Schriftenreihe der Arbeitnehmerkammer Bremen 1|2016 Balanceakt berufsbegleitendes Studieren 1 Zur Vereinbarkeit von Beruf, Studium und Privatleben Studie ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ Her ausgeber Arbeitnehmerkammer Bremen Bürgerstraße 1 28195 Bremen Telefon 0421·36301-0 Telefax 0421·36301-89 [email protected] www.arbeitnehmerkammer.de Problem Ausbildungsabbruch R e da k t i o n Susanne Hermeling Elke Heyduck Lek tor at Martina Kedenburg G e s t al t u n g Designbüro Möhlenkamp & Schuldt, Bremen Fotos Kay Michalak Druck Girzig & Gottschalk, Bremen Abgeschlossen zum Februar 2016 V e r f ass e r INNEN / V ERF A S S ER Dr. Petra Boxler, Akademie für Weiterbildung der Universität Bremen Dr. Claudia Fenzl, Institut für Technik und Bildung der Universität Bremen Dr. Walburga Freitag, Deutsches Zentrum für Hochschulund Wissenschaftsforschung Dr. Julia K. Gronewold, Institut für Berufspädagogik und Erwachsenenbildung der Universität Hannover Jessica Heibült, Zentrum für Arbeit und Politik (zap) Susanne Hermeling, Referentin für Bildungspolitik, Arbeitnehmerkammer Bremen Stefanie Hiestand, Institut für Berufspädagogik und Erwachsenenbildung der Universität Hannover Paul Naujoks, Student im Master Sozialpolitik der Universität Bremen Dr. Roland Tutschner, Institut für Technik und Bildung der Universität Bremen 1 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN Inhalt 1 2 3 4 5 6 2 3 4 Vorwort Dank Einleitung 6 7 Schritte zur Öffnung der Hochschulen Debatte 12 13 Studie ›Berufsbegleitendes Studieren in Bremen‹ Zentrale Thesen, empirische Datengrundlage und methodisches Vorgehen 20 21 Die Perspektive von Hochschulen Qualitative Experteninterviews 32 33 48 Die Perspektive von Studierenden Qualitative Interviews Quantitative Befragung 64 65 Die Perspektive von Betrieben Qualitative Experteninterviews 72 Literaturverzeichnis 76 77 Expertinneninterviews und Ergebnisse aus Forschungsprojekten Die Herausforderung Studienangebote für Berufstätige umzusetzen Interview mit Dr. Petra Boxler Anrechnung beruflicher Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge Interview mit Dr. Walburga Freitag Zur Durchlässigkeit zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung – Konzeption und Durchführung eines berufsbegleitenden Studiengangs an der Universität Bremen ›Arbeiten, Lernen und Leben in Balance?!‹ – Instrumente für Betriebe zur Verbesserung von Life-Learn-Work-Balance 80 84 91 7 100 101 106 Handlungsfelder und Informationen Handlungsfelder Informationen zur Studienfinanzierung 2 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN Vorwort Es gibt für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer viele gute Gründe, einen ersten oder einen höheren Hochschulabschluss zu erwerben. Ein Studium kann sich etwa durch verbesserte Arbeitsmarktchancen, größere Gestaltungsspielräume bei der Arbeit, persönliche Weiterentwicklung oder ein höheres Einkommen auszahlen. Garantien für ein erfolgreiches Studium und anschließende Karrierechancen gibt es jedoch nicht. Die Unterbrechung der Berufstätigkeit für ein Vollzeitstudium stellt daher immer ein Risiko dar, das nur wenige auf sich nehmen wollen oder können. Hinzu kommt, dass für weiterbildende Studienangebote auch an staatlichen Hochschulen in der Regel das Geld für Studiengebühren aufgebracht werden muss. Für berufstätige Studieninteressierte ist also oft die erste Frage, wie kann ich meinem Beruf, einem Studium und meinem privaten Umfeld gleichzeitig gerecht werden. Diese grundsätzliche Frage nach der ›Vereinbarkeit‹ zentraler Lebensbereiche steht daher im Mittelpunkt der hier von der Arbeitnehmerkammer Bremen und dem Zentrum für Arbeit und Politik der Universität Bremen vorgelegten Studie. Uns ist daran gelegen, in dieser Veröffentlichung die Probleme und Bewältigungsstrategien berufsbegleitend Studierender darzustellen. Diese stehen immer in Zusammenhang mit unterschiedlichen Rahmenbedingungen an Hochschulen, in Betrieben und in der privaten Sphäre. Für die Verbesserung von Rahmenbedingungen für berufsbegleitendes Studieren setzen wir uns ein und möchten unter anderem mit dieser Publikation in den Austausch mit Hochschulen, Betrieben, Politik und Verwaltung treten. Peter KruseIngo Schierenbeck Prof. Dr. Andreas Klee PräsidentHauptgeschäftsführerDirektor Zentrum für Arbeit und Politik 3 S TU DI E Dank Unser großer Dank geht an die Studiengangsverantwortlichen an Hochschulen, die sich neben ihren umfangreichen Aufgaben in Forschung und Lehre, die Zeit genommen haben, unsere Fragen zu beantworten und den Kontakt zu berufsbegleitend Studierenden herzustellen. Ohne ihre Unterstützung hätten wir unsere Studie nicht durchführen können. Herzlich danken wir auch den Studierenden, die trotz eines, in der Regel chronischen, Zeitmangels, offen und vertrauensvoll über ihre Erfahrungen berichteten und unseren Fragebogen ausfüllten. Ihre Perspektive bildet das Herzstück unserer Studie. Personalentwicklerinnen und Personalentwickler aus drei Betrieben haben uns ihre Sicht geschildert und damit unsere Analyse wesentlich bereichert. Ein herzliches Dankeschön an die Kolleginnen und Kollegen! Nicht zuletzt gebührt unser Dank den Expertinnen und Experten, die Ergebnisse ihrer Forschungsprojekte für unseren Bericht aufbereitet und aus ihren Praxisund Forschungserfahrungen berichtet haben. Ihre Beiträge bereichern die vorliegende Publikation in hohem Maß. 4 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN Einleitung Im ersten Kapitel dieser Publikation werden die politischen Ziele und die praktischen Herausforderungen skizziert, die mit der Öffnung von staatlichen Hochschulen für Berufstätige verbunden sind. Deutlich wird, dass das Angebot an berufsbegleitenden Studiengängen bundesweit und im Land Bremen noch wenig ausdifferenziert ist, obwohl das Thema der offenen Hochschule einen hohen Stellenwert in der politischen Debatte einnimmt. Von dieser Ausgangslage eines relativ beschränkten Studienangebots, das die Bedürfnisse von Berufstätigen besonders berücksichtigt, werden im zweiten Kapitel die zentralen Fragestellungen der explorativen Studie von Arbeitnehmerkammer und Zentrum für Arbeit und Politik entwickelt. Dabei ist die leitende Frage die nach der Vereinbarkeit von Studium, Beruf und Privatleben. Die empirische Datengrundlage und das methodische Vorgehen in der Studie werden im Detail dargestellt. Die Auswertung von Interviews mit Hochschulangehörigen im dritten Kapitel zeigt beispielhaft, welche Konzepte und Ressourcen für die Ansprache und Betreuung von berufstätigen Studierenden genutzt werden und welche praktischen Probleme Studiengangsverantwortliche bei der Vereinbarkeit von Studium und Beruf beobachten. Die subjektiven Erfahrungen von Studierenden aus verschiedenen Berufsgruppen und Studiengängen sind Gegenstand der Auswertung einer quantitativen Befragung sowie qualitativer Interviews im vierten Kapitel. Wie entscheidend für den Studienerfolg neben den Studienbedingungen Arbeitszeitregelungen und weitere betriebliche Rahmenbedingungen sind, kristallisiert sich deutlich heraus. Im Ergebnis ist es meist der private Bereich, der den anderen Lebensbereichen Studium und Beruf untergeordnet wird. Ergänzend zu der Studierendenperspektive geben die Interviews mit Personalverantwortlichen aus drei Bremer Betrieben im fünften Kapitel beispielhafte Einblicke in konkrete betriebliche Abläufe. Auch Interessen an der Weiterqualifizierung von Beschäftigten und konkrete Unterstützungsmöglichkeiten für Studierende seitens der Betriebe werden thematisiert. Im sechsten Kapitel werden in zwei Interviews mit Dr. Petra Boxler und Dr. Walburga Freitag die Felder der Studiengangsgestaltung und der Anrechnung beruflicher Kompetenzen diskutiert. Beide Felder sind zentral für die Erhöhung der Durchlässigkeit und eröffnen insbesondere Handlungsmöglichkeiten für Politik und Hochschulen. Im folgenden Beitrag von Dr. Claudia Fenzl und Dr. Roland Tutschner werden die Herausforderungen zur Integration eines berufsbegleitenden 5 S TU DI E Studienangebots in einen Regelstudiengang deutlich. Der vorgestellte Bachelorstudiengang des Instituts für Technik und Bildung ist bisher der einzige berufsbegleitende Bachelorstudiengang an einer staatlichen Hochschule in Bremen. Die Berufspädagoginnen Dr. Julia Gronewold und Stefanie Hiestand bewegen sich mit ihrem Forschungsprojekt der Hans-Böckler-Stiftung auf der betrieblichen Ebene. Die Autorinnen stellen ein neues Konzept von Vereinbarkeit dar, die ›Work-Learn-Life-Balance‹. Im Rahmen des Forschungsprojekts wurden Instrumente zur Verbesserung von Arbeiten, Lernen und Leben entwickelt und in mittelgroßen Betrieben der IT-Branche getestet. Die im letzten Kapitel formulierten Handlungsfelder schlagen einen Bogen zwischen der explorativen Bremer Studie und der Expertise aus den Gastbeiträgen. Wo kann Politik auf Bundes- und Landesebene ansetzen, um berufsbegleitendes Studieren zu erleichtern? In welcher Form können Arbeitgeberverbände und Betriebe studierende Beschäftigte unterstützen und somit auch eigene Fachkräftebedarfe decken? Dass hier durchaus Möglichkeiten auf betrieblicher, hochschulischer und politischer Ebene bestehen, das berufsbegleitende Studium zu fördern, zeigt dieses Kapitel. 6 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN Schritte zur Öffnung der Hochschulen 1 ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ 7 S TUDIE TU DI E JE SSIC A HEIBÜLT SU SANNE HERME L ING PAU L NAU JOKS Debatte Die Förderung berufsbegleitenden Studierens und die Entwicklung von berufsbegleitenden Studienformaten sind zentrale Elemente einer weiteren ›Öffnung der Hochschulen‹ für Studieninteressierte, die bereits im Berufsleben stehen. Für die Studienentscheidung ist die Frage der Vereinbarkeit von Studium, Beruf und Privatleben zentral. In dieser Publikation nehmen wir daher Erwerbstätige in den Blick, die während ihrer Berufstätigkeit erstmalig oder erneut ein Studium aufnehmen.1 Die beruflich qualifizierten Studierenden ohne Abitur – auch Studierende des dritten Bildungsweges genannt –, die den Hochschulzugang über ihre berufliche Qualifikation erwerben, bilden eine relativ kleine Gruppe2 unter den berufstätigen Studierenden. Dieser Gruppe gilt jedoch eine hohe politische Aufmerksamkeit im Rahmen der Öffnung der Hochschulen, obwohl grundsätzlich alle Berufstätigen mit oder ohne Abitur von der Entwicklung neuer Beratungs- und Studienangebote an staatlichen Hochschulen profitieren. Die Möglichkeit des berufsbegleitenden Studierens ist jedoch für alle Berufstätigen relevant, und zwar unabhängig davon, ob diese eine schulisch erworbene Hochschulzugangsberechtigung besitzen oder nicht. Die Diskussion um die weitere Öffnung der Hochschulen erlebt laut Andrä Wolter3 in den vergangenen Jahren aus verschiedenen Gründen Konjunktur. Arbeitsmarktpolitische Argumente gründen sich auf einen von Teilen der Wirtschaft und Politik befürchteten Fachkräftemangel. Arbeitgeber setzen sich für höhere Akademikerquoten als einem volkswirtschaftlichen Wettbewerbs- und Standortvorteil ein.4 Der ehemalige Vorsitzende des arbeitgebernahen Arbeitskreises Hochschule / Wirtschaft des BDA, BDI und der HRK Thomas Sattelberger plädiert für die Öffnung der Hochschulen, ›um die Akademikerquote zu erhöhen‹ und so das volle Potenzial der ›Facharbeiter und Fachangestellten‹ zu nutzen.5 In einer Analyse des ReferenzBetriebs-Systems (RBS) des BIBB wurde außerdem deutlich, dass in Betrieben ein konkreter Bedarf nach Weiterbildungs- beziehungsweise Qualifizierungsmaßnahmen auf Hochschulniveau besteht.6 Ein Fünftel aller Betriebe sah sich 2008 mit einem steigenden Bedarf wissenschaftlicher Qualifikationen ihres Personals konfrontiert. Überwiegend Kleinbetriebe sind darauf angewiesen, Stammpersonal weiterzubilden. Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten können sowohl Neueinstellungen tätigen als auch ihre Beschäftigten weiterqualifizieren. Knapp 70 Prozent der befragten Betriebe favorisieren das berufsbegleitende Studium.7 Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels wird, so Wolter8 weiter, zudem langfristig eine sinkende Anzahl von Abiturientinnen und Abiturienten und damit auch niedrigere Studierendenzahl an Hochschulen prognostiziert. Hochschulen sollen sich deshalb in Zukunft vermehrt neue Zielgruppen – wie beruflich Qualifizierte und Berufstätige – erschließen.9 Wolter räumt außerdem der Europäisierung der Bildungspolitik besonderen Einfluss auf das Thema der ›Offenen Hochschule‹ ein. Im Rahmen der Bologna-Reform sollen Strukturen für lebenslanges Lernen im Hochschulkontext geschaffen werden, was wiederum neue flexible Bildungswege erfordert: ›Das lebenslange Lernen umfasst den Erwerb von Qualifikationen, die Erweiterung von Wissen und Verständnis, die Aneignung neuer Fähigkeiten und Kompetenzen sowie die Unterstützung der Persönlichkeitsbildung. Voraussetzung für lebenslanges Lernen ist, dass Qualifikationen über flexible Bildungswege erworben werden können, darunter auch 8 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN im Teilzeitstudium oder berufsbegleitend.‹10 Neben der Fachkräftedebatte steht auch das Thema der Chancengerechtigkeit – durch die nachholende Möglichkeit eines Studiums nach einer Berufsausbildung – auf der bildungspolitischen Agenda.11 Auch darum stehen vor allem die Studierenden ohne Abitur im Fokus der Debatte. Hochschulzugang und Anrechnung beruflicher Kompetenzen Um Anpassungsprozesse der Hochschulen zu fördern, legte der Bund in den vergangenen Jahren vermehrt Programme und Initiativen auf. Die Anzahl berufsbegleitender Angebote soll erhöht und ein Studium für neue Zielgruppen attraktiver gestaltet werden. Zunächst wurde dafür auf struktureller Ebene der Hochschulzugang für beruflich Qualifizierte ohne Abitur durch die Kultusministerkonferenz (KMK) im Jahr 2009 entscheidend erleichtert.12 Alle Bundesländer haben seither entsprechende Regelungen in ihren Landeshochschulgesetzen getroffen. Anreize für die Aufnahme eines Studiums werden maßgeblich auch davon bestimmt, ob berufliche Kompetenzen auf ein Studium angerechnet werden können. Laut KMK-Beschluss des Jahres 2002 können außerhochschulisch erworbene Kompetenzen auf bis zu 50 Prozent der Studienleistungen angerechnet werden.13 Die Kann-Bestimmung der Anrechnung beziehungsweise Empfehlung führt dazu, dass einheitliche Vorgehensweisen und individuelle Anrechnungsverfahren kaum angewandt wurden.14 Im Rahmen der BMBF-Initiative ›ANKOM – Anrechnung beruflicher Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge‹ wurden von 2005 bis 2008 zwölf Entwicklungsprojekte an verschiedenen Hochschulen in Deutschland gefördert.15 Unter der Projektleitung des Hochschul-InformationsSystems (HIS) haben unter anderem das Bundesinstitut für Berufsbildung (BiBB), aber auch der Verband der Ingenieure (VDI) mitgearbeitet.16 In den Bereichen Gesundheit und Soziales, Ingenieurwissenschaften, Informationstechnologien sowie Wirtschaftswissenschaften wurden übertragbare Anrechnungsverfahren und -instrumente entwickelt, mit deren Hilfe beruflich erworbene Kompetenzen auf Bachelor- und Masterstudiengänge angerechnet werden können.17 Die breite Anwendung der entwickelten Verfahren steht allerdings noch aus. Aus der Initiative ANKOM geht hervor, dass transparente Anrechnungswege schon bei der Entwicklung von Studiengängen berücksichtigt werden sollten.18 Mit neueren Regelungen, die die Hochschulen dazu verpflichten, im Rahmen der Akkreditierung von Studiengängen Verfahren und Kriterien zur Anrechnung außerhochschulisch erworbener Kompetenzen zu entwickeln, wird sich voraussichtlich langfristig die vorausschauendere Praxis durchsetzen.19 Ein durchgängiges Problem bei Anrechnungsverfahren ist es, genau zu definieren, was beruflich erworbene Kompetenzen sind. Eine Mehrheit der befragten Betriebe des Referenz-BetriebsSystems befürwortet die Anrechnung von Inhalten und Kompetenzen, die sich allein aus dem Arbeitsalltag ergeben. In der Regel befürworten Betriebe informelle oder nicht formale Anrechnungsverfahren.20 Diese Herangehensweise fordert jedoch den Hochschulen eine hohe Flexibilität ab. Studienangebote Berufsbegleitendes Studieren ist noch immer eine ›Randerscheinung‹21 an deutschen Hochschulen. Vor allem berufsbegleitende Bachelorstudiengänge sind in Deutschland vergleichsweise selten, während das Angebot an berufsbegleitenden Masterstudiengängen weitaus größer ist. Nach der bisher einzigen bundesweiten Erhebung durch die HIS GmbH22, die sich auf das Angebot im Jahr 2009 bezieht, war zudem der weitaus größere Teil berufsbegleitender Bachelorstudiengänge an Fachhochschulen (86 Prozent) angesiedelt. 40 Prozent der berufsbegleitenden Bachelorstudiengänge sehen dabei eine Studienzeit über drei Jahre vor. Die berufsbegleitenden Masterstudiengänge werden im Gegensatz zu den Bachelorstudiengängen geringfügig häufiger an Fachhochschulen als an Universitäten angeboten. Auffällig ist, dass sowohl an den Fachhochschulen als auch an den Universitäten die Wirtschaftswissenschaften den Schwerpunkt bilden. An den Fachhochschulen zählt hierzu nahezu jeder zweite und an den Universitäten 9 S TU DI E jeder dritte Studiengang. Aufgrund des steigenden Bedarfs im (Alten-)Pflegesektor erwarteten die Autoren im Berichtsjahr 2011 im Bereich der Pflege- und Gesundheitswissenschaften ein starkes Wachstum.23 Die meisten Angebote wurden im Bereich der Wirtschaftswissenschaften (42 Prozent der Bachelor- und 46 Prozent der Masterstudiengänge) und in den Ingenieurwissenschaften (18 Prozent der Bachelor- und 11 Prozent der Masterstudiengänge) ausgemacht.24 Insgesamt sind für das Jahr 2009 nur 257 berufsbegleitende Bachelor- und 697 Masterstudiengänge an privaten oder staatlichen Hochschulen recherchiert worden. Demgegenüber wurden über 4.000 Zertifikatskurse gezählt, die als einzelne Angebote nicht zu einem akademischen Abschluss führen.25 Die Zahlen sagen viel über die Angebotsstruktur, doch wenig über den Bedarf aus. Selbst wenn ein höherer Bedarf an berufsbegleitenden Bachelorstudiengängen festgestellt würde, so ist grundsätzlich nicht vorgesehen, dass die Hochschulen die Entwicklung solcher Angebote aus ihrem Grundhaushalt finanzieren. Auch über Studiengebühren dürfen berufsbegleitende Bachelorstudiengänge in der Regel nicht finanziert werden, da die Bundesländer Gebührenfreiheit für ein Erststudium bis zum Masterabschluss garantieren. Ausgenommen sind weiterbildende Masterstudiengänge. Da Haushaltsmittel im Wesentlichen durch grundständige Studiengänge gebunden sind, führt das zwangsweise zu Defiziten in der Lehre und Organisation berufsbegleitender Studiengänge. Bisher ist auch die Nachfrage seitens Berufstätiger eher gering. Allerdings ist nach Heibült und Müller für den dritten Bildungsweg eher schwach geworben worden.26 Die Notwendigkeit der Reorganisation der Studienstruktur scheitert also maßgeblich an fehlenden Mitteln im Grundhaushalt für neue Modelle. Zudem sind berufsbegleitende beziehungsweise weiterbildende Studiengänge stark von dem Engagement der Professoren und Professorinnen abhängig.27 Und dieses Engagement wird kaum honoriert, da zum Beispiel eine Lehrtätigkeit in der Weiterbildung nicht auf Lehrdeputate angerechnet wird. Eine Veränderung der üblichen Präsenzzeiten für Lehre und ein stärkerer Fokus auf E-Learning gelten als weitere Herausforderungen für berufsbegleitende Studien- modelle. Die Defizite werden laut Minks zusätzlich durch den eher ausgrenzenden und Status schützenden Charakter akademischer Institutionen verstärkt.28 Auch in berufsbegleitenden Studiengängen wird wenig Rücksicht auf das unflexible Zeitbudget nicht traditioneller Studierender gegenüber traditionell Studierenden genommen. Karl-Heinz Minks und seine Kollegen kritisieren die partielle Überfrachtung einiger Studiengänge. Ein realistischer Workload von 30 Stunden pro Kreditpunkt ist in der Tat für Berufstätige in der Regelstudienzeit kaum zu leisten. Angenommen, man setzt beispielsweise die Dauer von acht Semestern für ein Bachelorstudium mit 210 Kreditpunkten an, dann umfasst der Workload für das Studium beinahe so viel wie eine Vollzeitstelle. Studierende mit einer Vollzeitstelle hätten also eine Arbeitswoche von 70 oder mehr Stunden. Außerdem müsse berücksichtigt werden, dass viele Berufstätige keine ›akademischen Lernerfahrungen‹ haben.29 Auch Heibült und Müller stellen fest, dass für viele beruflich qualifizierte Studierende der universitäre Raum, aufgrund von beispielsweise Altersunterschieden oder habitueller Differenzen, zunächst eine große Herausforderung ist.30 Zur Situation im Land Bremen Im Jahr 2011 verabschiedete die Bremische Bürgerschaft nach dem Vorbild der KMK erweiterte Regelungen für die Hochschulzulassung beruflich Qualifizierter ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung. Die Zulassungsvoraussetzungen für beruflich Qualifizierte im Lande Bremen werden im Detail über das Bremische Hochschulgesetz geregelt. Die allgemeine Hochschulzugangsberechtigung wird unter anderem über einen Meisterabschluss oder diverse Fortbildungsabschlüsse erworben. Studieninteressenten mit anerkannter Berufsausbildung und einschlägiger Berufserfahrung können eine fachgebundene Hochschulzugangsberechtigung mittels Einstufungsprüfung oder Kontaktstudium oder weiterbildendem Studium erwerben. In Niedersachsen bekommen Absolventinnen und Absolventen mit dreijähriger Berufsausbildung und entsprechender Berufserfahrung auch ohne Prüfung einen fachgebundenen Hochschulzugang (nach 10 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN § 18 Hochschulzugang des NHG). Hier sind also die Hürden für viele beruflich qualifizierte Studieninteressierte niedriger. Über den KMK-Beschluss von 2009 hinausgehend werden in Bremen zum Beispiel auch Facharbeitertätigkeiten, die Führung eines Familienhaushaltes und häusliche Pflege als Berufserfahrung angerechnet.31 Zudem soll der Zugang für Studierende des dritten Bildungswegs durch festgelegte Quoten in den zulassungsbeschränkten Studiengängen erleichtert werden. Für Absolventinnen und Absolventen, die zum Beispiel ein Kontaktstudium durchlaufen oder eine Einstufungsprüfung abgelegt haben, ist eine Quote von zwei Prozent der Studienplätze in den Auswahlverfahren vorgesehen (§ 7 Abs. 1 BremHSVVO).32 Studieren ohne Abitur Der erste und zweite Bildungsweg bezeichnen den Prozess des Erwerbs der schulischen Hochschulreife, im zweiten Fall durch das Nachholen von Schlussabschlüssen. Der dritte Bildungsweg – oft auch als Studieren ohne Abitur bezeichnet – bezeichnet hingegen den formalen Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung über eine berufliche Qualifikation, ohne zuvor die schulische Hochschulreife erworben zu haben. Absolventinnen und Absolventen von Aufstiegsfortbildungen, wie Meister- und Technikerkursen sowie vergleichbaren landesrechtlich geregelten Fortbildungen, zum Beispiel im Gesundheits- oder Sozialwesen, besitzen bundesweit die allgemeine Hochschulzugangsberechtigung für alle Studienfächer, wie es die KMK-Regelungen von 2009 vorsieht. Dies ist im § 33 Absatz 3a BremHG festgelegt. Wer eine mindestens zweijährige anerkannte Berufsausbildung und mehrjährige Jahre Berufserfahrung in einem zum Studiengang affinen Bereich vorweisen kann, kann einen fachgebundenen Hochschulzugang erwerben. Im Land Bremen ist nach § 33 Absatz 5 BremHG (und FachgHSchRVO) der fachgebundene Hochschulzugang an eine fachlich einschlägige Einstufungsprüfung, ein Kontaktstudium oder ein weiterbildendes Studium gebunden. [Vgl. Hermeling (2011), S. 111 f.] An die Hochschulen erging mit den erweiterten Zulassungsregelungen der Auftrag, sich für Studierende mit Berufserfahrung weiter zu öffnen. Die Umstellungen sind, insbesondere für die Universität weitreichend, da günstige Rahmenbedingungen erst geschaffen werden müssen. Erst mit zielgruppengerechten Beratungsangeboten, berufsbegleitenden Studienformaten und Anrechnungsmöglichkeiten von beruflich erworbenen Kompetenzen auf Studiengänge, wird das Studium für viele Studieninteressierte überhaupt erst machbar und attraktiv.33 Die Möglichkeit des berufsbegleitenden Studierens hat dabei eine Schlüsselfunktion, denn für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die bereits einige Jahre einer berufsfachlichen Tätigkeit nachgegangen sind, birgt die Unterbrechung der Erwerbstätigkeit für ein Vollzeitstudium zumeist zu hohe finanzielle und berufliche Risiken. Bisher findet an der Universität Bremen keine zielgruppenspezifische Beratung beispielsweise für berufsbegleitend Studierende statt. Die jeweiligen Fachbereiche und deren Studienzentren handeln in der Ausgestaltung der Beratung autonom. Dennoch ist perspektivisch eine auf Heterogenität ausgerichtete Beratung und Betreuung in Planung. In einigen Bereichen der Hochschule Bremerhavens wird eine zielgruppenspezifische Beratung und Betreuung bereits angeboten. Diese richtet sich explizit an Studierende des zweiten und dritten Bildungswegs, wie zum Beispiel an Handwerkerinnen und Handwerker, Facharbeiterinnen und Facharbeiter aus technischen Berufen.34 An den staatlichen Hochschulen im Land Bremen gibt es bisher nur einen berufsbegleitenden Bachelorstudiengang. Bisher besteht nur an der Hochschule Bremen die Möglichkeit, alle Studiengänge in Teilzeit zu absolvieren. Berufsbegleitende Masterstudiengänge in verschiedenen Fachrichtungen werden an mehreren Hochschulen angeboten. Für diese werden allerdings Studiengebühren erhoben. Im Bund-Länder-Programm ›Aufstieg durch Bildung: Offene Hochschulen‹ werden seit 2011 Projekte gefördert, in denen Angebote für Studierende ohne Abitur, berufsbegleitende und duale Studiengänge sowie Weiterbildungsstu- 11 S TU DI E diengänge35 entwickelt werden. In der ersten Förderphase reichten die bremischen Hochschulen einen gemeinsamen Antrag im Rahmen des Programms ein, der nicht bewilligt wurde. Die bremische Landesregierung legte daher ein kleineres Programm ›Offene Hochschule‹ auf, das mit einer Anschubfinanzierung im Jahr 2012 an den staatlichen Hochschulen gestartet ist. Unter dem Dach des Landesprogramms sind zum Teil neue berufsbegleitende Studiengänge sowie studienbegleitende Angebote initiiert worden.36 In der zweiten Förderrunde des Bundeswettbewerbs konnten alle staatlichen Hochschulen in Bremen Projekte aus Bundesmitteln einwerben, die im Jahr 2015 gestartet sind. 1 Eine genaue Definition der von uns untersuchten Gruppe im Kapitel 2. 2 Nach Berechnungen des CHE (Centrum für Hochschulentwicklung) auf Basis von Daten des Statistischen Bundesamtes gab es 2013 im Land Bremen nur 94 Studienanfänger (1,4 Prozent) und 406 Studierende ohne Abitur (1,2 Prozent). Daten siehe Studieren ohne Abitur (o. J.). 3 Vgl. Wolter (2012a), S. 23 f. ›Offene Hochschule‹ im Land Bremen z Universität Bremen: konstruktiv – Konsequente Orientierung an neuen Zielgruppen strukturell in der Universität Bremen verankern www.uni-bremen.de / konstruktiv.html z Hochschule Bremen: HSBflex – Flexible Studienstrukturen für eine offene Hochschule www.hs-bremen.de / internet / de / hsb / projekte / hsbflex / z Hochschule Bremerhaven: AufWind – Weiterbildungsangebote in der Windenergiebranche vom Brückenkurs bis zum Master www.wettbewerb-offene-hochschulen-bmbf.de / foerderprojekte / 2-wettbewerbsrundeuebersichtsseite / verbundprojekteuebersichtsseite / 19 z Hochschule für Künste: Entwicklung weiterbildender Studienprogramme mit einem Fokus auf musikalisch-ästhetischer Bildung www.imbik.hfk-bremen.de / z Weitere Angebote der Hochschulen in Bremen sind online aufgeführt auf der Webseite des Landesprogramms ›Offene Hochschulen‹ www.offene-hochschulen-bremen.de / 4 Vgl. Wolter (2012b), S. 274 ff. 5 Vgl. Handelsblatt (2007). 6 Vgl. Völk (2011), S. 146. 7 Vgl. Völk (2011), S. 152. 8 Vgl. Wolter (2012a), S. 23 f. 9 Ob diese Prognosen aktuell bleiben, ist allerdings ungewiss. Schließlich gibt es neben dem Trend der alternden Gesellschaft, der möglicherweise durch die aktuelle Zuwanderung teilweise ausgeglichen wird, einen Trend zu höheren Schulabschlüssen und höherer Studierneigung. 10 Leuvener Kommuniqué (2009), S. 3. 11 Vgl. BMBF (2014), S. 3. 12 Vgl. KMK (2009). 13 Vgl. KMK (2002), S. 2. 14 Vgl. Minks et al. (2011), S. 12; Freitag (2009), S. 222. 15 Vgl. Freitag / Loroff (2011), S. 9. 16 Siehe ANKOM (o. J.). 17 Vgl. Hartmann et al. (2008), S. 16 ff. 18 Vgl. Koch / Meerten (2010), S. 10 ff. 19 Vgl. Akkreditierungsrat (2014). 20 Vgl. Völk (2011), S. 153 ff. 21 Minks et al. (2011), S. III. 22 Inzwischen umbenannt in Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung. 23 Vgl. Minks et al. (2011), S. 36 f. 24 Vgl. Minks et al. (2011), S. III f. 25 Vgl. Minks et al. (2011), S. 48 f. 26 Vgl. Heibült / Müller (2014), S. 41. 27 Vgl. Faulstich / Oswald (2010), S. 11. 28 Vgl. Minks et al. (2011), S. 7 f. 29 Vgl. Minks et al. (2011), S. 28. 30 Vgl. Heibült / Müller (2014), S. 43. 31 FachgHSchRVO § 2. 32 § 7 Abs. 1 BremHSVVO und KMK (2014), S. 27. 33 Dies belegen die Erfahrungen und Ergebnisse der ANKOM-Initiative, vgl. Freitag et al. (2015), S. 13. 34 Vgl. KMK (2014), S. 33. 35 Vgl. Nickel / Doung (2012), S. 20 f. 36 Nähere Informationen unter Offene Hochschulen Bremen (o. J.). 12 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN Studie ›Berufsbegleitendes Studieren in Bremen‹ 2 ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ 13 S TUDIE TU DI E JE SSIC A HEIBÜLT SU SANNE HERME L ING Zentrale Thesen, empirische Datengrundlage und methodisches Vorgehen Während Barrieren auf dem Weg zur Hochschule und notwendige Schritte für die weitere Öffnung der Institution Hochschule bereits seit Längerem Gegenstand der Forschung sind,1 fehlt eine systematische Untersuchung von Rahmenbedingungen für berufsbegleitendes Studieren. Mit der vorliegenden Studie möchten wir dieses Forschungsfeld explorativ öffnen. Unser Schwerpunkt liegt auf der Frage der Vereinbarkeit von Studium, Beruf und Privatleben aus der Sicht von Studierenden. In der Wissensarbeit stehen Beschäftigte mehr denn je vor der Herausforderung, Lernen, Beruf und Privatleben auszubalancieren. Steigende Leistungsanforderungen, kürzere Halbwertszeiten von erworbenem Wissen sowie hohe Ansprüche an privater Selbstverwirklichung fordern Beschäftigte zunehmend heraus. Im Rahmen der Debatte um Work-Life-Balance (WLB) kann bereits auf eine Vielzahl von Untersuchungen und Empfehlungen zurückgegriffen werden. Syrek et al. machen allerdings deutlich, dass durch die zunehmenden Lernanforderungen und zahlreichen Optionen des Wissenserwerbs die Vereinbarkeit um die Komponente des Lernens erweitert werden muss. Permanentes Lernen muss mit dem Arbeitsleben und dem Privatleben vereinbart werden und erfordert deshalb neue Strategien der Work-LearnLife-Balance (WLLB).2 Die Ergebnisse unserer Studie stützen sich auf qualitative Interviews und eine quantitative Befragung von berufsbegleitend Studierenden. Die subjektive Perspektive von Studierenden auf die Vereinbarkeit von Studium, Beruf und Privatleben wird mit Experteninterviews in Hochschulen einerseits und in Betrieben andererseits in Beziehung gesetzt. Die individuelle Perspektive der Studierenden wird methodisch somit um die institutionelle Perspektive von Hochschulen und Betrieben ergänzt. Individuelle und institutionelle Praxen sind jedoch nicht ohne Bezug zu der jeweils übergeordneten Makro-Ebene zu denken. In der Einleitung haben wir politische Diskurse und Beschlüsse sowie rechtliche Grundlagen skizziert, um diese Zusammenhänge zu verdeutlichen. Arbeitssoziologische Analysen von Interviewdaten hinsichtlich der Entwicklung von Arbeitsorganisation, von geschlechtsspezifischen Berufsstrukturen und privater Sorgearbeit wären darüber hinaus im Rahmen eines größeren Forschungsprojekts von Interesse. Wir stellen entsprechende Bezüge aufgrund begrenzter Kapazitäten nicht systematisch her, geben aber Hinweise auf einen weitergehenden Forschungsbedarf bei auffälligen Befunden. Konkretes Ziel der vorliegenden Studie ist es, mittelfristig zu realisierende Handlungsfelder für die Verbesserung der Studienbedingungen zu identifizieren. Diese richten sich in erster Linie an die institutionelle Ebene von Betrieben und Hochschulen sowie an politische Entscheidungsträger. Forschungsleitende Thesen und Fragestellungen Minks et al. bezeichnen berufsbegleitendes Studieren als die Möglichkeit, neben einer beruflichen und / oder familiären Tätigkeit ein Studium aufnehmen zu können. Der ausgeübte Beruf und das Studienfach müssen dabei in keinem fachlichen Zusammenhang zueinanderstehen.3 Da die Gruppe der berufstätigen Studierenden hinsichtlich der Studienzeiten und des Theorie-Praxis-Transfers andere Bedürfnisse hat als traditionelle Studierende (siehe Kasten), werden ausgewiesene berufsbegleitende Studiengänge besonders gestaltet. Sie unterscheiden sich von den tradierten Vollzeitstudiengängen im zeitlichen Format sowie in Didaktik und Methodik.4 Zu den berufsbegleitend Studierenden werden 14 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN per Definition auch solche Studierende gezählt, die an regulären Studiengängen teilnehmen, auch wenn dies bislang sehr selten genutzt wird.5 Definition traditionelle/ nicht traditionelle Studierende Die Begriffe traditionelle beziehungsweise nicht traditionelle Studierende begleiten die Diskussionen um die ›Öffnung der Hochschulen‹. Der Begriff der ›nicht traditionellen Studierenden‹ bezieht sich auf die Kategorie des ›nontraditional students‹ der angelsächsischen Länder. Dabei existiert international bisher keine einheitliche Definition. Teichler / Wolter (2004, S. 70 ff.) bezeichnen nicht traditionelle als Studierende, die nicht auf geradem Weg zur Hochschule gekommen sind; die nicht die regulären schulischen Voraussetzungen für den Hochschulzugang erfüllen und die nicht in der üblichen Form eines Vollzeit- und Präsenzstudiums studieren (also Teilzeit-, Abend- und Fernstudierende). In Anlehnung daran verstehen wir traditionelle Studierende als jene Studierende, die entsprechende Kriterien erfüllen. In dieser Studie wird der Begriff der ›nicht traditionellen Studierenden‹ jedoch nicht verwendet, da auch berufsbegleitend Studierende in Vollzeit- und Präsenzstudium in die Untersuchung einbezogen werden. Wir sprechen in unserer Untersuchung von berufsbegleitendem Studieren, wenn Studierende während ihres Studiums mit mindestens einer halben Vollzeitstelle weiter in ihrem erlernten Beruf arbeiten oder eine darauf aufbauende komplexe Tätigkeit ausüben. Anders als die Ausübung von studentischen ›Nebenjobs‹, ist die berufsfachliche oder komplexe Tätigkeit mit hohen Anforderungen verbunden, da sie mit der Übernahme von fachlicher, organisatorischer und gegebenenfalls auch personeller Verantwortung einhergeht. Das heißt, berufsfachlich Beschäftigte werden in der Regel sowohl zeitlich als auch psychologisch und organisatorisch stark in Anspruch genommen und stehen deshalb hinsichtlich der Vereinbarkeit von Studium, Beruf und Privatleben vor besonderen Herausforderungen. Ebenso ist denkbar, dass Beschäftigte, die bei komplexen Tätigkeiten eigenverantwortlich arbeiten können, Freiräume haben, die die Vereinbarkeit verbessern können. Eine daraus abgeleitete These lautet, dass sowohl hohe berufliche Anforderungen als auch selbstverantwortliches Arbeiten die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Studium entscheidend beeinflussen. Weiterhin setzten wir voraus, dass die Berufstätigkeit einen fachlichen Bezug zum Studium hat, um Aspekte des Theorie-Praxis-Transfers bewerten zu können. Wir gehen dabei von der These aus, dass eine fachliche Tätigkeit Möglichkeiten bieten kann, Studieninhalte im Arbeitsalltag oder in Form von Projektarbeiten zu bearbeiten. Auch eine leichtere Erschließung von Studieninhalten aufgrund einschlägiger beruflicher Erfahrung, also ein Praxis-Theorie-Transfer, könnte die Vereinbarkeit verbessern. Da die Frage der Vereinbarkeit von Studium und Beruf im Mittelpunkt unserer Studie steht, interessieren uns die Rahmenbedingungen und Bewältigungsstrategien unterschiedlicher Berufsgruppen. Dabei war die Annahme leitend, dass berufsgruppenspezifische betriebliche Rahmenbedingungen vorzufinden sind, die nach Branchen, Arbeitszeitmodellen oder Betriebsgrößen differenziert werden können und sich unterschiedlich auf die Vereinbarkeit von Studium, Beruf und Privatleben auswirken. Besonders interessant waren für uns zudem die Fragen, 15 S TU DI E ob und in welcher Form die Studierenden von ihren Arbeitgebern unterstützt werden und ob sich die Arbeit der Befragten mit Beginn des Studiums verändert hat. Durch das zentrale Auswahlkriterium der berufsfachlichen Tätigkeit, die einen Bezug zum Studium aufweist, werden in die Untersuchung sowohl Studierende mit als auch ohne Abitur eingeschlossen. Zudem sind Studierende mit Berufsund / oder mit Hochschulabschlüssen einbezogen. Durch den Mix an Bildungsprofilen unter den Studierenden sind Berufstätige verschiedener betrieblicher Hierarchieebenen in der Studie vertreten. Wir gehen davon aus, dass Angehörige unterschiedlicher Hierarchieebenen auch unterschiedliche Rahmenbedingungen vorfinden, welche die Vereinbarkeit beeinflussen können. Wir haben beispielsweise danach gefragt, welche Rolle Arbeitszeitmodelle, die Position der einzelnen Beschäftigten im Betrieb oder das Verhältnis zu Vorgesetzten und Kollegen für die Vereinbarkeit spielen. Neben dem Beruf stellt das Privatleben beziehungsweise das familiäre und soziale Umfeld der Studierenden eine entscheidende Variable der Vereinbarkeit dar. In der Studie haben wir daher Rahmendaten zu Kindern, Partnerschaft und Wohnformen erhoben. Wir nahmen an, dass die zweifache Belastung mit Beruf und Studium sich vor allem auf das Privatleben auswirken würde. Gleichzeitig vermuteten wir, dass Verständnis und Unterstützung im sozialen Umfeld als wichtig erachtet werden. Sowohl in den Interviews als auch im Fragebogen hatten die Studierenden die Möglichkeit, Probleme ebenso wie Unterstützung und Entlastung in ihrem Privatleben zu thematisieren. Eine gute Vereinbarkeit ist nicht zuletzt von den Studienangeboten und den hochschulischen Rahmenbedingungen abhängig. In den Interviews waren die Studierenden deshalb aufgefordert, die von ihnen gewählten Studienformate sowie ihr eigenes Studienverhalten zu bewerten. Darüber hinaus hatten sie die Möglichkeit, Probleme im Rahmen des Studiums zu benennen. Für die Politikberatung steht schließlich die Frage im Raum, in welcher Form sich die staatlichen Hochschulen der neuen Aufgaben annehmen und auf welche Ressourcen sie dabei zurückgreifen können. Empirische Datengrundlage In der Untersuchung haben wir uns auf Angebote der staatlichen Hochschulen beschränkt. Diese sind abhängig von öffentlicher Finanzierung und gesetzlich definierter Aufgabenstellung und damit auch ein wichtiger Bereich für die Politikberatung. Ein empirischer Vergleich zwischen privaten und staatlichen Hochschulen wird aus forschungsökonomischen Gründen in dieser Untersuchung nicht vorgenommen, aber grundsätzlich als lohnenswert erachtet.6 Bei der Auswahl der Studiengänge, in denen wir Befragungen durchgeführt haben, war es uns wichtig, dass sie das Spektrum von Berufsgruppen adressieren, für die eine Akademisierung und wissenschaftliche Weiterbildung aufgrund der Veränderungen des jeweiligen Berufsfeldes oder aufgrund guter Aufstiegsmöglichkeiten bereits seit Längerem thematisiert werden. Wir wählten deshalb Angebote für kaufmännische und technische Berufsgruppen sowie für soziale Dienstleistungsberufe aus. Die weiterbildenden Masterstudiengänge richten sich in der Regel vornehmlich, aber nicht ausschließlich nur an eine dieser Berufsgruppen. So werden beispielsweise in der Fachrichtung Wirtschaftswissenschaften technische oder andere Berufe angesprochen, die organisatorische oder Managementaufgaben im Betrieb übernehmen. Hier regelt also die Berufserfahrung den Zugang zum Studium ebenso wie die formale Qualifikation. Für kaufmännische Berufe (Kaufleute, Fach- und Betriebswirte) ist das Angebot an berufsbegleitenden Formaten am weitesten entwickelt, mehr als 40 Prozent aller Studiengänge liegen bundesweit im Bereich der Wirtschaftswissenschaften, werden jedoch zum größeren Teil von privaten Hochschulen angeboten.7 Angebote für technische und IT-Berufe sowie für soziale Dienstleistungsberufe (hier sind Pflege-, Gesundheits- und Erziehungsberufe gemeint) entwickeln sich langsam. Doch nicht nur in der bundesweiten Diskussion, sondern auch im Land Bremen ist für diese Berufsgruppen ein größerer Bedarf an wissenschaftlicher Weiterbildung formuliert worden.8 16 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN Der Kontakt zu Studierenden wurde über sieben Studiengänge an staatlichen Hochschulen im Land Bremen hergestellt. Für die Studie wurden Interviews mit Studierenden und Studiengangsverantwortlichen in zwei Bachelor- und vier Masterangeboten durchgeführt. Wir haben uns auf Bachelor- und Masterstudiengänge beschränkt, da diese Studiengänge aufgrund der zeitlichen Länge von zwei, drei oder mehr Jahren und der strukturierten Abschlussprüfungen in dieser Zeit besonders große organisatorische und psychologische Herausforderungen an die Studierenden stellen. Bachelor und Master bieten zudem klare Anschlussmöglichkeiten im Bildungssystem sowie Aufstiegsmöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt und sind deshalb mit anderen Studienmotivationen und beruflichen Perspektiven verbunden als alternative Weiterbildungen. Zwar können auch Zertifikatsstudiengänge Anschlüsse und Aufstiege ermöglichen und sind mitunter so konzipiert, dass sie in Bausteinen zu einem Hochschulabschluss führen können. Sie haben jedoch einen weniger etablierten Status in unserem Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt.9 Alle sieben Studiengänge sind an der Universität und an der Hochschule Bremen angesiedelt. Nur an diesen beiden staatlichen Hochschulen können derzeit Gruppen von berufstätigen Studierenden in unserem Sinne identifiziert werden. An beiden Hochschulen gibt es bereits einen Bachelor- und verschiedene Masterstudiengänge in berufsbegleitenden Formaten. An der Hochschule Bremerhaven gibt es Pläne für die Entwicklung berufsbegleitender Studiengänge, bisher lässt sich jedoch keine nennenswerte Zahl von berufstätigen Studierenden nach unserer Definition an der Hochschule Bremerhaven ausmachen. Experteninterviews wurden jedoch auch hier durchgeführt. Diese zeigen, dass an der Hochschule ein Bedarf für die Entwicklung von berufsbegleitenden Studienformaten gesehen wird. An der Hochschule für Künste (HfK) wurden keine Interviews durchgeführt, da an der HfK bisher nur ein Zertifikatsstudium im berufsbegleitenden Format angeboten wird. In der Stichprobe sind Studierende und Experten aus zwei Masterstudiengängen mit der Fachrichtung Wirtschaftswissenschaften befragt worden, die entweder kaufmännische, technische und andere Berufsgruppen adressieren. Ein Bachelorstudiengang im Bereich Berufspädagogik und ein Masterstudiengang im Bereich Mathematik / Informatik richten sich ausschließlich an technische Berufsgruppen. Ein Master- und ein Bachelorstudiengang im Bereich Pflege- und Gesundheitswissenschaften richten sich vornehmlich an Sozial- und Pflegeberufe. In den genannten Studiengängen wurden neben Studierenden auch Studiengangsverantwortliche interviewt. Ein weiterer Masterstudiengang aus der Fachrichtung der Erziehungswissenschaften, der ausschließlich in der Fragebogenerhebung berücksichtigt wurde, setzt die Qualifizierung in einem pädagogischen Beruf voraus (siehe Tabelle 1). Bei der Wahl der Studienformate haben wir eine Mischung aus Vollzeit-, Teilzeit- oder berufsbegleitenden Studienformaten angestrebt, um Hinweise darauf zu erhalten, wie sich verschiedene Formate für Berufstätige in der Praxis bewähren. Weiterhin stellten wir im Erhebungsprozess fest, dass keine Daten über die Grundgesamtheit von berufsbegleitend Studierenden vorliegen. Wir wissen zum Beispiel nicht, wie viele beruflich qualifizierte Studierende neben einem regulären Vollzeitstudium oder einem Teilzeitstudium an den Bremer Hochschulen ihre berufliche Tätigkeit weiterführen. Diese Gruppe ist wahrscheinlich eher klein. Wir haben daher den Zugang zu Studierenden vor allem über solche Studiengänge gesucht, die entweder als berufsbegleitend ausgeschrieben sind oder die gezielt beruflich qualifizierte Studierende adressieren. 