Predigttexte

Karfreitag 25.3.16 Richterswil
„Die sieben letzten Worte am Kreuz“
Liebe Schwestern und Brüder, Freunde und Freundinnen in
Christus, die 7 ist eine heilige Zahl: aus 3, der himmlischen
Zahl, die an die Dreieinheit Gottes erinnert, und 4, der Zahl der
irdischen Vollkommenheit: z.B. 4 Himmelsrichtungen, 4 Jahreszeiten. In der 7 kommen also Himmel und Erde zusammen.
Wo und wie begegnen und durchdringen sich diese beide Welten in diesen 7 Worten? Was bringen sie in uns zum Klingen?
Machen wir uns gemeinsam auf einen Weg durch diese Worte:
Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.
Das erste Wort am Kreuz ist das der Vergebung. Das ist tröstlich und wegweisend. Die erste, natürliche, Reaktion auf die erfahrenen Misshandlungen wäre doch eigentlich eher Wut, oder?
Aber offenbar ist Vergebung die wichtigste und nötigste Botschaft, die uns Jesus noch in grösster Not ans Herz legt. In
grösster Schwachheit und Hilflosigkeit zeigt er uns, was wahre
Grösse und Stärke ist: Anderen sogar noch zu vergeben. Gewaltlosigkeit, die schwach scheint, als grosse Stärke. Obwohl es
das Wort „Gewaltlosigkeit“ erst seit den 50er Jahren des letzten
Jahrhunderts überhaupt in unserem Sprachgebrauch gibt. Eigene
Erfahrungen sind in mir aufgestiegen: Wie 1989 unter der Kraft
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der Vergebung und der Gewaltlosigkeit die meisten gewalttätigen Regime in Ostdeutschland und Osteuropa zusammenbrachen. Oder wie ich auch ganz persönlich anderen vergeben
konnte, mit eben diesen Worten „denn sie wissen nicht, was sie
tun.“
Doch eben genau mit diesen Worten treffen mich zugleich
schmerzhaft auch andere Erinnerungen: Wo ich selber schuldig
wurde, wenn es gegen Aussenseiter ging. Wo ich mitgejubelt
habe, wenn es gegen Schwache und aus der Sicht der Klasse
oder Gruppe Andersartige ging. Ach, wie viel einfacher war es,
mitzujohlen und mitzumachen. Heute sind es Busse mit Flüchtlingen, die von johlenden Mengen alles andere als empfangen
geheissen werden. „Vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie
tun“ – gilt dieses Gebet nicht auch noch heute über uns? Wir
wissen so vieles, was Zusammenhänge in Politik und Umwelt
angeht. Und werden trotzdem schuldig, wissentlich und unwissentlich. Wie schrecklich wäre die Konsequenz, wenn dann diese Worte lauten würden: „Vergib ihnen nicht, denn sie wissen,
was sie tun.“ Doch Jesus bricht aus dem aus, macht den Blick
weiter: Als er gefragt wurde, wie oft ich denn anderen zu vergeben hätte, antwortete er: „Nicht 7mal, sondern 7 mal 70 mal“ –
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bevor wir anfangen würden, zu zählen und zu rechnen, wäre die
Vergebung schon oft genug geschehen… Mit dem Wort von der
Vergebung selbst in grösster Qual und Not bricht Jesus aus: Aus
der Spirale, dem Kreislauf der Gewalt, dem ewigen „wie du mir,
so ich dir.“ Geht weiter als das „Auge um Auge, Zahn um
Zahn.“ Das ist oder wäre die eigentlich grossartigste Entdeckung und Neuerung des christlichen Glaubens. Was uns nicht
davon abhalten soll, dafür zu sorgen, dass Menschen genau wissen, was sie tun… Doch die Vergebung soll das letzte Wort haben. Denn Gott liebt uns nicht, weil wir gut sind. Gott liebt uns,
weil Gott gut ist. …
Wo fällt es uns schwer, zu vergeben? Wofür erhoffen wir Vergebung? Denken wir einen Augenblick darüber nach…
Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.
