Legende zur Grafik siehe Seite 4 K asschlimmste Land der Welt in Bezug auf Pressefreiheit ist Eritrea. "Wir untersuchen inzwischen 180 Länder, und seit Beginn unserer Erhebungen liegt Eritrea auf dem letzten Platz unseres Rankings", sagt Rubina Möhring, Präsidentin von Reporter ohne Grenzen (ROG) Österreich und langjährige Vizepräsidentin von Reporters sans frontieres international. "Eritrea ist ein Gefängnis in sich. Niemand kommt hinaus, niemand kommt hinein, schon gar nicht Journalisten. Es ist eine Diktatur und noch undurchlässiger als Nordkorea. Eritrea ist ein unheimlicher Staat." Die wenigen Informationen stammen von Flüchtlingen. Im ROG-Ranking folgen von hinten Nord---korea, Turkmenistan, Syrien, China, Vietnam, der Sudan, der Iran und Somalia. Hier zeigt sich, dass Diktaturen, beziehungsweise gelenkte Demokratien, als Staatsform und Einschränkungen der Pressefreiheit in der Regel Hand in Hand gehen. So liegt zum Beispiel Russland nur auf Rang 152. "Die Bevölkerung wird dort fast ausschließlich durch das Fernsehen informiert, und das ist fest in regierungsfreundlicher Hand. Und kritische Zeitungen wie die, owaja Gaseta' haben einen so miserablen Verteiler, dass sie entweder gar nicht oder bestenfalls gebündelt einmal in der Woche ankommen." Die Ukraine, nun schon seit Februar 2014 im kriegerischen Konflikt mit Russland, ist auch nicht D viel besser. So wurden erst kürzlich Sanktionen durch die Regierung gegen drei BBC-Mitarbeiter nach heftigen Protesten aus Großbritannien wieder aufgehoben. Und derzeit findet ein medialer Kampf mit Russland statt. Um dem gegenseitigen Propaganda-Journalismus entgegenzuwirken, hat Möhring ein OSZE-Projekt ins Leben gerufen, das junge russische und ukrainische Journalisten in Wien, also auf neutralem Boden, zusammenbringt. Auch im Kaukasus kann aus Sicht von Reporter ohne Grenzen von Pressefreiheit nach mitteleuropäischen Maßstäben keine Rede sein. "In Weißrussland etwa ist heuer unser ,Press Freedom Award' ausgeschrieben, und es ist schwierig, Kandidaten dafur zu finden, weil die Angst groß ist. Sehr viele Journalisten sind ausgewandert und berichten jetzt aus den Nachbarstaaten über ihre Heimat, weil sie in Weißrussland selbst womöglich im Gefängnis landen würden", sagt Möhring. Weiter südlich und östlich ist es ähnlich. In Asien sind selbst in Südko- 10 WIEN ER JOURNAL A N A D A I-------~. VEREINIGTE STAATEN VON AMERIKA o w.u/lNGaDL ARGEN,.INIEN Das Pressefreiheit -Ranking von Reporter ohne Grenzen spiegelt auch die politische Lage von 180 Ländern wider. Finnland führt, gefolgt von weiteren europäischen Industrienationen und Ozeanien, während die schlimmsten Diktaturen und ärmsten Länder hinten liegen. Es gibt aber da wie dort auch überraschende Ausreißer. Text: Mathias Ziegler 2.10.2015 GROSSBRITANNIEN PAPUA·NEUGUtNEA o •••no"" MADAGASKAR AUSTRALIEN REPORTER OHNE GRENZEN: 0""'", Weltkarte der Pressefreiheit Gute Lage Zufriedenstellende Lage Erkennbare Probleme 11 Schwierige Lage 11 Sehr ernste Lage Finnland rea und Japan Probleme erkennbar. "Und Indien zum Beispiel liegt nur auf Platz 136, weil hier regional sehr viel Einfluss auf die Medien ausgeübt wird. Der Konflikt mit Pakistan, Frauenpolitik, Vergewaltigungen, diese Themen wurden und werden möglichst abgewürgt." Und auch in Arabien ist man ebenso wie im Iran nicht gerade zimperlich im Umgang mit unliebsamen Journalisten. In Süd- und Mittelamerika wiederum regieren nach wie vor die Drogenkartelle. In Mexiko zum Beispiel wird die Medienszene durch und durch von Kartellen beherrscht und eingeschüchtert. Und wer glaubt, dass Frauen an der Staatsspitze da einen großen Unterschied machen, wird in Brasilien und Argentinien eines Besseren belehrt. Uruguay und Belize bilden in dieser Region positive Ausnahmen. 