22 ENGINEERING Was bedeutet Betriebsbewährtheit für Werkzeugmaschinen? Die Leitnorm für die Risikobeurteilung (ISO 12100) erwähnt ausdrücklich, dass die notwendigen hypothetischen Analysen auf real existierenden Praxisbefunden basieren sollen. Deshalb wurde bereits am 19. Juni 2013 vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) das Positionspapier „Entwicklung von anerkannten Regeln der Technik“ erstellt. Bei der Erstellung des Papiers war die Arbeitsgruppe „Neue Generation Signaltechnik“ (NeGSt) der RWTH Aachen maßgeblich beteiligt. Deren Aussagen sind für die allgemeine Maschinensicherheit und somit auch für Werkzeugmaschinen leicht übertragbar. Gerade bei Betriebsbewährtheit gilt es, sich im Dickicht von Definitionen zurechtzufinden. Ausführungen zur Betriebsbewährtheit im Positionspapier Betriebsbewährt (en: prior use) ist eine dokumentierte Beurteilung, beruhend auf Betriebserfahrungen in einer ähnlichen Umgebung, dass ein Gerät für die Verwendung in einem sicherheitstechnischen Systems (SIS) geeignet ist und die Anforderungen hinsichtlich der Funktionen und der Sicherheitsintegrität erfüllen kann. [ …] Um ein Gerät für ein sicherheitstechnisches System auf der Grundlage einer Betriebsbewährung zu qualifizieren, sollte der Anwender dokumentieren, dass das Gerät eine befriedigende Leistung in einer ähnlichen Betriebsumgebung erreicht hat. Das Verständnis dafür, wie sich das Betriebsmittel in einer bestimmten Betriebsumgebung verhält, ist erforderlich, um mit hoher Gewissheit annehmen zu können, dass der beabsichtigte Entwurf, die beabsichtigte Sichtprüfung, VDW BRANCHENREPORT / SEPTEMBER 2015 Prüfung, Instandhaltung und die beabsichtigten betrieblichen Praktiken angemessen sind. (Definition Betriebsbewährtheit nach EN 61511-1:2012 Kap. 3.2.55) Arbeitsgruppe des Ministeriums betont wiederholt deren Bedeutung der Betriebsbewährtheit: Daher wird es von der Arbeitsgruppe als sinnvoll angesehen, Methoden zur Betrachtung der Betriebsbewährtheit als anerkannte Regeln der Technik zu betrachten. Zusammen mit den Instandhaltungsmaßnahmen kann so eine Risikobetrachtung durchgeführt werden. [ …] Insbesondere bei Alttechniken liegen sowohl durch den Betreiber als auch den Hersteller umfangreiche Daten zu Störungen und Ausfällen von leit- und sicherungstechnischen Applikationen und Anlagen vor. Mit Hilfe dieser Daten kann eine zuverlässige Aussage zur Betriebsbewährtheit getroffen werden. (Betriebsbewährtheit und Analogie zu Grundnormen – 3.6.3). [ …] Die Analogie insbesondere zur Norm EN 61508 / EN 61511 und die Anleihe aus dem Bereich der Sicherheit von Maschinen sind hilfreich und schließen mögliche Lücken in der technischen Argumentationskette. Der Nachweis von Betriebsbewährtheit, wie er in der EN 61511 gefordert wird, ist ebenfalls gegeben. Damit kann man diese Vorgehensweise als allgemein in der Technik anerkannt angesehen und als Basis zur Risikobewertung nutzen. [ …] Alttechniken im Produktauslauf basieren auf einem Entwicklungsstand, der nicht mehr aktualisiert wird. Sie erfüllen jedoch die wesentlichen Anforderungen an die Sicherheit, so dass ein Betrieb der Anlage möglich ist. Es gilt in diesen Fällen ein Bestandsschutz. Die Schaffung neuer Regelwerke erscheint nicht verhältnismäßig. Geeigneter ist es, über die Betriebsbewährtheit bei Änderungen den Nachweis zu führen, dass die Sicherheitsanforderungen erfüllt sind. Das Positionspapier ist als Download im Internet unter http://projekte.fir.de/negst/sites/projekte.fir.de.negst/files/ ag1_01_negst_positionspapier_ag1_v3-00_2013-0730_20131216.pdf verfügbar. In Ergänzung zum Positionspapier veröffentlichte das BMWi am 31. Juli 2013 eine Sammlung zur „Definition Betriebsbewährtheit“. Im Vorwort heißt es: Mit diesem Dokument werden Definitionen und Aussagen zum Begriff „Betriebsbewährtheit“ zusammengefasst. Die Zusammenstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. [ …] Es ergänzt insbesondere die Aussagen zur Betriebsbewährtheit in Kapitel 4.1. ENGINEERING Es werden die Begriffe „Proven in Use“ und „Prior Use“ zur Erläuterung der Randbedingungen, die für die Argumentation Betriebsbewährtheit notwendig sind, erklärt. Betriebsbewährtheit für elektrotechnische