Presseinformation 30.07.2015/Pa, W 17 Es war einmal und ist immer noch: Schaustellertradition auf dem Oktoberfest Von den 175 Schaustellerbetrieben, die auf der Wiesn vertreten sind, haben etwa 90 Prozent ihre Wurzeln im 19. Jahrhundert. Heute werden viele dieser nostalgischen Fahrgeschäfte nur noch auf dem Oktoberfest aufgebaut und nicht nur von Schaustellern, sondern auch von Privatleuten betrieben. Sie verkörpern lebendige Schaustellertradition. Autoskooter „Dodgem“ hieß der erste Autoskooter, der seit 1921 in den USA und Großbritannien Volksfestbesucher begeisterte. Der deutsche Großschausteller Heinrich Haase brachte diese innovative Volksfestattraktion 1926 nach Deutschland. Noch in den 1920er Jahren übernahm der Münchner Schausteller Willi Lindner den Autoskooter von Heinrich Haase, der die schnittigen Flitzer aus Amerika auf die Wiesn importierte. Seither und bis heute ist der Name Lindner mit dem Betreiben von Autoskootern auf dem Oktoberfest verbunden. Waren die ersten Skooter noch amerikanische oder englische Importe, nahmen 1926/27 deutsche Hersteller die Neuheit ins Programm auf. Die Bezeichnung „Autoskooter“ taucht um 1939 auf und wird nach dem Zweiten Weltkrieg zum festen Begriff. Herausgeber: Landeshauptstadt München, Referat für Arbeit und Wirtschaft Herzog-Wilhelm-Straße 15, 80331 München www.muenchen.de/arbeitundwirtschaft Kontakt: Wolfgang Nickl (Pressesprecher) Tel.: (089) 233-2 25 97, Fax: (089) 233-2 76 51 Email: [email protected] 1958 führte Heinz Distel den Chip für Skooter in Deutschland ein und setzte mit dem Automatic-Scooter ein Zeichen für den weiteren Bestand dieses Fahrgeschäfte. Heute finden sich auf der Wiesn hochmoderne Autoskooter ebenso wie nostalgische aus dem letzten Jahrhundert. Kurt Geier jun. bringt einen restaurierten Holzpfosten-Autoskooter von 1956 auf die Oide Wiesn. Original Mosaik-verspiegelte Holzpfosten, eine Schindelholz-Kassa und 18 Oldtimer-Chaissen (Ihle Mercedes 1968-72, Ihle Einsitzer Go-Kart 1968 und Reverchon Europa 1963) sorgen für das richtige Rock 'n' Roll-Feeling mit Pettycoat und Elvis-Tolle. Standorte: Wirtsbudenstraße 80, Schaustellerstraße 1, 17, 35 und 49 sowie auf der Oidn Wiesn Dicke Berta Kraftmesser waren schon recht früh beliebte Volksfestbelustigungen. Erste Belege gibt es aus Frankreich um 1820/40. Vom einfachen Hauen mit der Faust auf ein Polster, wo die Wucht des Schlages auf einer Skala mit Zeiger abgelesen werden kann, bis zum kunstvoll dekorierten Schlaghammer, wie der „Hau den Lukas“ offiziell genannt wird, gab und gibt es viele Möglichkeiten, seine Heb-, Zug-, Stemm-, Watsch-, Handdruck- oder Lungenkraft unter Beweis zu stellen. Die „Dicke Berta“ mit ihrer 30 Kilogramm schweren Kanone wurde nach einem bekannten Geschütz aus dem Ersten Weltkrieg benannt, das auf Grund seiner Größe und Durchschlagskraft sehr bekannt war. Sie funktioniert nach dem Prinzip der „Burenkanone“ (um 1900), die bis in die 1960er Jahre auf Volksfesten aufgestellt wurde: Auf einem Gleis gleitet durch Stoßkraft eine schwere Kanone nach oben bis zum Anschlag. Schlägt sie oben an, wird durch eine Zündkapsel ein Knall erzeugt. Standort: Oide Wiesn Seite 2 Calypso 1958 brachten die Münchner Schausteller Anton Bausch und Eugen Distel, beide bekannt für Innovationen, den von der Firma Mack in Waldkirch erbauten Karusselltyp erstmals auf die Wiesn. Ein Modetanz aus Südamerika inspirierte nicht nur bei der Namensgebung, sondern auch die raffinierte Konstruktion. Mit dem typischen 