2.10.2015 Problematisch ist auch die Situation im EU-Beitrittswerberland Türkei, wo viele Journalisten nach dem Anti-Terror-Gesetz verurteilt wurden und eine Untersuchungshaft bis zu fünf Jahre dauert. "Zeitungen, die auch nur annähernd regierungskritisch sind, werden bedroht und Opfer von Übergriffen." Möhring hat Hochachtung vor allen Kollegen, die in diesen Ländern aktiv sind. Die USA liegen im Banking hinter Ghana und dem Niger Interessanterweise findet sich auch einer der stärksten Industriestaaten erst auf Platz 49: Die USA liegen hinter Staaten wie Ghana, Botswana, dem Niger oder Kap Verde. Gerade Afrika kann man nicht so einfach über einen Kamm scheren, betont Möhring: "Hier muss man weltpolitisch aufpassen, dass diese besser gefestigten Länder entsprechend unterstützt werden und die Ausbeutungspolitik nicht dermaßen überhandnimmt, dass es zu einer Verelendung kommt. Denn dann droht eine innenpolitische Radikalisierung, was auch wieder die Pressefreiheit gefährdet." Eine solche Entwicklung fiele letztlich auch wieder auf Europa zurück, wenn irgendwann die nächste große Flüchtlingswelle aus diesen Ländern käme. Durchwegs positiv werden Australien, Ozeanien und die meisten karibischen Inseln bewertet. Und an der Spitze des ROG-Rankings steht erwarmngsgemäß der europäische Vorzeigestaat Finnland. Europa und ein paar wenige Länder im Rest der Welt als die Guten und viele, viele andere als die Bösen - ist es > WIENER JOURNAL 11 Legende zur Grafik siehe Seite 4 > wirklich so simpel? Nein, natürlich nicht, sagt Möhring. Denn auch in Europa ist manches zu kritisieren. "Wir wissen selbst, dass solche Rankings immer problematisch sind." Dass zum Beispiel Österreich auf Platz 7 liegt und Deutschland auf Platz 12, hängt auch mit dem Verhältnis zu anderen Staaten zusammen. "Und nachdem Deutschland zehnmal so groß ist, liegt es nahe, dass es dort auch mehr Verstöße gegen die Pressefreiheit gibt als in Österreich. Wir haben auch zu Beginn dieser Rankings lange darüber diskutiert, inwieweit man die Weltregionen überhaup miteinander vergleichen kann. Denn es ist natürlich ein Unterschied, ob in Eritrea Morde an Journalisten und rigorose Zensur zum Alltag gehören oder in Österreich ein großes Unternehmen in einer bestimmten Zeitung nicht mehr inseriert, Einschränkungen der Pressefreiheit: stellen freilich alle diese Fälle dar. Und es gibt auch gravierendere Verstöße innerhalb der EU. In Ungarn etwa ist die ituation der Medien höchst problematisch, meint: die ROGPräsidentin. "Die öffentlich-rechtlichen ~ Iedien - Radio, Fernsehen und die nationale Nachrichtenagentur - sind jetzt in einer Hand Diese gleichgeschaltete öffentliche Information ist nicht im Sinne der Medienvielfult. Private Radiostationen, die für kritische Diskussionsrunden bekannt waren, haben große Schwierigkeiten bei der Lizenzverlängerung bekommen und irgendwann nur noch Musik gespielr.. Dabei ist das ein Nachbarland von Österreich. _-atürlich ist Demokratie schwierig, sagt i löhring, das wissen wir in Österreich und Deutschland selbst gut genug". Mitunter dauere es sehr lange, bis ie in den Köpfen angelangt sei - und in manchen komme sie nie an. Politische Einflus nahnie und PR-Journalismus Und wie frei ist nun die Presse in Österreich tatsächlich? Kann ein Medium überhaupt unabbangig sein? Dazu stellt Astrid Zimmermann, Genera1sekretärin des Presseclub Concordia, fest "Die Vorstellung von Pressefreiheit, wie sie die ConcordiaGründerväter hatten, war die, dass es keine Zensur mehr gibt. Die gibt es in Österreich offiziell heute nicht mehr. Aber man findet sehr wohl Ansätze von implizierter Zensur. Einerseits gibt es sozusagen