17 S TU DI E Dual Studierende, in deren Studienalltag – in Anlehnung an das duale Ausbildungssystem – Theorie- und Praxisphasen strukturiert ineinandergreifen, wurden nicht in unsere Stichprobe einbezogen, da sich das Format grundlegend von einem berufsbegleitenden Studium unterscheidet. Bei Letzterem sind in erster Linie die Studierenden selbst dafür verantwortlich, Studium und Beruf miteinander in Einklang zu bringen. Im Fall des dualen Studiums koordinieren Hochschulen in Kooperation mit Unternehmen eine strukturierte Studienorganisation und garantieren somit bereits eine gute Vereinbarkeit zwischen Beruf und Studium. Die Rekrutierung berufsbegleitend Studierender für Interviews und Befragungen war mit besonderen Schwierigkeiten behaftet. Das liegt besonders daran, dass in den ausgewählten Studienformaten nur eine kleine Anzahl von Menschen studiert, deren Alltag zusätzlich von Zeitmangel beherrscht ist. Es ist uns nicht in jedem Studiengang gelungen, Gruppeninterviews zu organisieren. Wir haben daher neben den drei Gruppeninterviews auch drei Einzelinterviews geführt. Um einen Einblick in betriebliche Perspektiven zu Möglichkeiten und Barrieren der Vereinbarkeit von Beruf und Studium zu bekommen, wurden vier Experteninterviews mit Personalentwicklungen von Bremer Betrieben durchgeführt. Für diese Gespräche konnten Personalverantwortliche aus dem Gesundheitsbereich, aus der Logistikbranche und aus der Metallbranche gewonnen werden. Methodisches Vorgehen Für die Untersuchung haben wir einen Mix aus qualitativen und quantitativen Methoden gewählt. Die leitfadengestützten Experteninterviews10 mit Studiengangsverantwortlichen haben wir an den Anfang der Feldphase gesetzt, um einen Einblick in das Feld berufsbegleitendes Studieren und in die Gestaltung von verschiedenen Studiengängen zu erhalten. Auch Erfahrungs- und Deutungswissen der Studiengangsverantwortlichen hinsichtlich der beruflichen und betrieblichen Rahmenbedingungen von Studierenden sowie möglicher Probleme bei der Vereinbarkeit wurden einbezogen. Die Interviews wurden auf der Basis von Mitschriften protokolliert und inhaltsanalytisch ausgewertet. Die Protokolle wurden mit den Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern abgestimmt, um Fehler in der Auswertung zu minimieren. In einem Masterstudiengang für Erziehungsberufe wurden keine Experteninterviews durchgeführt. Wir führten die quantitative Befragung dort später durch, da wir den Bereich der sozialen Dienstleistungen zu diesem Zeitpunkt in der Erhebung unterrepräsentiert sahen. Die Experteninterviews mit Personalentwicklern in Betrieben wurden ebenfalls protokolliert und inhaltsanalytisch ausgewertet. Da wir in Betrieben lediglich vier Interviews führten, können wir aus den Ergebnissen allenfalls Beispiele bezüglich besonderer Interessenlagen und Möglichkeiten von Unternehmen hinsichtlich der Förderung von berufsbegleitendem Studieren ableiten. Die qualitativen Interviews mit Studierenden setzten sich aus unterschiedlichen Teilnehmerzahlen zusammen. Für den kaufmännischen Bereich konnten wir ein Gruppeninterview mit vier Teilnehmenden sowie ein Einzelinterview, für den technischen Bereich ein Gruppeninterview mit vier Teilnehmenden und zwei Einzelinterviews und für den Bereich der sozialen Dienstleistungen ein Gruppeninterview mit zwei Studierenden auswerten. Im Bereich der sozialen Dienstleistungen gibt es für zwei Studienangebote nur quantitative Ergebnisse, 18 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN da keine Interviewteilnehmenden zur Verfügung standen und für ein Studienangebot nur qualitative Ergebnisse, da die Anzahl der Studierenden für eine quantitative Erhebung zu gering war. Es bleibt damit zu berücksichtigen, dass die Gruppe der kaufmännischen und technischen Berufe stärker repräsentiert ist, als die der sozialen Dienstleitungen (vgl. Tabelle 1). Die Gruppeninterviews sind an der Methode der Fokusgruppeninterviews orientiert.11 Bei dieser Methode stehen weniger Gruppendynamik und soziales Verhalten im Zentrum der Analyse. Vielmehr geht es darum, durch thematische Impulse der Interviewer eine Bandbreite an subjektiven Erfahrungen zu einer bestimmten sozialen Situation zu erfassen. In unserem Fall teilen die Interviewpartner die Erfahrung des berufsbegleitenden Studierens. Die Interviews wurden leitfadengestützt durchgeführt, transkribiert und sprachlich leicht bereinigt. Die Daten wurden inhaltsanalytisch ausgewertet. Die Einzelinterviews orientieren sich an der Methode des problemzentrierten Interviews,12 in dem durch einen Wechsel von Frage und Antworten die forschungsleitende Problemstellung und deren Rahmenbedingung thematisiert werden. Ergänzt wird das Interview durch einen Kurzfragebogen am Ende, in dem die wichtigsten Sozialdaten aufgenommen werden. Dieser Fragebogen wurde auch am Ende der Gruppeninterviews ausgefüllt, um eine einheitliche Datengrundlage der Interviews zu gewährleisten. Die Einzelinterviews wurden ebenfalls leitfadengestützt durchgeführt, transkribiert, sprachlich leicht bereinigt und inhaltsanalytisch ausgewertet. Die qualitativen Erkenntnisse werden mit Ergebnissen einer quantitativen Fragebogenergebung unter berufstätigen Studierenden aus sechs verschiedenen Studiengängen ergänzt, es gab jedoch keinen Rücklauf aus einem Studiengang. Das Befragungsinstrument wurde nach den ersten Gruppeninterviews entwickelt, als die ersten Hinweise auf Problemlagen bei der Vereinbarkeit vorlagen. Aus einem Rücklauf von 59 Fragebögen konnten nach einer Bereinigung13 53 Fragebögen ausgewertet werden. Die quantitativen Daten beanspruchen keine Repräsentati- Tabelle 1: Quantitative Befragung und qualitative Interviews Studiengang Berufsgruppe Soziale Dienstleistungen Fachrichtung Abschluss Format Sozial-/Pflegeberufe u.a. Medizin/Gesundheit Master (WB) berufsbegleitend Pflegeberufe Medizin/Gesundheit Bachelor Vollzeit Erziehungswissenschaft Master (WB) berufsbegleitend Mathematik/Informatik Master (kons.) Teilzeit/Vollzeit Berufspädagogik Bachelor berufsbegleitend/Vollzeit Wirtschaftswissenschaften Master (WB) berufsbegleitend Wirtschaftswissenschaften Master (WB) berufsbegleitend Erziehungsberufe Technischer Bereich IT-Berufe technische Berufe technische Berufe u.a. Kaufmännischer Bereich kaufmännische und andere Berufe keine Zuordnung möglich 19 S TU DI E vität. Repräsentative Erhebungen dürften bei der derzeitigen Datenlage ohnehin kaum durchführbar sein. Nur in den als berufsbegleitend ausgewiesenen Studiengängen ist die Gruppe der berufstätigen Studierenden überhaupt klar umrissen. Die Grundgesamtheit der berufsbegleitend Studierenden an allen Hochschulen ist nicht bekannt und auch die Hochschulen führen keine entsprechende Statistik. Der Aufruf zur Interviewteilnahme erreichte jedoch immer alle Studierenden eines Studiengangs. Die Berufstätigen unter ihnen wurden in der Einleitung des Fragebogens gesondert angesprochen. Die quantitativen Ergebnisse können somit einen explorativen Einblick in die Situation der Studierenden geben und in diesem Rahmen die qualitativen Daten sinnvoll ergänzen. 1 Vgl. unter anderem Hartmann et al. (2008); Loroff et al. (2011); Minks (2011); Hanft (2013); Wolter (2013), Wolter et al. (2014). 2 Vgl. Syrek et al. (2014), S. 123 f. 3 Vgl. Minks et al. (2011), S. 14. 4 Vgl. Wolter (2012b), S. 277. 5 Vgl. Minks et al. (2011), S. 14. 6 Am Institut für Arbeit und Personal der FOM Hochschule für Oekonomie und Management Essen wurden im Rahmen einer quantitativen Befragung die Antworten von 859 berufstätigen Studierenden ausgewertet. Diese Studierendengruppe studiert ausschließlich in privaten Studiengängen, vornehmlich wirtschaftswissenschaftlicher Ausrichtung und ist mit einem Durchschnittsalter von 27,6 Jahren relativ jung. Sie ist daher mit den von uns befragten Studierenden nur sehr bedingt vergleichbar. Die Befragung gibt jedoch einige interessante Einblicke in die Gestaltungsräume und Belastungen im Erwerbsleben der Studierenden. Vgl. Tegtmeier / Hellert (2015). 7 Vgl. Minks et al. (2011), S. III f., S. 28, S. 38. 8 Vgl. Knigge (2010a, 2010b). 9 Vgl. Minks et al. (2011), S. V. 10 Vgl. Bogner et al. (2002). 11 Vgl. Przyborski (2008). 12 Vgl. Witzel (2000). 13 Wir haben unvollständige Datensätze sowie Datensätze, die nicht unserer Definition von berufsbegleitend Studierenden entsprachen, nicht ausgewertet. Interviews und Befragung Studierender Gruppeninterviews (n=10) Einzelinterviews (n=3) GI3 (n=2) / / GI2 (n=4) Studiengangsverantwortliche Quantitative Befragung (n=53) Experteninterviews (n=11) Personalentwicklung in Betrieben Experteninterviews (n=4) / 1 (n=1) Pflegebranche n=9 1 (n=1) 2(n=2) n=7 / / 1 (n=2) I1, I2 (n=2) n=7 1 (n=1) I3 (n=1) n=7 1 (n=1) n=22 1 (n=2) Metallbranche (n=1) LogistikGI1 (n=4) n=1 branche (n=1) 20 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN Die Perspektive von Hochschulen 3 ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ 21 S TUDIE TU DI E SU SANNE HERME L ING Qualitative Experteninterviews Um mehrere Facetten der hochschulischen Praxis zu berücksichtigen, wurden für die Expertengespräche sechs Studiengänge an der Universität und der Hochschule Bremen ausgewählt, die Berufstätige adressieren. Darunter sind sowohl berufsbegleitende als auch Regelstudiengänge (siehe Tabelle 1 in Kapitel 2). Die leitfadengestützten Interviews mit Studiengangsverantwortlichen wurden protokolliert und nach verschiedenen Themenfeldern ausgewertet. Da es vor allem darum ging, gezielte Informationen über die Praxis der Institutionen zu bekommen, verzichteten wir auf Transkriptionen von Tonbandaufnahmen. Vereinzelt fließen jedoch auch in den Expertengesprächen subjektive Beobachtungen und Deutungswissen über die Belastungen für Studierende ein, die für unsere Auswertung hinsichtlich einer ersten Einschätzung der Belastungssituation von berufsbegleitend Studierenden relevant waren. Mit den Interviews gewannen wir ein klareres Bild der Interessen, Bedürfnisse und beruflichen Hintergründe berufsbegleitend Studierender. Im Mittelpunkt steht jedoch die Frage nach den Konzepten und der Didaktik, mit denen Hochschulen Berufstätige ansprechen, beraten und im Studium begleiten. Die drei berufsbegleitenden Masterstudiengänge in unserem Sample sind ausschließlich auf berufserfahrene und in der Regel vollzeiterwerbstätige Studierende ausgerichtet. Für diese Weiterbildungsmaster werden Studiengebühren erhoben. Schon aus diesem Grund haben sie einen anderen ›Servicecharakter‹ als Regelstudienangebote. Die zwei Bachelorprogramme und der konsekutive Masterstudiengang sind dagegen gebührenfrei und adressieren sowohl jüngere traditionelle Studierende als auch berufstätige Studierende. Die Herausforderung besteht in diesen Studienangeboten insbesondere darin, die Bedürfnisse beider Gruppen zu integrieren. Im Folgenden werden diese Studiengänge in Abgrenzung zu den Weiterbildungsmastern als ›gemischte‹ Studiengänge bezeichnet. Konzeption, Zugang und Beratung – Weiterbildungsmaster In die Konzeption der drei Studiengänge fließen langjährige Erfahrungen in der wissenschaftlichen Weiterbildung sowie eigene, einschlägige Berufserfahrung der Studiengangsverantwortlichen ein. Die von uns Interviewten haben keine typischen wissenschaftlichen Karrieren einer / eines Hochschullehrenden, die sich eher durch einen durchgängigen Verbleib an der Hochschule nach Ende des Studiums auszeichnen. Die Interviewten haben vielmehr einen engen Bezug zu den beruflichen Praxisfeldern ihrer Studierenden und sind außerdem im System Hochschule verankert. Sie zeigen daher eine hohe Bereitschaft und Fähigkeit, sich in die Situation berufstätiger Studierender hineinzuversetzen. Allen Studiengängen gingen einzelne oder zusammenhängende Angebote der wissenschaftlichen Weiterbildung voraus. Nachfragen und Rückmeldungen von Teilnehmenden und die Beobachtung der entsprechenden Berufsfelder zeigten daraufhin den Bedarf für einen vollumfänglichen Studiengang an. Von systematischen Bedarfsanalysen berichteten die Studiengangsverantwortlichen nicht.1 Zwei der Studiengänge setzen für den Zugang einen Hochschulabschluss verschiedener Fachrichtungen voraus. In dem dritten Studiengang ist dagegen die Eingangsprüfung (in der zum Beispiel mittels Rollenspielen Potenziale ausgelotet werden) relevanter bei der Auswahl als der formale Abschluss. Ausschlaggebend ist hier die Berufserfahrung. Berufseinsteigern wird meist vom Studium abgeraten, auch weil sie die zusätzliche 22 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN Belastung erfahrungsgemäß nicht tragen können. Die Prüfung vermittelt außerdem ein Bild der Profile der Teilnehmenden. Diese sind meist in betrieblichen Führungspositionen oder freiberuflich in der Unternehmensberatung tätig. Über die Hälfte der Studierenden hat einen Hochschulabschluss, weitere haben eine fachschulische Aufstiegsfortbildung absolviert. Die Studiengänge werden vornehmlich über das Internet und soziale Medien, aber auch durch teilweise regelmäßige Informationsveranstaltungen beworben. Bei den bereits etablierten Studiengängen ist die Empfehlung von Studierenden oder Absolventinnen und Absolventen an Kolleginnen und Kollegen im eigenen Berufsfeld eine wichtige informelle Werbemaßnahme. Einige Studierende sind ehemalige Teilnehmende an zertifizierter Weiterbildung der Hochschulen, die sich mit einzelnen Modulen der Studiengänge decken. Die Studierenden kommen in der Regel auf eigene Initiative und werden sehr selten von Unternehmen oder Organisationen entsendet. Im Marketing werden daher eher Menschen als Betriebe angesprochen. Alle Interviewten sind sich darin einig, dass Berufstätige einen hohen individuellen Beratungsbedarf haben. Dieser bezieht sich auf Fragen zur Studienorganisation, zu den inhaltlichen Anforderungen, aber auch auf persönliche Fragen zur Vereinbarkeit von Beruf, Studium und Privatleben. Bei zwei Studiengängen sind die inhaltlich Verantwortlichen die Hauptansprechpersonen für Studieninteressierte. In einem Studiengang wird eine umfassende persönliche Beratung vor und während des Studiums durch eine Studiengangskoordinatorin angeboten. Hier werden Fragen der Studierbarkeit geklärt und ein persönlicher Studienverlaufsplan erstellt, der größtmögliche Flexibilität bei der Belegung der einzelnen Module bietet.2 Ein Brückenangebot für Studierende zur Einführung in wissenschaftliches Arbeiten wird nur in einem Interview erwähnt. Es besteht nach Einschätzung dieser Studiengangsleitung ein hoher Bedarf, obwohl die Studierenden einen ersten Hochschulabschluss mitbringen. In der Einführung entwickeln die Studierenden außerdem realistische Vorstellungen über die Anforderungen im Studium und machen die wichtige Erfahrung, dass ihre Arbeiten kritisiert werden. Die zeitlichen Formate der Weiterbildungsmaster unterscheiden sich deutlich vom Regelstudium. Aufgrund der höheren Spezialisierung ist außerdem der Adressatenkreis für Weiterbildungsmaster kleiner als bei den Regelstudienangeboten. Die Studiengänge werden daher über die Grenzen Bremens hinaus beworben, auch die mitunter langen Anfahrtswege für Beschäftigte außerhalb Bremens werden berücksichtigt. Die Präsenzveranstaltungen der Weiterbildungsmaster werden im Block angeboten, belegen jedoch fast nie das ganze Wochenende, um wenigstens den Sonntag als Erholungstag zu erhalten. Die Präsenzzeiten stehen lange im Voraus fest, sodass ein transparenter Studienplan entsteht. Zwei Studiengänge verzichten auf Präsenzzeiten in den Schulferien. In dem dritten Studiengang richten sich die Zeiten am regulären Semester aus, da einige Veranstaltungen aus Regelstudiengängen im Programm sind. Bei den Weiterbildungsmastern der Fachrichtung Wirtschaftswissenschaft können einzelne zertifizierte Module als Weiterbildung belegt werden. Für viele ist das ein Einstieg in das gesamte Studium, zumal die dort erworbenen Kreditpunkte auf das Studium angerechnet werden. In einem der Studiengänge mit eher breiter fachlicher Ausrichtung, werden alle Module kontinuierlich neu angeboten und können so flexibel von den Masterstudierenden belegt werden. Urlaubssemester und zeitweise Exmatrikulation sind in diesem Studiengang möglich, wenn Studierende beruflich oder privat stark belastet sind. Offensichtlich ist, dass diese hohe Flexibilität in der Studienorganisation nur dann umsetzbar ist, wenn die angebotenen Module von einer größeren Studierendengruppe kontinuierlich nachgefragt werden. In den zwei Weiterbildungsmastern mit stärkerer fachlicher Spezialisierung ist jedoch eher von kleineren Studierendengruppen auszugehen. Das mindert die Möglichkeiten der Studienflexibilität. 23 S TU DI E Anrechnung von beruflich erworbenen Qualifikationen und Kompetenzen – Weiterbildungsmaster In allen drei Studiengängen können durch einschlägige Berufserfahrung oder durch Weiterbildung erworbene Kompetenzen als Kreditpunkte individuell angerechnet werden. Maximal kann auf diesem Weg ein Viertel der Studienleistungen erlassen werden. Ein Studiengangsverantwortlicher berichtet, dass eine solche Möglichkeit, die in den Informationsmaterialien genannt wird, noch nie nachgefragt wurde. In einem weiteren Studiengang wird auf ein an einer ausländischen Hochschule erprobtes Verfahren zurückgegriffen, in dem bereits erworbene Kompetenzen schriftlich dokumentiert werden. Grundsätzlich wären die Kompetenzen auch auf der Grundlage eines Gesprächs ermittelbar, doch da die Verfahren in Deutschland neu sind, dient die schriftliche Form der Qualitätssicherung. Dies macht jedoch den Prozess für Studierende relativ aufwendig. Einige Studierende, die die Möglichkeit hatten, sich Studienleistungen aus vorangegangener wissenschaftlicher Weiterbildung anerkennen zu lassen, zogen es vor, die entsprechenden Module im Masterprogramm trotzdem zu belegen.3 Didaktik und Theorie-PraxisTransfer – Weiterbildungsmaster Die Weiterbildungsstudiengänge scheinen eine größere methodische Vielfalt anzuwenden, als es im Regelstudium üblich ist. Neben den üblichen Formen von Kurzvorträgen, Gruppenarbeiten und Hausarbeiten, werden auch Simulationsprogramme, Rollen- und Systemspiele genannt. In einem wirtschaftswissenschaftlichen Studiengang bringen die Lehrenden, allein aufgrund ihrer beruflichen und Auslandserfahrungen eine Bandbreite von Methoden ein. Der explizite Bezug zur beruflichen Praxis scheint die Methodenvielfalt zu befördern. Hier kommen die langjährigen Erfahrungen in der wissenschaftlichen Weiterbildung für Berufstätige ins Spiel. Auch Kreutz / Meyer weisen darauf hin, dass in der wissenschaftlichen Weiterbildung bereits seit den 1970er-Jahren ›die Orientierung an berufsbezogenen Fragen und Proble- men der Weiterbildungsteilnehmer‹ etabliert ist, während ähnliche Diskurse in der allgemeinen ›hochschuldidaktischen Perspektive‹ noch ausstehen.4 Methoden des Blended-Learning mit E-Learning-Anteilen werden allerdings nur in einem Weiterbildungsmaster umgesetzt. Die von der Studiengangsleitung und einer E-Learning-Expertin betreute Plattform wird von den Studierenden ausgiebig zum fachlichen und persönlichen Austausch genutzt. Das gute ›Gruppengefühl‹ in der relativ kleinen Studierendengruppe und die intensive Betreuung unterstützen offensichtlich die gute Nutzung des Instrumentes. Dies gelingt, obwohl die Studierenden keinen technikaffinen Berufen angehören und nicht überdurchschnittlich jung sind. Die mittels der E-Plattform erbrachten Leistungen werden im Umfang eines Studienmoduls angerechnet. In den wirtschaftswissenschaftlichen Masterprogrammen berichten die Interviewten eher von einer ablehnenden Haltung der Studierenden gegenüber E-Learning. In einem Studiengang werden anrechenbare E-Learning-Anteile bereitgestellt, jedoch kaum genutzt. Der persönliche Austausch mit Lehrenden und Studierenden wird von beiden Studiengangsverantwortlichen als wesentlich attraktiver für die Berufstätigen eingeschätzt.5 Die Bildung von Gruppen und Netzwerken unter den Studierenden ist bei allen Weiterbildungsmastern ein Teil des didaktischen Konzepts. Die Heterogenität der Gruppen, hinsichtlich des Alters, der Berufe und der betrieblichen Funktionen, macht nach Einschätzung der Interviewten den Austausch besonders attraktiv. So berichtet ein Interviewpartner, dass jüngere Studierende von der Berufserfahrung älterer Studierender profitieren. Für die älteren sei es dagegen interessant, ein Feedback von jüngeren Studienkollegen zu bekommen. Auch betriebliche Hierarchieebenen würden im Seminar aufgehoben, was zu einem besseren Verständnis aller für betriebliche Systeme beiträgt. Eine andere Studiengangsleitung stellt hohe Synergie-Effekte durch den Austausch von Berufstätigen mit Studierenden aus Regelstudiengängen fest, aus denen jeweils ein Modul in das Masterprogramm eingebettet ist. So hatten sich Studierende aus den unterschiedlichen 24 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN Studiengängen für gemeinsame Arbeiten angemeldet. In einem Weiterbildungsmaster der Wirtschaftswissenschaften wird besonders aktiv die Netzwerkbildung unter den Studierenden gepflegt. Einmal jährlich wird eine gemeinsame Auslandsreise angeboten, die im Betrieb als Bildungsurlaub beantragt werden kann. Sogar Alumni-Netzwerke der Absolventinnen und Absolventen werden durch Veranstaltungen und Exkursionen weiter gefördert. Dass der intensive Kontakt unter den Studierenden ein wichtiger Faktor für den Studienerfolg ist, bestätigen auch die Aussagen von berufsbegleitend Studierenden in den Interviews und der Befragung im Rahmen unserer Studie (siehe Kapitel 4). Ein Theorie-Praxis-Transfer in den Studiengängen wird insbesondere durch Hausarbeiten und Abschlussarbeiten gefördert, die mit betrieblichen Projekten verknüpft werden. Ein Interviewpartner berichtet, dass die Studierenden gerne Beispiele aus ihrer Berufspraxis in Veranstaltungen diskutieren. Ein weiterer Interviewpartner dagegen erlebt die Studierenden diesbezüglich eher als zurückhaltend, weil nach seiner Einschätzung betriebliche Interna ungern thematisiert würden. Mit bestimmten Übungen bekommen die Studierenden jedoch die Gelegenheit, ihre eigenen Aufgabenbereiche im Unternehmen zu reflektieren. Projekt- oder Masterarbeiten, in denen Anliegen der Unternehmen behandelt werden, tragen häufig einen Sperrvermerk. In diesen Fällen gibt es auch eine schriftliche Vereinbarung zwischen dem Betreuer der Arbeit und einem Vertreter oder einer Vertreterin des beschäftigenden Unternehmens. Der Theorie-Praxis-Transfer kann Vereinbarkeit fördern. Oft auch in dem Sinne, dass Vorgesetzte von Studierenden auf den Nutzen des Studiums aufmerksam werden und in der Folge mehr Unterstützung anbieten. Studierende werden in einem Studiengang aktiv ermutigt, ihre neuen Kompetenzen bereits während des Studiums einzusetzen, auch um den eigenen Aufstieg im Unternehmen zu initiieren. Die Studiengangsverantwortlichen bieten an, im Unternehmen die Studieninhalte vorzustellen, um Möglichkeiten für einen Theorie-PraxisTransfer aufzuzeigen. Allerdings fehlt nach Erfahrung der Studiengangsleitung in den Unternehmen oft die Bereitschaft, sich mit dem Studium von Beschäftigten zu befassen. Diese müssen daher viel Ausdauer und Eigeninitiative bei ihrer Arbeit für den Theorie-Praxis-Transfer einsetzen.6 Ergebnisse unserer Studierendenbefragung bestätigen tatsächlich auch, dass viele Studierende bereits während des Studiums selbsttätig einen Theorie-Praxis-Transfer leisten, indem sie Aufgaben anders bearbeiten oder mehr Verantwortung übernehmen (vergleiche Kapitel 4). Studienmotivation und berufliche Perspektiven – Weiterbildungsmaster In den Interviews werden Aufstiegspläne und Wünsche nach beruflicher sowie persönlicher Weiterentwicklung als gängige Motive für die Studienentscheidung genannt. Die Verantwortlichen der bereits seit Längerem laufenden Weiterbildungsmaster im Fach Wirtschaftswissenschaften geben an, dass der Abschluss für die Studierenden in der Regel zu einem Karriereschub im eigenen Unternehmen führt. Absolventenstudien in einem anderen Studiengang belegen zudem, dass Studierende mitunter schon vor ihrem Abschluss verantwortungsvollere Aufgaben im Betrieb übernehmen. Teilweise wechseln Absolventinnen und Absolventen in andere Unternehmen, um ihre Aufstiegspläne zu verwirklichen. Anschließende Promotionen sind grundsätzlich möglich, kommen jedoch sehr selten vor. Mit einem Weiterbildungsmaster im Bereich Medizin / Gesundheit, der sich im ersten Durchlauf befindet, sind noch keine Erfahrungen hinsichtlich des Verbleibs nach dem Abschluss gemacht worden. Der spezialisierte Master eröffnet ein Berufsbild, das aufgrund neuer gesetzlicher Regelungen und inhaltlicher Entwicklungen in den fachlichen und politischen Diskursen als zukunftsträchtig gilt. Gleichzeitig sind die Arbeitsfelder auf dem öffentlich finanzierten Arbeitsmarkt im Gesundheitswesen sehr weitgehend von der Entwicklung öffentlicher Mittelverteilung abhängig, die sowohl Einkommens- als auch Aufstiegsmöglichkeiten begrenzen können. 25 S TU DI E Belastungssituation der berufsbegleitend Studierenden – Weiterbildungsmaster In den beiden Studiengängen der Fachrichtung Wirtschaftswissenschaften sind die meisten Studierenden in Vollzeit erwerbstätig. Eine Reduzierung von Arbeitsstunden ist nach Erfahrung der Interviewten für viele Studierenden schon deshalb nicht möglich, weil sie neben den Studiengebühren teilweise auch Kosten für Anfahrt und Übernachtungen unter den Blocktagen tragen müssen. Ein Interviewpartner berichtet, dass Studierende, in der Regel Leitungskräfte, oft eine Unterstützung durch den Arbeitgeber bekommen. In der Regel erstreckt sich dies auf Arbeitszeitkonten und Teilfreistellungen, selten auf eine vollständige Übernahme von Kosten. In einem weiteren Studiengang ist eine Freistellung von Beschäftigten durch Unternehmen extrem selten. In der Regel wird das Studium als ›privates Engagement‹ betrachtet und nur unter der Bedingung toleriert, dass die Arbeit nicht darunter leidet. Die Haltung von Vorgesetzten kann sich jedoch ändern, wenn im Laufe des Studiums der Nutzen für die Unternehmen sichtbar wird. Es gibt auch Fälle, in denen die Studierenden ihren Arbeitgeber nicht über ihr Studium unterrichten, um nicht in den Verdacht zu geraten, weniger am Arbeitsplatz leisten zu können. In diesen Fällen entfällt der typischerweise positive, wechselseitige Nutzen, der aus Studienprojekten innerhalb des Unternehmens für beide Seiten erwächst. Insbesondere in kleineren Unternehmen bestehen häufiger Bedenken, dass Absolventen nach dem Abschluss höhere Ansprüche an Aufstieg und Einkommen stellen würden. Dass das berufsbegleitende Studium insgesamt eine Belastungsprobe darstellt, sei jedoch im Grunde Teil des Konzepts. Die späteren Führungskräfte sollen zeigen, dass sie hohen Belastungen gewachsen sind. Insbesondere die ersten beiden Semester seien etwas ›härter‹ als die nachfolgenden. Die Studiengangsleitung des Weiterbildungsmasters der Fachrichtung Medizin / Gesundheit äußert die Vermutung, dass die anfallenden Studiengebühren eine Hürde für viele Studieninteressierte darstellen. Diese gehören häufig Berufsgruppen im mittleren Einkommensbereich an. Außerdem gibt es erst nach zwei Jahren die Möglichkeit, das Studium kostenneutral abzubrechen. Eine Teilfreistellung durch einen Arbeitgeber ist bisher von einer Studierenden bekannt, die ihren Arbeitgeber offensiv mit ihrer Situation konfrontiert hatte. Konzeption, Zugang und Beratung – gemischte Studiengänge Die folgende Auswertung bezieht sich auf zwei Bachelorstudiengänge und einen Masterstudiengang, die sowohl an traditionelle Vollzeitstudierende als auch an berufstätige Studierende gerichtet sind. Das breite Altersspektrum und die sehr unterschiedlichen Lebenssituationen der Studierenden stellen die Studiengangsverantwortlichen vor die Herausforderung, alle Bedürfnisse unter einen Hut zu bringen. Zudem muss die Konzeptionierung und Durchführung der Angebote aus der Grundfinanzierung der Hochschulen gedeckt werden.7 Ein Bachelorstudiengang der Fachrichtung Berufspädagogik konnte mithilfe von Drittmitteln als berufsbegleitendes Angebot konzeptioniert und evaluiert werden. Das Studium kann somit in Vollzeit und berufsbegleitend studiert werden. Die letzte Variante wird von den älteren berufstätigen Studierenden genutzt. Der Planungsphase ist eine Bedarfsstudie vorausgegangen, in der auch Unternehmen befragt wurden. Ein dualer Bachelorstudiengang der Fachrichtung Medizin / Gesundheit, in dem Theorieanteile an der Hochschule und Praxisanteile ineinandergreifen, ist für dual Studierende in Ausbildung sowie für beruflich Qualifizierte konzipiert. Diese haben bereits eine einschlägige Berufsausbildung und absolvieren die Theorieteile des Studiums. Ein konsekutiver Masterstudiengang der Fachrichtung Mathematik / Informatik kann in Vollzeit und in Teilzeit studiert werden. In der Gruppe der Berufstätigen, in der Regel sind das Teilzeitstudierende, gibt es zwei Statusgruppen. Eine Gruppe studiert mit 26 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN formaler Unterstützung ihres Arbeitgebers, der einen Kooperationsvertrag mit der Hochschule abgeschlossen hat. Die Initiative für die Kooperationen ist von mehreren Unternehmen ausgegangen, die einen hohen wissenschaftlichen Weiterbildungsbedarf für ihre Beschäftigten haben. Eine weitere kleinere Gruppe von Berufstätigen studiert in eigener Regie mit unterschiedlichen Vereinbarungen im Betrieb. Für den konsekutiven Master wird ein einschlägiger erster Hochschulabschluss vorausgesetzt. Den Zugang zu den beiden Bachelorprogrammen bekommen Studieninteressierte auch ohne Hochschulreife über die beruflichen Abschlüsse, wie eine anerkannte Berufsausbildung oder Fortbildungen zum Meister oder Techniker. Beruflich Qualifizierte mit und ohne Abitur machen in den Jahrgängen etwa ein Drittel bis die Hälfte aller Studierenden aus. Dem berufsbegleitenden Bachelorstudiengang gehen Brückenkurse in wissenschaftlichem Arbeiten und Mathematik voraus. Die Studiengangsverantwortlichen stellen fest, dass insbesondere Meister die Vorbereitung auf ein stärker reflektierendes Denken brauchen, das sich von dem in der beruflichen Bildung vermittelten Denken unterscheidet. In dem dualen Bachelorprogramm müssen beruflich Qualifizierte eine Anerkennungsprüfung ablegen und anschließend ein einjähriges Probestudium durchlaufen. Etwa 20 Prozent der Studieninteressierten bestehen die Anerkennungsprüfung nicht, während das Probestudium bisher nicht zu Abbrüchen geführt hat. Die Verantwortlichen der Bachelorstudiengänge berichten von einem hohen individuellen Beratungsbedarf von berufsbegleitend Studierenden vor dem Studium und währenddessen. Neben den Zugangsvoraussetzungen und den Anforderungen im Studium sind die beruflichen Perspektiven für Absolventinnen und Absolventen Gegenstand der Gespräche. Die Beratung wird von den Studiengangsverantwortlichen geleistet. Diese haben die Erfahrung gemacht, dass zentrale Beratungsstellen der Hochschulen unzureichend über Zugangsmodalitäten sowie über berufliche Perspektiven informiert sind und daher keine geeignete Anlaufstelle für beruflich qualifizierte Studieninteressierte darstellen. Einigen Studieninteressierten wurde vermut- lich in der zentralen Beratungsstelle vom Studium abgeraten. Obwohl auch Studiengangsverantwortliche mitunter vom Studium abraten, kann diese Entscheidung aus ihrer Sicht erst nach einer eingehenden Prüfung des Einzelfalls getroffen werden. Bei dem berufsbegleitenden Bachelorstudiengang werden Präsenzveranstaltungen des berufspädagogischen Teils am Abend und an den Wochenenden durchgeführt. Traditionelle Vollzeitstudierende desselben Studiengangs müssen sich auf die unorthodoxen Veranstaltungszeiten einlassen. Das birgt nach Aussage der Interviewten zu Beginn des Studiums Konfliktpotenzial zwischen den ›traditionellen‹ und den berufstätigen Studierenden. Fachliche Veranstaltungen aus Regelstudiengängen, die tagsüber in der Woche stattfinden, sind ebenfalls in das Programm integriert. Das wiederum stellt ein organisatorisches Problem für die Berufstätigen dar. Der Studiengang ist somit vom Format her nicht in Gänze berufsbegleitend studierbar. Zentrales Problem ist aus Sicht der Interviewten, dass den Lehrenden im Regelstudium Anreize fehlen, um sich zeitlich oder auch didaktisch auf berufsbegleitend Studierende einzustellen. Im dualen Bachelorprogramm liegen die Veranstaltungen teils verblockt und an den Wochenrändern und teils über die Woche verteilt. Mitunter beklagen berufstätige Studierende, dass Arbeitszeiten mit Präsenzveranstaltungen kollidieren. Allerdings profitieren die Pflegeberufe nach Aussage der Interviewten von flexiblen Arbeitszeitmodellen, zum Beispiel in Schicht- und Wochenenddiensten. Viele sind in der Regel in Teilzeit beschäftigt. Um jedoch extreme Prüfungsbelastungen zu bestimmten Zeiten zu vermeiden, können die Studierenden Modulprüfungen zeitlich flexibel ablegen. Im konsekutiven Masterprogramm liegen die Veranstaltungen auch in der Teilzeitvariante innerhalb der üblichen Arbeitszeiten. Die adressierte Berufsgruppe verfügt jedoch nach Erfahrung der Interviewten in der Regel über flexible Arbeitszeitmodelle, die die Teilnahme an den Veranstaltungen ermöglicht. Die verschiedenen Formate verdeutlichen, dass es schon rein organisatorisch schwierig ist, Studiengänge für sehr heterogene Gruppen zu gestalten. Unsere 27 S TU DI E Befragung von berufsbegleitend Studierenden zeigt, dass rein berufsbegleitende Formate organisatorisch besser zu bewältigen sind als ›gemischte‹ Studiengänge (vergleiche Kapitel 4). Allerdings spricht das nicht gegen eine Öffnung des Regelstudienangebots, denn auch Berufstätige sollten eine breite Auswahl von Studienangeboten vorfinden. Anrechnung von beruflich erworbenen Qualifikationen und Kompetenzen – gemischte Studiengänge Im berufsbegleitenden Bachelorstudiengang erhalten Absolventinnen und Absolventen von Fortbildungen mittels eines individuell ausgefüllten Portfolios eine Anrechnung auf Studienleistungen. Bei Technikern wird pauschal ein Sechstel der im Studium zu erwerbenden Kreditpunkte angerechnet, bei Meistern werden einzelne Bestandteile der Fortbildung berücksichtigt. Für die Studierenden reduzieren sich die verpflichtenden Präsenzveranstaltungen und Prüfungen entsprechend. Im dualen Bachelorprogramm wurde aus der für den Zugang erforderlichen Berufsausbildung in der Vergangenheit mehr als ein Drittel der Studienleistungen angerechnet. Das Studium verkürzte sich damit auf vier Semester in Vollzeit. Später wurde nur noch ein Fünftel der Studienleistungen angerechnet, da das Bundesland Niedersachsen Masterabsolventinnen und -absolventen der Berufspädagogik aufgrund der großzügigen Anrechnung nicht zum Referendariat zuließ. Die Begründung war, dass bestimmte Kenntnisse auf Hochschulniveau fehlten. Das Beispiel zeigt, dass die relativ neuen Anrechnungsverfahren zukünftig einer besseren Abstimmung zwischen Bundesländern und Hochschulen bedürfen.8 Im konsekutiven Masterstudiengang werden Bachelorabschlüsse mit einer bestimmten Punktzahl vorausgesetzt. Wenn die Voraussetzungen nicht vollständig durch den vorliegenden Hochschulabschluss erfüllt werden, kann das individuell durch Kompetenzen aus einschlägiger Berufserfahrung kompensiert werden. Didaktik und Theorie-PraxisTransfer – gemischte Studiengänge Im berufsbegleitenden Bachelorstudiengang sind die Veranstaltungen zur Berufspädagogik nicht nur zeitlich berufsbegleitend, sie unterscheiden sich auch methodisch-didaktisch deutlich von den ›berufsfernen‹ Fachveranstaltungen aus den Regelstudiengängen. Diese sind für einen Teil der berufsbegleitend Studierenden kulturell und inhaltlich wenig zugänglich. Lehrende der Berufspädagogik dagegen gestalten den Umgang mit der heterogenen Studierendenschaft sehr bewusst und bilden beispielsweise Tandems aus jüngeren und berufserfahrenen Studierenden, von denen beide Seiten profitieren. Von den Studierenden selbst gebildete Lerngruppen sind meist homogen, weil Treffen dann wohl zeitlich einfacher koordiniert werden können. Möglichkeiten des Online-Lernens werden bisher kaum genutzt, sind aber für eine bessere Vereinbarkeit von Arbeits- und Studienzeiten in Planung. Ein gezielter Theorie-Praxis-Transfer war eigentlich konzeptionell vorgesehen, ist aber für die Berufstätigen wohl schwer zu realisieren. Diese scheinen Beruf und Studium strikt voneinander zu trennen. Im dualen Bachelorprogramm stoßen Versuche, den Austausch zwischen ausbildungsbegleitend Studierenden und berufsbegleitend Studierenden zu fördern auf Widerstand. Nach Wahrnehmung der Studiengangsverantwortlichen bilden die Studierenden separate Gruppen und kommunizieren kaum miteinander. Die Nähe zur beruflichen Praxis ist im Curriculum schon aufgrund des dualen Konzepts fest verankert. Ein Austausch mit Betrieben findet außerdem einmal jährlich statt. 