50er-Jahre-Design und seiner rasanten Fahrt und unberechenbaren Richtungswechseln wurde dieses Fahrgeschäft schnell zum Publikumsmagneten. Das Calypso auf der Oidn Wiesn stammt aus dem Jahr 1962 und wurde von Hubert Winheim für die Jubiläumswiesn 2010 zur Freude vieler Fans wieder flott gemacht. Standort: Oide Wiesn Fahrt ins Paradies Bei Berg- und Talbahnen fahren in der ursprünglichen Form meist acht Wagen für jeweils acht bis zehn Personen im Kreis hintereinander über zwei Berge und Täler. Diese Rundfahrgeschäfte wurden als „switchbacks“ wahrscheinlich in England in den 1880-Jahren erfunden. Hugo Haase war um 1890 einer der ersten deutschen Hersteller von Berg- und Talbahnen, im gleichen Jahr kamen auch die Firmen Bothmann und Stuhr mit dieser Neuheit auf den Markt. Die vierhügelige Berg- und Talbahn „Fahrt ins Paradies“ ließ der Schausteller Jacob Pfeiffer 1939 in der renommierten Karussellfabrik Friedrich Heyn im thüringischen Neustadt an der Orla bauen. In den 1950er Jahren war das Karussell eingelagert und überdauerte im ursprünglichen Originalzustand, bis es 2003 von Toni und Jakob Schleifer übernommen und aufwändig restauriert wurde. Dank der hervorragenden Originalsubstanz mit den ursprünglichen Malereien und grazilen Figuren entstand eine nostalgische Kostbarkeit mit hohem Seite 3 Vergnügungsfaktor. Der Freundeskreis Kirmes und Freizeitparks e.V. verlieh 2011 Toni Schleifer den FKF-Award für besondere Verdienste und Leistungen der Schausteller- und Freizeitparkbranche. Standort: Oide Wiesn Flohzirkus 1948 schlug der Flohzirkus von Familie Mathes, einer alten Nürnberger Schausteller-Dynastie, die etwa 150 Jahren einen Flohzirkus betrieb, zum ersten Mal auf dem Oktoberfest seine Zelte auf. 2010 übernahm der langjährige Mitarbeiter der Familie Mathes, Robert Birk, den Flohzirkus und führt die Tradition bis heute fort. Standort: Straße 1/ Nr. 7 Geisterbahnen Die erste Geisterbahn Deutschlands stand 1931 auf dem Hamburger Dom. Der Erfolg dieser Neuheit muss grandios gewesen sein, denn bereits ein Jahr später gab es - wie heute - auf dem Oktoberfest vier Geisterbahnen zur Gruselgaudi der Wiesn-Gäste. Standorte: Straße 2 Ost/Nr.6 (Daemonium), Straße C/Nr. 6 (Fahrt zur Hölle), Matthias-Pschorr-Straße 57 (Geisterschloss), Schaustellerstraße 18 (Nostalgische Geisterbahn) und Straße E/ Nr.4 (Shocker) Hexenschaukel Die „Illusionsschaukel“, auch „drehbares Haus“ genannt, ist eine der ältesten Jahrmarktsillusionen und wurde 1894 aus Amerika kommend in Deutschland eingeführt. Bei dieser verblüffenden Täuschung wird der Gleichgewichtssinn gestört, indem der Raum von außen um die Seite 4 Schaukelachse gedreht wird. Einige wenige Exemplare der Hexenschaukel haben sich bis heute auf Jahrmärkten gehalten. Standorte: Schaustellerstraße 23 und Oide Wiesn Irrgarten Die Tradition der transportablen Irrgärten reicht in das Jahr 1890 zurück. Diese Belustigungsgeschäfte sind insbesondere berühmt für ihre klangvollen Namen wie zum Beispiel „Fluch des Pharao“ oder „Atlantis“. Auf dem Oktoberfest steht der größte reisende Doppelstock-Glas-Irrgarten von Edgar und René Rasch. Standort: Schaustellerstraße 30 Jahrmarktsfotografie Seit circa 1880 haben sich Berufsfotografen auf das Volksfestgeschäft spezialisiert. 