KONRAD DÖBEL

Dokumentation Konrad Döbel
Gedenkplakette in Darmstadt-Arheilgen am 16.10. 2015
Im Erlich 102 (Felsbergstraße 38)
Paten: Ludwig Döbel, Irene Döbel, Manfred Döbel
Verfasser: Gerhard Langermann, [email protected]
Arbeitskreis Stolpersteine Darmstadt
Stand: 02.10.2015
HIER WOHNTE
KONRAD DÖBEL
GEB. 12.9.1887
OPFER DES NATIONALSOZIALISTISCHEN
UNRECHTS
1933 – 1945
NÜRNBERGER GESETZE
1935
ANONYM DENUNZIERT UND VERURTEILT
ER HATTE JUDEN UNTERSTÜTZT
1940
ZUCHTHAUS AMBERG UND ZWEIBRÜCKEN
TOD DURCH HAFT UND FOLTER
DARMSTADT-ARHEILGEN
30.7.1941
Konrad Döbel wird am 12. September 1887 in Leeheim im Ried geboren und evangelisch
getauft. Sein Vater Philipp stammt aus Georgenhausen, ist im Range eines Oberjustizwachtmeisters als Gefängnisaufseher beschäftigt, seine Mutter ist eine Leeheimerin.
Konrad ist der erst Sohn von insgesamt 8 Geschwistern.
Nach 3 Jahren stirbt seine Mutter. Als er sechs ist heiratet sein Vater wieder eine Frau aus
Leeheim, Anna Maria, geb. Blumenschein. 1894 zieht die Familie dann schon nach
Darmstadt in die Rheinstr. 28. Konrad geht in Darmstadt 8 Jahre zur Volksschule.
Nach seiner Lehre als Schlosser, vermutlich in Obrigheim, kehrt er 1906 wieder zurück
und zieht nach Arheilgen in die Geisenstr. 20 in das Haus der Familie Wagner, deren
Tochter Luise er dann 1909 mit 24 Jahren heiratet.
Denn im selben Jahr kommt ihr erster Sohn Heinrich zur Welt
1911 der 2. Sohn Wilhelm
1912 dann der 3. Sohn Hans.
1911 wird Konrad Döbel beim Ausbesserungswerk Darmstadt der Deutschen Reichsbahn
eingestellt. Im I. Weltkrieg wird er 1915 zum Einsatz in einem solchen Werk in Belgien
eingezogen und kehrt 1918 wieder nach Arheilgen zu seiner Familie zurück. Konrad Döbel
ist ein Mensch, der sich gerne in seiner Gemeinde engagiert u. a, in der Valisueria, einem
Dokumentation Konrad Döbel
Gedenkplakette in Darmstadt-Arheilgen am 16.10. 2015
Im Erlich 102 (Felsbergstraße 38)
Paten: Ludwig Döbel, Irene Döbel, Manfred Döbel
Verfasser: Gerhard Langermann, [email protected]
Arbeitskreis Stolpersteine Darmstadt
Stand: 02.10.2015
der damals beliebten Aquarien-Vereine, dem Kleintierzuchtverein und Motorrad soll er
auch gefahren sein.
Der Machtwechsel 1933 zu Hitler und den Nationalsozialisten geht wie ein Riß durch die
Familie Döbel. Konrads Vater, nun schon 73 Jahre alt und geprägt durch die kaiserliche
Justiz und monarchische Ständegesellschaft, unterstützt die Nationalsozialisten. Die Einstellung von Konrads Geschwistern und seinen Söhnen, die nun 21 bis 24 Jahre alt sind,
reicht vom SPD-Mitglied mit offener Ablehnung bis zum Opportunismus aus beruflichen
Gründen. Konrad selbst tritt 1933 in die SA ein und erstaunlicherweise 1935 schon wieder
aus, ehrenhaft und aus gesundheitlichen Gründen, wie es später in seiner Beurteilung in
den Gerichtsakten heißen wird. 1939 erst wird er nach seiner Verbeamtung die Aufnahme
in die NSDAP beantragen, die aber nie gewährt wurde.
