen nur
wenige Stunden. Angesichts der recht-
37
UNTERNEHMEN / MÄRKTE
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lichen Brisanz der einzelnen Themen
(Aufstockung auf 75 Prozent, Beherrschungsvertrag, Leerverkäufe) ein fast
fahrlässiges Vorgehen. Kam den Advokaten nicht in den Sinn, dass diese
Pressemitteilung die Märkte bewegen
würde? Hätte der Vorstand wegen der
Liquiditätsverluste in Milliardenhöhe
nicht besser zu einer Ad-hoc-Mitteilung gedrängt werden müssen?
Noch verwunderlicher ist, dass zu
den Prüfungsvorgängen weder in der
Rechtsabteilung noch bei Freshfields
eine schriftliche Dokumentation angefertigt worden sein soll. Ein Vorgang,
der angesichts des Haftungsrisikos für
die externen Rechtsberater nur schwer
nachvollziehbar und bei einem solchen Projekt außergewöhnlich ist. Zur
Frage, ob dies den Standards einer
angesehenen Londoner Law Firm entspreche, wollte Freshfields sich gegenüber BILANZ nicht äußern.
Nach einer Telefonkonferenz mit
den Anwälten stimmte Härter die
Pressemitteilung mit Wiedeking ab.
Der – so jedenfalls erinnerte sich der
damalige Chefjurist später bei einer
Anhörung vor dem Landgericht Hannover – wollte den Entwurf anschließend noch mit Aufsichtsrat Wolfgang
Porsche besprechen. Dann ging die
Pressemitteilung raus.
Als die Börse am Montag öffnete,
schoss die VW-Aktie wie ein Projektil
nach oben: von 200 Euro auf 471 Euro.
Am Dienstag setzte sich der Höhenflug
rasant fort. Für Härter und Porsche
hatte sich das Arbeitswochenende gelohnt: Dank des Kursanstiegs konnte
Porsche mit der Auflösung von Derivate-Positionen rund fünf Milliarden Euro an frischer Liquidität einnehmen.
ihre Position schließen mussten, waren daher gezwungen, am Markt zu nahezu jedem Preis zu kaufen, wenn sie
wenigstens ein paar der wenigen noch
freien VW-Aktien bekommen wollten,
um ihre Rückgabepflichten aus den
Leerverkäufen zu erfüllen. Die Folge:
Der Kurs der Volkswagen-Stammaktie schoss in der Woche nach dem
26. Oktober kurzfristig auf mehr als
1.000 Euro und machte Volkswagen
vorübergehend zum wertvollsten Unternehmen der Welt. Etliche Investoren, von kleinen Privatanlegern bis zum
internationalen Hedgefonds, verloren
durch den Short Squeeze Milliarden.
Pech gehabt? Verspekuliert? Börsenprofis witterten schnell Schlimmeres. Klaus Kaldemorgen, damals
Chef der Deutsche-Bank-Fondstochter
DWS und mehr für besonnene Analyse
als für unbeherrschte Wutausbrüche
bekannt, gab zu Protokoll: „Ich kritisiere heftig, dass ein Unternehmen
wie Porsche in unverantwortlicher
Art und Weise den VW-Kurs manipuliert.“ Christian Wulff, seinerzeit
niedersächsischer Ministerpräsident
und VW-Aufseher, bezeichnete in der
„Wirtschaftswoche“ das Verhalten von
Porsche gar als „kriminell“. Eine amerikanische Fondsgröße, weltweit engagiert, flüchtete sich in Zynismus: „Für
einen solchen Pump-and-Dump-Deal
wandert man in den USA in den Knast,
in Deutschland bekommt man offenbar eine Einladung ins Kanzleramt.“
HANS RICHTER
hat im Fall VW/Porsche jahrelang
ermittelt. Seine Klageschrift
verspricht einen Wirtschaftskrimi.
DRITTER AKT:
DIE OPFER WEHREN SICH
Mit der Pressemitteilung von Sonntag,
dem 26. Oktober 2008, hatte Porsche
ausgelöst, was im Finanzjargon Short
Squeeze heißt: eine Marktpanik, weil
die Menge der für Leerverkäufe an Investoren verliehenen Aktien jene, die
für den Handel noch verfügbar waren,
bei Weitem übertraf. Investoren, die
FOTO: PICTURE ALLIANCE
Geschädigte riefen nach Finanzaufsicht und Staatsanwaltschaft. Doch
beide taten sich zunächst schwer. Die
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) stellte ein Verfahren nach einigen Monaten ein, aus
Mangel an Anhaltspunkten für Marktmanipulation. Erst nachdem Anwälte
geschädigter Hedgefonds in langen
Schriftsätzen Porsches Praktiken erklärten, schöpfte die Bafin einen Anfangsverdacht und übergab die Akten
der Staatsanwaltschaft Frankfurt.
Doch die hessischen Ankläger fielen monatelang nicht durch Eifer auf.
Als dann der Stuttgarter Staatsanwalt
Hans Richter Ermittlungen gegen Porsche wegen möglicher Marktmanipulation aufnahm, schoben die Frankfurter die Akten eilig nach Schwaben.
Hans Richter ermittelte tatsächlich, es kam zu Hausdurchsuchungen
bei Wiedeking und Härter. Doch dann
zogen sich die Dinge hin zum Erstaunen auch internationaler Beobachter:
Nahm womöglich die Politik Einfluss
zugunsten der neuen Eigentümer?
VIERTER AKT:
DER RECHTSSTAAT ERREICHT
DEN KAPITALMARKT
Im Dezember 2012 erhob die Staatsanwaltschaft schließlich doch Anklage gegen Wiedeking und Härter.
Ihr Hauptvorwurf: Porsche habe die
Märkte zu spät über die wahre Absicht
zur vollständigen Übernahme informiert und in fünf öffentlichen Erklärungen von März bis zum 2. Oktober
2008 über ihre Pläne getäuscht. Kurz,
Porsche habe den Markt für VW-Aktien manipuliert. Die Pressemitteilung vom 26. Oktober 2008 ließen
die Staatsanwälte erstaunlicherweise
unberücksichtigt und stellten die Ermittlungen dazu vorläufig ein.
Wiedeking und sein Verteidiger
Hans Feigen waren auf diese eher beschränkte Anklage offenbar vorbereitet. Etliche, für Wiedeking entlastende
Argumente fanden schnell in die Medien: Die formale Beschlussfassung für
die vollständige Übernahme sei erst
nach dem 2. Oktober 2008 erfolgt.
Und die Anwaltskanzlei Freshfields
habe befunden, dass keine Pflicht bestanden habe, die Derivate-Positionen
offenzulegen. Aber selbst, wenn Freshfields sich geirrt haben sollte: Ein Vorstand müsse sich doch auf die hoch bezahlten Advokaten verlassen können.
Das Landgericht Stuttgart nahm
sich mit seiner Prüfung fast anderthalb Jahre Zeit und ließ die Anklage
dann doch nicht zu. Die Erleichterung
bei Wiedeking und Härter hielt freilich
nicht lange an. Wenige Monate später, im Sommer 2014, akzeptierte das
Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart
die Anklage doch.
Die Entscheidung des OLG enthüllte Details, die darauf hindeuten,
dass Porsche über längere Zeit eine
von Freshfields entworfene Kommunikationsstrategie mit dem Ziel der
Verschleierung der wahren Absichten
genutzt haben könnte. Erstmals wurde auch das Wirken der sogenannten
Pfinztalrunde bekannt, einer verschworenen Männerrunde, die die Übernahme von langer Hand vorbereitet hatte.
Doch für Härter und Wiedeking
sollte es noch schlimmer kommen.
Kurz vor Beginn des für Ende Juli 2015
angesetzten Strafprozesses erhob die
Staatsanwaltschaft Nachtragsanklage,
diesmal wegen der Pressemitteilung
vom 26. Oktober 2008, die den Short
Squeeze ausgelöst hatte.
Wiedekings Anwalt Feigen tobte
und warf der Staatsanwaltschaft vor,
sich von Leerverkäufern, die sich, so
Feigen und seine Kollegen, verzockt
hätten, „instrumentalisieren“ zu lassen. Das Landgericht Stuttgart ließ
die Nachtragsanklage nach kurzer Prüfung zu und verschob den Prozessbeginn auf den 22. Oktober 2015, damit
Anklage und Nachtragsanklage gemeinsam verhandelt werden können.
Die Staatsanwaltschaft wirft darin
Wiedeking und Härter vor, die Börse
am 26. Oktober 2008 durch das gezielte Herbeiführen eines Short Squeeze
mithilfe einer falschen und irreführenden Pressemitteilung manipuliert zu
haben. Diesen Vorwurf hatten zuvor
bereits die Hedgefonds Perry Capital
und D.E. Shaw erhoben, deren Klage das Landgericht Hannover für
schlüssig hielt. Die Beweisaufnahme dort macht derzeit Pause, um zu
klären, welche Mitglieder des Porsche-Aufsichtsrats ihre Aussage wegen der Gefahr drohender eigener
Strafverfolgung verweigern dürfen.
FÜNFTER AKT:
DIE GROSSE STRAFKAMMER
HAT DAS WORT
Für die Klärung der Causa hat die
13. Große Wirtschaftsstrafkammer
am LG Stuttgart bisher 25 Fortsetzungstermine angesetzt, bis zum
26. Februar 2016, immer donnerstags und freitags um 9 Uhr morgens.
Bereits der Prozessauftakt verspricht die Spannung eines Wirtschaftskrimis, wenn die Anklageschrift verlesen wird. Die Staatsanwaltschaft wird wohl argumentieren, dass Porsche finanziell gar nicht
mehr in der Lage war, 75 Prozent an
Volkswagen zu übernehmen, als die
umstrittene Pressemitteilung veröffentlicht wurde. Die Ermittler haben
minutiös rekonstruiert, wie Wiedeking, Härter & Co. in den Tagen vor
dem 26. Oktober binnen kurzer Zeit
die Liquidität ausging, als Folge der
komplizierten Derivate-Konstruktion, mit deren Hilfe Porsche die
Übernahme von Volkswagen bezahlen wollte.
Die Verteidiger werden die Vorwürfe bestreiten. Sie könnten vielleicht ja argumentieren, Wiedeking
und Härter hätten in Notwehr gegen die Leerverkäufer gehandelt.
Aber ob das Gericht das für glaubwürdig hält?
Aufschluss dürfte dann die Zeugenbefragung bringen. Dabei müssen alle Befragten, wie stets vor
Gericht, die Wahrheit sagen. Von
Schummelversuchen ist aber aus
einem weiteren Grund dringend
abzuraten: Frank Maurer, der Vorsitzende Richter der Strafkammer,
beschäftigt sich seit Jahren wissenschaftlich mit dem Thema Glaubhaftigkeitsanalyse.
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UNTERNEHMEN / MÄRKTE
Foto / JAN RIEPHOFF FÜR BILANZ
40
RUPERT STADLER Der Chef
von Audi hat lieber die Hände frei.
BILANZ / OKTOBER / 2015
FREIHÄNDIG
FAHREN
Text / MARK C. SCHNEIDER
Illustrationen / KATHARINA GSCHWENDTNER
Aus der Kutsche wurde das Auto. Jetzt arbeiten Hersteller, Zulieferer und
IT-Unternehmen am nächsten großen Ding: dem Robotermobil.
W
olfgang Bernhard
(55) ist ehrgeizig.
Manche schärfen
nach: vielleicht sogar
ein bisschen zu ehrgeizig. Aber Daimlers Lkw-Chef kann
auch schon mal loslassen. Das Lenkrad
zum Beispiel, bei voller Fahrt in einem
Lastwagen auf einem Testgelände im
US-Bundesstaat Nevada.
Der Lkw hat gutes Tempo aufgenommen, als Bernhard die Hände vom
Steuer nimmt. Er überlässt dem Gott
der Technik die Kontrolle: bremsen,
kurven, beschleunigen, halten, wachsam sein. Der Truck ist Arche- und
Prototyp eines Fahrzeugs, das vielleicht schon in fünf Jahren serienreif
ist und aus der Fabrik von Daimlers
US-Tochterfirma Freightliner stammt.
Schweres Gerät, Sattelzüge, die ohne
Fahrer unterwegs sein werden. Das ist
die Zukunft, sagt Bernhard.
Am 2. Oktober lässt Daimler auch
über Baden-Württembergs Autobahnen einen selbstfahrenden Mercedes
rollen, den „Actros“, einen Vertreter
der sogenannten „Schweren Klasse“.
Startpunkt ist die Raststätte Denkendorf an der A8. Platz nehmen im Führerhaus und dort untätig herumsitzen
werden Bernhard und seine Durchlaucht Winfried Kretschmann (67), der
Herrscher von Baden-Württemberg.
Bernhard hat einen Zeitplan ausgearbeitet („Entwicklungsstufen des autonomen Fahrens“) oder vielmehr eine Abfolge, denn Jahresangaben fehlen
in dem Papier, auf dem eine breite rote
Linie den Stand der Technik markiert:
Beim „teilautonomen“ Fahren ist man
angelangt („Wir sind hier“).
„In der nächsten Stufe“, sagt Bernhard, „überwacht sich das Fahrzeug
selbst“, gebe die Führung aber „in
Grenzbereichen an den Fahrer“ ab.
Frühestens 2030 wird man wohl
erste Lkw ohne Fahrer sehen. Was die
Speditionen freut. Denn es herrscht
kein Überangebot an zuverlässigen
Chauffeuren. „Der Gütertransport
auf der Straße soll sich von heute bis
zum Jahr 2050 verdreifachen. Autonom fahrende Lkw helfen, diesen Zu-
wachs ökonomisch und ökologisch zu
bewältigen.“
Bei seinen Ghost Trucks greift
Bernhard auf die Neuerungen zurück,
die in der Hexenküche und Erfinderwerkstatt seines Kollegen Thomas Weber (61) entstehen, des Entwicklungsvorstands von Daimler. „Wir arbeiten
bei Pkw und Lkw eng zusammen“, sagt
Weber. Denn die Systeme seien hie wie
da einsetzbar und würden sich „nur bei
der Feinabstimmung“ unterscheiden.
Ob groß oder klein: Das Autoauto
wird schon bald marktreif sein. „Wir
kommen Schritt für Schritt voran,
schneller, als ich gedacht habe“, sagt
BMW-Entwicklungsvorstand Klaus
Fröhlich (55).
Selbstfahrende Autos auf der Autobahn, vollautomatisches Einparken
– Kunststücke sind das keine mehr,
vieles geht schon serienmäßig. Aber
das ist erst der Anfang. Daimler-Chef
Dieter Zetsche (62) spricht im Zusammenhang mit dem Roboterauto von
der „Neuerfindung des Automobils“.
Auch Rupert Stadler (52) von Audi
41
UNTERNEHMEN / MÄRKTE
42
sieht „gewaltiges Potenzial“. Eines Tages würden Kinder fragen: „Wieso haben die damals überhaupt selbst Hand
ans Steuer gelegt?“
Die Errungenschaften der Technik,
hier sind es wirklich welche: Rechnergesteuerte Automobile sind sicherer
im Verkehr, sparen Energie, senken
den Ausstoß von Abgasen und verbinden den Fahrer mit dem Internet. „Das
Auto wird zum schnellsten, Kohlendioxid-freien und extrem vielseitigen
Digital Mobile Device“, sagt Stadler im
branchenüblichen Sprachcode.
Blechbiegen war gestern. Das kann
jeder. „Entscheidende“ Impulse kämen durch die Rechnerprogramme,
sagt Daimler-Mann Weber. Das Budget
für Vernetzung haben die Stuttgarter
in den vergangenen zwei Jahren verdoppelt, jenes fürs autonomes Fahren
werde demnächst verdreifacht.
Das Rennen ist eröffnet, der Wettbewerb legt schon jetzt schwarze
Streifen auf den Asphalt. Die Deutschen seien die „Treiber des Trends“,
sagt Matthias Wissmann (66), Präsident des Verbands der Autoindustrie,
im Duktus des Innungslobbyisten. Allein, jetzt darf es kein Nachlassen der
Kräfte geben. Denn wer zurückfällt,
bekommt keine zweite Chance.
Vielen Automanagern indes kann
es gar nicht schnell genug gehen. Die
VW-Führung erwartet vom Gesetzgeber, dass er die rechtlichen Voraussetzungen in Angriff nimmt und schon
„bald umsetzt“. Die Bundesregierung
hat auch eine entsprechende Agenda
erstellt. Deutschland soll den technischen Vorreiter spielen, juristische
Hindernisse müssen beseitigt werden.
Doch die Industrie bleibt abhängig von
den Zufälligkeiten, mit der politische
Entscheidungen häufig fallen.
Die erlaubte Höchstgeschwindigkeit für selbstfahrende Autos soll im
Aus- und Inland von 10 auf 130 Kilometer hochgesetzt, die zusätzlichen
Haftungsrisiken nicht dem Fahrer
bzw. Gefahrenen aufgebürdet werden.
Der Rechtsrahmen, versprechen Regierung, Behörden und Politiker, werde, „wo nötig“, angepasst.
Denn wenn ein System der fahrenden Rechner versagt, stehen „möglicherweise Regress-Ansprüche gegen
Hersteller und Zulieferer“ im Raum,
befürchtet Alexander Vollert (46), der
bei der Allianz für das Schaden- und
Unfallgeschäft zuständig ist.
Bislang ist freilich der Mensch der
größte Unsicherheits- und Risikofaktor. „90 Prozent aller Unfälle sind auf
menschliches Fehlverhalten zurückzuführen“, sagt Vollert. Selbstfahrende
Automobile führen praktisch zwangsläufig „zu weniger Unfällen“.
Ihren Beitrag dazu liefern nicht zuletzt die großen Zuliefererfirmen wie
Continental oder Bosch, die immer
mehr und immer zuverlässiger arbeitende Apparate, Geräte und Systeme
entwickeln, die den Fahrer zum Gefahrenen machen können.