1886 standen auf dem Oktoberfest zwölf Fotografenbuden. Heute können sich die Besucher der Wiesn wahlweise von einem Nostalgie- oder einem Gaudifotografen ablichten lassen. Daneben besteht in zahlreichen Schießbuden die Möglichkeit, ein Foto zu „schießen“. Nicht vergessen werden dürfen die Schnappschuss-Schießer in den Zelten, die Fotos der Bierzeltgäste als Schlüsselanhänger zum Verkauf anbieten. Standorte: Schaustellerstraße 20 (Nostalgiefotograf), Straße 1/ Nr. 22 (Scherzfotograf) Kettenflieger Zu den ältesten Fahrgeschäften auf der Wiesn zählt der Kettenflieger Kalb, der 1919 von der Berliner Firma Gundelwein und Fischer hergestellt wurde. Das Fluggeschäft trägt eine Originalbemalung der Dekorationsteile durch den Schaustellermaler Konrad Ochs und wird heute in dritter und Seite 5 vierter Generation von Hans Martin Kalb und seinem Sohn Florian betrieben. Die ersten kleinen Kettenflieger dürften um die Jahrhundertwende entstanden sein und standen thematisch in Zusammenhang mit der Entwicklung der Luftfahrt (Zeppelin, Gebrüder Wright). Standorte: Schaustellerstraße 7 (Wellenflug) und Oide Wiesn (Kettenflieger) Krinoline Diese Karussellart ist mit Vorläufern aus der Zeit Ende des 19. Jahrhunderts bekannt, der Name „Krinoline“ taucht erstmals um 1900 auf. Die Konstruktion mit schwankender Plattform wurde anfangs per Hand in Schwung gebracht. Erst 1909 brachte ein Sachs-Elektromotor Fahrgeschäfte dieser Art in Fahrt. Karussells wie die Krinoline gehören neben den Schaukeln zu den ersten Fahrgeschäften auf dem Oktoberfest. Noch mit Muskelkraft wurde die Münchner Krinoline betrieben, als dieser Karusselltyp 1925 erstmalig auf dem Oktoberfest das Publikum begeisterte. Dieses Karussell kam von der Spree an die Isar und war in den ersten Jahren die Attraktion unter den Fahrgeschäften. Als um 1937 Zugspitzbahnen als Neuheit zur gefährlichen Konkurrenz wurden, hatte der Krinoline-Besitzer Michael Großmann eine Idee mit Zukunft. Er modernisierte das Fahrgeschäft mittels elektrischem Antrieb mit Planetengetriebe und Zugfedern-Schwing-Mechanismus. Als zusätzlichen Clou engagierte er eine Blaskapelle, die die Karussellfahrt mit Stimmungsmusik begleitete. Diese Tradition wurde bis heute zur Freude aller Krinoline-Fans vom Enkel Theo Niederländer weitergeführt, der 2009 das Karussell mit Kult-Charakter seinem Sohn Matthias übergab. Standort: Schaustellerstraße 42 Seite 6 Münchner Marionettentheater Die lange Tradition des Münchner Marionettentheaters reicht bis in das Jahr 1858 zurück, als sich der Bürger und Vereinsaktuar Josef Leonhard Schmid – später berühmt als "Papa Schmid" – an die Stadt München wendet mit der Bitte um Begutachtung seines Planes zur "Errichtung eines ständigen Marionettentheaters für Kinder". Sein Ansinnen war es, den Münchner Kindern "lediglich auf Schickliches, Religion und Sittliches" beschränkte Stücke vorzuführen, anders als es bis dahin auf Dulten und bei Pulcinellenbuden mit rohen "Hanswurstiaden" üblich war. Noch vor der städtischen Beschlussfassung wendet sich Papa Schmid an den Münchner Jugendschriftsteller, Hofbeamten und Künstler Franz Graf von Pocci und bittet ihn um Unterstützung bei seinem Projekt. Pocci bietet umgehend seine Hilfe an und wird so zum Protektor und Förderer von Anbeginn – er ist auch der "Erfinder" des berühmten Kasperl Larifari, der von nun an der "Hausherr" des Münchner Marionettentheaters ist. Unter seiner Feder entstehen über 45 Kasperl-Stücke für das Haus. Intendant des Münchner Marionettentheaters mit Stammsitz in der Blumenstraße ist der Puppenspieler, -bauer und -sprecher Siegfried Böhmke. Standort: Oide Wiesn Revue der Illusionen Gaby Reutlingers Schaubühne zeigt im Programm einige der klassischen alten Illusionsnummern, die es in reisenden Varietés schon vor hundert Jahren gegeben hat: „Die Frau ohne Unterleib“, Die Frau ohne Kopf“, „Die schwebende Jungfrau“ und „Der sprechende Kopf“ verblüffen heute wie damals die Zuschauer. Dieses Illusionstheater ist wohl das letzte seiner Art in Europa. Immer auf der Suche nach weiteren historischen Illusionen ist Seite 7 es ein besonderes Anliegen der Unternehmerin, die Tradition dieser Jahrmarktsunterhaltung hochzuhalten. