Kunst im öffentlichen Raum ist eine schwierige Angelegenheit.

Raimar Stange
Kunst im öffentlichen Raum ist eine schwierige Angelegenheit.
Meist nämlich handelt es sich hier um eine mehr oder weniger repräsentative Deko, um nicht gerade
im doppelten Sinne des Wortes preiswerte Stadtmöbelisierung der oftmals nur scheinbar kulturellen
Art.
Wetterressitente, ach so abstrakte, also mit voller Absicht nichtssagende Stahlskulpturen, sind da z. B.
sehr beliebt.
Oder gar immer noch, vielleicht noch ärger, realistische Personengruppen.
Um so erfreulicher, dass sie hier einen Künstler wie Santiago Sierra für diese Kunst im Öffentlichen
Raum beauftragt haben.
Denn mit Santiago Sierra haben sie einen der wenigen, wenn nicht den einzigen Künstler ausgewählt,
der nun seit gut 15 Jahren international überaus erfolgreich ist und der sich dennoch nicht vom
Kunstmarkt hat korrumpieren lassen.
Soll heissen; Santiago Sierra macht immer noch, und dieses von Anfang an, Kunst, die uns die Welt
ein wenig erklärt, Aufklärung im besten Sinne, und die dabei stets kritisch gegen das real Bestehende
sich verhält.
Und die nicht zuletzt deswegen keine Kunstwaren produziert, die von Galerien problemlos an
Sammlern verkauft werden kann.
Eine seiner Strategien hier ist es, kaum Objekte zu produzieren, sondern Performances und andere,
so hat es die Kunsttheoretikerin Lucy R. Lippard bezeichnet, „dematerialisierte“ Verhältnisse.
Auch hier in Arnsberg erleben wir ja kein Objekt, sondern eine dematerialisierte Installation, genauer:
eine Lichtinstallation.
Dazu aber später mehr.
Bekannt geworden ist Santiago Sierra mit Aktionen wie „250cm Tatttoed on six paid people“ aus dem
Jahre 1999. Der Künstler lies sechs nebeneinander stehende Kubaner mit einer schwarzen Linie auf
dem Rücken tätowieren. Jeder bekam dafür schlappe 30 Dollar.
Sofort schimpfte die brave Kunst-Deko-Welt, dass hier Menschen instrumentalisiert, ja missbraucht
werden.
Was diese Kritik jedoch übersieht, oder nicht wahrhaben will ist, dass Santiago Sierra hier nur genau
die Gewalt wiederholt, die sich alltäglich nicht nur in mittelamerikanischen Sweatshops ereignet:
Menschen werden sehr schlecht bezahlt und müssen dann alles Mögliche mit sich machen lassen.
Die Wiederholung durch die Performance klärt auf, macht sichtbar. Und zwar in dem Sinne, den
Schon Bertolt Brecht so beschrieben hat:
„Jede Kritik beginnt mit dem Einverstandensein“
Einverstanden in dem Sinne, dass man Realität erst einmal akzeptierend wahrnimmt und so erst ihr
nahe kommt und sie verstehen kann.
Der legendäre abstrakte Maler Frank Stella hat jüngst in einem Interview mit dem Magazin ART
bekundet, dass ZITAT
„abstrakte Kunst einem Gelegenheit gibt einen Schritt zurückzutreten und die Dinge ein wenig anders
zu betrachten“.
Genau dieses Zurücktreten will Santiago Sierra nicht, er will Realitäten genau so sehen, wie sie
tatsächlich sind.
Übrigens: Im gleichen Interview hat Frank Stella trotzig bekannt:
ZITAT„Ich bin nicht einmal Kriegsgegner“.
Der stolze US-Amerikaner betrachtet die Dinge eben ein wenig anders …
Minimal Art, hier bei Santiago Sierra in Form des simplen schwarzen Striches, und
Globalisierungskritik, hier durch das Aufklären über kapitalistische Sweatshop-Arbeit, gehen also in
„250cm Tatttoed on six paid people“ Hand in Hand.
Und, wie gesagt, dabei wird eigentlich kein objekthaftes Werk geschaffen.
Minimal Art erwartete man von Santiago Sierra auch im westdeutschen Stommeln anno 2006, dort
wird regelmäßig ein Projekt für Kunst im öffentlichen Raum realisiert und Kunst, die sich auf Minimal
Art bezieht steht dort meist im Vordergrund.
Doch Santiago Sierra erfüllte die Erwartungen nicht.
Vielmehr überraschte sein Projekt „245 Quadratmeter“, die Stadt nachhaltig, wählte Santiago Sierra
doch als Ort für seine Kunst eine ehemalige jüdische Synagoge aus.
Vor dieser stellte er handelsübliche PKWs mit laufendem Motor ab. Ihre Abgase wurden mit Hilfe von
Schläuchen in die ehemalige Synagoge hineingeleitet.