Scheren im Kopf und andererseits mehr oder weniger deutliche Anweisungen, bestimmte Anzeigenkunden nicht zu verschrecken und die Berichterstattung danach zu richten. Das heißt, im Moment ist die Abhängigkeit so gut wie aller heimischen Medien - selbst des öffentlichrechtlichen Rundfunks - von Inseratenkunden dermaßen groß, dass diese einen starken Einfluss haben. Das bedroht die Unabhängigkeit derzeit am meisten." Die zweite Abhängigkeit sieht Zimmermann auf politischer Ebene. Hier 12 WIENER JOURNAL nimmt sie eine Veränderung wahr: "Früher hätte sich jeder Politiker gehütet, offen zu intervenieren. Heute rufen nicht nur die Pressesprecher an und wollen Interviews umschreiben lassen oder sogar zurückziehen, sondern auch die Politiker selbst finden überhaupt nichts dabei, das offen auszusprechen. Da gibt es dann Aussagen von Ministern wie: ,\Vozu sollen wir die Presse fördern? Ihr schreibt ja eh nur gegen uns.' Das heißt im Klartext: ,Würdet ihr wohlwollend berichterstatten, würden wir euch mehr Geld geben.' Und es passiert durchaus, dass ein Minister einen Chefredakteur anweist, eine andere Person mit der Berichterstattung zu betrauen, dass bestimmten Journalisten Interviews verweigert werden, dass sogar offen darüber gesprochen wird: ,Der Bundeskanzler geht nicht zu Arrnin Wolf in die ZiB2, weil er sich von dem nicht vorfuhren lässt.' Und auch die Wirtschaft gibt ja zum Teil offen zu, dass sie Inserate storniert, wenn ihr die Berichterstattung nicht passt." Die ConcordiaGeneralsekretärin spricht aber auch von Chefredakteuren mit Rückgrat, die dem widerstehen, "nicht alle, aber doch viele". ROG- Präsidentin Möhring hat selbst erlebt, wie die Politik Medien mundtot machen wollte. "In den Wendejahren unter Schwarz-Blau hat Jörg Haider unzählige Medienprozesse gefuhrt. Die hat er zwar alle verloren, aber so ein Prozess dauert, bindet Ressourcen, kostet Geld. Da haben sich viele Journalisten zweimal überlegt, was sie schreiben." Sie selbst hat im September 2001, ein Jahr nach der Wende, eine Bilanz mit dem Titel "Österreich allein zuhause" herausgegeben. "Damals haben die tollsten Leute kostenlos und in Windeseile Beiträge geschrieben, aber es hat sich kein einziger österreichischer Verlag getraut, das Buch zu drucken." Letztlich wurde die journalistische Abrechnung mit Österreichs schwarz-blauer Regierung in Frankfurt am Main verlegt. Als problematisch bezeichnet Alexander Warzilek, Geschäftsfuhrer des Österreichischen Presserats, auch den Umgang mit dem Amtsgeheimnis. "Die Verwaltung in Österreich ist zu intransparent. Da wird oft u.nter Berufung auf das Amtsgeheimnis abgeblockt, und statt dass man etwas offiziell herausgibt, werden Informationen unter der Hand bestimmten Redaktionen oder Journalisten zugespielt. Da bräuchte es stringentere Regeln." Er würde sich für Österreich einen Informationsfreiheitsbeauftragten wie in Deutschland wünschen. Außerdem findet es Warzilek höchst be- 2 10.2015 •. sein, weil es zu einem Glaubwürdigkeitsverlust kommt. Kurzfristig haben die Medien vielleicht einen Vorteil, wenn sie auf solche Deals eingehen. Aber das Publikum glaubt ihnen dann irgendwann nicht mehr." Dass viele Kommunikationswissenschafter gar nicht mehr zu Nachrichtenmedien gehen, sondern gleich in die PR-Branche, wundert die ROG-Präsidentin Möhring nicht: ,,Als meine Generation angefangen hat, war völlig klar, dass wir alle einen Job bekommen würden. Heute sieht das anders aus." Die Prangerwirkung des Presserats "Eritrea ist ein unheimlicher Staat", sagt Rubina Möhring, Präsidentin von Reporter ohne Grenzen Österreich, über das Schlusslicht im Ranking. Foto: Moritz Ziegler denklieh, dass der Staat und insbesondere die Geheimdienste auch bei Journalisten