Der Widerspruch hat Aussicht auf Erfolg, wenn er zulässig und begründet ist. A. I. Zulässigkeit Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs, § 40 I 1 VwGO analog (+) - - Öffentlich-rechtliche Streitigkeit? Streitentscheidende Normen: §§ 135 ff. HGO. Zuordnungssubjekt dieser Vorschriften nur Träger öffentlicher Gewalt, eine öffentlichrechtliche Streitigkeit liegt somit vor. Nichtverfassungsrechtlicher Art (+) Der Verwaltungsrechtsweg ist nach § 40 I 1 VwGO analog eröffnet. II. Statthafte Verfahrensart gem. § 68 I 1, II VwGO Der Widerspruch ist nur statthaft, wenn die richtige Klageart im Verwaltungsrechtsstreit entweder die Anfechtungs- oder die Verpflichtungsklage wäre. Anmerkung: § 142 HGO hat nur deklaratorische Bedeutung (h.M.). Hinweis: Nach VG Gießen, LKRZ 2010, 265, 266, folgt aber aus § 142 HGO, dass kein Vorverfahren erforderlich ist. Dann müsste die Begründetheit im Hilfsgutachten weiter geprüft werden. Die Auslegung des VG Gießen ist allerdings nicht zwingend und erfolgte auch ohne nähere Begründung! - Statthaft könnte der Anfechtungswiderspruch gem. § 68 I 1 VwGO sein. o Vss.: Maßnahme ein VA? - Aufhebung des Gemeindevertretungsbeschlusses durch L ist eine Maßnahme einer Behörde (§ 1 II HVwVfG) auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts mit Regelungscharakter. o Unmittelbare Außenwirkung? (+), wenn die Regelung dazu bestimmt ist, Rechte und Pflichten für ein selbständiges Rechtssubjekt zu begründen. Dies hängt davon ab, welcher von der Gemeinde wahrgenommene Aufgabentypus Gegenstand der Aufsichtsmaßnahme war. a) Standpunkt des Landrats - Gemeinde Bad Kurheim sei als nachgeordnete Behörde tätig geworden. o Wenn ja, kein VA. b) Standpunkt der Gemeinde - Beschluss verletze Rechte der Gemeinde aus Art. 28 II GG, 137 HV für das Selbstverwaltungsrecht - Wenn ja, Gemeinde keine nachgeordnete Behörde, sondern selbständiger Rechtsträger. - Aufhebung des Gemeindevertretungsbeschlusses hätte danach Außenwirkung c) Außenwirkung der Aufhebung? Gegen die Auffassung des Landrats spricht: o Gem. § 4 HGO können (fach-)aufsichtsrechtliche Maßnahmen nur nach Maßgabe eines Gesetzes verfügt werden. Hier aber (-) o Folge: Aufhebung des Gemeindevertretungsbeschlusses ist keine Maßnahme der Fachaufsicht, sondern eine der Rechtsaufsicht. o Rechtsaufsicht (§§ 135 ff. HGO) bedeutet nach der Konzeption der HGO jedoch, dass die Gemeinde „formell“ als Rechtsträger anzusehen ist. o Die Aufhebung des Gemeindevertretungsbeschlusses ist an einen selbständigen Rechtsträger gerichtet und hat Außenwirkung. - Aufhebung daher VA. Der Anfechtungswiderspruch ist demnach statthaft. III. Widerspruchsbefugnis, analog § 42 II VwGO (+) - Gem. § 70 1 I VwGO ist der Widerspruch vom Beschwerten einzulegen. - Vss.: Verletzung der Recht durch rechtswidrigen VA oder Beeinträchtigung durch zweckwidrigen VA Merke: Unzweckmäßige Rechtsfolge nur bei Ermessensentscheidungen) - Verletzung im Selbstverwaltungsrecht möglich. Abzuleiten aus Art. 28 II GG, Art. 137 HV. IV. Ordnungsgemäße Widerspruchseinlegung Gem. § 70 I 1 VwGO ist der Widerspruch bei der Behörde einzulegen, die den VA erlassen hat. Davon ist mangels entgegenstehender Hinweise auszugehen (vgl. hier § 16a IV HAGVwGO). V. Widerspruchsfrist gem. § 70 I 1 VwGO (+) - Einhaltung der Monatsfrist wird unterstellt. VI. Beteiligten- und Handlungsfähigkeit Die Beteiligten- und Handlungsfähigkeit gem. § 79 HVwVfG nach §§ 11, 12 HVwVfG. - Bad Kurheim ist gem. § 11 Nr. 1 2. Alt. HVwVfG beteiligtenfähig. - Handlungsfähigkeit