28 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN Im Masterprogramm setzt man auf eine hohe Selbstständigkeit der Studierenden. Das wird darauf zurückgeführt, dass auch die Jüngeren fast durchgängig berufspraktische Erfahrungen in Unternehmen gesammelt haben. Der Austausch zwischen den Berufserfahrenen und den Jüngeren ist rege. Lehrende fordern die Studierenden auf, ihre beruflichen Kompetenzen im Studium einzubringen, etwa in Form von Referaten oder eigenen Projekten. Frontalunterricht wird als Methode selten angewandt. Ein weiterer Bezug zur beruflichen Praxis wird über Projekte hergestellt, die die Hochschule zusammen mit Unternehmen durchführt. Beide Seiten profitieren davon. Studierende können sich an neuer Technik ausprobieren und die Themenstellungen umfassen komplexe Probleme. Außerdem haben zwei Drittel der Abschlussarbeiten mit Themen zu tun, die die Studierenden aus den Unternehmen mitbringen. Ein zusätzliches Lehrangebot zur Förderung von beruflichen Schlüsselkompetenzen besteht für Teilzeitstudierende des konsekutiven Masterstudiengangs, deren Unternehmen einen Kooperationsvertrag mit der Hochschule abgeschlossen haben. E-Learning wird bisher nicht systematisch genutzt. Es gibt zwar eine Lehr- und Lernplattform, wo alle Materialien und Folien zur Verfügung gestellt werden. Dies unterstützt jedoch lediglich die Präsenzlehre, denn Erklärungen und Diskussionen des Stoffs kann die Plattform nicht ersetzen. Angemessene Formen des E-Learnings erfordern einen hohen konzeptionellen und technischen Aufwand, der mit den vorhandenen Kapazitäten für den Studiengang nicht zu leisten sei.9 Belastungssituation der berufsbegleitend Studierenden, Studienmotivation und berufliche Perspektiven – gemischte Studiengänge Im berufsbegleitenden Bachelorstudiengang sind die Berufstätigen in der Regel in Vollzeit erwerbstätig, da aufgrund finanzieller Verpflichtungen (Haus, Familie) ein reduziertes Einkommen nicht denkbar ist. Viele haben außerdem lange Anfahrtzeiten, da sie an einen festen Wohnort gebunden sind. Anscheinend ist ein ›Nachlassen‹ in der Erwerbsarbeit für die Studierenden nicht denkbar, teilweise übernehmen diese sogar schon während des Studiums mehr Verantwortung im Betrieb. Dies kann zu einer Mehrbelastung im Betrieb führen. Unter der gesamten Situation leidet die Familie. Häufig wird beklagt, dass die Unterstützung des familiären Umfelds im Laufe des Studiums nachlässt. Einige Studierende berichten sogar von Trennungen. Auch dass man sich durch persönliche Entwicklungen im Studium mit Partnern ›auseinanderlebt‹, ist schon thematisiert worden. Die Belastungen in der Zeit der Abschlussarbeit sind besonders hoch. Da die Bearbeitungszeit der Bachelorarbeiten durch die Studienordnung festgelegt ist, müssen die Berufstätigen entsprechend vorarbeiten, um den Abschluss in der vorgeschriebenen Zeit zu absolvieren. Außerdem fordern die Mathematik und der Stil der Veranstaltungen aus den Regelstudiengängen gerade die Meister kognitiv und kulturell stark heraus. Teilweise werden Vorlesungen als komplett unverständlich bezeichnet. Eine hohe Belastung für die Studierenden ist zudem der unmittelbare Zeitkonflikt durch diese Veranstaltungen, die tagsüber stattfinden. Eine Unterstützung durch Arbeitgeber ist eher selten. Deshalb haben wohl gerade die Studierenden, die versucht hatten, ohne Wissen des Betriebes zu studieren, abgebrochen. Insbesondere in der ersten Kohorte brach ein Teil nach einem Jahr ab. 29 S TU DI E Hinsichtlich der beruflichen Perspektiven ist anzumerken, dass der Bachelorabschluss alleine nicht für eine höherwertige berufliche Tätigkeit qualifiziert, jedoch Aufgabenbereiche in der betrieblichen Ausbildung eröffnet. Im Anschluss besteht außerdem die Möglichkeit eines Ingenieur-Studiums auf Masterebene. Dies wird eher von Technikern genutzt. Meister dagegen entscheiden sich vor allem für den Master, der für das Berufsschullehramt qualifiziert. Das duale Bachelorprogramm der Fachrichtung Medizin / Gesundheit ist nicht als Teilzeit- oder berufsbegleitendes Studium konzipiert. Häufig melden Berufstätige zurück, dass Seminare mit Arbeitszeiten kollidieren. Allerdings sind die Pflegeberufe durch die Möglichkeiten des Schicht- und Wochenenddienstes zeitlich relativ flexibel. Die Studiengangsverantwortlichen vermuten, dass viele berufstätige Studierende halbtags arbeiten.10 Von Studierenden kommen nur punktuell Anregungen für alternative Seminarzeiten, da alle unterschiedliche Arbeitszeiten haben. Bei den Berufstätigen sind Abbrüche sehr selten. Der Bachelor der Fachrichtung Berufspädagogik eröffnet den Zugang zu verschiedenen Masterstudiengängen in oder außerhalb Bremens in Abhängigkeit von den einzelnen Zugangsmodalitäten. Bei der Wahl des Schwerpunkts Lehre im Bachelorprogramm kann beispielsweise der Master Berufspädagogik absolviert werden. Perspektive ist dann der Schuldienst an berufsbildenden Schulen. Dort ist ein steigender Bedarf an Lehrkräften absehbar. Der Schwerpunkt Lehre wird bevorzugt von Berufstätigen angewählt. Womöglich sehen die Berufserfahrenen mit dem Bachelorabschluss noch wenig berufliche Entwicklungsmöglichkeiten in der pflegerischen Praxis. Der Bachelorabschluss alleine qualifiziert nicht für eine höherwertige berufliche Tätigkeit, zumal in der Pflege noch keine verbindlicheren Aufgabenfelder für Absolventinnen und Absolventen definiert wurden und dementsprechend auch keine Einkommensgruppe vorgesehen ist. Dies ist – ebenso wie in der Frühpädagogik – ein Problem des öffentlich finanzierten Arbeitsmarktes. Trotzdem formulieren die Kliniken einen Bedarf an Hochschulabsolventinnen und -absolventen. Im Masterprogramm der Fachrichtung Mathematik / Informatik stellt die Auseinandersetzung mit mathematischen Problemen besondere kognitive Ansprüche an die Studierenden. Studierende aus der beruflichen Praxis erscheinen grundsätzlich ernsthafter, belastbarer und motivierter als traditionelle Studierende. Das sind aus Sicht der Studiengangsleitung vorteilhafte Eigenschaften für die Bewältigung von schwierigen Fächern wie Mathematik. Einige Berufserfahrene berichten jedoch davon, dass es für sie schwierig sei, in den ›Studierendenmodus‹ zurückzufinden und ganze Tage mit der intensiven Arbeit an spezifischen Problemen zu verbringen. Es kommt jedoch generell vor, dass Studierende mathematikintensive Module nicht wählen und stattdessen andere Wahlpflichtangebote bevorzugen. Die meisten Studierenden, auch berufstätige, beginnen das Studium in Vollzeit. Manche steigen dann in den folgenden Semestern auf ein Teilzeitstudium um, wenn die Belastung sich als zu hoch erweist. Wenn die Lehrenden Überlastungen und Konzentrationsschwierigkeiten bei den Studierenden wahrnehmen, werden diese über die Möglichkeit eines Wechsels in ein Teilzeitstudium aufgeklärt. Falls im Beruf zeitweise hohe Belastungen auftreten, können Module bewusster geplant werden. Urlaubssemester werden selten genommen. Die in Kooperation mit einem Unternehmen Studierenden erscheinen insgesamt besser organisiert, als Berufstätige, die gänzlich in eigener Verantwortung studieren. Vermutlich gibt es für Vollzeitbeschäftigte einen Bedarf für ein berufsbegleitendes Studienangebot mit besonderen Studienzeiten. Die Konzeptionierung und Umsetzung ist jedoch mit den personellen Kapazitäten im Fachbereich nicht zu leisten. 30 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN Teilzeitstudierende haben bisher das Masterstudium nicht abgebrochen. Die wenigen Abbrüche, die bisher zu verzeichnen waren, ergaben sich mehrheitlich aus der in den vergangenen Jahren sehr guten Arbeitsmarktlage für die Berufsgruppe. In dem einschlägigen Berufsfeld müssen sich die Fachkräfte ständig weiterbilden, daher bieten viele Unternehmen ihren hochqualifizierten Beschäftigten entsprechende Entwicklungsmöglichkeiten. Die Studierenden können sich im Gegenzug für eine festgelegte Zeit an die Firma binden. Der Abschluss ist nicht nur Grundlage für höherwertige Tätigkeiten in Unternehmen, sondern auch für eine Selbstständigkeit und eine wissenschaftliche Karriere. Dies erscheint einigen Absolventinnen und Absolventen insbesondere nach einigen Jahren Berufstätigkeit sehr attraktiv. Schlussfolgerungen Die Vereinbarkeit verschiedener Lebensbereiche von berufsbegleitend Studierenden wird wesentlich auch von der Auseinandersetzung der Hochschulen mit der beruflichen Praxis ihrer Studierenden bestimmt. Die vorgestellten Konzeptionen von Weiterbildungsmastern und Regelstudiengängen, die neben traditionellen auch berufstätige Studierende adressieren, zeigen ein breites Spektrum von Berufsorientierung bei der organisatorischen, curricularen und didaktischen Ausgestaltung. Deutlich wird, dass sich Akteure an staatlichen Hochschulen, je nach Fachrichtung, Adressatenkreis und hochschulischen Rahmenbedingungen, hinsichtlich des Anspruchs – sowohl akademisch bildend als auch beruflich qualifizierend zu sein – ganz unterschiedlich positionieren. An der gesamten Institution der staatlichen Hochschule ist der Diskurs um eine Annäherung von wissenschaftlicher und beruflicher Orientierung jedoch noch randständig, obwohl er von Akteuren innerhalb und außerhalb des wissenschaftlichen Feldes bereits seit Längerem geführt wird.11 Die Berufsorientierung ist an den Fachhochschulen aufgrund ihres hohen Anteils von Studierenden mit Berufsausbildung weiter entwickelt als an den Universitäten.12 In den nächsten Jahren wird sich zeigen, wie die im Jahr 2015 initiierten BMBF-Projekte zur Öffnung von Regelstudienangeboten an der Universität und an der Hochschule Bremen in der Praxis wirksam werden. Die Berücksichtigung von unterschiedlichen Bedürfnissen einer heterogenen Studierendenschaft macht spezifische Angebote, Brückenkurse sowie Beratung, für Berufstätige unabdingbar. Auch eine Reorganisation einzelner Studiengänge wird für eine Öffnung notwendig sein. 31 S TU DI E 1 Ein BMBF-gefördertes Projekt an der 6 Zum gezielten Theorie-Praxis-Transfer Hochschule Heilbronn zeigt beispielhaft, vergleiche auch das sogenannte ›Heil- wie die Konzeptionierung eines berufs- bronner Modell‹. Für den berufsbeglei- begleitenden Studiengangs auf der Basis tenden Studiengang wurden dort neben einer systematischen Bedarfsanalyse den Studierenden weitere Vertreter (mit Experteninterviews, Stakeholder- der beschäftigenden Unternehmen als analyse, Geschäftsplanentwicklung ›Betreuer‹ für ›On-the-Job-Projekte‹ etc.) gestaltet werden kann. Das setzt einbezogen. Vgl. Köster et al. (2014), allerdings eine ausreichende Finanzierung, in diesem Fall Drittmittelförderung, S. 15 f. 7 In Bremen, wie in fast allen anderen und idealerweise die Einbettung in ein Bundesländern, dürfen staatliche Hoch- Gesamtziel der Hochschule voraus. schulen für grundständige Studiengänge Vgl. Köster et al. (2014). (Bachelor und konsekutive Master) keine 2 Ein idealtypischer Leitfaden für Beratungsgespräche findet sich in dem Bericht über das Heilbronner Modell. Studiengebühren erheben. 8 Vgl. zum Thema Anrechnung das Interview mit Walburga Freitag in Kapitel 6. Ziel des Gesprächs ist es, zum einen die 9 Ein Beispiel aus der Hochschule Nieder- inhaltlichen und institutionellen Anforde- rhein verdeutlicht den hohen Aufwand rungen des Studiums zu Beginn trans- bei der Gestaltung von E-Learning. Vgl. parent zu machen. Zum anderen werden Motivation, Erwartungen, Bildungs- und Berufsbiografie der Studieninteressierten geklärt. Dabei sollen mögliche Problem- Bergstermann et al. (2014), S. 69 ff. 10 Darauf weisen auch die Ergebnisse unserer Befragung hin (vergleiche Kapitel 4). lagen, die den Studienerfolg gefährden 11 Vgl. Elsholz (2015), S. 255. können, antizipiert werden. Vgl. Köster 12 Vgl. Wissenschaftlicher Beraterkreis et al. (2014), S. 27. 3 Zu den Möglichkeiten und Problemen (2014), S. 47. Hier wird außerdem argumentiert, dass an den Universitäten bei Anrechnungsverfahren siehe das In- mit ihrer expliziten Forschungsausrich- terview mit Walburga Freitag in Kapitel 6. tung und an den Fachhochschulen, die 4 Vgl. Kreutz / Meyer (2015), S. 239. Vgl. im Rahmen des Bologna-Prozesses auch das Interview mit Petra Boxler in verstärkt mit den Universitäten konkur- Kapitel 6. rieren, ein ›praxisferner Wissenstyp‹ 5 Das bestätigt im Grunde auch unsere (S. 58) sogar wieder verbreiteter ist. Befragung von Studierenden. Diese Kreutz / Meyer (2015), S. 235, vertreten äußern den Wunsch nach einem höheren die Auffassung, dass die ›Berufs- und Anteil von E-Learning eher dann, wenn Praxisorientierung‹ mit dem Bologna- besondere Belastungen durch Schichtar- Prozess wieder stärker ins Blickfeld beit oder durch Studienveranstaltungen gerät. Allerdings kritisieren sie, dass mitten in der Woche die Teilnahme sich im Gegensatz zum ›Berufsmodell‹ erschweren (vgl. Kapitel 4). das ›Etikett ›Employability‹ durchgesetzt hat, mit der damit einhergehenden Reduzierung auf Flexibilität, Mobilität und Wettbewerbsfähigkeit. 32 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN Die Perspektive von Studierenden 1 4 ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ 33 S TUDIE TU DI E JE SSIC A HEIBÜLT Qualitative Interviews Qualitative Interviews mit insgesamt 13 berufsbegleitend Studierenden ermöglichen einen tieferen Einblick in die Vereinbarkeitsproblematik. Bei der qualitativen Forschung ist dabei nicht die Zahl der Fälle entscheidend, sondern vielmehr die differenzierte Auseinandersetzung mit Kontext und Hintergründen des untersuchten Gegenstandes.1 Die ersten qualitativen Daten dienten daher in unserer Studie als Grundlage für die Entwicklung eines Fragebogens für die quantitative Erhebung. Durch den Mix von quantitativen und qualitativen Daten können Zusammenhänge verdeutlicht und somit eine umfassendere Analyse verschiedener Aspekte von Vereinbarkeit ermöglicht werden. Beschreibung der Stichprobe Die sechs qualitativen Interviews wurden mit je unterschiedlicher Anzahl von Teilnehmenden geführt. Die Teilnehmenden der Gruppeninterviews meldeten sich freiwillig auf Initiative von Studiengangsverantwortlichen beziehungsweise zuständigen Professorinnen und Professoren, die unsere Anfrage direkt an ihre Studierenden in Seminaren oder per E-Mail weitergegeben haben. In vier Studiengängen haben wir eigenständig über E-Mail-Verteiler oder persönlich in Seminaren für die Teilnahme an Interviews geworben. Da wir nur wenige Rückmeldungen erhielten, boten wir die Möglichkeit von Einzelinterviews an, um alle Studiengänge ins Sample aufnehmen zu können. Insgesamt wurden drei Gruppeninterviews und drei Einzelinterviews, mit elf Masterstudierenden und zwei Bachelorstudierenden, geführt. Im Bereich der Sozial- und Pflegeberufe haben sich zwei Masterstudentinnen der Fachrichtung Medizin / Gesundheit für ein Gruppeninterview bereit erklärt. Unter den technischen und kaufmänni- schen Berufsgruppen sind hingegen Männer leicht überrepräsentiert. Mit Studierenden aus technischen Berufsgruppen wurden drei Interviews in zwei unterschiedlichen Studienformaten geführt. Darunter waren zwei Studenten aus einem berufspädagogischen Bachelorstudiengang in je einem Einzelinterview. Für ein Gruppeninterview stellten sich zwei Männer und zwei Frauen aus dem Fachbereich Ingenieurwissenschaften / Mathematik / Informatik zur Verfügung. Im Bereich der vorwiegend kaufmännischen Berufsgruppen wurden Interviews in zwei verschiedenen wirtschaftswissenschaftlichen Masterstudiengängen geführt. Zum einen nahmen zwei Studenten und zwei Studentinnen an einem Gruppeninterview teil. Zum anderen stellte sich ein Student für ein Einzelinterview zur Verfügung (einen Überblick bietet Tabelle 1 in Kapitel 2). An den Interviews haben insgesamt sechs Frauen und sieben Männer teilgenommen.2 Die Teilnehmer sind zum Zeitpunkt des Interviews zwischen 24 und 52 Jahre alt. Der Median liegt bei 31 Jahren. Drei der 13 Teilnehmenden haben Kinder im Kleinkind- oder im schulpflichtigen Alter. Sieben haben das Abitur, drei die Fachhochschulreife und ein Teilnehmer die mittlere Reife absolviert. Mit Ausnahme der zwei Bachelorstudierenden haben alle Befragten bereits einen ersten Hochschulabschluss. Von diesen neun Befragten haben drei zusätzlich eine abgeschlossene Berufsausbildung. Die beiden Bachelorstudierenden haben ihren Hochschulzugang über eine Techniker- beziehungsweise Meisterfortbildung erhalten. Drei Befragte sind mit einer halben Stelle, drei mit einer Zweidrittelstelle und vier mit einer Vollzeitstelle angestellt. Ein Student ist zum Zeitpunkt der Interviews von seinem Arbeitgeber für das Studium freigestellt. Als mögliche flexible Arbeitszeitmodelle nennen die 34 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN meisten Gleitzeit oder die Möglichkeit der Absprache mit Kollegen. Nur ein Student gibt an, keine flexiblen Arbeitszeiten zu haben. Die Studienfinanzierung erfolgt bei allen über Erwerbsarbeit, fünf Studierende geben ausschließlich diese an. In zwei Fällen werden zusätzlich der Partner, in drei Fällen die Familie, einmal ein Kredit und einmal der Arbeitgeber als finanzielle Unterstützung genannt. Durch das Zusammenbringen von Einzel- und Gruppeninterviews wurden in der Auswertung inhaltliche Unterschiede zwischen beiden Interviewformen deutlich, die in der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden müssen: In den Einzelinterviews sprachen die Interviewten sehr viel ausführlicher über ihre Probleme, besonders hinsichtlich der Auswirkungen von Zeitmangel auf ihr Privatleben. In den Gruppeninterviews wurden hingegen – durch das wiederholte Einbringen neuer Themen – besonders die unterschiedlichen Bedingungen für Vereinbarkeit unter den Teilnehmenden deutlich. In den Interviews baten wir die Studierenden einleitend, von ihrer Studienmotivation und weiter von ihrer Lebenssituation seit Beginn des Studiums zu erzählen, mit dem besonderen Fokus auf die Studiensituation, die beruflichen Rahmenbedingungen sowie besondere Umstände im Privatleben. Die nachfolgenden Themen haben sich in den Interviews insgesamt als Schwerpunkte herausgestellt. Unter ihnen lassen sich Unterschiede zwischen den drei Berufsgruppen, gewählter Fachrichtung, Geschlechtern und Altersgruppen ausmachen. Studienmotivation Als zentrale Studienmotivation für alle Befragten kann der berufliche Aufstieg über einen (weiteren) akademischen Abschluss bezeichnet werden. Dennoch unterscheidet sich die Ausprägung dieses Motivs besonders zwischen verschiedenen Altersgruppen und gewählten Fachrichtungen und wird teilweise mit anderen Motiven – wie höheren Gehaltsvorstellungen, persönlicher Weiterentwicklung oder dem Wunsch eines Tätigkeitswechsels – verbunden. Diese Beweggründe sind auch für die berufliche Perspektive der Studierenden zentral und helfen unter anderem dabei, Schwierigkeiten und Herausforderungen in der Studienzeit zu meistern. Im Folgenden werden die unterschiedlichen Motive für die Wahl der einzelnen Fachrichtungen dargestellt. Bei den Studierenden, die einen wirtschaftswissenschaftlichen Master gewählt haben, unterscheiden sich die Studienmotive nach Alter. Im Gruppeninterview sowie dem Einzelinterview wird deutlich, dass die Motive von vier jüngeren Teilnehmerinnen und Teilnehmern und einer älteren Teilnehmerin an die Lebensphase geknüpft sind. Ein 31-jähriger Student gibt an: ›Ich habe auch mich ein bisschen umgeschaut, in welchem Bereich möchte ich mich denn überhaupt weiterbilden. Und diese Überlegungszeit hat auch so sieben, acht Jahre gedauert, bis ich sage, bevor ich mit Familienplanung anfange, möchte ich meine akademische Laufbahn abschließen‹ (GI1). Das Zitat unterstreicht den Wunsch, die akademische Karriere mit einem Masterabschluss abzuschließen, das Masterstudium gilt damit als letzte Weiterbildungsoption vor einer neuen Lebensphase. Auch ein 28-jähriger Student wählte einen wirtschaftswissenschaftlichen Master vor allem aufgrund von Aufstiegsinteressen, auch wenn diese in einem anderen Zusammenhang stehen. Er erlebte vor allem Frustration, da das zuvor absolvierte duale Bachelorstudium im Betrieb nicht den erhofften beruflichen Aufstieg in Form eines finanziellen Nutzens bedeutete. Er berichtet im Einzelinterview: ›[Ich, Anm. d. Verf.] habe dann aber irgendwann relativ schnell, nachdem ich die Bachelorarbeit vom 35 S TU DI E Tisch hatte, gemerkt, dass ich irgendwie ein neues Ziel brauchte zum einen und zum anderen gab es so ein bisschen Knatsch, was die Eingliederung in den Tarifvertrag bei der Firma [anging, Anm. d. Verf.]. […] Die anderen Leute, die in der Abteilung waren, waren eine Tarifgruppe höher und ich sollte in eine niedrigere Tarifgruppe reingehen, weil ich halt dort das Bachelorstudium bei der Firma gemacht hatte und die Personalabteilung mit dem Betriebsrat das so abgesprochen hatte […]. Da hatte ich dann auch so eine Frustreaktion vielleicht auch so ein bisschen, dass ich gesagt habe, ja gut, okay, wenn ihr das so meint, dann mache ich halt noch meinen Master und dann kann ich danach halt mal gucken, ob ich dann entweder da noch bleibe oder dann habe ich mir halt auch vorgestellt, dass ich damit bessere Chancen dann auf dem Arbeitsmarkt habe‹ (I3). In diesem Fall wird deutlich, dass betriebsinterne Aufstiegsmöglichkeiten eher intransparent sind. Deutlich wird außerdem, dass ein außerbetriebliches Studium in der individuellen Verantwortung der Beschäftigten liegt. Einen Abschluss einer staatlichen Hochschule verbindet dieser Studierende zudem mit breiteren Chancen am Arbeitsmarkt. Gleichzeitig wird deutlich, dass ein Masterabschluss als essenziell angesehen wird, um die berufliche Position im Unternehmen zu sichern. Ein 33-jähriger Student berichtet: ›Es ist eher so, sich weiterzuentwickeln, um dann nicht irgendwann vielleicht mit Mitte 40 oder so sagen zu müssen, jetzt könnte ich die entsprechende Position haben, muss aber erst mal wieder so ein Studium absolvieren, weil eine Firma das gerne haben möchte dafür, um dann schon mal vorbereitet zu sein. Das war beim Bachelor ein bisschen anders noch mal, wo man eher gesagt hat, das ist jetzt gezielter‹ (GI1). Der Wert, der hier dem Masterabschluss für das Erreichen von Führungspositionen beigemessen wird, spiegelt, dass die neuen Bachelorabschlüsse sowohl bei Arbeitgebern als auch bei Absolventinnen und Absolventen noch nicht auf vollständige Akzeptanz stoßen. Neben beruflichen Aufstiegschancen spielt die persönliche Weiterentwicklung für alle Studierenden in dieser Fachrichtung eine zentrale Rolle. Eine 48-jährige Teilnehmerin gibt neben Motiven der persönlichen Weiterentwicklung an, sich mit dem wirtschaftswissenschaftlichen Masterabschluss eine alternative berufliche Tätigkeit zu erhoffen: ›Und dann war das, was ich dann gemacht habe, nicht so das, was ich so unbedingt wollte. Und in dieser Übergangsphase, als ich mich ein bisschen neu orientiert habe, habe ich gedacht, guck mal, was es so gibt an Möglichkeiten [und, Anm. d. Verf.] bin auf das […] hier aufmerksam geworden‹ (GI1). Damit unterscheidet sie sich von ihren jüngeren Kommilitoninnen und Kommilitonen. Berufsbegleitende Angebote werden folglich auch dazu genutzt, alternative berufliche Pfade einzuleiten. Dies gilt besonders auch für die folgenden zwei Befragten, die in einem Bachelorformat studieren. Zwei Studierende aus technischen Berufen verbinden mit dem Bachelor der Berufspädagogik neue berufliche Chancen: ›Ich bin durch Zufall darauf gekommen, dass man berufsbegleitend studieren kann, und vor allem, mir war zu dem Zeitpunkt noch gar nicht bewusst, dass ich die Hochschulzugangsberechtigung hatte. […] Und wenn man das einmal sieht, also dass auch ein anderes Arbeiten möglich ist, dann ist das natürlich auch sehr interessant, und da ich mich beruflich verändern wollte und das gerade sich so ergeben hatte, bin ich dann eben hier mit in die Forschungslandschaft reingerutscht‹ (I1). Für den zitierten Studierenden erweist sich die Möglichkeit des Studiums als glücklicher Zufall, da er sowieso bereits eine berufliche Veränderung in Richtung Ausbildungsbereich eingeleitet hatte und sich nun durch das Studium für ihn Aufstiegsmöglichkeiten in diesem neuen Bereich bieten. Der zweite Interviewte dieser Fachrichtung gibt bei der Frage nach seiner Studienmotivation zunächst beruflichen Aufstieg als Motiv an: ›[Ich, Anm. d. Verf.] wollte dann aber noch on top was machen und bin dann eben auf dieses berufsbegleitende Angebot gekommen‹ (I2). Erst im weiteren Interview wird deutlich, dass der Studienabschluss für ihn mit der Hoffnung auf eine neue berufliche 36 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN Tätigkeit verbunden ist. Dieser Wunsch wird noch dadurch verstärkt, dass sein Arbeitgeber das Studium nicht unterstützt und ihn sogar gegenüber Kollegen benachteiligt, die berufsbegleitend Fortbildungen zum Techniker oder Meister absolvieren. Das Motiv des beruflichen Aufstiegs scheint zudem mit dem Bedürfnis nach persönlicher Weiterentwicklung eng verbunden zu sein: ›Ja, also erst mal ist es etwas, was ich gerne machen möchte. Also für mich, ich möchte jetzt nicht sagen, Hobby, aber ich habe das für mich irgendwie entdeckt, als ich den Techniker angefangen habe, dass mir das Spaß macht, das zu lernen oder Sachen zu lernen. Und ja, und deswegen mache ich es erst mal für mich, aber eben mit der Aussicht, dann später was anderes zu machen‹ (I2). Für die Befragten aus IT-Berufen, die in der Fachrichtung Mathematik / Informatik studieren, ist der Erwerb eines Masterabschlusses üblich und wird meist durch Professoren oder Arbeitgeber empfohlen. Die Studierenden sind oft bereits seit ihrem Praktikum im Bachelorstudium bei ihrem heutigen Arbeitgeber angestellt, sodass beide Seiten ein Interesse daran haben, dass die Tätigkeit auch während des Masterstudiums fortgeführt wird: ›Ich würde gerne arbeiten wollen, aber ich würde auch gerne mich weiterbilden, und ja, Master war sowieso, stand sowieso im Spiel, ich wollte sowieso einen Master machen‹ (GI2). Außerdem geben alle Studierenden dieser Fachrichtung an, dass der Master ein notwendiges Mittel ist, um eine höhere Gehaltsstufe zu erreichen. Das Studienformat des Teilzeitstudiums kommt ihnen sehr entgegen, da sie ein Teilzeitstudium mit einer Teilzeitberufstätigkeit verbinden können. Auffällig ist, dass die zwei Studierenden im Bereich der Medizin / Gesundheit ihr Studienmotiv eher inhaltlich ableiten, sie wollen einen direkten Nutzen für ihre aktuelle Tätigkeit erreichen und beschreiben einen vorrangig inhaltlichen Anspruch an ihre Arbeit. ›[Ich, Anm. d. Verf.] wollte wissenschaftlich noch mehr Wissen in der Veränderung, was kann man für die Menschen tun, nicht nur medizinisch draufgucken‹ (GI3). Dieser Anspruch der persönlichen Entwicklung ist jedoch – wenn auch nicht vordergründig – gleichzeitig auch mit dem Ziel verbunden, diese Weiterentwicklung nach dem Studium in einer Leitungsposition auch weiterzugeben: ›Der Vorstand besteht bei uns aus vielen Ärzten. Also die bestimmen, wo es langgeht, und mir gefällt das nicht, das ist nicht [...] [der, Anm. d. Verf.] Ansatz, wie ich ihn hier an der Uni gelehrt kriege und erlebe. Also multiprofessionelles Team, alle sind gleichwertig in ihren unterschiedlichen Aufgabenbereichen, das würde ich in der Zukunft beruflich gerne gestärkt haben und auch stärken‹ (GI3). Wahrnehmung von Belastungen Da in den Interviews die Vereinbarkeit von Studium, Beruf und Privatleben thematisiert wurde, fragten wir die Teilnehmenden, in welchem dieser Bereiche sie die größte Belastung empfinden. Von den Studierenden wird in diesem Zusammenhang meist kein konkreter Bereich als besonders belastend ausgemacht, stattdessen wird vielmehr die Organisation von allen Bereichen und der generelle Mangel an Zeit als problematisch bezeichnet. Unterschiede in der Belastung lassen sich hier besonders mit Lebensphasen und familiären Verpflichtungen in Verbindung bringen. Darüber hinaus hängt die Belastungsempfindung entscheidend mit der Flexibilität des jeweiligen Arbeitgebers zusammen. Wie und in welchem Bereich Belastungen empfunden werden, hängt unter anderem von Prioritätensetzungen ab. So betonen viele Studierende die existenzielle Bedeutung ihrer Berufstätigkeit. Ein berufsbegleitendes Studium wird bewusst gewählt, um die Berufstätigkeit weiterführen zu können: ›Und das Wichtigste ist, auch wenn es jetzt erst mal komisch klingt, schon der Beruf, weil der Beruf auch natürlich die Familie und auch das Private ernährt. […] Also für mich ist eben die Arbeit das Wichtigste und die Arbeit darf nicht zur Belastung werden‹ (I1). Dieses Zitat unterstreicht eine grundsätzliche Rangfolge der drei Lebensbereiche. Das Studium als zusätzliche neue Komponente verdrängt im besten Fall einen Teil des Berufes, zum Beispiel durch eine Stundenreduzierung. Vor allem aber wird durch das Studium die Zeit beschnitten, die vorher für das Privatleben zur Verfügung stand. Häufig wird das Gefühl geäußert, keine Freizeit mehr zu haben. Alle Studierenden geben 37 S TU DI E an, dass sie gerne mehr Zeit für ihr Privatleben hätten, da Abstriche besonders dort gemacht werden müssen. Hobbys und soziale Kontakte werden meist zugunsten des Studiums vernachlässigt. Die Organisation des Alltags wird als größte Belastung beschrieben, zum Beispiel in der Form, ›dass man immer diese To-do-Listen im Hinterkopf hat. Man muss jetzt das und das und das‹ (GI1). Die drei Bereiche Beruf, Studium und Privatleben zu vereinbaren, scheint vielen eine durchgängige Konzentration mit wenigen oder fehlenden Erholungsphasen abzufordern. Diese Herausforderung ist für eine Befragte, die sich neben Studium und ihrer Selbstständigkeit zusätzlich um ihre Kinder kümmern muss, besonders groß: ‹Für mich persönlich ist das sozusagen, mit dem Familienpart als dritten Part, das integriert zu kriegen, auch wenn ich die Kinder mittlerweile fast erwachsen habe, so ist das doch manchmal so das Tüpfelchen, was mich persönlich auch an die Grenzen kommen lässt. Auch wenn ich jeden Teil doch auch sehr genieße, ist es einfach durch diese Taktung, die man hat, es muss dann auch irgendwie alles so passen und nicht immer passt alles, nicht immer ist man vollständig gesund oder ganz fit. Und dann wird es halt anstrengend‹ (GI1). In dem Zitat zeigt sich die Angst vor unerwarteten Problemen, wie Krankheit, die ein ›getaktetes‹ Zusammenspiel gefährden können. Ein Student beschreibt anschaulich die Beeinträchtigung aller Lebensbereiche. Er kann sich nicht mehr richtig auf seine Arbeit konzentrieren und seine Freundin, die in einer anderen Stadt wohnt und zu der er eine Wochenendbeziehung pflegt, kann er aufgrund des Studiums nicht mehr regelmäßig sehen. Er hat das Gefühl, keinem seiner Lebensbereiche gerecht zu werden: ›Man kann das halt nicht so komplett trennen, weil selbst wenn ich dann Zeit mit meiner Freundin verbringe, dann habe ich manchmal auch ein schlechtes Gewissen, dass ich nichts fürs Studium gemacht habe, und andersrum halt genau umgekehrt‹ (I3). Die Folgen waren Schlafmangel, Stressrauchen und Vernachläs- sigung von Sport. Er war kurz davor, das Studium aufzugeben, das für ihn auch mit hoher finanzieller Belastung einherging. Mit emotionaler und finanzieller Unterstützung durch seinen Vater, bat er seinen Vorgesetzten um eine Freistellung für das letzte Studiensemester. Rückwirkend hat er erfahren, dass er auch seine Arbeitszeit hätte reduzieren können. Das hätte eine Krise wahrscheinlich verhindert. In den Einzelinterviews mit Studierenden der berufspädagogischen Fachrichtung wird freier über das Privatleben gesprochen als in den Gruppeninterviews. Das folgende Zitat eines jungen Vaters verdeutlicht das Zusammenspiel aller drei Bereiche bei der Gesamtbelastungsempfindung: ›Hmm, die größte zeitliche Belastung würde ich auf das Studium legen. Die größte Belastung in Bezug auf Forderungen an mich, ist eher so familiär. Und Arbeit ist, na ja, ich will nicht sagen Entspannung, aber fast‹ (I2). Die gewohnte berufliche Tätigkeit wird nicht als Problem betrachtet, das Studium, das mit neuen Inhalten und vor allem Lernen verbunden ist, nimmt hingegen viel Zeit in Anspruch, die für die Familie fehlt. Das führt, so scheint es, zu Konflikten in der Familie. Wie bereits im Abschnitt zur Studienmotivation angedeutet, sind die Studierenden des Teilzeitstudiums der Fachrichtung Mathematik / Informatik relativ entspannt. Ihr Studium wird von ihren Arbeitgebern als selbstverständlicher Qualifikationsschritt angesehen. Gleichzeitig profitieren sie von der hohen zeitlichen Flexibilität der Arbeitszeiten, die sie den Zeiten für die Präsenzlehre anpassen können. Außerdem haben alle ihre Arbeitszeit reduziert. Sie bedauern zwar, dass der Beruf ein intensives Studium oder Arbeiten in Lerngruppen nicht erlaubt und konstatieren aufgrund dessen auch einen generellen Zeitmangel. Im Vergleich fühlen sich die Studierenden im Teilzeitstudium jedoch am wenigsten belastet. Auch hier gilt zu berücksichtigen, dass die Lebensphase der Interviewpartner eine entscheidende Rolle spielt. Die jüngeren Studierenden, von denen einer noch bei den Eltern wohnt, sind deutlich zufriedener mit der Vereinbarkeit der Lebensbereiche als die älteren Studierenden. 38 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN Bewertung der Studienbedingungen Die Bewertung der Studienbedingungen hängt sehr vom gewählten Studienformat beziehungsweise der hochschulischen Organisation ab. Zur Sprache kommen Studienstrukturen und Beratung, die Rolle von Kommilitoninnen und Kommilitonen, der Theorie-Praxis-Transfer sowie Finanzierungsmöglichkeiten. Das Thema der Anrechnung beruflicher Qualifikationen und Kompetenzen spielte in nur zwei Fällen eine Rolle. Je nach Fachrichtungen und Studienformaten werden unterschiedliche Bewertungen abgegeben und verschiedene Schwerpunkte thematisiert. Ein berufsbegleitender Masterstudiengang der Fachrichtung Wirtschaftswissenschaften zeichnet sich aus Sicht der Studierenden durch sehr gute Betreuung und Studienorganisation aus. Zudem gibt es die Möglichkeit, Module flexibel zu absolvieren und somit die Chance, individuell auf berufliche oder private Veränderungen und Anforderungen reagieren zu können. Darüber hinaus wird es als wertvoll erachtet, in einem Präsenzstudium und nicht in einem Fernstudium zu studieren. Auch wenn es oft als anstrengend empfunden wird, sich abends noch für das Studium zu motivieren, wird der direkte Austausch mit Dozentinnen und Dozenten sowie mit Kommilitoninnen und Kommilitonen als Bereicherung erachtet. In Bezug auf die Berufstätigkeit wird das Studium und damit der Theorie-Praxis-Transfer ebenfalls als positiv bewertet: ›Das ist schon alles ziemlich praxisorientiert, aber auch schon mit Anspruch. Es ist nicht so, dass man einfach so ein bisschen mithören muss und später wird man schon durchkommen‹ (GI1). Ein guter Theorie-Praxis-Transfer wirkt sich positiv auf die Motivation aus, da ›ein Job dahinter‹ steht, für den man das Studium absolviert. Der Nutzen des Studiums für die berufliche Weiterentwicklung wird folglich sehr geschätzt. Diese Gruppe von Studierenden unterscheidet wenig zwischen beruflicher und persönlicher Weiterentwicklung, die ihnen durch das Studium ermöglicht wird. Womöglich wird diese Haltung durch eine starke Identifikation mit Führungs- und Managementaufgaben befördert. Herausgehoben wird der Wert neuer Erfahrungen durch Veranstaltungen in englischer Sprache oder durch Auslandsreisen, an denen auch ihre Partnerinnen und Partner teilnehmen können. Darüber hinaus geben zwei Studierende an, dass sie gerne nochmals ein ›Studentenleben‹ genossen hätten. Mit Beginn ihres Studiums mussten sie jedoch feststellen, dass durch das Studienformat mit Abend- und Wochenendveranstaltungen kein ›normales Studentenleben‹ möglich ist. Als Nachteil wird – wie bereits im vorherigen Kapitel erläutert – der psychische Stress durch das Organisieren dreier Lebensbereiche beschrieben. Ein Student eines anderen wirtschaftswissenschaftlichen Masterstudiengangs beschreibt eine starke Gesamtbelastung, insbesondere durch die fehlende Unterstützung seitens seines Arbeitgebers. Die Studienstruktur schreibt Präsenzblöcke vor, die er zu Beginn ganz bewusst auswählt, weil er sich regelmäßige Abendund Wochenendveranstaltungen nicht vorstellen kann. Später ist diese zeitliche Struktur problematisch, da er sich für die Präsenzphasen Urlaub nehmen oder Überstunden aufbauen muss. Insgesamt beschreibt er vor allem inhaltliche Herausforderungen des Studiums, die aus Vereinbarkeitsproblemen resultieren: ›Und dann sind zu jedem Präsenzblock sind dann noch Hausarbeiten anzufertigen und dann ist halt sich noch auf die Klausuren vorzubereiten. Und das wurde dann doch alles ganz schön viel‹ (I3). Der Zusammenhalt unter den Kommilitonen kann Belastungen jedoch teilweise kompensieren: ›Also wir helfen uns untereinander halt viel. Also gerade was die Hausarbeiten angeht, wenn man da irgendwie was zusammen machen kann, dass wir das dann halt auch zusammen machen. Wir teilen da sehr viel miteinander, oder auch mit den Klausuren, also dass man sich dann für die Klausuren zusammensetzt, […] dass man halt nicht alleine da sitzt und da alleine durchmuss‹ (I3). Die Bezeichnung ›durchmüssen‹ unterstreicht, wie anstrengend es für den Befragten ist, neben den Präsenzphasen zusätzliche Lernzeiten neben Beruf und Privatleben in seinen Alltag zu integrieren. 39 S TU DI E Die zwei Studierenden der Fachrichtung Berufspädagogik im Bachelor thematisieren die Studienstrukturen. Dass die Studierenden nicht berufspädagogische Veranstaltungen im Rahmen von regulären Studiengängen besuchen müssen und diese zu Tageszeiten in der Woche stattfinden, führt zu erheblichen organisatorischen Problemen. Insgesamt jedoch schätzen die Studierenden die Unterstützungsstrukturen, ausgewiesene Ansprechpersonen sowie die Flexibilität von Professoren, die in der Regel verständnisvoll reagieren, wenn Studierende aufgrund ihrer Berufstätigkeit nicht alle Veranstaltungen wahrnehmen können. Darüber hinaus wird auch hier der Zusammenhalt zwischen den Studierenden als zentral empfunden. Beispielsweise bietet eine WhatsApp-Gruppe Hilfe und Unterstützung bei der Einhaltung von Fristen und Terminen beziehungsweise Hinweise auf die kurzfristige Absage von Veranstaltungen. Insgesamt gilt: Das ›Studium ist ein erheblicher Mehraufwand‹ (I2). Das Studium wurde am Anfang ›unterschätzt‹, wird für beide aber eher als Hobby bezeichnet, da die Arbeit Priorität hat. Das Thema der Anrechnung beruflich erworbener Kompetenzen beschäftigt in unseren Interviews ausschließlich die zwei Bachelorstudierenden. Ein Berufstätiger in Schichtarbeit gibt an, dass er die Anrechnung noch nicht in Anspruch genommen hat, diese für ihn aber relevant sei, weil er bestimmte Veranstaltungen nicht besuchen müsse. Ein anderer Student berichtet, dass das Anrechnungsverfahren sehr kompliziert war: ›Ich habe ungefähr 25 bis 30 Punkte angerechnet bekommen, das ist ungefähr ein Semester. Aber nach wirklich viel Ringen und viel Arbeit‹ (I1). Die Studierenden des Teilzeitstudiums in der Fachrichtung Mathematik / Informatik bewerten den Theorie-Praxissowie den Praxis-Theorie-Transfer als sehr gut, was die Vereinbarkeit von Beruf und Studium aus Sicht der Studierenden sehr unterstützt. So sind Themen der Abschlussarbeiten eng mit dem Arbeitgeber abgestimmt. Als Nachteil in der Studienorganisation wird angegeben, dass die Prüfungsphase als Vollzeitstudium angelegt ist. Das führt dazu, dass sich die Studierenden in dieser Zeit Urlaub nehmen müssen. Hier sehen sie aber eher den Arbeitgeber als die Hochschule in der Pflicht, ihnen mit flexiblen Arbeitszeitmodellen entgegenzukommen. Das Masterstudium der Fachrichtung Gesundheit / Medizin wird von beiden interviewten Studienanfängerinnen als bereichernd beschrieben. Sie sprechen sehr positiv von Studienstruktur und Inhalten. Problematisiert wird die ›finanzielle Doppelbelastung‹ durch die Studiengebühren: ›Und das nimmt man ja der Familie im Prinzip weg das Geld, wenn man so will, wo ich denke, ich könnte meinen Kindern jetzt auch – also ich habe insgesamt drei Kinder, einer ist halt noch zu Hause – dem könnte ich auch mal was zustecken, ne? Und dann fragen sie: […] kannst du mir das bezahlen?‘ Und dann sage ich: ‚Nee, ich kann gerade nicht, ich studiere, ist teuer und so.‘ Da habe ich immer ein schlechtes Gewissen‹ (GI3). Es ist naheliegend zu vermuten, dass viele Beschäftigte in Pflegeberufen größere Schwierigkeiten haben, anfallende Studiengebühren zu finanzieren, als Beschäftigte aus technischen oder kaufmännischen Berufen. Entsprechend verschärft wirken sich die finanziellen Belastungen offensichtlich auf Familien mit Kindern aus. Bewertung der betrieblichen Rahmenbedingungen Unter die Bewertung der betrieblichen Rahmenbedingungen fallen thematische Schwerpunkte wie Arbeitszeitmodelle, die Möglichkeit der Verknüpfung von Theorie und Praxis, Unterstützung durch den Arbeitgeber sowie Unterstützung durch Kolleginnen und Kollegen. Unterschiede können in diesem Zusammenhang besonders zwischen verschiedenen Berufsgruppen ausgemacht werden. Besonders entscheidend für die Bewertung und für die Vereinbarkeit insgesamt ist jedoch, ob und inwieweit der Arbeitgeber das Studium unterstützt. 40 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN Für den kaufmännischen Bereich werden unterschiedliche Erfahrungen geschildert. Ein Befragter beschreibt anschaulich, wie der Versuch, das Studium mit seinem Beruf zu vereinbaren, zu einer zu großen Belastung für ihn wurde. Er berichtet zwar von Unterstützung durch seinen Vorgesetzten, jedoch auch davon, seit Beginn des Studiums nur noch Hilfstätigkeiten zu bekommen. Womöglich macht er sich Sorgen darum, seine im Betrieb erarbeitete Position zu verlieren. Darüber hinaus muss er für die Präsenzveranstaltungen Urlaub nehmen. Auch die hohen Studiengebühren muss der Student selbst tragen. Der Befragte berichtet, wie die fehlende finanzielle Unterstützung zu einer zunehmenden Belastung wurde: ›Dadurch, dass ich […] von meiner Firma nicht unterstützt werde, also weder finanziell noch über Zeitausgleich oder sonst irgendwas, musste ich mir halt wirklich für die Tage, die ich hier an der Uni war oder bin, freinehmen. […] Das waren letztes Jahr unter der Woche 30 Tage und die habe ich alle komplett durch Überstunden quasi abgeleistet, sprich ich habe diese 30 Tage irgendwann nebenbei vorgearbeitet, um sie dann abzubauen, und während ich sie abgebaut habe, saß ich dann halt hier in der Uni und dann kamen noch die Tage dazu, in denen ich am Wochenende hier war, weil wir auch samstags und sonntags dann Vorlesungen haben. Und ja, das wurde dann letztendlich so viel‹ (I3). Dieser Fall verdeutlicht, dass die Unterstützung des Arbeitgebers – zum Beispiel über flexible Arbeitszeitmodelle oder längerfristige Bildungszeitkonten – zentral ist, um ein Studium neben dem Beruf bewältigen zu können. Ist dies nicht der Fall, so müssen Freizeit und Urlaub, Zeiten, die eigentlich für die Erholung gedacht sind, für das Studium geopfert werden. Auch die hohen Studiengebühren werden als Belastung empfunden, wenn der Arbeitgeber keine finanzielle Unterstützung anbietet. Dies ist sowohl bei dem eben genannten Studenten als auch bei den zwei Studentinnen aus den Sozial- und Pflegeberufen der Fall. Zwei andere Studierende aus kaufmännischen Berufsgruppen erfahren hingegen Unterstützung durch ihren Arbeitgeber. Sie beschreiben eine finanzielle und organisatorische Förderung durch ihren direkten Vorgesetzten, die mit dem Studiengang und seinen Inhalten aus eigener Erfahrung vertraut sind und sich daher mit dem Studienwunsch positiv identifizieren können. Die Studierenden können ihre Arbeitszeiten flexibel organisieren, bei Bedarf kurz ihren Arbeitsplatz verlassen und selbstständig ihr Arbeitsumfeld organisieren. Außerdem bewerten sie Ratschläge von Kolleginnen und Kollegen als hilfreich für das Studium. Gleichzeitig erlegen sich beide auf, am Arbeitsplatz nicht zu häufig über ihr Studium zu sprechen, um im Kollegenkreis keinen Anlass für Neid und Konkurrenz zu geben. Insgesamt bewerten sie die Vereinbarkeit – wenn der Alltag auch als sehr anstrengend bezeichnet wird – besser als die anderen Studierenden. Dies kann wohl vor allem auf die Unterstützung und das Verständnis des Arbeitgebers zurückzuführen sein. Möglicherweise hängt die Empfindung jedoch auch mit eigenen Leistungsansprüchen und starker Aufstiegsorientierung in der Studierendengruppe zusammen. Studierende aus technischen Berufen erfahren in unserem Sample kaum Unterstützung durch ihren Arbeitgeber und sind dadurch mit zahlreichen Hindernissen konfrontiert. Ein Student beschreibt, dass er ›immer mal so ein paar Steine in den Weg geworfen bekommt, wie zum Beispiel dieses Entgegenkommen der Freischichten oder Ähnliches für Unterricht. Was bei anderen Kollegen vielleicht dann schon mal eher geht, geht dann bei mir nicht unbedingt‹ (I2). Er selbst führt das Verhalten seines Vorgesetzten darauf zurück, dass dieser von seinen alternativen beruflichen Plänen weiß. In der Konsequenz muss der hier zitierte Schichtarbeiter Urlaub nehmen, wenn es für das Studium notwendig ist. In Spätschichtwochen kann er jedoch an Nachmittagsveranstaltungen nicht teilnehmen. Professoren reagierten bisher aber sehr flexibel auf diese Umstände und können dadurch das Vereinbarkeitsproblem leicht abmildern. 