Milliarden-Schulden lösen sich auf

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Tages-Anzeiger – Montag, 15. Februar 2016
Recht & Konsum
Milliarden-Schulden lösen sich auf
Leser fragen
Das Testament in
ein gemeinsames
Wenn Gläubiger nichts unternehmen, verjähren Ende 2016 Verlustscheine in der Grössenordnung von
15 Milliarden Franken. Inkassobüros wittern das grosse Geschäft, doch bei den Zürcher Behörden blitzen sie ab. Banksafe legen?
Mein Mann und ich verfügen über ein
Schliessfach bei unserer Hausbank. Es
lautet auf beide Namen, und jeder hat
einzeln Zutritt. Im Safe haben wir bis
jetzt alle wichtigen Verträge, unsere
Testamente sowie etwas Schmuck
aufbewahrt. Beim letzten Besuch war
ich jedoch sehr erstaunt, als mir der
Schalterangestellte sagte, dass künftig
beim Tod des einen Ehepartners der
andere keinen Zugang mehr zum Safe
habe, bis die Erbscheine vorlägen. Das
könne Wochen oder Monate dauern.
Nun sind wir etwas in der Klemme,
denn beim Tod des Partners ist es doch
entscheidend, dass man wichtige Dokumente wie das Testament sofort herausholen kann. Was raten Sie uns?
Thomas Müller
Ende dieses Jahres verjähren alle Verlustscheine, die vor 1997 ausgestellt wurden. Marcel Schmidlin, langjähriger
Branchenkenner und Geschäftsleitungsmitglied des Auskunfts- und Inkassobüros Creditreform, schätzt ihre Zahl aufgrund einer Hochrechnung auf rund 3
Millionen. Bei einem durchschnittlichen
Forderungsbetrag von 5000 Franken ergibt das 15 Milliarden Franken Schulden,
die sich Ende Jahr in Luft auflösen, sofern die Gläubiger untätig bleiben.
«Es gibt Firmen, die haben ganze Keller voll Verlustscheine», sagt David Rüetschi, Chef des Fachbereichs Zivilrecht
beim Bundesamt für Justiz. «Sie müssen
jetzt entscheiden, ob sie die Verlustscheine definitiv verjähren lassen oder
die Verjährung unterbrechen.»
Vom TA angefragte Unternehmen wie
Helsana, Swisscom oder Migros-Bank
lassen sich dabei nur ungern in die Karten schauen. Sie entschieden von Fall zu
Fall, je nachdem, ob beim Schuldner etwas zu holen sei, heisst es. Über Zahlen
spricht niemand. So bleibt im Dunkeln,
wie viele altrechtliche Verlustscheine in
den Firmenkellern lagern. Gesprächiger
sind die öffentlichen Ämter:
¬ Das Steueramt der Stadt Zürich verfügt laut Direktor Bruno Fässler über
55 000 Verlustscheine aus den Jahren
1963 bis 1997. Die Gesamtsumme beträgt
160 Millionen Franken.
¬ Beim Stadtrichteramt, das die Verlustscheine der übrigen Dienstabteilungen der Stadt Zürich bewirtschaftet,
sind es gut 4000 «alte» Verlustscheine
im Gesamtbetrag von 2,1 Millionen Franken. 80 Prozent davon stammen aus
nicht bezahlten Bussen, wie die leitende
Stadtrichterin Katharina Graf erklärt.
¬ Bei der Zürcher Kantonsverwaltung
inklusive Universität, Universitätsspital
und Kantonsspital Winterthur liegen
knapp 20 000 Verlustscheine aus der
Zeit vor 1997 im Nominalwert von rund
9 Millionen Franken. Dies geht aus einer
Antwort des Regierungsrats auf eine
parlamentarische Anfrage hervor.
Die Ämter von Stadt und Kanton Zürich sind laut eigenen Angaben zurzeit
damit beschäftigt, die Bonität von Verlustscheinschuldnern aus der Zeit vor
1997 zu prüfen. In erfolgversprechenden Fällen unterbrechen sie die Verjährung, indem sie den Schuldner erneut
betreiben oder eine Schuldanerkennung
verlangen. Dazu sind sie verpflichtet.
Elf Mitarbeitende befassen sich allein
beim Stadtrichteramt mit dem Verlustscheininkasso. Beim städtischen Steueramt melden die Sachbearbeitenden dem
fünfköpfigen Büro für Spezialinkasso,
falls ein Schuldner wieder über pfändbares Einkommen oder Vermögen verfügt.