Als erster Autozulieferer erhielt
Continental 2012 die Testlizenz in
Nevada für automatisiertes Fahren auf
öffentlichen Straßen. „Gesellschaftlich wäre es ideal, wenn die Sicherheitsunterschiede zwischen den einzelnen Fahrzeugen nahezu verschwinden würden“, sagt Firmenchef Elmar
Degenhart (56).
Beim technischen Fortschritt zählt
In drei Schritten zur
neuen Mobilität
BIS 2016 TEILAUTOMATISIERTES
FAHREN. Immer mehr Serienmodelle,
wie der neue 7er von BMW, können
automatisch einparken. Bei Geschwindigkeiten bis 30 Kilometer pro Stunde
braucht der Fahrer nicht mehr selbst zu
lenken.
BIS 2020 HOCHAUTOMATISIERTES
FAHREN. Jetzt wird der Fahrer auch
bei höherem Tempo (bis zu 130 km/h)
und bei Spurwechseln entlastet.
BIS 2025 VOLLAUTOMATISIERTES
FAHREN. Auf der Autobahn sollen nun
hohe Geschwindigkeiten möglich sein.
Selbst im Stadtverkehr dürften die
Systeme weitgehend selbstständig fahren.
zurzeit jeder Meter. Daimler demokratisiere die Technik und könne „so die
Kosten dramatisch senken“, sagt Weber. Aber als Premiumhersteller müsse
Daimler sie auch als Erster anbieten,
um sich vom Wettbewerb abzuheben.
Ein Kampf ist entbrannt rund um
den Zukunftstrend, beteiligt sind neben den Traditionskonzernen der
Autogilde und ihren Unterlieferanten
Technik-Multis wie Apple und Google.
Zwar behaupten Manager wie Chris
Urmson, der bei Google die Abteilung
„Selbstfahrende Autos“ leitet, „dass
wir keine Wagen bauen, sondern ihre
Technik verstehen wollen“. Es wäre
„dumm“, wenn Google versuchte, mit
den großen Autokonzernen zu wetteifern. Aber man muss kein Statiker sein,
um zu erkennen, dass sich das Gleichgewicht der Kräfte, die in der Branche
wirken, schon verändert hat.
Das Automobil ist für die US-Datenkraken vor allem deshalb von Interesse, weil es einen unablässigen
Strom von Informationen liefert, Bewegungsprofile, die sich vermarkten
lassen, indem man etwa die Werbung
eines Restaurants, an dem man gerade
vorbeifährt bzw. gefahren wird, in den
Autorechner auf den Monitor speist.
Besonders gefürchtet ist die Abhängigkeit von Google, dem schon
jetzt beherrschenden Internetkonzern
und Weltvermesser. „Wenn ihr unsere Landkarten wollt, dann hätten wir
dafür gern bestimmte Daten“, zitiert
BMW-Vorstand Fröhlich aus seinen
Gesprächen mit US-Managern. Doch
die will man den Amerikanern vorenthalten.
Die digitale Landkarte ist das
Betriebssystem für ungezählte Geschäftsmodelle, die auf Standortinformationen beruhen. Kein Wunder, dass
sich Fröhlich mit seinem Daimler-Kollegen Weber und Audis Entwicklungschef Ulrich Hackenberg (65) dafür
eingesetzt hatte, gemeinsam für 2,8
Milliarden Euro die Nokia-Firma Here
zu kaufen, die sich auf hochpräzises
Kartenmaterial spezialisiert hat und
einen Marktanteil von rund 80 Prozent bei fest eingebauten Auto-Navi-
BILANZ / OKTOBER / 2015
FOTO / BERND HARTUNG FÜR BILANZ
43
gationssystemen für sich beansprucht.
Anfang 2016 soll der Kauf abgeschlossen sein und Here allen Autobauern
zur Verfügung stehen.
Ohnehin kann sich BMW-Manager
Fröhlich, ebenso wie Audi-Chef Stadler, eine engere Zusammenarbeit der
hiesigen Hersteller bei grundlegenden
Techniken vorstellen: Entscheidend
sei doch, „auf welchen Feldern wir
uns differenzieren können und auf
welchen nicht“.
Dabei geht es um das ganz große
Geschäft: „Wir rechnen damit, dass
2035 gut zehn Millionen selbstständig fahrende Autos auf die Straße
kommen“, sagt Juergen Reiner (41)
von der Beratungsfirma Oliver Wyman. Er kalkuliert mit Mehrkosten
von umgerechnet etwa 4.500 Euro
je Auto. Damit erzielten Hersteller
und Zulieferer Einnahmen von fast
45 Milliarden Euro allein durch die Zusatz-Ausstattung der Fahrzeuge. Zählt
man teilautonome Systeme hinzu, hat
der Markt einen Umfang von bis zu
175 Milliarden Dollar, digitale Dienste
noch gar nicht einkalkuliert. Roland
Keppler(51), Chef der Daimler-Firma
Car2go, etwa rechnet damit, dass der
Car Sharing-Betrieb deutlich weniger
Autos benötige, wenn die von allein
zum Mieter fahren.
Die alles entscheidende Frage indes
lautet: Wer vermarktet die Datendienste? Die Autohersteller, die Zulieferer,
neue Akteure wie Google oder Baidu
aus China? Es geht um die zusätzlichen
Stunden im Internet – wer nicht selber
lenken will, ist aufs Netz angewiesen.
Continental-Chef Degenhart
macht folgende Rechnung auf: Die
weltweit drei bis 3,5 Milliarden Internetnutzer sind am Tag durchschnitt-
ELMAR DEGENHART Frühstücken
im Automobil? Kein Problem.
lich mehr als drei Stunden im Netz.
Angesichts von gut einer Milliarde
Fahrzeugen, die täglich etwa eine
Stunde lang unterwegs sind, ergibt
sich ein ansehnliches Geschäftspotenzial: „Man kann davon ausgehen, dass
eine Nutzerstunde einen Gegenwert
von durchschnittlich zwei Dollar hat,
durch Käufe, aber auch Marketing.“
Zunächst, sagt der Berater Reiner, würde die Entwicklung der Autoindustrie in die Karten spielen. Doch
Apple und Google arbeiteten „nah am
Kunden“. Die Autohersteller müssten
aufpassen, dass sie nicht zu „Hardware-Lieferanten“ abstiegen. Google
liefert das Hirn, Daimler das Gehäuse.
Laut einer Studie des IT-Dienstleisters Capgemini wäre schon heute jeder
dritte Autofahrer in Deutschland bereit,
in ein Google- oder Apple-Mobil umzusteigen. „Verschiebungen halten wir
UNTERNEHMEN / MÄRKTE
FOTO: KATRIN BINNER FÜR BILANZ
44
für möglich“, sagt auch Conti-Admiral
Degenhart. Zulieferern wie Continental
kann dies theoretisch egal sein: Sie profitieren praktisch in jedem Fall.
Entspannt betrachtet auch Kurt
Sievers (46) die Entwicklung: Er lenkt
beim Halbleiterhersteller NXP das
Autogeschäft. Die Niederländer sind
der weltgrößte Hersteller integrierter Schaltkreise für die Autoindustrie. „Wer auch immer Autos baut: Er
braucht unsere Chips.“
Selbst die Anfälligkeit vernetzter
Auto-Automobile für gezielte Angriffe
auf ihre Rechnernetzwerke kann sich
NXP zunutze machen. Jüngst hat Jeep
einen Selbstversuch unternommen
und zwei Programmierer von außen
auf einen fahrenden „Cherokee“ losgelassen. Der Zugriff gelang: Sie konnten den Wagen bremsen, beschleunigen, sich an Klimaanlage und Radio zu
schaffen machen. Alles aus der Ferne,
vom Rechner aus. Einfallstor war die
Musikanlage, via Mobilfunk mit dem
Netz verbunden. „Die Autoindustrie
muss nicht alles neu erfinden“, sagt
Sievers. „Wir haben aus dem Mobilfunk Lösungen dafür, ein Chip verhindert das Knacken.“
Die Branche produziert einen technischen Superlativ nach dem anderen,
die Geschäftsaussichten bieten ein malerisches Panorama. Dennoch dämpfen
die Strategen die Erwartungen. „Wir
glauben nicht, dass in zehn Jahren das
Auto weder Lenkrad noch Pedale haben wird“, sagt Continental-Chef Degenhart. „Das bleibt vorerst Utopie.“
Ausgerechnet in den Innenstädten,
wo das Roboterauto vor allem zur Entlastung des Fahrers beitragen könnte,
wird es geraume Zeit keine Hilfe sein
können: „Die Stadt ist der Dschungel,
KURT SIEVERS Der Chiphersteller
schläft nicht, sondern denkt nach.
in dem es am schwierigsten wird“, sagt
BMW-Vorstand Fröhlich.
Verglichen mit dem steten Fahrzeugstrom auf Autobahnen ist der
Stadtverkehr das reinste Chaos: „Stellen Sie sich nur einmal für ein paar Minuten an die Straßenecke, und schauen Sie sich an, was dort alles passiert –
und den Verkehrsregeln widerspricht“,
sagt Degenhart. „In Gefahrensituationen überlegen wir nicht immer genau,
wir handeln. Wir reagieren intuitiv.
Das werden wir einer Maschine nicht
so schnell beibringen können.“
Aber irgendwann in Bälde dann
doch: Denn einem Ingeniör ist nix zu
schwör. „Das Auto wächst mit seinen
Aufgaben“, sagt Audi-Chef Stadler.
Man setzt auf künstliche Intelligenz,
die Zusammenhänge erkennt, und darauf, dass es immer eine Zukunft hinter
der Zukunft gibt.
U
BILANZ / OKTOBER / 2015
FOTO: JAN RIEPHOFF FÜR BILANZ
45
WOLFGANG BERNHARD
Daimler entlastet den Lkw-Fahrer.
UNTERNEHMEN / MÄRKTE
WIE GEHT’S EIGENTLICH…
…MICHAEL NAUMANN und JOST STOLLMANN?
SETZT DIE SEGEL, GENOSSEN!
MICHAEL NAUMANN
46
Der 1941 in Köthen geborene
Medienmann und -manager,
einst Rowohlt-Chef, Minister
und 2001 „Zeit“-Herausgeber,
leitet heute die Berliner
Barenboim-Said-Akademie.
Im August war Michael Naumann segeln. Zwischen den Inseln vor Maine,
an der Nordostküste der USA. Hier
liegt seine „Basta“ (11,5 m), auf der er
auch lebt, wenn er drüben ist. Es waren herrliche, warme Sommertage. Der
73-Jährige scheint noch den Wind und
die Wärme zu spüren, als er am Telefon mit sonniger Stimme davon erzählt:
„Ein heißer Sommer… Erinnert mich
an die Kindheit – in der es ja bekanntlich immer nur heiße Sommertage gab.“
Seit drei Jahren bereitet Naumann
in Berlin die Barenboim-Said-Akade-
mie auf ihre Eröffnung im Juni 2016
vor: eine Musikhochschule für rund
100 Studenten aus dem Nahen Osten
und Israel. Das Kulturstaatsministerium hat 20 Millionen Euro für den
Bau überwiesen, weitere 13 Millionen
musste Naumann, der den Rang des
Hochschuldirektors bekleidet, bei Privatleuten auftreiben.
Die Aufgabe liegt ihm, er sei auf
seinen vielen „wunderbaren“ Berufsstationen als Verleger (Rowohlt), Journalist („Zeit“, „Spiegel“), Hochschullehrer (Humboldt-Uni) und Heraus-
Text / STEPHAN KNIEPS
geber („Zeit“) ja immer auch Manager
gewesen. „Man kann sagen, dass ich in
meinem jetzigen Beruf mehr Manager
bin als jemals zuvor.“
Sein Ausflug in die Politik 1998 war
Ausdruck seiner Vielseitigkeit, hatte
aber eher experimentellen Charakter.
Auf seine zwei Jahre als Kulturminister blickt er dennoch mit „Nostalgie“
zurück. Zu Gerhard Schröder habe er
noch „gelegentlich“ Kontakt. Dass sein
Kanzler „die Bundeswehr nicht in den
Irak-Krieg geführt“ hat, dafür ist Naumann bis heute dankbar.
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BILANZ / OKTOBER / 2015
Zwei Männer, Manager, Segler und Unangepasste – die beiden Quereinsteiger
verkörperten 1998 die Aufbruchstimmung in der rot-grünen Politik:
Doch während Publizist Naumann Kulturminister wurde, trat Unternehmer
Stollmann sein Amt gar nicht erst an.
JOST STOLLMANN
47
Im Alter von 29 Jahren gründete
der Jurist den EDV-Dienstleister
Compunet, den er 1996 an GE
verkaufte. Seit 2004 lebt
der Beinahe-Wirtschaftsminister
mit seiner Familie in Sydney.
Um in sein Büro zu kommen, nimmt
Jost Stollmann die Fähre: vom Bezirk
Double-Bay ins Finanzzentrum von
Sydney. „Nur zehn Minuten. Das ist
schon toll.“ Stollmann, 60 Jahre alt,
führt seit elf Jahren die von früheren
Cisco-Leuten gegründete Fintech-Firma Tyro, die E-Bezahlsysteme anbietet
und Kredite an Mittelständler vergibt.
Stollmann war der Inbegriff des
Gründers, als es in Deutschland noch
gar keine Gründerszene gab, gleichsam der Samwer der 80er-Jahre, mit
dem Unterschied, dass er seriöser
gewirtschaftet hat. Sein 1984 in Köln
gegründeter EDV-Dienstleister Compunet war ein Geschäftserfolg und
für viele Jungunternehmer eine Inspiration, nicht zuletzt wegen seiner
fortschrittlichen Führungskultur. Der
Verkauf der Firma an General Electric
für weit, weit über 100 Millionen Euro
machte Stollmann unabhängig, aber
nicht unbedingt glücklich. Denn GE
kam mit Compunet nicht zurecht. Die
Firma ist heute Geschichte.
1998 wurde Gerhard Schröder, der
„Genosse der Bosse“, auf den stets
FOTOS: ANDREAS FRIESE, MARTIN BERRY,
PICTURE ALLIANCE (2)
jungenhaft auftrumpfenden Hoffnungs- und Sympathieträger aufmerksam und wollte ihn zum Wirtschaftsminister machen. Stollmann sagte zu
– und ab: Der spätere Finanzminister
Oskar Lafontaine hatte ihm Zuständigkeiten streitig gemacht. Statt in die
Politik zu gehen, ging er mit Frau und
fünf Kindern zwei Jahre lang auf See.
Vor den Fidschis liefen die Stollmanns auf ein Riff, das Boot musste in
Australien in die Werft. So landete er
in Sydney. Er vermisst nichts: „Es geht
mir fantastisch.“
U
UNTERNEHMEN / MÄRKTE
GUZZI, AMORE MIO
48
Moto Guzzi! Größere Verehrung genießt kaum eine
Motorradmarke. Doch während die Geschäfte der
Branche blühen, röhrt das Kultfabrikat auf der Stelle.
Text / THOMAS DELEKAT
Eine „Guzzi 1000 SP“ aus dem Jahr 1978, umgebaut
vom Fotografen Ben Part. Nur Tonti-Rahmen und Motor sind original,
Tank und Höcker selbstgemacht. Das Rücklicht ist von Ford.
BILANZ / OKTOBER / 2015
Was hat er denn? Der Pressemann
kommt gerade von der Toilette zurück. Er wirkt nicht erleichtert, eher
verstört. Als hätte er ein Gespenst erblickt. Ist da was losgewesen zwischen
seinem Abgang im Sturmschritt und
seiner Rückkehr zur Modellpräsentation im Moto-Guzzi-Werk Mandello
del Lario am Comer See?
Der Mann sagt nichts, er deutet
nur mit dem Daumen über die Schulter: „Im ersten Stock.“ Eine historische Gelegenheit. Denn eine Treppe
hoch befindet sich das Allerheiligste.
Die schmale, dunkle Stiege dreht
sich nach oben, alte Ölfarbe an den
Wänden, abgebröckelte Putzplacken
auf den Stufen, im ersten Stock ist es
dämmrig, still. Ein verlassener Fenstergang, man sieht leere Büros mit gebohnerten Holzdielenböden. Ein paar
Stühle, die niemand wollte, ein Zylinderkopf auf dem Sims.
Am Ende des Gangs: das heilige
Zimmer des Chefs, der Schreibtisch
des Chefs mit Linoleumauflage, das
Telefon des Chefs, ein Siegerkranz an
der Wand. Das Licht ist milchig, Staubkörner schweben hindurch. In der gespenstischen Bruchbude von Mandello
del Lario steht die Zeit still, hier lebt der
Geist fort von Carlo Guzzi (1889–1964).
Die 1921 vom Heeresflieger Giorgio
Parodi (1897–1955) und seinem Freund,
dem Flugzeugtechniker Carlo, ins Leben gerufene Firma war eine industrielle Macht in Italien, einer der ältesten,
wichtigsten, neben Harley-Davidson
größten Motorradhersteller der Welt.
Die Maschinen: siegreich, überlegen, schön. Die Helden im Guzzi-Sattel: umjubelt. Und der Witz am ganzen Spuk ist jetzt der, dass heutzutage
trotz superstarker Hondas, Ducatis
und BMWs eine alte, in 40 Jahren ramponierte Guzzi so ziemlich das Geilste
ist, was man als obercoole Sau so fahren
kann. Unter 10.000 Euro ist kaum ein
brauchbares Exemplar zu bekommen.
Im nationalen Wertekanon Italiens
rangiert Moto Guzzi fast auf Augenhöhe mit der Pizza und dem Turm von
Pisa. Eine nüchterne Einschätzung,
absolut zutreffend, wie der österrei-
chische KTM-Chef Stefan Pierer (58)
findet: „Moto Guzzi ist dasselbe wie
Harley-Davidson, bloß auf europäisch.“
Pierer gilt in der Branche als der instinktsicherste und erfolgreichste Unternehmer (siehe BILANZ 5/14): KTM
bringt weltweit mehr Motorräder an
den Mann als BMW.