41 S TU DI E Auch der zweite Student aus einem technischen Beruf erfährt bisher keine Unterstützung durch seinen Arbeitgeber. Das Studium gilt in seinem Betrieb als Freizeitbeschäftigung, wenn er nicht am Arbeitsplatz ist, muss er sich Urlaub nehmen oder sich ausstempeln. Durch dieses Verfahren hat er bis heute 50 Minusstunden angesammelt. Der Studierende äußert die Hoffnung, dass sein Arbeitgeber den Nutzen der Weiterbildung für den Betrieb erkannt hat und in Zukunft flexiblere Verfahren anbieten wird. Eine endgültige Einigung steht allerdings noch aus. Der Befragte gibt an, mit der Personalabteilung zu verhandeln, in seiner Arbeitszeit Veranstaltungen besuchen zu dürfen. Finanzielle Herausforderungen spielen keine besondere Rolle, da für den Bachelorstudiengang keine Gebühren erhoben werden, anders als in den weiterbildenden Masterstudiengängen. Studierende der IT-Berufsgruppe beschreiben, dass Weiterbildung in ihrem Berufsfeld zentral ist und deshalb von den Arbeitgebern gefördert wird. Vor allem in Bezug auf Arbeitszeiten und Stundenreduzierung haben sie eine gute Verhandlungsposition gegenüber ihren Arbeitgebern. In der Regel kommen die Arbeitgeber den Studierenden mit flexiblen Arbeitszeiten und Arbeitsorganisation entgegen. Zudem arbeiten die Studierenden in Teilzeit. Trotz der eigentlich guten Rahmenbedingungen führen spezielle Anforderungen im Beruf zu Herausforderungen für diese Berufsgruppe. Eine Studentin berichtet zum Beispiel, dass sie an starre Arbeitszeiten gebunden ist, weil sie ein Projekt betreuen muss. Auch eine andere Studentin beschreibt die Herausforderung Arbeitsund Studienzeiten koordinieren zu müssen: ›Ich habe vier Tage [arbeiten, Anm. d. Verf.] probiert [und, Anm. d. Verf.] drei Module, das ist unmöglich. Man hat dann überhaupt keine Freizeit, man ist müde irgendwann. Dann habe ich zwei Module behalten. Und auch von Arbeitgeberseite, das ist schön, viele arbeiten in Teilzeit. Also Entwickler, die ich sehe, [sind, Anm. d. Verf.] da entspannt und gestalten ihr Leben. Also vier Tage arbeiten und dann einen Tag frei. Das wird so verteilt. Also ich bin dann nicht die Einzige. Und im Studium sind diese zwei Module machbar, nur man hat eben wenig Freizeit. Also das ist quasi so ein Hobby (lacht). Hobby, weil […] das berufstätige Leben für mich jetzt an erster Stelle und Studium an zweiter [steht, Anm. d. Verf.]‹ (GI3). Diese klare hierarchische Ordnung der Lebensbereiche verdeutlicht nochmals die Notwendigkeit, Prioritäten zu setzen und sich nicht in jedem Lebensbereich gleich hohen Anforderungen auszusetzen. Im Vergleich kann diese Berufsgruppe jedoch durch die Flexibilität der Arbeitgeber besser auf Probleme bei der Vereinbarkeit reagieren. So hatte auch die zuletzt zitierte Studentin die Möglichkeit, verschiedene Kombinationen aus Arbeits- und Studienzeiten auszuprobieren. Auch in den Sozial- und Pflegeberufen hängt die zeitliche Flexibilität vom Arbeitgeber, der Arbeitsorganisation und der beruflichen Position ab. Eine Studentin kann sich ihre Arbeitszeiten relativ frei einteilen, muss dies nur frühzeitig mit einer Kollegin absprechen. Eine andere Studentin ist in der Regel davon abhängig, dass Kolleginnen und Kollegen mit ihr Schichten tauschen: ›Manchmal schwierig, [es, Anm. d. Verf.] ist ein Balanceakt und manchmal muss ich bei der Arbeit tauschen und fragen: ‚Könnt ihr mich unterstützen, könnt ihr mir helfen? Und ich biete dafür an, dann und dann für euch zu arbeiten.‘ Und manchmal muss ich eben bei der Uni sagen: ‚Heute kann ich nicht‘‹ (G3). In beiden Fällen ist die zeitliche Flexibilität jedoch davon abhängig, ob hilfsbereite Kolleginnen und Kollegen spontan einspringen. Eine feste, verlässliche Regelung besteht nicht. Unterstützung vom Arbeitgeber ist nicht gegeben: ›Mein Arbeitgeber hat gesagt, ‚ach, Sie können gerne studieren, wenn Sie das meinen, aber die Arbeit können Sie auch tun, ohne dass Sie studieren, also Kosten, Zeit ist Ihres, sehen Sie zu! Wenn Ihre Arbeitskraft nicht beeinträchtigt ist, dürfen Sie studieren.‘ Aber die finanziellen Mittel und die zeitlichen Möglichkeiten muss ich selber schaffen‹ (G3). Hier deutet sich ein Konflikt an. Offensichtlich sehen die Studierenden im Studium inhaltliche Entwicklungsmöglichkeiten für ihre Arbeit und erwarten daher implizit Unterstützung für ihre Entwicklungsbereitschaft vonseiten des Betriebes. Der Arbeitgeber signalisiert jedoch, dass er keine inhaltliche Weiterentwicklung für notwendig hält und eine bezahlte Teilfreistellung nur als zusätzlichen Kostenfaktor betrachtet. 42 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN Privatleben In Bezug auf das Privatleben werden vor allem Vereinbarkeitsprobleme im Zusammenhang mit der Partnerschaft, der Familie und den Hobbys thematisiert. Einig sind sich alle Befragten darin, dass das Privatleben zugunsten von Beruf und Studium vernachlässigt wird: ›Gestrichen wurde nur Freizeit meistens (lacht). Irgendwie ist das dann aber trotzdem nie einfacher geworden. […] Wenn man, glaube ich, das von Anfang an irgendwie richtig gut organisiert, dann ist das auch machbar […] Man merkt schon, dass auch irgendwie so der Freundes- und Bekanntenkreis in dieser Zeit auch ein bisschen weniger wird und man weniger Kontakt hat, weil man dann irgendwie, weiß ich nicht, mir geht es immer so, gerade zu diesen ganz stressigen Zeiten, ja, ich würde ja gerne, aber einfach keine Kraft und keine Zeit, und das, das merkt man schon.‹ In den Phasen, in denen Zeit für die Pflege sozialer Kontakte wäre, ist die Erschöpfung so groß, dass die Zeit zur Erholung genutzt wird. Die Studierenden haben keine andere Wahl als soziale Kontakte zu vernachlässigen: ›Also wenn ich nicht mehr kann oder die Zeit drängt, dann treffe ich halt keine Freundin, nehme eine Geburtstagseinladung nicht an, eher, als dass ich bei der Arbeit sage: ‚Ach, heute komme ich mal nicht‘ (lacht).‹ Ein Student berichtet zudem, wie sich die Präsenzphasen am Wochenende negativ auf seine Beziehung auswirken, da er weniger Zeit mit seiner Freundin verbringen kann. Auffällig ist, dass Auswirkungen auf die Partnerschaft von Männern und Frauen unterschiedlich bewertet werden. Die Partner gelten als wichtigste Unterstützer, aber auch als besondere ›Leidtragende‹ in der Studienphase. Zwei Frauen berichten, wie wichtig die Unterstützung durch ihre Männer ist, da diese viel Arbeit zu Hause übernehmen müssen. Beide sprechen durch die Versorgung kleiner Kinder beziehungsweise die Pflege eines Angehörigen neben Studium und Beruf von einer Dreifachbelastung. Jedoch beschreiben sie vor allem auch positive Effekte auf ihre Partnerschaft. Sie können die Zeit für die Partnerschaft nun bewusster planen und genießen: ›Mein Mann unterstützt das völlig. Und was ihm aber wichtig ist: Wir planen die Zeiten, die wir jetzt haben, bewusster. Also wir machen einmal die Woche mindestens was Schönes, also dass wir länger spazieren gehen oder ausgehen oder wir rufen uns öfter an. […] Das sind so Zeiten, die wir bewusster planen. Man hat weniger, aber dafür bewusster.‹ Daneben wird von männlichen Befragten in den Interviews beschrieben, wie Erwartungen der Partnerin zu einer zusätzlichen Belastung werden. So berichtet ein Student: ›Und ich bin verheiratet, habe keine Kinder, sonst wäre es sowieso nicht möglich, und meine Frau musste da schon sehr viel aushalten und hat da schon gesagt, wenn ich […] [weiter, Anm. d. Verf.] machen wollen würde, würde sie sich scheiden lassen, also das würde sie nicht weiter mitmachen, dass ich hier noch so quasi als Hobby nebenbei studiere, ich habe ja eine Anstellung, ist so ihr Argument. Sie sieht da nicht diese [...] persönliche Weiterentwicklung. […] Ja, die Freizeit beziehungsweise das familiäre soziale Umfeld ist oft eine Belastung, aber man muss aufpassen, dass man das nicht kommuniziert, dass das eine Belastung ist. Also ich habe gerade zu Anfang dann, ja, doch gewisse Konflikte gehabt.‹ Im Zitat wird sowohl Verständnis für die Situation der Partnerin geäußert als auch die Erwartung, Verständnis für seine Wünsche zu bekommen. Auch ein weiterer Student beschreibt eine zusätzliche Belastung im Privatleben, da Zeit für die Partnerschaft mit Lernzeiten kollidiert: ›[Die, Anm. d. Verf.] Frau wartet zu Hause auf einen und versteht nicht, dass man auch mal Ruhe braucht.‹ Die Beschreibung der Partnerin als ›Fordernde‹ verdeutlicht zum einen, wie schwer es für die berufstätigen Studierenden ist, neben dem Beruf und dem Studium auch ihrem Privatleben gerecht zu werden. Zum anderen wird an dieser Stelle der Untersuchung deutlich, dass die Perspektive der Partner eine Forschungslücke darstellt. Um umfassende Erkenntnisse über Wirkungen der Dreifachbelastung auf das Privatleben verdeutlichen zu können, müssten auch Partnerinnen und Partner oder andere nahestehende Menschen in die Befragung mit einbezogen werden. 43 S TU DI E Bewältigungsstrategien für eine bessere Vereinbarkeit Die von uns befragten berufsbegleitend Studierenden versuchen, die zuvor beschriebenen Vereinbarkeitskonflikte auf ganz unterschiedliche Art zu lösen.3 Insgesamt ist zu berücksichtigen, dass alle Studierenden die Problematik äußern, ihr Privatleben zu sehr zu beschneiden – eine ideale, zufriedenstellende Handlungsstrategie für eine ausbalancierte Vereinbarkeit hat demnach keiner der Studierenden gefunden. Die im Folgenden näher beschrieben Bewältigungsstrategien bilden daher an dieser Stelle nur den Status quo der einzelnen Berufsgruppen ab, in Kapitel 7 werden davon ausgehend weitergehende Handlungsempfehlungen diskutiert, die auch individuelle Handlungsstrategien verbessern können. 1. Trennung der Lebensbereiche und Kompensation von Belastungen Die beschriebenen Strategien sind aktiv auf eine Problemlösung ausgerichtet, wie die bewusste Planung von Tätigkeiten oder auch der Verzicht auf bestimmte Tätigkeiten.4 Eine klare und bewusste Trennung der unterschiedlichen Lebensbereiche fällt ebenfalls unter diese Strategie. In unserem Sample verfolgen Studierende der Fachrichtung Mathematik / Informatik sowie der Fachrichtung Gesundheit / Medizin diese Strategie. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu erwähnen, dass ein Theorie-Praxissowie ein Praxis-Theorie-Transfer – als Schnittpunkt zwischen Studium und Beruf – trotzdem eine zentrale Rolle für die Vereinbarkeit spielen kann und sich motivationsfördernd auswirkt. Wie bereits ausführlich beschrieben, können die Studierenden aus der Berufsgruppe der IT-Branche ihre Arbeitszeit relativ flexibel einteilen und an ein Teilzeitstudium anpassen. Sie können dadurch die drei Lebensbereiche gut voneinander trennen: ›Ja, aber wobei ich das dann schon trenne. […] Von Montag bis Mittwoch ist bei mir Arbeitszeit und Donnerstag, Freitag, Samstag, Sonntag ist sozusagen die Zeit für die Thesis‹ (GI3). Manche können sich sogar bewusst Zeit für ihr Privatleben schaffen: ›Und das Wochenende würde ich mir generell gerne frei halten, weil es dann schon in der Woche schlaucht. […] Ja, bis jetzt funktioniert das, Gott sei Dank!‹ (G2). Andere verzichten in dieser Phase – mehr oder weniger bewusst – auf Teile des Privatlebens. Auch die Berufsgruppe der Sozial- und Pflegeberufe trennen ihre Lebensbereiche bewusst. Sie versuchen beispielsweise, besonders belastende Zeiten im Beruf oder im Studium im Privatleben zu kompensieren, indem sie sich etwas mit dem Partner oder der Familie vornehmen. Auch diese Gruppe nimmt die Belastungen in der Zeit des Studiums als ›notwendiges Übel‹ in Kauf. Dies gelingt ihnen deshalb ganz gut, weil sie ihre Arbeitszeit meist – durch hilfsbereite Kolleginnen und Kollegen – relativ flexibel einteilen können. Es bleibt in unserem Sample offen, ob dies auch anderen Studierenden dieser Berufsgruppe so gelingt. 2. Setzen von Prioritäten und die Entwicklung von Lernstrategien Diese Strategie beinhaltet das Setzen von Prioritäten sowie das bewusste gedankliche Abschalten und die Konzentration auf das Positive.5 Die Lösungsstrategien von Studierenden der Fachrichtung Wirtschaftswissenschaften beziehen sich besonders darauf, Perfektionismus abzulegen. Das heißt, sie versuchen zu akzeptieren, dass sie nur so viel investieren können, wie möglich ist. Dabei ist es ihnen wichtig, anlassbezogene Prioritäten zu setzen, ›damit kein Lebensbereich wegrutscht‹ (G1). Bei wichtigen Anlässen, wie zentralen Projekten im Betrieb, Prüfungsphasen oder einer Hochzeit im engen Freundeskreis, steht mal die Arbeit, mal das Studium und mal das Privatleben im Vordergrund. Sie versuchen sich besonders darauf zu konzentrieren, weiterhin ›an dem normalen sozialen Leben‹ (G1) teilzunehmen. Dabei wird ein Abwägen unter schwierigen Umständen für die Zeit des Studiums bewusst in Kauf genommen: ›Gut, das ist immer ein Abwägen dann auch. Dann könnte man auch sagen, gut, ich strecke das ein bisschen. Ich lasse jetzt ein Modul sein und mache das ein bisschen später. Das habe ich dann ja für mich beschlossen, das muss jetzt hier durchgezogen werden, Ende davon. Dann muss ich halt durch‹ (G1). 44 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN Die Bewältigungsstrategie eines Studierenden aus einem technischen Beruf ist, von der Vorstellung abzurücken, das Studium in der Regelstudienzeit abzuschließen. Er hat für sich anerkannt, dass er durch die Vollzeit-Berufstätigkeit und inhaltliche Herausforderungen (zum Beispiel in Mathematik) länger braucht, um sich bestimmte Dinge anzueignen. Außerdem entwickelt er effiziente Lernstrategien, liest zum Beispiel nicht einen gesamten Text, sondern sucht sich Zusammenfassungen aus dem Internet. ›Also ich sage immer, mittlerweile habe ich die 80 / 20-Methode, das heißt, ich lerne 20 Prozent und versuche 80 Prozent zu erreichen, man muss das Richtige lernen. Bei Elektrotechnik hat es nicht gereicht, da bin ich mit Pauken und Trompeten durchgefallen, dann werde ich es noch mal machen und werde mich anders organisieren. […] Weil dieses viele Lesen und Lernen ist auch berufsbegleitend nicht möglich‹ (I1). Auch hier gilt Zeitmanagement und das Setzen von Prioritäten als zentrale Strategie. Auch das bewusste Einplanen von Zeit für das Privatleben – zumindest für einen Tag in der Woche – ist wichtig, um diesen Lebensbereich nicht völlig zu vernachlässigen. Wie schwierig sich die Situation für diejenigen gestaltet, die ihr Privatleben aufgrund familiärer Pflichten nicht zumindest zeitweise zurückstellen können, zeigt folgendes Zitat eines Studierenden, der nicht von seinem Arbeitgeber unterstützt wird: ›Ich habe jetzt eine kleine Tochter und bekomme jetzt noch eine zweite, und dementsprechend möchte ich die jetzt natürlich auch nicht vernachlässigen in irgendeiner Art und Weise, was wiederum heißt, dass die Abende bei mir lang werden und die Nächte kurz‹ (I2). Dieser Student war zum Zeitpunkt des Interviews im ersten Studiensemester. Es muss infrage gestellt werden, ob diese Alltagsorganisation für ihn weiter durchzuhalten ist, ohne dass seine Gesundheit darunter leidet. 3. Zurückstellen von Lebensbereichen als Krisenintervention Bei dieser Strategie geht es um das Akzeptieren des Vereinbarkeitskonfliktes.6� Ein befragter Student aus einem kaufmännischen Beruf hat eine unbezahlte Freistellung bei seinem Arbeitgeber erwirkt, als Notbremse vor möglichem Studienabbruch. Seither ist seine Strategie darauf ausgerichtet, die Lebensbereiche neben dem Studium zurückzustellen. Er möchte ›nur noch durchkommen‹ (I3) und hat den Anspruch an gute Noten aufgegeben. Es geht lediglich um ein ›Ertragen‹ der schwierigen Studiensituation, um für die bisher investierte Zeit und Energie zumindest einen Studienabschluss zu bekommen: ›Deshalb bin ich echt froh, wenn das Ganze dann bald vorbei ist‹ (I3). Wünsche Der meist genannte Wunsch, mehr Zeit für Partnerschaft, Freunde und Hobbys zu haben, weist auf das Grundproblem der mangelnden Vereinbarkeit hin: ›Ich bin diejenige, die sich nach mehr Zeit sehnt […] für diese Beziehung. Dadurch, dass wir aber beide selbstständig sind und auch an Wochenenden arbeiten, ist das eh knapp mit der Zeit. […] Aber da habe ich auch das Gefühl, dass uns einfach die Zeit fehlt‹ (GI1). Die weiteren Wünsche der Studierenden richten sich besonders an die Arbeitgeber sowie an die Hochschulen. Die Studentinnen aus Sozial- und Pflegeberufen wünschen sich hingegen vor allem strukturelle Änderungen der Finanzierungsmöglichkeiten. Wie bereits deutlich wurde, kommt den Arbeitgebern bei der Vereinbarkeit von Beruf, Studium und Privatleben die zentrale Rolle zu. Besonders häufig werden Wünsche hinsichtlich flexibler Arbeitszeitmodelle (zum Beispiel über ein Bildungsteilzeitkonto) genannt, gefolgt von einer Reduzierung der Arbeitszeit und Freistellungsmöglichkeiten: ›Es müsste eben auch andere, ja, Arbeitszeitmodelle vielleicht geben für Leute, die so etwas machen wollen. Also es gibt ja diesen neuen Tarifvertrag, wir sind ja IGMetall-gebundener Betrieb und da gibt es ja schon den ersten Vorstoß in Richtung dieses Bildungskontos, was bei uns aber leider noch nicht eingeführt wurde. Also 45 S TU DI E vielleicht habe ich da im nächsten Semester ein bisschen Glück. Aber da müsste man eigentlich mehr drauf hinausarbeiten, dass es da bessere Regelungen gibt‹ (I2). Ein weiterer Student beschreibt, wie ein wertschätzendes Entgegenkommen seines Arbeitgebers ihm die Studienzeit erleichtert hätte: ›Wenn ich von Anfang an auf der Arbeit weniger Stunden gehabt hätte und die Überstunden da leichter hätte aufbauen können oder mein Arbeitgeber gleich gesagt hätte, die Tage, die du in die Uni musst, wirst du so freigestellt, ja, also nicht, du musst da nicht deinen Urlaub für aufopfern, wir finden das gut, dass du dich weiterbildest, sondern geh dahin und mache, wir wissen, dass du das letztendlich auch für uns tust, weil du dich ja selber weiterbildest und wir da hoffentlich auch was von haben. Das hätte das Ganze, glaube ich, deutlich vereinfacht.‹ Nur drei der Befragten geben explizit an, sich von Seite der Hochschule mehr Selbststudium über Online-Learning zu wünschen. ›Da […] [meine Arbeit, Anm. d. Verf.] wie ein zweites Zuhause für mich ist, würde ich mir schon wünschen, dass ich mehr Zeit auch dort zum Lernen hätte. Das hatte ich mir zum Beispiel heute vorgenommen. Aber es klappte nicht. Ich glaube, ich bräuchte generell mehr Zeit. Das lässt sich aber nicht ändern. Ich muss einfach mit der Zeit, die ich habe, auskommen‹ (G1). Entsprechende Forderungen resultieren, wie bei dieser Studentin, jedoch aus einem generellen Zeitmangel. Online-Lernen gilt in diesem Fall als weitere Lernstrategie, um ›Phasen des Leerlaufs‹ auf der Arbeit produktiv für das Studium zu nutzen. Insgesamt schätzen alle Studierenden die Präsenzzeiten und den Austausch mit Dozentinnen und Dozenten sowie Kommilitoninnen und Kommilitonen. Eine weitere Forderung an die Hochschulen bezieht sich auf die Studienstrukturen beziehungsweise die Studienordnungen. Wie bereits erwähnt, wünscht sich die IT-Berufsgruppe mehr Flexibilität in der Abschlussphase des Studiums, um auch in dieser Zeit arbeiten zu können, ohne Urlaub nehmen zu müssen: ›Die größte Belastung wäre dann, das mit dem Masterprojekt zu regeln, mit dem Treffen, weil es ist jetzt, glaube ich, abgemacht, dass wir uns donnerstags immer treffen. Und donnerstags arbeite ich immer, von daher ist die größte Belastung dann wirklich die Terminfindung bei den Projekten im Master‹ (GI2). Darüber hinaus besteht der Wunsch an eine ›weichere‹ Studienordnung, die den Druck für berufsbegleitend Studierende reduzieren kann: ›Wenn man mal eine Vorlesung nicht besuchen kann, dann ist es halt so, dann muss ich gucken, ob ich mir das anders erarbeiten kann oder ich besuche die Vorlesung noch mal nächstes Semester. Man muss natürlich aufpassen mit den Prüfungen, teilweise ist es ja so, wenn man eine Prüfung dann nicht bestanden hat, kann man sie irgendwie, glaube ich, noch zweimal wiederholen und dann fliegt man raus. Das ist natürlich tödlich bei den berufsbegleitend Studierenden, ist vielleicht auch ein Punkt, wo man vielleicht über weichere Regeln nachdenken müsste‹ (I1). Die Studentinnen aus den Sozial- und Pflegeberufen, die – wie bereits beschrieben – als größte Belastung die Finanzierung des Studiums angeben, äußern deshalb strukturelle Wünsche an mehr Möglichkeiten der Studienfinanzierung, zum Beispiel über BAföG, Stipendien oder Studienkredite auch für ältere Studierende: ›Also andere finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten wären schon noch toll. Die, die es jetzt gibt, die haben eine relativ hohe Hürde, da ranzukommen oder sind für uns gar nicht mehr möglich, weil wir schon zu alt sind‹ (G3). Eine Studentin versucht zum Zeitpunkt des Interviews, bei ihrem Arbeitgeber eine Zuzahlung zu den Studienkosten über ihr Fortbildungsbudget zu erwirken. Sie schätzt die Chancen allerdings gering ein, da ein Studium in der Regel nicht als Fortbildung gezählt wird. 46 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN Zusammenfassung Aus den empirischen Ergebnissen lassen sich verschiedene Vermutungen, Fragen und Empfehlungen ableiten. Als Studienmotivation geben besonders die jüngeren Befragten im Sample an, ein berufsbegleitendes Masterstudium zu nutzen, um ihre beruflichen Chancen in ihrem Berufsfeld zu festigen und zu erhöhen, gleichzeitig verbinden sie mit der beruflichen auch eine persönliche Weiterentwicklung. Ältere Studierende sowie Studierende von Bachelorformaten nutzen ein berufsbegleitendes Studium, um eine alternative berufliche Perspektive einzuleiten. Studierende der Sozialund Pflegeberufe verbinden neben einem beruflichen Aufstieg beziehungsweise Tätigkeitswechsel den inhaltlichen Anspruch, ihr Berufsfeld mit ihrem Wissen weiterentwickeln zu können. Als größte Belastung bezeichnen die Studierenden die drei Bereiche Studium, Beruf und Privatleben vereinbaren zu müssen. In dieser Konstellation ist die Erwerbsarbeit in der Regel der unflexibelste Bereich, an den Studium und Privatleben angepasst werden müssen. Dabei leidet besonders das Privatleben, da dieses aufgrund des neuen Lebensbereiches Studium zu kurz kommt. Das Privatleben aller Studierenden leidet darunter, das Studium als neuen Lebensbereich zusätzlich zu integrieren. Alle Studierenden wünschen sich mehr Zeit für ihre Freizeit und sozialen Kontakte. Teilweise wirken die Belastungen sich auch negativ auf Partnerschaften aus. Die Bewertung der privaten Rahmenbedingungen unterscheidet sich auch geschlechtsspezifisch. Als unterstützende Maßnahme in dieser Situation können unter anderem Studienprogramme genannt werden, die Partnerinnen und Partner in die Studienorganisation mit einbeziehen. Eine besondere Herausforderung ist die Vereinbarkeit aller Bereiche für Studierende mit Kindern. Die Studienstrukturen werden je nach Angebot unterschiedlich bewertet. Eine Beratung und Begleitung während des gesamten Studienprozesses werden als wertvoll erachtet. Dabei sind besonders ausreichende Transparenz über Studienstrukturen, Präsenzzeiten und inhaltliche Anforderungen zentral. Auch eine enge Verknüpfung zwischen Theorie und Praxis erleichtert die Studienzeit sowie die Vereinbarkeit. Dabei ist außerdem wichtig, dass jede Studienphase mit dem Beruf vereinbar ist. Eine besondere Bedeutung haben außerdem die Mitstudentinnen und Mitstudenten als Gleichgesinnte sowie als Unterstützerinnen und Unterstützer im Lernprozess und bei der Organisation des Studiums. Ein Austausch sollte bewusst gefördert werden. Die Finanzierung des Studiums ist im Vergleich besonders für Befragte der Sozialund Pflegeberufe eine Herausforderung. Hier wäre strukturell mit allen beteiligten Akteuren zu überlegen, welche Finanzierungsmöglichkeiten gemeinsam entwickelt werden können. 47 S TU DI E Da die Studierenden ihren Beruf als zentralen Bereich betrachten, um sich beruflich und persönlich weiterzuentwickeln und den Lebensunterhalt zu sichern, ist die Unterstützung des Arbeitgebers zentral für die Vereinbarkeit zwischen Studium, Beruf und Privatleben. Diejenigen Studierenden, die von Unterstützung durch ihren Arbeitgeber berichten, bewerten die Vereinbarkeit zwischen Studium, Beruf und Privatleben besser als andere. Dabei werden flexible Arbeitszeitmodelle als besonders unterstützend für die Vereinbarkeit empfunden. Neben flexiblen Arbeitszeitmodellen wie Gleitzeit, Vertrauensarbeitszeit oder Home-Office würden besonders Arbeitszeitkonten, Stundenreduzierung nach Bedarf oder Freistellungsoptionen die Vereinbarkeit entscheidend erleichtern. Für Studierende aus Sozial- und Pflegeberufen ist darüber hinaus auch die finanzielle Unterstützung von zentraler Bedeutung. Die hier dargestellten Bewältigungsstrategien der Studierenden können im Zusammenhang mit der Vereinbarkeit als nicht ausreichend bezeichnet werden, um die drei Lebensbereiche angemessen und für die Studierenden zufriedenstellend miteinander zu vereinbaren. Sie sind Versuche, den Alltag besser organisieren zu können. Alle Studierenden müssen Abstriche machen. Dies gelingt besonders den Studierenden besser, die auf Unterstützung des Arbeitgebers oder besonderen Freiraum in ihrem Beruf zurückgreifen können. Bei hohen familiären Verpflichtungen und mangelnder Unterstützung am Arbeitsplatz kann der Versuch, alle Bereiche miteinander zu vereinbaren, zu Konflikten und gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen. 1 Vgl. Kruse (2014), S. 52. 2 Im Anschluss an die Interviews wurde ein kurzer Fragebogen an die Teilnehmenden ausgeteilt, um die wichtigsten soziografischen Daten abbilden zu können. Leider war es aufgrund von Zeitmangel in einem Interview nicht möglich, den Fragebogen von zwei Teilnehmenden ausfüllen zu lassen. Mit Ausnahme der Angabe von Kindern, beziehen sich alle Daten deshalb nur auf 11 von 13 Befragten. 3 Syrek et al. (2014, S. 128 ff.) machen verschiedene Handlungsstrategien der Work-Learn-Life-Balance unter Wissensarbeitern aus. Zum Teil lassen sich die von uns vorgefundenen Handlungsstrategien auf die dort identifizierten Kategorien beziehen. So kann die von uns vorgefundene Trennung von Lebensbereichen und Kompensation der Belastungen der problemorientiert, verhaltensbezogenen Strategie zugeordnet werden. Das Setzen von Prioritäten und die Entwicklung von Lernstrategien fallen in die problemorientierte, kognitive Strategie. Das Zurückstellen von Lebensbereichen als Krisenintervention bezieht sich hingegen auf die vermeidungsorientierte, kognitive Strategie. 4 Vgl. Syrek et al. (2014), S. 128. 5 Nach Syrek et al. (2014), S. 128 ein problemorientiertes, kognitives Verhalten. 6 Vgl. Syrek et al. (2014), S. 129. 48 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN SUSANNE HERMELING JESSIC A HEIB ÜLT Quantitative Befragung In der quantitativen Befragung von Studierenden verschiedener Studiengänge in Bremen konnten von einem Rücklauf von 59 Fragebögen 53 Antworten ausgewertet werden. Der Fragebogen ist am Ende dieses Kapitels abgebildet. Er wurde an Studierende der Studiengänge verteilt, die in Tabelle 1 im 2. Kapitel dargestellt sind. Nicht nur aufgrund der geringen Zahl sind die hier Befragten nicht repräsentativ für alle in Bremen berufsbegleitend Studierenden. Eine repräsentative Befragung wäre mit einem erheblichen Aufwand verbunden, da die Grundgesamtheit der berufsbegleitend Studierenden in allen Studiengängen bisher statistisch nicht erfasst ist. Die Auswertung der vorliegenden Daten gibt daher beispielhafte Einblicke in private, betriebliche und hochschulische Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf, Studium und Privatleben. In der Auswertung konzentrieren wir uns vornehmlich auf auffällige Befunde, aus denen sich Unterschiede nach beruflichem Hintergrund und nach Studienformaten sowie geschlechts- und altersspezifische Differenzen ableiten lassen. Wir unterscheiden drei große Berufsgruppen: technische (einschließlich IT-Berufe), kaufmännische und soziale Dienstleistungsberufe (Erziehungs- und Pflegeberufe). Vorbildungsniveau Von den Befragten haben 35 das Abitur und acht die Fachhochschulreife erworben. Lediglich sechs Befragte haben einen mittleren Schulabschluss oder einen Hauptschulabschluss. Das spiegelt die ohnehin niedrige Quote von Studierenden ohne Abitur an den deutschen Hochschulen wider (2,6 Prozent in Deutschland, 1,42 Prozent in Bremen1). Die Quote der Studierenden mit Abitur und beruflicher Ausbildung liegt mit etwa 20 Prozent wesentlich höher.2 Auffällig ist, dass alle Frauen in unserem Sample das Abitur oder die Fachhochschulreife aufweisen. Das kann unter anderem damit zusammenhängen, dass allein 13 der 19 befragten Frauen in den Branchen Gesundheit und Sozialwesen oder Erziehung und Unterricht arbeiten, in denen viele Ausbildungsberufe von Abiturientinnen absolviert werden.3 Es ist naheliegend, dass insbesondere Abiturientinnen dem Bedarf an wissenschaftlicher Qualifizierung bei den Pflege- und Erziehungsberufen folgen, zumal gerade bei Krankenpflegekräften und Erzieherinnen eine hohe Motivation bestehen dürfte, mit einem Hochschulabschluss ein besseres Einkommen zu erzielen. Die Befragten mit Abitur sind generell jünger; unter den unter 30-Jährigen haben alle die Hochschulreife. In dieser Gruppe von 19 Befragten hat etwa die Hälfte einen Berufsabschluss. Ebenso sind halbe und Dreiviertelstellen in dieser Gruppe häufiger anzutreffen als unter den Älteren. Das hängt wahrscheinlich mit den niedrigeren finanziellen Belastungen der jüngeren Studierenden zusammen, die in dieser Stichprobe alle kinderlos sind. Wiederum entsteht hier das Bild einer spezifischen Studierendengruppe, die bald nach ihrem Berufsabschluss und vor einer Familiengründungsphase mit einem Studium ›durchstarten‹, ohne ihre Erwerbstätigkeit aufzugeben. Hinsichtlich der erworbenen Berufsabschlüsse ergibt sich folgendes Bild. Über die Hälfte der Befragten hat bereits ein Hochschulstudium absolviert und studiert demzufolge nun in einem Masterstudiengang. Fast alle Befragten mit einem Ausbildungsabschluss sowie die fünf Absolventinnen und Absolventen einer Aufstiegsfortbildung an einer Fachschule studieren in einem Bachelorprogramm (n = 16). Sieben haben keine Angabe zu 49 S TU DI E Abb. 1: Schul- und Berufsabschlüsse n = 53 Fach-/ Hochschule Abitur 35 28 19 duale Ausbildung/ Berufsfachschule Berufsabschluss Höchster Schulabschluss 4 keine Angabe 8 Fachhochschulreife 2 4 Berufsbildungsreife mittlerer Schulabschluss ihren Berufsabschlüssen gemacht. Aufgrund möglicher Mehrfachantworten geben fünf Befragte im Sample an, sowohl eine Ausbildung als auch ein Hochschulstudium abgeschlossen zu haben. Auch die Ergebnisse der qualitativen Interviews legen nahe, dass solche langen Bildungswege unter berufsbegleitend Studierenden keine Seltenheit sind. Von den 34 Studierenden der Masterstudiengänge geben drei einen Berufsabschluss als höchsten Abschluss an. Das deutet darauf hin, dass die Möglichkeit des Zugangs zu weiterbildenden Masterstudiengängen auch ohne vorliegenden Bachelorabschluss bei gleichen Qualifikationen immerhin von einigen genutzt wird. Soziodemografische Merkmale der Befragten Die 53 berufsbegleitend Studierenden sind zum Befragungszeitpunkt zwischen 23 und 59 Jahre alt. Der Mittelwert liegt bei 32 Jahren. Dabei sind die Altersgruppen der 20- bis 29-Jährigen (n = 19) sowie der 30- bis 39-Jährigen (n = 20) überrepräsentiert. Acht Studierende sind zwischen 40 und 49 Jahre alt, fünf sind über 50 Jahre alt.4 Männer sind in der Stichprobe überrepräsentiert. Insgesamt haben 19 Frauen und 34 Männer an der Befragung teilgenommen. 5 Fachschule 7 keine Angabe 18 Befragte haben Kinder, davon sechs Frauen und 12 Männer. Zwei Frauen sind alleinerziehend. Nur eine von diesen Frauen hat noch ein Kind im schulpflichtigen Alter. Beide Frauen arbeiten in Vollzeit und geben an, organisatorische Unterstützung von Freunden zu erhalten. Die Vereinbarkeit von Studium und Beruf wird von beiden als ›sehr schlecht‹ beurteilt und die Anforderungen als sehr hoch. Von den Befragten mit Kindern ist niemand unter 30 Jahre alt. In der Altersgruppe zwischen 30 und 39 Jahren haben sieben Befragte Kinder, darunter nur eine Frau. Von den über 40-Jährigen geben fünf Frauen und sechs Männer an, Kinder zu haben. Die Vermutung ist naheliegend, dass berufsbegleitendes Studieren in der Familienphase mit Kindern im Vorschul- und Schulalter schwierig zu bewältigen ist. Dies fällt für Frauen mehr ins Gewicht als für Männer, denn es gibt in der Stichprobe nur Männer mit Kindern im Vorschulalter. Die geschlechtsspezifische Rollenaufteilung in der Sorgearbeit zulasten der Frauen spiegelt sich also in der Befragung wider. Auffällig ist außerdem, dass die Studierenden mit Kindern nicht weniger Stunden arbeiten als Studierende ohne Kinder. Der größere Teil hat eine Vollzeitstelle und leistet darüber hinaus Überstunden ab. Hier zeigen sich die mit Kindern verbundenen höheren finanziel- 50 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN len Belastungen, die eine Arbeitszeitreduzierung erschweren. Unterstützung im privaten Umfeld Bezüglich der Wohnsituation geben die meisten an, mit ihrem Partner oder ihrer Partnerin zusammenzuleben (n = 20) beziehungsweise mit dem Partner / der Partnerin und Kindern zusammenzuleben (n = 14). Die übrigen leben allein mit ihren Kindern zusammen, in einer Wohngemeinschaft oder bei Familienangehörigen. Alleinlebend sind nur 13 Studierende. Bei der Konzeption der Untersuchung war unter anderem die Hypothese maßgeblich, dass Unterstützung im privaten Umfeld für eine gute Vereinbarkeit zwischen Studium und Beruf wichtig ist. In Abbildung 2 wird dargestellt, welche Menschen im privaten Umfeld als unterstützend empfunden werden und in Abbildung 3, in welcher Form die Befragten Unterstützung erfahren. Mehrfachantworten waren jeweils möglich. Die Partnerinnen und Partner spielen insgesamt die größte Rolle bei der Unterstützung im Studium. Diese leisten vor allem Zuspruch und entlasten bei der Hausarbeit. Diejenigen, die ihre Eltern beziehungsweise einen Elternteil als Unterstützung angegeben haben, gehören eher zu den jüngeren Teilnehmenden der Befragung, von ihnen sind acht unter 30 Jahre beziehungsweise 13 unter 35 Jahre alt. Insgesamt elf Befragte haben angegebenen, in ihrem privaten Umfeld keinerlei Unterstützung zu erfahren, darunter befinden sich fünf Alleinlebende sowie sieben Männer und zwei Frauen. Die bei Weitem häufigste Form der Unterstützung ist Zuspruch und Vertrauen. Auch in den Interviews berichten Studierende, wie wichtig es ist, dass das nahe Umfeld den mit der Studienaufnahme verbundenen Zeitmangel für Partner und Familie grundsätzlich akzeptiert. Studierende in festen Partnerschaften scheinen insgesamt gegenüber alleinlebenden im Vorteil zu sein. Zwar beschreiben einige Studierende in den Interviews belastende Forderungen in der Partnerschaft, ebenso betont wird jedoch von vielen die unterstützende Seite. Da jedoch fast alle Studierenden erzählen, dass sie Freundeskreis, Sport oder ehrenamtliche Tätigkeiten vernachlässigen müssen, scheint der Partner oder die Partnerin im Ausgleich für einen kontinuierlichen sozialen Rückhalt zu sorgen. Bemerkenswert ist, dass 19 Befragte angaben, dass sie von Kommilitoninnen und Kommilitonen unterstützt werden. Diese werden damit auch dem privaten Bereich zugeordnet. Besonders oft genannt wird in diesen Fällen der fachliche Austausch und bei einigen die organisatorische Zuarbeit als Entlastungsform. In der Befragung geben mehr als die Hälfte der Studierenden (n = 32) an, sich mehr Zeit für den Austausch mit Studienkollegen zu wünschen. Neben dem fachlichen Austausch (n = 30, Mehrfachnennungen möglich) soll jedoch auch der persönliche Austausch (n = 24, Mehrfachnennungen möglich) eine Rolle spielen. Auch dieses Ergebnis wird in den qualitativen Interviews bestätigt. Dort werden Studienkolleginnen und Studienkollegen zum Abb. 2: Unterstützung im privaten Umfeld erhalte ich von … n = 53, Mehrfachnennungen möglich 3 anderen Familienangehörigen Kind/Kindern niemandem Freundinnen/Freund Eltern/Elternteil Studienkollegen Partnerin/Partner 4 9 11 16 19 36 51 S TU DI E Abb. 3: Ich erhalte Unterstützung im privaten Umfeld in folgender Form … n = 53, Mehrfachnennungen möglich Zuspruch und Vertrauen zeitliche Entlastung bei der Hausarbeit 13 12 fachlicher Austausch gar nicht 7 finanziell 6 zeitliche Entlastung bei der Kinderbetreuung organisatorische Zuarbeit 3 Seelsorge 3 zeitliche Entlastung bei der Betreuung einer/eines Angehörigen 27 1 1 Teil als wichtige Ansprechpersonen in Krisenzeiten beschrieben. Einige beschreiben die Gruppe von Studierenden als soziales Netz, in dem sie gehalten werden und das ihnen hilft, Phasen der Anstrengung durchzuhalten. Betriebliche Rahmenbedingungen Von 53 Befragten geben 33 an, einem großen Unternehmen mit mehreren betrieblichen Standorten anzugehören, drei machten keine Angabe. Die meisten arbeiten an einem großen betrieblichen Standort mit über 500 Beschäftigten (n = 20). Elf Befragte arbeiten in einem Betrieb mit unter 50 Beschäftigten. Erwartungsgemäß würde man unter den großen Unternehmen eine finanzielle Beteiligung am Studium eher erwarten. Es finden sich jedoch vier kleinere Unternehmen mit unter 250 Beschäftigten, die Studierende (teilweise) bezahlt freistellen oder sich an direkten Kosten beteiligen. Insgesamt geben 16 Studierende eine finanzielle Beteiligung ihres Arbeitgebers an. Die berufliche Tätigkeit der meisten Befragten ist in den personenbezogenen Dienstleistungen (n = 21) und im technischen Bereich (n = 18) angesiedelt. Kaufmännische Tätigkeiten (n = 10) sind unter den Berufsgruppen im Sample folglich unterrepräsentiert. In der Fachrichtung Wirtschaftswissenschaften wurden zwar zwei Studiengänge befragt, diese sprechen jedoch unterschiedliche Berufsgruppen mit ihrem Angebot an (siehe Abbildung 1 in Kapitel 2). Gegliedert nach Branchen arbeitet die Mehrheit der Befragten im verarbeitenden Gewerbe (n = 15), in Erziehung und Unterricht (n = 11) sowie im Gesundheits- und Sozialwesen (n = 10). In der Logistik (n = 4) und in wirtschaftsbezogenen Dienstleistungen (n = 2) sind sechs Befragte beschäftigt. Die Branchen Handel und Reparatur sowie Gastgewerbe sind nur mit jeweils einem Befragten vertreten. In den qualitativen Interviews werden die Arbeitszeiten im Handel als sehr ungünstig für ein berufsbegleitendes Studium beschrieben, das könnte zu einer niedrigen Studienteilnahme von Beschäftigten dieser Branche führen. Ähnliches ist für das Gastgewerbe anzunehmen. Unter den zehn Befragten, die im Schichtbetrieb tätig sind, arbeiten bis auf eine Studierende alle in Teilzeit, in der Regel auf halben Stellen. In dieser Gruppe sind vornehmlich Frauen, die im Gesundheits- und Sozialwesen arbeiten. Die Interviews mit Expertinnen und Experten in unserer Studie bestätigen, dass flexible 52 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN Abb. 4: Folgende Personen im Betrieb sind über mein Studium informiert n = 53, Mehrfachnennungen möglich alle Kolleginnen/Kollegen mein/e direkte/r Vorgesetzte/r 30 29 die Geschäftsleitung einige vertraute Kolleginnen/Kollegen 40 12 niemand 1 Dienstpläne in dieser Branche die Vereinbarkeit mit dem Studium erleichtern. Die starren Wechselschichten im verarbeitenden Gewerbe erschweren dagegen die Teilnahme an Präsenzveranstaltungen erheblich. Auch in unserer Stichprobe sind keine in Schichtarbeit Beschäftigten aus dem verarbeitenden Gewerbe vorhanden. Alle Befragten aus dem verarbeitenden Gewerbe arbeiten im regulären Tagdienst, viele haben zudem Gleitzeitregelungen und Arbeitszeitkonten. Außerdem sind in dieser Gruppe relativ viele Führungskräfte, die möglicherweise über Gestaltungsfreiräume verfügen, die sie für die Vereinbarkeit von Beruf und Studium nutzen können. Von den befragten Studierenden arbeiten 15, darunter zehn Frauen, auf Teilzeitstellen. Die meisten Befragten arbeiten damit auf Vollzeitstellen von 35 bis 42 Vertragsstunden pro Woche. Gut die Hälfte der Befragten aller Berufsgruppen (n = 28) gibt an, regelmäßig Überstunden zu leisten. 