Die im Vergleich mit dem Stadtrichteramt geringe Zahl von Inkassomitarbeitenden erklärt Amtsdirektor Bruno Fässler damit, dass es ausschliesslich um
Steuerforderungen gehe und die Mitarbeitenden auf Steuerdatenbanken zugreifen könnten, um die Solvenz eines
Schuldners abzuschätzen. «Der heutige
Personalbestand sollte ausreichen, um
die alten Verlustscheine nochmals zu
überprüfen», so Fässler.
Die Verlustscheine einem Inkassobüro zu übergeben, ist für ihn keine Op-
Bei Firmen und Ämtern stapeln sich alte Verlustscheine. Ende des Jahres verjähren sie. Foto: Littelny (iStock)
tion: «Das würde das Amtsgeheimnis
verletzen. Zudem ist eine Abtretung gemäss einer Weisung der Finanzdirektion
ausgeschlossen.» Für Stadtrichterin Katharina Graf kommt eine Auslagerung
«aus Datenschutzgründen nicht infrage». Und der Regierungsrat schrieb
auf eine parlamentarische Anfrage, dafür fehle die gesetzliche Grundlage.
«Das reicht nirgends hin»
Doch die Ansicht der Zürcher Behörden
teilt man nicht überall. In den Kantonen
Aargau, Freiburg, Graubünden, Luzern,
Solothurn, Tessin und Wallis ziehen Gemeinwesen private Inkassobüros bei.
Auch diese sehen hiefür kein rechtliches
Hindernis: «Die Verlustscheinregister
sind für alle öffentlich, die ein konkretes
Interesse haben», sagt Marcel Schmidlin
von Creditreform. Zudem seien die Angestellten von Inkassobüros vertraglich
zur Geheimhaltung verpflichtet.
Bislang hat noch kein Gericht die
Frage geklärt, ob staatliche Stellen das
Eintreiben von Forderungen outsourcen
dürfen. Inkassobüros machen aber gezielt Jagd auf öffentliche Ämter als neue
Kunden. Laut Marcel Schmidlin haben
viele Gemeinden das Problem nicht erkannt: «Ich kenne eine Stadt mit 2,8 zusätzlich bewilligten Stellen zur Bewirtschaftung von 100 000 Verlustscheinen.
Das reicht nirgends hin.»
«Die Zeit drängt», heisst es auf der
Website von Marktführerin Intrum Justitia. «Steuern verjähren zu lassen, ist
eine unnötige Verschwendung, die noch
vielerorts für rote Köpfe sorgen wird.»
Der Erfolg der Werbeoffensive hält sich
allerdings in Grenzen. «Die Anzahl der
eingehenden Begehren ist noch nicht
sehr hoch», sagt der Mediensprecher.
Weniger Berührungsängste als staatliche Stellen haben private Firmen. Die
Swisscom arbeitet mit dem Inkassobüro
EOS-Alphapay zusammen. Es entscheidet selbstständig, ob es die Verjährung
unterbricht. Helsana nimmt «für ein relativ geringes Volumen» die Dienste ex-
terner Inkassobüros in Anspruch. Die
Migros-Bank äussert sich nicht dazu.
In der Praxis läuft es so ab, dass die
Institute Verlustscheine «en bloc» übernehmen. Bei grossen Kunden können es
gut und gern mehrere Tausend Verlustscheine sein. Im Gegensatz zu «normalen» Forderungen, die Inkassobüros ihren Kunden in der Regel abkaufen, läuft
das Verlustscheininkasso meist auf reiner Provisionsbasis: Das Büro kassiert
im Erfolgsfall eine Provision. «Üblich
sind 40 bis 50 Prozent der eingebrachten Schuld», sagt Marcel Schmidlin.
Er bedauert, dass viele Gläubiger
allzu lange zuwarten: Einen Schuldner
aufgrund eines 20 Jahre alten Tatbestands zu identifizieren, könne sehr
schwierig sein. So liege die Erfolgsquote
bei Verlustscheinen nur gerade bei 10
bis 15 Prozent, während sie im reinen Inkassogeschäft 70 bis 80 Prozent betrage.
