M AT T H I A S FLUTE WWW.MATTHIAS-ZIEGLER.CH 1 ZIEGLER Matthias Zieglers «Palladio – Musik & Raum» Projekt in Davos Hoch die Reinheit! Hoch der Kristall! Seit fünf Jahren bringt der Flötist Matthias Ziegler mit seinen «Palladio-Projekten» Musik und Architektur in immer wieder neue überraschende Zusammenhänge. Jetzt hat er in Davos dem Expressionismus der Zwanzigerjahre nachgespürt. Christian Rentsch Mondän ist es hier auf fast 2000 Meter über Meer, Nein, prächtig kompliziert vergoldet, wie sie einst fast wie in der fernen Grossstadt, leicht morbider Charme der expressionistische Lyriker Jakob van Hoddis sah, ist sie von verblichener Eleganz. Das Hotel Schatzalp, das schon nicht mehr, die Welt, im 98. Jahr dieses Jahrhunderts, bessere Zeiten gesehen hat, ist eine gute Kulisse für diese selbst das Gold hat als Raubgold mittlerweile seinen ein- Lieder einer tuberkulös gewordenen Welt zwischen Le- stigen Glanz eingebüsst. Aber die junge Zürcher Soprani- bensgier, Zauberberg und Weltuntergang. Der 1900 als stin Martina Bovet lässt der bereits arg ironischen Ballade Sanatorium gebaute, elf Jahre später zum Luxushotel um- Bilder folgen, die wir besser kennen: «Dem Bürger fliegt funktionierte Riesenklotz, eine der ersten grossen Eisen- vom spitzen Kopf der Hut / In allen Lüften hallt es wie Ge- betonbauten der Schweiz, gehört zu den architektonischen schrei. / Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei. / Und Vorläufern jener «Davoser Moderne», die das Bild der an den Küsten – liest man – steigt die Flut. // Der Sturm ist Davoser Landschaft bis in die 50er Jahre prägte: Lang- da, die wilden Meere hupfen / An Land, um dicke Dämme gezogene Flachdachbauten mit fassadendominierenden zu zerdrücken. / Die meisten Menschen haben Schnupfen. Liegeterrassen, auf denen eine grossbourgeoise Internatio- / Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.» nale von Stadtflüchtigen einst ihre Lungenschwindsucht «Von der prächtig kompliziert vergoldeten Welt. kurierte. «Luft und Licht müssen den denkbar breitesten Lieder aus Salon, Music-Hall und Kaffeehaus» heisst das Zutritt zu den Wohn- und Schlafräumen haben», hatte der Programm, das Martina Bovet, hinreissende Mischung von Davoser Arzt Karl Turban bereits 1902 in den Unterlagen durchtriebener Unschuld und naiver femme fatale zusam- zu einem Wettbewerbsprojekt für ein Lungensanatorium men mit dem Schauspieler Peter Schweiger und dem Pia- in England erklärt, das er zusammen mit dem Zürcher nisten und Daniel Fueter in der weiten Halle des Davoser Hotelarchitekten Jacques Gros, dem Erbauer des Grand- Hotels Schatzalp vorträgt, Chansons, Balladen, Cabaret- Hotels Dolder, einreichte, «deshalb besteht in all diesen Songs und Lieder der Jahrhundertwende, von Charles Ives, Räumen die Südwand in ihrer ganzen Breite aus beweg- Jean Cocteau, Jacques Prévert, Kurt Weill und anderen. lichen Glaswänden.» Abgeguckt hatten der Mediziner und Dass selbst Arnold Schönberg, später gestrenger Zwölfton- der Architekt das Verfahren vielleicht den Bündner Berg- meister, in seinen ersten Berliner Jahren aus finanzieller bauern, die, so der Engadiner Arzt Oskar Bernhard, «seit Not auch Schlager und Lieder fürs Cabaret vertont hat, alten Zeiten frisches Fleisch durch Aussetzen an Luft und dürfte für manchen doch eine kleine Überraschung ge- Sonne konservieren». wesen sein. Als Dessert schliesslich, nach dem fünfgän- Seit Jahren interessiert sich der seit kurzem in Stäfa gigen Gala-Diner mit musikalischen Einlagen, Max von lebende Flötist Matthias Ziegler für das Zusammenspiel Schillings Hexenlied, das hintersinnige, aber auch etwas von Raum und Musik, die Veränderung des Hörens in un- kitschige Melodram eines kleinen schwärmerischen Klo- gewohnten Räume ebenso wie die Veränderung des Rau- sterbruders, dessen harmlose Lebensbeichte vom Beicht- merlebens durch Musik. Die drei Burgen von Bellinzona vater zur schwülstig-lüsternen Männerphantasie skanda- hat er ebenso beschallt wie das weitverzweigte Röhrensy- lisiert wird. tem der Grande Dixence-Staumauer und die Betonkirche M AT T H I A S FLUTE WWW.MATTHIAS-ZIEGLER.CH 2 ZIEGLER Matthias Zieglers «Palladio – Musik & Raum» Hoch die Reinheit! Hoch der Kristall! des Walliser Dörfchens Hérémence, im vergangenen Jahr Albert Giraud (Leitung/Piano: Jürg Wyttenbach) ging der bespielte er die wunderbare Palladio-Villa Emo und die Abend – noch nicht ganz zu Ende: «Oh alter Duft aus Mär- skurrile Futurismo-Villa Girasole im norditalienischen