Daten sammeln. Ein weiteres zunehmendes Problem ist laut Zimmermann der sogenannte PRJournalismus: Unternehmensinforrnationen, die in journalistischem Kleid daherkommen und nicht in werbetextlichem. Das Fatale dabei ist, dass der Durchschnittsleser überhaupt keine Chance hat, die PR als solche zu erkennen. Zimmermann nennt als Beispiel sehr affirmative und werbliche Interviews, vor allem in Gratisblättern, die in derselben Ausgabe 2.10.2015 erscheinen wie Inserate desselben Unternehmens. "Es steht aber nicht Werbung drauf, sondern Zeitung." In den vergangenen Jahren haben sich allein am Wiener Institut für Publizistik 16 Diplomarbeiten mit solchen Einflussnahmen und Abhängigkeiten in verschiedenen journalistischen Bereichen befasst, berichtet Zimmermann. Auch der Presserat, der sich als Selbstkontrollorgan der heimischen Medienbranche sieht, ist immer wieder damit befasst, berichtet Geschäftsfuhrer Warzilek. "Diese Vermengung mit PR wird langfristig der Tod des Journalismus Neben dem PR-Journalismus beschäftigen den Presserat vor allem Beschwerden bezüglich Persönlichkeitsschutz, Diskriminierung von Randgruppen sowie korrekte und gewissenhafte Recherche und Wiedergabe von Nachrichten. Meist wenden sich Leser, Betroffene, Vereine oder Institutionen an den Presserat, der den Hinweisen dann nachgeht. Im vergangenen Jahr wurden 238 Fälle untersucht und dabei 37 medienethische Verstöße festgestellt. Elf Fälle konnten in Ombudsverfahren einvernehmlich gelöst werden. Der Presserat umfasst drei Senate mit jeweils elf Personen, die aus Journalisten von fast allen heimischen Medien gebildet werden, den Vorsitz hat allerdings jeweils ein Jurist (auch die "Wiener Zeitung" stellt zwei Senatsmitglieder - "Österreich" und "Heute" hingegen haben niemanden entsandt, ein "Krone"Redakteur wurde von der Gewerkschaft nominiert). Daneben gibt es derzeit zwei Ombudspersonen sowie vierzehn Vertreter im Trägerverein, in dem die sechs wichtigsten Journalisten- und Verlegerverbände zu finden sind. Alle Mitglieder des' Presserats sind ehrenamtlich aktiv, über die Presseförderung wird er mit jährlich 150.000 Euro unterstützt. Die Urteile des Presserates haben in erster Linie Prangerwirkung, erläutert Warzilek. "Als privater Verein können wir keine Sanktionen verhängen. Wir grenzen uns auch bewusst von staatlichen Institutionen ab, weil es dort um Medienrecht geht und bei uns um die weiter reichende Medienethik. Wir zeigen auch niemanden selbst an. Aber es schmerzt natürlich schon, wenn man von unseren Senaten - also von Leuten aus der eigenen Branche - öffentlich kritisiert wird. Dass wir durchaus ernstgenommen werden, zeigt zum Beispiel, dass uns die > WIEN ER JOURNAL 13 Legende zur Grafik siehe Seite 4 > Tageszeitung ,Österreich' schon zweimal geklagt hat und damit gescheitert ist." Auch dass der "Krone"- Kolumnist Michael Jeanee, der schon ein halbes Dutzend Mal verurteilt wurde, mit dem Presserat immer wieder Kleinkriege fuhrt, findet Warzilek nicht schlimm. Im Gegenteil: "Wir halten auch polemische Kritik aus. Wir versuchen selbst möglichst sachlich zu argumentieren. Mit ,Österreich', ,Heute' und der ,Krone' haben wir auch schon einvernehmliche Lösungen gefunden. Wir hätten sie auch gern in den Senaten. .Heute' hat aber zuletzt abgelehnt." Den Presserat in der jetzigen Form gibt es erst seit 2010. Es war eine Wiedergründung, nachdem der 1961 gegründete alte Presserat 2002 geschlossen worden war - und zwar nachdem die "Krone" laut Warzilek zuerst vor Gericht gegen den Presserat verloren und danach Druck auf die Träger der Institution ausgeübt hatte. Der neue Presserat ist jetzt auch noch professioneller aufgezogen. "Ein Grund fur den neuen Presserat war auch eine