Mit dem ersten Wort der Vergebung anstelle eines triumphalen
Herabsteigens vom Kreuz, das ihm die johlende Menge und sogar einer seiner Leidensgenossen am Kreuz nahelegt, endet die
Vorstellung, dass er seine Herrschaft nach irdischen Massstäben
aufrichtet, als politischer Heilsbringer. So ist auch die Zusage an
den Mitgekreuzigten, der seine Schuld bekennt, viel grösser als
dessen Erwartung: „Denke an mich, wenn du in deinem Reich
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kommst“ – einmal, am Ende der Zeiten, dachte er. Stattdessen
die Zusage: „Heute noch!“ Wie kam es zu dieser Situation? Pilatus, der Jesus eigentlich loswerden wollte, kam es letztlich auf
einen Hingerichteten mehr oder weniger nicht an. Effizienz
würden wir das heute wohl nennen: Wenn schon das Kreuzigungskommando aufgeboten ist, dann soll sich wenigstens lohnen. Also kreuzigt man gleich drei statt nur einen. Damit wurde
Jesus zu den Verbrechern gezählt – wie schon während seines
irdischen Wirkens: Ein Freund der Zöllner und Sünder, der Säufer und Prostituierten, der Aussätzigen – das hielt man ihm immer wieder vor. Logisch endet er wie das üble Gesindel, mit
dem er sich eingelassen hat. Wer so dachte und denkt, hat nichts
begriffen. „Wer bist du, zu richten“? hat er stattdessen immer
wieder nachgefragt… Gott liebt uns nicht, weil wir gut sind,
sondern weil Gott gut ist. Das ist anders als Schwarz-WeissDenken, als digitales oder binäres Denken, das nur „oder“ kennt
und kein „und“… Dieses Denken wird hier im wahrsten Sinne
des Wortes „durchkreuzt“.
Frau, siehe, dein Sohn! Dann sagte er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter!
Zum Vermächtnis Jesu gehört neben der alles aufsprengenden
Vergebung das Auf- und Aneinander Verwiesen Sein – dass al4
so wir füreinander seine Stelle einnehmen. So wie er den Jünger, den er liebte, an seine Mutter verweist und seine Mutter an
eben jenen. Dieses Auf- und Aneinander Verweisen geht noch
weiter, es gilt das Wort von Jesus: „Meine Mutter und meine
Brüder und Schwestern, das sind die, die das Wort Gottes hören
und danach handeln.“ (Lk 8,21)
Wer sind die, an die wir als Mutter oder Sohn oder Bruder oder
Schwester verwiesen werden? Ein Blick nach links oder rechts
oder in unser Innerstes gibt die Antwort… Und wir werden davon nachher singen: Wenn wir in Frieden beieinander wohnten/Gebeugte stärkten und die Schachen schonten/dann würden
wir den letzten heilgen Willen/des Herrn erfüllen.
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Das ist zum einen der „Urschrei“ des Christentums – das Kreuz
ist das Symbol dafür. Dieser Schrei wird zum Schrei aller an
Leib und Seele Gequälten, der Geschundenen, Gefolterten, Vergewaltigten, derer in absaufenden Schlauchbooten, vor Stacheldrahtzäunen und Mauern, derer, die ihr Leben, ihre Gesundheit
oder ihre Liebsten verloren haben durch Terror und Gewalt.
Die einfach nur das Flugzeug oder die Metro nehmen oder einfach auf die Strasse gehen wollten, so wie immer. Und dann ist
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alles anders. In Brüssel wie tagtäglich an unzähligen Orten des
Terrors auf dieser Welt. Der Schrei der Gottverlassenheit am
Kreuz – ist er nicht ungeheuerlich für unsere Ohren? Der, von
dem es heisst, er sei Gottes Sohn – von Gott verlassen? Von
Gott verlassen – dem Urgrund allen Seins, allen Lebens? Von
dem verlassen zu sein, das zieht einem allen Boden unter den
Füssen weg. Das wünscht man niemanden, hoffe ich, aber doch
blieb oder bleibt diese Erfahrung dem einen oder anderen von
uns nicht erspart… Dann muss das gesagt werden, gerufen, geschrien werden, laut oder leise. Wenn zu dem körperlichen
Schmerz der seelische dazu kommt: Von dem, auf den man alle
Hoffnung setzt, verlassen zu sein.
