. Porträt Journal 8. August 2015 3 Schlürfen, schmatzen, spucken: Als Teetester muss man sich nicht um gute Tischmanieren scheren. Daniel Mack ist einer von ihnen. Der 30-Jährige arbeitet in Meckenheim und probiert täglich bis zu 200 Sorten. 200 Tassen Tee, bitte! Möchte man Daniel Macks Arbeitsplatz kennenlernen, muss man seinem Geruchssinn folgen. Kaum steigt man aus dem Auto, umweht einen ein Hauch von Früchten und Sahne. Ja, hier ist man richtig: Am Rande des Meckenheimer Industriegebiets hat die Firma Teegschwendner ihre Zentrale. Im Foyer stapeln sich Dosen und Beutel an den Wänden. Schwarztee Calvados-Apfel nimmt neben Grüntee Kiwi-Stachelbeere Platz. Daniel Mack ist einer der drei Teetester des Meckenheimer Unternehmens. Sein Arbeitstag besteht aus: Tee probieren, Tee kreieren, Tee bewerten. Mack ist seit sieben Jahren Teetester. Ein exotischer Beruf, dessen Bezeichnung bis heute nicht geschützt ist. Fünf bis sieben Jahre braucht es, um das Geschmacksgedächtnis so zu trainieren, um auch feinste Nuancen rausschmecken zu können. Daniel Mack hat bei einem Teehändler in Bremen gelernt und ist dann nach Nordrhein-Westfalen gewechselt. Entspannt sitzt der Experte im Konferenzraum. Über seinem weißen Hemd und seiner Jeans trägt der 30Jährige eine graue Schürze. Er schenkt erst einmal ein: Tee, was denn sonst? Frisches Hellgrün leuchtet in der Tasse: Seogway, eine Sorte aus Südkorea, hat er ausgesucht. Viele wie Daniel Mack gibt es nicht. In ganz Deutschland gibt es nur rund 15 bis 30 hauptberufliche Teeverkoster, die meisten im Raum Bremen und Hamburg. Der gelernte Groß- und Außenhandelskaufmann ist als Jugendlicher zum Tee gekommen – obwohl die Eltern Kaffeetrinker sind, wie Mack schmunzelnd anmerkt. Mit 18 hat er angefangen, Tee zu probieren, und hat ihn auf Partys mitgebracht. Tee zu verkosten, ist für ihn „total spannend“. „Es ist ein außergewöhnlicher Beruf“, sagt Mack, genau das macht ihm Freude. Kaffee ist der größte Konkurrent des Tees. Auch wenn Mack sich am Wochenende eine Tasse Kaffee gönnt, schlägt sein Herz für den Tee: „Er ist vielseitiger, und das Geschmacksspektrum ist reichhaltiger.“ Außerdem ist er davon überzeugt, dass Teetrinker grundsätzlich die entspannteren Menschen sind: „Tee gibt es anders als Kaffee nicht ,to go'.“ Für Tee muss man sich Zeit nehmen. Kreativ muss man als Verkoster sein: Woher kommen die Ideen für die Teemischungen? „Meist ist es Zufall“, sagt Mack und lacht. So einfach ist das. Wenn er in den Supermarkt geht, weiß seine Frau genau, dass er mit jeder Menge Sachen zurückkommt, auf denen „neu“ oder „nur für kurze Zeit“ steht. Neugierig muss man sein, und experimentierfreudig: Hat er eine Idee, schreibt Daniel Mack sie auf. Dann mischt er die Zutaten zusammen und lässt das Ergebnis einige Tage stehen. Dann der große Test: Schmeckt es oder war es ein Flop? „Die Liste mit Fehlschlägen ist länger“, muss Mack zugeben und grinst, aber so ist das eben. Beispiel gefällig? Aus der Milchund-Honig-Mischung ist nichts geworden: „Honig als Aroma schmeckt wahlweise nach Duschgel oder Wachskerze.“ Aber aufgeben will er nicht. Im Unternehmen ist der gebürtige Aachener für die Anbaugebiete China und Japan zuständig. Jedes Jahr ist er vor Ort und besucht Besitzer der Teeplantagen oder der „Teegärten“, wie man hier in Meckenheim sagt. Doch genug von grauer Theorie, von Anbauländern, Preisverhandlungen und Pro-Kopf-Teemengen: Nun möchte man Daniel Mack in Aktion erleben. Im Testraum ist es angenehm kühl. Eine große Fensterfront lässt viel Licht herein, die Sonne meint es heute gut mit den Rheinländern. Auf der einen Seite verdeckt ein Regal voller Tee- „Teetrinker sind grundsätzlich entspannter. Tee kann ich nämlich nicht ,schnell' machen.“ Teetester Daniel Mack über die Unterschiede zu Kaffeetrinkern behälter die Wand, auf der anderen Seite ist eine Theke aufgebaut, so lang wie der Raum selbst. 