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts tauchten auf Volksfesten die Varietétheater auf. Sie unterhielten das Publikum mit einem bunten Nummernprogramm. Es traten auf: Tänzer, Sänger, Puppenspieler, Akrobaten, Magier mit Kunststücken durch optische, chemische oder mechanische Effekte. Seit dem 20. Jahrhundert nimmt die Beliebtheit der Schaustellungen mit dem Aufschwung der Fahrgeschäftindustrie und dem Aufkommen von Film, Rundfunk und Fernsehen immer mehr ab. Standort: Straße C/ Nr. 4 Riesenräder Vorgänger des Riesenrads ist die „Russische Schaukel“ mit vertikalen Kreisbewegungen, die im 18. Jahrhundert vor allem in Russland und im Vorderen Orient (frühester Beleg 1620, Türkei) weit verbreitet war. Transportable „Russische Schaukeln“, auch „Russenräder“ genannt oder „pleasure wheels“ (amerikanisch), werden ab 1880/90 erstmals erbaut. Sie weisen eine Maximalhöhe von zwölf Metern auf und waren mit sechs bis zwölf Gondeln bestückt. Das erste Riesenrad, wie wir es kennen, wurde anlässlich der Weltausstellung 1893 in Chicago errichtet; das „ferris wheel“ war eine stationäre Stahlkonstruktion von 76 Metern Höhe. Von den feststehenden Nachbauten in London (1894), Wien (1897) und Paris (1898) blieb nur das Riesenrad im Wiener Prater übrig. Erst ab 1960 wurden die heutigen transportablen Riesenräder aus Stahl entwickelt. In Deutschland betreibt eine kleine Gruppe von Schaustellerfamilien die Riesenräder. Die Konkurrenz trieb diese Riesenräder in die Höhe. Das Münchner Oktoberfest-Riesenrad der Familie Willenborg, 1979 von der Seite 8 Firma Schwarzkopf erbaut, ermöglicht mit 50 Metern Höhe einen beeindruckenden Blick über die Theresienwiese und die ganze Stadt. Standort: Straße 5/ Nr. 2 Russenrad Das kleine Riesenrad oder auch „Russenrad“ der Familie Koppenhöfer mit der kunstvollen alten Noten-Konzertorgel der Gebrüder Bruder aus Waldkirch im Breisgau ist Stammgast auf der Wiesn. 1925 beauftragte Josef Esterl die Karussellfabrik Gundelwein in Wutha/ Thüringen mit dem Bau einer „Russischen Schaukel“ (siehe auch „Riesenrad“). Im Juni 1925 nahm Esterl sein neues Fahrgeschäft in Betrieb. Ursprünglich hatte es eine geschnitzte Fassade mit Malereien, die in den 1950er Jahren gegen die heutige ausgewechselt wurde. Bis um 1960 galt es mit zwölf Gondeln und einer Höhe von 14 Metern als das größte transportable Riesenrad Süddeutschlands. In dritter Generation führen Herbert Koppenhöfer und seine Schwester Edith Simon, die Enkel von Josef Esterl, das Familiengeschäft fort. Standort: Schaustellerstraße 36 Altbairisches Scherbenschießen Die ersten Schießgeschäfte hielten als Schießstände um 1840 auf Volksfesten Einzug. Ab 1870 wurden die ersten Schießbuden aufgebaut. Heute stehen moderne Schießwagen auf den Volksfestplätzen. Um 1880 kam das Schießen auf Objekte aus Ton auf. Tabakspfeifen, Tierfiguren, kleine Scheiben in Rund- oder Sternchenform (Flattern) oder Tontöpfchen (Scherben) waren die Artikel, die die Schießbudenbesitzer damals fast ausschließlich von Tonwaren- oder