PORTRÄT Barbara Sigrist – kreative Goldschmiedin Echter Schmuck, handgefertigt aus edlem Metall und einzigartigen Steinen unterstreicht die Persönlichkeit einer Person. Er erinnert an einen unvergesslichen Moment, einen geliebten Menschen oder einen besonderen Tag. Er löst Empfindungen aus und es ist ein ganz besonderes Gefühl, ein Schmuckstück zu tragen, das nur einmal auf der Welt existiert. Text: Karin Herrmann Fotos: Daniela Clerici Eine erste Besprechung, eine Skizze, die Wahl der Materialien, so beginnt eine Zusammenarbeit zwischen Barbara Sigrist und ihrer Kundschaft. Schritt für Schritt wird die zukünftige Schmuckträgerin, immer häufiger übrigens auch Schmuckträger, in die Entstehung des Kunstwerks mit einbezogen. Sie kombiniert Weiss- oder Gelbgold mit Carbon oder Ebenholz und bevorzugt klare, oft asymmetrische Formen. Die ausgewählten Edelsteine kommen so wunderbar zur Geltung und bestechen durch ihre zauberhafte Schönheit. Der Kunstschmied Leonardo Benazzi aus Grüningen fertigt nach ihren Vorlagen Grundformen aus Damaszenerstahl. Daraus kreiert sie modernen, starken und einzigartigen Schmuck, der auch junges Publikum zu begeistern weiss. Aus dem Naturmaterial Hirschhorn fertigt sie rustikal anmutende Ringe, aus einigen Pferdeschweifhaaren ein Collier oder Armband und aus Mähnenhaar entsteht ein Schlüsselanhänger. Die Haare werden entweder geflochten oder lose mit Edelstahl-, Silber oder Leder kombiniert und ermöglichen so dem Träger auch ausserhalb des Stalls einen nahen Kontakt oder eine bleibende Erinnerung an den vierbeinigen Freund. Schönes, nicht nur aus Gold Am Goldschmiedetisch verbringt Barbara Sigrist die meiste Zeit. Hier wird gesägt, gehämmert, gefeilt, gebogen, gelötet und poliert. In einem Leder, Barbara Sigrist an ihrem Goldschmiedetisch, eine Auswahl von Eigenkreationen sowie eine Lehrlingsabschlussarbeit (unten rechts). das über die Beine gezogen wird, werden kleine Schnipsel und Feilstaub aufgefangen. Ist eine grössere Menge dieser «Abfälle» zusammengekommen, wird das Material zum recyceln (Rückgewinnung des Feingoldes) in eine Schmelzanstalt geschickt. Gossauer Info 123/Dezember 2015 Kreatives Handwerk Nachfolgend eine kleine Auswahl der unzähligen Arbeitsschritte: Zuerst wird auf dem flach gewalzten Edelmetall vorgezeichnet. Da auf Metall nicht mit einfachen Stiften gezeichnet werden kann, werden 73 PORTRÄT BARBARA SIGRIST mit Nadeln feine Linien ins Material geritzt. Mit einem Sägebogen wird den angerissenen Linien entlang gesägt. Sind die Gegenstände zu filigran, um sie mit den Fingern sicher zu halten, werden sie in Halter und Zangen eingeklemmt. Für Laien immer wieder erstaunlich ist die Tatsache, wie schwer die verschiedenen Hämmer des Goldschmieds sind. Mit diesen wird von Anfang an geschmiedet bis zu den abschliessend fein einziselierten Mustern. Das Schmuckstück wird mit ganz kleinen Nadelfeilen bis hin zu schweren Metallfeilen, die in Hieb und Form variieren können, bearbeitet. Für sicheren Halt, Auflage und Stütze sorgt der Feilnagel aus Holz. Beim Biegen mit verschiedensten Zangen darf das edle Material auf keinen Fall verletzt werden. Gelötet wird meistens mit Hartlot, dessen Fliesspunkt leicht unter dem des Werkstückes liegt. Die letzte Lötstelle kann zur Pièce de resistance werden. Wenn jetzt ein Missgeschick passiert und diese bricht, kann auch die vorwiegend ruhige und geduldige Barbara Sigrist mal laut mit sich selber werden. Ungeliebte Geschlechterrollen Barbara Sigrist wuchs mit ihren Geschwistern Ursula und Christoph in Tann auf und besuchte dort acht Jah- Man muss auch mit einem schweren Hammer umgehen können. 74 re die Schule. Ihre Eltern Elisabeth und Ernst führten eine chemische Reinigung und erzogen ihre Kinder zu selbstständigen Menschen, die schon früh die damals noch üblichen Rollenverteilungen hinterfragten. Während Buben werkten, erhielten die Mädchen Handarbeitsunterricht und hatten die Wahl, ob sie rosa oder blaue Babysachen stricken wollten. In der Hauswirtschaft wurde ihnen erklärt, von welcher Seite aus die Küche zu wischen sei und wie man eine Päcklisuppe kocht. Die männlichen Klassenkameraden, die freiwillig den Kochunterricht besuchten, durften sich an Riz Casimir wagen. Und in der Geometrie gab es einen Mädchenund einen Bubenzirkel. Das letzte Schuljahr verbrachte die rebellische Barbara schliesslich in Zürich in der Freien Evangelischen Schule. Gegen Ende der Schulzeit wusste Barbara genau, welche Berufe sie niemals lernen wollte; wohin ihr Weg sie aber führen sollte, war ihr völlig unklar. Bei der Berufsberatung kristallisierten sich zwei Berufe heraus. Da