18 Beschäftigte kommen damit auf eine reale Wochenarbeitszeit von über 41 bis hin zu 55 Stunden. Erstaunlicherweise ist die für das Studium aufgewendete Zeit fast genauso hoch veranschlagt wie bei den Beschäftigten mit 30 bis 40 Stunden Arbeitszeit. So ergeben sich bei den Vollzeitbeschäftigten mitunter 70 Stunden pro Woche für Beruf und Studium. Bei den Beschäftigten mit bis zu 30 Arbeitsstunden im Betrieb liegen die für das Studium aufgewende- ten Stunden höher. Nach dem Mittelwert der angegebenen Stundenzahlen für Beruf und Studium zusammen, ergibt sich für die Befragten am häufigsten eine 60-Stunden-Woche. Von den Studierenden, die ihre Arbeitszeit sehr gut (n = 7) oder eher gut (n = 8) an ihr Studium anpassen können, greifen nahezu alle auf flexible Arbeitszeitmodelle zurück (n = 13), einige wenige auch auf Arbeitszeitkonten oder HomeOffice. Schichtarbeit kommt in dieser Gruppe nur zweimal vor. In der Gruppe, die die Vereinbarkeit als sehr schlecht (n = 8) oder eher schlecht (n = 9) bezeichnet, können nur zwei Befragte von flexiblen Arbeitszeiten profitieren. Schichtarbeit kommt in dieser Gruppe dreimal vor. Die Stichprobe zeigt also einen sehr klaren Zusammenhang von flexiblen Arbeitszeitmodellen und guter Vereinbarkeit. Dieser Zusammenhang ist in unserer Stichprobe sogar stärker als der von reduzierten Arbeitsstunden und guter Vereinbarkeit. Unterstützung im Betrieb Unsere Studie zeigt, dass die Berufstätigkeit für die meisten berufsbegleitend Studierenden aus verschiedenen Gründen Priorität vor dem Studium genießt. Die Erwerbstätigkeit gilt als existenzieller und unerlässlicher Lebensbereich. Die Arbeitszeit zeitlich zu beschränken, kommt für viele, gerade ältere, Studierende oft schon aus finanziellen Gründen nicht 53 S TU DI E infrage. Viele Beschäftigte wollen unter Umständen auch nicht ihre Position im Betrieb gefährden. Aufgrund der hohen Doppelbelastung sind aber gerade eine Reduzierung und Flexibilisierung von Arbeitszeiten, Freistellungen und andere gezielte Unterstützung durch die Arbeitgeber für den Studienerfolg ausschlaggebend. Der Betrieb muss also ›mitspielen‹. Nicht erstaunlich ist es deshalb, dass nur ein Befragter niemanden in seinem Betrieb über sein Studium informiert hat (vgl. Abbildung 4). Einige Studiengangsverantwortliche in den Interviews mit Expertinnen und Experten berichten, dass mitunter Beschäftigte, die einen Stellenwechsel anstreben, ihr Studium im Betrieb gar nicht erwähnen. Da sich jedoch die Rahmenbedingungen dann äußerst schwierig gestalten, ist dies wohl selten lange durchzuhalten. Im Regelfall scheinen tatsächlich alle Kolleginnen und Kollegen im Bilde zu sein und bei über der Hälfte der Befragten sind auch die Vorgesetzten und Geschäftsleitungen informiert. Um ein Bild davon zu bekommen, von wem und in welcher Form die Studierenden unterstützt werden, wurden Fragen mit verschiedenen Auswahlmöglichkeiten gestellt. In Abbildung 5 wird deutlich, dass die Vorgesetzten bei Weitem die wichtigsten Unterstützer im Betrieb sind (n = 29). Auffällig ist auch, dass zwar 37 Befragte angeben, dass es in ihrem Betrieb einen Betriebs- oder Personalrat gibt, jedoch nur drei Befragte sich von ihrem Betriebsrat unterstützt sehen. In zwei von diesen drei Fällen beteiligt sich der Betrieb allerdings finanziell am Studium. Bemerkenswert ist weiterhin, dass knapp die Hälfte aller Studierenden (n = 23) gar keine Unterstützer im Betrieb hat. Trotzdem sind auch in dieser Gruppe Studierende, die seit ihrem Studium andere Aufgaben (n = 3) oder mehr Verantwortung (n = 2) übernehmen, weitere (n = 4) bearbeiten ihre Aufgaben anders als zuvor. Sie machen also ihr Studium weitgehend selbsttätig für ihre Arbeit nutzbar. Die organisatorische Unterstützung seitens der Betriebe in unserem Sample erstreckt sich im Wesentlichen auf die zeitliche Flexibilität. Das ist für die Studierenden eine zentrale Regelung, die allerdings auch nur in 18 Fällen angegeben wurde. Betriebliche Einrichtungen (wie Kitas) als eine Antwortoption werden von keinem Studierenden als Unterstützungsform seitens des Betriebes angegeben (Abbildung 6). Inhaltliche Fragen werden im Betrieb selten bearbeitet und die Vergabe von studienrelevanten Aufgaben an Studierende kommt in unserer Stichprobe nur zweimal vor (Abbildung 6). So scheinen also auch Vorgesetzte, die das Studium durch mehr zeitliche Flexibilität fördern, keinen gezielten Theorie-Praxis-Transfer zu schaffen. Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil 22 Befragte angeben, dass sie seit ihrem Studium Aufgaben anders bearbeiten oder andere Aufgaben im Betrieb übernehmen, und in fünf Fällen sogar mehr Verantwortung tragen. Ein Theorie-Praxis-Transfer findet also bei 22 Befragten schon während des Studiums statt, jedoch kommt in diesen Fällen wohl eher bereits erworbenes Wissen zur Anwendung, als dass Lernprozesse gezielt in die Arbeit eingebettet werden. Von den Abb. 5: Ich erhalte Unterstützung im Betrieb von … n = 53, Mehrfachnennungen möglich 29 23 13 3 Vorgesetzten niemandem Kolleginnen/ Kollegen Betriebs-/Personalrat 1 keine Antwort 54 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN Beschäftigten, die schon während des Studiums andere Aufgaben übernehmen, werden erstaunlicherweise nicht alle von ihrem Arbeitgeber durch die Übernahme direkter Kosten oder Teilfreistellungen unterstützt. Hier profitiert also zunächst nur der Betrieb von den Bildungsinvestitionen der Beschäftigten. Insgesamt 16 Befragte werden von ihren Arbeitgebern finanziell unterstützt, acht durch die Übernahme von direkten Kosten, sechs durch die Freistellung für alle Präsenzveranstaltungen und einmal durch eine Teilfreistellung. In elf Fällen kooperiert der Betrieb mit der Hochschule und beteiligt sich dann in der Regel auch finanziell. Diese kooperierenden Betriebe gehören fast ausschließlich dem Gesundheits- und Sozialwesen oder Erziehung und Unterricht an, die nutznießenden Studierenden sind damit vor allem Frauen. Wir wollten von den Studierenden außerdem wissen, ob sie von einer tarifvertraglichen oder betrieblichen Vereinbarung zur Weiterbildung profitieren. Jedoch wissen nur zwölf Befragte von einer solchen Regelung in ihrem Betrieb. Und nur ein Beschäftigter im Gesundheits- und Sozialwesen gibt an, dass ihm die Vereinbarung die Studienentscheidung erleichtert hat. Hier wird deutlich, dass formale Regelungen und Betriebsvereinbarungen oft fehlen oder intransparent sind. Und wenn es Regelungen gibt, scheinen diese in der Praxis keine große Wirksamkeit zu entfalten. Hochschulische Rahmenbedingungen Wir hatten die Studierenden gebeten, zu schätzen, wie viele Stunden sie pro Woche für das Studium aufwenden. Die Zeitangaben variieren sehr stark zwischen den Studiengängen. In den Studiengängen der Fachbereiche Medizin / Gesundheit und Erziehungswissenschaften wenden die Studierenden 20 bis 25 Stunden pro Woche auf, in den restlichen Studiengängen 15 bis 19 Stunden. Die Angaben korrespondieren deutlich mit der hohen Teilzeitquote unter den vornehmlich weiblichen Studierenden aus den pädagogischen und Pflegeberufen in den ersten beiden Studiengängen. Das Votum der Studierenden zu mehr E-Learning-Anteilen im Studium korrespondiert allerdings nicht mit dem Umfang ihrer Arbeitsstunden. Insgesamt nur 18 Studierende wünschen sich mehr E-Learning, 23 geben ein negatives Votum ab, neun Studierende sind sich unsicher, drei geben keine Antwort. Das in Politik und Forschung viel diskutierte E-Learning als wichtiger Ansatz, um das Studium für Berufstätige attraktiver zu gestalten, wird von unseren Befragten also eher verhalten aufgenommen. Die Gruppe, die sich mehr E-Learning wünscht, ist al- Abb. 6: Unterstützung im Betrieb erhalte ich in folgender Form … n = 53, Mehrfachnennungen möglich durch zeitliche Flexibilität gar nicht 15 keine Antwort 12 durch Zuspruch und Vertrauen 11 bei inhaltlichen Fragen 6 durch Überlassung von studienrelevanten Arbeiten Sonstiges 2 1 18 55 S TU DI E tersdurchmischt und bringt unterschiedliche Bildungsvoraussetzungen mit. Ein erhöhter Bedarf an Online-Angeboten ist jedoch in zwei Studiengängen auszumachen. Zum einen in dem berufsbegleitenden Bachelorprogramm der Fachrichtung Berufspädagogik. Hier studieren Beschäftigte aus technischen Berufsgruppen, die Vollzeitstellen haben. Die Vollzeitarbeit erschwert die Teilnahme an einigen Präsenzveranstaltungen, die eigentlich Teil des Regelstudienangebots sind und damit nicht abends, sondern tagsüber stattfinden. Dass diese Veranstaltungen nicht berufsbegleitend konzipiert sind, geben die Studierenden als ihr Hauptproblem mit den Studienbedingungen an. In den freien Antworten wird das von fast allen Befragten dieses Studiengangs geäußert. In dem zweiten Bachelorstudiengang mit einem höheren Bedarf an E-Learning studieren Pflegekräfte. Diese sind zwar einerseits relativ oft in Teilzeit beschäftigt und können damit mehr Stunden für ihr Studium aufwenden; andererseits ist in dieser Gruppe Schichtarbeit an der Tagesordnung. Zwar sind die Schichten flexibel genug, um ein Studium berufsbegleitend zu bewältigen, dennoch wird die Anstrengung durch die Schichtarbeit in den freien Antworten mehrfach thematisiert. Auch Überstunden sind durch den Personalmangel in dieser Berufsgruppe keine Seltenheit. Eine teilweise Reduzierung von Präsenzzeiten im Studium könnte also für die Studierenden entlastend wirken. In den anderen berufsbegleitenden Studiengängen wird, trotz der hohen Quote an Vollzeitbeschäftigten, kaum Bedarf geäußert oder E-Learning sogar explizit abgelehnt. Eine mögliche Erklärung für die tendenzielle Ablehnung von E-Learning ist nach Aussagen in den qualitativen Interviews, die hohe Motivation, die Studierende durch den direkten Austausch mit Dozentinnen und Dozenten sowie Kommilitoninnen und Kommilitonen erhalten. Die Anstrengung der abendlichen Präsenzveranstaltungen wird also durch die Motivation und das Wohlbefinden in der Studiengruppe aufgewogen. Nach Aussagen der Studierenden kann die Motivation, sich am Ende des Arbeitstages an einen PC zu setzen, dagegen als eher gering eingeschätzt werden. In den qualitativen Interviews wurde geäußert, dass die Studierenden generell gerne mehr Zeit für alle Lebensbereiche, so auch für das Studium beziehungsweise ›das Studentenleben‹ hätten. Ebenso wünscht sich die Mehrheit der Befragten (n = 32) mehr Zeit mit ihren Kommilitoninnen und Kommilitonen für fachlichen aber auch für persönlichen Austausch. Dieser Wunsch wird von Studierenden in allen fünf Studiengängen geäußert. Die Antwort unterstreicht noch einmal die Schlüsselrolle, die die sozialen Kontakte für den Studienerfolg und die Überwindung von individuellen Krisen haben. Über die Hälfte der Studierenden bestätigt, dass sie ihre berufliche Praxis sehr gut (n = 8) oder eher gut (n = 21) in ihr Studium einbringen können. 16 Befragte bewerten diesen Aspekt mit teils / teils und nur sieben als eher oder sehr schlecht. Die Antworten deuten darauf hin, dass es den Studiengangsverantwortlichen oft gelingt, das Studium praxisnah zu gestalten. Viele Studierende scheinen also von ihrer Berufserfahrung zu profitieren und sich damit einen Teil der Inhalte leichter erschließen zu können. Dies korrespondiert auch mit Aussagen von Studiengangsverantwortlichen in den Interviews. Auf die Frage, wie gut es gelingt, Studieninhalte in die berufliche Praxis einzubringen, antwortet die Hälfte der Studierenden mit sehr gut (n = 4) oder eher gut (n = 20). 21 Befragte sehen den Theorie-Praxis-Transfer nur teils / teils eingelöst und sieben bewerten ihn als schlecht. Zu bedenken ist hierbei, dass wohl viele berufsbegleitend Studierende im Betrieb weitgehend auf sich gestellt sind, wenn es darum geht, das erlernte Wissen anzuwenden. Auffällig ist, dass in dem erziehungswissenschaftlichen Masterstudiengang der Theorie-Praxis-Transfer als besonders gut bewertet wird. Das hängt vermutlich damit zusammen, dass bei diesem Angebot eine sehr homogene Studierendengruppe mit einem klaren Berufsbild angesprochen wird. Auch das inhaltliche Feld des Studienangebots ist klar umgrenzt. 56 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN Abb. 7: In welchem dieser Bereiche empfinden Sie die größte Belastung? (n = 53) 23 10 11 Studium Größte Herausforderungen und Wünsche für eine bessere Vereinbarkeit Von den drei großen Lebensbereichen empfinden die meisten Befragten das Studium als größte Herausforderung, was wohl auch damit zusammenhängt, dass es als neue Aufgabe den Lebensalltag entscheidend verändert. Die qualitativen Interviews mit Studierenden bestätigen, dass auf den Lebensbereich Beruf meist eine höhere Priorität gesetzt wird, weil dieser als existenzsichernd und unentbehrlich ausgemacht wird. Einige Befragte geben an, dass die mehrfachen Belastungen insgesamt und die Koordination der drei Lebensbereiche als größte Anstrengung wahrgenommen werden. Das Studium wird vor allem dann als Belastung empfunden, wenn sich Präsenzveranstaltungen regelmäßig mit Arbeitszeiten überschneiden, wenn Standorte von Vorlesungen wechseln und für einzelne Veranstaltungen Anfahrtszeiten anfallen. Auch die Präsenzlehre in den Abendstunden, Selbstlernzeiten und Prüfungsphasen werden von einigen als besonders belastend gekennzeichnet. Bei den Belastungen im Beruf stehen unflexible Arbeitszeiten, Schichtarbeit und hohe Anforderungen im Vordergrund. Bei Belastungen im Privatleben steht der Zeitmangel im Vordergrund, der dazu führt, dass Hobbys und soziale Kontakte vernachlässigt werden müssen. In einigen Fällen führt dieser Zeitmangel vermutlich auch zu Konflikten in der Partnerschaft oder der Familie. Beruf 9 Privatleben Privatleben keine Antwort Oft geäußerte Wünsche für eine bessere Vereinbarkeit richten sich auf flexiblere Arbeitszeiten und teilweise Freistellungen für das Präsenzstudium seitens des Arbeitgebers. Im Studium selbst sollen vor allem Prüfungsphasen zeitlich entzerrt werden, Präsenzlehre soll möglichst im Block stattfinden, Stundenpläne sollen auf lange Sicht transparent, planbar und verlässlich sein. Diese Wünsche an die Gestaltung von Studiengängen äußern Befragte fast aller Studiengänge. Nur ein berufsbegleitender Masterstudiengang der Fachrichtung Wirtschaftswissenschaften erfüllt offensichtlich die Bedürfnisse der Berufstätigen nach Flexibilität einerseits und guter Planbarkeit andererseits schon sehr weitgehend. Studienfinanzierung Von den befragten Studierenden greifen 20 neben der Erwerbsarbeit auf weitere Quellen zurück, um ihr Studium zu finanzieren. Das ist schon deshalb notwendig, weil viele berufsbegleitend Studierende Studiengebühren tragen oder fehlendes Einkommen durch Arbeitszeitreduzierung ausgleichen müssen. In Abbildung 8 wird gezeigt, dass in elf Fällen eigene Rücklagen aufgebraucht, mitunter aber auch Kredite aufgenommen oder privat Schulden gemacht werden. Nur drei Studierende beziehen ein Stipendium oder BAföG. Neun Befragte geben lediglich Rücklagen oder Kredit, nicht aber ihre Erwerbsarbeit als Quelle für die Studienfinanzierung an, obwohl in dieser Gruppe alle eine Vollzeitstelle haben. Da 57 S TU DI E alle in dieser Gruppe Studierende weiterbildender Masterstudiengänge sind, haben sie wohl allein die anfallenden Studiengebühren und nicht die Lebenshaltungskosten in ihrer Antwort berücksichtigt. Für weiterbildende Masterstudiengänge fallen durchschnittlich 15.000 Euro Studiengebühren an. Die Ergebnisse unterstreichen die existenzielle Bedeutung von Erwerbsarbeit gerade für ältere Studierende, die in der Regel nicht auf Stipendien oder andere Formen der öffentlichen Förderung zurückgreifen können. Zusammenfassung Mehrere Beobachtungen können aus der Befragung abgeleitet werden, die Hinweise auf weiteren Forschungsbedarf und Handlungsfelder geben. Geschlecht und Lebensphasen Unter den befragten Studierenden sind keine Frauen ohne Hochschulreife. Der Großteil der befragten Frauen sind Abiturientinnen aus Pflege- und Erziehungsberufen. In künftigen Untersuchungen müsste in den Blick genommen werden, ob eine geschlechtsspezifische Selektion bei Studierenden des dritten Bildungsweges besteht. Womöglich besteht ein Zusammenhang mit mangelnden ökono- mischen Ressourcen oder der Belastung durch familiäre Sorgearbeit gerade bei Frauen ohne Hochschulreife. Immerhin sind Einflüsse von geschlechtsspezifischer Sorgearbeit auch in unserer Stichprobe sichtbar. Es sind zwar Männer, aber keine Frauen mit Kindern im Vorschulalter unter den Befragten. Insgesamt scheint es häufiger vorzukommen, dass Beschäftigte eher vor oder am Ende ihrer Familienphase ein Studium aufnehmen. Studierende mit Kindern arbeiten genauso häufig in Vollzeit, wie berufsbegleitend Studierende ohne Kinder. Sehr wahrscheinlich können sie aufgrund der höheren finanziellen Belastungen ihre Arbeitszeit nicht reduzieren. Die Studienentscheidung hängt sicher in hohem Maße davon ab, in welcher Lebensphase sich Männer und Frauen befinden. Daraus ergeben sich unterschiedliche Bedürfnisse hinsichtlich der Vereinbarkeit. Auffällig ist eine jüngere Studierendengruppe mit Hochschulreife, die offensichtlich kurz nach der Berufsausbildung oder dem Bachelorabschluss ein (weiterführendes) Studium nachholt, ohne ihre Berufstätigkeit aufzugeben. Diese Gruppe arbeitet oft in Teilzeit und kann also – anders als die ältere Studierendengruppe – ihre Erwerbstätigkeit zugunsten eines Studiums stärker einschränken. Wahrscheinlich hängt das mit geringen Abb. 8: Wie finanzieren Sie Ihr Studium? n = 53, Mehrfachnennungen möglich Einkommen aus Erwerbsarbeit Rücklagen finanzielle Unterstützung der Familie 5 Sonstiges 4 4 Kredit Finanzierung durch Arbeitgeber 3 keine Antwort Stipendium 2 BAföG 2 finanzielle Unterstützung des Partners/der Partnerin 1 1 11 40 58 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN finanziellen Verpflichtungen in dieser kinderlosen Gruppe zusammen. Weitere Studien müssten zeigen, ob die vergleichsweise günstigen Voraussetzungen dieser Gruppe in einem höheren Studienerfolg und einer kürzeren Studiendauer münden. Privates Umfeld Studierende werden sehr häufig von Partnerinnen und Partnern durch Zuspruch und Entlastung bei der Hausarbeit unterstützt. Hier scheinen Studierende in festen Partnerschaften eher Vorteile gegenüber allein lebenden zu haben. Es entsteht der Eindruck, dass die empfundenen Belastungen in der Studienzeit wesentlich auch von der grundsätzlichen Akzeptanz im nahen Umfeld der Studierenden abhängen. In einem Studiengang werden Partnerinnen und Partner zum Beispiel in Informationsveranstaltungen und Studienreisen einbezogen. Dies sollte in der Konzeption zukünftiger berufsbegleitender Studienangebote berücksichtigt werden. Als wichtige Unterstützer werden außerdem Kommilitonen und Kommilitoninnen benannt. Das korrespondiert damit, dass sich viele Studierende mehr fachlichen und persönlichen Austausch mit anderen Studierenden wünschen. Auch in Experteninterviews mit Studiengangsverantwortlichen ist dies thematisiert worden. In einigen Studiengängen ist daher der Aufbau eines Netzwerks unter den Studierenden in das didaktische Konzept eingebettet. Möglichkeiten des Austausches unter ›Gleichgesinnten‹ sollten daher in allen berufsbegleitenden Studiengängen eine Rolle spielen. Rahmenbedingungen und Unterstützung im Betrieb Die Bewertung der Vereinbarkeit von Studium und Beruf hängt sehr stark an der Flexibilität von Arbeitszeitmodellen. Starre Anwesenheitspflichten und unflexible Wechselschichten erschweren die Teilnahme an Präsenzveranstaltungen erheblich. Hier bieten wohl die Branchen Handel oder verarbeitendes Gewerbe im Schichtbetrieb vergleichsweise ungünstige Voraussetzungen. Relativ wenig Studierende arbeiten zudem auf Teilzeitstellen. Möglicherweise wäre eine Reduzierung der Arbeitszeiten für viele finanziell zu belastend oder beruflich nicht umsetzbar. Für die meisten Befragten ergibt sich mit Lern- und Arbeitszeiten eine 60-Stunden-Woche, die kaum mehr Erholungsphasen zulässt. Vorgesetzte scheinen die wesentlichen Rahmenbedingungen für eine bessere Vereinbarkeit zu schaffen, in der Regel in Form von flexibleren Arbeitszeiten. Inhaltliche Unterstützung und ein gezielter Theorie-Praxis-Transfer sind dagegen eher selten. Hier sind vor allem die Beschäftigten selbst tätig, in dem sie ihr erworbenes Wissen bei der Bearbeitung ihrer Aufgaben anwenden. Obwohl also Betriebe nicht selten schon während eines Studiums von erworbenem Wissen profitieren, ist das finanzielle Engagement in Form der Übernahme von direkten Kosten oder bezahlten Freistellungen wenig ausgeprägt. Auch tarifliche oder betriebliche Weiterbildungsvereinbarungen sind eher die Ausnahme, und wenn sie vorhanden sind, scheinen sie auf Studienentscheidungen und eine bessere Vereinbarkeit wenig Wirkung zu zeigen. Hier besteht auf betrieblicher Seite noch bedeutender Handlungsspielraum. 59 S TU DI E Rahmenbedingungen in den Hochschulen Weniger als die Hälfte der Befragten wünscht sich höhere Anteile von E-Learning als Bestandteil des Studiums und etwa die Hälfte der Studierenden lehnt dies ausdrücklich ab. Gründe für einen höheren Bedarf an E-Learning liegen nach den Ergebnissen unserer Befragung wohl vor allem in der zeitlichen Organisation eines Studiums begründet. Wenn das Studienformat vollständig berufsbegleitend konzipiert ist, wird die Präsenzlehre auch von Vollzeitbeschäftigten dem E-Learning vorgezogen. Der Austausch mit Studienkolleginnen und Studienkollegen scheint hier ausschlaggebend zu sein, weil er die Motivation stark erhöht. Grundsätzlich wünschen sich die Studierenden aller Studiengänge sogar noch mehr Zeit für fachlichen und ebenso für persönlichen Austausch mit anderen Studierenden. Dies sollte in der didaktischen Konzeption von berufsbegleitenden Studiengängen berücksichtigt werden. Viele Studierende können nach eigenen Angaben berufliche Inhalte in das Studium einbringen. Etwa die Hälfte der Studierenden berichtet auch von einem gelungenen Theorie-Praxis-Transfer. Das korrespondiert damit, dass viele Studierende angeben, ihre Aufgaben bereits in der Studienzeit anders zu bearbeiten als zuvor. Diese Bemühungen können seitens der Hochschulen noch stärker unterstützt werden, zum Beispiel indem Möglichkeiten für die Studierenden bestehen, sich darüber auszutauschen, in welcher Form sie Studieninhalte für die Arbeit nutzbar machen. Da die meisten berufsbegleitend Studierenden der existenziellen Erwerbstätigkeit Priorität vor dem Studium einräumen, werden Belastungen im Studium vermutlich stärker empfunden. Daher richten sich Änderungswünsche der Studierenden auch noch häufiger an die Hochschulen als an die Betriebe. Wichtig sind organisatorische Rahmenbedingungen bei der Gestaltung von Prüfungsphasen und von Präsenzveranstaltungen, diese sollten beispielsweise im Block liegen und lange Zeit im Voraus verlässlich planbar sein. 1 Im Land Bremen wurden 2013 406 Studierende ohne Abitur gezählt. Vgl. Studieren ohne Abitur (o. J.): Daten-Monitoring [Zugriff am 15.01.2016]. 2 Vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2014), S. 126. 3 Vgl. BIBB (2014), S. 228. 4 Ein Studierender hat keine Altersangabe gemacht. 60 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN Fragebogen für die Studie: ›Berufsbegleitendes Studieren im Land Bremen‹ Zunächst bitten wir Sie um allgemeine Angaben zu Ihrer Person. 8. Welche /n beruflichen Abschluss / Abschlüsse haben Sie? Mehrere Antworten möglich 1. Ich bin … weiblich männlich 2. Ich bin geboren im Jahr … Lehre / Berufsfachschule Meister / Techniker / Fachschule Fachhochschule / Hochschule anderer Abschluss, und zwar: Nennen Sie bitte Ihr Geburtsjahr im Format jjjj 3. Ich besitze die Staatsangehörigkeit von … Mehrere Antworten möglich Deutschland EU-Mitgliedsstaat Nicht-EU-Staat 4. Sind Sie in Deutschland geboren? ja (weiter mit Frage 6) nein 5. Wann sind Sie in die Bundesrepublik Deutschland gezogen? 9. Bitte machen Sie eine Angabe zu Ihrer derzeitigen Wohnsituation: Bitte wählen Sie eine der folgenden Antworten Ich lebe alleine Ich lebe mit meiner / meinem Partner / in zusammen Ich lebe mit meiner / meinem Partner / in und meinen Kindern zusammen Ich lebe in einer Wohngemeinschaft Ich lebe bei meinen Eltern keines davon, sondern: Nennen Sie bitte das Jahr im Format jjjj 10. Haben Sie Kinder? 6. Sind Ihre Eltern oder ein Elternteil nach Deutschland zugewandert? ja nein 7. Welcher ist Ihr höchster Schulabschluss? Bitte wählen Sie eine der folgenden Antworten Hauptschulabschluss bzw. Berufsbildungsreife Realschulabschluss bzw. mittlerer Schulabschluss Fachhochschulreife Abitur anderer Schulabschluss, und zwar: ja nein (weiter mit Frage 13) 11. Wie alt sind Ihre Kinder? 12. Sind Sie alleinerziehend? ja nein 13. Wie viele Kinder leben in Ihrem Haushalt? 14. Unterstützung bei der Realisierung meines Studiums erhalte ich in meinem privaten Umfeld von: Mehrere Antworten möglich mein / e Partner / in Freundin / nen / Freund / en meinen Eltern / einem Elternteil meinem Kind / meinen Kindern einem / r oder mehreren Studienkolleg / inn / en niemandem anderen, und zwar: 15. Ich erhalte in meinem privaten Umfeld Unterstützung in folgender Form: Mehrere Antworten möglich finanziell durch fachlichen Austausch durch organisatorische Zuarbeit bei Studienangelegenheiten durch zeitliche Entlastung bei der Hausarbeit durch zeitliche Entlastung bei der Kinderbetreuung durch zeitliche Entlastung bei der Betreuung einer/ eines Angehörigen durch Zuspruch und Vertrauen gar nicht Sonstiges, und zwar: 61 TU DI E S TUDIE Im folgenden Abschnitt bitten wir Sie um Angaben zu Ihrer Erwerbsarbeit und Ihrem betrieblichen Umfeld. 16. Gehört Ihr Betrieb einem größeren Unternehmen mit mehreren betrieblichen Standorten an? 19. Meine berufliche Tätigkeit liegt in folgendem Bereich 26. In welchem Arbeitszeitsystem arbeiten Sie überwiegend? Bitte wählen Sie eine der folgenden Antworten Mehrere Antworten möglich technischer Bereich kaufmännischer Bereich personenbezogene Dienstleistungen anderer Bereich, und zwar: ja nein 17. Wie viele Beschäftigte arbeiten an Ihrem betrieblichen Standort? 1– 9 10 – 49 50 – 249 250 – 499 500 – 1.000 über 1.000 18. In welcher Branche sind Sie tätig? Bitte wählen Sie eine der folgenden Antworten verarbeitendes Gewerbe (Industrie und verarbeitendes Handwerk) Baugewerbe Handel/Reparatur Logistik wirtschaftsbezogene Dienstleistungen Gesundheits- und Sozialwesen Erziehung und Unterricht Gastgewerbe sonstige personenbezogene Dienstleistungen öffentliche Verwaltung/ Organisationen ohne Erwerbszweck andere, und zwar: 20. Ich bin formal … Bitte wählen Sie eine der folgenden Antworten angestellt verbeamtet selbstständig (weiter mit Frage 24) 21. Gibt es in Ihrem Betrieb einen Betriebsrat beziehungsweise einen Personalrat? ja nein 22. Gilt in Ihrem Betrieb eine Vereinbarung zur Weiterbildung? Bitte wählen Sie eine der folgenden Antworten nein (weiter mit Frage 24) ja, und zwar (z. B. Betriebsvereinbarung, tarifvertragliche Vereinbarung …) 23. Hat die Vereinbarung zur Weiterbildung Ihre Entscheidung für ein Studium erleichtert? ja nein 24. Wie viele Stunden umfasst Ihre vertragliche Wochenarbeitszeit? regulärer Tagdienst Schicht-Betrieb Bereitschaftsdienst Sonstiges, und zwar: 27. Haben Sie flexible Arbeitszeiten? ja nein 28. Ich kann meine Arbeitszeiten flexibel an die Studienzeiten anpassen. sehr schlecht teils / teils sehr gut mit Hilfe von eher schlecht eher gut (z. B. Gleitzeit, angespartem Arbeitszeitkonto ...) 29. Tragen Sie Führungsverantwortung? Falls ja, geben Sie bitte an, für wie viele Beschäftigte Sie Verantwortung tragen ja, und zwar für Beschäftigte nein 30. Können Ihre Aufgaben vertretungsweise von einem Kollegen/einer Kollegin oder mehreren Kolleg/innen übernommen werden? ja nein 31. Folgende Personen im Betrieb sind über mein Studium informiert: Mehrere Antworten möglich 25. Wie viele Stunden umfasst Ihre tatsächlich geleistete Wochenarbeitszeit? alle Kolleginnen und Kollegen einige vertraute Kolleginnen und Kollegen mein/e direkte/r Vorgesetzte/r die Geschäftsleitung niemand Sonstige, und zwar 62 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN 32. Mein Betrieb kooperiert mit meiner Hochschule. ja nein 33. Unterstützung bei der Realisierung meines Studiums erhalte ich in meinem Betrieb von: Mehrere Antworten möglich von Kolleg / innen von Vorgesetzten vom Betriebsrat/ Personalrat niemandem von anderen, und zwar: 36. Mein Betrieb unterstützt mein Studium finanziell durch … 40. In welcher Fächergruppe ist Ihr Studiengang angesiedelt? Mehrere Antworten möglich Bitte wählen Sie eine der folgenden Antworten bezahlte Freistellung für alle Studienveranstaltungen bezahlte Freistellung für einige Veranstaltungen Übernahme von direkten Kosten (z. B. Studiengebühren) Sonstiges, und zwar: 37. Hat sich Ihre Arbeit im Betrieb seit dem Studium verändert? ja nein (weiter mit Frage 39) 34. Im Betrieb werde ich bei meinem Studium in folgender Form unterstützt: Mehrere Antworten möglich bei inhaltlichen Fragen durch zeitliche Flexibilität durch betriebliche Einrichtungen (z. B. Kita, Weiterbildungszentrum …) wenn ja, welche? 38. Wie hat sich Ihre Arbeit seit dem Studium verändert? Mehrere Antworten möglich ich übernehme jetzt andere Aufgaben ich übernehme mehr Verantwortung ich bearbeite meine Aufgaben anders Sonstiges, und zwar: durch Überlassung von studienrelevanten Aufgaben durch Zuspruch und Vertrauen gar nicht Sonstiges, und zwar: ja nein (weiter mit Frage 37) 41. Welchen Studienabschluss streben Sie aktuell an? Bitte wählen Sie eine der folgenden Antworten Bachelor Master Zertifikatsabschluss 42. An welcher Hochschule studieren Sie? Bitte wählen Sie eine der folgenden Antworten Bitte machen Sie zum Schluss noch einige Angaben zu Ihrer Studiensituation. 39. In welchem Fachsemester befinden Sie sich? 35. Mein Betrieb unterstützt mein Studium finanziell. Ingenieurwissenschaften Rechts-, Wirtschaftsund Sozialwissenschaften Erziehungswissenschaften / Berufspädagogik Humanmedizin / Gesundheitswissenschaften Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften Sprach- und Kulturwissenschaft Kunst, Kunstwissenschaft Sport Agrar-, Forst- und Ernährungswissenschaften bitte tragen Sie eine Zahl ein Universität Bremen Hochschule Bremen Hochschule Bremerhaven 43. Welches zeitliche Format hat Ihr Studium? Bitte wählen Sie eine der folgenden Antworten regulärer Vollzeitstudiengang Studium in Teilzeit berufsbegleitender Studiengang 44. Wie viele Stunden wenden Sie durchschnittlich pro Woche für Ihr Studium auf? inkl. Lernzeiten und Zeit für die Teilnahme an Lehrveranstaltungen 63 TU DI E S TUDIE 45. Würden Sie gerne mehr Studienarbeiten über Online-Learning erledigen? Bitte wählen Sie eine der folgenden Antworten ja nein weiß nicht 46. Würden Sie gerne mehr Zeit mit Studienkolleg / inn / en verbringen? ja nein (weiter mit Frage 48) 47. Wenn Sie mehr Zeit mit Ihren Studienkolleg / inn / en hätten, wofür würden Sie diese Zeit nutzen? mehrere Antworten möglich für fachlichen Austausch für persönlichen Austausch Sonstiges, und zwar: 48. Ich kann meine berufliche Praxis in das Studium einbringen: sehr schlecht eher schlecht teils / teils eher gut sehr gut 49. Ich kann das Gelernte aus dem Studium in meiner beruflichen Praxis anwenden: sehr schlecht eher schlecht teils / teils eher gut sehr gut ��� 50. Wie finanzieren Sie Ihr Studium? 51. In welchem der folgenden Bereiche empfinden Sie persönlich die größte Belastung? Bitte wählen Sie eine der folgenden Antworten Studium Beruf Privatleben Und zwar aus folgendem Grund: bitte verwenden Sie bei Bedarf auch die Rückseite (gemeint sind Lebensunterhalt und direkte Kosten) mehrere Antworten möglich Rücklagen Einkommen aus Erwerbsarbeit finanzielle Unterstützung des Partners / der Partnerin finanzielle Unterstützung der Familie Kredit BAföG Stipendium Sonstiges, und zwar: 52. Welche Wünsche haben Sie persönlich für eine bessere Vereinbarkeit zwischen Studium, Beruf und Familie? bitte verwenden Sie bei Bedarf auch die Rückseite Herzlichen Dank für Ihre Teilnahme! 64 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN Die Perspektive von Betrieben 5 ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ 65 S TUDIE TU DI E SU SANNE HERME L ING Qualitative Experteninterviews Um schlaglichtartige Einblicke in die Perspektive von Arbeitgebern zu bekommen, wurden vier Interviews mit Personalverantwortlichen aus den Branchen Pflege, Logistik und verarbeitendes Gewerbe (Metall) geführt. Für die Gespräche wurden Unternehmen ausgewählt, die aus verschiedenen Gründen eine langfristig ausgerichtete Personalentwicklung mit Aus- und Weiterbildung betreiben. Alle befragten Betriebe gehören Unternehmen mit verschiedenen Standorten und jeweils über 5.000 Beschäftigten im gesamten Unternehmen an, sodass entsprechende Ressourcen für eine unternehmensweite Personalentwicklung aufgewendet werden können. In allen befragten Unternehmen ist außerdem Schichtarbeit neben anderen Arbeitszeitmodellen für einen (Groß-)Teil der Beschäftigten die Regel. Im Mittelpunkt der protokollierten Interviews standen Fragen nach dem Bedarf der Unternehmen an hochqualifizierten Fachkräften und nach den verschiedenen Formen von Unterstützung, die berufsbegleitend Studierende von ihrem Arbeitgeber erhalten können. Logistikdienstleister Der befragte Logistikdienstleister gehört in der Branche zu den eher größeren Unternehmen mit internationalen Standorten, hat sich jedoch sein Selbstverständnis als Mittelständler bewahrt. Aufgrund der Kundenstruktur mit teilweise besonderen Gütern sind hohe Qualitätsstandards einzuhalten, die gut qualifiziertes Personal erfordern. Da die Logistikbranche bei vielen Fachkräften keinen guten Ruf genieße, sei das Unternehmen bemüht, die Arbeitsplätze attraktiv zu gestalten. Die vom Unternehmen angebotenen Weiterbildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten sollen unter anderem auch Nachteile in der Vergütung und bei den Arbeitszeiten kompensieren. Das Unternehmen ermittelt individuelle Qualifizierungsbedarfe in regelmäßigen Mitarbeitergesprächen und mittels (Selbst-)Beurteilungen der Beschäftigten. Es gibt ein differenziertes betriebsinternes Weiterbildungsangebot und für einige Kurse werden externe Bildungsanbieter beauftragt. Im Lagerbereich, arbeiten zumeist Beschäftigte ohne (Fach-)Hochschulreife, zumindest Logistikmeister haben jedoch einen Abschluss, der dem Abitur als Hochschulzugang gleichgestellt ist. Im kaufmännischen Bereich gibt es mehr Abiturientinnen und Abiturienten. Das Unternehmen entsendet regelmäßig kaufmännische Auszubildende in ein duales Studienprogramm an einer kooperierenden Hochschule. Ein Studium von Beschäftigten im Lagerbereich ist der Personalentwicklung bisher nicht bekannt. Im Gespräch sind die Gründe dafür nicht erörtert worden, doch wahrscheinlich sind mehrere Faktoren ursächlich für die ›Studierabstinenz‹ im Lager. Festzustellen ist in jedem Fall, dass die Schichtarbeit und schlecht planbare Dienstpläne im Lager ungünstige organisatorische Rahmenbedingungen für ein berufsbegleitendes Studium darstellen. Außerdem ist die Vergütung kaum hoch genug, um neben den üblichen Lebenshaltungskosten beispielsweise noch Studiengebühren zu tragen. Berufsbegleitend Studierende in dem befragten Unternehmen rekrutieren sich also aus dem kaufmännischen Bereich. 66 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN Eine Förderung durch das Unternehmen ist an festgelegte Prozesse gebunden. Beschäftigte wählen in der Regel berufsbezogene Studiengänge an verschiedenen Hochschulen und bewerben sich um eine Unterstützung. Im ersten Schritt durchlaufen die Studieninteressierten ein Assessment, das dazu dient, einzuschätzen, ob die fachlichen und persönlichen Fähigkeiten sowie Rahmenbedingungen für einen Studienerfolg vorliegen. Das Unternehmen beteiligt sich bei einem positiven Ergebnis je nach individueller Vereinbarung mit (Teil-)Freistellungen für das Präsenzstudium, mit flexibleren Arbeitszeitregelungen und mit einer teilweisen Übernahme von Studiengebühren. Einige Studiengänge werden komplett finanziert. Im Gegenzug verpflichten sich geförderte Beschäftigte, eine bestimmte Zeit nach dem Abschluss im Unternehmen zu bleiben. Ansonsten greifen Rückzahlungsklauseln. Im Gespräch mit dem Personalmanagement am jeweiligen betrieblichen Standort klären die Studierenden, wie die Vereinbarkeit von Studium und Beruf verbessert werden kann, zum Beispiel auch durch die Nutzung von Bildungsurlaub oder durch zeitliche Entlastung in Prüfungsphasen. Im letzten Fall werden oft Vertretungen, etwa durch Auszubildende, organisiert. Deutlich wird, dass die Förderung von berufsbegleitend Studierenden individuell unterschiedlich ausfällt und auf Vereinbarungen mit den einzelnen Beschäftigten beruht. Auf zentraler Ebene und mithilfe einer Prognose über den erwartbaren Studienerfolg wird über eine finanzielle Beteiligung des Unternehmens entschieden. Arbeitsorganisatorische Fragen werden dagegen mit dem Personalmanagement am betrieblichen Standort geklärt. Die Kommunikation mit Personalverantwortlichen und direkten Vorgesetzten gestaltet sich jedoch vermutlich unkompliziert, wenn die oder der Studierende auch offiziell vom Unternehmen unterstützt wird. Führungskräfte im Unternehmen bekommen außerdem den Auftrag, berufsbegleitend Studierende durch einen gezielten Theorie-Praxis-Transfer zu unterstützen, indem sie zum Beispiel geeignete Aufgaben übertragen, die sich an Studieninhalten orientieren. Nicht selten wird den Studierenden damit schon während des Studiums mehr Verantwortung anvertraut. Dies kann, wie die Interviews mit Studierenden im Rahmen unserer Studie bestätigen, einen besonderen Anreiz für die Studierenden bieten und dem Studium unmittelbaren Sinn verteilen. Die Ergebnisse unserer quantitativen Befragung deuten darauf hin, dass es durch die Übernahme größerer Verantwortung während des Studiums mitunter auch zu Überlastungen kommen kann (vergleiche Kapitel 4). Aus Sicht der Beschäftigten kann es problematisch sein, dass sie von ihren Abteilungsleitungen für eine Förderung empfohlen werden müssen, da die Kosten für Weiterbildung von den Abteilungen getragen werden. Damit sinkt potenziell die Bereitschaft von Führungskräften, solche Weiterbildungen zu fördern, die Beschäftigte für andere Abteilungen im Unternehmen qualifiziert und damit letztlich zu Abwanderungen führen. Damit eine abteilungsübergreifende Personalentwicklung dennoch in der Praxis umgesetzt werden kann, vermittelt man den Abteilungsleitungen in Gesprächen, dass auch sie die Chance haben hochqualifizierte Kräfte aus anderen Abteilungen für ihren Bereich zu gewinnen. Einmal pro Jahr gibt es einen Tag, an dem Abteilungsleitungen hochqualifizierte Nachwuchskräfte aus dem gesamten Unternehmen kennenlernen können. Solche Veranstaltungen fördern den Blick über die Grenzen des eigenen Bereichs hinaus. Davon profitiert nach Erfahrung der Interviewten die unternehmensweite Personalentwicklung. 67 S TU DI E Verarbeitendes Gewerbe (Metall) Das Unternehmen der Metallbranche hat mehrere, auch internationale Standorte. Aufgrund des stabilen gewerkschaftlichen Organisationsgrads ist der Betriebsrat in die Ausgestaltung von betrieblicher Weiterbildung und Personalentwicklung stark eingebunden. Individuelle Qualifikationsbedarfe werden in Mitarbeitergesprächen ermittelt. Aufgrund kontinuierlich steigender Arbeitsproduktivität bei gleichbleibender oder zeitweise sinkender Auftragslage werden kaum Neueinstellungen vorgenommen. Stattdessen werden Beschäftigte der Stammbelegschaft durch langfristige und systematische Personalentwicklung weiterqualifiziert. Viele Beschäftigte wollen im Unternehmen bleiben, sich aber weiterentwickeln. Das kann als Potenzial genutzt werden. Allerdings kommen auch wenig neue Erfahrungen und Perspektiven durch neue Beschäftigte in den Betrieb. Ein (Vollzeit-)Studium oder eine Aufstiegsfortbildung wird daher auch deshalb positiv gesehen, weil es den Beschäftigten ermöglicht, außerhalb des Betriebes Erfahrungen zu sammeln. Höhere Anforderungen an die Qualifikation gibt es häufig bei den einfachen Tätigkeiten. Die leistungsstärksten unter den dort arbeitenden Facharbeitern streben jedoch häufig in andere Tätigkeitsfelder, sodass für die einfachen Tätigkeiten unter Umständen nicht genügend Beschäftigte mit Entwicklungspotenzial verbleiben. Insgesamt ist ein Trend zur Höherqualifizierung zu beobachten. Es werden inzwischen mehr Techniker- als Meisterfortbildungen absolviert und immer mehr Beschäftigte streben ein Hochschulstudium an. Wenn Stellen reduziert werden, dann sind es oft nicht die strategisch wichtigen Stellen mit hohen Qualifikationsanforderungen, stattdessen sind viele einfache Tätigkeiten ausgelagert worden, zum Beispiel im kaufmännischen Bereich. Die Umstrukturierung der Arbeit durch Automatisierung und Digitalisierung mündet in deutlich höheren Anforderungen. So reagiert man inzwischen auf Störungen in der maschinellen Produktion eher mit Ursachenforschung als mit ›Manpower‹. Je höher entwickelt die Technik ist, desto anfälliger werden die Systeme, die qualifiziert und professionell überwacht werden müssen. Der Betrieb engagiert sich nicht in dualen Studienprogrammen, da diese weder die hohen praktischen Anteile einer Ausbildung noch die anspruchsvollen theoretischen Anteile eines Studiums bieten können. Eine duale Ausbildung mit einer anschließenden fachlichen Vertiefung durch eine Fortbildung oder ein Studium wird vom Betrieb eindeutig bevorzugt. Es bestehen Kontakte zu staatlichen Hochschulen außerhalb Bremens, die für das Unternehmen relevante Studiengänge anbieten. Seit einigen Jahren werden ausgewählte junge Absolventinnen und Absolventen technischer Ausbildungsberufe (Mechatronik, Industriemechanik, Elektronik) gefördert, die einen Hochschulabschluss anstreben. Durch eine betriebliche Vereinbarung ist geregelt, dass sich Auszubildende gegen Ende ihrer Ausbildungszeit für eine Förderung bewerben können. Ausbilder sprechen Empfehlungen aus. Das Interesse ist relativ hoch, weil bis zu 50 Prozent der Auszubildenden die schulische Hochschulzugangsberechtigung mitbringen. Gefördert wird der Lebensunterhalt während eines Vollzeitstudiums. Alle Geförderten haben ein Rückkehrrecht und verpflichten sich vertraglich, einige Jahre nach Abschluss des Studiums im Unternehmen zu bleiben. In den Semesterferien arbeiten viele der Geförderten vergütet im Betrieb und führen dort für das Studium relevante Projektarbeiten durch. Direkt nach Studienabschluss bekommen die Absolventinnen und Absolventen fachadäquate Stellen, da die Förderung sehr zielgerichtet und nur mit der Perspektive auf eine zukünftig zu besetzende Stelle erfolgt. Die Bewerberinnen und Bewerber wissen in der Regel, wohin sie gehen wollen. Über die Vergabe einer bestimmten Stelle wird jedoch erst gegen Ende des Studiums entschieden. 