Pierer bestreitet nicht, dass die
größte Versuchung seiner Karriere
Moto Guzzi hieß. Er hat sie 2004 nur
überstanden, überwunden aber bis
heute nicht. Es hatte da ein Kaufvertrag auf dem Tisch gelegen, der Notar
den Füllhalter schon aufgeschraubt.
Aber Pierer schob seine Rechte in die
Hosentasche, zur Faust geballt – es war
ein Fehler, eine vergeigte Jahrhundertchance, das ahnte er damals schon.
Stattdessen griff Aprilia zu, eine
Motorradfabrik aus der Nähe von Venedig. Aber dreieinhalb Jahre später
stürzte Aprilia selber ab. Der Konzern
fiel dem Mofa- und Motorroller-Fabrikanten Piaggio in die Hände, mit allem
Drum und Dran, auch Moto Guzzi.
Aber rasch wurde klar: Den neuen
Eignern war gar nicht bewusst, welch
großer Fisch ihnen da ins Netz gegangen war. Sie hielten Moto Guzzi allen
Ernstes für Beifang. Eine Groteske: Die
Ahnungslosen von Piaggio hatten den
fettesten claim der Branche arrondiert
– setzten aber alles auf Aprilia.
Auf den großen Motorradmessen
spielte jetzt Aprilia seine vermeintli-
In den alten Fabrikhallen von
Mandello del Lario setzen GuzziMonteure nur noch Fertigteile
zusammen. Hier das Modell „Eldorado“:
von Luft gekühlt, stark wie
96 Rösser und 18.500 Euro teuer.
FOTOS: BEN PART, THOMAS DELEKAT
chen Trümpfe aus, es waren Cäsarengesten: neue, moderne Generationen
von Motoren, Baureihen, Modellen. Sie
schienen finanziell ohne limit. Die Leute von Moto Guzzi am Stand nebenan
hielten lieber den Mund.
Heute funktioniert Moto Guzzi nach
der Ikea-Methode: einfach zusammenschrauben, was fix und fertig angeliefert
wird. Zuletzt hat BMW 22.000 Motorräder in Deutschland verkauft. Moto
Guzzi 1.000. Das ist ein Witz. Aber Eigentümer Piaggio feiert. Das Ergebnis
vom Vorjahr war noch mieser gewesen.
Der Motorradmarkt röhrt, er legt
inzwischen zweistellige Zuwachsraten
vor. Es gibt neue Fans und frische Leidenschaft, bei den ganz Jungen sind
125er-Renner angesagt. Wer ein Auto
hat, parkt es um die Ecke.
860 Millionen Euro hat VW für
Ducati gezahlt, vor drei Jahren. Und
weshalb? Fürs Renommee: Damit etwas abfällt vom Esprit, vom Charisma
der roten, hämmernden Zweizylindermaschinen. Mercedes griff über seine Tuning-Firma AMG 2014 bei den
Edelmotorrädern von MV Agusta zu.
Und BMW? Die Münchner lächelten
freundlich. Sie waren immer schon
da, in Deutschland die Nr. 1, und man
darf sagen: Mit „erfreulich“ sind die
Gewinne zurückhaltend umschrieben.
Der englische Bauunternehmer
John Bloor hat mit nichts als den Namensrechten an der Marke Triumph
ein weltumspannendes Industrieunternehmen aufgebaut. Bloß bei Moto
Guzzi, der grandiosesten Adresse,
kam niemand vorbei, der die Ärmel
hochkrempeln wollte. Es ist so, wie Jo
Soppa, der klügste Kenner der Branche,
es im Motorradmagazin „MO“ beschreibt: „Seit Jahrzehnten scheint es
zwischen den Guzzi-Fans und den Guzzi-Machern eine stille Übereinkunft zu
geben. Die Ersteren haben sich damit
abgefunden, dass das Werk nichts
auf die Reihe bekommt und mit fast
schon ans Magische grenzender Wahrscheinlichkeit stets die falsche Neuheit bringt. Das Werk wiederum sieht
sich von Ignoranten umzingelt, die das
Unmögliche verlangen.“
U
49
IDEEN / INNOVATIONEN
Text / JÜRGEN SCHÖNSTEIN
Fotos / JONATHAN SPRAGUE
50
WIE MAN IM WILDEN WESTEN
GESCHÄFTE MACHT
In der Wüste von Nevada errichtet der Elektroautobauer Tesla die größte
Batteriefabrik der Welt. Und zwar, weil Lance Gilman es so wollte.
BILANZ / OKTOBER / 2015
51
„Wenn ihr eine Schaufel dabeihabt, könnt ihr gleich anfangen zu buddeln.“ (Lance Gilman)
IDEEN / INNOVATIONEN
G
52
ilman ist 71 Jahre alt.
Sein Vorname ist Lance,
er trägt einen feinen
Stetson auf dem Kopf.
Der Stetson sitzt immer
auf seinem Schädel. Festgeschmettert
wie angewachsen, immer oben, überall.
Nur zum Essen und Schlafen nimmt er
ihn ab. Aber auch dann wahrscheinlich
ungern: „Der Hut ist ein Teil meiner
persönlichen Westernkultur.“
Gilmans Vater war Rodeo-Cowboy
und berittener Grenzschützer unten
in Texas an der Grenze zu Mexiko,
seine Mutter Rodeo-Queen in Oregon,
er selber ist business man, ein Cowboy-business man. Er macht Geschäfte, er macht sie von einem Baucontainer aus, der in der Staub- und Niemandslandschaft
von Nevada steht,
nahe Reno, aber
mitten drin in the
wild wild west.
Wilde Mustangs
leben hier, und in
den Saloons trifft,
wer Glück hat, noch
einen alten Goldgräber und trinkt
einen Whiskey mit
ihm. Reisende verirren sich nur selten
hierher. Sie bleiben
in Reno hängen: zocken, saufen, rumhuren.
Gilmans Unternehmen heißt Tahoe
Reno Industrial
Center, kurz TRIC.
Es umfasst mit einer Fläche von 433
Quadratkilometern mit Sicherheit das
größte Gewerbegebiet Nevadas, vielleicht sogar das größte der Welt. So
steht es jedenfalls auf dem Eingangsschild. Aber Gilman kann nun auch
nicht überallhin zum Nachmessen.
Gut 160 Unternehmen haben sich
auf seinem Gelände angesiedelt, und
ein weltberühmtes ist gerade im Bau:
die Gigafactory 1, die größte Fabrik für
Lithium-Ionen-Akkumulatoren und
Akkupacks auf Erden, errichtet vom
Elektroauto-Hersteller Tesla Motors
und Panasonic.
Cowboy Gilman in seinem Container ist ein Mann ohne Geldsorgen.
Und er hat deshalb keine Geldsorgen,
weil er ein Kerl ist, dem es nichts ausmacht, in einem Baucontainer zu arbeiten, an einer staubigen Straßenecke
gegenüber der einzigen Tankstelle des
Industrieparks: „Vor einem Monat hat
mir ein Arzt mein Büro abgekauft und
wollte gleich mit seiner Praxis loslegen.
Tja. Ich würde nicht einen Moment zögern, auch diese Box hier zu verkaufen
und von einem Kartentisch am Straßenrand aus weiterzuarbeiten.“
Gern erzählt Gilman die Geschichte, wie er das Tesla-Genie Elon Musk
(44) nach Nevada gelockt hat. Aber
dazu muss man vorher wissen: was es
mit TRIC auf sich hat und mit Reno,
„the biggest little city in the world“,
dem kleinen Las Vegas.
TRIC liegt auf dem Gebiet der
ehemaligen Comstock-Silberader,
die Nevada im 19. Jahrhundert reich
gemacht hat. Die Gegend hier soll zu
den wohlhabendsten der Welt gehört
haben. Heute aber ist hier nur noch
wenig los, der Highway 50, der den
Staat durchquert, sei „der einsamste
Highway“. Das große Geld wird in San
Francisco, im Silicon Valley, gemacht,
wo auch Tesla seine E-Sportwagen
baut. Gut drei Autostunden entfernt,
jenseits der Sierra Nevada.
Gilmans TRIC erstreckt sich
über die Hälfte des Landkreises Storey County. Als Gilman und sein im
wahrsten Sinne des Wortes stiller
Partner Roger Norman (der so gut
wie nie in Erscheinung tritt) hier 1998
auftauchten, „war Storey County der
ärmste Landkreis in Nevada“. Eine
Halbwüste. „Die waren so pleite, dass
sie sich nicht mal mehr ihre Schulen
leisten konnten.“
Storey County hatte keine Zukunft,
die Nachbargemeinden waren sich
schon einig, wie sie den Landkreis unter sich aufteilen wollten – als Gilman
und Norman auf den
Plan traten und der
Gemeinde ein Angebot machten, das
sich nicht ablehnen
ließ: „Einen zinslosen Sofortkredit
über 400.000 Dollar, damit sie ihre
Schulen und damit
auch ihre Selbstständigkeit behalten
konnte.“
Die großzügige
Offerte kam natürlich nicht von
ungefähr: Gilman
und Norman hatten dem Ölkonzern
Gulf Oil gerade für
20 Millionen Dollar
die ehemalige Asamera-Ranch abgekauft, die sich weitgehend mit dem Gelände des heutigen
Industrieparks deckt.
Der Boden, auf dem die Ranch
steht, gehörte einst den Flugpionieren
Orville und Wilbur Wright. Asamera
Minerals, eine Tochterfirma von Gulf
Oil, hatte hier später die Silbervorkommen ausgebeutet. Zuletzt hatte Gulf,
wie Gilman erzählt, mit dem Gedanken gespielt, hier eine Art Safari-Wildpark einzurichten, für reiche Jäger, die
auf exotische Tiere schießen wollen.
Das TRIC-Gelände ist das größte Gewerbegebiet der Welt. Aber nur vielleicht.
BILANZ / OKTOBER / 2015
53
Gilmans Kommando-Container: „Zum Arbeiten würde mir auch ein Tisch am Straßenrand genügen.“
Aus diesem Plan wurde nichts – und
zumindest die 1.100 Mustangs, die unter dem Schutz und der Betreuung des
US-Innenministeriums durch das Gebiet ziehen, bleiben unbehelligt.
Dass hier seit Jahren gebaut wird
und Straßen mit Schwerlastverkehr
durch ihre Weiden schneiden, störe die Wildpferde nicht: „Sie mögen
die Baustellen, weil sie dort viel leichter an Wasser rankommen.“ Ihr Anblick begeistert vor allem jene Frauen
der Manager, die sich für eine Parzelle
auf seinem Industriegelände interessieren. Gilman liebt die Mustangs.
Sie sind ihm regelrecht ans Herz gewachsen.
„Gott hat jedem von uns eine
besondere Gabe gegeben“, sagt er.
„Meine Gabe ist die Vision, etwas
aufzubauen!“ Doch warum muss das
ausgerechnet hier sein, in einer der
gottverlassensten Gegenden, die man
sich vorstellen kann? „Ich bin hierhergekommen, weil die ,Washington Post‘
Reno in einem Artikel als eine der zehn
Boomtowns der 90er-Jahre angepriesen hatte.“
Gilmans Geschäfte in Reno liefen
zunächst ganz ordentlich, er konnte ein paar Tausend Hektar von der
Asamera-Ranch als Industriegelände
an den Mann bringen. Aber die große
Blüte, auf die er gehofft hatte, wollte
sich nicht entfalten.
Im Gegenteil, Finanz- und Wirtschaftskrise stürzten die Region ab
2008 für einige Jahre in die tiefste Rezession, die der Staat jemals durchgemacht hat. Nichts blühte und gedieh,
alles welkte und verdorrte. Dass es in
Storey County endlich aufschwungartig vorangeht, ist Tesla zuzuschreiben
und dem Entschluss von Elon Musk,
hier seine Gigafactory zu errichten.
Es wird viele neue Jobs geben, weit
mehr als jene 6.500 in der künftigen
Fabrik. Die Immobilienpreise haben
sich seit 2012 praktisch verdoppelt.
Die Ortspresse spricht vom „TeslaEffekt“.
Dabei war die Autofirma ursprünglich gar nicht interessiert daran, sich
hier anzusiedeln. 37 US-Bundesstaaten
hatten Musk und seine Leute hofiert,
spitz und scharf auf Kapitalanlagen
von mehr als fünf Milliarden Dollar.
Nevada war zwar in der engeren
Wahl, zusammen mit Texas, New Mexico und Arizona; aber die Aufmerk-
IDEEN / INNOVATIONEN
54
Mustangs ziehen an dem Lagerhaus einer Amazon-Firma vorbei.
BILANZ / OKTOBER / 2015
samkeit richtete sich auf den Großraum Las Vegas im Süden des Bundesstaates.
Doch dann geschah Folgendes:
„Es war Anfang Dezember 2013“, sagt
Gilman, „als mich eine Freundin – die
den Gewerbepark des Flughafens in
Reno betreut – anrief und mich fragte:
,Lance, hast du was von Tesla gehört?‘
Nope, hatte ich nicht.“
Aber die Freundin hatte was mitbekommen: dass Tesla-Manager nach Las
Vegas fliegen wollten, um ein Gelände
auszukundschaften. „Wie wär’s“, fragte sie, „wenn wir einen Jet chartern
und sie auf unsere Kosten nach Vegas
fliegen – mit einem Zwischenstopp
hier bei uns in Reno?“
Der Gedanke, die Tesla-Leute sozusagen zu entführen, war verrückt
genug, um Gilman zu überzeugen. Mit
10.000 Dollar für den Jet sei er dabei,
sagte er.
Aus dem „Kidnapping“, geplant
für den 9. Dezember, wurde allerdings
nichts: „Die Maschine stand schon
zum Einsteigen bereit in Kalifornien,
als die Tesla-Anwälte davon Wind bekamen und die Sache abbliesen.“
Doch Kevin Kassekert, Direktor
der Tesla-Abteilung Infrastruktur und
Entwicklung, blieb nicht unbeeindruckt von der cleverness und tenacity,
die Gilman an den Tag gelegt hatte,
und billigte ihm eine Woche später
doch noch einen Zwischenstopp-Termin zu. Aber mehr als 15 Minuten seien auf keinen Fall drin.
Aus der Viertelstunde wurde ein
halber Tag. „Ich fragte die Tesla-Leute
gleich vom Start weg, was denn ihre
größte Sorge für das Projekt sei. Und
sie sagten: Terminschwierigkeiten und
Behinderungen durch Bürokratie.“
Da wusste der Cowboy, die Sache ist
geritzt.
Der Grund dafür heißt Dean Haymore, ein Mann von Gewicht und Leibesfülle. Er sieht aus wie ein gemütlicher Charakter. Aber da haben sich
schon viele getäuscht.
Haymore ist sowohl der Baudezernent von Storey County als auch der
örtliche Bauinspektor und, wenn’s
drauf ankommt, auch der Baupolizist.
Sein Credo lautet: „Ich mag keine Regierungen, und ich mag keine Steuern.“ Haymore vertritt die Meinung,
dass man eine Gemeinde wie ein Unternehmen führen sollte. Immobilienspekulant Gilman findet: Der Mann
hat vernünftige Ansichten.
Die beiden hatten im Zusammenhang mit der TRIC-Gründung nicht
nur gemeinsam einen Bebauungsplan
für das Gelände aufgestellt, sondern
auch gleich ein Expressverfahren für
die Baugenehmigungen ausgeheckt,
das im Prinzip aus drei Formularen
bestand. Stadträte, Anrainer, Bürger
blieben weitgehend außen vor.
Die Gigafactory 1*
Eröffnung: Dezember 2017
Größte Industriehalle der Welt nach
Fläche: zwei Stockwerke à 400.000
Quadratmeter (Rekordhalter zurzeit:
Boeing mit 399.000 Quadratmetern)
Baukosten: mehr als fünf Mrd. Dollar
Arbeitsplätze in der Gigafactory:
ca. 6.500 (Tesla insgesamt: ca. 12.000)
Wer Gelände von TRIC erwirbt, ist
vor allen Eventualitäten sicher, alles
ist sozusagen pre-approved, also vorab genehmigt, wie Gilman versichert.
Er könne garantieren, dass zwischen
dem ersten Spatenstich und der Einweihung eines Neubaus nie mehr als
180 Tage vergehen würden. Und damit
alles auch so schön einfach bleibt, kandidierte er vor drei Jahren für den dreiköpfigen Gemeinde-Rat – und gewann
die Wahl mit 62 Prozent der Stimmen.
Damit ist Gilman vermutlich der erste
* RECHNER-SIMULATION, TESLA MOTORS
Bordellbesitzer in den USA, der in ein
öffentliches Amt gewählt wurde.
Bordellbesitzer?
In der Tat: Gilman ist im Besitz
der denkwürdigen Mustang-Ranch,
ein gesetz- und rechtmäßig zugelassenes Freudenhaus, das er – auch das
eine geradezu bizarre Geschichte – auf
Ebay ersteigert hatte, wo es von der
US-Regierung zum Kauf angeboten
worden war. An der Zufahrt steht ein
großes Leuchtschild mit der Aufschrift
„Brothel“ (zu Deutsch: Freudenhaus).
Dies allein wäre ein Kapitel für
sich, aber im Zusammenhang mit dem
Industriepark, an dessen nordwestlicher Ecke sich die Mustang-Ranch befindet, ist es für Gilman nur wichtig zu
betonen, dass der Kauf der Bordell-Lizenz selbstverständlich nur „eine reine Abwehrmaßnahme“ gewesen sei.
Prostitution ist seit 1971 in Nevada
zugelassen, wenngleich streng reglementiert. Mithilfe seiner Lizenz, sagt
Gilman listig, habe er die Ansiedlung
weiterer Bordelle in der Nähe seines
Reviers verhindert. Mal abgesehen davon, dass die Mustang-Ranch früher
eine der wichtigsten Einnahmequellen
des Bezirks gewesen war, mit einem
Anteil am kommunalen Haushalt von
mehr als zehn Prozent.