1935 ist ein schicksalhaftes Jahr für Konrad, noch mehr für die ganze Gesellschaft: Seine
Frau Luise stirbt; er heiratet noch im selben Jahr Christine Hein aus Gundernhausen und
zieht mit ihr und den Söhnen in die neu erbaute Felsbergstr. 38, nachdem das Haus seiner
verstorbenen Schwiegereltern verkauft worden ist.
Im Herbst 1935 werden die sog. Nürnberger Gesetze verfasst und hektisch auf dem
NSDAP-Parteitag verkündet. Die sog. Rasse-Gesetze machen Juden zu Bürgern 2.
Klasse, zu feindlichen Ausländern im eigenen Land. Die gute Integration und Assimilation
wird rückgängig gemacht und dafür die Zucht einer Nordischen Rasse verordnet. Zukünftig
ist die Heirat von Juden mit Nichtjuden verboten und jeglicher Kontakt zu den als minderwertig Diffamierten unter Strafe gestellt. Begriffe wie Voll-, Halb- und weitere Teiljuden
sowie Rassenschande sind von den völkisch-nationalen Gruppen schon seit Anfang der
20-er Jahre im Verein mit Rassebiologen entwickelt worden. Sie sind ihren Zielen nun ein
gutes Stück näher gekommen. Die Anklagen auf Grund der Gesetze müssen der JustizPressestelle mitgeteilt werden damit die Verhandlungs-Termine veröffentlicht werden
können. So gibt es auch in Darmstadt solche Prozesse, die von der Öffentlichkeit schwer
ignoriert werden können.
1937 wird Konrad zum ersten Mal Großvater. Sein ältester Sohn Heinrich bekommt einen
Sohn, Ludwig. Beruflich kommt er gut voran. Er ist seit einiger Zeit schon Hilfswerkführer,
also Stellvertreter, und wird 1938, dem Jahr der November-Pogrome, zum Werkführer
verbeamtet. Hitler beginnt 1939 den Krieg, Konrad ist 52 Jahre alt und für die Aufbereitung
von kriegswichtigen Altstoffen – also Recycling – z. B. von Altöl zuständig.
Am 28.05.1940 wird er auf Grund einer anonymen Denunziation verhaftet: die Jüdin
Selma Diste habe vom Herbst 1938 bis Frühjahr 1939 ein Verhältnis mit ihm gehabt - ihr
habe er auch Geschenke wie einen Mantel und ein Fahrrad gemacht. Das handschriftliche
Original ist ebenso wie die kompletten Prozeßakten erhalten und trieft vor Häme und
Rechtschaffenheit.
Die beschuldigte Selma Diste wohnt mit ihrem Mann und 2 Kindern in ärmlichen Verhältnissen in einem von 2 Eisenbahnwaggons, die auf einem Werkgleis in der damals noch
bestehenden Merck-Siedlung stehen. Mantel und Fahrrad sind bei der fortschreitenden
Dokumentation Konrad Döbel
Gedenkplakette in Darmstadt-Arheilgen am 16.10. 2015
Im Erlich 102 (Felsbergstraße 38)
Paten: Ludwig Döbel, Irene Döbel, Manfred Döbel
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Stand: 02.10.2015
Ausgrenzung von Juden existenziell wichtig. Die Nutzung von Öffentlichen Verkehrsmitteln
ist z. B. nicht erlaubt, es dürfen nur wenige und entlegene Geschäfte am Abend genutzt
werden. Ein Fahrrad leistet hier wichtige Dienste. Konrad wird wegen sog. Rassenschande nach dem sog. „Blutschutzgesetz“ angeklagt. Ein Kriminalkommissar Hofmann verhört
die zwei Beschuldigten mehrmals bis das gewünschte Geständnis beider erfolgt ist. Die
Protokollierung ist zunehmend pornographisch und zielt auf die Beschämung und
Anprangerung der Denunzierten in der öffentlichen Verhandlung 2 Monate später ab.