Tonpfeifenfabriken aus dem Seite 9 Westerwälder Kannenbäckerland bezogen. Die vertraute Form des Schießens auf bunte Kunstblumen oder andere Objekte wurde erst ab 1930 eingeführt. Was damals auf Tonröhrchen zum Abschuss frei gegeben wurde, steckt heute meistens auf Plastiksteckern. Das Schießen auf Ton ist eine Besonderheit, die ein Schütze auf der Wiesn auch heute noch kennen lernen kann. Mary Schröder (1899 - 1975) baute in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg eine Schießbude. Mit ihrem „Altbairischen Scherbenschießen“ stand sie im Jahr 1949 auf der ersten Münchner Wiesn nach dem Krieg. 1965 wurde die alte Bude TÜV-gerecht modernisiert, ohne den Grundbau anzutasten. Das Erscheinungsbild blieb bis heute bestehen, wie alte Fotografien der Schießbude belegen. Die Familientradition führt die Enkelin Ursula-Josy Steinker fort, die das Scherbenschießen 1994 von ihrer Mutter Lilo Steinker-Schröder übernahm und nur noch auf der Wiesn aufbaut. Hier kann geschossen werden wie in früheren Zeiten – auf original Tonröhrchen und -töpfchen, den sogenannten „Scherben“. Standort: Schaustellerstraße 39 Schichtl 1871 rekommandierte Papa (Johann) Schichtl, Besitzer des „OriginalZauber-Spezialitäten-Theaters“, seine „Extra-Galavorstellung mit noch nie dagewesenen Sensationen“ mit den Worten „Auf geht’s beim Schichtl“. Im legendären Wiesn-Varieté, das Zauberei, Puppenspiel, Kuriositäten und vieles mehr dem staunenden Publikum bot, wird auch heute noch die „Enthauptung einer lebendigen Person mittels Guillotine“ zelebriert. Ein weiterer Höhepunkt des bunten Programms war der traditionelle Schmetterlingstanz der Elvira. Seite 10 Manfred Schauer, selbst ein Münchner Original und stolz darauf, als „Herr Schichtl“ angesprochen zu werden, leitet derzeit das Varieté. 1985 begann seine Oktoberfest-Karriere als Schichtl - noch unter der Prinzipalin Franziska Eichersdörfer - mit der Devise „Zeigen, was ma kann und verbergen, was ma nicht kann“. 1986 übernahm er zunächst mit einem Kompagnon die Schaubude, seit 1999 führt er sie in Eigenregie. Wie Manfred Schauer in seiner Parade zur Musik der Bluesbrothers die Schichtl-Truppe vor jeder Vorstellung fetzig präsentiert, wie er mit frechen Sprüchen das Publikum fesselt und mit subtilem bis derben Humor das Tagesgeschehen kommentiert, das ist sehenswert. Standort: Schaustellerstraße 48 Schiffschaukel Um 1890 kam die heute gebräuchliche Form der Schiffschaukel für zwei Personen auf. Bereits im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert sind Vorläufer dieses Fahrgeschäfts bezeugt, beispielsweise im Wiener Prater. Die Schiffschaukeln sind heute die einzigen Fahrgeschäfte, bei denen der Fahrgast die Bewegung selbst erzeugt. Der Reiz der eigenen Aktivität ist Grund der fortdauernden Beliebtheit dieser nostalgisch anmutenden Attraktion. Als Fortentwicklungen gelten die Überschlag- und Gesellschaftsschaukeln der 30er Jahre des 20.Jahrhunderts bis hin zum „Fliegenden Holländer“ um 1980. Standorte: Straße 4/ Nr. 4 (Käfigschaukel), Matthias-Pschorr-Straße 14 (Überschlagschaukel) und Oide Wiesn (Schiffschaukel) Seite 11 Springpferdekarussell Die Konstruktion des Bodenkarussells soll – laut Florian Dering vom Münchner Stadtmuseum - in den 1870er Jahren entstanden sein und gilt als die wohl typischste Karussellform. Bis in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg war es die gängige Ausführung eines einfachen Karussells. Eine Sonderform des Bodenkarussells mit feststehendem Umbau ist das