2016-03-27 Predigt über die sieben Worte Jesu am Kreuz

Predigt über die sieben Worte Jesu am Kreuz
gehalten am Karfreitag, 25. März 2016
in der Nikolauskirche Deckenpfronn
von Pfarrer Hans-Ulrich Lebherz
„Die sieben Wort die er da (am Kreuz) sprach, betracht in deinem Herzen“, hat
der Chor vorhin gesungen. Das möchte ich mit Ihnen machen: die sieben Worte Jesu
am Kreuz betrachten.
Sie finden Sie im Gesangbuch nach dem Lied Nr. 546 auf der Seite 1007. Vielleicht ist es Ihnen eine Hilfe, wenn sie die sieben Worte Jesu vor Augen haben.
Die sieben Worte Jesu am Kreuz, wie sie die geistliche Tradition aus den vier Evangelien zusammengestellt hat:
Das erste:
Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie ihn dort
und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken.
Jesus aber sprach:
Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!
(Lukas 23,33.34)
Das zweite:
Aber einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, sprach: Wir sind es zwar mit Recht,
denn wir empfangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes
getan. Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst!
Und Jesus sprach zu ihm:
Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.
(Lukas 23, 39.41-43)
Das dritte:
Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er lieb hatte, spricht er zu
seiner Mutter:
Frau, siehe, das ist dein Sohn!
Danach spricht er zu dem Jünger:
Siehe, das ist deine Mutter!
(Johannes 19,26.27)
Das vierte:
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Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut:
Eli, Eli, lama asabtani? das heißt:
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
(Matthäus 27,46)
Das fünfte:
Danach, als Jesus wusste, dass schon alles vollbracht war, spricht er, damit die Schrift
erfüllt würde:
Mich dürstet.
(Johannes 19,28)
Das sechste:
Als nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er:
Es ist vollbracht.
(Johannes 19,30)
Das siebte:
Und die Sonne verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels riss mitten entzwei.
Und Jesus rief laut:
Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!
Und als er das gesagt hatte, verschied er.
(Lukas 23,45.46)
Das erste Wort Jesu am Kreuz – Quelle der Vergebung
Das Lukasevangelium beschreibt uns Jesus als den großen Beter. Er betet auch
am Kreuz: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“
Auf diese Weise drückt er aus, dass wir durch das Kreuz Erlösung von unserer
Schuld erfahren dürfen. Als Grieche kann Lukas mit Begriffen wie Sühne und Opfer
nichts anfangen. Er erklärt das Geschehen der Vergebung, indem er Jesus dieses
wunderbare Wort beten lässt.
Wenn wir auf Jesus schauen, wie er selbst am Kreuz noch seinen Mördern
vergibt, dann dürfen wir vertrauen, dass auch uns alles vergeben wird. Dann gibt es
auch in uns nichts, was nicht vergeben werden kann.
Das Wort Jesu ist eine Quelle, aus der wir trinken können, damit die Vergebung
uns gelingt. Ohne Vergebung gelingt unser Leben nicht. Und ohne Vergebung sind
wir unfähig miteinander auszukommen.
In unsere Selbstvorwürfe und Selbstzerfleischungen hinein sollen wir das Wort
Jesu fallen lassen: „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Das Wort
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entlastet uns. Es zeigt uns, dass wir im Grunde gar nicht wussten, was wir taten. Es
kam über uns. Wir waren nicht ganz frei. Wir wurden bestimmt von unserer Schwäche, von unserer Gier, von unserer Angst.
Und auch den, der mich verletzt hat, kann ich mit diesem Wort Jesu mit neuen
Augen sehen: In der Tiefe der Seele wusste er nicht, was er wirklich tat. Er wurde
einfach von seinem Machtbedürfnis beherrscht. Er wurde von seiner Gier bestimmt.
Und er war nicht in Beziehung zu mir. Er hat sich einfach nur von seinem Hass leiten
lassen. So werde ich fähig zu vergeben. Und die Vergebung befreit mich von der
negativen Bindung an ihn.
Das zweite Wort Jesu am Kreuz – Quelle der Hoffnung
Jesus spricht dieses Wort in unsere Angst vor dem Tod hinein. Jeder Mensch
kennt die Todesangst. Beim einen ist es die Angst vor den Schmerzen, die mit dem
Sterben verbunden sind, beim andern die Angst vor dem Kontrollverlust, bei anderen
die Angst, die Kinder oder den Ehepartner allein zurückzulassen. Und es gibt auch
die Angst vor dem Unbekannten des Todes, die Angst vor dem Scheitern und vor der
Verdammnis.
In diese Angst hinein spricht Jesus das Wort „Heute noch wirst du mit mir im
Paradies sein“, um uns von unserer Angst zu befreien.
