Inhalts-Seiten schaffhauser az

20 Extraseiten Integres
Donnerstag, 10. Dezember 2015
Die Freiwilligen Biljana Cubra und Marco Pelli engagieren sich beim Beschäftigungsprogramm für die in Wilchingen untergebrachten
Flüchtlinge. Hier beim Schminken und Spielen am letzten Montagmorgen.
Foto: Peter Pfister
Freiwilliges Engagement kennt keine Staatszugehörigkeit
Den Freiwilligen sei Dank
Simon Stocker,
Präsident Integres
Letzten Samstag war der UNO-Tag der
Freiwilligen. Dieser 5. Dezember erinnert
uns jeweils daran, wie wichtig freiwilliges Engagement für unsere Gesellschaft
ist. Auch eine Vielzahl von Migrantinnen
und Migranten engagiert sich für das Gemeinwesen. Dazu gehören Organisationen und Vereine, aber auch zahlreiche
Einzelpersonen.
Man denke nur an die vielen Trainerinnen und Trainer in Sportvereinen oder
das Engagement in und von kirchlichen
Organisationen. Freiwilliges Engagement
kennt keine Staatszugehörigkeit. Ohne
diese vielen Menschen würde unsere
Schweizer Gesellschaft schlicht nicht
funktionieren.
Die Solidarität ist erfreulich
Auf der anderen Seite setzen sich auch
viele engagierte Freiwillige für die Anliegen von Flüchtlingen und Menschen mit
Migrationshintergrund ein.
Die Solidarität beispielsweise, die im
Quartier Breite oder in Wilchingen den
Flüchtlingen in den Zivilschutz-Unterkünften entgegengebracht wird, freut
mich ungemein. Schon lange gibt es auch
zahlreiche Freiwillige, die beim Deutsch-
lernen helfen oder bei der Freizeitgestaltung mitwirken. Sie alle leisten so einen
wertvollen Beitrag, um Menschen die Integration zu erleichtern.
Bei einem freiwilligen Engagement
geht es darum, einander zu helfen und
sein Wissen und die eigene Erfahrung gegenseitig zur Verfügung zu stellen. Und
es geht auch einfach darum, sich Zeit für
jemand anderen zu nehmen, ohne dabei
einen finanziellen Gegenwert zu erhalten. Diese Solidarität hält unsere Gesellschaft zusammen. Es gibt schlussendlich
keinen besseren Weg, andere Menschen
kennenzulernen und zu verstehen, als
durch ein freiwilliges Engagement.
Extraseiten Integres 21
Donnerstag, 10. Dezember 2015
Drei Einblicke in das Engagement von freiwilligen Helferinnen aus Schaffhausen
«Es brach mir das Herz»
Sarah Schwaninger,
Wilchingen
«Als ich zum ersten Mal in den Bunker
kam und das Elend sah, die verwahrlosten Familien, die kleinen fiebrigen Babys,
die völlig erschöpften Väter und Mütter,
brach es mir das Herz. So etwas habe ich
bis jetzt nur im Fernseher gesehen.» Die
ersten Eindrücke von der Situation der
Flüchtlinge, die in einer unterirdischen
Zivilschutzanlage in Wilchingen untergebracht sind, waren schockierend für
Sarah Schwaninger. Die 37-jährige Mutter von zwei fast erwachsenen Jungen
wusste: «Hier muss ich helfen.»
Sarah Schwaninger, von Beruf medizinische Praxisassistentin, ist nur eine von vielen Freiwilligen. Eine kleine Gruppe von
medizinischen Fachpersonen aus Wilchingen und Umgebung sorgt jeden Morgen und jeden Abend für eine medizinische Betreuung in der Unterkunft. Sie ergänzen damit das Betreuungsangebot der
insgesamt circa 80 Freiwilligen, die sich
um ein tägliches Kinderprogramm, um
Kleiderausgabe und einfachsten Sprachunterricht kümmern. Organisiert und koordiniert wird der Freiwilligeneinsatz von
den Wilchinger Landfrauen und der Reformierten Kirchgemeinde.
«Zweimal täglich ist unser Team vor
Ort», erklärt Sarah Schwaninger die Aufgaben ihrer Gruppe. «Wir machen eine
medizinische Triage. Die Verständigung
geschieht meist mit Händen und Füssen.