15 Sorten probiert Mack heute. Es können bis zu 200 am Tag sein. Montag und Dienstag sind die Großkampftage, denn übers Wochenende trudeln die meisten Proben ein. Verkostet wird am Vormittag: Dann kann man sich als Mittagessen etwas Scharfes oder mit Knoblauch gönnen, ohne dass der Geschmackssinn beeinträchtigt wird. Die Tassen sind akkurat in einer Reihe angeordnet, fast möchte man meinen, hier sei jemand mit dem Geo- Von Grasgrün bis Rostrot schwanken die Farben der aufgegossenen Schwarz- und Grüntees. Grün oder schwarz? Daniel Mack ist Teeverkoster und testet täglich Tees aus China und Japan. Neben Optik und Geschmack spielt vor allem der Geruch des Aufgusses und der Teeblätter eine wichtige Rolle. Fotos: Agatha Mazur dreieck herumgegangen. In der Tasse warten die losen Blätter darauf, mit frisch gebrühtem Wasser übergossen zu werden. Nichts wird dem Zufall überlassen: Um größtmögliche Objektivität zu gewährleisten, werden exakt 2,2 Gramm Tee in jede Tasse getan. Daniel Mack gießt pro Tasse 150 Milliliter auf und stellt die Uhr ein: Nach fünf Minuten wird der Tee in die Schale gegossen. Nach und nach macht das sterile Weiß der Keramikschalen leuchtenden Farben Platz: Kreise von sattem Grasgrün, warmem Honiggelb und kräftigem Rostrot funkeln in den Schalen. Jede Charge des Naturprodukts ist ein Unikat. Und deshalb wird auch jede verkostet. Im Mittelpunkt steht heute der Kabuse-cha: 1000 Kilogramm von dem japanischen Grüntee hat die Firma bestellt. Der Kaufvertrag wurde „auf Mustergutbefund“ unterzeichnet. Will heißen: Wenn der Tee dem Experten gefällt, gilt der Vertrag. Entspricht die Qualität nicht den Erwartungen, kann das Unternehmen vom Vertrag zurücktreten. Kritisch beäugt Daniel Mack die Tassenfarbe. Seit sieben Jahren arbeitet er als hauptberuflicher Verkoster. Neben den Tassen ist der lose Tee auf einer Pappe ausgebreitet. Auch die Optik spielt neben Geruch und Geschmack eine Rolle. Für den Laien sehen die Proben fast gleich aus, doch Teekenner Mack sieht sofort die Unterschiede: Ja, der eine ist etwas heller, und aha, der andere etwas dezenter. Riechen ist fast noch wichtiger als Schmecken: „Wir haben mehr Riechzellen als Geschmacksknospen“, erklärt der Experte, während er seine Nase in den Blättern versenkt, die als feuchter, verworrener Haufen in der Tasse glänzen. Dann rollt er eine Vorrichtung heran, die wie ein großer silberner Mülleimer auf Rollen aussieht: den Spitoon. Dort wird der Tee hineingespuckt. Los geht es: Daniel Mack nimmt einen großen Schluck und saugt dabei Luft mit ein: Ein sattes, schlürfendes Geräusch entsteht. An jedem Essenstisch ein Graus, im Probierraum Normalität. Dreimal saugt der Teetester Luft ein und schmatzt, dann spuckt er mit Schwung den Tee in den Behälter. So geht das im Akkord: schlürfen, schmatzen, spucken. Und noch einmal: schlürfen, schmatzen, spucken. Für alle 15 Teesorten hat er nicht ein- mal eine Minute gebraucht. Geredet wird bei einem Tasting nicht. „Der erste Eindruck zählt“, sagt Mack. Je mehr man sich mit dem Geschmack beschäftigt, desto mehr weicht man von dem ab, was einem in der ersten Sekunde durch den Kopf geschossen ist. Erst hinterher tauscht man sich mit Kollegen aus. Wichtig ist auch, die persönliche Präferenz auszuschalten, betont Daniel Mack. Schließlich geht es nicht darum, was ihm am besten schmeckt, sondern um eine objektive Beurteilung, ob der Tee so schmeckt, wie er schmecken soll. Kann man denn trotzdem Tee genießen, auch wenn man jeden Tag mit ihm arbeiten muss? „Klar“, schießt es aus dem Experten hervor. Nach seinem Lieblingstee gefragt zu werden, mag er nicht: „ Das ist doch langweilig.“ Lieber wird er nach Tee gefragt, den er nicht mag: „Jasmin“ kommt prompt als Antwort. Auch der Produzent des Grüntees Kabuse-cha wird eine Antwort erhalten, und zwar eine positive. Die 1000 Kilogramm haben einen Abnehmer gefunden. Tee ist ein Aufguss von den Blättern der Pflanzen Camellia sinensis, Camellia assamica und deren Kreuzungen. A GA T HA MAZ UR
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