Gilmans Nebengeschäfte sind Kassekert und seiner Tesla-Truppe egal.
Es geht ums Geschäft, sie interessieren sich nur fürs Geld und dafür, wie
schnell die Verfahren in Storey County
sind.
Kassekerts erste und wichtigste
Frage lautete natürlich: Wie lange dauert es, bis wir eine Genehmigung für
die Planierung des Geländes bekommen? Wie fix seid ihr Jungs hier? Die
Fertigungshalle der Fabrik soll schließlich gut einen Kilometer lang sein.
Baudezernent Haymore, den Gilman zu dem Zwischenstopp-Treffen
selbstverständlich gleich mitgebracht
hatte, zog ein Formular aus der Tasche: „Wenn ihr hier unterschreibt,
habt ihre eure Genehmigung.“ Gilman
sagte: „Ich kann euch ein paar Schaufeln geben, dann könnt ihr gleich anfangen zu buddeln.“
55
IDEEN / INNOVATIONEN
56
Kraftwerke von NV Energy versorgen TRIC mit Elektrizität (Foto: die Frank-Tracy-Generating-Station).
Ganz so schnell schießen die Leute
im Wilden Westen dann freilich doch
nicht. Vor allen Dingen sollte der Bundesstaat Nevada den Tesla-Leuten erst
einmal beweisen, wie lieb und teuer
ihm 6.500 neue Arbeitsplätze sind.
Am Ende ertrotzte sich Tesla Beihilfen, Förderungen und Zuschüsse in
Höhe von rund 1,25 Milliarden Dollar,
zahlbar in Steuernachlässen und Energiezuwendungen über eine Laufzeit
von 20 Jahren.
Auch die Wahl des Bauplatzes
nahm dann einige Zeit in Anspruch:
„Erst wollten die Tesla-Leute 400.000
Quadratmeter haben“, sagt Gilman.
„Zwei Wochen später sollten es 1,2
Millionen sein. Noch mal vier Wochen,
und sie wollten plötzlich zwei Millionen Quadratmeter, 200 Hektar.“
Platz gibt es in dem Industriepark
immer noch reichlich, darum konnte
Gilman immer „Yes, yes, yes“ sagen.
Nachdem die Subventionsverhandlungen mit dem Gouverneur von Nevada Brian Sandoval (52) weitgehend
abgeschlossen waren, kam die vorerst endgültige Ansage: Tesla wollte
400 Hektar haben. Also noch einmal
doppelt so viel. Vier Millionen Quadratmeter.
Es gab nur ein klitzekleines Problem: Tesla wollte nichts für das Grundstück bezahlen. Keinen Cent.
„Na, ich habe hier nichts zu verschenken“, sagt Gilman. Der ortsübliche Quadratmeterpreis für Bauland
liegt zwischen 10 und 20 Dollar.
Aber Gilman hatte noch ein Ass im
Ärmel und rückte mit einem Vorschlag
heraus, auf den er von Anfang an spekuliert hatte: Wie wäre es, wenn die
Regierung ihm die Hauptstraße durch
den Park abkauft? Die Piste führt zum
Interstate-Highway 80 am Nordrand
des Geländes – die Anbindung an den
Highway 50 im Süden steht allerdings
noch aus…
Rund 40 Millionen Dollar hatte TRIC in diese Hauptverkehrsader
gesteckt, die volle Anbindung würde
weitere 40 Millionen verschlingen,
vielleicht mehr – also in etwa dem Gegenwert des Landes entsprechen, das
Tesla haben wollte.
40 Millionen Dollar sind bei einem
Subventionspaket von 1,25 Milliarden
Dollar kaum mehr als ein Rundungsfehler; und da die Straße sowieso einen übergeordneten Nutzen als Um-
BILANZ / OKTOBER / 2015
gehung für den Großraum Reno erfüllen konnte, kam der Handel richtig
elegant zustande.
Kritiker dieser Zuwendung auf
Kosten der Steuerzahler könnten
„Scheiße nicht von Schuhwichse unterscheiden“, knurrt Gilman und
rechnet vor, dass allein die erwarteten 6.500 Tesla-Leute in den nächsten
fünf Jahren mehrere Hundert Millionen Dollar in die Region bringen würden, von den Steuereinnahmen ganz
zu schweigen.
Obwohl nur die Unterschrift fehlte,
wollte Tesla noch ein bisschen weiterpokern: Konzernchef Elon Musk hatte
auf der Hauptversammlung im Juni
2014 angekündigt, dass er einen Wettbewerb zwischen zwei oder drei möglichen Standorten
veranstalten werde: Der Schnellste
werde den Zuschlag
für Gigafactory 1 erhalten.
Am Nachmittag
des 26. Juni 2014
klingelte das Telefon bei Randy Pitts,
dem Boss der Baufirma F&P Construction, spezialisiert auf Planierarbeiten. Am Apparat
war ein Manager
von Tesla: Ob Pitts
und seine Männer in
der Lage wären, das
Gelände für die Riesenhalle, sagen wir
mal: innerhalb eines
Monats abzutragen, einzuebnen und
zu walzen? Ja klar, antwortete Pitts,
das würden er und seine Leute schon
hinbekommen.
Mit 625 schweren Bergbau-Fahrzeugen sei Pitts angerückt, erzählt
Bauinspektor Haymore: Bagger, Planierraupen, Muldenkipper, Teleskoplader. Allein die Miete für das schwere Gerät kostete 65 Millionen Dollar.
Hunderte von Arbeitern schoben in
drei Schichten rund um die Uhr insgesamt 3,4 Millionen Kubikmeter
Erde beiseite – das entspricht dem
Fassungsvermögen der Cheops-Pyramide.
Nach 25 Tagen war die Arbeit getan. „Biblisch!“, sagt Gilman, und weil
er’s so schön formuliert findet, gleich
noch mal hinterher: „Biblisch!“ Die
anderen Möchtegern-Standorte hätten in dieser Zeit noch nicht mal ihren
Papierkram erledigt: „Biblisch!“
Am 31. Juli 2014 veröffentlichte
Elon Musk eine Erklärung, wonach
Tesla gemeinsam mit seinem Partner
Panasonic die Fabrik mit einer Kapazität von insgesamt 85 Gigawattstunden
an Batterieleistung auf einem Areal bei
Reno bauen werde.
Spätestens 2020 soll die Gigafactory fertiggestellt sein. Aber bei der ei-
nen Anlage wird es wohl nicht bleiben.
„Als Elon Musk das Gelände hier besuchte, schaute er sich um und sagte,
er wolle alles kaufen, so weit das Auge
reicht“, sagt Gilman.
Seit diesem Sommer umfasst die
Tesla-Parzelle in der Halbwüste Nevadas nun zwölf Quadratkilometer,
umgerechnet 1.200 Hektar – genug,
um mindestens noch eine zweite
oder dritte Fabrik gleichen Ausmaßes
hinzustellen. Gilman strich weitere
80 Millionen Dollar ein.
Tesla errichtet die Werkshalle, die einmal die größte der Welt sein wird, in
Etappen – „walking a building“ nennt
Haymore das Vorgehen. Einige Bereiche der Anlage sind bereits betriebsfertig, während an anderer Stelle noch
Fundamente gegossen (wegen der trockenen Hitze immer nur nachts) und
Stahlträger hochgezogen werden.
Die Arbeiten schreiten zügig voran.
Immer häufiger begegnet man jetzt
auch Panasonic-Managern auf der
Baustelle, sie treiben sich im einzigen
Sandwich-Laden herum und besprechen die technischen Installationen.
Die ersten Batterien sollen nicht
erst im Dezember 2017, sondern vermutlich schon Mitte 2016 vom Band
laufen. Gilman selbst aber wird wohl
bald weiterziehen:
„Drei oder dreieinhalb Jahre noch,
dann habe ich alles
hier verkauft.“
Der
DatenDienstleister Switch
hat, inspiriert von
Tesla, ein noch größeres Gelände erworben: 2.000 Hektar für ein Hochsicherheits-Datenspeicherzentrum,
umgeben von einer
fünf Meter hohen
Stahlmauer und geschützt von schwer
bewaffnetem Personal. „Die größten
Geheimnisse der
Welt werden hier
verwahrt“, sagt Gilman.
Die Planierarbeiten haben schon
begonnen. Zwei weitere Unternehmen, die noch mehr Land für noch
mehr Geld erwerben wollen, stünden
auch schon bereit.
Und danach, wie sehen seine Pläne
aus? Rente mit 75? „Vielleicht kümmere ich mich nur noch um das Bordell“,
lacht er. Aber nein, er habe schon ein
neues Projekt im Auge. Gilman reitet
weiter: „Ich verhandele gerade über
den Kauf einer Ranch.“
I
Das beste Bordell weit und breit: Lance Gilmans Mustang-Ranch.
57
IDEEN / INNOVATIONEN
DIGITALISIERTE VERTIEFUNG
Zwei Leute aus Witten und ein Zen-Meister aus Düsseldorf
wollen deutsche Manager in die Versenkung treiben.
Text / JAN VOLLMER
Fotos / HARTMUT NÄGELE
58
E
s war ein sonniger, kalter
Mittwochnachmittag in Davos in den Schweizer Alpen,
als der in den Ruhestand
versetzte Medizinprofessor
Jon Kabat-Zinn (71) merkte, dass Meditation – sein großes Thema – in der
Wirtschaftswelt angekommen war.
Mit ihm auf der Bühne saß William
George (73), Management-Gelehrter
an der Harvard Business School und
Verwaltungsrat sowohl von Goldman
Sachs als auch von Exxon Mobil. Die
beiden philosophierten übers achtsame Führen – „Leading Mindfully“
– und darüber, wie Meditation den
Menschen und Managern dabei helfen
kann, mit ihren Ängsten und Mühen
und Plagen besser fertig zu werden
und zurechtzukommen.
Im Publikum über hundert Teilnehmer des Weltwirtschaftsforums,
minutenlang in ihr Schweigen und die
Stille ihrer Aufmerksamkeit gehüllt.
Gewiss, „Meditation“ hatte in Davos schon in den Vorjahren auf den
Tagesordnungen gestanden. Aber da-
mals „kam noch niemand“, sagte Kabat-Zinn, ein früherer Molekularbiologe am MIT, also kein esoterischer
Spinner. „In diesem Jahr gab es mehr
Interesse als je zuvor.“
Fernöstliche Entspannungstechniken sind allenthalben en vogue, Selbstversenkung ist das aktuelle Trallala, nicht nur unter Hausfrauen und
Kfz-Mechanikern, sondern vor allem
in Kreisen, die sich der Erfolgselite zugehörig fühlen. In den USA sprechen
Karriereberater von einer „Mindful
Revolution“ – cool bleiben auch in Augenblicken schärfster Anspannung:
dank Meditation (und Yoga).
„MBSR“ heißt das Kabat-ZinnProgramm: „Mindfulness-Based Stress
Reduction“. Der Amerikaner vertritt
den Standpunkt: „Achtsamkeit ist etwas, das du trainieren kannst wie einen
Muskel.“ Großunternehmen bieten
ihren Beschäftigten inzwischen Kurse
an, Krankenkassen tragen die Kosten
als Maßnahme zur Erschöpfungsvorsorge. Meditation & Management –
le dernier cri.
Der frühere BMW-Chef Norbert Reithofer (59) meditiert ebenso wie sein
noch amtierender Kollege Peter Terium (52) von RWE. Auch Wolfgang
Reitzle (66), ehemaliger Vorstandschef
der Linde AG und jetzt Verwaltungsratspräsident von Lafarge-Holcim, soll
sich zur mentalen Einkehr bekennen.
Bei Bosch, wo der Krawattenzwang
schon aufgehoben wurde, bei DM und
Siemens werden Achtsamkeitsübungen angeboten; auch bei der Europäischen Zentral- und der Deutschen
Bank treffen sich Manager zum gemeinsamen In-sich-Gehen.
„Hier sind wir, in diesem wundervollen Land“, sagte William George,
der Goldman-Sachs-Mann, versonnen zu Kabat-Zinn, „und hat sich irgendwer mal bemüht, zu den Bergen
hinaufzuschauen? Oder suchen wir
nur nach der nächsten Person, die wir
treffen könnten?“ Selten wurden auf
dem Weltwirtschaftsforum in Davos
so achtsam die Berge betrachtet.
Ja, die Leute schauen zurzeit am
liebsten in sich selbst hinein, auf der
BILANZ / OKTOBER / 2015
59
PAUL KOHTES ist die Galionsfigur der Zen-Zunft. Der frühere PR-Berater hat einen
Seinszustand erreicht, den viele als beneidenswert betrachten: Er nimmt nichts mehr richtig ernst.
IDEEN / INNOVATIONEN
60
JONAS LEVE (M.) und MANUEL RONNEFELDT führen Zen-Mann KOHTES ihre Mobilanwendung
„7 Mind“ vor. Man darf davon ausgehen, dass alle drei den Kopf endlich frei haben für andere Dinge.
BILANZ / SEPTEMBER / 2015
Suche nach Erleuchtung oder etwas
Licht am Ende des Korridors.
Jonas Leve (30) und Manuel
Ronnefeldt (27) stehen auf einer wesentlich kleineren Bühne als jener in
Davos, nämlich auf dem Festivalgelände Odonien, in der Nähe vom Kölner Hauptbahnhof, doch sie haben
das gleiche Stück im Programm. Um
sie herum Piraten-Deko aus Holz und
rostigem Metall, es sieht ein bisschen
so aus wie der Spielplatz von „Mad
Max“. Von der Bühne ragt eine Bohle
ins Publikum wie die Planke von einem Piratenschiff. Das Start-up-Festival heißt „Pirate Summit“.
Leve und Ronnefeldt sehen aus
wie IT-Nerds-Darsteller Anfang der
2000er: helle, freundlich-jugendliche
Gesichter, Nietenhosen, T-Shirts, Kapuzenpulli. Sie haben drei Minuten,
um sich und ihr Meditationsprogramm
„7 Mind“ vorzustellen. Die Gründer im
Publikum (alle um die Mitte 20) und
die etwas älteren Herrschaften (Geldanleger Mitte 30) fühlen sich gut unterhalten: „Ach, ist ja auch mal ganz
nett, so eine Meditations-App.“
Als Jonas und Manuel zu den Zahlen kommen, nickt das Publikum anerkennend: „7 Mind“ wurde in eineinhalb Jahren rund 55.000 Mal heruntergeladen. Wöchentliche Wachstumsrate: rund sechs Prozent. Das ist viel für
eine Mobilanwendung, angesichts der
Tatsache, dass die beiden Gründer kein
Geld fürs Marketing ausgegeben, sondern alles, was sie aufbringen konnten,
in die Technik gesteckt haben. Ende
Oktober soll eine erweiterte Version
für Unternehmen herauskommen.
Die Digitalisierung der Meditation
begann im Silicon Valley, mit der Anwendung „Headspace“: In kurzen,
animierten Videos und unter Zuhilfenahme von insgesamt 350 Stunden gesprochener Unterweisungen leitet der
ehemalige buddhistische Mönch Andy
Puddicombe (43) mit ruhiger Stimme
zur Meditation an.
Seit ihrer Einführung im Januar
2012 wurde „Headspace“ mehr als
drei Millionen Mal heruntergeladen.
Vielleicht ist es William George, dem
Goldman-Sachs-Manager aus Davos,
zu verdanken, aber alle Mitarbeiter
seiner Anlagebank bekommen das
Abonnement kostenlos. Die Gestaltung
von Jonas und Manuels Anwendung
„7 Mind“ erinnert übrigens durchaus
an „Headspace“.
Nach ihrer Präsentation auf dem Piraten-Festival sitzen Jonas und Manuel
auf einer Holzbank unter einem Bierzelt. Nebenan legt jemand Techno auf.
Wenn Menschen von Meditation
erzählen, sucht man bei ihnen automatisch nach Hinweisen oder Spuren der
Erleuchtung. Jonas’ Art zu reden ist gelassen und einfühlsam – so, als würde
man sich mit einer Freundin unterhalten, die gut zuhören kann. Auch Manuel wirkt fröhlich und aufgeräumt.
Die beiden sammeln und versenken
sich seit Jahren: Jonas hat die Meditation über seinen Vater kennengelernt,
einen Fotografen, der irgendwann beschlossen hat, Buddhist zu sein.
Kennengelernt haben sie sich über
Manuels Vater, einen Gitarrenlehrer,
bei dem Jonas einst Unterricht genommen hatte. Manuel selbst leistete
nach dem Abitur Zivildienst in Indien
und ging dort, aus Neugier, für drei Tage in ein Kloster. Und meditierte.
Beim BWL-Studium in Witten
trafen sich die beiden schließlich wieder. Auf einer Tagung, die sie an der
Universität organisiert hatten, machten sie schließlich die Bekanntschaft
des sogenannten Zen-Meisters Paul
Kohtes. Kohtes ist 70 Jahre alt und so
etwas wie die Galionsfigur der deutschen Wirtschafts-Meditationsszene:
„Wenn irgendein Konzern ein Seminar
zu Achtsamkeit machen möchte – sie
fragen immer Paul an“, sagt Jonas.
Außerhalb der Versenkungsgilde
erinnert man den Namen vielleicht
noch von der PR-Firma Kohtes &
Klewes, die zu den großen des Landes gehörte und in der Agenturgruppe Ketchum Pleon aufgegangen ist.
Kohtes hat bei Ketchum noch einen
Beratervertrag und spricht auf der
Weihnachtsfeier.
Jonas und Manuel legten dem ZenMeister Kohtes den Geschäftsplan für
ihre Mobilanwendung auf den Tisch.
24 Stunden später sagte er: „Ja. Das
machen wir.“
Kohtes ließ seine Kontakte spielen, und über 100.000 Euro kamen
zusammen – genug, um ein Modell
beziehungsweise Muster zu programmieren und eine GmbH zu gründen.