nach § 12 I Nr. 3 HVwVfG. - Gesetzlicher Vertreter ist gem. §§ 71 I 1 HGO der Gemeindevorstand. VII. Ergebnis - Der Widerspruch der Gemeinde Bad Kurheim ist daher zulässig. B. Begründetheit Der Widerspruch ist begründet, wenn die Aufhebung des Gemeindevertretungsbeschlusses rechtswidrig oder unzweckmäßig war und die widerspruchsführende Gemeinde Bad Kurheim dadurch in ihren Rechten verletzt wurde. Der VA ist rechtswidrig, wenn er an formellen oder materiellen Fehlern leidet (§ 68 I 1 VwGO). I. Ermächtigungsgrundlage für die Beanstandung § 138 HGO, binnen sechs Monaten kann Aufsichtsbehörde Beschlüsse nach der Beschlussfassung aufheben. II. Formelle Rechtmäßigkeit der Beanstandung (+) - laut SV gegeben. III. Materielle Rechtmäßigkeit der Beanstandung 1. Tatbestandsvoraussetzung der Aufhebung bzw. Beanstandung nach § 138 HGO: „Beschlüsse (…) der Gemeindevertretung, die das Recht verletzen“. a) Formelle Rechtmäßigkeit des Beschlusses Zuständigkeit für Beschluss Verbands- („ob“ die Gemeinde sich mit der Materie beschäftigen darf) u. Organkompetenz („welches Gemeindeorgan“ im konkreten Fall tätig werden muss) Aufbau: Einzelne Prüfungspunkte sind nicht schematisch fixiert. Fließtext ist möglich. aa) Allgemeine Bestimmung des Umfangs der Verbandskompetenz - Verbandskompetenz bedeutet formeller Wirkungskreis der Gemeinden, vgl. insoweit § 2 S. 1 HGO und 137 I 1 HV, Art. 28 II 1 GG. - Im gesamtstaatlichen Gefüge ist das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde mit Blick auf die verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern beschränkt auf die in Art. 28 II 1 GG genannten Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft. - Nur wenn es sich um eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft handelt, erwächst den Gemeinden die Befugnis, sich dieser Aufgabe ohne besonderen Kompetenztitel anzunehmen. bb) Bestimmung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft - Verbandskompetenz von Bad Kurheim demnach nur dann, wenn der Inhalt des Beschlusses eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft zum Gegenstand hatte. - cc) Als Kernbestand kommunaler Selbstverwaltungsrechte und damit als Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft sind insbesondere anerkannt: die Gebietshoheit die Personalhoheit, die Organisationshoheit, die Daseinsvorsorge, die Finanzhoheit, die Planungshoheit, die Satzungshoheit und die Kulturhoheit. Aufwendungsbeihilfe als Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft? - Diese knüpft allein an die wirtschaftliche Mehrbelastung von Familien mit Kindern an. - Fraglich ist, ob in diesem Fall die notwendige spezifische Ortsbezogenheit noch gegeben ist oder die Aufwendungsbeihilfe nicht als eine Maßnahme des allgemeinen, vom Staat vorzunehmenden, Familienlastenausgleichs qualifiziert werden muss. (1) Aufwendungsbeihilfe als allgemeine Familienlastenausgleichsregelung? - H.M.: Gewährung von Kinder- und Erziehungsgeld keine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft, sondern allein der als gesamtstaatliche Aufgabe o Begründet wird die zum einen mit Verweis auf das in Art. 20 I GG verankerte - (2) Sozialstaatsprinzip i.V.m. Art. 6 I GG, wonach dem Staat und nicht den Gemeinden die Pflicht erwächst, zugunsten kinderreicher Familien einen Lastenausgleich durchzuführen. Zum anderen wird auf die Regelungen des Sozialgesetzbuches zurückgegriffen, indem der Bundesgesetzgeber sich des Familienlastenausgleichs als Aufgabe der Sozialgesetzgebung angenommen habe. Mangels