Während der Untersuchungshaft besuchen ihn seine Frau und seine Angehörigen
regelmässig.
Zur Verhandlung werden als Zeugen geladen: Selma Diste, denn die beschuldigten
Frauen selbst werden nicht angeklagt, um ihr Zeugnisverweigerungsrecht einzuschränken
und sie durch Straffreiheit zu einem schnellen Geständnis zu bewegen. Ausserdem
Konrad Döbels Frau Christine, Selma Distes Ehemann Heinrich ist zu dieser Zeit schon im
Krieg, des weoteren die Nachbarn der Familie Diste, eine Anwohnerin aus Arheilgen und
der Chef Konrad Döbels, der ihm ein untadeliges Zeugnis ausstellt. Zuletzt der verhörende
Kommissar. Verteidigt wird Konrad Döbel übrigens von Ludwig Metzger, dem späteren
Oberbürgermeister Darmstadts.
Konrad Döbel hat im Lauf des Verfahrens auf eine juristische Hintertür verzichtet, indem er
die Frau, der er geholfen hatte, als Prostituierte hätte denunzieren müssen, was man ihm
sicher nahegelegt haben wird. Er wäre damit frei gesprochen oder zumindest geringer bestraft worden. Das Urteil fällt mit 18 Monaten Zuchthaus vielleicht gerade deswegen hart
aus, denn in der Regel werden nur jüdische Männer mit Zuchthaus bestraft. Um die Beschuldigten möglichst weit zu trennen, wird Konrad im bayrischen Amberg und später in
Zweibrücken/ Saarland inhaftiert. Die beschuldigten Frauen werden i. d. R. von der Gestapo in Schutzhaft genommen, Selma zweimal und danach nach Mainz zwangskaserniert.
Sie sieht ihre Kinder und ihren Mann nicht wieder und wird 1942 in Auschwitz ermordet.
Ein Stolperstein für Selma Diste liegt in der Lauteschlägerstr.12 im Martinsviertel
Darmstadt
Über die Haft in Zuchthäusern, also Institutionen der deutschen Justiz, gibt es leider keine
nennenswerten Untersuchungen, im Gegensatz zu den sog. Konzentrationslagern, die von
der SS betrieben werden und als die Lokalisierung der Nazi-Verbrechen gelten. Konrad
wird Anfang Juli 1941 vorzeitig nach Hause entlassen, er ist todkrank durch Haft und Folter. Er sieht seinen Enkel Ludwig wieder und zum ersten und letzten Mal seine im August
1940 geborene Enkelin Irene. Auf seinem Sterbelager berichtet er von Misshandlungen bis
zum Totschlag wegen Nichtigkeiten. Am 30. Juli 1941, auf den Tag genau 1 Jahr nach
seiner Verurteilung, stirbt er an den Folgen von Unterernährung in diesem Haus.
Konrad Döbel war sicher kein Widerstandskämpfer, aber er hat sich widersetzt, wenn auch
nach anfänglicher Euphorie oder Verpflichtung der dörflichen Öffentlichkeit gegenüber,
widersetzt dem legalen Hass und der Verachtung auf offener Straße, er war sicher kein
politischer Kämpfer, unspektakulär ist er menschlich geblieben und hat geholfen. Das
zeigen seine Handlungen, seine Haltung im Prozeß und seine Reputation, die er in
Arheilgen genossen hatte.
Dokumentation Konrad Döbel
Gedenkplakette in Darmstadt-Arheilgen am 16.10. 2015
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Paten: Ludwig Döbel, Irene Döbel, Manfred Döbel
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Stand: 02.10.2015
1945 kommt die Niederlage oder Befreiung, je nach Standpunkt, bis heute.
1946 werden alle rassistischen Gesetze der Nazis von der alliierten Besatzung für nichtig
erklärt, allen voran die sog Nürnberger Rassegesetze, denen Konrad Döbel zum Opfer
gefallen ist.