Ein potenzieller Investor habe den
Wert der Firma kürzlich auf über eine
Million Euro beziffert, sagt Jonas. Aber
das sei „im Moment nur eine Zahl,
wir zahlen uns selbst noch nicht mal
Gehalt aus“.
Wenn Jonas und Manuel auf Messen oder Festivals gehen, haben sie
ihre geräuschhemmenden Kopfhörer
dabei, damit man in ihre Anwendung
hineinhören kann.
Ich setze die Kopfhörer auf, es wird
still, die ruhige, feste Stimme eines
älteren Mannes begrüßt mich – es ist
die Stimme von Paul Kohtes. Auf dem
Bildschirm meines Telefons erscheint
das siebeneckige Erkennungszeichen
der App und eine Spieltaste, die langsam pulsiert, als würde sie atmen.
Kohtes duzt mich: „Nimm deinen
Körper wahr, spüre den Boden unter
deinen Fußsohlen. Rechts und Links.
Nimm wahr, wie sich deine Füße anfühlen. Kalt. Oder warm. Entspannt.
Oder angespannt.“ Die Pausen zwischen den Worten werden länger. „Lass
es geschehen, wenn es geschieht.“
Wenn man jeden Morgen sieben
Minuten lang (deswegen „7 Mind“)
meditiert, gewöhnt man sich schnell
an die Routine: Körper spüren, Atem
spüren, Spüren spüren, Außenwelt
leise stellen, altem Mann zuhören.
Die Projektentwicklerin einer
PR-Firma, die mithilfe der Anwendung
meditiert, sagte mir: „Es ist wie tauchen. Der Lärm des Schwimmbads verschwindet. Man ist in einer Unterwasserwelt nur mit sich selbst und blendet
alles für die Zeit aus. Man ist leichter,
aber sehr präsent. Man merkt, was im
Kopf los ist, kann sich sortieren.“
Es ist einfach, sich mit der App und
der Kohtes-Stimme auf Innenschau zu
begeben, es ist wie ein Pawlow’scher
Reflex: Der Hund hört die Glocke und
61
IDEEN / INNOVATIONEN
62
sabbert, der Mensch hört Kohtes und
versinkt in sich selbst.
Ohne Anleitung zu meditieren
kann nämlich durchaus enttäuschend
und entmutigend sein, denn man weiß
nie, ob man alles richtig macht. Kohtes
sagt einem ziemlich genau, was man
tun muss, und redet beruhigend auf
einen ein wie auf ein nervöses Pferd:
„Vielleicht nimmst du auch nichts
wahr. Dann ist es das.“
Meditation sei kein Medikament,
das ein bestimmtes Leiden heilen oder
einen Mangel lindern könne und dessen Wirkung sich mit einem Placebo
prüfen ließe, wie Aspirin. Der Effekt
auf das eigene Leben ließe sich eher
mit Gewohnheiten vergleichen, wie
„jeden Morgen laufen gehen“.
Auch die Auswirkung der Meditation auf Wirtschaftsleute ist ambivalent.
Der Seelenkundler Niko Kohls (41),
Professor an der Hochschule Coburg,
erzählte mir von einem Experiment,
das er mit 20 Mitarbeitern eines Telefonberatungszentrums („Callcenter“)
in Freiburg angestellt habe.
Nach acht Wochen Meditation, sagt
Kohls, hätten vier der 20 Mitarbeiter
gekündigt. „Diesen vier Mitarbeitern
hat die Meditation anscheinend geholfen, zu verstehen, dass das Callcenter
nicht der beste Platz im Kosmos für sie
ist.“ Nun ja. Mit Wissenschaft hat dies
nur am Rande zu tun.
„Wer sich auf Meditation einlässt,
verändert sich“, erzählt Kohtes. „Er
wird für einen Moment fitter, aber
auch bewusster für das, was passiert.“
Man könnte sagen, dass Meditation eine gewisse Distanz zu den äußeren Umständen des Lebens schafft
und eine gewisse Eigen-Empfindsamkeit wachruft. Dass die japanische Armee am Ende des Zweiten Weltkrieges
auch Kamikaze-Piloten mit Meditation auf ihren Einsatz vorbereitete und
dass die US-Marine heute ihre Scharfschützen mit Meditation trainiert, ist
kein Widerspruch.
„Es hängt also davon ab, in welchem Kontext das Ganze präsentiert
wird“, sagt Psychologe Kohls. „Letztendlich ist Meditation aus funktiona-
ler Sicht ein Instrument wie ein Hammer: vielseitig einsetzbar.“
Betritt man Paul Kohtes’ Erdgeschosswohnung in Oberkassel, einem
der schönsten und teuersten Stadtteile Düsseldorfs, weht einem ein Hauch
Bildungsbürgertum entgegen: An den
Wänden ziehen sich Bücherregale
entlang, dazwischen Holzskulpturen.
In einem Regal seines Arbeitszimmers
steht eine Nachbildung der Himmelsscheibe von Nebra, auf der Gästetoilette gibt es viele kleine Frotteehandtücher, die man nach Benutzung in
eine Tonne wirft.
Paul Kohtes trägt ein kariertes
Hemd, ein Armband mit bunten Steinen und, unauffällig unter dem Kragen, eine Kette mit Holzperlen.
Als er mit 28 Jahren seine PR-Agentur gründete, muss er so etwas wie der
Inbegriff des Erfolgsunternehmers
gewesen sein: charismatisch, impulsiv, energisch. Mit 32 erkrankte er an
Tuberkulose. „Das war ein Kulturschock“, erzählt Kohtes. „Als junger
Unternehmer zu sehen: Jetzt kannst
du nichts mehr tun. Du sitzt da zu
Hause, und die Firma läuft gegen die
Wand.“
Über einen Freund landete er in
dieser Zeit in einem Kloster im Saarland und saß eine Woche lang vor
einer weißen Wand. „Nie wieder“,
dachte sich Kohtes. Nie wieder wollte
er eine Woche lang eine weiße Wand
anstarren.
Ein halbes Jahr später war er wieder dort: zum Meditieren. Die weiße
Wand hatte ihm etwas gegeben, was
er in Düsseldorf-Oberkassel nicht
finden konnte. Bis zu dreimal im Jahr
verschwand Kohtes dann.
Wenn man Paul Kohtes danach
fragt, wie die Meditationswochen seine
Arbeit verändert hätten, erzählt er von
einer Krisensitzung mit den Anteilseignern seiner PR-Agentur: „Es war sehr
ernst, alles sehr angespannt. Ich bin
danach aufgestanden und habe einen
Witz gemacht, einen Scherz. Einer der
Partner sagte, er findet das unmöglich,
dass ich nach so einer Sitzung einfach
so einen Scherz machen kann.“
Paul Kohtes’ Berichte aus der Welt
der Meditation sind voll von diesen
Anekdoten: Mal geht es um einen
Vorstandschef, der seine Angst vor einem Gespräch mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden dank Zen überwinde, mal
um ihn selbst und wie der wirtschaftliche Erfolg jetzt ganz mühelos auf
ihn zukomme, wie „7 Mind“ ja auch
„zu ihm gekommen“ sei.
Kurz nach der Jahrtausendwende
kaufte Kohtes einen Freiburger Verlag
für spirituelle Literatur – wenig später
machte er pleite. „Da war nichts zu
retten“, sagt Kohtes. Die Erinnerung
scheint ihn eher zu amüsieren. „Ich
habe eine Verlustzuweisung, die ich
mein Leben lang nicht mehr ausfüllen
werde. Ich zahle also keine Steuern
mehr. Immerhin. Sie sehen doch, ich
hab’s überlebt. Läuft doch gut. Ich hab’
was zu essen. Was zu trinken. Interessante Aufgaben…“
Paul Kohtes, könnte man sagen,
nimmt das Leben nicht mehr so richtig
ernst. Ist ja ohnehin alles Illusion: „Ich
zitiere mal Shakespeare: Er hat gesagt,
das ganze Leben ist nichts anderes als
ein Theater.“
Eine von Paul Kohtes’ Erleuchtungserfahrungen war ein Autounfall:
„Nach einem Seminar habe ich auf
der Rückfahrt ein Auto gerammt. Ich
fand’s interessant. Nichts Schlimmes
passiert. War nur ein Blechschaden.“
Meditation bringt eine spirituelle Erfahrung mit sich, egal, wie säkular sie
sein will.
Warum Meditation gerade heute
wieder so in Mode gekommen ist, hat
mit der spirituellen Erfahrung zu tun,
die sich mit ihr angeblich machen lässt.
An Effizienz-Steigerung ist den Wirtschaftsleuten nicht gelegen. Die lassen
sich mit anderen Methoden schneller
erzielen. „Alle Führungskräfte, die ich
treffe, haben hinter der Fassade eine
tiefe Sehnsucht nach Sinn. Dass sie
nicht einfach nur so durch das Leben
laufen und hinterher in die Klappe fallen, und das war’s“, erzählt Kohtes. Mit
„7 Mind“ haben sie ihren Sinn, ihren
neuen Geschäftsgott, dann auf dem Telefon, immer in der Tasche.
I
PRIVAT / LUXUS
HIPSTER
MIT STIL
Die deutsche
Gründerszene gilt als eine
der lebendigsten in
Europa. Weil Luxusmode
so gar nicht zu den
Aufsteigern passt, haben
wir sie einfach
mal hineingesteckt.
64
Wie man sich anzieht, so steht man
da. Kaschmirwolle, Pelz, Krokodil-Leder – dieser Herbst wird luxuriös. Wir
haben 15 erfolgreiche Jungunternehmer eingeladen, um für BILANZ Modell zu stehen. Es war nicht einfach,
alle zur selben Zeit am selben Ort zu
versammeln (was unser Ehrgeiz gewesen war), denn Erfolg steht ja meist in
unmittelbarem Wechselverhältnis zu
einem vollen Terminkalender. Aber
dann klappte es doch: Flüge wurden
umgebucht, Besprechungen abgesagt,
Arztbesuche verschoben – und am
Ende kamen alle nach München.
Im GOP Varieté an der Maximilianstraße, wo normalerweise Clowns,
Komödianten und Artisten auf der
Bühne stehen, inszenierten wir am
26. August zwischen 8 Uhr morgens
und 15 Uhr eine Art vorherbstliche
Dinnerparty.
Eingeladen waren und eingekleidet
wurden namhafte Gäste, unter ihnen
Catharina van Delden, Gründerin der
Internetplattform Innosabi, auf der
Unternehmen zusammen mit ihren
Kunden neue Produkte entwickeln;
Maria Spilka, die Gebrauchtmode
über Maedchenflohmarkt.de verkauft;
oder Maru Winnacker, Chefin von Project-oona.com, eines Netzhandels für
individualisierte Handtaschen. Besuch
hatte sich auch aus der dinglichen Welt
angesagt: PR-Beraterin Ala Zander etwa und die Ärztin Miriam Rehbein.
Unter den Vertretern des schwachen Geschlechts fanden sich u.a. Holger Teske und Steffen Reitz, Chefs von
Gini.net, einer Mobilanwendung für
Dokumenten-Management, und die
Internetunternehmer Andreas Bruckschlögl und Bernd Storm, die auch die
Gründerkonferenz Bits & Pretzels ausrichten.
Fotos
JESSICA BARTHEL
Styling
VERONIQUE TRISTRAM
Produktion
ANNETTE PAWLU
Haare und Make-up
ELIZABETA ZEFI und
EVANGELOS TZIMIKAS
Die Mode-Macherinnen: Maria Spilka (26, links im Bild) von Maedchenflohmarkt.de und Maru Winnacker (36), Project-oona.com.
LINKS: KLEID: PRADA,
SCHUHE: MIU MIU, BROSCHE: PRADA;
RECHTS: KLEID, STRICKMANTEL
UND SCHAL: LALA BERLIN, STRUMPFHOSE:
CALZEDONIA, SCHUHE: JIL SANDER,
TASCHE: FENDI
BILANZ / OKTOBER / 2015
65
PRIVAT / LUXUS
1
VON LINKS: (EINS UND ZWEI WIE AUF SEITE 65),
BLUSE UND SAMTBLAZER: PUCCI, HOSE: DKNY,
KETTEN: SUSA BECK, TASCHE: HERMÈS; HOSE,
BLUSE, PULLOVER, PELZ, LEDERGÜRTEL, TASCHE
UND SCHUHE: MICHAEL KORS, ARMREIF: HERMÈS
66
BILANZ / OKTOBER / 2015
1 – Macht-und-Kraft-Frauen mal vier
(v.l.): Die Unternehmerinnen Maria
Spilka und Maru Winnacker neben
Catharina van Delden (31), der Gründerin der sogenannten Crowdsourcing-Plattform Innosabi.com, und der
Ärztin Miriam Rehbein (32), Gründerin der dermatologischen Klinik am
Friedensengel in München.
3
SIE: HOSE, PULLOVER UND MANTEL: BRUNELLO
CUCINELLI, KETTEN: SUSA BECK; ER: PULLOVER:
MARC O’POLO, HOSE: BRUNELLO CUCINELLI,
SCHUHE: SANTONI, MANTEL: ETRO, SCHAL:
ZEGNA, TASCHE: HACKETT
67
3 – Berkeley-Absolventin Catharina
van Delden ist das jüngste Präsidiumsmitglied des IT-Branchenverbandes
Bitkom und eine der einflussreichsten
Figuren der deutschen IT-Wirtschaft.
Bernhard Hering (28) ist Mitgeschäftsführer von Blogbox, die eine Mobilanwendung für Blog-Leser entwickelt hat.
2
VON LINKS: ANZUG, POLOHEMD
UND SCHUHE: BRIONI (ÜBER STYLEBOP.COM),
TRENCHCOAT: BURBERRY; MANTEL,
PULLOVER UND RUCKSACK: MICHAEL KORS,
JEANS: BALDESSARINI, BOOTS VON BRIONI
2 – v.l.: Andreas Bruckschlögl (30),
Gründer von Onpage.com, und Bernd
Storm (40), Chef von Aboalarm.de.
Die beiden veranstalten auch die Digitalkonferenz Bits & Pretzels. Rechts
im Bild: Ralph Graf Strachwitz (44),
seines Zeichens Geldanleger und Aufdie-Beine-Steller der Liefer-Plattform
Kulinado.de.
PRIVAT / LUXUS
1 – „Luxus bedeutet für mich, es mir
zu gönnen, den Tag und den Moment
zu zelebrieren“ – Maria Spilka (un-
ten rechts) hat auf ihrem Maedchenflohmarkt auch einen professionellen
Concierge-Service eingerichtet, der
für ihre Kundschaft das Fotografieren und Präsentieren der SecondhandMode übernimmt.
1
HOSE UND TOP: PRADA, SCHUHE: SANTONI,
HAARKLAMMERN UND BROSCHE: PRADA,
RING: SUSA BECK
2
LINKS: KLEID: KOLLEKTION ANTONIA ZANDER,
SCHUHE: FERRAGAMO, HALSKETTE: SÉVIGNÉ;
RECHTS: BLUSE: EQUIPMENT FEMME, ROCK:
ROLAND MOURET (ÜBER STYLEBOP.COM),
SCHUHE: JIMMY CHOO, UHR: CHRONOSWISS,
SCHMUCK: SÉVIGNÉ UND OLE LYNGGAARD
COPENHAGEN, BRILLE: VIU EYEWEAR
68
2 – Die Erfolgsschwestern Antonia
Zander (38, links), Gründerin der Modemarke „Antonia Zander Cashmere“,
und Ala Zander (41), Chefin der PRFirma Stilart, die für Kosmetik- und
Modeunternehmen arbeitet.
3 – Wer bei ihnen drin ist, ist in: Sascha Arnold (47, links) ist nicht nur
Architekt, sondern auch seit Jahren
erfolgreicher Gastronom (u.a. The
Flushing Meadows Hotel und Bar).
Fürs BILANZ-Shooting sitzt er Rücken
an Rücken mit dem denkwürdigen
Kostas Ignatiadis (40), BarkeeperLegende im Schumann’s.
3
BILANZ
/ OKTOBER / 2015
BILANZ
/ SEPTEMBER
LINKS: HEMD, PULLOVER UND HOSE:
MARGIELA, MANTEL: ACNE;
RECHTS: HEMD: AGLINI/ THOMAS
MASON, PULLOVER: CRUCIANI,
HOSE: DONDUP, MANTEL: ACNE
69
PRIVAT / LUXUS
70
1
1 – Alle „Models“ waren im Münchner
GOP-Varieté-Theater zum Gruppenbild versammelt. Ein bisschen wie zum
letzten Abendmahl: Sascha Arnold,
Holger Teske, Bernd Storm, Kostas Ignatiadis, Dr. Miriam Rehbein, Catha-
rina van Delden und Bernhard Hering
(stehend von links), Antonia Zander,
Maru Winnacker, Steffen Reitz, Ala
BILANZ / OKTOBER / 2015
2
LINKS: PULLOVER, BLAZER, SCHAL
UND SCHUHE: ZEGNA,
MANTEL: BALDESSARINI, HOSE: ETRO (ÜBER
STYLEBOP.COM), UHR: HERMÈS;
RECHTS: JEANS: MICHAEL KORS, SAKKO: ETRO,
PULLOVER: ETRO, SCHUHE: ZEGNA,
HUT: HACKETT, UHR: FREDERIQUE CONSTANT
71
2 – Die Gründer und Geschäftsführer
von Gini.net, Steffen Reitz (32, l.) und
Holger Teske (32). Gini.net versteht
Dokumente in Echtzeit und bekämpft
Papierkram – wie eine echte, helfende
Gini eben. Nur ohne Flasche.
Zander, Andreas Bruckschlögl, Maria Spilka, Ralph Graf Strachwitz und
ganz außen Johannes Woll (45, sit-
zend von links), Geschäftsführer der
Münchner Networking-Plattform Miitya.com – the instant meeting app. Er
trägt einen Anzug und einen Gürtel
von Hermès, Hemd und Schuhe sind
von Brioni.