Zuständigkeit wäre der Beschluss deshalb formell rechtswidrig. Aufwendungsbeihilfe als Maßnahme der örtlichen Fürsorge? o Örtliche Fürsorge ist die Gewährung einer Hilfe (ggw. Notlage zur Deckung eines indivuduellen Bedarfs); vgl. § 1 I 2 HGO. o Die von der Gemeinde G beschlossene Beihilfe soll jedem gewährt werden, der die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt. o Hier keine Einzelfallbetrachtung o Daher keine Maßnahme der örtlichen Fürsorge und aus diesem Grund nicht als Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft zu charakterisieren. (3) - Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft aufgrund der betroffenen Adressaten? Ist das Merkmal der örtlichen Gemeinschaft bereits erfüllt, wenn sich eine Regelung nur an die Einwohner der Gemeinde richtet? Nein, denn sonst würde das kompetenzrechtliche Abgrenzungskriterium bedetungslos. Deshalb wird eine spezifische, über den reinen Sachbezug hinausgehende Ortsbezogenheit vorausgesetzt. Die Aufgabe muss in der dargelegten Weise in der Gemeinde wurzelt. Eine solche spezifische Ortsbezogenheit kommt der beschlossenen Aufwendungsbeihilfe indes nicht zu. o Zum einen ist nicht erwiesen, ob tatsächlich aufgrund der Strukturbeschaffenheiten des Gemeindegebiets die Gemeinde G sich dazu veranlasst sehen musste, eine Aufwendungsbeihilfe zu beschließen. o Zum anderen ist der Erlass einer allgemeinen Aufwendungsbeihilfe zum Ausgleich - b. eines spezifischen Mehrbedarfs von Familien mit mindestens drei Kindern nicht zwingend notwendig. Die Gemeinden verfügen innerhalb ihrer Kompetenzen nämlich über verschiedene konkrete bedarfsbezogene Möglichkeiten der Familienförderung. Zwischenergebnis: - Die von der Gemeindevertretung beschlossene Aufwendungsbeihilfe betrifft keine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft, weshalb diese verbandskompetenzwidrig erlassen wurde. Mangels Zuständigkeit der Gemeinde war der gefasste Beschluss formell rechtswidrig und stand mit der Rechtsordnung nicht in Einklang. Eine von § 138 HGO geforderte Verletzung des Rechts liegt somit vor. 2. Ermessen Gem. § 138 HGO kann die Aufsichtsbehörde Beschlüsse der Gemeindevertretung, die das Recht verletzen, aufheben a) Entschließungsermessen - Angesichts der Tatsache, dass Bad Kurheim außerhalb ihrer Verbandskompetenz agierte, ist von einem schweren Rechtsverstoß auszugehen. - b) Dass L als zuständige Kommunalaufsicht gegen sie eingeschritten ist, ist daher nicht ermessensfehlerhaft. Insbesondere musste L kein innergemeindliches Kontrollverfahren gem. §§ 63, 74 HGO abwarten oder anregen. Auswahlermessen - Aufhebung des Gemeindevertretungsbeschlusses verfolgte das legitime Ziel der Aufrechterhaltung der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 III GG). Aufhebung ist auch geeignet. Erforderlich/milderes Mittel o Bsp. Zunächst hätte dazu auffordern müssen, den Beschluss der Gemeindevertretung selbst aufzuheben? o ABER: § 138 HGO sieht ausdrücklich nur die Aufhebung durch die Aufsichtsbehörde vor. VHMK-Prinzip ist nicht kompetenzerweiternd. o Daher: kein milderes Mittel als die sofortige Aufhebung des - Gemeindevertretungsbeschlusses. Die Aufhebung war somit erforderlich und gemessen an dem Rechtsverstoß der Gemeinde auch verhältnismäßig i.e.S. Die Maßnahme des L war daher insgesamt ermessensfehlerfrei. 3. Endergebnis Der Anfechtungswiderspruch der Gemeinde Bad Kurheim ist somit zwar zulässig aber unbegründet. Er hat keine Aussicht auf Erfolg.
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