Das Gebäude dann durfte von den Besuchern der Installation betreten werden, mit Gasmasken, die
sie vor der Umweltverschmutzung im Inneren schützte.
Nach wenigen Tagen wurde das Projekt nach heftigen Protesten nicht nur aus Stommeln vom
Künstler abgebrochen.
Der verlogene Vorwurf lautete damals: Das Projekt verharmlost das Schicksal der im Holocaust
vergasten Juden.
Verlogen ist der Vorwurf deswegen, weil die ausgeteilten Gasmasken ja offensichtlich einen Vergleich
mit vergasten Juden verbieten, die hatten bekanntlich eben keinen solchen Schutz.
Worum es Santiago Sierra stattdessen ging, liegt auf der Hand:
Das alltägliche Autofahren wird mit der Judenvergasung verglichen.
Ganz wichtig hier: Vergleichen bedeutet nie Gleichschalten, sondern auch Unterschiede zu benennen.
So erweist sich, was auf dem ersten Blick als provokant und unmöglich erscheint, auf dem zweiten
Blick als so intelligente wie dringliche Kritik.
Der Unterschied zwischen Autofahren und Judenvergasung ist klar: Autofahren töten nicht intentional,
nicht absichtlich und nicht sichtbar.
Dann aber kommen die Gemeinsamkeiten:
Autofahrer töten
und zwar
mit ihren CO2-Abgasen sukzessive die Umwelt und damit auch massenhaft Menschen, die UN spricht
heute offiziell von 500.000 Toten durch die Klimakatastrophe jedes Jahr. Tendenz stark steigend.
Und Autofahrer wissen das, niemand kann heute mehr behaupten nicht über den Klimawandel
Bescheid zu wissen, und sie tun es dennoch weiter, der Autoverkauf steigt jedes Jahr in Deutschland.
Genauso haben damals die meisten Deutschen vom Holocaust gewusst.
Die Autofahren töten zudem im geschlossenen System Umwelt, so wie auch das 3. Reich damals ein
mehr oder weniger geschlossenes System gewesen ist.
Und sie töten oftmals mit einem Auto der Marke Volkswagen, also mit dem Auto, das im 3. Reich
entwickelt wurde,
Adolf Hitler selbst hat am Design mitgearbeitet, wie u.a. eine Arbeit des Frankfurter Künstlers Tobias
Rehberger zeigt.
Auch die Autobahnen stammen bekanntlich aus dieser Zeit …
Über den Abgasumweltskandal VW sage ich jetzt lieber nichts, sonst rede ich mich noch mehr um
Kopf und Kragen …
Ich komme jetzt endlich zu Santiagos Sierra Installation hier.
Der Künstler hat für Arnsberg eine Lichtpforte gestaltet, und zwar mit Hilfe von in den Boden
eingefügter LED-Strahlern.
Diese dematerialisierte Linienführung zieht exakt den Grundriss der historischen Klosterpforte nach,
die hier bis zu ihrer Zerstörung 1799 stand.
Diese Pforte markierte einst exakt den Übergang der mittelalterlichen Stadt hin zur ihrer
klassizistischen Erweiterung.
Sie steht also, wenn man und Frau so will, für so etwas wie modernisierende Entwicklung und
Expansion. Und für Zerstörung scheinbar Veraltetes.
Diese drei Momente sind übrigens bis heute Triebfedern kapitalistischer Logik.
Santiago Sierras Lichtpforte erinnert auf subtile Weise also nicht nur an historische Entwicklungen,
klärt auf ohne pädagogisch zu werden, ist so ein Denkmal im besten und wahrsten Sinne des Wortes.
Gleichzeitig verweigert die Lichtpforte viele eigentlich verabredete Anforderungen für Kunst im
Öffentlichen Raum.
So ist sie nicht auf dem ersten Blick verständlich, historisches Hintergrundwissen ist nötig um die
Arbeit wirklich zu verstehen.
Zum anderen ist sie tagsüber, also dann wenn die meisten Menschen hier entlanggehen, nicht
sichtbar, erst des Nachts entwickelt sie ihre minimalistische Kraft.
Dadurch erfüllt die Lichtpforte auch nur eingeschränkt die Anforderungen einer attraktiven
Neugestaltung des Platzes,
und lässt sich dank ihrer unaufdringlichen Lapidarität kaum in strategische Überlegungen einspannen,
die etwa Arnsberg für Touristen interessanter machen wollen.
Santiago Sierras Kunst behauptet sich also wieder einmal gegen die eingangs angesprochene
Korruption.
Und sie nimmt sich gerade in ihrer so stolzen wie knochentrockenen Reduktion überaus ernst als
ästhetische Reflexion,
als Reflexion, die, wie sonst in unserer postmodernen Eventkultur, Sinnlichkeit nicht als hedonistische
Dummheit diskreditiert, sonder als Denkanstoss vorstellt.