PRIVAT / LUXUS
DIE HABEN EINEN STICH
Und zwar einen besonderen: Das Designer-Duo Stiebich & Rieth entwirft
handgemachte Taschen, die es mit denen von Hermès aufnehmen können.
Text / SOPHIE CROCOLL
D
72
er Sattlerstich erfordert
Geschick und Kraft,
eine ruhige Hand und
ein gutes Auge: Beide
Enden eines Fadens
müssen bei dieser Handwerkstechnik
durch die Ösen zweier Nadeln und das
Garn durch ein Ahlenloch im Leder geführt werden. Man stößt abwechselnd
die linke und die rechte Nadel durch
das folgende Loch, zieht den Faden
stramm und so weiter, bis die Teile
zusammenhalten.
Der Sattlerstich bringt eine besonders feste Naht hervor, die sich auch
dann nicht löst, wenn ein Faden schon
gerissen ist. Einige Berühmtheit erlangte er als jene Kunstfertigkeit, mit
der Hermès-Taschen in Form und Fasson gezwungen werden.
Auch die Kreationen von Julia
Rieth (49) und Detlef Stiebich (54),
zwei aufstrebenden, vielversprechenden Designern aus Hamburg, machen
sich in aufsehenerregender Weise diese mittelalterliche Technik zunutze.
Galeries Lafayette und Kadewe,
die Berliner Luxushäuser, stellen Stiebich&Rieth-Modelle ins Schaufenster
neben Schöpfungen von Armani und
Jil Sander; Modegeschäfte in Paris und
Zürich, in München und auf Sylt bieten ihre Taschen feil.
Die „Bunte“-Illustrierte verlieh
den Hamburgern den sogenannten
New Faces Award Fashion , der Veranstalter der Berliner Modemesse
Premium den Young Designers Award
unter Hinweis darauf, dass wirklich
„jeder Nadelstich selbst gesetzt“ sei,
und Christiane Arp, Chefredakteurin
der deutschen „Vogue“, pries in der
„SZ“ das „echte Handwerk“ und „tolle
Design“.
Auf der Sonnenseite: die
Taschengestalter JULIA RIETH
und DETLEF STIEBICH.
Stiebich&Rieth gilt als große Entdeckung der deutschen Edelzubehörund Chichi-Szene. Nach Meinung von
Fachleuten und Anhängern haben die
Designer das Zeug, in ähnlicher Weise
für Furore zu sorgen wie die jungen
deutschen Modemarken „Lala Berlin“,
„Odeeh“ oder „Bobby Kolade“.
Zupass kommt Stiebich und Rieth,
dass manchen Kunden die Modelle
von Louis Vuitton, Gucci oder Chanel schon nicht mehr exklusiv genug
sind, nachdem diese nun auch in Mexiko-Stadt, Moskau oder Mumbai verkauft werden, wo die Nouveaux Riches
zu Hause sind, die nicht gerade für ihr
Fein- und Stilgefühl bekannt sind.
Liebhaber des Luxuriösen sehnen
sich nach Dingen, die handgearbeitet,
exquisit und vor allem selten sind.
Fotos / BENNE OCHS
Den Ansprüchen an Rarität und Außergewöhnlichkeit genügen die Handtaschen von Rieth und Stiebich aufs
Verbindlichste: Vor zweieinhalb Jahren verkauften sie gerade einmal 70
Stück, und auch jetzt, in ihrer fünften
Kollektion, wird es nur 500 neue Taschen geben – ausschließlich für Damen im Übrigen, zwischen 1.000 und
2.000 Euro teuer, als Umhänge- oder
Handtasche, aus Leder, in Schwarz,
Grau, Piniengrün, mokka- oder bordeauxfarben, mit wenigen Beschlägen und Schnallen; allesamt von jener Schlichtheit und Eleganz, mit der
deutsche Mode seit den Entwürfen Jil
Sanders die Welt beeindruckt.
„Protzerei liegt uns fern“, sagt
Julia Rieth. „Unser Luxus besteht darin, wie wir die Taschen produzieren,
und in der Zeit und Liebe, die in ihnen
stecken.“ In Frankreich, sagt Kompagnon Detlef Stiebich, sei Luxus,
anders als in Deutschland, „ein Kulturgut: Man achtet und schätzt Marken wie Hermès und Saint Laurent“.
In Deutschland habe Luxus häufig
diesen Beiklang von Prunksucht und
Verschwendung.
Die Designer sitzen in Stiebichs
Wohnzimmer. Seine Altbauwohnung
im Stadtteil Harvestehude, der an die
Außenalster grenzt und zu den teuersten Nachbarschaften Hamburgs
zählt, dient den beiden auch als Atelier: An den Wänden lehnen gerahmte
Fotografien, auf den Dielen stapeln
sich Zeitschriften, obenauf ein Telekom-Kundenmagazin aus dem vergangenen Jahr.
Sie arbeiten viel, seit sie 2012 ihre eigene Marke ins Leben riefen:
Entwürfe anfertigen, Leder auswählen, Reißverschlüsse finden, Modelle
BILANZ / OKTOBER / 2015
73
Um ein erstes Muster zu
fertigen, markiert Stiebich die
Nahtlinien der Taschenteile
mit einem Reifeleisen (u.l.) und
durchbohrt das Leder mit
einer Lochzange (M.r.). Für den
Sattlerstich wird ein Faden
an beiden Enden aufgefädelt, beide
Nadeln durch dasselbe Loch
gestoßen (u.M.). An der Wand:
die Garnfarbkarte mit gewachstem
Handnähgarn (o.r.).
PRIVAT / LUXUS
74
nähen, die Herstellung überwachen,
sich auf Messen zeigen, Händler besuchen, Händler beeindrucken.
Bevor sie sich selbstständig machten, hatten sie lange Zeit für andere
Modeunternehmen Taschen gestaltet,
für Joop etwa und Bogner: Sie lieferten
Skizzen und Entwürfe ab, wurden bei
der Umsetzung aber immer seltener
eingebunden. Am Ende erkannten sie
ihre eigenen Ideen häufig kaum wieder.
Um ihren eigenen Stil wiederzuentdecken, ihre Marke zu entwickeln
und zu gestalten, nahmen sie sich Zeit:
„Es gibt so viele Produkte auf dem
Markt, es braucht ja niemand etwas
Neues“, sagt Rieth. Ein Jahr dauerte
es, bis sie ihre Stiebich&Rieth-Linie
endlich gefunden hatten. Ein Glück,
dass Luxus weniger bedeutet, etwas
zu brauchen, als es haben zu wollen.
Es kann viele Stunden dauern, bis
eine Tasche gefertigt ist. Das Leder
beziehen Rieth und Stiebich aus Santa
Croce am Arno, etwa 30 Kilometer östlich von Pisa. Die ausgewählten Betriebe gerben nicht mit Chrom, sondern
mit Naturstoffen wie Eichenlaub oder
Kastanien.
Im Atelier suchen die Hamburger
alle Häute unter Tageslichtlampen nach
Mückenstichen, Narben und anderen
Malen ab, die die Taschen verunzieren
könnten. In der Lederwerkstatt Ludwig
Schröder in Uetersen, 30 Kilometer
nordwestlich von Hamburg, schneiden
Fachleute die Häute zu, jagen mit einer
Maschine Tausende Löcher ins Leder,
polieren und färben Kanten, prägen
Firmenzeichen auf mit Goldfolie.
In zwei weiteren norddeutschen
Betrieben fügen Näherinnen die Teile
mit dem guten alten Sattlerstich zusammen. Wo genau, will Rieth nicht verraten: Zu wenige Manufakturen gebe es
noch in Deutschland, die dieses Handwerk beherrschten, als dass man ihre
Namen den Rivalen preisgeben könne.
Das Leder sei so fest, dass man es
während des Nähens nicht umstülpen
könne, sagt Stiebich: „Zum Teil brauchen die Näherinnen Stirnlampen,
um zu sehen, wo sie ihre Stiche setzen
müssen.“
Die Fertigung übernimmt die
Manufaktur Ludwig Schröder
in Uetersen bei Hamburg.
An der Spaltmaschine wird
das Leder zerteilt, dann seine
Stärke gemessen (rechts).
Die Präge- und Presswalzen
benötigt man für Riemen
(links oben). Darunter:
eine fertige Tasche
des Modells „Hunter“.
Auch in Japan ist man auf die Handwerkskünstler vom Alsterufer aufmerksam geworden: Einkäufer stellen
gerade einigen exklusiven Warenhäusern Stiebich&Rieth-Kreationen vor;
auch mit potenziellen Geschäftspartnern in England und den USA führen
die Hamburger Gespräche.
Selbst Interessenten aus Italien,
der Heimat von Prada und Bottega
Veneta, haben sich bei ihnen gemeldet. „Dabei haben wir bisher gedacht:
Taschen nach Italien zu bringen, das
ist, wie Eulen nach Athen zu tragen“,
sagt Stiebich und lacht.
Ihre nächsten Kollektionen will
das Duo nun um Gürtel, Männertaschen und Taschen aus weicherem
Leder erweitern – und dann, in etwa
einem Jahr, auch erstmals Gewinne
erwirtschaften.
Erstes Ziel ist es, jemanden einzustellen, der für sie den Vertrieb übernimmt und die Finanzen regelt. Noch
beschäftigen die beiden nur eine Mitarbeiterin, die ihnen einigen Verwaltungskram abnimmt.
Bislang haben Rieth und Stiebich
ihr Unternehmen mit eigenem und
von Familie und Freunden geliehenem
Geld finanziert. „Der nächste Schritt
muss sein, einen stillen Teilhaber zu
finden“, sagt Rieth: „Wir müssen international präsenter sein und wollen
unser Geschäft ausbauen.“
Dabei sollen die weicheren Taschen helfen, deren Herstellung weniger aufwendig ist. An dem Grundsatz
der Handarbeit aber wollen sie freilich nichts ändern – und sich so ihre
Eigenart und Exklusivität bewahren.
Rieth sagt: „Ein vollständig handgenähtes Produkt wird immer limitiert
bleiben.“
P
RANG
LISTE
&
1
WOHNEN WIE IM FILM
M
Möglicherweise mal ein Thema für eine Doktorarbeit::
„Auswirkungen des Hotelierzwangs auf Prominente“..
2
PALAZZ MARGHERITA (ab ca. 850 Euro)
PALAZZO
Francis Ford Coppola (76) hat viele Hotels, aber dieses ist
sein schönstes: in Bernalda, Süditalien, der Heimat
seines Großvaters. Stil: arabischer Neobarock. Neun Suiten.
SUNDANCE MOUNTAIN RESORT (ab ca. 235 Euro)
Wildwestlicher Rückzugs- und Abhängort für Kuhjungen
und Skifahrer, von Robert Redford (79) in Utah errichtet:
95 Cottages, Indianerkunst. No air-conditioning: alles Öko.
3
4
75
b ca. 340 Euro)
E
)
THE BEDFORD POST INN (ab
Richard Gere (66) wohnt nebenan und ist fast täglich
im Hotel. New Yorker kommen übers Wochenende,
Susan Sarandon und Ralph Lauren regelmäßig zum lunch.
THE GREENWICH HOTEL ( ab ca. 595 Euro)
Robert De Niro (72) ist business man. Sein Hotel im NYC-Bezirk
ribeca dient allein
alle der Geldanlage. Nur wenn der GeschäftsTribeca
erfo
ford
fo
r ert, muss
m
gangg es erfordert,
er sich mal eminenzhaft blicken lassen.
5
6
L (ab ca
ELEVEN MIRRORS DESIGN HOTEL
ca. 195 Euro)
1.000 Meter vom Maidan entfernt, mitten in Kiew.
Elegant, klar, schlicht: »Inspired by Wladimir Klitschko«
(Eigenwerbung). Seit 2012 im Besitz des Meisters (39).
MIS
MISSION
RANCH HOTEL (ab ca. 110 Euro)
Ehemalige Milchfarm in Carmel, südlich von Frisco. Hier war
Clint Eastwood (85) Bürgermeister, hier lebt er auch,
liiert mit der Hotelchefin. Hauseigene Brauerei, 31 Zimmer.
FOTOS: PICTURE ALLIANCE (2), GETTY IMAGES (4), PALAZZO MARGHERITA,
SUNDANCE MOUNTAIN RESORT, THE BEDFORD POST INN, THE GREENWICH HOTEL,
COURTESY OF DESIGN HOTELS, MISSION RANCH HOTEL
PRIVAT / LUXUS
TRETEN
SIE
NÄHER!
Viele Hersteller von Luxuswaren leisten sich
eine neue Art von Schauraum:
ihre eigenen Museen.
Text
SOPHIE CROCOLL
76
Teilweise bis zu sechs Stunden harrten
New Yorker und Besucher der Stadt im
Sommer 2011 vor dem Metropolitan Museum of Art aus, um die Schau „Alexander
McQueen – Savage Beauty“ zu sehen: Entwürfe des britischen Stardesigners, der
sich im Jahr zuvor das Leben genommen
hatte. Die Ausstellung gehört mit ihren
mehr als 650.000 Besuchern bis heute zu
den erfolgreichsten des Met überhaupt.
Mode und Kunst nähern sich, auf unterschiedliche Weise, seit Jahren immer
weiter an: Kuratoren in New York, Paris
und London inszenieren Luxusgüter (Kleider, Schmuck und Accessoires) als geschichtsträchtige Artefakte. Unternehmen
wie Prada und LVMH stellen in eigenen
Museen Kunst aus – und nehmen so auch
Einfluss darauf, wie sich zeitgenössische
Werke verkaufen (BILANZ 7/14).
Wieder andere Luxuskonzerne errichten Museen, in denen sie ihre Geschichte erzählen. 2011, im Jahr der McQueen-Ausstellung, eröffneten in Florenz
das Gucci- und im Baskenland das Balenciaga-Museum. Im Mai schenkte sich
Giorgio Armani (81) zum 40-jährigen
Bestehen seines Unternehmens einen
eigenen Ausstellungsraum. Vielleicht
werden sich die Menschen dort unbefangener bewegen als in seinen Boutiquen: Immerhin kann man sich einfach
nur umsehen – ohne unangenehm aufzufallen.
BILANZ / OKTOBER / 2015
77
Armani Silos
Im ehemaligen Mailänder Industrieviertel Tortona hat Armani für
50 Millionen Euro seine Ausstellungsräume eingerichtet, die er als „Silos“
bezeichnet: Sie stecken in einem
früheren Kornspeicher. „Ich habe sie Silos
genannt, weil dort Nahrungsmittel
aufbewahrt wurden, die natürlich lebenswichtig sind. Für mich gehören
Kleider genauso zum Leben wie Nahrung“,
teilte Armani zur Eröffnung mit. Die
Form der Betonfassade, die an Bienenwaben erinnern soll, wurde beibehalten,
auf Schmuck und Zier aber verzichtet.
Auf vier Stockwerken sind mehrere
Hundert Aufmachungen und Accessoires
des Gestalters ausgestellt.
www.armanisilos.com
Via Bergognone, 40
Dienstag, Mittwoch, Freitag und Sonntag
11 bis 20 Uhr, Donnerstag
und Samstag bis 22 Uhr, 12 Euro
FOTOS: DAVIDE LOVATTI
PRIVAT / LUXUS
78
Museo Salvatore
Ferragamo
In einem 1289 erbauten Palast
in Florenz richtete die FerragamoFamilie 1995 ein Museum ein,
um „internationales Publikum von
den künstlerischen Qualitäten
Salvatore Ferragamos“ zu überzeugen.
Den Beweis erbringen sollen:
natürlich die ausgestellten,
von Ferragamo entworfenen Schuhe,
solche, mit denen frau gehen,
und solche, auf denen sie mit Glück
immerhin das Gleichgewicht
halten konnte. Außerdem zeigt das
Museum noch bis April 2016
die Geschichte des Palasts, in dem
es sich befindet.
Fondation Louis Vuitton
Wenn der Luxuskonzern LVMH
beim Architekten Frank Gehry (86)
ein Pariser Museum bestellt, dort Kunst
des 20. und 21. Jahrhunderts ausstellt,
hält Frankreichs Präsident François
Hollande (61) die Eröffnungsrede.
www.ferragamo.com/museo
Piazza Santa Trinita 5/R
täglich 10 bis 19.30 Uhr, 6 Euro
www.fondationlouisvuitton.fr
8, Avenue du Mahatma Gandhi
Mo., Mi. und Do. 12 bis 19, Fr. bis 23 Uhr,
Sa. und So. 11 bis 20 Uhr, 14 Euro
FOTOS: MUSEO SALVATORE FERRAGAMO (3),
GETTY IMAGES (2)
FOTOS: GETTY IMAGES
BILANZ / OKTOBER / 2015
79
Fondation Pierre Bergé –
Yves Saint Laurent
In der Ortschaft Getaria, zwischen
Bilbao und San Sebastián,
thront auf einer Kuppe das BalenciagaMuseum: ein moderner Anbau an
den Palacio Aldamar, in dem einst die
Balenciaga-Förderer, die Marquis
von Casa Torres, lebten. In der Fassade
des Neubaus spiegeln sich
die grünen Hügel des Baskenlands.