EU-Richtlinie, laut der die Finanzmarktaufsicht für die Beaufsichtigung der Finanzjournalisten zuständig sein sollte, wenn es keine eigene Kontrolle gäbe - das wurde durch den Presserat verhindert." Concordia-Geschäftsfuhrerin Zimmermann, die auch Präsidentin des Trägervereins des Presserats ist, betont dessen wichtige Funktion in der heutigen Medienbranche, vor allem weil die Medienrichter heute sehr unterschiedlich urteilen, "das verstärkt die Unsicherheit". Hier versucht der Presserat Leitlinien vorzugeben. sich als Boulevardmedium an ethische Grundsätze zu halten. Das funktioniert schon. Ob man es will, ist halt eine andere Frage. Und wenn man sich die Verurteilungen ansieht, sieht man eh, wo es mehr Probleme gibt." Er will die Boulevardzeitungen und die Gratisblätter nicht generell verteufeln, "weil es gewisse Gruppen in der Gesellschaft gibt, die die Medienbranche ohne sie gar nicht erreichen würde". Bezüglich der Trennung zwischen Boulevard- und Qyalitätsmedien gibt es auch einige merkwürdige Phänomene. Zum Beispiel stellte der Salzburger Kommunikationswissenschafter Rudolf Renger fest, dass die sogenannten Qyalitätsmedien in der Berichterstattung über große Katastrophen oft boulevardesker - im Sinne von weniger sachlich, informativ, faktenorientiert - agieren als die Boulevardmedien. "Bei großen Ereignissen gibt es also offenbar dort Die Meit;lungsvielfalt ist auch in Osterreich bedroht Die besten Leitlinien nutzen aber wenig, wenn sie von den Medien nicht beherzigt werden. Im kleinen österreichischen Markt kommt noch hinzu, dass so gut wie jeder jeden kennt und damit auch die Netzwerke der Einflussnahme sehr engmaschig sind, meint Zimmermann: "Das bedroht letztlich nicht nur die journalistische Unabhängigkeit, sondern auch die Meinungsvielfalt. Denn die ganze Idee unserer Medienlandschaft beruht ja darauf, dass wir als Medienkonsumenten eine Auswahl bekommen und uns selbst eine Meinung bilden. Und leider wird die Auswahl heute immer kleiner. Zum Beispiel werden in Österreich laut einer Studie von Josef Seethaler von der Akademie der Wissenschaften fur einen Wirtschafts artikel im Durchschnitt nicht viel mehr als eine Person befragt. Wie viele Positionen nehme ich da also noch wahr? Und auch in anderen Bereichen werden immer dieselben Leute zitiert." Besonders starke Einflussnahmen sieht sie in den sogenannten Boulevardmedien. "Da gab es sogar schon Chefredakteursverträge, die das dezidiert beinhaltet haben." Warzilek betont dazu aber auch: "Es ist nicht die Quadratur des Kreises, 14 WIENER JOURNAL "Auf lange Sicht schaden sich Medien mit PR-Journalismus selbst", warnt Alexander Warzilek, Geschäftsführer des Österreichischen Presserats. Foto: Moritz Ziegler 2.10.2015 ---------\ "Man findet auch in Österreich sehr wohl Ansätze von implizierter Zensur", stellt Astrid Zimmermann, Generalsekretärin des Presseclubs Concordia, fest. Foto: Moritz Ziegler kein fundiertes Wissen und keine Erfahrung, wie man damit umgehen soll", stellt Zimmermann fest. Vor allem im Umgang mit den Persönlichkeitsrechten machen aus ihrer Sicht die Qualitatsmedien und auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk die gleichen Fehler wie der oft kritisierte Boulevard. Wobei es in der Zwischenzeit klare Gerichtsurteile gibt, wonach die Verantwortung für die Berichterstattung in der Redaktion liegt. Da gelten auch keine Ausreden wie die Schnelllebigkeit der heutigen Zeit, in der Entscheidungen unter dem Konkurrenzdruck von Online- Medien und sozialen Netzwerken noch rascher gefällt werden müssen. Apropos Internet: Die Online- Berichterstattung tut das ihre dazu, dass Verletzungen der Persönlichkeitsrechte massiv zugenommen haben. "Man darf nicht vergessen, dass