Das zweite Wort Jesu am Kreuz verweist uns auf die heilende Quelle der Hoffnung, die in unserer Seele sprudelt, die aber oft unter der Angst verborgen liegt. Es
ist nicht nur die Hoffnung, dass wir im Tod mit Jesus ins Paradies eintreten dürfen.
Es ist auch die Hoffnung, dass wir dort, wo wir uns in aussichtslosen Situationen an
Jesus wenden, ins Paradies eintreten, dass sich das Bedrohliche und Bedrängende in
einen Garten des Paradieses wandelt.
Das dritte Wort Jesu am Kreuz – Quelle der Liebe
Das dritte Wort richtet sich an Jesu Mutter und an den Lieblingsjünger. Das Wort,
das Jesus zu den beiden spricht, spricht er in unsere Beziehungslosigkeit, in unsere
Unfähigkeit zu gelingenden Beziehungen und in unsere Angst vor Beziehung, in die
Angst, unsere Freundschaft und Liebe könnte zerbrechen. Judas und Petrus stehen
für misslungene Beziehungen. Bei beiden bekommt die Beziehung zu Jesus einen
Riss. Bei Petrus kann der Riss geheilt werden, bei Judas ist er zumindest bis zum Tod
nicht geheilt worden. Johannes, der Lieblingsjünger, steht für die gelingende Beziehung.
Das Kreuz, unter dem Maria und Johannes zusammengeführt werden, ist ein Zeichen der Hoffnung, dass unter dem Kreuz auch unsere Beziehungslosigkeit geheilt
wird.
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Das vierte Wort Jesu am Kreuz – Quelle des Vertrauens
Um die neunte Stunde schrie Jesus laut: „Eli, Eli, lama asabtani? das heißt: Mein
Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Es ist das Wort, das Jesus in unsere Angst vor der Verlassenheit und dem Verlassenwerden hineinspricht, um sie zu verwandeln.
Matthäus schildert die Passion Jesu, als ob Gott abwesend wäre. Gott greift nicht
ein. Er überlässt anscheinend seinen Sohn den Händen der Sünder. Doch mitten in
dieser scheinbaren Abwesenheit Gottes wendet sich Jesus an Gott. Auch wenn er
keinen Boden unter seinen Füßen spürt, so weiß er sich in der Bodenlosigkeit seiner
Verlassenheit doch von Gott getragen.
Jesus betet am Kreuz den Psalm 22. Und er hält damit alle seine Not Gott hin.
aber er hält auch an Gott fest. So mündet Jesu Verlassenheit in einem tiefen Vertrauen, dass Gott zu Jesus stehen wird und dass er auch im Tod von Gott umfangen
bleibt.
Trotz allen Vertrauens, das uns in diesem Psalmgebet Jesu letztlich auch entgegenkommt, sollten wir aber dennoch den Schrei der Verlassenheit ernstnehmen.
Wenn Jesus sich selbst am Kreuz verlassen fühlte und diese innere Not seinem himmlischen Vater mit lauter Stimme entgegenschreit, dann lädt er uns damit ein, unsere
eigene Verlassenheit nicht zu überspringen, sondern zuzulassen.
In uns ist nicht nur die Angst, verlassen zu werden. In uns ist auch die Quelle des
Vertrauens. Doch wir dringen zu dieser Quelle des Vertrauens in uns nur vor, wenn
wir durch die Angst hindurchgehen.
Das fünfte Wort Jesu am Kreuz – Quelle der Verwandlung
„Mich dürstet.“ Damit erfüllt sich die Schrift, denn im Psalm 22, den Jesus am
Kreuz betete, heißt es: „Meine Kehle ist trocken wie eine Scherbe.“ und in Psalm 69:
„Für den Durst reichten sie mir Essig.“
Im Durst wird Jesus aber auch solidarisch mit den Menschen, mit unserem Durst
nach Liebe, nach Leben, nach Zuwendung. Uns dürstet danach, dass wir nicht vertrocknen, dass das Leben nicht leer wird, dass unsere Lebensgeister nicht erlöschen
und wir nur noch dahinvegetieren.
Jesus trinkt vom Essig, den man ihm reicht. Im Essig trinkt er die Bitterkeit der
Menschen bis zur Neige aus. Gerade dadurch befreit er den Menschen vom Gift seiner verbitterten Gefühle.
Die Kirchenväter haben diese Szene verglichen mit der Geschichte von der Verwandlung des Bitterwassers durch den Stab des Mose. Durch das Kreuz – so meinen
die Kirchenväter – habe Jesus das bittere Wasser unseres Ärgers, unserer Enttäuschung, unserer Angst, unserer Resignation in ein süßes Wasser verwandelt, das unseren Durst zu löschen vermag.