68 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN Deutlich wird in dem Gespräch, dass für technische Berufsgruppen in der Stammbelegschaft ein hoher Bedarf an wissenschaftlicher Qualifizierung besteht. Der Betrieb hat dazu ein regelrechtes Programm zur finanziellen und arbeitsorganisatorischen Unterstützung und für einen gezielten Theorie-Praxis-Transfer aufgelegt. Die Form eines berufsbegleitenden Studiums wird jedoch bisher nicht genutzt. Das liegt zum einen an fehlenden passenden Studienangeboten. Berufsbegleitende Ingenieurstudiengänge sind dem Unternehmen nicht bekannt. Mit einer privaten Hochschule wurden lediglich einmal Gespräche geführt über die Möglichkeit, dort berufsbegleitende Ingenieurstudiengänge durchzuführen. Zum anderen ist durch die Schichtarbeit ein berufsbegleitendes Studium wohl ohnehin erschwert. Auch die Teilnahme an Regelstudiengängen in Teilzeit, wie es an der Hochschule Bremen angeboten wird, wurde aus diesem Grund bisher nicht genutzt. Womöglich hat sich jedoch für das Unternehmen die Variante des durch den Betrieb geförderten Vollzeitstudiums bewährt, auch weil ein ganzes Studium neben der Berufstätigkeit als zu belastend angesehen wird. Denn Aufstiegsfortbildungen zum Techniker oder Meister werden sehr wohl schon seit Jahren durch den Betrieb unterstützt und berufsbegleitend durchgeführt. Als nachteilig erweist sich die Situation damit für ältere berufserfahrene Studieninteressierte, die nicht von den Fördermöglichkeiten profitieren, die Ausgebildeten nach dem Abschluss zur Verfügung stehen. Für ältere Beschäftigte würde sich die Reduzierung des Einkommens auf die Höhe eines monatlichen Stipendiums aufgrund höherer finanzieller Verpflichtungen wohl ohnehin schwierig gestalten. Das legen unsere Interviews mit Studierenden und mit Studiengangsverantwortlichen nahe (vergleiche Kapitel 3 und 4). Im Verwaltungsbereich des Betriebes ist die Situation anders. Dort gibt es jedes Jahr einige Beschäftigte, die auf eigene Verantwortung ein berufsbegleitendes Studium an privaten Hochschulen absolvieren. Durch die Gleitzeitregelung besteht für die Studierenden nicht die Notwendigkeit, ihre Arbeitszeit zu reduzieren. Einige Beschäftigte absolvieren das Studium, ohne ihre Vorgesetzten zu informieren. Das hängt nicht selten von der Haltung der unterschiedlichen Vorgesetzten ab, das heißt davon, ob eine Abteilungsleitung nur die Bedarfe an Hochschulabsolventen im eigenen Bereich im Blick hat oder die Bedarfe im gesamten Unternehmen im Blick hat. Früher haben einige Auszubildende während der Berufsausbildung ein Studium begonnen. Diese Form hat sich nicht bewährt und stellte selbst für Jahrgangsbesten eine Überforderung dar. Gesundheits- und Pflegebranche Durch das rasche Wachstum des Gesundheits- und Pflegesektors muss die Personalentwicklung mit einem regelrechten Fachkräftemangel umgehen. Darüber hinaus besteht ein Trend zur Akademisierung. Aus diesem Grund findet momentan eine Neuordnung der Berufsbilder statt. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, wie die Aufgaben unter Ärztinnen und Ärzten und dem Pflegepersonal anders verteilt werden können. Insgesamt wird eine höhere Durchlässigkeit mit entsprechenden Aufstiegschancen zwischen verschiedenen Stufen der beruflichen Aus- und Weiterbildung bis hin zu wissenschaftlicher Qualifizierung angestrebt. Kooperationen im Bereich der Aus- und Weiterbildung sollen systematisiert werden. Bildungseinrichtungen mit Angeboten für alle Berufsgruppen im Unternehmen sind in Planung. Durch Umstrukturierungen und Krankenhausreorganisation gibt es neben Pflegeweiterbildungen einen großen Bedarf für gesamtorganisatorische Führungsaufgaben. Es werden Beschäftigte benötigt, ›die wissen, wie ein Krankenhaus funktioniert‹. Die Personalentwicklung beobachtet die Entwicklung einzelner Beschäftigter, auch durch regelmäßige Gespräche mit Stationspflegeleitungen. Fachliche Weiterbildungen werden empfohlen und wenn die oder der Beschäftigte als geeignet wahrgenommen wird, werden die Kosten für eine Weiterbildung vollständig übernommen. Die Beschäftigten verpflichten sich im Fall einer Förderung, für eine bestimmte Zeit im Unternehmen zu bleiben. Auch für ein Studium wird 69 S TU DI E unter Umständen eine bezahlte (Teil-) Freistellung gewährt und weitere Kosten übernommen. Das hängt jedoch immer von individuellen Vereinbarungen ab. Aufgrund des hohen Fachkräftebedarfs in der Pflege ist der Arbeitgeber jedoch bemüht, individuelle Lösungen zu unterstützen. Ohnehin arbeiten viele Beschäftigte in Teilzeit und aufgrund des hohen Frauenanteils gehört eine arbeitsorganisatorische Flexibilität für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie zur etablierten Praxis im Unternehmen. Individuelle Lösungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Studium müssen vor Ort mit direkten Vorgesetzten ausgehandelt werden. Außerdem bestehen unter Umständen Abhängigkeiten vom Team, mit dem individuelle Arbeitszeiten abgesprochen werden. Schätzungsweise studieren etwa zehn Prozent der Beschäftigten in berufsbegleitenden oder in Vollzeitstudiengängen in oder außerhalb von Bremen. Die Interviewten führen mehrere Beispiele an von Beschäftigten, die mit Teilfreistellungen oder gänzlich ohne Unterstützung ein Präsenz- oder auch ein Fernstudium absolvieren. Es wird die Vermutung geäußert, dass sich beruflich Qualifizierte ohne Abitur häufiger nicht für ein Studium entscheiden, selbst wenn die formalen Voraussetzungen vorliegen, da in den Pflegewissenschaften für die Literaturarbeit gute Englisch-Kenntnisse erforderlich sind.1 Die größten Probleme im Gesundheitsund Pflegebereich bestehen für Beschäftigte bei der tariflichen Absicherung und der beruflichen Perspektive nach einem Studium. Es gibt keine Garantie auf eine höhere Eingruppierung nach einem Studium. Die Eingruppierung erfolgt nach hierarchischer Position und nicht nach dem Grad der Qualifizierung. Das Unternehmen steht deshalb immer wieder vor der Frage, wie Beschäftigte auf der gleichen Position, aber mit unterschiedlicher Qualifizierung eingruppiert werden sollen. Es hat sich mittlerweile durchgesetzt, dass Leitungspositionen nur von Personal mit Hochschulabschlüssen besetzt werden. Insgesamt jedoch gibt es bisher keine klar definierten Einsatzbereiche für wissenschaftlich qualifiziertes Pflegepersonal im Unternehmen.2 Auch im Bereich der pflegepädagogischen Lehrkräfte gibt es Probleme, Personal zu finden. Hier ist die tarifvertragliche Eingruppierung von akademischen und nicht akademischen Lehrkräften erst spät geregelt worden, weshalb viele zur Konkurrenz gingen. Bemerkenswert ist die hohe Studierneigung bei dem Pflegepersonal, trotz teilweise unklarer Bildungsrenditen in Form von höherer Vergütung und Aufstieg. Insofern scheint die inhaltliche und organisatorische Weiterentwicklung des Pflegebereichs mit allen sich potenziell bietenden Entwicklungsmöglichkeiten einen starken Einfluss auf Bildungsentscheidungen zu haben. Gleichzeitig steht eine Bandbreite an Studienmöglichkeiten für Pflegekräfte zur Verfügung. Möglicherweise verbindet ein Teil der Studierenden mit einem akademischen Abschluss außerdem eine ›Exit-Option […] als Möglichkeit, aus der Pflegetätigkeit ‚am Bett‘ in andere Tätigkeitsbereiche in und auch außerhalb der Pflege zu wechseln‹3. Rein organisatorisch begünstigen außerdem die flexiblen Arbeitszeitmodelle ein berufsbegleitendes Studieren. Obwohl, wie aus unserer Befragung von Studierenden hervorgeht (vergleiche Kapitel 4), die Schichtarbeit eine besondere Belastung darstellt, die selbst Teilzeitbeschäftigten das Studium erschwert. Schlussfolgerungen Die ausgewerteten Experteninterviews wurden in Betrieben geführt, die in der Personalentwicklung sehr engagiert sind. Es ist davon auszugehen, dass berufsbegleitend Studierende in diesen Unternehmen vergleichsweise gute Chancen auf eine Unterstützung durch ihren Arbeitgeber haben. Gleichzeitig wird deutlich, dass verschiedene betriebliche Prozesse die Vereinbarkeit von Studium und Beruf beeinflussen. Nicht nur das Interesse des Arbeitgebers an bestimmten Qualifikationen ist dabei entscheidend, außerdem können die Haltung von direkten Vorgesetzten sowie Arbeitsorganisation und Arbeitszeitmodelle die Förderung eines berufsbegleitenden Studiums ermöglichen oder erschweren. Die tatsächlich geleistete Unterstützung ist in der Regel das Ergebnis eines individuellen Aushandlungsprozesses und beruht auf 70 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN Einzelfällen. Dabei dürfte es sich für viele Arbeitgeber rentieren, einheitliche und transparente Regelungen für die Förderung berufsbegleitenden Studierens zu schaffen. Denn ein Bedarf an berufserfahrenem und gleichzeitig wissenschaftlich qualifiziertem Personal wird arbeitgeberseitig formuliert. So ergibt eine Befragung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages von 2.000 Unternehmen, was diese sich von Hochschulabsolventinnen und -absolventen wünschen: nämlich berufspraktische Erfahrungen und Schlüsselkompetenzen, die vor allem in der beruflichen Praxis erworben werden.4 Noch nicht einmal die Hälfte äußert sich zufrieden mit der Praxistauglichkeit oder den fachlichen Kompetenzen neu eingestellter traditioneller Hochschulabsolventinnen und -absolventen. Es werden sogar Bedenken hinsichtlich einer allgemein zunehmenden Studierneigung auf Kosten der dualen Ausbildung geäußert. Die duale Ausbildung wird nach wie vor als grundlegende Säule für die Deckung des eigenen Fachkräftebedarfs definiert.5 Die Beschäftigungsfähigkeit von Hochschulabsolventinnen und -absolventen steht also für viele Unternehmen auf dem Prüfstand. Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang, dass vor allem die Hochschulen als verantwortlich für eine stärkere berufspraktische Qualifizierung von Studierenden angesehen werden. Sechzig Prozent der Unternehmen sehen die Hochschulen in der Verantwortung, Studierende ›auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten‹ und nur 28 Prozent sehen sich selbst in der Pflicht ›Absolventen nachzuqualifizieren‹.6 Bei der Umsetzung von berufsbegleitenden Studierens scheinen die meisten Unternehmen eine ähnliche Erwartungshaltung an die Hochschulen zu haben. An den Hochschulen sollen berufsbegleitende Studiengänge, spezifische Beratungsangebote und Brückenkurse für berufstätige Studierende entstehen. In einer gemeinsamen Erklärung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages und der Hochschulrektorenkonferenz zur Durchlässigkeit zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung werden nur für die Hochschulen Handlungsempfehlungen ausgesprochen, während die Gestaltung von betrieblichen Rahmenbedingungen unberührt bleibt.7 Betriebliche Rahmenbedingungen, das zeigt unsere Studie, sind jedoch ebenso grundlegend für die Vereinbarkeit von Beruf und Studium wie das Angebot der Hochschulen. Und es steht eine Reihe von Instrumenten zur Verfügung, um Beschäftigten ein Studium zu ermöglichen.8 An ihrer Gestaltung sind Gewerkschaften, Betriebs- und Personalräte mit beteiligt. So haben sich die DGB-Gewerkschaften in den vergangenen Jahren verstärkt dem Thema der lebensphasenorientierten Arbeitszeitgestaltung angenommen. Unter frauenpolitischen Aspekten ist eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie in den Diskursen bereits etabliert9 und von Arbeitgebern längst aufgegriffen worden10. Die Vereinbarkeit von Beruf und individueller Weiterbildung spielte dagegen in der Debatte der Tarifpartner bisher eine untergeordnete Rolle. Nach der Beschäftigtenbefragung der IG Metall im Jahr 201311, an der sich mehr als eine halbe Million Beschäftigte beteiligten, hat das Instrument der Bildungsteilzeit als Forderung für eine lebensphasenorientierte Arbeitszeitpolitik an Bedeutung gewonnen.12 Der Qualifizierungstarifvertrag der IG Metall13 berücksichtigt einerseits individuelle Bedürfnisse der Beschäftigten, zum Beispiel nach temporären Arbeitszeitreduzierungen. Andererseits sollen meist individuelle Vereinbarungen einzelner Beschäftigter 71 S TU DI E mit ihren Arbeitgebern durch mitbestimmte und transparente Regelungen ersetzt werden, damit ›Erwerbsverläufe mit schwankenden Arbeitszeiten ohne große Einkommens- und Sicherheitsverluste und frei von Existenzangst gelebt werden können‹14. Aufgaben der betrieblichen Interessenvertretung liegen darin, im Betrieb Vereinbarungen zu treffen und alle Beschäftigtengruppen aktiv zu begleiten.15 1 Auch in unserer quantitativen Befragung 6 Vgl. DIHK (2015), S. 19. hatten alle Studierenden der Fachrich- 7 Vgl. DIHK / HRK (2008). tung Medizin / Gesundheit Abitur. 8 Neben den vornehmlich von uns in den 2 Studiengangsleitungen der Fachrichtung Blick genommenen Arbeitszeitregelun- Medizin / Gesundheit schilderten eben- gen oder Theorie-Praxis-Transfer stellen falls die Problematik im Rahmen unserer Gronewold und Hiestand in diesem Expertinneninterviews (vgl. Kapitel 3). Band weitere betriebliche Instrumente 3 Benedix/Medjedovic (2014), S. 39. 4 Vgl. DIHK (2015), S. 10. 5 Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Unternehmen auch die ›Praxistauglichkeit‹ von dual Studie- zur Verbesserung der ›Work-Learn-LifeBalance‹ vor. 9 Vgl. zum Beispiel ver.di (2015). 10 Ein Beispiel ist das Audit Beruf und Familie, Informationen sind online verfüg- renden zwar etwas besser, aber nicht bar unter www.berufundfamilie.de / signifikant positiver beurteilen index.html [Zugriff am 03.02.2016]. (vgl. DIHK 2015, S. 12) als die von 11 Ergebnisse der Beschäftigtenbefragung Bachelorabsolventen aus Vollzeitstudi- online verfügbar unter engängen. Obwohl Interesse am Ausbau www.igmetall.de / docs_13_6_18_ dieser Studienform, insbesondere auf Ergebnis_Befragung_final_51c49e Masterebene, bekundet wird 134f92b4922b442d7ee4a00465d (vgl. DIHK 2015, S. 21), unterstreichen 8c15626.pdf viele Unternehmen die Bedeutung der traditionellen dualen Berufsausbildung – unter anderem auch als eine dem Studium vorausgehende Qualifikation [Zugriff am 03.02.2016]. 12 Vgl. Hofmann / Smolenski (2015), S. 470. 13 Zum Qualifizierungstarifvertrag (vgl. DIHK 2015, S. 10, 16, 19). In einer der IG Metall und dem Instrument qualitativen Studie des Instituts für Arbeit der Bildungsteilzeit, siehe auch das und Wirtschaft der Universität Bremen Kapitel 7 Handlungsfelder in diesem über Aufstiegswege in Logistikberufen, Band. äußern sich einige Unternehmensver- 14 Hofmann / Smolenski (2015), S. 471. treter hinsichtlich des Akademisie- 15 Vgl. Hofmann / Smolenski (2015), rungstrends ebenfalls besorgt und beschreiben die steigende Anzahl von Bachelorabschlüssen als unübersichtlich und hinsichtlich ihrer Qualität oft schwer einschätzbar (unveröffentlichtes Papier von Ulf Benedix, IAW Universität Bremen). 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Sie war Koordinatorin des bremischen Landesprogramms ›Offene Hochschulen‹ und leitet nun das Projekt ›konstruktiv‹ (›Konsequente Orientierung an neuen Zielgruppen strukturell in der Universität Bremen verankern‹). ›konstruktiv‹ wird im Rahmen des Bundesprogramms ›Aufstieg durch Bildung: offene Hochschulen‹ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Berufsbegleitende Bachelorstudiengänge findet man an staatlichen Hochschulen kaum. Im Land Bremen gibt es nur einen einzigen an der Universität. Woran liegt das? An den Hochschulen fehlen ganz einfach die Ressourcen. Die bestehenden Bachelorstudiengänge platzen angesichts der hohen Studierendenzahlen oft aus allen Nähten, das heißt, das Lehrpersonal ist vollständig mit der Durchführung dieser Studiengänge ausgelastet. Aus der knappen Grundfinanzierung können daher keine zusätzlichen berufsbegleitenden Bachelor-Studiengänge aufgelegt werden. Solche Angebote können aber auch nicht aus Teilnahmeentgelten finanziert werden, weil aufgrund der Gebührenfreiheit des Erststudiums auch für berufsbegleitende Bachelorstudiengänge keine Entgelte erhoben werden dürfen. Also besteht hier eine Finanzierungslücke. Vermuten Sie, dass die Nachfrage nach berufsbegleitenden Bachelorstudiengängen vonseiten Berufstätiger steigen würde, wenn es ein entsprechendes Angebot gäbe? Der Bedarf ist da, nicht flächendeckend, aber in bestimmten Bereichen. So haben in den letzten Jahren private Hochschulen ihr Angebot an berufsbegleitenden Bachelorstudiengängen stark ausgebaut. Eine Nachfrage sehe ich vor allem in Bereichen, in denen sich durch einen Bachelorabschluss echte Aufstiegsmöglichkeiten oder bessere berufliche Perspektiven ergeben. Dies ist zum Beispiel im kaufmännischen Bereich oder im IT-Bereich der Fall. Hier würden auch berufsbegleitende Angebote staatlicher Hochschulen sicher auf Interesse stoßen. Schwieriger ist es in Berufsfeldern, in denen die Akademisierung noch nicht so weit fortgeschritten ist, zum Beispiel in der frühkindlichen Bildung. Auch hier gibt es einen hohen Bedarf an wissenschaftlicher Weiterbildung. Allerdings eröffnen sich für eine Erzieherin oder einen Erzieher auch durch ein weiterbildendes Zertifikatsstudium oder einen Bachelorabschluss nicht ohne Weiteres neue berufliche Möglichkeiten. Dies wirkt sich natürlich auf die Teilnahme an entsprechenden Angeboten aus. An der bestehenden Nachfrage nach berufsbegleitenden Bachelorstudiengängen bei privaten Hochschulen zeigt sich übrigens noch etwas anderes: Diese Studienangebote sind kostenpflichtig. Menschen, die einen Bachelorabschluss erwerben wollen, ohne dafür ihre Berufstätigkeit aufzugeben, sind also bereit, für ihr Studium zu bezahlen. Allerdings werden so alle diejenigen ausgeschlossen, die hierzu finanziell nicht in der Lage sind. 78 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN Bei der Finanzierung von Studienangeboten für Berufstätige scheint also ein ungeklärtes Problem zu sein, was Aufgabe des Staates und was Aufgabe der Privatpersonen ist. Richtig. Noch deutlicher wird das bei den Masterstudiengängen. Wo endet die Erstausbildung? Diejenigen, die direkt nach dem Bachelor ein Masterstudium beginnen, bekommen das vom Staat finanziert. Diejenigen, die erst in den Beruf einsteigen und nach einigen Jahren einen Master machen wollen, müssen sich entscheiden: Entweder sie wählen einen konsekutiven Vollzeitstudiengang ohne Studiengebühren, der aber vom zeitlichen Format her mit der Berufstätigkeit nicht zu vereinbaren ist. Oder sie zahlen hohe Teilnahmeentgelte für einen weiterbildenden Masterstudiengang und erhalten dafür ein berufsbegleitend studierbares Angebot. Das heißt, diejenigen, die nach dem Bachelorabschluss erst einmal berufstätig sein wollen, werden bestraft. Ja. Die Weiterbildung an den Hochschulen kostet, und zwar auch für diejenigen, die nie einen staatlich finanzierten Masterstudienplatz in Anspruch genommen haben. Das ganze System orientiert sich in seiner Finanzierungslogik noch sehr an klassischen Bildungsbiografien: Zuerst wird studiert, dann folgt die Berufstätigkeit. Denjenigen, die zwischen Bachelor und Master und dann eben auch begleitend zum Masterstudium berufstätig sind, wird dieses System nicht gerecht. Ebenso wenig denjenigen, die ihre Hochschulzugangsberechtigung über den Weg einer Berufsausbildung plus Berufstätigkeit plus Fortbildung und nicht über die Schule erwerben. In Ihrem Projekt ›konstruktiv‹ arbeiten Sie an einer Öffnung der Hochschulen für diese sogenannten neuen Zielgruppen. Ja. Wir konzentrieren uns im Projekt ›konstruktiv‹ auf Personen, die berufstätig sind oder Familienpflichten nachkommen und einen Master- oder Zertifikatsabschluss erwerben wollen. Diese Gruppe wächst, denn Studium, Berufstätigkeit, Weiterbildung und Familienphasen werden heutzutage auf vielfältige Weise kombiniert. Auch viele Studierende, die heute in den bestehenden konsekutiven Vollzeitstudiengängen eingeschrieben sind, gehören eigentlich zur Zielgruppe von ›konstruktiv‹. Sie haben nur einen individuellen Weg gefunden, um sich mit den Rahmenbedingungen des Vollzeitstudiums zu arrangieren. Im Projekt befassen wir uns zum Beispiel mit der Frage, wie man Module aus regulären konsekutiven Masterstudiengängen nutzen kann, um Angebote für Berufstätige zu schaffen. Dadurch wollen wir ein breites, flexibles Qualifizierungsangebot schaffen, was sonst nicht möglich wäre. Wir versuchen zum Beispiel, Hochschullehrende dazu zu bewegen, einzelne Module raumzeitlich flexibler zu gestalten. Dies heißt nicht automatisch, dass die Module nun alle abends, am Wochenende oder in Blockform stattfinden müssen. Es kann auch bedeuten, verstärkt auf digitale Medien zurückzugreifen, um einen höheren Anteil an selbst gesteuertem Lernen zu erreichen und die Zahl der Präsenztermine zu verringern. Und welchen Schwierigkeiten begegnen Sie dabei? Wir müssen sehr viel Überzeugungsarbeit leisten, um Hochschullehrende zu bewegen, ihre Veranstaltungen zu flexibilisieren und auch Studierende in den Blick zu nehmen, die parallel zum Studium arbeiten oder familiäre Pflichten haben. Selbst gesteuert zu lernen, ist allerdings auch für die Studierenden häufig ungewohnt. Hier sind besondere Selbstlernstrategien gefragt, über die gerade Berufstätige oft schon verfügen. Dann müssen weiterbildende Masterund Zertifikatsstudienangebote kostendeckend gestaltet sein. Zwar ist die Weiterbildung neben Forschung und Lehre die 79 S TU DI E dritte Aufgabe der Hochschulen, doch sind keine Lehrkapazitäten für diese Aufgabe vorgesehen. Die grundständige Lehre geht vor und verbraucht angesichts der hohen Auslastung der Universität alle vorhandenen Kapazitäten. Die Lehre in der Weiterbildung muss also de facto zusätzlich erbracht werden. Zwar bieten wir den Lehrenden eine Vergütung an, doch ist das für diese nicht besonders attraktiv. Die Lehrenden haben sehr wenig Zeit und die Honorare sind nicht so hoch, um finanziell wirklich lukrativ zu sein. Führt das nicht häufig dazu, dass man auf hochschulexterne Lehrkräfte zurückgreifen muss? Wir setzen externe Lehrende ein. Aber dem sind enge Grenzen gesetzt. Denn: Wir machen Studien- und Weiterbildungsangebote, in denen die Studierenden ECTS-Punkte und Abschlüsse auf Basis von Prüfungsordnungen erwerben können. Das heißt zum Beispiel, es können in der Regel nur Professoren oder Professorinnen unserer Universität Modulverantwortliche sein, weil uns die interne Qualitätssicherung sehr wichtig ist. Wir haben im Rahmen unserer Studie von einigen berufstätigen Studierenden gehört, dass sie sich weichere Prüfungsordnungen wünschen, die die besonderen Umstände ihrer Studienbedingungen berücksichtigen. Es ist denkbar, zum Beispiel längere Bearbeitungszeiten für Abschlussarbeiten vorzusehen. Wir werden jedoch bei den weiterbildenden Master- und Zertifikatsstudienangeboten keine Abstriche bei der Qualität machen. Unsere Weiterbildungsangebote sollen den hohen Qualitätsanspruch der Universität Bremen widerspiegeln. Es muss zum Beispiel auch die Möglichkeit geben, eine Prüfung bei unzureichenden Leistungen endgültig nicht zu bestehen. Dies gilt auch, wenn die Studierenden zahlende Kunden sind. Es ist wichtig, dass ein Abschluss in einem weiterbildenden Masterstudium genauso viel wert ist wie der Abschluss eines konsekutiven Masters. Beide berechtigen schließlich hinterher zur Promotion. An welcher Stelle sollten Probleme zuerst behandelt werden? Die Landesausschüsse für Weiterbildung und für Berufsbildung haben schon vor einigen Jahren in ihren Empfehlungen festgestellt, dass der erleichterte Hochschulzugang für beruflich Qualifizierte wenig weiterhilft, wenn ein berufsbegleitendes Bachelorstudienangebot fehlt. Nur wenige Berufstätige können es sich leisten, für ein Vollzeitstudium aus dem Beruf auszusteigen. Hier stellt sich das bereits angesprochene Problem der Finanzierung. Darüber hinaus ist wichtig, dass die Hochschulen die sogenannten nicht traditionellen Studierenden stärker in den Blick nehmen. Wie schon erwähnt, gibt es viele Studierende, die nicht in das übliche Bild passen, weil sie nebenbei in größerem Umfang arbeiten, weil sie Kinder haben oder ihren ersten Abschluss im Ausland erworben haben. Mit dieser Heterogenität gilt es umzugehen. Von unterschiedlichen Formaten, differenzierter Didaktik, mehr Wahlmöglichkeiten im Curriculum und dazu passenden Beratungsangeboten könnten alle Studierenden profitieren. Also müsste ein Diversitätskonzept entwickelt und umgesetzt werden? Genau. Und der andere Strang ist ein Konzept für lebenslanges Lernen. Ein Studienabschluss reicht längst nicht mehr als Basis für ein ganzes Berufsleben. Die wissenschaftliche und technologische Entwicklung verläuft heute so rasant, dass auch die Hochschulen gefragt sind. In der Weiterbildung sind heterogene Zielgruppen und die Anforderungen des lebenslangen Lernens längst Alltag. Deshalb kann die Weiterbildung eine Art Testgelände sein, von dem die Universität als Ganzes profitieren kann. Das Interview wurde geführt von Susanne Hermeling 80 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN Anrechnung beruflicher Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge Interview mit Dr. Walburga Freitag Frau Dr. Freitag leitete die wissenschaftliche Begleitung der BMBF-Initiative ›ANKOM – Übergänge von der beruflichen in die hochschulische Bildung‹ am Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung; sie ist dort die Leiterin des Arbeitsbereichs ›Lebenslanges Lernen‹. Kompetenzen, die in staatlich anerkannter Aus- und Fortbildung erworben wurden, können unter bestimmten Bedingungen als gleichwertige Studienleistungen anerkannt werden. Für Studierende kann sich unter Umständen die Studienzeit um ein bis drei Semester verkürzen oder das Studienvolumen verringert sich. Für die Anrechnung können sich die Hochschulen für unterschiedliche Verfahren entscheiden. Es gibt pauschale und individuelle Anrechnungsverfahren. Was sind die wesentlichen Vor- und Nachteile beider Verfahren? Bei der Anwendung eines sogenannten ›pauschalen Anrechnungsverfahrens‹ wird bei Vorliegen eines bestimmten Ausoder Fortbildungsabschlusses eine zuvor ermittelte Zahl an Credits ohne individuelle Prüfung, also ›pauschal‹ angerechnet. Wer zum Beispiel an der Hochschule Bremen ›Angewandte Therapiewissenschaften‹ studieren möchte, kann als ausgebildete Logopädin eine Anrechnung von drei Semestern des Bachelorstudiengangs beantragen. Das hat für Studierende ganz offensichtliche Vorteile. Sie stellen einen Antrag, und sofern es für die Aus- oder Weiterbildung eine Gleichwertigkeitsbestimmung gibt, können die Credits angerechnet werden. Pauschale Verfahren sind allerdings sehr aufwendig in der Entwicklung. Im Vorfeld muss ein Äquivalenzvergleich stattfinden – also die Bestimmung von Gleichwertigkeit oder Gleichartigkeit zwischen den Lernergebnissen des beruflichen und des hochschulischen Bildungsgangs. Aufseiten der beruflichen Bildung hat man es mit Aus-, Fort- oder Weiterbildungsordnungen zu tun. Diese sind zwar zunehmend auch kompetenzorientiert formuliert und es werden immer häufiger die Lernziele ausgewiesen, allerdings müssen die Dokumente ›übersetzt‹ und Lernergebnisse denen der Hochschulmodule zugeordnet werden; nur so kann eine Grundlage für den Vergleich geschaffen werden. Wenn die Verantwortlichen des Studiengangs in Kooperation mit den beruflichen Bildungsträgern einen Äquivalenzvergleich vorgenommen und dies dokumentiert haben, muss die Möglichkeit der pauschalen Anerkennung noch von den Hochschulgremien abgesegnet werden; das heißt, sie muss Eingang in die Ordnungen der Hochschule finden. Dies ist in der Regel kein Problem, schwieriger ist es, die Ressourcen für den Kompetenzäquivalenzvergleich zu erhalten und die Ergebnisse transparent und valide darzustellen. Bei der individuellen Anrechnung, dem zweiten entwickelten Verfahren, muss keine Festlegung auf ein oder zwei Abschlüsse erfolgen, sondern es kommt potenziell eine größere Zahl von fachverwandten Abschlüssen in Betracht und – dies ein großer Vorteil – neben formal erworbenen Lernergebnissen können auch sogenannte non-formal und informell erworbene Lernergebnisse angerechnet werden, also kleinere Zertifikate und Berufserfahrung. Das ist im Sinne der Durchlässigkeit ein klarer Vorteil. Die Verantwortlichen des Studiengangs verwenden für das individuelle Verfahren ein Portfolio, eine Art Mappe. Hierin wird festgelegt, wie die Person, die um Anrechnung nachfragt, die Kompetenzen dokumentieren muss, die sie an- 81 S TU DI E gerechnet bekommen möchte. Dies kann in Form von Zeugnissen, Arbeitsproben oder schriftlichen Ausarbeitungen erfolgen. Auch das individuelle Verfahren muss in den Ordnungen festgelegt werden; nur so werden alle Studierenden über die Möglichkeit informiert und können es gegebenenfalls nutzen. Die Hochschulen können mit dem Verfahren bis zu einem gewissen Grad experimentieren, da es wenig festgelegte Verfahrensabläufe gibt. Das kann sowohl Vor- als auch Nachteile für alle Beteiligten bergen und ist anspruchsvoll. In jedem Fall steckt der größte Arbeitsaufwand in der Durchführung des Verfahrens selbst, denn der Äquivalenzvergleich muss für jede Person individuell erfolgen. Damit sind die Studierenden gefordert, sich mit dem Modulhandbuch des Studiengangs auseinanderzusetzen und in Form des Portfolios niederzulegen, welche Lernergebnisse sie bereits erworben haben und nach Möglichkeit auch noch performieren können. In der Praxis liegt schon ein Problem darin, dass nicht alle Modulhandbücher gleichermaßen verständlich für Außenstehende geschrieben sind. Und möglicherweise ergeben sich als Ergebnis des Verfahrens Anrechnungsmöglichkeiten für mehrere und verschiedene Module und Seminare. Das heißt, die Studiengangsverantwortlichen müssen die Unterlagen an die Lehrenden in den Modulen weitergeben und deren Urteil einholen. Es sind in der Regel mehrstufige Verfahren, in deren Verlauf möglicherweise zusätzlich mündliche oder schriftliche Tests verlangt werden. Der Aufwand, der insgesamt entstehen kann, wird von Studierenden als hoch beurteilt und führt – so Ergebnisse unserer wissenschaftlichen Begleitung – auch zu Frustration oder Ablehnung des Verfahrens. Was die Methodik angeht, ist problematisch, dass die Ansprüche der Reliabilität und Validität immer noch in den Kinderschuhen stecken. Die Methoden entwickeln die Studiengänge in Eigenregie und es gibt leider derzeit keine Ressourcen, um die angewandten Verfahren systematisch zu untersuchen. Unterschiede betreffen womöglich die Arten der Anweisung für die einzelnen Schritte oder die Dokumentation der Verfahren. Einige haben vielleicht standardmäßig ein Gespräch eingebaut, andere verzichten darauf. In solchen Experimentierphasen werden kreative Lösungen entwickelt, die als Modelle guter Praxis nachahmenswert sind. An der Alice Salomon Hochschule Berlin beispielsweise sind sowohl pauschale als auch individuelle Anrechnungsmöglichkeiten entwickelt worden. Um den Arbeitsaufwand für die Beratung und Durchführung möglichst gering zu halten, wird über das Verfahren im Rahmen eines eigenen Studienmoduls informiert. Dieses wird zudem dafür genutzt, Reflexionsphasen anzuregen. Die Studierenden setzen sich damit auseinander, aus welcher beruflichen Position sie kommen, welche Kompetenzen sie mitbringen, welche Studienschwerpunkte sie im Studium wählen wollen und welche berufliche Position sie mit dem Studienabschluss anstreben. Auf Grundlage einer solchen Vorbereitung können Studierende dann auch das individuelle Verfahren bewältigen. Die Zuständigen der Studiengänge erhalten ihrerseits durch diese Seminare einen Eindruck von den Erfahrungen und individuellen Zielen der Studierenden und können sich gleichzeitig mit dem Lernstand der Studierenden vertraut machen. Im Vergleich mit den individuellen Verfahren scheint eine pauschale Anrechnung für Studieninteressierte zunächst einmal eine höhere Transparenz und Sicherheit zu bieten. Zeichnen sich für die kaufmännischen, die technischen und die sozialen Dienstleistungsberufe eigene Trends hinsichtlich der Möglichkeiten pauschaler Anrechnung ab? In der Betriebswirtschaftslehre (BWL) ist die Entwicklung schon weiter gediehen, da das Studienfach traditionell für viele beruflich Qualifizierte attraktiv ist. In der BWL haben etwa 30 Prozent der Studierenden eine Berufsausbildung. So werden an mehreren Hochschulen die Fortbildungsabschlüsse Fachwirt mit 20 bis 30 Kreditpunkten und der zur Betriebswirtin mit 60 Kreditpunkten auf ein Bachelorstudium angerechnet. Bei ersten Abschlüssen der beruflichen Bildung, wie zum Beispiel Industriekaufleuten, werden in der Regel nicht über 10 Kreditpunkte angerechnet. 82 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN Das Interesse an der Anwendung von Anrechnungsverfahren ist auch bei den Sozial- und Gesundheitsberufen groß. In den Sozialberufen hat es in den vergangenen 10 bis 15 Jahren starke Akademisierungs- und Professionalisierungsprozesse gegeben. Viele neue Studiengänge im Bereich der Kindheitspädagogik und im Bereich Pflege und Gesundheit sind entstanden. Obschon es Schnittmengen zwischen verschiedenen Studienangeboten, zum Beispiel der Kindheitspädagogik gibt, werden Ergebnisse, die in einer Hochschule entwickelt wurden, nicht auf vergleichbare Studiengänge anderer Hochschulen übertragen. Der Spill-overEffekt ist gering. Nicht unerheblich ist bei der Anrechnung, auf welches Niveau des Deutschen Qualifikationsrahmens die Aus- oder Weiterbildung eingeordnet wurde. Da die Erzieherinnenausbildung an Fachschulen stattfindet, hat man den Abschluss im Deutschen Qualifikationsrahmen auf Stufe 6 angesiedelt; der Abschluss in der Gesundheits- und Krankenpflege gilt als Ausbildung und wurde entsprechend auf Niveau 4 eingeordnet. Die Einordnungen, die in Teilen auf politischen Entscheidungen und weniger auf wissenschaftlichen Untersuchungen gründen, haben somit großen Einfluss auf das Anrechnungsgeschehen. Bei den technischen Studiengängen ist die Anrechnungspraxis meiner Wahrnehmung nach sehr stark abhängig von dem Engagement einzelner Hochschullehrender. So werden zum Beispiel in den Fächern Maschinenbau und Mechatronik an der Hochschule Aalen in Baden-Württemberg pauschale Anrechnungsmöglichkeiten für fachaffine Fortbildungsabschlüsse mit einschlägiger Berufserfahrung angewendet. Ein hohes Engagement hängt mitunter auch damit zusammen, dass es für manche staatlichen Hochschulen einen Anreiz gibt, Bachelorstudiengänge für beruflich Qualifizierte als Weiterbildung anzubieten und eine Zielgruppe für weiterbildende und somit kostenpflichtige Studiengänge zu erschließen. An einer Hochschule in Bremen haben Studiengangsverantwortliche die Erfahrung gemacht, dass bei den Studierenden mit den klassischen Fortbildungsabschlüssen Meister und Techniker in der Regel größere Unterschiede bei den Mathematikkenntnissen vorliegen. Wurden im Rahmen der ANKOM-Projekte ähnliche Erfahrungen gemacht, die sich dann auf die Anrechnungsverfahren auswirkten? Zunächst einmal ist festzuhalten, dass Mathematik kein Studienbereich ist, bei dem es um Anrechnung geht. Es studieren überhaupt nur sehr, sehr wenige Studierende mit beruflicher Ausbildung Mathematik oder Physik. Mathematikkenntnisse sind aber in vielen anderen Studiengängen ein großes Thema, was damit zu tun hat, dass das Fach in vielen Studiengängen, zum Beispiel auch im Ingenieurstudium oder der Sozialen Arbeit wichtig ist, der letzte Mathematikunterricht bei den Studierenden mit beruflicher Aus- und Fortbildung aber sehr oft schon länger zurückliegt. Auch eine Abiturientin, deren Schulabschluss fünf Jahre zurückliegt, steht vor ähnlichen Problemen wie ein Meister, der vor fünf Jahren seine Fortbildung absolviert hat. In der Meisterfortbildung, so die Erfahrung aus den ANKOM-Projekten, scheint es eine stärkere Spreizung der Inhalte und Lernergebnisse zu geben als in der Technikerfortbildung der Fachschulen. Die Meisterfortbildung von heute ist zudem nicht vergleichbar mit der von vor 15 Jahren. In einem ANKOM-Projekt hat die Prüfung für den Abschluss der Optometriemeisterin eine so große Varianz der Kompetenzen ergeben, sodass keine pauschale Anrechnung möglich gemacht werden konnte. Neben der möglicherweise unterschiedlichen Ausrichtung von Fortund Weiterbildungen spielt es ja auch eine Rolle, wie Institutionen mit den Ergebnissen der Anrechnung umgehen. Wie weit sind unsere Bundesländer darin, die bestehenden Anrechnungsmodelle mit gegenseitiger Anerkennung zu honorieren? Im konkreten Fall eines Bremer berufspädagogischen Studiengangs wurden Absolventinnen in Niedersachsen 83 S TU DI E nicht für Referendariate zugelassen, weil man in Niedersachsen der Ansicht war, dass ihr Abschluss unvollständig war, und zwar aufgrund der vorher erhaltenen Anrechnung von beruflich erworbenen Kompetenzen auf die Studienleistungen. Die Konsequenz war, dass die Absolventinnen die nach Ansicht der niedersächsischen Behörde fehlenden Kompetenzen ›nachstudieren‹ mussten und der Studiengang in Bremen die Anrechnungsmöglichkeiten für weitere Jahrgänge deutlich eingeschränkt hat. Wie ist das zu bewerten? Einen solchen Fall habe ich noch nie gehört. Möglicherweise gibt es bei der Einstellung in den Schuldienst in Niedersachsen besondere Anforderungen. Mir sind andere Fälle bekannt, in denen verschiedene rechtliche Ebenen in Konflikt miteinander geraten. Im Rahmen eines Programms der Robert Bosch Stiftung zum Beispiel haben deutsche Krankenpflegekräfte im europäischen Ausland einen Masterabschluss erworben. Ihre Ausbildung wurde dort jeweils als Äquivalent zum Bachelorabschluss anerkannt. In Deutschland wurden diese Absolventinnen dann nicht zur Promotion zugelassen, weil ihnen der Bachelorabschluss nach deutschem Recht fehlte. Auch eine Beschäftigung als wissenschaftlicher Mitarbeiter ist nicht möglich ohne Bachelorabschluss. Möglicherweise stellt ein Wechsel der Hochschule Studierende vor ähnliche Probleme? Oder kann man darauf bauen, dass die aufnehmenden Hochschulen vorher angerechnete berufliche Kompetenzen ebenfalls anerkennen? Leider liegen uns über solche Fälle gar keine Daten oder Informationen vor. Meine Hypothese ist, dass es auch nicht so häufig zu Hochschulwechseln bei Studierenden mit beruflicher Ausbildung kommt. Im Prinzip wäre es aber nicht verwunderlich, wenn es Probleme gäbe. Denn die Anrechnung bezieht sich ja in der Regel nicht nur auf die ersten Semester, sondern auf den gesamten Zeitraum des Studiengangs. Noch eine Frage dazu, die vielleicht für uns noch Zukunftsmusik ist. Wenn Studierende aufwendige individuelle Anrechnungsverfahren in Kauf nehmen, welche Möglichkeiten werden sie in Zukunft haben, darin auch non-formal und informell erworbene Kompetenzen geltend zu machen? Das ist eine berechtigte Frage. Die Anrechnung informell und non-formal erworbener Kompetenzen steckt an deutschen Hochschulen immer noch in den Kinderschuhen. Sie erfordert aufseiten der Hochschule viel Know-how. Solange die Durchführung der Verfahren in der Hand der Hochschule bleibt und nicht zentralisiert wird, werden auch nur wenige Hochschulen dazu in der Lage sein. Mit zunehmender Lebens- und Berufserfahrung, immer heterogener werdenden Lebensverläufen und kulturellen Herkünften steigt hingegen der Bedarf an Anrechnung informell und informal erworbenen Kompetenzen. Das Interview wurde geführt von Susanne Hermeling Literatur z Freitag, Walburga K. et al. (Hrsg.): Übergänge gestalten – Durchlässigkeit zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung erhöhen, 2015. Online verfügbar www.ankom.dzhw.eu / publikationen / pdf / uebergaenge_gestalten.pdf (Zugriff 16.10.2015). z Freitag, Walburga Katharina (2014): Die Anrechnung außerhochschulisch erworbener Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge – ein Beitrag zur Schaffung durchlässiger Bildungswege. In: Handbuch Qualität in Studium und Lehre 47 (G 3.2): S. 105–128. z Arbeitsmaterialien zur Entwicklung, Umsetzung und Qualitätssicherung von Anrechnungsverfahren unter www.ankom.dzhw.eu / archiv 84 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN DR. CL AUDIA FENZL DR. ROL AND TUT SCHNER Zur Durchlässigkeit zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung – Konzeption und Durchführung eines berufsbegleitenden Studiengangs an der Universität Bremen Einleitung Die Durchlässigkeit zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung ist ein wichtiges Thema im Bildungsdiskurs des letzten Jahrzehnts. Dies dokumentieren nicht nur die Beschlüsse der Kultusministerkonferenz (KMK) zum Zugang beruflich Qualifizierter ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung1 und zur Anrechnung beruflicher Qualifikationen, die außerhalb des Hochschulwesens erworben wurden2, sondern auch eine Reihe hochschulpolitischer Initiativen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), die sich auf die Durchlässigkeit zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung richten. Parallel zu diesen Entwicklungen und Initiativen hat sich im zurückliegenden Jahrzehnt eine beinahe unübersichtliche Anzahl von Studienformaten etabliert, die sich an Studieninteressenten mit beruflichem Hintergrund richten. Im Einzelnen wären hier berufsintegrierte oder praxisintegrierte duale Studiengänge,3 Fernstudiengänge, berufsbegleitende Studiengänge, die vornehmlich an Wochenenden und / oder Abenden stattfinden, oder Studienformate, die blockmäßig organisiert sind, zu nennen. Deren Adressaten sind vornehmlich Absolventinnen und Absolventen beruflicher Ausbildungen und beruflicher Weiterbildungsabschlüsse, wie zum Beispiel Meisterinnen und Meister und Technikerinnen und Techniker. Im wissenschaftlichen Diskurs werden diese Studierendengruppen, die nicht über die traditionelle Hochschulzugangsberechtigung, also das Abitur verfügen, als nicht traditionell Studierende bezeichnet. Trotz der durch die KMK-Beschlüsse deutlich erweiterten Zugangsmöglichkeiten zu Hochschulen und Universitäten ist die Quote der nicht traditionell Studierenden in Deutschland im internationalen Vergleich