Springpferdekarussell. Bei diesem Rundfahrgeschäft wird das Galoppieren der Pferde mittels Sprungfedermechanik nachgeahmt. Oft sind auch vom Fahrgast in eigener Kraft betriebene Kurvenschiffschaukeln auf dem Karussell. Springpferdekarussells tauchen bereits in den 1880er und 1890er Jahren in den Katalogen der Fahrgeschäftehersteller auf. Nostalgisches Karussellvergnügen können Gäste der Oidn Wiesn auf dem Springpferdekarussell „Evergreen“ aus dem Jahr 1910 auskosten. Die Schaustellerfamilie Ernst fand in Vechta eine alte Karussell-Ruine und restaurierte sie in vielen Arbeitsstunden. Das größtenteils aus originalen Teilen um 1900 erbaute historische Fahrgeschäft wurde im Laufe seiner Existenz in Details bereits umgebaut oder ergänzt, so nachweislich in den 1950er Jahren. Alle Pferde stammen aus der berühmten CaroussellPferde- und Kunstfiguren-Fabrik Friedrich Heyn, die von 1870 bis 1959 in Neustadt an der Orla bestand. Sie sind es wert, genau betrachtet zu werden: Jedes der originalen Pferde ist ein Unikat und Zeugnis einer kulturellen Epoche. Die Holzpferde sind mit reichlich Schnitzereien, Messingapplikationen, geschliffenen Spiegeln, Schweifen aus Roßhaar und ausgefallenen Sätteln verziert. Obwohl damals in Serie produziert, haben die Rösser nur Statur, Kopf und Mähnenform gemeinsam. Gesichtsausdruck und Verzierungen waren immer individueller Ausdruck des jeweiligen Holzbildhauers. Farbgebung und Ausdruck waren dem Seite 12 jeweiligen zeitgenössischen Kunstgeschmack angepasst. Neben den Pferden ist das Karussell mit einem Elefanten und zwei Prunkschlitten bestückt. Die Holzbodenkonstruktion hängt noch an den ursprünglichen gedrehten Messingstangen. Eine Seltenheit sind die gut erhaltenen Ölmalereien auf Leinwand für den Plafond und die Trichterbilder. Eine Orgelfassade der Firma Wrede aus Hannover rundet das erlebbare „Museumsstück“ ab. Standort: Oide Wiesn Steilwand 1930 traten Steilwand-Artisten zum ersten Mal in Deutschland und auch auf dem Oktoberfest auf. Ein Jahr später sahen die Wiesn-Besucher die für die damalige Zeit höchst spektakuläre Darbietung der „Amerikanischen Steilwand Todesfahrt im 60 bis 100 km Tempo an der senkrechten Wand“ - mit dem Auto! Dabei war eine junge Steilwandfahrerin, die WiesnGeschichte schreiben sollte: Käthe Mathieu (1910-1990), die als „Steilwand-Kitty“ bei Pitt Löffelhardt als tollkühnste Fahrerin in diesem gefährlichen Metier Erfolge feierte. „Pitt's Todeswand“ erinnert noch heute an die Wirkungsstätte dieser legendären Persönlichkeit. Auf der Wiesn waren viele berühmte Motorellos, wie sich Steilwandartisten auch nennen, zu Gast. In den letzten Jahrzehnten zeigten „Kamikaze-Pitt“ Legner mit seinem „Inferno der Motoren“ und Hugo Dabbert mit dem „Motodrom“ ihre waghalsigen Shows im Kessel. Das „Original Motodrom“, das Dabbert an Donald Ganslmeier weitergab, ist die letzte reisende Steilwand in Deutschland und kann auf der Oidn Wiesn besucht werden. Standorte: Schaustellerstraße 31 (Pitt's Todeswand) und Oide Wiesn (Original Motodrom) Seite 13 Teufelsrad Dieses Belustigungsgeschäft, auch „Taifun“ oder „Freudenrad“ genannt, kam um 1910 auf. Es ist ein Geschicklichkeitstest für die Mitfahrer und eine große Belustigung für die Zuschauer. Der Erfolg eines Teufelsrads steht und fällt mit dem Rekommandeur, der das Publikum animiert und die „Mitwirkenden“ kommentiert. Schon Karl Valentin und Liesl Karlstadt haben sich auf der Wiesn in Feldl’s Teufelsrad amüsiert, das nur noch auf dem Oktoberfest aufgebaut wird. Standort: Schaustellerstraße 3 Toboggan Rutschbahnen gab es seit dem frühen 19. Jahrhundert. 