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Das Wort „Mich dürstet“ und das Trinken des Essigs als Antwort auf dieses Wort
zeigt uns, dass Jesu Liebe alles Bittere und Saure in uns verwandelt. Wir sind oft
nicht mit uns zufrieden. Dann meinen wir, wir müssten alles an uns ändern, damit
wir ein anderer werden. Ich bin nicht gut. Deshalb wüte ich gegen mich. Verwandlung ist sanfter. Sie geschieht an mir. Ich werde in die Gestalt hineinverwandelt, die
Gott sich von mir gemacht hat.
Indem Jesus all das, was mir sauer aufstößt, was ich in mir nicht annehmen kann,
womit ich nicht zufrieden bin, in sich aufnimmt, es gleichsam trinkt, verwandelt er
es und reinigt mich von allem, was das ursprüngliche Bild Gottes in mir trübt.
Unser tiefer Durst nach Liebe und Leben will gestillt werden. Das Abendmahl
ist der konkrete Ort, an dem Christus unseren Hunger und unseren Durst mit seiner
menschgewordenen Liebe stillt.
Das sechste Wort Jesu am Kreuz – Quelle der Heilung
„Es ist vollbracht“ ist das letzte Wort Jesu im Johannesevangelium. Das Werk
der Liebe ist vollbracht, ist vollendet. Am Kreuz hat Jesus alles Menschliche, selbst
die Gewalttätigkeit der Mörder, hineingezogen in seine Liebe, um es zu verwandeln.
Am Kreuz hat sich seine Liebe vollendet. Und zugleich hat er das Werk vollbracht,
das Gott ihm aufgetragen hat. Daher ist das Kreuz für Johannes zugleich die Verherrlichung Jesu durch Gott. Am Kreuz scheint seine Liebe am deutlichsten auf und in
seiner Liebe Gottes Herrlichkeit.
Das Wort „Es ist vollbracht“ spricht Jesus in unsere Angst vor der eigenen Brüchigkeit hinein. Die Angst, dass das Fundament des Lebens brüchig ist, dass das Lebenshaus zusammenbrechen könnte, dass das Leben aus lauter Bruchstücken besteht,
die wir nicht zusammenbringen.
In diese Angst hinein spricht Jesus dieses Wort: Es ist vollbracht. Es ist vollendet.
Es ist ganz geworden. Seine Liebe macht alles ganz, was in uns brüchig ist. Sie hält
in uns zusammen, was zerrissen ist und auseinanderzufallen droht.
Das siebte Wort Jesu am Kreuz – die Quelle der Spiritualität
Lukas berichtet uns als das letzte Wort Jesu am Kreuz das Vertrauensvolle: „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!“ Es ist ein Wort aus Psalm 31. Die
frommen Juden beteten diesen Psalm als Abendgebet. Zur gleichen Zeit, da die Israeliten im Tempel diesen Psalm sprechen, betet Jesus ihn als Abendgebet seines Lebens.
Im Sterben Jesu vollendet sich die Beziehung zu seinem himmlischen Vater. Da
lässt er sich in die liebenden Arme des Vaters fallen. Er vertraut darauf, dass Gottes
gute Arme ihn zärtlich umfangen.
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Es ist hilfreich, wenn wir das letzte Wort Jesu am Kreuz in unsere Angst vor dem
eigenen Sterben hineinsprechen. Das Wort Jesu gibt uns mitten in unserer Angst die
Gewissheit: Wir werden nicht in das Dunkel hineinsterben, sondern in die liebenden
Arme Gottes.
Für Lukas ist Jesus der große Beter. Er vollendet sein Leben im Gebet am Kreuz.
Im Gebet meditieren wir uns immer mehr in die Haltung hinein, in der Jesus gelebt
hat und gestorben ist. So ist das letzte Wort Jesu am Kreuz eine Quelle für unsere
Frömmigkeit.
Im Beten wird die Beziehung zu Gott lebendig. Im Beten verstehen wir, wer wir
selbst sind. Und im Beten werden wir Jesus ähnlich. Da üben wir uns ein, von seinem
Geist des Vertrauens und der innigen Gottesbeziehung durchdrungen zu werden.
Jesus hat das Abendgebet des frommen Juden als Sterbegebet gesprochen. So
können wir uns jeden Abend einüben in das Vertrauen Jesu, das stärker ist als der
Tod, wenn wir vor dem Schlafengehen beten: „In deine Hände, lieber Vater, lege ich
meinen Geist.“ Dann wird das Schlafen zur Einübung des Sterbens, in dem wir uns
für immer in Gottes väterliche und mütterliche Arme hineinfallen lassen, um für immer darin geborgen zu sein.
Amen.