Dabei müssen wir in kurzer Zeit entscheiden, was zu tun ist. Reicht ein Medikament z.B. zur Fiebersenkung, oder liegt
etwas Ernsteres vor? Die Patienten sind
in einem bedenklichen Zustand. Hier
geht es nicht um Wohlfühlmedizin.»
Die Schicksale, mit denen die Freiwilligen sowohl bei der Tagesbetreuung als
auch bei der medizinischen Begleitung
konfrontiert werden, sind erschütternd.
Schwaninger berichtet, dass die Fluchtgeschichten sie manchmal bis in den Schlaf
verfolgen: «Ich denke an den kleinen Nujan, anderthalbjährig, der vor der Küste
Griechenlands mit seiner Familie aus
dem Gummiboot gefallen ist. Den Vater,
der seither nachts nicht mehr schlafen
kann. Oder an den Jungen, der seit seiner
Ankunft, kein Wort spricht, apathisch in
ein Loch starrt, auf nichts reagiert. Und
überall diese traurigen Augen.»
Schwierigkeiten bereitet dem Pf legepersonal mitunter die etwas andere Mentalität. Schwaninger vermutet, dass es
manchen Männern schwerfällt, Anweisungen von einer für sie fremden Frau zu
akzeptieren. Doch die Hürden sind überwindbar. Denn Tatsache ist: «Die Männer
kommen mit den kranken Kindern zur
medizinischen Visite.»
Sarah Schwaninger bedauert es, dass
sie oftmals zu wenig Zeit für die vielen
Patienten habe. Sie lässt jedoch keinen
Zweifel daran, dass sich der Einsatz lohnt:
«Das Schönste ist, wenn die Familien
nach circa zwei Wochen wieder ein wenig
aufblühen. Die Müdigkeit lässt nach, sie
können sich etwas entspannen. Werden
gesund. Das zu sehen, tut gut.»
22 Extraseiten Integres
Donnerstag, 10. Dezember 2015
Das Alphabet lehren
Marjolein Kempenaer,
Büttenhardt
Schon immer hat sich Marjolein auf verschiedenste Weise freiwillig engagiert.
Auch als berufstätige Frau war ihr die
Freiwilligenarbeit sehr wichtig. Als diesen Oktober eine Flüchtlingsfamilie in
Büttenhardt privat aufgenommen wurde, kam ihr die Frage, wie sie etwas Konkretes beitragen könnte.
Die ganze Flüchtlingssituation machte
sehr betroffen. «Deutsch lernen» war ihr
erster Gedanke. Somit hat sie vor Kurzem
damit angefangen, Lucia aus Eritrea in
deutscher Sprache zu unterrichten. Sie
wohnen beide in Büttenhardt und treffen
sich zweimal pro Woche für eineinhalb
Stunden bei Marjolein zu Hause. Eine herausfordernde, aber sehr spannende Aufgabe. Lucia kann weder lesen noch schreiben, deshalb beginnen sie mit dem Erlernen des Alphabets. Marjolein versucht das
mit Bildern und Gegenständen, die Lucia
kennt. Zuerst muss sie ihr die Laute der
einzelnen Buchstaben vermitteln, und
zwar so, wie diese beim Lesen auf Deutsch
ausgesprochen werden. Das ist zum Teil
schwierig, da Lucia die Laute der Buchstaben oft vom Englischen im Gehör hat.
Wörter zu lernen, ist dann die nächste
Stufe. Zu kommunizieren ist vorläufig
noch schwierig, wobei sich die beiden
Frauen gut mit Händen und Füssen verständigen können. Für Marjolein ist es
sehr schön zu sehen, wie motiviert Lucia
ist. Lucia möchte schnell Deutsch lernen.
Sie übt dafür f leissig zu Hause und macht
rasch Fortschritte.
Die Freiwilligenarbeit ist für Marjolein
etwas sehr Bedeutsames und Wertvolles.
Ihrer Meinung nach sollten sich alle auf
irgendeine Art freiwillig engagieren. «Alles was man investiert, bekommt man
auf eine Art wieder zurück», so M
­ arjolein.
Sie findet es sehr wichtig, sich zu überwinden und sich zu engagieren, aber nur
solange man auch wirklich Freude an der
Aufgabe hat. Es hat auch schon ein gemeinsames
eritreisches
Nachtessen
­gegeben. Marjolein hat sich gefreut, die
Familie kennenzulernen, die ja nun ein
Teil von Büttenhardt ist.