1906 baute der Badener Anton Bausch nach Pariser Vorbild den wahrscheinlich ersten deutschen Toboggan, eine ursprünglich amerikanische Turmrutschbahn. „Toboggan“ stammt aus der Sprache der kanadischen Algonkin-Indianer, und bezeichnet einen leichten Schneeschlitten. Auf dem Oktoberfest 1908 standen drei dieser personalaufwendigen Toboggans zum Vergnügen der Zuschauer wie der Rutschenden bereit: Die Turmauffahrt der Kunden mittels Förderband entbehrte nicht der Komik, die sanfte Rutschfahrt machte Spaß. Dem ist noch heute so auf der Wiesn und einmalig in Deutschland. Für die Reise ist dieses Traditionsgeschäft von Astrid und Claus Konrad nicht mehr rentabel. Standort: Matthias-Pschorr-Straße 57 Velodrom „Ob Sie zusehen oder mitfahren – Sie lachen sich gesund,“ pries ein Werbeschild den Besuch im „Humoristischen Velodrom“ bereits auf der Seite 14 Wiesn von 1910 an. Auf einer Holzfahrbahn findet ein Radrennen der besonderen Art statt: Auf Scherzrädern, die Fahrkunst und Geschick des Radlers auf die Probe stellen, gilt es, sich zur Musik einer Konzertnotenorgel und zum Gaudium der Zuschauer fortzubewegen. Von 1901 bis 1962 stand dieses Belustigungsgeschäft regelmäßig auf dem Oktoberfest. Eduard Pirzer, der seit 1888 in München eine der ersten Fahrradfabriken betrieb, übergab das Velodrom 1908 an Hermann Kretschmar, dessen Söhne es bis in die 1930er Jahre fortführten. 1988 wurde das komplette Geschäft mit Fassade, Zeltbau, Wohn- und Packwägen sowie den Fahrrädern durch die Münchner Schausteller-Stiftung für das Münchner Stadtmuseum erworben. Auf der Oidn Wiesn hat die Münchner Schaustellerstiftung ein Velodrom nach alten Mustern neu erstellt. Standort: Oide Wiesn Wurfbuden 1818 stellte der Münchner Wirt Anton Gruber zur Belustigung seiner Wiesn-Gäste eine “Taubenscheibe“ auf. Es handelte sich dabei um einen stationären Wurfstand, auch „Taubenwerfen“ genannt, wie er bereits Anfang des 19. Jahrhunderts auf dem Wiener Prater belegt ist. Auf den Volksfesten gab es das Taubenwerfen bis in die 1950er Jahre. Um 1880 tauchten in den Beschickerlisten Platten-, Messer-, Ring- und Ballwerfen auf. Bereits 1910 ist die Ballwurfbude „Runter mit dem Zylinder“ belegt, die seit 1957 von der Familie Gaukler-Michel betrieben wird. Mit großer Sorgfalt wird die historische Wurfbude nur noch zum Oktoberfest aufgebaut, sie ist nicht mehr reisefähig. Eine Garnitur der lustigen Holzköpfe mit den schwarzen Zylinderhüten, die es mit dem Lederball herunterzuwerfen gilt, befindet sich bereits in der Schaustellersammlung Seite 15 des Münchner Stadtmuseums. Alte Stammkunden erzählen, dass sie als Kinder die Hüte auf die Köpfe setzten durften und sich damit ein kleines Taschengeld verdienten. Auch heute noch lieben vor allem kleine WiesnGäste diese Wurfbude. Mit dieser Einzigartigkeit trägt das Geschäft und nicht zuletzt die Eigentümerin Annemarie Neumeier mit ihrer Familie zur besonderen Mischung des Oktoberfestes bei. Auch Thomas Hofele und Peter Ludwig lassen in ihrer Wurfbude auf originelle Figuren von 1920 Bälle werfen. Standorte: Oide Wiesn Ansprechpartner für die Presse Wiesn-Pressestelle Dr. Gabriele Papke Tel.: 089 233-82812 /813 Fax: 089 233-82800 E-Mail: [email protected] Internet: www.oktoberfest.eu und www.oktoberfest.eu/presse Oktoberfest – das Fest der Landeshauptstadt München Seite 16
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