Komponenten Proven in Use: Zur Konfiguration sicherheitsbezogener Systeme werden u. a. betriebsbewährte Bauteile verwendet. Das sind Bauteile, die sich bereits in größerer Stückzahl über einen längeren Zeitraum unter gleichen oder ähnlichen Einsatzbedingungen bezüglich ihrer Funktionssicherheit bewährt haben. Die konkreten Kriterien für die Betriebsbewährtheit sind dabei in den verschiedenen Branchen nicht exakt gleich definiert. Nach der DIN EN 61511 (VDE 0810) beispielsweise werden in der Prozessindustrie unter Einbeziehung aller betrachteten Geräte mindestens 30 Mio. Stunden Betriebszeit vorausgesetzt. Im Maschinenbau dagegen werden Bauteile oder Komponenten als betriebsbewährt angesehen, wenn zehn Systeme in unterschiedlichen Anwendungen während 10 000 Betriebsstunden oder wenigstens einem Jahr Betriebsdauer keine sicherheitsrelevanten Fehlfunktionen gezeigt haben. Quelle: www.etz.de/1111-0-Fachlexikon.html?alpha=B. Die Definition ist als Download im Internet unter http:// projekte.fir.de/negst/sites/projekte.fir.de.negst/files/ag1_02_ negst_ardt_sammlung_betriebsbewaehrt_v000_20130731_20131216.pdf verfügbar. Die weitere Entwicklung wird in dem Positionspapier folgendermaßen beschrieben: Anpassung der Definitionen zur früheren Nutzung und der Bedingungen, unter denen diese herangezogen werden kann: Die Benennung „frühere Nutzung“ wird in der zurzeit gültigen DIN EN 61511 (VDE 0810):2004 für die Benennung „prior use“ nach IEC 61511 verwendet. DKE/GK 914 berät jedoch darüber, für die Neuausgabe der DIN EN 61511 (VDE 0810) diese Benennung „frühere Nutzung“ durch die in der deutschen Fachöffentlichkeit übliche Benennung „betriebsbewährt“ zu ersetzen. Eine vom Hersteller festgestellte Betriebsbewährung (proven in use) wird in der künftigen IEC 61511 voraussichtlich nicht mehr beschrieben werden. 23 Hydraulik und Pneumatik ist aber leicht möglich. So lässt sich dieser Begriff auch auf die Dimensionierung von trennenden Schutzeinrichtungen anwenden. Schließlich sind die Festlegungen beispielsweise für die Primärschutzhaube in der Schleifmaschinennorm EN 13218 seit mehr als zehn Jahren sogar so „betriebsbewährt“, dass in der ISO-Normungsgruppe über eine Reduzierung der Anforderungen nachgedacht wird. Der VDW hat dazu das AiF-Projekt AiF 17006 N – „Umhausungen ortsfester Schleifmaschinen“ – an das Institut für Werkzeugmaschinen und Fabrikbetrieb der Technischen Universität Berlin vergeben, das gerade abgeschlossen wurde. Ergänzende Versuche wurden von der Berufsgenossenschaft Holz und Metall in Hannover zusammen mit dem Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung im ersten Halbjahr 2015 durchgeführt. Nachfolgend soll eine VDW-Studie „Probabilistische Betrachtung der trennenden Schutzeinrichtungen von Schleifmaschinen“ die bestehenden Untersuchungen an ein probabilistisches Risikomodell anschließen und so die Argumentation zur Betriebsbewährtheit auch für trennende Schutzeinrichtungen statistisch absichern. Derzeit wird eine weitere VDW-Studie „Betriebsbewährtheit der StandardSPS“ am Institut für Maschinenelemente der Universität Stuttgart erfolgreich abgeschlossen. Hier steht die Elektrik im Vordergrund. Zur Festigung der Argumentation „Betriebsbewährtheit“ hat der VDW zusammen mit Partnern zwei Positionspapiere auf dem Esrel-Symposium 2014 im polnischen Breslau vorgestellt. Auch auf der diesjährigen Esrel-Veranstaltung 2015 in Zürich wird es einen VDW-Vortrag dazu geben. Für die Folgeveranstaltung 2016 im schottischen Glasgow werden ebenfalls interessante VDW-Beiträge zur Betriebsbewährtheit aus obigen Forschungsvorhaben erwartet. Weitere Informationen zum Esrel-Symposium im Internet unter https://de.industryarena.com/vdw/blog/betriebsbewaehrtheit-auf-dem-esrel-symposium--3004.html. Ansprechpartner beim VDW Heinrich Mödden Tel. 069 756081-13 [email protected] Bedeutung der Betriebsbewährtheit für Werkzeugmaschinen Auch Festlegungen in den Typ-C-Normen für Werkzeugmaschinen können „betriebsbewährt“ sein. Die obige Sammlung zur „Betriebsbewährtheit“ bezieht sich zwar durchweg auf die Elektrik, eine Übertragung auf die Mechanik, VDW BRANCHENREPORT / SEPTEMBER 2015
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