Märchen
erzählen
Madina Ali,
Schaffhausen
Lauter lachende Kindergesichter, erzählende Mamis und viele Bücher. So die Situation am 1. Dezember in der Bibliothek Agnesenschütte Schaffhausen. Madina Ali eröffnete an diesem Tag die Adventskalender-Geschichten als Vorleserin
auf Russisch. Im Dezember wird jeden Tag
ein Türchen des Adventskalenders geöffnet und eine Geschichte für Kinder hervorgenommen. Erzählt werden sie auf
Deutsch oder in einer Fremdsprache, von
Freiwilligen. Sehr viele Kinder waren bei
Extraseiten Integres 23
Donnerstag, 10. Dezember 2015
der ersten Vorlesung dabei. Die meisten
von ihnen konnten Russisch, einige jedoch auch nur Deutsch. Für Madina ein
sehr spannendes Projekt. Sie ist ausgebildete Trickfilmmacherin und gibt in ihrem
Atelier «Farbige Finger» Trickfilm-Workshops für Kinder. Zudem unterrichtet sie
Malen und Zeichnen an der russischen
Schule MIR in Schaffhausen. Die Kinderwelt mit Märchen und Geschichten ist deshalb in ihrem Alltag ganz präsent. Aus diesem Grund wollte sie sich bei diesem Pro-
jekt mit Freiwilligen engagieren. Märchen
zu hören und zu erzählen, ist für Madina
etwas Tolles! Sie findet es sehr spannend,
dass das Projekt international ist und dass
Kinder durch verschiedene Märchen andere Kulturen kennenlernen.
Madina hat ein Märchen aus ihrer Heimat erzählt, das schon sehr alt ist. Eine
schwierige Aufgabe, da es kein Bilderbuch davon gibt. Das Märchen war eher
kompliziert und die Kinder zum Teil sehr
klein. Das war zwar herausfordernd, aber
Der gute Geist
Chantal Bründler,
Integres-Beraterin
In Schaffhausen geht ein guter Geist um.
Davon wurden wir in den letzten Wochen
überzeugt. Andi Kunz, Leiter der Asylund Flüchtlingsbetreuung des Kantons
Schaffhausen, ist überwältigt von der Solidarität der Schaffhauser Bevölkerung.
Ausgelöst durch die vielen Flüchtlinge,
die zu uns gelangen, melden sich bei ihm
täglich Leute, die zur Linderung des Leids
etwas beitragen möchten.
In Kürze konnte die Asyl- und Flüchtlingsbetreuung eine Spielgelegenheit für
die Kinder der Flüchtlingsfamilien aufbauen oder Freiwillige für die Essensausgabe oder die Wäsche der in der Zivilschutzanlage untergebrachten Menschen
organisieren. Dies sind nur zwei Beispiele von vielen.
Auch die materiellen Spenden sind
grosszügig. Andi Kunz weiss bald nicht
mehr, wo er und seine Mitarbeitenden die
Kleider, Betten und anderen Sachspenden
lagern sollen, bis sie diese an die Bedürftigen weiterreichen können.
Auch Elsbeth Fischer von Benevol
Schaffhausen und Kurt Zubler von Integres spüren den geweckten Helfergeist der
Schaffhauserinnen und Schaffhauser.
Manche sind aufgerüttelt durch das gesehene Elend und möchten sofort etwas dagegen tun. Andere interessieren sich für
ein langfristiges Engagement.
Dass Helfen viele Gesichter hat, möchten wir mit beispielhaften Porträts einiger engagierter Freiwilliger sichtbar machen. Diese Menschen teilen ihre Zeit
und ihr Wissen mit andern. Das macht
sie glücklich und stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
kein Hindernis. Die Kinder rückten einfach näher und tauschten sich direkt mit
Madina über die Geschichte aus. Madina
findet es schön, dass die Märchen den
Kindern etwas über Kultur und das Leben
von früher weitergeben. Durch die Märchen werden den Kindern in jungen Jahren bereits auf ganz einfache Art Weisheiten weitergegeben. Für Madina Ali hat
es sich sehr gelohnt, ihre Freizeit einzusetzen, und sie wäre bei einem nächsten
Projekt bestimmt wieder dabei.
Mehr Porträts von freiwilligen Helferinnen
und Helfern aus Schaffhausen finden Sie im
Internet unter: www.integres.ch