1954 wird ein Wiedergutmachungsantrag der Witwe Döbel vom Darmstädter Regierungsrat Wilhelm Lämmermann abgelehnt, der selbst so unbelastet eingeschätzt wurde, daß er
zu Entnazifizierungsverfahren herangezogen worden ist. Er führt wieder - oder immer
noch? - sittliche Gründe an, die für die Ablehnung aber gar nicht relevant sind. Denn wer
als Strafhäftling 1945 nicht mehr erlebte, dessen Nachfahren hatten generell keinen
Anspruch auf Entschädigung. Konrad Döbel durfte also nach dieser Rechtsprechung trotz
alliierter Rehabilitation kein Opfer der Nazi-Justiz sein.
Der Begriff Rassenschande beschreibt die Strategie der Nazis, Ehebruch, oder auch nur
den Verdacht aus Eifersucht oder Missgunst, mit dem Rassenwahn zu verbinden. Aber
auch Kontakte zu Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen wurden durch diese Gesetze
kriminalisiert.
Der Begriff Rassenschande verschweigt, um nicht zu sagen verheimlicht, bis auf den
heutigen Tag den Mut der Denunzierten zur Mitmenschlichkeit in Zeiten, da
Unmenschlichkeit zu deutschem Gesetz erhoben worden ist.
Mit diesem Gedenken an Konrad Döbel ist die Hoffnung verbunden, die damals verordnete zu einer angenommenen, einer Arheilger Rehabilitation werden zu lassen.
Mit dem Schicksal Konrad Döbels verbinden möchte ich die Frage, was unsere Nachfahren in 75 Jahren von uns und unserer Zeit als ihre eigene Geschichte annehmen
werden.
QUELLEN
Stadtarchiv Darmstadt, Melderegister, Adressbücher
Hessisches Staatsarchiv Darmstadt
HStAD, G 27 Darmstadt, 2559 (Prozessakte)
HStAD, G 30 Darmstadt, 335 (Häftlingsakte)
HStAD Bestand R 1 B Nr. 23757 Berichterstattung über Strafverfahren gegen Juden
wegen Rassenschande, Sittlichkeitsvergehen und -verbrechen und tätlicher Beleidigung
Brandkataster Darmstadt-Arheilgen
Dokumentation Konrad Döbel
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Im Erlich 102 (Felsbergstraße 38)
Paten: Ludwig Döbel, Irene Döbel, Manfred Döbel
Verfasser: Gerhard Langermann, [email protected]
Arbeitskreis Stolpersteine Darmstadt
Stand: 02.10.2015
Interviews mit den Nachfahren Ludwig, Irene und Manfred Döbel im Jahr 2015.
Konrad Döbel als Kind, hinten rechts, Bruder Adam hinten links
vorne seine Stiefmutter Anna Maria, geb. Blumenschein und sein Vater Philipp
©Privat
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Paten: Ludwig Döbel, Irene Döbel, Manfred Döbel
Verfasser: Gerhard Langermann, [email protected]
Arbeitskreis Stolpersteine Darmstadt
Stand: 02.10.2015
Aquarienverein 1925 © Fotografien aus Alt-Arheilgen
Vor dem seitlichen Hauseingang Felsbergstr. 38
stehend hinten: Heinrich Döbel, Konrads ältester Sohn
stehend vorne v. Links: Anna Maria, geb. Blumenschein, 2. Frau
von Philipp Döbel, Christine, geb. Hein, 2. Frau von Konrad
Döbel, Konrad Döbel, Philipp Döbel, Konrads Vater
sitzend vorne: „Mariechen“, Heinrich Döbels Frau ©Privat
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vor dem Hauseingang Felsbergstr. 38
von links:
Christine Döbel, Konrads 2. Frau, Konrad Döbel, Katharina Döbel, Wilhelms Frau, Wilhelm
Döbel, stehend vorne: Mariechen Döbel, Im Kinderwagen: Ludwig Döbel (ca 1937)
©Privat