ihr selbstständiges Arbeiten immer wichtig war, entschied sie sich für Goldschmiedin. Ihre Mutter, gelernte Fotografin, ging mit Barbara auf Lehrstellensuche. Sie fragten in einigen Juwelierläden in Zürich an, Gossauer Info 123/Dezember 2015 PORTRÄT BARBARA SIGRIST zweimal hiess es, dass Goldschmied kein Mädchenberuf sei. Man bekomme schmutzige Finger und Mädchen heiraten sowieso. Lehrjahre Nach einer Schnupperlehre im Goldschmiedeatelier Kläsi in Rüti fand sie auf dessen Empfehlung bei Martin Heidelberger in Uster eine Lehrstelle. Gleichzeitig absolvierte sie die gestalterische Berufsmittelschule in Zürich und schloss 1978 mit guten Noten ihre berufliche Erstausbildung ab. Nach einem dreimonatigen Sprachaufenthalt in Paris besuchte sie für ein Jahr die Ecole des Arts décoratifs, Abteilung Goldschmiede, in Genf. Sie lebte mit einer um wenige Jahre älteren Kollegin in einer Wohngemeinschaft und lernte ein völlig anderes, multikulturelles Leben, Freiheit und das Vermeiden möglicher Gefahren kennen. Die Neugier auf die weite Welt war geweckt. Nach Abschluss der Schule in Genf bereiste sie mit ihrer Wohnpartnerin während zweier Monate Senegal. Sie wohnten zeitweise in den bescheidenen Unterkünften der einheimischen Landbevölkerung und sie ist noch heute von deren Herzlichkeit beeindruckt. In den darauf folgenden fünf Jahren ar- Pferde haben schon immer zu ihrem Leben gehört. beitete sie bei Martin Bodmer in Auf eigenen Füssen Zürich, erneut bei Martin Heidel- Barbara Sigrists Grosseltern kauften berger in Uster und Silvia Fischer im Jahr 1947 in Ottikon das Restauin Dielsdorf, immer unterbrochen rant Traube samt der dazugehörenvon Weiterbildungen, wie einem den 12 ha umfassenden LandwirtSprachaufenthalt in England und schaft. 1968 bauten Elisabeth und Reisen nach Peru oder Paraguay. Ernst Sigrist in der Büelhalde, gleich Zur selben Zeit, als sie eine Stelle in oberhalb des Stalls, ein Wochenendden USA in Aussicht hatte, machte haus. Im darunter gelegenen Gebäuihr auch ihr Vater ein Angebot. Da de führte Ernst Sigrist einen kleinen er sich aus Altersgründen kein eige- Pensionsstall, um seiner Passion, nes Pferd mehr zulegen wollte, bot dem Pferdesport, frönen zu köner Barbara das Sponsoring eines nen. Im Jahr 1974 dislozierten sie solchen an. Wegen ihrer grossen endgültig nach Ottikon. Nachdem Leidenschaft für diese Tiere woll- Barbara ihre USA-Pläne aufgegeben te und konnte sie dieses Angebot hatte, wagte sie den Schritt in die Selbstständigkeit. Dies gab ihr die nicht ablehnen. Gossauer Info 123/Dezember 2015 75 PORTRÄT BARBARA SIGRIST Vaters. Sie baute dazu, Perspektive, sich um ihr passte die Boxen den Pferd zu kümmern, und ihr heutigen Vorschriften an Drang nach Eigenständigund setzt bei der Füttekeit wurde ebenfalls gestillt. rung zu fast 100% auf EiDas Handwerkszeug, samt genversorgung. Möglich einem richtigen Zirkel, beist dies nur dank ihrem gleitet den Goldschmied Partner Ferdi. Aufgeab dem 1. Lehrjahr. Also wachsen auf einem Baubenötigte sie nur einen ernhof verfügt er über Tisch, eine Poliermaschine die notwendigen Kenntund einen Tresor. Da sie nisse und die Freude, die wegen ihrer Reiselust kaum grossen Flächen zu beüber Erspartes verfügte wirtschaften. Die Wiesen und ihre Eltern deshalb sind frei von Placken, in wenig Verständnis für ein der Tenne lagert erstklasAngehen um Geld gehabt siges Stockheu, und der hätten, erhielt sie von ihren Miststock ist schön und Geschwistern ein Darlehen. regelmässig geschichtet. Von ihrer Mutter erhielt sie «Und am liebsten wäre Asylrecht im Nähzimmer, ihm, die Pferde würden das schliesslich in einem auf der Weide schweben Asylrecht für Mutters Nähund keine Löcher vermaschine in der kleinsten ursachen», schmunzelt Ecke endete. Anstelle ei- Konzentriert beim Ziselieren (Aufnahme 1990). Barbara Sigrist. Sie legt ner alten und nicht mehr benötigten Scheune bauten Ernst hatte sie sich aber einen eigenen grossen Wert auf pferdegerechund Elisabeth Sigrist neben dem Kundenkreis aufgebaut und bildete tes Reiten und hat sich deshalb Restaurant Traube ein 6-Familien- zwei Lernende in ihrem schönen zur Centered-Riding-Instruktorin ausbilden lassen. Auf ihren beiden Haus und nach Fertigstellung im Beruf aus. Pferden erteilt sie einigen Kindern Jahr 1990 bezog Barbara dort ihr und interessierten Erwachsenen eigenes Goldschmiede-Atelier. An- Pensionsstall fänglich übernahm sie noch Arbei- Ende der Neunzigerjahre über- Unterricht in einem für Pferd und ten anderer Goldschmiede. Bald nahm sie den Pensionsstall ihres Reiter fairen Reitstil. 76 Gossauer Info 123/Dezember 2015
© Copyright 2024 ExpyDoc