heute alles im Internet sichtbar bleibt", sagt Zimmermann. "Früher musste man händisch in einem Zeitungs archiv graben. Heute geben Sie auf Google einen Namen ein, und selbst wenn Sie hundertmal vor Gericht Recht bekommen haben, dass diese Berichterstattung falsch ist, sie scheint wieder auf. Dieser Verantwortung und Sorgfaltspflicht sind sich die Medien aber immer weniger bewusst, auch weil die Bereitschaft der Menschen, ihre privaten Dinge in Social Media zu veröffentlichen, zugenommen hat. Aber vor allem bei Menschen, die sich nicht dagegen weh- 2.10.2015 ren können, die keine Prominenten sind, ist die Verletzung der Privatsphäre das Schlimmste, was ein Medium anrichten kann." Das Internet spielt auch beim Presserat eine immer größere Rolle. "Wir hatten schon Fälle, in denen es darum gegangen ist, wie sich Medien auf Facebook und Twitter verhalten haben", berichtet Warzilek. Und der Ausgangspunkt der meisten Fälle, die dem Presserat gemeldet werden, sind Artikel im Internet. "Viele sind auch in der Printausgabe erschienen, aber Online-Texte sind natürlich niederschwelliger und leichter weiterzuleiten, da braucht man nur einen Link in ein E-Mail zu kopieren." Die guten und die bösen Seiten im Internet Generell ist das Internet ein zweischneidiges Schwert in der Medienlandschaft. Denn einerseits hat sich dadurch schon die Meinungsvielfalt erhöht - andererseits muss man aber auch schon fast wieder von einem Wildwuchs sprechen, in dem die Medienkonsumenten sich zurechtfinden müssen. Denn welchen Websites sie vertrauen können und welchen nicht, ist oft nicht so leicht festzustellen. "Selbst Wikipedia irrt sich manchmal", warnt Zimmermann. Was die kritischen Länder betrifft, so ist das Internet wiederum ein Segen. "Ohne Blogger und Online-Journa- listen wüssten wir viel weniger über Staaten wie Eritrea", sagt Möhring. Freilich muss einem auch hier als Beobachter stets bewusst sein, dass oft ein Gegencheck nicht möglich ist. Man darf also nicht jede Information aus dem Internet ohne zu hinterfragen für bare Münze nehmen. Denn natürlich versuchen die Regimes die Medien zu manipulieren und arbeiten auch mit pseudokritischer Propaganda. Aber zumindest Stimmungsbilder lassen sich online gut ablesen. Und für die Printmedien ist das Internet natürlich eine enorme Herausforderung, weiß Möhring. "Man sieht aber auch, dass jene Printmedien, die sehr früh auf diesen Online-Zug aufgesprungen sind, damit sehr vieles ausgleichen können." Sie selbst hat absolut kein Problem mit Bezahlseiten. Im Gegenteil: "Klar, auch ich genieße es, wenn ich alles am Vorabend gratis im Internet lesen kann und mir nicht mehr am nächsten Morgen die Printausgabe kaufen muss. Aber warum soll man nicht für gut recherchierte Inhalte etwas bezahlen? Da sind Menschen dahinter, die davon leben müssen. Den Konsumenten sollte bewusst sein, dass auch das seinen Preis hat." Und es ist ihr sympathischer als Websites, die sich durch Werbung finanzieren - und dadurch womöglich erst recht in wirtschaftliche Abhängigkeiten geraten. Was sich aber ändern wird müssen, ist der medienethische und -rechtliehe Umgang mit dem Internet, meint Zimmermann. Besonders fatal findet sie, "dass offenbar bei vielen die Meinung vorherrscht, für das Internet würden keine Gesetze gelten, was natürlich nicht stimmt". Sie weist auf die enorme Zunahme der Persönlichkeitsrechtsverletzungen, der schlecht recherchierten Geschichten und Falschmeldungen, der Hasspostings hin. "Und es wird ein schmerzlicher Lernprozess werden, dass wir auch Regeln fürs Internet brauchen. Und zwar stärkere als die, die den Menschen jetzt schon nicht bekannt sind." -.J WIENER JOURNAL 15
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