Tipps für den Umgang mit Inkassobüros:
http://rechtundkonsum.tagesanzeiger.ch
Verlustscheine
Die Tage bis zur Verjährung zu zählen, kann trügerisch sein
Früher waren Verlustscheine unverjährbar. Mit der Revision des Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes per 1. Januar 1997 wurde dann aber eine Verjährungsfrist von 20 Jahren eingeführt. Damals schon bestehende Verlustscheine
verjähren 20 Jahre nach Inkrafttreten
der Gesetzesrevision, also Ende 2016.
«Viele Schuldner zählen die Tage bis
zur Verjährung und wissen nicht, dass
die Verjährung unterbrochen werden
kann, und zwar beliebig oft», sagt David
Rüetschi vom Bundesamt für Justiz. Dafür genügt eine erneute Betreibung oder
eine Gerichtsklage. Auch wenn der
Schuldner die Forderung anerkennt
oder einen Teil davon begleicht, wird
die Verjährung unterbrochen. Das
heisst: Die Frist beginnt neu zu laufen.
Verlustscheinforderungen werden im
Verlustscheinregister eingetragen und
sind dort für jedermann einsehbar, der
ein Interesse nachweist – also etwa für
Wohnungsvermieter. Eine Löschung erfolgt erst, wenn die Verjährung eingetreten ist oder die Schuld getilgt wurde.
Schuldner können versuchen, einen
Verlustschein vom Gläubiger zurückzu-
kaufen. Manche Gläubiger sind bereit,
einen Erlass zu gewähren, vor allem bei
alten Forderungen. Kommt das Geschäft
zustande, sollte der Schuldner den quittierten Verlustschein herausverlangen
und ihn beim Betreibungsamt zur Löschung einreichen.
Solange ein Schuldner kein Vermögen hat und höchstens das betreibungsrechtliche Existenzminimum verdient,
kann der Gläubiger respektive ein von
ihm eingesetztes Inkassobüro die Forderung nicht eintreiben. Das Existenzminimum wird individuell berechnet. (thm)
Der wichtigste Grundsatz in diesem Zusammenhang lautet: Ein Testament gehört nicht in ein gemeinsames Schliessfach. Die meisten Banken halten es in
der Praxis wie Ihre Hausbank: Sie gewähren den Erben, zu denen auch der
Ehepartner gehört, nur gegen Vorlage
eines Erbscheines Zugang zum Safe –
und auch dann nur allen gemeinsam.
Einzig ein Willensvollstrecker erhält allein Zutritt, aber er kann erst aufgrund
des Testaments eingesetzt werden.
Möchte ein Erbe allein das Schliessfach öffnen, so ist dies in nur im Beisein
eines Notars möglich. Mit dieser Praxis
sollen die weiteren Erben geschützt werden. Theoretisch wäre es ja sonst möglich, dass der Ehemann oder die Ehefrau
nach dem Tod des Partners WertgegenThomas Müller
beantwortet Ihre Fragen zum
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und Familienrecht.
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stände aus dem Safe an sich nimmt und
damit andere Erben wie etwa die Kinder
benachteiligt. Die Banken wollen verhindern, dass sie gegenüber diesen Erben schadenersatzpflichtig werden.
Die Situation verhält sich somit ganz
ähnlich wie bei einem gemeinsamen
Bankkonto oder bei einer Kontovollmacht, wo der ungehinderte Zugang
nach dem Tod eines Kontoinhabers auch
nicht immer gewährleistet ist (TA vom
8. 6. 15). Eine weitere Parallele: Häufig
erwecken die Banken in ihren Vertragsunterlagen den Eindruck, der Tod eines
Schliessfachmieters ändere nichts an
der Zutrittsmöglichkeit seines gleichberechtigten Partners. Solche Klauseln
bedeuten indes nur, dass die Banken einem Mitinhaber eines Safes weiterhin
Zugang gewähren dürfen, nicht aber,
dass sie dazu verpflichtet sind.
Ihre letztwilligen Verfügungen deponieren Sie am besten bei der zuständigen öffentlichen Hinterlegungsstelle. Im
Kanton Zürich ist dies das Notariat am
Wohnort. Sie können die Testamente
aber auch gut zu Hause oder bei einem
beliebigen Dritten aufbewahren. Möglich wäre auch, dass Sie und Ihr Ehemann je ein separates Bankfach mieten.
Darin könnten Sie das Testament Ihres
Mannes aufbewahren und er Ihres. Der
Zugriff wäre dann auch beim Ableben
des Partners sichergestellt.
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