Ve- chenzeit, / berauschest wieder meine Sinne» hatte Gillian neto. Möglich wurden alle diese Projekte durch das Kul- Macdonald eben noch gesungen, da brach, als hätte Rolf turprozent der Genossenschaft Migros Zürich. Derrer auch hier Regie geführt, der kreidebleiche Voll- Und jetzt also Davos. Kein Zufall: Zahlreiche Künst- mond durch die Wolken, und begleitete – «lieblich kla- ler haben hier nach der Jahrhundertwende nicht bloss ihre gend, ein kristallnes Seufzen» – die Konzertbesucher durch Krankheit kuriert, sondern sich aktiv am Davoser Kultur- die leergefegte Davoser Promenade zurück in ihr Hotel. leben beteiligt, ihre Spuren hinterlassen. Für nicht wenige «Alpine Architektur» nennt Matthias Ziegler sein von ihnen war Davos so etwas wie eine Chiffre für das diesjähriges «Raum & Musik»-Projekt. Der etwas spar- widersprüchliche Lebensgefühl, das ihre Kunst prägte. Hier tanisch Titel zielt allerdings weit über die Bergwelt hinaus; prallte gleichsam zusammen, was die expressionistische alpin, kristallin, dem Bergkristall vergleichbar sollten, so Explosion ausmachte: Krankheit, Verwesung, Verzweif- der deutsche Architekt und Architekturtheoretiker Bruno lung, Angst und Tod. Und Licht, Sonne, Reinheit, Gesund- Taut in den 20er Jahren, auch die Glas- und Stahlbauten heit und Lebenshunger, die verzweifelte Hoffnung, Krank- der Städte sein: «Hoch das Durchsichtige, Klare! Hoch die heit und Tod zu überwinden, ein neuer Mensch zu werden. Reinheit! Hoch der Kristall und hoch uns immer höher das Und unübersehbar hat dieser «expressionistische Geist» Fliessende, Grazile, Kantige, Funkelnde, Blitzende, Leichte auch die Davoser Architektur geprägt, von den alten Sana- – hoch das ewige Bauen!» skandierte Taut damals mit ex- toriumsbauten bis hin zum Kirchner Museum. pressionistischem Pathos. Und auf Taut bezogen sich na- Hier, im Kirchner Museum hatte Zieglers diesjähri- türlich nicht zufällig auch die Architekten Gigon und ges Musik & Raum-Projekt am Abend auch begonnen. Guyer, als sie 1992 das Kirchner Museum mit seiner glä- Sechs Musiker stellten neben den Bildern des expressioni- sernen, in der Sonne funkelnden Aussenhaut und der stischen Malers Ernst Ludwig Kirchner gleichsam ihre gleichsam kritallinen Lichtführung im Innern bauten. Musik aus, Werke unter anderem von Bach, Bartok und Und farbenprächtig kristallin glühten am Sonntag- Schönberg, aber auch vom jungen Zürcher Komponisten morgen auch die berühmten Glasfenster von Augusto Gi- Mischa Käser. Eine ungewöhnliche Konzertsituation: das acometti in der Kirche St. Johann, als der Flötist Matthi- Publikum in Bewegung. Man nähert sich, schaut dem Vio- as Weilenmann den Zyklus «I Colori di Augusto linisten Hansheinz Schneeberger, dem Cellisten Patrick De- Giacometti» für fünf verschiedene Blockflöten von Martin menga auf die schnellen Finger, tritt etwas zurück, um- Derungs uraufführte. Keine grossflächigen Farbfenster, kreist die Musik von rechts nach links, von links nach Giacometti hat die kleinen, durch ein engmaschiges Netz rechts, setzt sich eine Weile auf einen der kargen Bänke von kompliziert geknoteten Bleifassungen noch weiter oder lauscht der Musik vom nächsten Saal aus. Musik als abgedunkelte Fenster als fein abgestimmte Farbklänge begehbarer Klangraum. Draussen dunkelt es allmählich einzelner glühender Lichtpunkte komponiert. Martin De- ein, das Tageslicht vergeht, das Kunstlicht taucht die Räu- rungs hat dazu eine passende Musik gemalt: Leise, zu- me, die Bilder und die Musik in mattes Hell. Später ver- weilen fast statisch, eine Reihung von kleinen Klangpar- wandelt der Zürcher Lichtdesigner Rolf Derrer einen Raum tikeln, welche die emanzipierten Klangmöglichkeiten mit farbigen Licht- und Schattenspielen in einen märchen- und Spieltechniken der verschiedenen Blockflöten in al- haften Traumraum, in dem sich die Silhouetten von len farblichen Nuancen auslotet und ausdividiert, einge- Matthias Ziegler, der Sängerin Gillian Macdonald und des fasst durch improvisierte Zwischenspiele von Matthias Klarinettisten Elmar Schmid mehrfach brechen, verbiegen Ziegler, Kontrabassflöte, und dem amerikanischen Bassi- und verzerren, als hätte sie Kirchner selber an die Wand sten Mark Dresser. Der ruhige Ausklang eines stimmigen gepinselt. Mit Arnold Schönbergs «Pierrot lunaire», einem Versuchs, Davos gleichsam mit neuen Augen zu hören, Zyklus von einundzwanzig Melodramen über Gedichte von mit anderen Ohren zu sehen.
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