Ein einziger seidener Faden bleibt: Der Schrei geht zu Gott.
Dort gehört er dahin. Wohin sonst? …
Mich dürstet.
Durst. Kennen wir. Wirklich? Wir kennen Durst vielleicht nach
einer anstrengenden Wanderung, Arbeit oder Sport. Meistens
haben wir dann eine Flasche dabei oder finden Brunnen oder
Beiz. Nichts davon hier in Sicht. Anders als Hunger hält ein
Mensch Durst nur 3 Tage aus, dann stirbt er. Hier am Kreuz ist
der Durst ebenso unbarmherzig. Der, der gesagt hat, er gibt das
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„Wasser des Lebens“, und wer Durst hat, komme zu ihm, der
wird in seinem Durst unbarmherzig verhöhnt, mit Essig. Sein
Durst steht für den Durst nach Gerechtigkeit, nach Anerkennung, Liebe, Freundschaft, nach gelingendem Leben. Auch der
wird oft genug verhöhnt und verspottet.
Wonach dürsten wir? …
Es ist vollbracht!
Vollbracht? Wer hat was vollbracht? Die Henker ihr Handwerk?
Oder Christus sein Werk? Was ist sein Werk? „Sein Leben zu
geben für seine Freunde – es gibt keine grössere Liebe als diese“? Lieber Unrecht und Gewalt zu erleiden und auszuhalten als
anderen zuzufügen? Darum lieber die andere Wange hinzuhalten, wenn man uns auf die andere schlägt? Der davon geprägte
Lebens- und Wirkenskreis von Jesus, der sich hier schliesst,
durchbricht damit endgültig den Kreislauf von Gewalt und Vergeltung. Für uns ist das geschehen – damit wir anders sehen
und: handeln. Vollbracht ist, dass wir wegkommen vom Entweder-Oder zum „und“. Er ist es, der das sagt. Der damit beides
zusammenbringt, was für die Umstehenden und Zuschauer von
damals und Zweifler aller Zeiten nicht zusammen passte: Gottes
Sohn und Mensch. Ganz Mensch. Und ganz und gar Gottes, also
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von und in Gott. Wer Ohren hat zu hören, der höre!
Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist.
Was er von Gott empfangen hat, gibt er Gott zurück. Tönt gut –
aber ist das so einfach? Es ist gut. Aber der Weg dorthin ist dornig. Wie die Dornenkrone. Sterben ist nicht schön. Umfragen
belegen, dass wir Menschen vor dem Tod als solchem keine
Angst haben, aber vor dem Sterben. Was wir hier als letztes
vom Kreuz herab hören, ist versöhntes Sterben. Die schweizeramerikanische Sterbeforscherin Kübler-Ross hat von 5 verschiedenen Phasen des Sterbens gesprochen: Verleugnen, Zorn
und Wut, Verhandeln und um Aufschub suchen, Trauer um vergebene Chancen und schliesslich Akzeptanz. Alle diese Phasen
zeigten sich am Geschehen am Kreuz, in den 7 Worten. Vom
„Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen“ war und
ist es ein langer und einsamer Weg zum „In deine Hände lege
ich meinen Geist“. Dieser letzte Ruf geht wieder an Gott, ist eine Rückkehr zum Ursprung allen Lebens. Das ist „versöhnt
sterben“. Auch das ist mir immer wieder begegnet: Versöhntes
Loslassen – mit der begründeten Hoffnung, Gott zu sehen und
die Liebsten. „Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht
von mir - Wer so stirbt, der stirbt wohl“, heisst es in einem unser
8
bekanntesten Passionslieder (445). Und in einem der neueren,
das wir heute ganz am Ende singen werden (456), bekommt diese Hoffnung über Kreuz und Tod hinaus Gestalt im Bild vom
Samenkorn und seinem neuen Leben.
Das ist das Vermächtnis der 7 Worte des Christus. Darin begegnen sich Himmel und Erde. Und, das Wichtigste:
Es geht um uns – um dich und mich.
Amen…
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