immer noch sehr niedrig und liegt lediglich zwischen zwei und drei Prozent.4 Auffällig ist auch, dass nicht traditionell Studierende bei ihrer Studienwahl wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Studienfächer gegenüber MINT-Fächern (das heißt Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) favorisieren.5 Eine Erklärung für die geringe Zahl von nicht traditionell Studierenden in naturwissenschaftlichtechnischen Studiengängen könnte die meist signifikante inhaltliche und theoretische Diskrepanz zur beruflichen Aus- und Weiterbildung sein, denn in Bezug auf Inhalt und Niveau unterscheiden sich die MINT-Studiengänge deutlicher von beruflichen Ausbildungsgängen als im wirtschaftswissenschaftlichen, sozialpädagogischen und pflegerischen Bereich. Es ist deshalb von großem empirischen Interesse, herauszufinden, welche Erfahrungen diese Studierenden in technisch ausgerichteten und berufsbegleitend organisierten universitären Studiengängen machen. Welche Konsequenzen dies für die Konzeption und Durchführung solcher Studiengänge hat, wird am Beispiel des berufsbegleitenden Bachelorstudiengangs ›Berufliche Bildung‹ mit den beruflichen Fachrichtungen Elektrotechnik-Informationstechnik sowie Metalltechnik-Fahrzeugtechnik‹ gezeigt, der seit dem Wintersemester 2012 / 2013 an der Universität Bremen studiert werden kann und der sich insbesondere an nicht traditionelle Studierende richtet.6 Im ersten Teil dieses Aufsatzes wird zunächst der berufsbegleitend organisierte Studiengang ›Berufliche Bildung‹ vorgestellt. Im zweiten Teil werden ausgewählte Ergebnisse der studiengangbe- 85 S TU DI E gleitenden Evaluation präsentiert. Dabei wird aus den Erfahrungen mit den nicht traditionell Studierenden abgeleitet, vor welchen Herausforderungen die Organisatoren und Lehrenden in einem solchen Studiengang stehen. Der berufsbegleitende Studiengang ›Berufliche Bildung‹ Mit dem eingangs erwähnten Erlass der KMK von 2009 erhielten Absolventinnen und Absolventen beruflicher Aufstiegsfortbildungen ohne Abitur eine allgemeine Hochschulzugangsberechtigung.7 Damit haben sich die Hochschulen formal für Meisterinnen und Meister, Technikerinnen und Techniker, Personen mit gleichgestellten Abschlüssen sowie für beruflich Qualifizierte mit Berufserfahrung geöffnet. Zulassungsvoraussetzungen für das Studium sind demnach das Abitur, die Meisterprüfung, der Technikerabschluss sowie andere berufliche Weiterbildungsabschlüsse wie ›Technischer Fachwirt‹ und ›Technischer Betriebswirt‹. Auf diese Studierendengruppen mit beruflichem Hintergrund ist der seit dem Wintersemester 2012 / 13 akkreditierte berufsbegleitende Bachelorstudiengang ›Berufliche Bildung‹ vorwiegend ausgerichtet. Berufsbegleitendes Veranstaltungsangebot Um für Berufstätige attraktiv zu sein, muss der neue Studiengang neben einer beruflichen Vollzeittätigkeit berufsbegleitend studierbar sein. Deshalb wurde das Veranstaltungsangebot zeitlich so umstrukturiert, dass die Mehrzahl der Veranstaltungen am späten Nachmittag und in den frühen Abendstunden (16-20 Uhr) sowie in Blockveranstaltungen an Wochenenden studiert werden kann. In die berufsbegleitende Zeitstruktur konnten einzelne fachwissenschaftliche Module, das heißt sogenannte Importveranstaltungen, welche in den ingenieurwissenschaftlichen Fachbereichen stattfinden, eingebettet werden. Diese klassischen ingenieurwissenschaftlichen Pflichtveranstaltungen wie Mathematik und Technische Mechanik finden normalerweise zu den Kernstudierzeiten, also zwischen 8:00 und 16:00 Uhr statt und sind deshalb für berufsbegleitend Studierende kaum belegbar. Es wurde deshalb versucht, den Studienverlaufsplan so zu konzipieren, dass nur an einem oder eineinhalb Tagen pro Woche fachwissenschaftliche Studienanteile, das heißt die Importveranstaltungen, auf dem Studienplan stehen. Das berufsbegleitende Studium führt nach sechs Semestern zum Bachelorabschluss (Bachelor of Science, B. Sc.) als ersten Abschluss und bietet den Absolventen anschließend die Möglichkeit, ein Masterstudium aufzunehmen (Lehramt an berufsbildenden Schulen / Master of Education oder Ingenieurwissenschaften / Master of Science). Der berufsqualifizierende Abschluss des Bachelorstudiums zielt auf berufliche Tätigkeiten, die in den Feldern der Berufsausbildung und Personalentwicklung liegen. Als mögliche berufliche Beschäftigungsfelder können genannt werden: z Koordination der betrieblichen Ausbildung in Unternehmen oder in überbetrieblichen Bildungseinrichtungen der Wirtschaft und der Kammern, z Konzeption und Durchführung von Schulungsmaßnahmen, Maßnahmen der Anpassungsqualifizierung in Unternehmen sowie in Bildungseinrichtungen der Wirtschaft und der Kammern, z Aus- und Fortbildungstätigkeiten an Bildungseinrichtungen der Wirtschaft und der Kammern (z. B. in überbetrieblichen Ausbildungsgängen, in der Meisterausbildung, in der beruflichen Anpassungsfortbildung) sowie im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit, z Beratungs- und Entwicklungstätigkeit in der Lehrmittelbranche (für Lehrbücher und Lehrmedien etc.). Wird als Berufsziel das Lehramt an berufsbildenden Schulen gewählt, muss im Masterstudium das zweite Unterrichtsfach studiert werden. Anrechnung beruflicher Lernergebnisse Ein wichtiges Element des berufsbegleitenden Studiums im Studiengang ›Berufliche Bildung‹ ist die Anrechnung beruflicher Lernergebnisse. Wie die veränderte Zeitstruktur soll die Anrechnung von beruflichen Lernergebnissen dazu beitragen, die doppelte Erbringung von Lernergebnissen zu vermeiden sowie das Studium für Akteure aus der beruflichen Praxis attraktiver zu machen, den 86 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN Workload zu verringern und den Zugang zum Studium zu erleichtern. Um die Anrechnungspotenziale zu ermitteln, wurden nach dem Oldenburger Modell8 mithilfe des ›Module Level Indicator‹ (MLI) Äquivalenzvergleiche zwischen den Modulen des Studiengangs und den Veranstaltungen der beruflichen Fortbildungsabschlüsse Meister (Kfz-Technik), staatlich geprüfter Techniker (Maschinentechnik) und des Berufspädagogen (IHK) durchgeführt. Als Ergebnis der Äquivalenzvergleiche wurden folgende pauschale Anrechnungspotenziale ermittelt: z Kfz-Meistern mit dem Studienschwerpunkt Metall- und Kfz-Technik werden pauschal 15 CP (Kreditpunkte) angerechnet. z Technikern, die den Schwerpunkt Maschinentechnik absolviert haben, werden im Studienschwerpunkt Metall- / Fahrzeugtechnik 22 CP pauschal angerechnet. z Der Abschluss Geprüfte / r Berufspädagoge / in (IHK) wird mit 30 CP auf das Bachelorstudium angerechnet. Neben der pauschalen Anrechnung von beruflichen Lernergebnissen auf ausgewählte Studienmodule, wird auch die sogenannte individuelle Anrechnung, die über Portfolien und Fachgespräche zur Anrechnung von beruflichen Lernergebnissen führt, praktiziert. Durch die Kombination aus pauschaler und individueller Anrechnung kommen einzelne Meister aus dem Feld der Kfz-Technik auf eine Anrechnungssumme von über 30 CP, Techniker des Schwerpunkts Maschinentechnik haben ein Anrechnungsvolumen von über 50 CP erreicht. Besonderheiten des Studienmodells: zwei Abschlüsse und ›Triales Modell‹ Im Studiengang ›Berufliche Bildung‹ können zwei Abschlüsse erreicht werden, der Bachelor of Science sowie der Abschluss der Aufstiegsfortbildung Berufspädagoge (IHK). Der Fortbildungsabschluss Berufspädagoge (IHK) kann erreicht werden, wenn Studierende des Studiengangs zwei der sechs Fortbildungsmodule beim bfw Oldenburg9 absolvieren, am Modul zur Prüfungsvorbereitung teilnehmen und die Abschlussprüfung bei der IHK Oldenburg absolvieren. Aus der ersten Studienkohorte haben fünf Studierende die Fortbildung zu Berufspädagogen (IHK) erfolgreich abgeschlossen. Auf eine weitere Besonderheit des berufsbegleitenden Studiengangs, die den Studierenden mit beruflichem Hintergrund entgegenkommt, soll an dieser Stelle eingegangen werden. Der Studiengang wurde als ›Triales Modell‹ konzipiert, welches in der ersten Projektphase des vom BMBF geförderten Projektes BP@ KOM entwickelt und dessen universitäre Realisierung weiterhin durch das BMBF unterstützt wird. Das Studienmodell wird als ›Triales Modell‹ bezeichnet, da das Studium an drei Lernorten (Universität, Weiterbildungseinrichtung und Betrieb) stattfindet. Das bedeutet, dass Studienleistungen sowohl an der Universität, bei kooperierenden Weiterbildungsträgern, wie dem HandWERK Bremen10 und dem bfw Oldenburg sowie in Betrieben (zum Beispiel über betriebliche Praxisprojekte) erbracht werden können. Durch die Verknüpfung der drei Lernorte soll ein möglichst enger Bezug zur beruflichen Praxis hergestellt und aufrechterhalten werden. An der Universität und bei den Bildungsträgern werden jeweils Module angeboten, die Teil des regulären Studiums sind. An den sogenannten Projektseminaren sind Betriebe sowie die Universität beteiligt; die Verantwortung für die Leistungserbringung liegt aus sachlichwissenschaftlichen und aus rechtlichen Gründen aufseiten der Universität. Ergebnisse der Evaluation – Herausforderungen in Hinblick auf die Konzeption und Organisation des Studiengangs Der Studiengang ›Berufliche Bildung‹ wird seit seiner Einführung im Jahr 2012 fortlaufend evaluiert. Hierbei werden neben den Studierenden selbst auch die Dozentinnen und Dozenten der Universität sowie der kooperierenden Weiterbildungsträger befragt. Es kommen neben Einzel- und Gruppeninterviews auch Evaluationsworkshops und insbesondere studienbegleitend angelegte Fragebogenerhebungen (Panelerhebungen) zum Einsatz, bei denen die Studierenden über die Dauer ihres Studiums wiederholt befragt werden. Im Folgenden werden aus den Evaluationsergebnissen die Anforderungen, die an Konzeption und 87 S TU DI E Organisation des berufsbegleitenden Studiengangs ›Berufliche Bildung‹ zu stellen sind, abgeleitet. Umgang mit einer heterogenen Zielgruppe Von den 81 Studierenden, die zwischen den Wintersemestern 2012 / 2013 und 2014 / 2015 das Studium ›Berufliche Bildung‹ aufgenommen haben, besitzen etwa zwei Drittel eine schulische Hochschulzugangsberechtigung, etwa die Hälfte dieser Abiturientinnen und Abiturienten hat darüber hinaus eine Berufsausbildung. Ein Drittel aller Studierenden (24 Personen) sind beruflich Qualifizierte ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung. Diese nicht traditionell Studierenden sind vorwiegend mit einem Meisterabschluss an die Universität gekommen (18 Personen), fünf sind staatlich geprüfte Techniker und eine weitere Person befindet sich nach einer Berufsausbildung im Probestudium. Die Evaluationsergebnisse zeigen, dass sich nahezu alle Studierenden einem der folgenden drei Studierendentypen zuordnen lassen: z Studierende mit traditionellem Hochschulzugang ohne Berufserfahrung sind in der Regel etwa 20 Jahre alt, studieren in Vollzeit und erfahren überwiegend finanzielle Unterstützung entweder durch Eltern oder BAföG. Viele haben einen Nebenjob. z Beruflich qualifizierte Studierende mit traditionellem Hochschulzugang haben in der Regel nach dem Abitur eine Berufsausbildung gemacht. Sie sind in den mittleren Zwanzigern und studieren ebenfalls in Vollzeit. Sie sind ausschließlich für ihren eigenen Lebensunterhalt zuständig und finanzieren diesen über BAföG, Rücklagen oder Nebenjobs. z Die nicht traditionell Studierenden sind in der Regel männlich. Sie sind etwa 40 Jahre alt und haben überwiegend Familie, häufig mit mehreren Kindern. In vielen Fällen kommen finanzielle Verpflichtungen wie abzuzahlendes Wohneigentum hinzu. Sie sind voll berufstätig, eine Reduzierung der Erwerbstätigkeit kommt aufgrund der finanziellen Verantwortung für die Familien nicht infrage. Die hier typisiert dargestellten Gruppen von Studierenden sind demnach nicht nur in Hinblick auf ihre Hochschulzugangsberechtigung und ihre bisherigen Lern- und Berufserfahrungen heterogen. Sie sind in unterschiedlichen Lebensphasen, tragen in verschiedenem Maße Verantwortung für andere, verbinden unterschiedliche Ziele und Lebensentwürfe mit ihrem Studium und organisieren ihr Leben in unterschiedlichen Zeitstrukturen. Eine solch heterogene Zielgruppe erfordert in Bezug auf die Studienorganisation und -konzeption eine hohe Flexibilität sowie ein hohes Maß an Information und Beratung und viel individuelle Betreuung. Anpassung der Lehre an die neuen Veranstaltungszeiten Vorlesungen und Seminare für berufsbegleitend Studierende durchzuführen, bedeutet nicht nur die organisatorische Verschiebung der Lehrveranstaltungen auf den Nachmittag. Zunächst gibt es eine Reihe von Widerständen gegen eine solche Verschiebung, da sie ungewohnt für die Lehrenden ist und weil ihr die Vollzeitstudierenden, als Mehrheit der Studierenden, ablehnend gegenüberstehen. Dass die sogenannten Importveranstaltungen aus den Ingenieurwissenschaften nicht berufsbegleitend angeboten werden können, verschärft diese Situation noch, da zum Teil zweigeteilte Studientage mit Vorlesungen am Vormittag und am Abend absolviert werden müssen. Den berufsbegleitend Studierenden wiederum bereitet die Teilnahme an Importveranstaltungen große Schwierigkeiten, da diese in der Regel vormittags, also zu ihren üblichen Arbeitszeiten stattfinden. Eine besondere Herausforderung innerhalb der berufsbegleitend angebotenen Lehrveranstaltungen ist die Anwendung geeigneter Lern- und Lehrmethoden. Die berufsbegleitend Studierenden haben zu Beginn der Nachmittags- oder Abendveranstaltungen einen vollständigen Arbeitstag hinter sich und sind oft entsprechend erschöpft. Die Dozentinnen und Dozenten beschreiben in den Interviews, dass sie daher stets versuchen, eine gute Balance aus aktivierenden und eher regenerativen Phasen herzustellen und dabei gleichzeitig die Heterogenität der Teilnehmenden zu berücksichtigen. 88 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN Ähnliches gilt für Blockveranstaltungen am Wochenende, die anders zu konzipieren sind als wöchentlich stattfindende Seminare. Umgang mit unterschiedlichen Vorkenntnissen zu Studienbeginn Die Vorläufer des Studiengangs ›Berufliche Bildung‹ waren konzeptionell auf den Kenntnisstand von Abiturientinnen und Abiturienten ausgerichtet – dies gilt letztlich trotz der zusätzlichen Zielgruppe auch für das Curriculum und den Standard-Studienverlauf des aktuellen Studiengangs. Einerseits verfügen die beruflich Qualifizierten über viele Erfahrungen in Hinblick auf ihr Berufsbild und die Fachrichtung ihres Studiengangs, andererseits bringen sie weit weniger Wissen und Kompetenzen aus ihrer Schulzeit mit, die zudem oft noch viele Jahre zurückliegt. Diesen Voraussetzungen wird durch die bereits beschriebenen Angebote der pauschalen und individuellen Anrechnung beruflicher Lernergebnisse Rechnung getragen. Dort, wo den nicht traditionell Studierenden Vorkenntnisse fehlen, müssen im Studium Unterstützungsmaßnahmen angeboten werden. Zur Identifikation der signifikantesten Schwierigkeiten wurden daher die Studierenden nach ihrer Selbsteinschätzung sowie nach ›Hürdenfächern‹ befragt. Ergänzt wurde dies durch die Einschätzung der Lehrenden. Die nicht traditionell Studierenden selbst benannten einerseits die ingenieurwissenschaftlichen Veranstaltungen als Hürdenfächer, allen voran das Fach Mathematik, andererseits sahen sie Schwierigkeiten im Umgang mit Texten, sowohl beim Lesen wissenschaftlicher Texte als auch beim Schreiben eigener Arbeiten. Die Dozentinnen und Dozenten ergänzten diese Selbsteinschätzung noch durch den Aspekt, dass es den nicht traditionell Studierenden schwerfiele, Sachverhalte aus mehreren Perspektiven zu betrachten und infrage zu stellen sowie nicht eindeutige Ergebnisse zu akzeptieren. Um diese Schwierigkeiten zu meistern, wurden zwei Brückenkurse etabliert: ein Vorbereitungskurs zu mathematischen Grundlagen sowie ein Kurs zur ›Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten‹. Das Curriculum des Brückenkurses ›Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten‹ ist seit seiner Implementierung immer wieder angepasst und stärker auf die Zielgruppe der nicht traditionell Studierenden zugeschnitten worden. In Hinblick auf das Fach Mathematik zeigte sich jedoch, dass der Brückenkurs trotz vieler Teilnehmender und guter Bewertung nicht ausreichte, um die Studierenden auf die Importveranstaltung ›Mathematik I‹ in den ingenieurwissenschaftlichen Fachbereichen vorzubereiten, die Durchfallquote insbesondere der nicht traditionell Studierenden blieb hoch. Hierbei spielte unter anderem eine Rolle, dass der Dozent einer Mathematikveranstaltung für Produktionstechnik und Wirtschaftsingenieurwesen kaum die Möglichkeit hat, auf die Besonderheiten einer kleinen Teilgruppe von Studierenden der ›Beruflichen Bildung‹ einzugehen. Mittlerweile werden Erfahrungen mit einem eigenen Mathematikangebot, bestehend aus den Veranstaltungen ›Grundlagen der Mathematik‹ und ›Mathematik I‹ innerhalb des Studiengangs gesammelt. Es stellt sich der Herausforderung, einerseits Teilnehmende mit unterschiedlichen Vorkenntnissen zu berücksichtigen, andererseits ein maßgeschneidertes Curriculum für angehende Berufsschullehrer in technischen Fächern umzusetzen. Umgang mit beruflich geprägten Denk- und Arbeitsweisen Insbesondere für die nicht traditionell Studierenden sind die wissenschaftlichen Denk- und Arbeitsweisen an der Universität in der Regel eine neue Herausforderung. Bereits die Selbstorganisation des Studiums, zum Beispiel die Zusammenstellung des eigenen Studienplans oder die Anmeldung zur Prüfung fällt ihnen zu Studienbeginn relativ schwer. Sich den eigenen Lernprozess selbst zu strukturieren, wissenschaftliche Texte auf Grundlage einer eigenen Fragestellung auszuwählen oder mit unterschiedlichen Zugängen zu einem Thema zurechtzukommen, bleibt während des gesamten Bachelorstudiums eine große Herausforderung. Auch beim Erstellen eigener wissenschaftlicher Arbeiten fällt es den nicht traditionell Studierenden schwer, geeignete Fragestellungen zu entwickeln, mit unterschiedlichen Quellen umzugehen oder den Text entsprechend wissenschaftlicher Konventionen zu strukturieren. Erste Bachelorarbeiten 89 S TU DI E nicht traditionell Studierender der ersten Kohorte lassen vermuten, dass sechs Semester des Bachelorstudiums nicht ausreichen, um den Umgang mit wissenschaftlichen Denk- und Arbeitsweisen ausreichend zu üben. Für die Dozentinnen und Dozenten als Lehrende und Prüfende resultiert hieraus eine besondere Anforderung. Während sie einerseits berichten, dass die Lehrveranstaltungen selbst durch die berufliche Erfahrung der nicht traditionell Studierenden bereichert werden, sind universitäre Prüfungen, Abschlussarbeiten und Bewertungen auf akademische Maßstäbe ausgerichtet. Es ist demnach Aufgabe der Dozentinnen und Dozenten, den beruflich Qualifizierten einen Übergang zu wissenschaftlichen Denk- und Arbeitsweisen zu ermöglichen und gegebenenfalls zu erleichtern. Angebot einer individuellen Studienberatung Trotz der bisher benannten Belastungen und Herausforderungen, mit denen nicht traditionell Studierende im Studiengang ›Berufliche Bildung‹ konfrontiert sind, studiert der größte Teil dieser Gruppe erfolgreich. So ist zum einen die Abbrecherquote dieser Studierendengruppe geringer als die der traditionell Studierenden und es ist trotz der hohen Belastung durch Erwerbsarbeit, Familie und Studium zwei beruflich Qualifizierten der ersten Kohorte gelungen, ihr Bachelorstudium innerhalb der Regelstudienzeit abzuschließen. Mit günstigen Rahmenbedingungen und geeigneten Studienstrategien ist ein erfolgreiches Studium also auch für nicht traditionell Studierende möglich. Im Rahmen der Evaluation des Studiengangs wird versucht, diese Rahmenbedingungen und Strategien zu identifizieren. Es zeichnet sich bereits ab, dass eine unterstützende Haltung des Arbeitgebers und der Familie, geeignete Arbeitszeitmodelle sowie eine gegenseitige Unterstützung der Studierenden von Bedeutung sind. Solche Erfahrungen sollen Studieninteressierten und Studienanfängerinnen und Studienanfängern frühzeitig verfügbar gemacht werden. Hierzu werden geeignete Konzepte für eine Studienberatung entwickelt, die die interindividuell unterschiedlichen Rahmenbedingungen und (Berufs-)Biografien insbesondere der nicht traditionell Studierenden berücksichtigt. Fazit Am Beispiel des berufsbegleitend organisierten Studiengangs ›Berufliche Bildung‹ der Universität Bremen wurde gezeigt, mit welchen besonderen Herausforderungen nicht traditionell Studierende im Universitätsstudium konfrontiert sind und welche Konsequenzen dies für die Konzeption und Durchführung eines berufsbegleitenden technischen Studiengangs haben muss. Neben organisatorischen Elementen wie der berufsbegleitenden Zeitstruktur des Studiums oder der Anrechnung beruflicher Lernergebnisse auf das Studium wurden weitere Bedingungen identifiziert, die für den Studienerfolg nicht traditionell Studierender von Bedeutung sind. Im Einzelnen sind dies auf den spezifischen Wissensstand von Studierenden mit beruflichem Hintergrund zugeschnittene Brückenkurse in Hürdenfächern wie zum Beispiel Mathematik, die intensive Beschäftigung mit universitären Arbeits- und Denkweisen zu Beginn des Studiums und auf die heterogene Zusammensetzung der Studierendengruppen ausgerichtete didaktische und curriculare Konzepte. Darüber hinaus benötigen nicht traditionell Studierende Angebote individuell zugeschnittener Studienberatung sowie eine intensive beratende Unterstützung in den ersten Studiensemestern, um sich schneller im neuen universitären Umfeld zurechtzufinden. 1 Vgl. KMK (2009). 2 Vgl. KMK (2002). 3 Vgl. Wissenschaftsrat (2013). 4 Vgl. Dahm / Kerst (2013). 5 Vgl. Baethge u. a. ( 2014). 6 Die Umstellung des Studiengangs auf die berufsbegleitende Struktur sowie prozessbegleitende Evaluation wird über das Projekt BP@KOM durch das BMBF gefördert. Unterstützt wird die Implementierung der berufsbegleitenden Studienstruktur auch von der Bremer Initiative ›Offene Hochschulen‹. 7 Vgl. KMK (2009). 8 Vgl. Müskens / Tutschner / Wittig (2009). 9 Berufsfortbildungswerk Gemeinnützige Bildungseinrichtung des DGB GmbH (bfw). 10 Das HandWERK ist das Kompetenzzentrum der Handwerkskammer Bremen. 90 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN Literatur z Baethge, Martin u. a. (2014): Zur neuen Konstellation zwischen Hochschulbildung und Berufsausbildung. Forum Hochschule 3 / 2014. DZHW. z Dahm, Günther / Kerst, Christian (2013): Immer noch eine Ausnahme – nicht-traditionelle Studierende an deutschen Hochschulen. In: ZBS 2 / 2013, S. 34–39. z KMK – Kultusministerkonferenz (2002): Anrechnung von außerhalb des Hochschulwesens erworbenen Kenntnissen und Fertigkeiten auf ein Hochschulstudium. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 28.6.2002. Online-Zugriff: www.kmk.org / fileadmin / pdf / ZAB / Hochschulzugang_Beschluesse_der_KMK / AnrechaussHochschule.pdf (22.8.2015). z KMK – Kultusministerkonferenz (2009): Hochschulzugang für beruflich qualifizierte Bewerber ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 06.03.2009. Online-Zugriff: www.kmk.org / fileadmin / veroeffentlichungen_beschluesse / 2009 / 2009_03_06-Hochschulzugang-erfulqualifizierte-Bewerber.pdf (22.8.2015). z Müskens, Wolfgang / Tutschner, Roland / Wittig, Wolfgang (2009): Improving Permeability through Equivalence Checks: an Example from Mechanical Engineering in Germany. In: Tutschner, Roland / Wittig, Wolfgang / Rami, Justin (eds.) (2009): Impuls Band 38. Herausgeber: Nationale Agentur Bildung für Europa beim Bundesinstitut für Berufsbildung, S. 10–33. z Wissenschaftsrat (2013): Empfehlungen zur Entwicklung des Dualen Studiums, S. 9. Online-Zugriff: www.wissenschaftsrat.de / download / archiv / 3479-13.pdf (22.8.2015). 91 S TUDIE TU DI E DR . JU L I A K . GRONE WO L D S TEFANIE HIES TA ND Arbeiten, Lernen und Leben in Balance?! Instrumente für Betriebe zur Verbesserung der Life-Learn-Work-Balance In aller Kürze: Die Vereinbarkeit der drei Bereiche Arbeit, Lernen und Leben spielt mit Blick auf die gesamtgesellschaftlichen Entwicklungsprozesse (zum Beispiel Demografie, Fachkräftesicherung, Veränderungen im Bildungssystem etc.) in vielen verschiedenen Feldern eine zentrale Rolle, so beispielsweise auch im Rahmen des berufsbegleitenden Studierens. Im folgenden Beitrag wird auf Basis der Ergebnisse eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungs- und Praxisprojekts (ALLWiss) die Vereinbarkeit der Trias Arbeiten – Lernen – Leben aus betrieblicher Perspektive fokussiert. Es wird die Entwicklung von der Work-Life- zu der Work-Learn-Life-Balance (WLLB) skizziert und daraus abgeleitete Balance fördernde Instrumente vorgestellt. Ziel des Beitrags ist es, deutlich zu machen, dass WLLB ein Thema ist, welches nicht ausschließlich aus individueller, sondern auch aus betrieblicher Perspektive zu gestalten ist. Dies gilt im Besonderen dann, wenn Beschäftigte einer langfristig angelegten Weiterbildung (zum Beispiel einem berufsbegleitenden Studium) nachgehen. Arbeiten – Lernen – Leben in der Wissensarbeit – das Projekt ALLWiss Durch Veränderungen in der Arbeitswelt, demografische Entwicklungen und gewandelte Lebensmodelle haben sich tief greifende Veränderungsprozesse in den Sphären Arbeiten, Lernen und Leben ergeben. Als Folge dessen werden Beschäftigte mit sehr unterschiedlichen Vereinbarkeitsproblematiken konfrontiert: Mit den modernen Arbeitsstrukturen gehen verstärkte Anforderungen an Selbststeuerung, Selbstkontrolle und Selbstvermarktung der eigenen Arbeitskraft einher.1 Eine klare Grenzziehung zwischen Arbeits- und Freizeit sowie zwischen Arbeitsmitteln und privaten Ressourcen wird für die Beschäftigten nicht zuletzt durch betriebliche Rahmenbedingungen, wie Vertrauensarbeitszeit oder mobiles Arbeiten, immer schwieriger.2 Die zunehmende Komplexität von Arbeitsprozessen erfordert zudem, dass sich Beschäftigte kontinuierlich – und ein Leben lang – weiterbilden, um so beschäftigungsfähig zu bleiben. Ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen diesen drei Bereichen – im Sinne einer Work-Learn-Life-Balance – herzustellen und zu erhalten, ist eine der zentralen gesellschaftlichen, betrieblichen und individuellen Herausforderungen moderner Arbeitsgestaltung und -politik. Vor diesem Hintergrund untersuchte das interdisziplinäre Forschungs- und Praxisprojekt ›Arbeiten – Lernen – Leben in der Wissensarbeit‹ (ALLWiss) im Zeitraum von August 2009 bis April 2013 die Vereinbarkeit von Arbeiten, Lernen und Leben in der Wissensarbeit und prägte den Begriff der Work-Learn-Life-Balance (WLLB). Das ALLWiss-Projekt wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) gefördert. Ein interdisziplinäres Team der Berufsund Betriebspädagogik, der Betriebswirtschaftslehre und der Arbeits- und Organisationspsychologie untersuchte in Zusammenarbeit mit Unternehmen aus der IT-Branche die vielfältigen Herausforderungen bezüglich des Themenkomplexes Work-Learn-Life-Balance und entwickelte praxisorientierte Lösungen für die Erhaltung des Gleichgewichts der Bereiche Arbeit – Lernen – Leben. Im Fokus standen z die Suche nach Faktoren, die eine Balance der drei Bereiche fördern beziehungsweise deren Imbalance verhindern; z die Ermittlung von individuellen, sozialen und organisationalen Handlungs- 92 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN strategien zur Aufrechterhaltung dieser Balance z sowie die Entwicklung von Instrumenten und Gestaltungshilfen für die unternehmerische Praxis, die eine verbesserte Vereinbarkeit der Trias ermöglichen sollen. Im Rahmen des Projekts wurde die WLLB-Thematik vor allem in Hinsicht auf kleine und mittelständische Unternehmen diskutiert. Diese Fokussierung war Voraussetzung und Ziel des Projekts, das angesichts der oben genannten Veränderungen in der Arbeitswelt einen Beitrag zur Stärkung und Weiterentwicklung personalentwicklungsrelevanter Themen leisten wollte. Im Kontext der Vereinbarkeitsthematik rücken auch andere Felder in den Fokus: Beispielsweise können Personalentwicklungsabteilungen und Betriebe im Rahmen des berufsbegleitenden Studierens zu Kooperationspartnern von Hochschulen werden; dann gilt es, das berufsbegleitende Studium, im Sinne einer betrieblichen Personalentwicklungsmaßnahme, in die Weiterentwicklung des jeweiligen Beschäftigten sinnvoll, das heißt WLLB-orientiert, zu integrieren. Von der Work-Life- zu einer Work-Learn-Life-Balance Die gegenwärtig stattfindenden Veränderungen von Arbeit, wie zum Beispiel Subjektivierung und Digitalisierung von Arbeit, bedingen eine zunehmende Auflösung beziehungsweise Entgrenzung von Strukturen betrieblich organisierter Arbeit. Neue Kooperationsformen, wie enthierarchisiertes und projektorientiertes Arbeiten in abteilungsübergreifenden Gruppen und eine selbstverantwortliche Arbeits- und Lerngestaltung sind die Folge. Dies hat wiederum Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen, die oftmals durch Ad-hoc-Aufgaben und geringe Standardisierung gekennzeichnet sind. Statistiken des Gesundheitswesens zeigen zudem, dass in den letzten Jahren vor allem psychische Belastungen, die auf arbeitsbezogenen Stress zurückzuführen sind, stetig zugenommen haben.3 Als eine zentrale Stressquelle erweist sich die ständige Erreichbarkeit und die damit einhergehende Auflösung der Grenzen zwischen den Sphären Privatleben und Arbeit. So werden beispielsweise auch in der Freizeit arbeitsbezogene Ideen gesammelt sowie berufliche E-Mails gelesen und bearbeitet. Grenzziehungen zwischen Arbeits- und Freizeit sowie zwischen Arbeits- und Wohnort erodieren.4 In Bezug auf das Lernen kann für moderne Arbeit, die wissensintensiv und komplex ist, festgestellt werden, dass Beschäftigte das Lernen als integralen Bestandteil ihrer Arbeit betrachten. Für sie ist es Voraussetzung und Herausforderung zugleich: Einerseits wird Lernen mit Arbeiten gleichgesetzt, andererseits besteht die Notwendigkeit, zwischen Lern- und Arbeitsprozess zu differenzieren.5 Dies ist vor allem dann der Fall, wenn Beschäftigte berufsbegleitend studieren, denn das Studium findet in der Regel außerhalb des Arbeitsortes statt. Dennoch sind berufsbegleitende Studiengänge häufig durch eine starke Praxisorientierung gekennzeichnet, sodass wiederum eine Nähe zur Arbeitstätigkeit entstehen kann. Die aktive und bewusste Gestaltung der Lernprozesse in und außerhalb des Betriebes ist somit ohne eine persönliche Systematisierung des Prozesses schwierig.6 Moderne Arbeit bringt in ihrer Struktur (zum Beispiel durch große Handlungsspielräume) zwar grundsätzlich förderliche Voraussetzungen für das Lernen mit, jedoch resultieren daraus auch Lernhindernisse. Beispielsweise besteht häufig keine ausreichende Verknüpfung von formellem und informellem Lernen sowie eine mangelnde Eindeutigkeit zwischen Arbeits- und Lernorganisationsformen.7 Diese drückt sich einerseits in dem Verhältnis von Arbeiten und Lernen aus, wie dies eine befragte Person im ALLWissProjekt formuliert: ›In der Zeit, wenn sie neue Dinge lernen, können sie nicht arbeiten! Weil da lernen sie ja! Das ist schon immer ein Problem, seinem Vorgesetzten klarzumachen, okay, es ist hier jetzt einfach mal Zeit, in was Neues zu investieren, sei es, dass man sich 14 Tage mal was Neues anschaut. Das ist schon ein Punkt, der schwierig ist. Weil 14 Tage kriegen sie nicht so ohne Weiteres. Das sind 14 Tage, die sie nicht produktiv sind, sondern nur kosten‹ (05TMK, S. 23). Andererseits wird eine stärkere Organisation und Strukturierung von Arbeiten und Lernen gefordert: 93 S TU DI E ›Ich würde mir eine Person wünschen oder eine ganze Abteilung wünschen, die dann nichts anderes macht, wie das ganze Jahr über alle Funktionen im Haus, angefangen vom Chef, der muss genauso lernen, bis zum kleinsten Mitarbeiter in der Logistik alles im Blick hält.‹ (02SGJ, S. 14). Hinsichtlich Beschäftigter, die parallel zu ihrer Berufstätigkeit einem Studium nachgehen, trifft diese Schwierigkeit in besonderem Maße zu. Sie benötigen organisationale Strukturen und Prozesse, die Zeit für ein reflektiertes Lernen und Arbeiten bieten und ermöglichen.8 Zeit für bewusstes Lernen, was ein ausdrückliches Zurückziehen aus der Arbeitstätigkeit bedingt, ist jedoch häufig nicht vorhanden. Darüber hinaus spielt die ökonomische Nutzbarmachung eine zentrale Rolle: Der Erfolg eines Lernprozesses stellt sich für die Organisation erst dann ein, wenn ein Nutzen in Bezug auf die ökonomischen Interessen generiert wird. Ein berufsbegleitendes Studium ist jedoch auf einen längeren Zeitraum ausgelegt, sodass sich der Nutzen daraus für den Betrieb erst zu einem späteren Zeitpunkt ergibt. Die Zeit als beeinträchtigender Faktor sowie das Paradigma der betrieblichen Verwertbarkeit des Lernens kristallisieren sich somit als zentrale Herausforderungen im Zusammenhang mit Lernen und Arbeiten in der modernen Arbeit heraus.9 Die beschriebenen Entgrenzungstendenzen machen deutlich, dass das Lernen in der Arbeit einen zentralen Stellenwert einnimmt und es neben der Vereinbar- keit von Arbeiten und Leben auch um die Vereinbarkeit von Arbeiten und Lernen geht. Betriebe sind in dieser Hinsicht gefordert Strukturen bereitzustellen, die die Vereinbarkeit von Arbeiten, Lernen und Leben ermöglichen. Vor diesem Hintergrund kann es in der modernen Arbeit nicht mehr nur um eine WorkLife-, sondern um eine Work-LearnLife-Balance gehen. Das WLLB-Rahmenmodell Das WLLB-Rahmenmodell basiert auf dem Job-Demands-Resources-Modell.10 Das Modell bietet in seiner ursprünglichen Version zum einen die Möglichkeit, das vorhandene Potenzial sinnerfüllter, persönlichkeitsförderlicher und innovationsförderlicher Wissensarbeit zu nutzen. Zum anderen können damit die aus Überforderung und Belastung hervorgehenden destabilisierenden Risiken für Beschäftigte und Unternehmen in wissensintensiven Branchen deutlich gemacht werden, um dadurch eine Vermeidung eben jener Risiken zu erreichen. Im Rahmen des ALLWiss-Projekts wurde das Job-Demands-Resource-Modell um Aspekte des beruflichen Lernens und Privatlebens erweitert sowie um die Work-Learn-Life-Handlungsstrategien und -Maßnahmen ergänzt.11 Das WLLBRahmenmodell bietet damit einen Erklärungsansatz, wie eine ausgewogene Work-Learn-Life-Balance gelingen kann. Folgende Abbildung veranschaulicht das WLLB-Rahmenmodell: Abb. 1: WLLB-Rahmenmodell Anforderungen / Belastungen Arbeit Lernen (Privat-)Leben Ressourcen Arbeit Lernen (Privat-)Leben Quelle: Vgl. Antoni et al. (2014), S. 108 Auswirkungen (Individuum) Befinden Einstellung Verhalten WLLB-Handlungsstrategien / Maßnahmen 94 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN Im Modell wird ersichtlich, dass die WLLB-Handlungsstrategien und -Maßnahmen die Anforderungen und Ressourcen der einzelnen Beschäftigten beeinflussen und letztlich Auswirkungen auf das Befinden, die Einstellungen und das Verhalten des Individuums haben. Da der Einzelne innerhalb der Organisation in Arbeitsgruppen, Teams oder Abteilungen agiert, beeinflussen die WLLBHandlungsstrategien und -Maßnahmen indirekt auch die Arbeitsgruppen und haben letztlich auch Auswirkungen auf die Organisation als Ganzes. Dies gilt sowohl für individuelle WLLB-Handlungsstrategien als auch für organisationale WLLB-Instrumente und -Maßnahmen.12 Es wird deutlich, dass es um das komplexe Zusammenspiel verschiedener Dimensionen geht: Arbeits-, Lern- und Lebenszeit, Leistung und Anerkennung, Anforderungen und Kompetenzen, Belastungen und Ressourcen. Daraus folgt: WLLB ist kein Zustand, sondern ein dynamisches Verhältnis, in das Veränderungen und Flexibilitätserfordernisse der Arbeitswelt, aber auch der privaten Lebenswelt und des individuellen Lernens eingehen. Dieses Verhältnis muss immer wieder neu justiert werden. Work-Learn-Life-Balance in der betrieblichen Praxis – Instrumente und Gestaltungshilfen Die Vereinbarkeit der drei Bereiche ist nicht eindimensional zu betrachten, da es durch die vielgestaltigen Formen von Arbeit, Lebensentwürfen und Lernbiografien zu den unterschiedlichsten Konstellationen der Bereiche Arbeiten, Lernen und Leben kommen kann. Ein Beschäftigter, der beispielsweise ein berufsbegleitendes Studium aufgenommen hat, wird andere Strategien der Vereinbarkeit favorisieren, als ein Beschäftigter, welcher gerade eine Familie gegründet hat oder einer Pflegetätigkeit im Privatleben nachkommen muss. Balance wird also subjektiv sehr unterschiedlich bewertet und ist abhängig von der jeweiligen Lebensphase oder -situation.13 Vor diesem Hintergrund konnten im Rahmen des ALLWiss-Projekts folgende vier unterschiedliche Work-Learn-Life-BalanceTypen analysiert werden: z WLLB-Typ I – strikte Trennung z WLLB-Typ II – kleine Überschneidungen z WLLB-Typ III – große Überschneidungen z WLLB-Typ IV – völlige Überschneidung Die verschiedenen Typen zeigen, dass WLLB kein starrer Zustand ist, sondern als dynamischer Prozess zu verstehen und zu gestalten ist. In Abhängigkeit bestimmter Faktoren, wie zum Beispiel Dauer der Betriebszugehörigkeit, Karriere- und Lebensplanungen, Identifikation mit Unternehmen, haben die Personen des jeweiligen Typus unterschiedlichste Strategien zur Erhaltung ihrer WLLB entwickelt – von einer strikten Trennung bis hin zu einer völligen Entgrenzung der drei Bereiche.14 Die Typisierung liefert für die betriebliche Praxis erste Handlungsansätze, da diese Strategien sowohl individuell als auch sozial oder organisational angelegt sind15 und damit in der betrieblichen Ablauf- und Organisationsstruktur Berücksichtigung finden können. Zudem dient die Typisierung als Reflexionsbasis für Personalentwicklungsinstrumente, wie Trainings, Workshops und Mitarbeiter- und Zielvereinbarungsgespräche. Darüber hinaus wurden in dem Projekt ALLWiss zur konkreten Gestaltung gemeinsam mit den Akteuren in den Unternehmen verschiedene Instrumente zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Arbeit, Lernen und Leben entwickelt, die auf unterschiedlichen Ebenen und mit unterschiedlichen Intentionen ansetzen.16 Der WLLB-UnternehmensCheck Der WLLB-UnternehmensCheck kann als strukturiertes beziehungsweise standardisiertes Befragungsinstrument eingesetzt werden, um herauszufinden, wie die Vereinbarkeit von Arbeit, Lernen und Privatleben im Unternehmen aktuell eingeschätzt wird. Der WLLB-UnternehmensCheck macht deutlich, was sich in Bezug auf die WLLB der Beschäftigten als förderlich und was sich als hinderlich erweist. Das Instrument kann sowohl zur Einzelbefragung (Führungskräfte, Mitarbeiter, Betriebs- oder Personalrat) als auch zur Befragung von Gruppen oder für das gesamte Unternehmen eingesetzt werden. Zudem bietet es sich als ›Einstiegs- 95 S TU DI E instrument‹ an, um sich dem Thema WLLB systematisch zu nähern. Auf Basis der Ergebnisse des UnternehmensChecks kann dann entschieden werden, ob im nächsten Schritt beispielsweise eine WLLB-Teamanalyse durchgeführt wird. Die Fragen des UnternehmensChecks orientieren sich z am WLLB-Status (also an den aktuellen Konstellationen und Herausforderungen). Hier wird zum Beispiel gefragt: Welche besonderen WLLB-Konstellationen gibt es Ihrer Meinung nach in Ihrem Unternehmen? Wie erleben die Beschäftigten Ihrer Meinung nach die Auswirkungen der Vereinbarkeitsanforderungen von Arbeit, Lernen (berufliche Weiterbildung / Entwicklung) und (Privat-)Leben in Ihrem Unternehmen? z an den WLLB-Ursachen (das heißt an den wahrgenommenen Belastungen und Ressourcen). Beispielsweise wird gefragt: Welche Anforderungen stellen Arbeit, Lernen / berufliche Entwicklung und (Privat-)Leben und deren Vereinbarkeit Ihrer Meinung nach an die Beschäftigten? Über welche Mittel (individuell, Team, Unternehmen) verfügen die Beschäftigten Ihrer Meinung nach, um Vereinbarkeit herzustellen? z und an der WLLB-Ausstattung (das heißt an vorhandenen und genutzten Maßnahmen, Lösungen und Veränderungsprozessen). Beispielfragen für diesen Bereich lauten: Welche Maßnahmen gibt es Ihrer Kenntnis nach in Ihrem Unternehmen, die zur besseren Verein- barkeit von Arbeit, Lernen und (Privat-) Leben der Beschäftigten beitragen? Welche Prozesse, Hilfsmittel etc. gibt es Ihrer Kenntnis nach in Ihrem Unternehmen hinsichtlich der besseren Vereinbarkeit von Arbeit, Lernen und (Privat-) Leben der Beschäftigten? Die Auswertung der Ist-Situation erfolgt elektronisch, wobei das Ergebnis in Form eines Ampelsystems dargestellt wird.17 Die WLLB-Teamanalyse Die WLLB-Teamanalyse ist ein beteiligungsorientiertes Verfahren, bei dem die Beschäftigten Ursachen und Lösungsstrategien für WLLB-Probleme erörtern. Durch die Teamanalyse werden zum Beispiel Stressfaktoren in der Arbeit, Probleme mit ›Werkzeugen‹ in der täglichen Arbeit, Faktoren der Arbeitsplatz(un) zufriedenheit oder Faktoren, die zu einer Imbalance von Arbeit, Lernen und Privatleben führen, beschrieben und analysiert. Ziel ist es, dass Unternehmen dieses Instrument auch zur betrieblichen Organisationsentwicklung nutzen können. Daher wurden im Rahmen des ALLWissProjektes Beschäftigte zu Moderatoren ausgebildet, die die einzelnen Workshops über die Projektlaufzeit hinaus anleiten und begleiten. Die WLLB-Teamanalyse kann sowohl ›prophylaktisch‹ als auch ›kurativ‹ in Teams eingesetzt werden. Sie gliedert sich in fünf moderierte Workshops: Abb. 2: Teamanalyseworkshops 1. WS Matrix Scoring Quelle: Eigene Darstellung 2. WS Folgen/ Ursachenanalyse 3. WS Lösungsfindung 4. WS Lösungsumsetzung 5. WS Evaluation 96 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN Ziel des ersten Workshops ist es, aktuelle WLLB-Probleme innerhalb des Teams zu identifizieren, wie beispielsweise ständige Arbeitsunterbrechungen durch E-Mails, Anrufe und Anfragen von Kollegen. Im zweiten Workshop stehen die Folgen und die Ursachen der zuvor identifizierten Probleme im Vordergrund: So folgen zum Beispiel aus den stetigen Arbeitsunterbrechungen Zeitdruck, Konzentrationsschwierigkeiten und Einschränkung der konzeptionellen und kreativen Arbeitsanteile. Dies kann wiederum zu Frust und zu Belastungen in der Kommunikation zwischen