Nachdem sie die Marke YSL an
Gucci verkauft hatten und sich Yves
Saint Laurent 2002 aus dem
Modegeschäft verabschiedet hatte,
schufen Saint Laurent und sein
Lebensgefährte Pierre Bergé (84) in
Paris die nach beiden benannte
Stiftung, die Leben und Aufstieg des
Couturiers auch nach dessen Tod
für die Nachwelt fest- und erhalten
soll: 5.000 Haute-Couture-Stücke,
15.000 Accessoires, dazu Skizzen
und andere Denkwürdigkeiten.
www.cristobalbalenciagamuseoa.com
Aldamar Parkea, 6
Dienstag bis Freitag 10 bis 17 Uhr,
an Wochenenden 10 bis 19 Uhr, 10 Euro
www.fondation-pb-ysl.net
3, Rue Léonce Reynaud
Dienstag bis Sonntag 11 bis 18 Uhr,
Donnerstag bis 21 Uhr, 7 Euro
Cristóbal Balenciaga
Museoa
FOTOS: GETTY IMAGES
FOTOS: FONDATION PIERRE BERGÉ –
YVES SAINT LAURENT
PRIVAT / LUXUS
MEHR
GELÄNDE
WAGEN
80
Von Zurückhaltung keine Spur: Den „Bentley Continental“, hier in „Applegreen metallic“, gibt es in 104 Farben.
D
er Anfang war schwer.
Als Wolfgang Dürheimer (57) im März 2012
auf dem Genfer Autosalon die Studie eines
Geländewagens von Bentley vorstellte,
war das Echo verheerend: ein Panzer,
zu gewaltig, zu ungelenk. Selbst seine
Vorgesetzten bei VW in Wolfsburg
schüttelten den Kopf.
„Die Studie war überzogen“, sagt
der Bentley-Boss. „So ein unerwartetes neues Konzept schockiert viele erst
einmal“, fördere auf der anderen Seite
aber auch die Auseinandersetzung mit
der Marke.
Mitte September zeigte er am Vorabend der Autoschau IAA die zum
wiederholten Male überarbeitete Serienversion, den „Bentayga“ – den
ersten Geländegänger der britischen
Luxusmarke. Bronzefarben glänzte der
608 PS starke und mindestens 208.500
Euro teure Koloss, zwei Flaschen „Dom
Pérignon“ im Kofferraumkühlschrank.
Noch immer spaltet das Auto die
Gemüter, aber beim Publikum findet
der Wagen Anklang. Die Produktion
2016 dürfte bereits in diesem Jahr verkauft sein.
Angefangen hatte alles mit einem
Koffer, den Markenchef Dürheimer
2012 in die Zentrale nach Wolfsburg
trug: Er enthielt 2.000 Karten, jede einzelne mit einer Unterschrift versehen.
Es waren Blanko-Bestellungen: Alle
wollten den Anglo-Hochbeiner haben –
und waren bereit, üppige Anzahlungen
zu leisten. Und dies, ohne je ein Modell
zu Gesicht bekommen zu haben. „Wir
müssen dieses Auto bauen“, sagte Dürheimer zum damaligen VW-Premier
BILANZ / OKTOBER / 2015
Die britischen Luxusmarken Rolls-Royce und Bentley beharken
sich 17 Jahre nach ihrer Trennung verbissener denn je.
Beide riskieren viel – und legen nun erstmals Geländewagen auf.
Text / STEPHAN KNIEPS
und MARK C. SCHNEIDER
Fotos / PETER GUENZEL
81
Große Klappe: Das „Phantom“ ist der Stolz des Hauses Rolls-Royce. Man hält die Karosse für die beste Limousine der Welt.
Winterkorn. Und Bentley baute es: Anfang 2016 wird der bis zu 300 Stundenkilometer schnelle „Chelsea Tractor“,
wie Engländer solche Giganten aus
den Feineleutevierteln nennen, ausgeliefert, mit einer Karosserie aus der
Volkswagen-Fabrik Bratislava und erprobter VW-Großserientechnik.
Ästhetischer Irrweg oder kluges
Kalkül? Auch wenn die Geschäftsaussichten in der Branche schon einmal
besser waren – Sorgen bereiten namentlich die früheren Hoffnungsmärkte Brasilien, Russland und China –,
VERDOPPLUNG IN
FÜNF JAHREN
Anzahl der verkauften Autos
11.020
10.120
8510
7003
5117
3538
3575
3630
4063
2282
2010
2011
2012
2013
BENTLEY
ROLLS-ROYCE
QUELLEN: VW, BMW
2014
auf eines können sich die Strategen
verlassen: auf die fast grenzenlose
Hingabe des städtischen Bürgertums
für Geländemodelle, die sogenannten
Sport Utility Vehicles, vulgo SUV.
In jedem Teilmarkt, von der Unter- bis zur Oberklasse, reüssieren sie.
Studien zufolge soll ihr Anteil an den
Neuzulassungen in Europa zwischen
2014 und 2018 um 37 Prozent auf
4,8 Millionen Einheiten steigen. In den
USA haben SUVs bereits einen Marktanteil von 36,5 Prozent und sind damit
die beliebteste Fahrzeuggattung.
PRIVAT / LUXUS
Auch Dürheimers Kontrahenten nutzen die Gunst der Stunde: Lamborghini und Maserati arbeiten ebenso an
luxuriösen Kraxlern und verstören die
Traditionalisten wie Aston Martin. Jaguar bringt im Frühling den „F-Pace“
auf den Markt, um dem „Porsche Macan“ Kundschaft abzujagen.
Und auch bei Rolls-Royce, einst
Inbegriff der Limousinenhaftigkeit,
soll ein Querfeldein-Gefährt in Serie
gehen. Dies haben Rolls-Royce-Geschäftsführer Torsten Müller-Ötvös
(54) und der für die Marke zuständige
BMW-Vorstand Peter Schwarzenbauer
(55) in einem offenen Brief annonciert.
Erst jetzt, könnte man einwenden in
Anbetracht des Vorsprungs der Wettbewerber, allen voran Bentley – jener
Firma, die bis 1998 zu Rolls-Royce gehört und immer im Rufe gestanden
hatte, die etwas zu kurz gekommene
Schwestermarke zu sein.
Vor 17 Jahren hatten deutsche Konzerne den gemeinsamen Geschäftsgang
beendet: BMW fing mit Rolls-Royce in
Goodwood völlig neu an, während VW
mit Bentley gleich die geschichtsträchtige Fabrik 275 Kilometer entfernt in
Crewe bei Manchester übernahm.
Getrennt voneinander gewannen
beide Marken richtiggehend Drive,
stellten Absatzrekorde auf und erwirtschafteten feine Renditen – wobei fairerweise angemerkt werden muss, dass
BMW, im Gegensatz zu VW, keine Geschäftszahlen ihrer britischen Tochterfirma veröffentlicht.
Müller-Ötvös führt seit 2010 die
Geschäfte von Rolls-Royce. Sein Büro
ist mit weinrotem Teppich ausgelegt,
in einem Regal steht – neben einigen
passen in idealer Weise zum künftigen SUV des Hauses, der in aller Unbescheidenheit den Namen des größten jemals gefundenen Diamanten der
Welt trägt und „Cullinan“ heißt.
Vor 2018 wird dieser Diamant auf
Rädern freilich nicht durchs Gelände gleiten. Grundsätzlich hat man es
nicht eilig: „Das Projekt ,Cullinan‘ ist
nicht dadurch entstanden, dass andere Marken sich entschieden haben, in
dieses Segment zu gehen.“ Das wäre ja
auch noch schöner. Und Müller-Ötvös
unterrichtet seinen Besucher dahingehend: „Wir sind nicht getrieben.“
Aber ein wenig schon. Denn
BMW-Vorstand Schwarzenbauer erzählt, wie er, Schwarzenbauer, „die
Designkollegen fast verrückt gemacht“
habe: Solange er nicht das Gefühl hatte, „das ist jetzt ein vollwertiger RollsRoyce“, konnte er auch keine Entscheidung fällen, das Modell aufzulegen.
Gewiss, der „Cullinan“ wird „nicht
die dominante Rolle spielen wie Geländewagen bei anderen Marken“. In
Kühle Figur: Rolls-Royce-Lord TORSTEN MÜLLER-ÖTVÖS.
82
Dabei brachten sie das Kunststück
zuwege, weder das Wort „Geländewagen“ noch den Gattungscode „SUV“
zu verwenden. Das Schreiben ist,
gedruckt auf ein Plakat, in der Empfangshalle der Rolls-Royce-Zentrale
im südenglischen Goodwood ausgestellt. Jeder der Besucher liest die
salbungsvollen Worte: „Viele unserer
Kunden haben uns aufgefordert, ein
Fahrzeug wie dieses zu entwickeln.“
Da ist die Rede von einem „noch nie
dagewesenen Automobil“, das „jedes Terrain durchfahren kann“. Zum
Schluss verkünden die Manager: „Die
Reise beginnt jetzt.“
Nachbildungen der Rolls-Royce-Kühlerfigur „Spirit of Ecstasy“ – ein Foto,
das ihn mit Premierminister David
Cameron zeigt.
Müller-Ötvös trägt dunkelblaues Tuch, blütenweiße Manschetten
und schwarze Lackschuhe. Seine
silbergrauen Haare hat er mit schneidiger Eleganz nach hinten gegelt. Er
sieht aus wie gestärkt. Es knistert,
wenn er sich bewegt.
Er lebt am Ärmelkanal, in der Nähe von Portsmouth. Wenn er Zeit hat,
geht er angeln. Süßwasser, im Fluss,
fliegenfischen: Lachse, Forellen. „Es
gibt nichts Schöneres, als im Fluss zu
stehen.“ Abends wirft er die Fische in
die Pfanne.
Der Mann mit dem Doppelnamen ist für die Marke mit dem Doppelnamen wie gemacht: Als Graf von
Hampshire würde er eine ebenso gute Figur abgeben, wie er es als Angler
in Gummistiefeln und Wathose tut.
Fluidum und Aura des Landadligen
ihrer 111-jährigen Geschichte haben
die Briten noch nie einen Geländewagen aufgelegt. Auch deshalb, weil ein
Rolls-Royce überallhin gelangte. Müller-Ötvös weist vornehm darauf hin,
dass Lawrence von Arabien seinerzeit mit einem Rolls-Royce die Wüste
durchquert habe. Zumindest dann,
wenn kein Ross zur Verfügung stand.
Aber wie das Leben so spielt, werden auch die Rolls-Royce-Fahrer mit
der Zeit nicht älter, sondern immer
jünger, zumindest von marketingtechnischer Warte aus betrachtet. Insofern
könnte der „Cullinan“ durchaus neue
Kunden ansprechen. Viele werden es
freilich nicht sein.
Über Details zu sprechen, dafür
sei es noch zu früh, sagt Müller-Ötvös höflich. Er könne aber bestätigen,
dass es selbstredend ein Zwölf-Zylinder-Motor sei, der den Wagen antreibe. „Selbstverständlich wird dieses
Auto fähig sein, off-road zu gehen,
selbstverständlich kommen Sie mit
BILANZ / OKTOBER / 2015
Handarbeit: Für den Sternen-Himmel im Rolls-Royce (u.) werden Glasfasern für 1.340 Lämpchen gelegt.
83
PRIVAT / LUXUS
84
Aufwand: 17 Rindviecher aus Bayern sind angeblich vonnöten, um den Innenraum eines einzigen Bentleys durchzuledern.
BILANZ / OKTOBER / 2015
diesem Auto problemlos hoch in Ihr
Chalet in den Schweizer Alpen, Sie
kommen auch runter an den Jachthafen, und Sie werden auch in Dubai
in den Dünen fahren können.“
Womit er die Absatzmärkte grob
umreißt: In den Großstädten der USA,
Asiens und Europas, vermuten die
Strategen, thront die Kundschaft – wo
auch sonst, möchte man hinzufügen.
Der Preis für einen „Cullinan“ dürfte zwischen den Modellen „Ghost“
und „Phantom“ liegen, also zwischen
250.000 und 370.000 Euro, womöglich sogar darüber.
Bis zu 600 solcher Fahrzeuge im
Jahr, prognostizieren die Marktforscher von IHS Automotive, könne die
erlauchte BMW-Tochter ab 2018 absetzen. Und, ja, sagt Müller-Ötvös, er
habe schon Anrufe von Kunden erhalten: „Torsten, ich will der Erste sein.“
Ein Luxusproblem allerdings stellt
sich mit dem „Cullinan“ ein: „Wir
werden mit ihm sicherlich mehr Autos verkaufen als heute“, sagt der Ma-
die Exklusivität der Marke unter dem
großen Zuspruch von Tätowierten
litte, hat bislang noch kein BentleyManager für nötig erachtet.
Der Umsatz kletterte zuletzt um
vier Prozent auf 1,7 Milliarden Euro,
die operative Rendite lag bei sorglos
guten 9,7 Prozent. Um die Nachfrage
zu stillen, ist frisches Personal vonnöten, die Aufstockung der Belegschaft
dringend geboten: „Die Zahl der Mitarbeiter in Crewe steigt mit dem neuen Geländewagen von 3.800 auf 4.100
zum Jahresende“, sagt Dürheimer.
Der Bentley-Chef gilt als besonders
fleißig und eifrig. Seit einigen Monaten
lässt er für den gesamten VW-Konzern
Zwölfzylinder fabrizieren, und schon
drängt es ihn weiter: Bei Fahrerassistenzsystemen und digitaler Vernetzung, bisher keine Bentley-Stärken,
will er im Wettbewerb vorn landen.
Der „Bentayga“ werde „Umsatz
und Ergebnis in neue Dimensionen
führen“, sagt Dürheimer voraus. Neue
Märkte wie Russland und sogar Afrika
er. Der „Cullinan“ soll demzufolge
nicht der zweitbeste Luxusgeländewagen werden.
Trotz aller Vergleiche ist Müller-Ötvös darauf bedacht, keine allzu
große Nähe zu Bentley aufkommen zu
lassen: „Die Trennung beider Marken
Der Konkurrenz enteilt: Bentley-Chef DÜRHEIMER und der „Bentayga“.
nager. Seit er in Goodwood die Regie
führt, stellt Rolls-Royce neue Absatzrekorde auf. Dies kommt der Kasse zugute, aber nicht dem exklusiven Charakter der Marke. Ihm ist kein Kunde
bekannt, der sich darüber freute, dass
neben ihm an der Ampel der gleiche
Wagen steht, in dem er selber sitzt.
Luxus sei schließlich etwas, was sich
nicht jedermann leisten soll und darf.
„Ob wir 4.000 verkaufen oder 6.000 –
das ist kein großer Unterschied“, sagt
Müller-Ötvös. Aber jenseits dieser
Zahl hört offenbar der Spaß auf.
Derlei Wachstumssorgen sind dem
Kontrahenten Bentley unbekannt. Im
vergangenen Jahr stieg der Absatz des
Hauses um beachtliche 8,9 Prozent
auf 11.020 Fahrzeuge. Und Dürheimer
spricht schon mal vom Ziel, 15.000 Autos bis zum Jahr 2018 verkaufen zu wollen. Besonders unter Fußballprofis erfreut sich die Marke großer Popularität.
Der Herzensangst und Besorgnis
darüber Ausdruck zu verleihen, dass
will er so erschließen. Dort sollen die
Rückgänge im China-Geschäft wettgemacht werden. „Aber auch Europa und
die USA verlangen nach sportlichen
und luxuriösen Geländewagen.“
Für Vorreiter Bentley dürfte sich
der Schritt ins Gelände lohnen: Die
Astrologen von IHS Automotive sehen
2017 und 2018 jeweils einen Absatz
von bis zu 3.000 Fahrzeugen, man erwartet auch weitere Modellvarianten,
etwa mit Dieselmotor oder eine Steckdosen-Kreuzung, die Elektro- und Verbrennungsmotor verbindet.
Wer den „Bentayga“ bewohne –
er sagt tatsächlich „bewohnt“ –, der
„kommt in den Genuss von edlem
Holz und üppig verarbeitetem Leder“. Wolkig-ambitionierte Verse
dichtet auch Müller-Ötvös über seine
Rolls-Royce: „Dieses Gefühl, etwas zu
fahren, was eigentlich nicht mehr Teil
der automobilen Welt ist.“ Die beste
Limousine der Welt baue man mit dem
„Phantom“ ohnehin schon, behauptet
85
1998 hat ihnen sehr gut getan. Beide
haben mittlerweile einen vollkommen
unterschiedlichen Charakter und eine
vollkommen unterschiedliche Strategie und Philosophie. Ich kann nur beurteilen, was für uns richtig ist. Und
ich weiß, dass die Strategie von Bentley für Rolls-Royce falsch wäre.“
Aber vielleicht nicht so falsch.
BMW-Vorstand Peter Schwarzenbauer
denkt darüber nach, unter der Marke
„Rolls-Royce“ auch Waren zu verkaufen, die nur mittelbaren Bezug zum
Auto haben, zum Beispiel Reisegepäck
de luxe. Aber Duftwasser, Haarseifen,
wie sie Bentley lizenziert? Torsten
Müller-Ötvös lächelt.
U
FOTO: IMAGO SPORTFOTODIENST
PRIVAT
IM HAMSTERRAD DER KUNSTWELT
Eine Reise durchs Jahr zu den wichtigsten
wiederkehrenden Kunstereignissen der Welt.
NEW YORK
MIAMI
86
Die Welt der zeitgenössischen Kunst
besitzt eine unheimliche Anziehungskraft. Einer der Gründe dafür ist, dass
man ein ganzes Jahr in dem Kokon der
Kunstwelt mit Ereignissen, Veranstaltungen und Szenetreffen auf eine sehr
angenehme, kulturell-hedonistische
Weise verbringen kann.
Doch wie soll man diese zwölf
Monate einteilen und planen? Nicht
nur für den neu in die Kunstwelt eintretenden Leser ist dies fürwahr eine Herausforderung, sondern selbst
und gleichermaßen für die Sammler
und Galeristen, die weltweit tätigen
Museumskuratoren und Künstler,
die Champagner-Glas schwenkenden
Adabeis und pensionierten PrivateEquity-Millionäre, die diese Welt bevölkern. Insofern hier ein Fahrplan zu
den wichtigsten, immer wiederkehrenden Kunstereignissen.
