Die Öffentlichkeit von Strafbefehlen und

privatim-Tagung Informationszugang und Datenschutz
Baden, 7. Mai 2015
Die Öffentlichkeit von Strafbefehlen
und Einstellungsverfügungen
Tagung Informationszugang und Datenschutz, privatim - die
schweizerischen Datenschutzbeauftragten, Baden, 7. Mai 2015
Christian Aebi, Staatsanwaltschaft Zug
Tagung Informationszugang und Datenschutz, privatim, Baden
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1. Anwendungsbereich und Abgrenzungsfragen
2. Rechtliche Grundlagen der Einsicht in Strafbefehle und
Einstellungsverfügungen
3. Das Einsichtsverfahren:
1. Generelle Voraussetzungen
2. Strafbefehle
3. Einstellungsverfügungen
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1. Anwendungsbereich und Abgrenzungen
Erledigungsarten der Staatsanwaltschaft bei eröffnetem
Strafverfahren (StPO 299 II):
 Strafbefehl (StPO 352 ff.)
 Anklage (StPO 324)
 Einstellungsverfügung (StPO 319 ff.)
Erledigungsart der Staatsanwaltschaft ohne Eröffnung
eines Strafverfahrens (StPO 309 IV):
 Nichtanhandnahmeverfügung (StPO 310)
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1. Anwendungsbereich und Abgrenzungen
Begriff der Öffentlichkeit im Strafverfahren bei
Staatsanwaltschaften
 Umfang Öffentlichkeit abhängig vom Verfahrensstadium:
 Laufende Verfahren grundsätzlich nicht öffentlich (StPO
69 III a und d) und Mitarbeitende unterliegen
Geheimhaltungspflicht (StPO 73 I  StGB 320)
• Ausnahmen: Orientierung der Öffentlichkeit (StPO 74)
 Abgeschlossene Verfahren: StPO 69 II sowie
Datenschutzrecht Bund bzw. Kanton (vgl. StPO 99 I)
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2. Rechtliche Grundlagen der Einsicht
Wo ist der Öffentlichkeitsgrundsatz geregelt für Einsicht in
Strafbefehle und Einstellungsverfügungen?
 Teilweise in der Informations- /Datenschutz- oder
Gerichtsorganisationsgesetzgebung
 Hinweis: VE 113 V StPO wollte nähere Regelung dem
Bundesrat überlassen (nicht in StPO 99 I übernommen),
wobei Verfahrensleitung Entscheid über Akteneinsicht
(Berücksichtigung berechtigter Geheimhaltungsinteressen)
getroffen hätte
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2. Rechtliche Grundlagen der Einsicht
Wo ist der Öffentlichkeitsgrundsatz geregelt für Einsicht in
Strafbefehle und Einstellungsverfügungen?
 BV 30 III (Gerichtliche Verfahren)
"Gerichtsverhandlung und Urteilsverkündung sind öffentlich.
Das Gesetz kann Ausnahmen vorsehen."
 EMRK 6 Ziff. 1 (Recht auf ein faires Verfahren)
 UNO-Pakt II 14 I
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2. Rechtliche Grundlagen der Einsicht
Bedeutung der Justizöffentlichkeit:
Zitat aus BGE 137 I 16 E. 2.2:
"Das Prinzip der Justizöffentlichkeit und die daraus abgeleiteten
Informationsrechte sind von zentraler rechtsstaatlicher und
demokratischer Bedeutung. Sie sorgen für Transparenz in der
Rechtspflege, was eine demokratische Kontrolle durch das Volk
erst ermöglicht, und bedeuten damit eine Absage an jede Form
geheimer Kabinettsjustiz."
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2. Rechtliche Grundlagen der Einsicht
Wo ist der Öffentlichkeitsgrundsatz geregelt für Einsicht in
Strafbefehle und Einstellungsverfügungen?