den Teammitgliedern führen. Als Ursache lassen sich zum Beispiel eine fehlende Priorisierung und ein nicht abgestimmtes kollektives Zeitmanagement identifizieren. Im Fokus des dritten Workshops steht die Findung von teamspezifischen Lösungsmöglichkeiten. Hierbei werden gemeinsam Indikatoren erarbeitet, an denen das Team zusammen und jedes Mitglied individuell die jeweiligen Lösungsmöglichkeiten beurteilen kann. Der vierte Workshop dient der konkreten Lösungsumsetzung, das heißt, es werden gemeinsam Maßnahmen erarbeitet und ein Aktionsplan aufgestellt: Beispielsweise könnten die Folgen und Ursachen von Arbeitsunterbrechungen durch konkrete Maßnahmen, wie die Festlegung bestimmter Zeitlots für die Bearbeitung von E-Mails und konzeptioneller Arbeit, Teil eines solchen Aktionsplanes sein. Aber auch die Klärung von Verantwortlichkeiten und der Ausbau von Handlungs- und Entscheidungsspielräumen können weitere Maßnahmen darstellen. Durch eine teamspezifische Bearbeitung lassen sich teamspezifische Maßnahmen partizipativ entwickeln, welche auf hohe Akzeptanz und Engagement bei der Umsetzung stoßen. Diese Phase der WLLB-Teamanalyse bietet insofern ein hohes Potenzial für betriebliche (Prozess-) Innovationen und die Organisationsentwicklung. Im letzten Workshop wird der Prozess der Maßnahmenumsetzung evaluiert, das heißt, die Teammitglieder bewerten den Umsetzungsstand sowie die Qualität der Umsetzung (hier erweisen sich die zuvor festgelegten Indikatoren als hilfreich). Darüber hinaus wird der gesamte WLLB-Teamanalyseprozess reflektiert. Diese kollektive Reflexion18 fördert sowohl individuelle als auch kollektive Lernprozesse, da auf diese Weise implizite Erfahrungen bewusst werden und für zukünftige Arbeitshandlungen nutzbar werden. Zudem stößt diese kollektive Reflexion eine verbesserte und effektive Kommunikation innerhalb des Teams an. Das WLLB-Mitarbeitergespräch Für das WLLB-Mitarbeitergespräch wurde ein WLLB-basierter Fragenkatalog entwickelt, der als Grundlage für Mitarbeitergespräche in der Personalentwicklung eingesetzt wird. Der Fragenkatalog kann für unterschiedlichste Gespräche (Beurteilungs-, Entwicklungs- und Zielvereinbarungsgespräche) eingesetzt werden. Ziel ist jedoch immer, dass die Fragen aus dem WLLB-Fragenkatalog auf eine individuelle und angemessene Vereinbarkeit der Bereiche Arbeiten, Lernen und Leben gerichtet sind, um dadurch die Reflexion über die persönliche Work-Learn-LifeBalance anzustoßen.19 Der Fragenkatalog leistet damit einerseits Unterstützung bei der Abklärung und Optimierung der betrieblichen Rahmenbedingungen für das Lernen und Arbeiten, andererseits werden mögliche Hindernisse im beruflichen und im privaten Kontext benannt und Ressourcen der Beschäftigten identifiziert und mobilisiert. Um für die Vereinbarkeitsthematik im Allgemeinen und hinsichtlich der Fragen, die sich auf den privaten Bereich der Beschäftigten beziehen, im Besonderen zu sensibilisieren, wurde im Rahmen des Projekts ein Workshop mit den Führungskräften durchgeführt. In diesem Workshop wurde zum einen dargelegt, dass es bei dem WLLB-Mitarbeitergespräch nicht in erster Linie um die Leistungskontrolle der Beschäftigten geht, sondern um deren Weiterentwicklung. Zum anderen erfolgte eine Sensibilisierung und Erarbeitung von Umgangsstrategien hinsichtlich privater Themen der Beschäftigten, die bei der Durchführung des WLLBMitarbeitergesprächs einfließen können und durchaus auch sollen: Beispielsweise können angespannte familiäre Verhältnisse, wie die Pflege eines Angehörigen, Probleme in Partnerschaft oder Kindererziehung, Ursachen für die Belastungssituationen und Lernhindernisse sein und sich auf die Arbeitstätigkeit auswirken. Im Workshop wurden solche Situationen 97 S TU DI E und mögliche Abgrenzungsstrategien und Gesprächskompetenzen besprochen, um im WLLB-Mitarbeitergespräch adäquat reagieren zu können. Deutlich wurde dabei, dass eine Führungskraft nicht verantwortlich für die Klärung privater Schwierigkeiten ist, dennoch über diesbezügliche Probleme informiert werden muss, damit effektive Maßnahmen zur Unterstützung des jeweiligen Beschäftigten ausgewählt und gemeinsam vereinbart werden können.20 Das WLLB-Mitarbeitergespräch umfasst zwei Teile: Im ersten Teil erfolgt ein Rückblick auf die vergangene Arbeitsperiode. Hier wird beispielsweise gefragt: Welche Vereinbarungen wurden für den zurückliegenden Zeitraum getroffen? Bei dieser Frage kann auch das Protokoll des letzten Mitarbeitergesprächs als Grundlage dienen. Es wird darüber gesprochen, was erreicht wurde und was nicht und worin die Gründe für die Nicht-Erreichung liegen. Weiter wird zum Beispiel gefragt: Was ist seit dem letzten Gespräch gut gelungen und was nicht? Im zweiten Teil des Gesprächs wird entlang folgender vier Themenbereiche auf die derzeitige und zukünftige Arbeitssituation eingegangen: z Arbeitsaufgaben: Es werden Fragen zur Planung, Organisation und Erfüllung der Arbeitsaufgaben und zu Überforderung oder Unterforderung bei den Aufgaben sowie zu benötigten Qualifikationen und Kompetenzen gestellt. z Arbeits- und Lernkultur: Es werden Fragen zur Gestaltung des Arbeitsplatzes, zu technischen Hilfsmitteln und Arbeitsmaterialien, Arbeitszeitregelungen und -modellen sowie Fragen zu körperlichen Belastungen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen gestellt. z Zusammenarbeit und Führung: In diesem Themenkomplex richten sich die Fragen auf die Zusammenarbeit mit Kollegen und anderen Abteilungen, den Informationsaustausch und die Kommunikation sowie auf die Rolle als Führungskraft. z Veränderungs- und Entwicklungsperspektiven: Mit Blick auf die Zukunft werden durch die Fragen mögliche betriebliche Veränderungen besprochen und über die weitere Kompetenzentwicklung und die Karriereperspektiven beraten. Zwar sollten alle vier Themenbereiche im WLLB-Mitarbeitergespräch berücksichtigt werden, jedoch haben die jeweiligen Gesprächspartner (Führungskraft und Mitarbeiter) die Möglichkeit, Schwerpunkte im Gespräch zu setzen, sodass eine individuelle Förderung der WorkLearn-Life-Balance des Mitarbeiters fokussiert werden kann. Fazit und Ausblick Ziel des ALLWiss-Projekts war die Entwicklung, Erprobung und Verbreitung von wirksamen Work-Learn-Life-Interventionen in Form von Instrumenten für verschiedene Handlungsfelder, damit Unternehmen und Beschäftigte den wachsenden Anforderungen an eine Balance von Flexibilität und Stabilität in der Arbeits- und Lebenswelt begegnen können. Es zeigte sich, dass der Rückgriff auf Strategien und Angebote zur Ausbalancierung der Trias Arbeiten, Lernen und Leben von der individuellen Lebensphase, in der sich ein Beschäftigter aktuell befindet, abhängig ist. Beschäftigte, die beispielsweise einer längerfristigen Weiterbildung wie einem berufsbegleitenden Studium nachgehen, werden andere Strategien der Vereinbarkeit favorisieren als Beschäftigte, die gerade ein Haus bauen, eine Familie gegründet haben oder einer Pflegetätigkeit im Privatleben nachkommen. So kann zum Beispiel die Möglichkeit, Gleitzeit oder Home Office in Anspruch zu nehmen für Beschäftigte mit Kindern dazu dienen, Arbeiten, Lernen und Leben besser miteinander zu verbinden. Beschäftigte ohne Kinder und mit einem Partner in Vollzeitbeschäftigung werden hingegen eine solche Maßnahme eher nicht in Anspruch nehmen wollen, da diese nicht zu der aktuellen Lebenssituation passt.21 Bezogen auf die Thematik des berufsbegleitenden Studierens sind Unternehmen, deren Beschäftigte eine solche Form der Weiterqualifizierung gewählt haben, gefordert, das Studium als wissenschaftliche Weiterbildung und damit als langfristige Personalentwicklungsmaßnahme zu begreifen und entsprechend zu fördern. Hier deutet sich ein Paradigmenwechsel in Bezug auf die Haltung zu dem Verhältnis von Weiterbildung und betrieblichem Nutzen dieser Weiterbildung an: Die Sichtweise, dass mit einer Weiterbildung 98 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN ein direkter unmittelbarer Nutzen im ökonomischen Sinn verbunden sein muss, kann vor dem Hintergrund einer langfristigen Ausrichtung der Personalund Organisationsentwicklung sowie der gesellschaftspolitischen Veränderungen (Globalisierung und Digitalisierung, demografischer Wandel, Fachkräfteengpässe etc.) nicht aufrechterhalten werden. Im Kontext des berufsbegleitenden Studierens und der Thematik der Vereinbarkeit von Arbeiten, Lernen und Leben kann Folgendes konstatiert werden: Damit die WLLB von beruflich qualifizierten Studierenden erhalten werden kann, wäre beispielsweise darauf zu achten, dass betriebliche Freistellungsregelungen eingehalten werden oder die Arbeit lernförderlich gestaltet wird, indem Arbeit und Lernen gezielt verbunden werden. Dies kann zum Beispiel durch Projektarbeiten aus dem Studium, welche gleichzeitig einen direkten Bezug zur beruflichen Tätigkeit aufweisen, gelingen. 1 Vgl. exemplarisch Voß / Pongratz (1998). 2 Vgl. exemplarisch Moldaschl/Voß (2002). 3 Vgl. exemplarisch Lohmann-Haislach (2012). 4 Vgl. Hiestand / Haunschild (2014), S. 43. 5 Vgl. Müller (2015). 6 Vgl. Müller / Meyer (2014), S. 82 f. 7 Vgl. Hartz (2004); Rohs (2007). 8 Vgl. Müller / Meyer (2014), S. 83. 9 Vgl. Salman (2009). 10 Vgl. Bakker / Demerouti (2007). 11 Vgl. Antoni et al. (2014). 12 Vgl. Antoni et al. (2014), S. 107. 13 Vgl. Syrek et al. (2011). 14 Vgl. dazu ausführlich Antoni et al. (2014), S. 149 ff. 15 Vgl. Syrek et al. (2014). 16 Die Instrumente und die entsprechenden Handreichungen können auch unter www.allwiss.de eingesehen werden. 17 Vgl. ausführlich Antoni et al. (2014), S. 241 ff. 18 Vgl. Müller (2015). 19 Vgl. Berger et al. (2014). 20 Vgl. Berger et al. (2014), S. 263. 21 Vgl. exemplarisch Müller (2015). Auch Hochschulen beziehungsweise Anbieter von berufsbegleitenden Studiengängen sind gefordert, sich mit der beschriebenen Vereinbarkeitsthematik auseinanderzusetzen. Berufsbegleitend Studierende nehmen zum Beispiel andere Betreuungszeiten in Anspruch als Vollzeitstudierende. E-Mails und Anfragen gilt es auch am Wochenende beziehungsweise außerhalb üblicher Arbeitszeiten zu beantworten und auch Semester- und Prüfungszeiten sind mit den Arbeitszeiten berufsbegleitend Studierender abzustimmen. Dies bedeutet zum einen, dass sich auch die WLLB von Lehrenden und Koordinatoren in berufsbegleitenden Studiengängen verändert, da sich Betreuungszeiten und Unterstützungsleistungen (zum Beispiel die Organisation der Prüfungsvorbereitung) entgrenzen. Zum anderen berührt die WLLB-Thematik die Programmentwicklung der berufsbegleitenden Studiengänge: Um eine gelungene Vereinbarkeit der Trias Arbeit, Lernen und Leben für beruflich Qualifizierte zu ermöglichen, sind in den Curricula und Prüfungsordnungen Strukturen und Maßnahmen zu etablieren, die ein zeitlich flexibles Studieren erlauben. 99 S TU DI E Literatur z Allen, T. D. et al. (2000): Consequences associated with work-to-family conflict: A review and agenda for future research. Journal of Occupational Health Psychology, 5 (2), S. 278–308. z Antoni, C. H. / Apostel, E. / Syrek, C. (2014): Work-Learn-Life-(Im)Balance in der Wissensarbeit: Ein empirisch fundierter Erklärungsansatz. In: Antoni, C. H. et al. 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Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 50 (1), S. 131–158. 100 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN Handlungsfelder und Informationen 7 ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ 101 S TUDIE TU DI E Handlungsfelder Die Öffnung der Hochschulen für Berufstätige berührt viele Politikfelder. Verschiedene Maßnahmen in diesen Politikfeldern müssten ineinandergreifen, um mehr Berufstätigen ein Studium zu ermöglichen. Bildungspolitisch richtet sich der Blick darauf, wie Hochschulen ihre Angebote didaktisch, zeiträumlich und adressatengerecht für berufstätige Studieninteressierte gestalten. Oder wie eine größere Durchlässigkeit zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung geschaffen werden kann, zum Beispiel durch die Anrechnung beruflicher Kompetenzen auf Studienleistungen. Damit sich die Hochschulen in diesen Bereichen stärker engagieren, müssen hochschulpolitische Entscheidungen für eine bessere Ausstattung getroffen werden. Erst wenn es sich die staatlichen Hochschulen leisten können, mehr finanzielle und personelle Ressourcen zu investieren, kann die offene Hochschule für Berufstätige realisiert werden. Eine sozialpolitische Fragestellung ist es, diejenigen Studieninteressierten zu fördern, die trotz einer Erwerbstätigkeit die Kosten eines Studiums nicht selbst tragen können. Beschäftigungspolitisch steht zur Debatte, wie große sowie mittlere und kleinere Unternehmen mit Bedarf an hochqualifizierten Fachkräften, studierende Beschäftigte unterstützen und ihnen mehr Freiräume für langfristige Qualifizierungen schaffen können. Handlungsfeld Betriebe Beschäftigte, die sich neben ihrem Beruf für ein Studium entscheiden, sind hoch motiviert und interessiert an beruflicher Weiterentwicklung. Sie können neben ihrer Berufserfahrung und firmeninternem Wissen auch wissenschaftliche Kenntnisse in die Arbeit einbringen. Größere Offenheit für die individuellen Studienentscheidungen von Beschäftigten kann sich daher für Unternehmen auszahlen. Große Unternehmen setzen in ihren Personalentwicklungsprogrammen oft vor allem auf unternehmensinterne Weiterbildung. Für sie kann es sich lohnen, ihren Blick weiter zu öffnen für das Angebot an staatlichen Hochschulen, das neue inhaltliche Impulse geben kann, zum Beispiel in den Bereichen der Forschung und Entwicklung und der Unternehmensorganisation. Umfangreiche Förderprogramme, wie das Daimler Academic Programs können sich in der Regel nur Großunternehmen leisten. Doch auch in mittleren und kleineren Unternehmen sollte die Studienförderung Bestandteil der Personalentwicklung sein. Unsere Studie zeigt, dass mitunter Studierende schon vor ihrem Abschluss mit anspruchsvolleren Aufgaben im Betrieb betraut werden. Ist das Studium eines oder einer Beschäftigten von so hoher Relevanz für den Betrieb, sollte eine finanzielle Beteiligung seitens des Arbeitgebers selbstverständlich sein. Dieser kann direkte Kosten übernehmen oder Beschäftigte für Veranstaltungen bezahlt freistellen. Arbeitszeitregelungen und Bildungsteilzeit Eine Förderung durch flexible Arbeitszeitregelungen ist entscheidend für studierende Beschäftigte. In welcher Form sich Unternehmen in verschiedenen Branchen engagieren, hängt natürlich davon ab, wie stark das betriebliche Interesse an der wissenschaftlichen Qualifizierung ist. Vorbildhaft ist daher der Qualifizierungstarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie. Hier ist vorgesehen, dass sich die Arbeitgeber bei betrieblich zweckmäßiger Entwicklungsqualifizierung mit bezahlter Freistellung im Umfang von 50 Prozent der Weiterbildungszeit beteiligen. Bei persönlicher beruflicher Weiterbildung, die als betrieblich geeignet eingestuft wird, ohne dass ein aktueller Bedarf im Betrieb besteht, 102 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN absolvieren die Beschäftigten die Weiterbildung gänzlich außerhalb ihrer Arbeitszeit. Regelungen für Bildungsteilzeit über einen Zeitraum von bis zu sieben Jahren sind in beiden Fällen vorgesehen. In einer Variante bekommen Beschäftigte über sieben Jahre einen reduzierten Lohn und können so für die Dauer der Qualifizierung auf Teilzeit umsteigen. Entscheidend ist dabei, dass sie das Rückkehrrecht auf eine Vollzeitstelle haben. Der Qualifizierungstarifvertrag wird jedoch erst in Form von betrieblichen Vereinbarungen gelebte Praxis. Dabei ist das Engagement von Arbeitgebern und Betriebsräten gefragt, damit Bildungsteilzeit in den Betrieben umgesetzt werden kann. Das beginnt mit der regelmäßigen Ermittlung von betrieblichen und individuellen Qualifizierungsbedarfen. Außerdem sollten Verfahren zur Führung von Bildungskonten (Zeit), Ansparguthaben (zum Beispiel Weihnachtsgeld), Wechsel in Teilzeit und Rückkehr in Vollzeit vereinbart werden. Die genauen Inhalte und die Form einer Bildungsvereinbarung müssen von Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern im Betrieb festgelegt werden. Die Tarifvereinbarungen sehen vor, dass der Betriebsrat in Betrieben mit über 200 Beschäftigten bei individuellen Konflikten intervenieren und eine Konfliktlösung herbeiführen kann. Das Modell der Bildungsteilzeit bietet den Beschäftigten sowohl finanzielle als auch Beschäftigungssicherheit. Für Unternehmen sind die tariflichen Regelungen ein Anlass, ihre Personalentwicklung zu optimieren.1 Betriebs- und Personalräte sollten Beschäftigte mit Qualifizierungsinteressen in den Unternehmen gezielt ansprechen, informieren und unterstützen. Häufig werden im Falle von längerfristiger Weiterbildung individuelle Vereinbarungen getroffen, bei denen Beschäftigte die Unterstützung ihrer Interessenvertretung gut gebrauchen können. Wenn Betriebe eine längerfristige Qualifizierung finanziell unterstützen, müssen sich die Beschäftigten häufig verpflichten, für eine bestimmte Zeit im Unternehmen zu bleiben. Verlassen die Beschäftigten das Unternehmen früher als vereinbart, greifen in der Regel Rückzahlungsklauseln. Diese sind grundsätzlich rechtswirksam, solange die Regelung verhältnismäßig ist. Die Höhe des Rückzahlungsbetrags muss sich ebenfalls mit der Zeit vermindern. Auch in diesen Fragen sind Interessenvertretungen in der Beratung von Beschäftigten gefragt. Mitunter sind neben einer temporären Reduzierung von Arbeitszeit weitere Vereinbarungen nötig. Der Schichtbetrieb etwa macht es Studierenden oft unmöglich, Präsenzzeiten im Studium regelmäßig einzuhalten. Hier sollte ein Wechsel ermöglicht werden, zum Beispiel in die Frühschicht, wenn hauptsächlich Abendveranstaltungen an der Hochschule stattfinden. Vereinbarkeit von Studium und Beruf fördern Der Beitrag von Gronewold und Hiestand in diesem Band zeigt, dass Betriebe mit einer Reihe von Maßnahmen Belastungsfaktoren abbauen können, damit Beschäftigte Freiräume und Konzentrationsfähigkeit für eigene Lernprozesse entwickeln. Belastungen und ineffiziente Arbeitsprozesse im Unternehmen sollten analysiert und in Teams sowie individuell bearbeitet werden. Auch mehr Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich der Bearbeitung von Aufgaben und der Zeiteinteilung können studierende Beschäftigte wesentlich unterstützen. Ein Motivationsfaktor für die Beschäftigten ist es, wenn frühzeitig geklärt wird, welche Entwicklungsmöglichkeiten im Unternehmen für sie mit dem Studienabschluss verbunden sein können. Auch hier können sich Vorgesetzte engagieren und möglicherweise Kontakte zu anderen Unternehmensbereichen herstellen. Das setzt natürlich voraus, dass im gesamten Unternehmen eine Kultur gefördert wird, die die Entwicklungsfähigkeit von Beschäftigten positiv wertet. Ist das betriebliche Interesse an Studieninhalten hoch, kann auch ein gezielter Theorie-Praxis-Transfer gelingen. So kann zum Beispiel die Abschlussarbeit einer Studierenden mit einem betrieblichen Thema oder Projekt verknüpft werden. Vorgesetzte sollten sich hier aufgeschlossen zeigen, da die Beschäftigten und der Betrieb gleichermaßen profitieren. 103 S TU DI E Handlungsfeld Hochschulpolitik Die erweiterten Hochschulzulassungsregelungen für Studierende ohne Abitur führen bisher nicht zu einer deutlich höheren Teilnahme von beruflich Qualifizierten. Insgesamt sind studieninteressierte Berufstätige, ob mit oder ohne Abitur, angewiesen auf adressatengerechte Studienangebote. Diese können aber nur geschaffen werden, wenn die staatlichen Hochschulen mit den notwendigen Ressourcen ausgestattet werden. Die Gestaltung und Umsetzung berufsbegleitender Bachelorstudiengänge ist an den staatlichen Hochschulen eine Seltenheit, weil die Finanzierung für den zusätzlichen Aufwand extra aufgebracht werden muss. So konnte auch der einzige berufsbegleitende Bachelorstudiengang an der Universität Bremen nur mithilfe von Drittmitteln des BMBF konzipiert und umgesetzt werden. In der Politik ist dieses Dilemma bekannt. Auch der Bremer Senat räumt ein, dass die Schaffung berufsbegleitender Angebote für die Hochschulen mit einem ›Mehraufwand‹ verbunden ist. Der Senat erkennt auch an: ›Die Hochschulen sind derzeit noch durch den zu bewältigenden Ansturm der geburtenstarken Jahrgänge und der doppelten Abiturientenjahrgänge auf die Studienplätze hoch belastet.‹2 Diese hohe Auslastung der Hochschulen wird sich aufgrund der allgemein stark erhöhten Studierneigung auf absehbare Zeit nicht verändern. Dennoch wird keine nachhaltige Lösung für den Mangel an Ressourcen angeboten und weiterhin setzt das Land Bremen lediglich auf die Einwerbung von Drittmitteln, vornehmlich im Bundeswettbewerb ›Offene Hochschule‹. In der aktuellen Förderrunde 2014 ist es allen vier staatlichen Hochschulen in Bremen gelungen, eine Projektförderung für die Öffnung von Teilen des Regelstudienangebots oder für einzelne Studienprogramme zu bekommen. Wie die Verstetigung der in den nächsten Jahren entstehenden Strukturen gewährleistet werden kann, muss nun ernsthaft diskutiert werden. Die Finanzierung von berufsbegleitenden Masterstudiengängen soll nach § 109 (2) BremHG über Studiengebühren erfolgen, weil die Formate nach dem Bremischen Hochschulgesetz der Weiterbildung zugeordnet werden. Hin- sichtlich der Standards gibt es bei den berufsbegleitenden Studiengängen keine Unterschiede zu den gebührenfreien konsekutiven Masterstudiengängen. Die sich hieraus ergebenden Widersprüche sind ungelöst. Warum sollen Bachelorabsolventen, die in ihrer Phase der Berufstätigkeit einen Masterabschluss erwerben, Studiengebühren zahlen, während Bachelorabsolventen, die einen Masterstudiengang in Vollzeit absolvieren, nichts bezahlen? Eine politische Diskussion muss nochmals darüber geführt werden, welcher sachlichen Logik die Finanzierungsregelungen folgen sollen. Die Realisierung von hochwertigen Weiterbildungsangeboten ist auch von der Verfügbarkeit von wissenschaftlichem Lehrpersonal abhängig (vgl. das Interview mit Petra Boxler in Kapitel 6). Ein Engagement von Lehrenden in der Weiterbildung wird allerdings nicht auf das Lehrdeputat angerechnet. Das macht es schwierig für Hochschullehrende, die in der Regel ausgelastet sind, Lehre in weiterbildenden Studienangeboten zu leisten. Nur in Schleswig-Holstein können Hochschulen bis zu zehn Prozent ihrer Lehrkapazitäten für wissenschaftliche Weiterbildung aufwenden (vgl. § 59 (1) SchlesHG). Eine ähnliche Regelung sollte im Land Bremen bei der nächsten Hochschulgesetzesnovellierung beschlossen werden. Schließlich gehört die Weiterbildung nach § 4 und § 16 BremHG zu den grundständigen Aufgaben von Hochschulen und Hochschullehrenden. Konsequenterweise müssen daher die praktischen Voraussetzungen für die Erfüllung dieser Aufgaben geschaffen werden.3 Handlungsfeld Hochschulen Adressatengerechte Beratung, Anrechnung, Studienformate und Didaktik Berufsbegleitende Studienformate für Berufsgruppen mit einem hohen Bedarf an wissenschaftlicher Weiterbildung sollten sowohl auf Bachelor- als auch auf Masterebene an den staatlichen Hochschulen etabliert werden. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass die Präsenzveranstaltungen auf die gängigen Arbeitszeiten der Berufsgruppen abgestimmt sind. Bei Bedarf werden auch Blended-Learning-Angebote und selbst gesteuerte Lerneinheiten integriert. Einzelne Studienmodule 104 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN sollten entsprechend flexibel anwählbar sein, damit intensive und weniger intensive Studienphasen den wechselnden Anforderungen im Beruf und im Privatleben angepasst werden können. Eine Auseinandersetzung des Hochschulpersonals mit berufspädagogischer Didaktik kann es zudem unterstützen, in einem wissenschaftsbasierten Studium berufspraktische Bezüge herzustellen. Das gilt zum Beispiel auch für Fächer wie Mathematik. Die Lehre ist in der Regel auf Studierende ausgerichtet, die ihr Abitur gerade hinter sich haben. So bietet beispielsweise die Hochschule Bremerhaven erfolgreich spezielle Module von Mathematik und technischer Mechanik für Studierende ohne Abitur an. Solche Angebote und Brückenkurse gerade für Grundlagenfächer bieten sich an allen Hochschulen an, um den Studienerfolg von Berufstätigen zu erhöhen. Eine strukturelle Öffnung des Regelstudienangebots wird in Bremen seit Jahren diskutiert und ist in jedem Fall sinnvoll, damit auch Berufstätige in Zukunft größere Wahlmöglichkeiten haben. Mit der Modularisierung von Studiengängen im Rahmen des Bologna-Prozesses sind jedoch noch keine genügenden Voraussetzungen für die geplante Öffnung geschaffen. An der Universität Bremen und an der Hochschule Bremen sind im Jahr 2015 zwei vom BMBF geförderte Projekte (konstruktiv und HSBflex) gestartet. Beide Projekte setzen sich mit der zunehmenden Heterogenität der Studierendenschaft auseinander und beziehen nicht nur die Bedürfnisse von Berufstätigen, sondern auch von Studierenden mit Familienpflichten in ihre Konzeptionen ein. An der Hochschule Bremen soll die Beratung und die Anerkennung beruflicher Kompetenzen adressatengerecht gestaltet werden. Beides ist für einen Einstieg in das Studium wichtig. Eine umfassende Beratung im Vorfeld und während des Studiums sollte nicht nur in den zentralen Studienberatungen der Hochschulen, sondern auch in den einzelnen Studiengängen geleistet werden. Für diese Aufgabe muss das Hochschulpersonal entsprechend geschult werden, denn Studienfinanzierung, Hochschulzulassung und Studienrahmenbedingungen sind für Berufstätige oft anders als für traditionelle Studierende. Die Etablierung von Anrechnungsverfahren ist in jedem Fall aufwendig, aber die einzige Möglichkeit für Berufstätige, Redundanzen zu vermeiden und ihre Studiendauer zu verkürzen. Die pauschale Anrechnung auf Studienleistungen aufgrund definierter Berufsabschlüsse ist für die Studierenden am wenigsten aufwendig und transparent. Damit aber auch Berufserfahrungen und andere informell erworbene Kompetenzen angerechnet werden können, empfiehlt sich eine Kombination aus pauschalen und individuellen Anrechnungsverfahren (vgl. das Interview mit Walburga Freitag in Kapitel 6). Außerdem ist an der Hochschule und der Universität Bremen geplant, Studienmodule aus ausgewählten Regelstudiengängen als berufsbegleitend studierbar zu gestalten. Teilweise müssen die Module neu entwickelt und E-LearningAnteile integriert werden. Der Erfolg der Projekte HSBflex und konstruktiv hängt wesentlich auch davon ab, wie die kooperierenden Einrichtungen und Fakultäten die neuen Maßnahmen unterstützen. Der Verlauf sollte unterstützend evaluiert werden, damit neue Strukturen verstetigt werden und in die Konzeption anderer Studiengänge einfließen können. Außerdem sollten die Prüfungsordnungen der einzelnen Studiengänge zeitlich entzerrt werden, damit für berufsbegleitend Studierende eine übermäßige Leistungsverdichtung in der Zeit der Abschlussarbeit vermieden wird. So sollten beispielsweise für Teilzeitstudierende an der Hochschule Bremen andere zeitliche Rahmenbedingungen zugrunde gelegt werden als für Vollzeitstudierende. Grundsätzlich sollten alle Hochschulen es berufstätigen Studierenden ermöglichen, das Regelstudium in Teilzeit zu absolvieren. Berufstätige können so ihr Studium strukturierter planen. Außerdem fallen für Studierende, die Regelstudienzeiten wegen ihrer Erwerbstätigkeit überschreiten, keine Langzeitstudiengebühren an. Das Bremische Hochschulgesetz sieht diese Möglichkeit nach § 55 (4) BremHG vor. Sie wird jedoch bisher nur von der Hochschule Bremen angewendet. Als ›Weiterbildungsstudierende‹ können sich Berufstätige an der Universität Bremen für ein Modulstudium einschreiben und so einen Einblick in einen Studiengang bekommen. Die 105 S TU DI E allgemeinen Prüfungsordnungen für die wissenschaftliche Weiterbildung der Universität lassen es zu, dass auf diese Weise pro Studienjahr bis zu zehn Kreditpunkte als Studienleistung erworben werden. Weiterbildungsstudierende zahlen eine Gebühr, müssen jedoch keinen Semesterbeitrag entrichten. Auch für andere Hochschulen in Bremen wäre dies ein gangbarer Weg, um ein ›Schnupperstudium‹ zu ermöglichen. Daneben bietet das Gasthörerstudium potenziell Möglichkeiten für Berufstätige, erste Erfahrungen mit dem für sie interessanten Regelstudienangebot zu machen. Allerdings können Dozentinnen und Dozenten an der Universität Bremen die Teilnahme von Gasthörenden für ihre Veranstaltungen ablehnen, wenn diese stark ausgelastet sind. Außerdem ist es nicht vorgesehen, dass Gasthörende Studienleistungen erbringen. In Niedersachsen dagegen können auch Gasthörende Kreditpunkte erwerben, die später auf Studiengänge anrechenbar sind. Die Einzelheiten regeln die Hochschulen selbst. Sie erheben, je nach Aufwand, Gebühren für die Erbringung von Studienleistungen (vgl. § 13 (5) NHG). Die Fakultäten entscheiden in der Regel über die Anrechnung. Mit ähnlichen Regelungen an den Bremer Hochschulen könnten Berufstätige ausloten, ob die Anforderungen im Regelstudium neben der Berufstätigkeit für sie zu bewältigen sind. Handlungsfeld Studienfinanzierung Insbesondere ältere berufstätige Studierende können es sich aufgrund familiärer oder anderer finanzieller Verpflichtungen (Kinder, Immobilienerwerb etc.) nicht leisten, Arbeitszeit während des Studiums zu reduzieren. Dies betrifft ganz besonders Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in besonders gering entlohnten Berufen. Diese Gruppen wären in besonderem Maße auf eine finanzielle Entlastung in Form einer Studienförderung angewiesen, auch um bei Bedarf in zeitlich besonders belastenden Phasen ihre Arbeitszeit ohne finanzielles Risiko reduzieren zu können. Sowohl beim BAföG als auch bei Stipendien besteht jedoch ein Anspruch auf Förderung nur innerhalb bestimmter Altersgrenzen. Darüber hinaus gibt es kaum finanzielle Förderungen für berufsbegleitende Studienangebote. Da es unter anderem eine bildungspolitische Forderung ist, neue Zielgruppen für ein Hochschulstudium zu gewinnen, ist eine politische Diskussion darüber wünschenswert, welche Fördermöglichkeiten für berufstätige und berufsbegleitende Studierende geschaffen werden können, die sich ein Studium neben dem Beruf finanziell nicht leisten können. Der Staat ist auf Ebene des Bundes und der Länder beim Thema Studienfinanzierung gefordert, nochmals genau zu prüfen, welche Gruppen bisher überhaupt nicht auf öffentliche Förderung zurückgreifen können. Lücken in der Förderstruktur müssten insbesondere für die Berufsgruppen geschlossen werden, die in der Regel über kein hohes Einkommen verfügen. 1 Vgl. IG Metall (o. J.): Zugriff am 07.01.2016. 2 Bremische Bürgerschaft (2010), S. 4. 3 Die Fraktion der CDU hat im Jahr 2009 einen entsprechenden Antrag gestellt, der von der Bürgerschaft abgelehnt wurde. Vgl. Bremische Bürgerschaft (2009). 106 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN Informationen zur Studienfinanzierung BAföG Durch die Altersgrenze sind viele ältere Studierende bereits von einer Förderung ausgeschlossen. Anspruch auf BAföG hat demnach nicht, wer bei Beginn des Bachelorstudiums das 30. Lebensjahr sowie bei Beginn des Masterstudiums das 35. Lebensjahr bereits vollendet hat. Studierende des zweiten Bildungsweges sind von dieser Regelung ausgenommen, wenn sie unverzüglich nach Erhalt ihrer Zugangsvoraussetzung mit dem Studium beginnen. Studierende des dritten Bildungsweges sind von der Altersgrenze ausgenommen1 und können damit grundsätzlich eine BAföG-Förderung erhalten. Allerdings werden gerade berufstätige Studierende häufiger als traditionelle Studierende von einer Anrechnung des eher geringen Vermögensfreibetrags betroffen sein. Bei einem Bruttoverdienst von 5.500 Euro in zwölf Monaten werden monatlich 40,13 Euro auf den Bedarf angerechnet beziehungsweise vom Förderungsbetrag abgezogen. Dieser Betrag gilt für Alleinstehende. Auch Vermögen (zum Beispiel Sparbücher, Wertpapierdepots, Bausparverträge, Eigentumsanteile an Grundstücken / Häusern) ist bis auf eine Rücklage von 5.200 Euro zur Finanzierung des Studiums einzusetzen. Der Freibetrag erhöht sich für jedes Kind und / oder den Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartner um jeweils 1.800 Euro.2 Das bedeutet, dass bereits ab einem niedrigen mittleren Einkommen kein Anspruch mehr auf BAföG besteht. Von Nachteil für die in diesem Projekt untersuchte Zielgruppe ist außerdem, dass BAföG nach § 2, Absatz (5) nicht für berufsbegleitende Studiengänge oder Teilzeitstudiengänge gewährt wird. Eine Förderung wird nur gewährt, wenn ›die Ausbildung die Arbeitskraft des Auszubildenden im Allgemeinen voll in Anspruch nimmt‹.3 Darüber hinaus sind ausschließlich konsekutive Masterstudiengänge förderfähig, wenn diese auf einem Bachelorstudiengang aufbauen und der Auszubildende außer dem Bachelorstudiengang noch keinen Studiengang abgeschlossen hat.4 Wer vor einem Masterstudiengang also bereits ein Diplom absolviert hat, kann keine Förderung mehr erhalten. Weiterbildungsmaster sind aus diesem Grund ebenfalls von einer Förderung ausgeschlossen, da sie nicht zwangsweise einen Bachelorabschluss, sondern oft eine berufliche Qualifikation voraussetzen. Stipendien Auch die Förderung über Stipendien ist für berufsbegleitend Studierende – besonders für ältere – kompliziert. Begabtenförderwerke haben in der Regel eine Altersgrenze für die Förderung. Darüber hinaus richten sich die meisten Stipendien an Vollzeitstudierende. Im Folgenden werden Stipendien vorgestellt, die berufsbegleitend Studierende in Anspruch nehmen können. Aufstiegsstipendium Nur ein Förderprogramm des Bundes richtet sich – neben Vollzeitstudierenden – auch speziell an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die berufsbegleitend studieren wollen. Es gilt ausschließlich für das Erststudium und setzt keine Altersgrenze voraus, allerdings muss der Antrag bis zum zweiten Studiensemester gestellt worden sein. Voraussetzung dafür ist eine mindestens zweijährige Berufserfahrung sowie ein Berufsabschluss mit der Note 1,9 oder besser. Die Förderung erfolgt einkommensunabhängig für die gesamte Dauer des Studiums und beträgt monatlich 750 Euro für Vollzeitstudierende. Zusätzlich wird eine Betreuungspauschale für Kinder gewährt. Studierende in einem berufsbegleitenden Studiengang erhalten jährlich 2.000 Euro.5 107 S TU DI E Deutschlandstipendium Die Stipendien in Höhe von monatlich 300 Euro, die auch an den Bremer Hochschulen beantragt werden können,6 werden je zur Hälfte vom Bund und von privaten Förderern, Stiftungen und Unternehmen getragen. Das heißt, die Bundesregierung unterstützt eine private Spende von 150 Euro monatlich mit zusätzlichen 150 Euro. Das Stipendium ist unabhängig vom Bezug von BAföG oder der Einkommenssituation. Zu den Förderkriterien zählen neben besonderen Erfolgen an Schule und / oder Universität auch das gesellschaftliche Engagement, zum Beispiel in Vereinen oder in der Hochschulpolitik, in kirchlichen oder politischen Organisationen, in der Familie oder in einer sozialen Einrichtung. Berücksichtigt wird auch die Überwindung besonderer biografischer Hürden, die sich aus der familiären oder kulturellen Herkunft ergeben. Die konkrete Ausgestaltung der Auswahlverfahren liegt in der Verantwortung der Hochschulen.7 Studienstipendium der Hans-Böckler-Stiftung In den Fördergrundsätzen wird betont, dass das Studium engagierter und begabter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch die Vergabe von Studienbeihilfen gefördert werden soll. Studierende des zweiten und dritten Bildungsweges sollen dabei besonders gefördert werden. Eine wichtige Voraussetzung für ein Stipendium ist gewerkschaftliches oder gesellschaftspolitisches Engagement. Die Stiftung setzt keine Altersgrenze voraus. Ein Studium neben dem Beruf ist nicht ausgeschlossen, allerdings muss das Studium in Vollzeit erfolgen und im Schnitt 30 ECTS-Punkte pro Semester der Regelstudienzeit erbracht werden.8 Berufsbegleitende Formate werden damit nicht explizit unterstützt. Die Zahlungen richten sich nach den BAföG-Richtlinien, das bedeutet, es handelt sich um einen Höchstsatz von 597 Euro und einer Studienkostenpauschale von 300 Euro monatlich.9 Kredite Bildungskredit Die Bundesregierung bietet zusammen mit dem Bundesverwaltungsamt und der KfW-Bankengruppe den Bildungskredit an. Das zinsgünstige Darlehen können auch Studierende unabhängig vom eigenen Einkommen sowie dem von Eltern und Ehepartner erhalten. Allerdings ebenso wie beim BAföG nur bis zur Vollendung des 35. Lebensjahres. Darüber hinaus gilt der Bildungskredit ausschließlich für die Schlussphase einer Ausbildung oder eines Studiums etwa für ein Zusatz-, Ergänzungs-, Aufbau- oder Fernstudium. Voraussetzung ist allerdings ein Studium in Vollzeit. Teilzeitund berufsbegleitende Studiengänge sind nicht förderfähig. Der Kredit weist aufgrund einer vom Bund übernommenen Garantie einen günstigen Zinssatz auf.10 Studienkredit der KfW-Bank Der Studienkredit der KfW-Bank hingegen ist zwischen dem 18. und dem 44. Lebensjahr möglich, ebenfalls unabhängig vom Einkommen der Eltern oder des Partners / der Partnerin. Antragstellende können anders als beim Bildungskredit in Teilzeit, Vollzeit oder berufsbegleitend studieren. Dieser Kredit bietet sich – aufgrund seiner Förderbedingungen – folglich besonders für die Gruppe der berufsbegleitenden Studierenden an. Allerdings bleibt zu berücksichtigen, dass es sich im Vergleich zum Bildungskredit durch eine fehlende Garantie, um keinen günstigen Kredit handelt.11 Kosten steuerlich absetzen Wenn Studierende die Kosten für das Studium selbst tragen müssen, greifen zumindest Steuererleichterungen. Ein berufsbegleitendes Studium kann als Fortbildungsaufwand in unbegrenzter Höhe abgesetzt werden, wenn es einen Berufsbezug hat und eine abgeschlossene Berufsausbildung oder ein Erststudium vorausgegangen ist. Was in einem Jahr erstattet wird, richtet sich nach dem Zahlungsprinzip. Das heißt, wurden auf einmal 14.000 Euro für Studiengebühren vom Konto abgebucht, ist das der abzieh- 108 BA L A NCE AKT BERUFSBEGLEITENDE S S TUDIEREN bare Betrag. Es ist allerdings abhängig vom Steuersatz, wie viel zurückerstattet wird. Ist der Steuersatz niedrig, etwa 15 Prozent, werden auch nur 15 Prozent erstattet. Ist der Steuersatz hoch, etwa 42 Prozent, so werden auch 42 Prozent der Kosten erstattet. Auch hier haben also Studierende mit niedrigeren Einkommen Nachteile gegenüber besser verdienenden. Kosten werden außerdem nur erstattet, wenn auch Steuern entrichtet wurden. 1 Rechtsgrundlage online verfügbar 6 Beispielhaft ist hier auf das unter: www.bafög.de / de / -10-alter- Antragsverfahren der Universität 226.php [Zugriff am 06.01.2016]. Bremen verwiesen: 2 Rechtsgrundlage online verfügbar unter: www.stw-bremen.de / de / studienfinanzierung / einkommensberechnungfreibetr%C3%A4ge [Zugriff am 06.01.2016]. 3 Rechtsgrundlage online verfügbar unter: www.bafög.de / de / -2ausbildungsstaetten--216.php [Zugriff am 06.01.2016]. 4 Rechtsgrundlage online verfügbar unter: www.bafög.de / de / -7-erstausbildungweitere-ausbildung-222.php [Zugriff am 06.01.2016]. 5 Weitere Informationen online unter: www.bmbf.de / de / dasaufstiegsstipendium-882.html [Zugriff am 11.01.2016]. www.uni-bremen.de / deutschlandstipendiat.html [Zugriff am 11.01.2016]. 7 Informationen online abrufbar unter: www.deutschlandstipendium.de / de / 1684.php [Zugriff am 11.01.2016]. 8 Nähere Informationen unter: www.boeckler.de/4373.htm [Zugriff am 11.01.2016]. 9 Nähere Informationen unter: www.boeckler.de / 4374.htm [Zugriff am 11.01.2016]. 10 Nähere Informationen unter: www.bva.bund.de / DE / Organisation / Abteilungen / Abteilung_BT / Bildungskredit / bildungskredit_node. html [Zugriff am 11.01.2016]. 11 Nähere Informationen online unter: www.kfw.de / inlandsfoerderung / Privatpersonen / Studieren-Qualifizieren / Direkt-zum-KfW-Studienkredit / [Zugriff am 11.01.2016]. Die Beratungszeiten weichen teilweise von den Öffnungszeiten ab – bitte erfragen Sie diese telefonisch oder bei Ihrem nächsten Besuch oder informieren Sie Orte und Zeiten für Beratung sich im Internet Geschäftsstelle Bremen Bürgerstraße 1 28195 Bremen Telefon: 0421·36301-0 Telefax: 0421·36301-89 [email protected] www.arbeitnehmerkammer.de ❚ Allgemeine Öffnungszeiten Montag bis Donnerstag 8.00–18.30 Uhr Freitag 8.00–13.00 Uhr Geschäftsstelle Bremerhaven Martin-Donandt-Platz H Straßenbahn 2, 3, 4, 6, 8 Bus 24, 25 P Parkhaus Violenstraße Barkhausenstraße 16 27568 Bremerhaven Telefon: 0471·92235-0 Telefax: 0471·92235-49 [email protected] Lloydstraße/VHS ❚ Allgemeine Öffnungszeiten Montag bis Donnerstag 8.00–18.30 Uhr Freitag 8.00–13.00 Uhr Zoo am Meer Deutsches Auswandererhaus Bürgermeister-Smidt-Straße H Bus 505, 506 MartinDonandt-Platz 502, 508, 509 Lloydstraße/ VHS Geschäftsstelle Bremen-Nord Lindenstraße 8 28755 Bremen Telefon: 0421·66950-0 Telefax: 0421·66950-41 [email protected] ❚ Allgemeine Öffnungszeiten Montag und Donnerstag 8.00–18.30 Uhr Dienstag und Mittwoch 8.00–16.30 Uhr Freitag 8.00–13.00 Uhr H Bus 91/92, 94 (Fährgrund) Schriftenreihe der Arbeitnehmerkammer bremen Balanceakt berufsbegleitendes Studieren Beruflich aufsteigen, sich weiterentwickeln, inhaltlich etwas anderes machen – all das sind Motive von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, sich im Verlauf ihres Berufslebens noch mal für ein Studium zu entscheiden. In vielen Berufsbereichen steigt der Bedarf an wissenschaftlicher Qualifizierung. Die staatlichen Hochschulen sind daher aufgefordert, ihre Angebote für Berufstätige auszubauen. Die vorliegende Studie rückt die Frage in den Mittelpunkt, wie Rahmenbedingungen an Hochschulen und in Betrieben gestaltet werden sollten, damit Beschäftigte ein Studium künftig besser mit dem Beruf und dem Privatleben vereinbaren können. w w w. a r b e i t n e h m e r k a m m e r. d e Studie
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