Wenn Sie dies lesen, waren Sie hoffentlich gerade auf der ABC in Berlin,
die Ihnen Mitte September am besten
vorführt, warum die Stadt ein Zentrum künstlerischer Produktion und
HOLLEINS KUNSTWELT
internationalen Austauschs ist. Zu sehen sind die interessantesten neuen
Kunstentwicklungen sowohl in den
Berliner Galerien als auch auf der von
ihnen organisierten ABC-Leistungsund Verkaufsausstellung. Dabei sein
ist alles – eine Woche lang so viele
Eröffnungen, Veranstaltungen, Einladungen und Feiern gibt es sonst in
Deutschland nirgendwo.
Ein umwerfendes städtisches Erlebnis garantiert auch Istanbul: die
14. Istanbul Biennale, die noch bis
zum 1. November läuft. Die Stadt am
Bosporus ist in meinen Augen nicht
nur die faszinierendste Metropole
zwischen den Kulturen, sie bietet auch
eine der buntesten Kunstszenen.
Getragen von mehreren Industriellenfamilien, ist die Biennale zu einer bedeutenden Bühne geworden für
den internationalen Dialog aktueller
künstlerischer Positionen. Kuratiert
hat die diesjährige Veranstaltung die
ehemalige Documenta-Leiterin Carolyn Christov-Bakargiev. Sie zeigt,
gleichsam als kulturelle Schnitzeljagd
quer über ganz Istanbul verstreut,
einen Überblick über die zeitgenössische Kunst, die sich mit der kulturellen Vielfalt und sozio-politischen
Fragen auseinandersetzt.
Im September starten auch die 13.
Biennale de Lyon sowie die 6. Biennale in Moskau, deren Besuch sich lohnt
– nicht nur, weil Sie damit Ihren Vielfliegerstatus zementieren, sondern vor
allem Ihr Überblickswissen über neue
Entwicklungen in der Kunst vertiefen.
(Dabei haben Sie noch Glück, dass in
diesem Herbst nicht auch noch die
Gwangju Biennale in Südkorea sowie
die São Paulo Biennale stattfinden…)
Auffallen dürfte Ihnen jedenfalls,
dass eine Karawane von Künstlern –
derzeit etwa Jungstars wie Ed Atkins
oder Simon Denny – von Biennale zu
Biennale zieht und rund ums Jahr im
Quartalstakt neue Großinstallationen
präsentiert. Fragmente davon finden
Sie auf den Kunstmessen wieder.
BILANZ / OKTOBER / 2015
BILA
MOSKAU
AU
BERLIN
R
RLIN
LONDON
PARIS
LYON
ISTANBULL
Endlich zurückgekehrt, wartet bereits das nächste Ereignis auf Sie, die
Kunstmesse Frieze in London. Sie hat
sich als die maßgebende Messe für
zeitgenössische Kunst etabliert und
kann selbst eine Weltstadt wie London
gänzlich in Atem halten.
In der Frieze-Woche finden darüber hinaus die ambitioniertesten Ausstellungen der exzellenten Londoner
Galerieszene statt, und auch Institutionen wie die Tate, Hayward und die
Whitechapel Art Gallery, das Barbican
Centre und das Institute of Contemporary Arts warten mit ihrem besten
Programm auf. Es versteht sich fast von
selbst, dass auch die großen Auktionen
von Sotheby’s und Christie’s zur zeitgenössischen Kunst an eben diesen Tagen
in London terminiert sind.
Der Kunsttross zieht sodann weiter nach Paris, wo am 21. Oktober die
Foire Internationale d’Art Contemporain eröffnet, die mit dem Grand Palais nicht nur über die allerschönste
Räumlichkeit verfügt, sondern auch
eine besonders erlesene, halbwegs
übersichtlich präsentierte Auswahl europäischer Spitzengalerien zeigt. Wie
bei den anderen Kunstmessen können
Sie sich in Paris über ein VIP-Programm Zutritt zu Privatsammlungen
verschaffen, zur Cocktail-Stunde in
Museen und zu exklusiven Vorträgen.
Das Geld, das Sie bis dahin noch
nicht ausgegeben haben, werden Sie
garantiert bei der direkt darauf folgenden Auction Week in New York los, wo
Anfang November die großen Auktionshäuser regelmäßig neue Preisrekorde für Gegenwartskunst in den Evening
Sales aufstellen und die weniger teure
Ware in den Day Sales versteigern.
Jeder Sammler und Händler, der
auf sich hält, weilt dieser Tage in der
Stadt – und damit auch die New Yorker
Künstler, die diese Klientel bedienen.
Zur Erholung können Sie dann
gleich in den USA bleiben und nach
Thanksgiving zur Art Basel nach Miami fliegen: Hier findet Anfang Dezember die genussvollste Mischung aus
Kunst, Glamour und Event statt – ein
konkurrenzloses, vorweihnachtliches
ILLUSTRATIONEN: SIRI MATTHEY,
ALEXANDRA COMPAIN-TISSIER FÜR BILANZ
FOTOS: FIAC, ABC
Ereignis mit einer verführerischen, die
Kauflaune steigernden Mischung von
Prominenz aus Kunst, Mode und Musik bei Sonne, Strand, Meer und fast
30 Grad im Dezember. Sehen (nicht
unbedingt nur Kunst) und gesehen
werden lautet die Devise.
Bei all dem heißt es dann: Bewahren Sie einen kühlen Kopf –
und konzentrieren Sie sich auf das
Wesentliche!
P
MAX HOLLEIN
ist der berühmteste und einflussreichste Museumsdirektor des Landes
und womöglich der beste Manager
Frankfurts. Er hat das Städel, die Schirn
Kunsthalle und das Liebieghaus
zu internationaler Geltung geführt.
87
BAADERS BESTE
MEIN LUXUS IST, WAS DRUNTER LIEGT
Fünf Empfehlungen für den Weinmonat.
THE TABLE
Shanghaiallee 15, 20457 Hamburg
www.the-table-hamburg.de
daraus rühren, die zu Stein- oder Heilbutt, zu Kalb und Huhn oder auch nur
zu einem Kartoffelpüree passt.
ADLER WIRTSCHAFT
FRANZ KELLER
Hauptstraße 31, 65347 Hattenheim
www.franzkeller.de
88
Seit August ist Kevin Fehling mit The
Table in der Hamburger Hafencity vertreten. Der Mittdreißiger verzichtet fast
vollständig auf Old-School-Rituale: keine Tischdecken, keine Flüsterkellner,
kein Serviettenterror. Im Kontrast
dazu ein siebengängiges Menü, das
an Kreativität und Präzision kaum
zu überbieten ist. 20 Food -Verrückte
können am großen und einzigen (tresenartigen) Tisch an fünf Abenden der
Woche Platz nehmen. Obolus: 180 Euro
fürs Menü, 95 für die passenden Weine.
6. Arrondissement in Paris. Dort, in der
Backstube, kommen die Boules (Sauerteig, Mehl, Wasser, Salz) aus demselben
Holzofen wie 1932 zu Großvater Pierres Zeiten. Heute führt Enkelin Apollonia die Manufaktur am Rand von Paris.
Kunden u.a.: Robert De Niro, Käfer in
München, Genusshandwerker.de.
LOHNINGER
Schweizer Straße 1,
60594 Frankfurt/Main
www.lohninger.de
Der Schilderwald in Hattenheim hat
wenig mit der StVO zu tun. Hauptsächlich geht es um Navigation für Wein und
Winzer. Es ist eine völlig andere Welt,
in die man da gerät, 40 Autominuten
von Frankfurt: malerisch, romantisch,
schön. Das sagte sich auch Franz Keller,
der kochende Star der Winzer-Dynasten vom Kaiserstuhl; er betreibt dort
seit 1993 eine unaufgeregte Küche mit
bedingungsloser Konzentration auf
Handwerk und Produkt. Inzwischen
hat sie sein Sohn übernommen, der
Einfachheit halber auch ein Franz.
PAIN POILÂNE
8, Rue du Cherche-Midi, Paris 75006
www.poilane.com
Ein Teller Pasta mit Albatrüffel zum
Dinner ist nobel. Zum Lunch serviert,
wird er zum Luxus. Umstände verändern eine Sache. Das Mittagessen ist
die privilegierte Mahlzeit des Tages.
Und besonders schmackhaft und stilvoll einzunehmen im Restaurant des
Österreichers Mario Lohninger. Mit
Black Cod und Ceviche, aber ebenso
mit Wiener Schnitzel. Bloß nicht vergessen: die Focaccia vorweg.
P
MORCHELSAUCE
Mein Rezept mit Einkaufsliste
und Anleitung finden Sie
auf www.bilanz-magazin.de
Perigord-Trüffel sind allerorts als
höchste Form des Luxus anerkannt.
Verständlich bei 1500 Euro fürs Kilo.
Morcheln hingegen kennt man weniger, obwohl auch sie aus der Beletage der Feinschmeckerei stammen.
Z.B. lässt sich eine meisterliche Soße
FRED BAADER
Nicht der Serrano-Schinken oder die
Mortadella aus Bologna – mein Luxus ist
das, was drunter liegt: das Pain Poilâne,
das Brot vom weltbesten Bäcker aus dem
war mit seiner Agentur Baader Lang
Behnken einer der Großen
in der deutschen Werbewirtschaft.
2013 veröffentlichte der Hamburger
Genussmensch sein erstes Kochbuch.
FOTOS: THE TABLE, HEINER BAYER, FRANZ KELLER, PAIN POILÂNE, THOMAS SCHAUER
ILLUSTRATION: ALEXANDRA COMPAIN-TISSIER FÜR BILANZ
REGISTER
A
B
D
Aboalarm.de
ACEA
Adidas
Apple
ARMANI, GIORGIO
ARNOLD, SASCHA
Audi
67
12
29
16
76
68
40
BAETGE, JÖRG
28
Bentley
80
BERGÉ, PIERRE
79
BERNHARD, WOLFGANG 41
Blogbox
67
BMW
11, 49, 82
Borg Warner
11
Bosch
11, 59
BRUCKSCHLÖGL,
ANDREAS
64
BUFFETT, WARREN
24
K
HOETTGES, TIM
HOLLANDE, FRANÇOIS
Honeywell
28
78
11
IBM
IGNATIADIS, KOSTAS
Infineon
Innosabi
19
68
29
64
KABAT-ZINN, JON
KASSEKERT, KEVIN
KELLER, FRANZ
KEPPLER, ROLAND
KISSELER, BARBARA
KLEISTERLEE, GERARD
KLITSCHKO, WLADIMIR
KOHLS, NIKO
59
55
88
43
34
19
75
62
Daimler
11, 12, 41
DEGENHARD, ELMAR
42
DELNON, GEORGES
30
DE NIRO, ROBERT
75, 88
DENNER, VOLKMAR
11
Deutsche Bank
59, 90
Deutsche Telekom
28
DIESS, HERBERT
15
DMG Mori Seiki
29
DÜRHEIMER, WOLFGANG 80
DÜRR, HEINZ
15
E
EASTWOOD, CLINT
75
F
FEHLING, KEVIN
FEHRENBACH, FRANZ
FORD COPPOLA, FRANCIS
Freenet
FRÖHLICH, KLAUS
88
11
75
29
41
GEHRY, FRANK
General Electric
GEORGE, WILLIAM
Georgsmarienhütte
GERE, RICHARD
GHOSN, CARLOS
Gigafactory
78
16
59
13
75
12
52
G
I
IMPRESSUM
Piaggio
49
PIËCH, FERDINAND
15, 36
PIERER, STEFAN
49
PISCHETSRIEDER, BERND 15
PITTS, RANDY
57
Poilâne, Pain
88
Porsche
14, 36
PORSCHE,
PETER DANIELL
36
PORSCHE, WOLFGANG
36
PÖTSCH, HANS DIETER
14
POTTMEYER, GREGOR
28
PRESSLER, MENAHEM
33
Pro 7 Sat 1
29
PUDDICOMBE, ANDY
60
Puma
29
R
S
KOHTES, PAUL
KRETSCHMANN, WINFRIED
KTM
Kuka
Kulinado.de
60
41
49
90
67
L
LEVE, JONAS
LOH, FRIEDHELM
LOHNINGER, MARIO
Lufthansa
60
90
88
10
M
Mahle
MAN
MAURER, FRANK
Miitya.com
MITTERBAUER, PETER
MOHN, LIZ
Moto Guzzi
MÜLLER, MATTHIAS
MÜLLER-ÖTVÖS,
TORSTEN
Munich Re
MUSK, ELON
11
14
36
71
15
15
48
14
82
24
52
H
50
64
16
13
HABBEN JANSEN, ROLF
HACKENBERG, ULRICH
Hapag-Lloyd
HÄRTER, HOLGER
HAYMORE, DEAN
HERING, BERNHARD
Hermès
HHLA
HEUBISCH, WOLFGANG
12
42
12
36
55
67
72
29
33
N
NAGANO, KENT
NAUMANN, MICHAEL
NXP
30
46
19
O
Onpage.com
67
P
PADBERG, EVA
Panasonic
Perigord-Trüffel
PFLAUME, KAI
Philips
10
52
88
10
16
75
64
43
59
64
59
90
38
27
72
82
60
Samsung
11, 16
Scania
14
SCHRÖDER, GERHARD
46
SCHWARZENBAUER,
PETER
82
Seeo
11
Siemens
16, 59
SIEVERS, KURT
44
Software AG
29
SPILKA, MARIA
64
SPOHR, CARSTEN
10
STADLER, RUPERT
40
STIEBICH, DETLEF
72
STOLLMANN, JOST
47
Storey County
55
STORM, BERND
64
STRACHWITZ,
RALPH GRAF
67
SÜSS, MICHAEL
13
T
TERIUM, PETER
TESKE, HOLGER
Tesla
59
64
50
U
United Internet
29
V
VAN DELDEN, CATHARINA 64
VAN HOUTEN, FRANS
16
Voith
90
VOLLERT, ALEXANDER
42
VON BOMHARD,
NIKOLAUS
24
VW
11, 12, 14, 36, 49, 80
VULLINGHS, PETER
20
W
GILMAN, LANCE
Gini.net
Google
GROSSMANN, JÜRGEN
REDFORD, ROBERT
REHBEIN, MIRIAM
REINER, JUERGEN
REITHOFER, NORBERT
REITZ, STEFFEN
REITZLE, WOLFGANG
REUTER, TILL
RICHTER, HANS
RIESS, MARKUS
RIETH, JULIA
Rolls-Royce
RONNEFELDT, MANUEL
Wacker Chemie
29
Wacker Neuson
29
WEBER, THOMAS
41
WIEDEKING, WENDELIN
36
WINNACKER, MARU
64
WINTERKORN,
MARTIN
11, 14, 36, 80
WISSMANN, MATTHIAS
42
WOWEREIT, KLAUS
26
Y
YOUNG, SIMONE
Z
ZANDER, ALA
ZANDER, ANTONIA
ZETSCHE, DIETER
33
64
68
12, 41
BILANZ Deutschland
Wirtschaftsmagazin GmbH,
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89
PRIVAT
TILL REUTER
BILANZGEWINNER
Alles tipptopp beim Augsburger Roboterhersteller Kuka. Der Chef,
Ex-Investmentbanker, Restaurantbesitzer
und Familienmensch, kennt keine Sorgen.
2015
Till Reuter hat neue Rekorde aufstellen lassen. Umsatz: zwei Mrd.
Euro, Gewinn: 142 Mio. Euro. Der
Anlagenbauer Voith (25,1%) und der
Schaltschrank-Milliardär Friedhelm
Loh (10%) sind eingestiegen. 2014
verbuchte Kuka mit 73 Prozent das
größte Kurs-Plus im M-Dax.
2009
Reuter wird Kuka-Chef. Die Firma
hat Probleme: Kaum Eigenkapital,
der Vorstand streitet, und die Autoindustrie-Großkunden schwächeln.
2008
Kurz vor der Lehman-Pleite macht
sich Reuter selbstständig; gründet im
Pfäffikon die Beteiligungsfirma Rinvest, über die er Kuka-Anteile kauft.
1999
Schon nach zwei Jahren wechselt er
ins Investmentfach, zunächst für die
US-Bank Morgan Stanley, dann für
die Deutsche Bank (für die er u.a.
Lufthansas Swiss-Übernahme begleitet), ab 2005 für Lehman Brothers.
90
1997
Zurück in Deutschland stellt ihn die
Anwaltskanzlei Shearman & Sterling
ein. Erst Düsseldorf, dann Frankfurt.
Skifahren, Surfen,
Yoga, Laufen:
Reuter ist
gut in Form.
„
DER AUGSBURGER
IST MIT LOB
ZURÜCKHALTEND
UND SAGT GERN:
NET G’SCHIMPFT IS
SCHO G’NUG G’LOBT.
“
Till Reuter
über schwäbische
Huldigungen
1995
Nach Jahren in der Provinz muss
Reuter „die Welt kennenlernen“: Als
Wirtschaftsjurist arbeitet er für Kanzleien in New York und São Paulo.
1993
Reuter entwickelt derartige Freude
am Studieren, dass er gleich zwei Disziplinen abschließt: BWL in St. Gallen
und Jura in Konstanz (1994).
1968
Geburt und Aufwuchs im hessischen
Eltville am Rhein, nahe Wiesbaden.
Der Vater ist Mineralölhändler.
ILLUSTRATION: ALEXANDRA COMPAIN-TISSIER
FOTOS: GETTY IMAGES, PICTURE ALLIANCE (2),
GASTHAUS HÖHWALD, PLASSEN-VERLAG
Neues Hobby Windeln
wechseln: Seit Kurzem
ist Reuter Vater eines
Sohnes. Eine Familie zu
gründen war seine
„beste Entscheidung“.
„Von Thomas Mann bis
Krimi“ lese er alles,
zuletzt: „The Second
Machine Age“
von Erik Brynjolfsson.
Reuter besitzt das Gasthaus
Höhwald, nordöstlich
von Davos. Wiener Schnitzel
gibt’s für 39 Euro.
Vor allem Autohersteller
setzen auf die orangefarbenen Kuka-Flamingos.