Rechtsprechung des Bundesgerichts
 Rechtskräftige Strafbefehle:
BGE 124 IV 234 vom 18. Mai 1998
 Rechtskräftige Einstellungsverfügungen:
BGE 134 I 286 vom 2. April 2008 ("VgT")
BGE 136 I 80 vom 14. Januar 2010 und BGE 137 I 16 vom
6. Oktober 2010 ("Nef")
Urteil BGer 1B_68/2012 vom 2. Juli 2012 ("FIFA")
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3. Das Einsichtsverfahren
Amtstätigkeit Staatsanwaltschaft
Strafverfahren Staatsanwaltschaft
laufende Verfahren
abgeschlossene Verfahren
Strafprozessordnung (StPO)
Datenschutzgesetzgebung
(Bund / Kantone)
Strafbefehle
Einstellungsverfügungen
Öffentlichkeitsgesetzgebung, Datenschutzgesetzgebung (Bund / Kantone)
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3. Das Einsichtsverfahren
Anwendbares Verfahrensrecht bei der Einsicht in
Strafbefehle und Einstellungsverfügungen
≠ Strafprozessordnung, sondern
Verwaltungsverfahrensrecht (i.d.R. kraft Verweises in der
Datenschutzgesetzgebung, z.B. DSG 22/ZG  VRG/ZG oder
DSG 33 I allg. Bestimmungen über die Bundesrechtspflege)
 Zweiparteienverfahren (Gesuchsteller / Gesuchsgegner)
 Gewährung rechtliches Gehör vor Erlass Entscheid
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3. Das Einsichtsverfahren
Anwendbares Verfahrensrecht bei der Einsicht in
Strafbefehle und Einstellungsverfügungen
 Gesetzliche Grundlagen kantonal unterschiedlich geregelt
 Gerichtsorganisationsgesetzgebung
 Informations- und Datenschutzgesetzgebung
 Verwaltungsverfahrensgesetzgebung
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3.1 Generelle Voraussetzungen
 Auf Grund des Prinzips der Justizöffentlichkeit hat
grundsätzlich jede Person Anspruch auf Einsicht in
Urteile/Entscheid von Justizbehörden
 Schutz der besonders schützenswerten Daten
(Strafverfahren) durch die Datenschutzgesetzgebung (z.B.
DSG/ZG 2b, DSG/ZH 3, DSG 3 c4)
 Abwägung der Interessen der Öffentlichkeit und privater
Interessen im Bereich der Justizöffentlichkeit: strenger
Massstab bei Einschränkungen im Bereich öffentlicher
Urteilsverkündung (BGE 124 IV 234 E. 3d)
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3.2 Strafbefehle
 Grundsatz der öffentlichen Urteilsverkündung gilt auch für
Strafbefehle (BGE 124 IV 234)
 Glaubhaftmachung eines berechtigten Interesses
 Kenntnisnahme des vollständigen, ungekürzten und nicht
anonymisierten Strafbefehls, sofern keine besonderen,
schutzwürdigen Geheimhaltungsinteressen entgegenstehen
 Auflage der Strafbefehle in einer der Öffentlichkeit
zugänglichen Kanzlei für einige Zeit ausreichend
 Kein Anspruch auf Aushändigung einer Kopie
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3.2 Strafbefehle
 Beispiel Kanton Zug:
 GOG 97 I: Öffentlichkeit von Entscheiden
Entscheide der Gerichte, die nach Bundesrecht öffentlich
sind und nicht mündlich eröffnet wurden, werden durch
Auflage in Kanzlei des Gerichts drei Tage seit Eröffnung
zugänglich gemacht.
Strafbefehle werden nach Eintritt der Rechtskraft durch
die Kanzlei der Staatsanwaltschaft während drei Tagen
zugänglich gemacht
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3.2 Strafbefehle
 Beispiel Kanton Zug:
 Nach Ablauf der Auflagefrist: --> Einsichtsverfahren nach
Datenschutzgesetz (Verwaltungsverfahren)
 Abwägung der berechtigten entgegenstehenden privaten
oder öffentlichen Interessen
- Kürzung
- Anonymisierung
 Erlass anfechtbare Verfügung durch STA (Einsprache
[STA], Verwaltungsbeschwerde [OG], Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten [BGger])
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3.2 Einstellungsverfügungen
 Öffentlichkeitsgrundsatz gilt auch für Einstellungs- und
Nichtanhandnahmeverfügungen (BGE 134 I 286, 136 I 80,
137 I 16, BGer 1B_68/2012 v. 03.07.2012)
 Glaubhaftmachung eines schutzwürdigen
Informationsinteresses (z.B. Kontrollfunktion der Medien)
 Abwägung überwiegender öffentlicher oder privater
Interessen (Entgegnung durch Kürzung / Anonymisierung)
 Grundsatz der Entscheidöffentlichkeit / Einsicht in
Einstellungsverfügungen bringt Tangierung der
Persönlichkeitsrechte des Betroffenen mit sich
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3.2 Einstellungsverfügungen
 Beispiel Kanton Zug:
 Keine explizite gesetzliche Grundlage für Einsicht in
Einstellungsverfügungen
 DSG/ZG 5 restriktiv für Bearbeitung besonders
schützenswerter Personendaten
 Verwaltungsverfahren gestützt auf BV 30 III, EMRK 6 I
und UNO-Pakt II 14 I und die zitierte Rechtsprechung des
Bundesgerichts
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3.2 Einstellungsverfügungen
 Beispiel Kanton Zug:
 Abwägung der berechtigten entgegenstehenden privaten
oder öffentlichen Interessen
- Kürzung
- Anonymisierung
 Erlass anfechtbare Verfügung durch STA (Einsprache
[STA], Verwaltungsbeschwerde [OG], Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten [BGger])
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