Gast mit viel im Gepäck - Kongress am Park

MITTWOCH, 16. DEZEMBER 2015
Viel wagen
und alles
gewinnen
Benefizgala des
Ärzteorchesters
VON ULRICH OSTERMEIR
Nicht therapeutisch, sondern musikalisch gehen „Medici“ und „Musici“ im Augsburger Ärzteorchester
auf Tuchfühlung. Zwei veritable
Solisten gewannen im Parktheater
Zugkraft und Ausstrahlung und beflügelten den Aeskulap-Klangkörper. Geschickt nutzte Dirigent
Christian Echl diesen Effekt.
Dass die beliebte Sopranistin Cathrin Lange kurzfristig absagen
musste, stellte natürlich einen
„worst case“ dar, setzt Koloraturkunst doch immer Glanzlichter.
Aber je größer die Not, desto kühner der Mut: Kurzerhand stimmte
die junge Klarinettistin Bettina Aust
einem Doppelauftritt zu und begeisterte mit Mozarts Repertoire-Stück,
seinem grandiosen Klarinettenkonzert, das volle Haus.
Ohne lange mit dem Orchester zu
proben – also nahezu stante pede –,
beschwor sie Mozarts Klangwelt
förmlich herauf: Physisch sehr beweglich und präsent, geistig hellwach und flexibel, emotional äußerst sensitiv, lotete sie Mozart fern
aller naiven Rokoko-Attitüde aus:
Im Allegro bestach die reiche Farbskala in allen Lagen, im Adagio die
weltentrückte Klangästhetik edler
Espressivo-Linien, im Finale die
sich temperamentvoll gebärdende
6/8 Thematik. Und siehe da – das
Ärzteorchester hielt Schritt, eng die
Vernetzung mit der Solistin. Christian Echl gelang der Schulterschluss.
Alle Gegensätze schienen aufgehoben. Der Solistin glückte eine erstaunlich abgeklärte Interpretation
dieses Spätwerks, als verschmelze
sie mit ihrem Instrument: Aust wagte viel und gewann alles.
Franz Danzis Sinfonia concertante op. 41 rief Flöte, Klarinette und
Orchester auf den Plan: Danzi steht
zwar als Komponist nicht in der ersten Reihe, aber wie klangvoll und
charmant er für Blasinstrumente
komponiert, zeigten Flötist Mathias
Dittmann und Bettina Aust auf der
Klarinette virtuos und melodisch
gefällig auf. So spiegelte diese Aufführung wider, wie bunt sich Divertimento-Unterhaltung, SerenadenFluidum, konzertanter Gestus und
sinfonischer Anspruch durchdringen, inspiriert von silberhellem
Flautofiligran und klangsattem Klarinettenmelos, das sich überlagerte,
korrespondierte oder solistisch aufleuchtete.
Auch ohne die solistischen Zugpferde einzuspannen, gewann das
Ärzteorchester beachtliche Fahrt.
Barock eingefangen wurde Händels
Timbre zwischen Streichern und
Oboen. Haydns Pastorale stand die
rustikalere Spielweise gut zu Gesicht, klangen hier doch ländlichere
Motive an. Barockweihnachtlich
klang es aus. Musikalisch im Fokus
stand Bettina Aust.
Gleich zwei Mal war die Klarinettistin
Bettina Aust als Solistin beim Konzert
des Augsburger Ärzteorchesters zu hören.
Foto: Fred Schöllhorn
39
Feuilleton regional
NUMMER 290
Gast mit viel im Gepäck
Feuilleton kompakt
Sinfoniekonzert Bernd Glemser ist „Artist in Residence“ der Augsburger Philharmoniker.
Der Pianist kann es krachen lassen auf den Tasten. Er ist aber auch zu ganz anderem fähig
Karl-Heinz Steffens wird
Musikdirektor in Oslo
Der Dirigent Karl-Heinz Steffens
wird ab der Saison 2016/2017 Musikdirektor der Norwegischen Nationaloper in Oslo, Den Norske
Opera & Ballett. Gleichzeitig setzt
Steffens seine Arbeit mit der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz fort. Steffens, der lange
in Friedberg gelebt hat, bleibt dazu
weiterhin der Region als künstlerischer Leiter des Friedberger Musiksommers verbunden. Sein Orchester, die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, sieht in der
Berufung nach Norwegen einen
Grund zur Freude. Ihr Chefdirigent und Generalmusikdirektor
Karl-Heinz Steffens kann seine
Opernambitionen an einem der renommierten Opernhäusern Europas verwirklichen. Damit rücke die
Staatsphilharmonie als Kulturbotschafter für Rheinland-Pfalz und die
erweiterte Metropolregion RheinNeckar stärker in den Blick der internationalen Musikwelt. (AZ)
VON STEFAN DOSCH
Prima Sache, diese Gepflogenheit
des „Artist in Residence“. Erlaubt
sie doch einer „Residenz“ vergebenden Institution, über einen längeren Zeitraum hinweg mit ein und
demselben Künstler zusammenzuarbeiten. Die Augsburger Philharmoniker haben in dieser Spielzeit
den Pianisten Bernd Glemser zu sich
geladen. Der ist also nicht nur dafür
verpflichtet, sich in einem Solokonzert zu präsentieren und dazu vielleicht noch ein, zwei Zugabenpralinen zu reichen. Glemser ist 2015/16
in Augsburg bei gleich fünf Anlässen
zu erleben. Dabei bekommt der ausgewiesene Klaviertüftler, Professor
an der Hochschule in Würzburg, im
Laufe seiner Künstler-Residenz
auch Gelegenheit zu zwei Solomatineen. Zum Saisonauftakt hat er sogar schon – gar nicht selbstverständlich bei einem Virtuosen seines Ranges – ein Familienkonzert bestritten. Man sieht: Nutznießer einer
solchen Unternehmung ist nicht zuletzt das Publikum, das seinen „Artist in Residence“ in den unterschiedlichsten Facetten erlebt.
Im jüngsten Sinfoniekonzert der
Philharmoniker in der fast ausverkauften Kongresshalle fiel Glemser
der klassische Part des vor der Pause
platzierten Konzertsolisten zu.
Noch dazu mit einem Stück voll
krachender Tastenvirtuosität, Dimitri Schostakowitschs 1. Klavierkonzert. Dass er die manchmal
schon zirkushaften Kaskaden des
Stücks souverän, fast schon beiläufig
von der Tastatur rieseln ließ, erwartet man von einem wie ihm. Mehr
gestalterische Kraft offenbarte
Glemser im langsamen zweiten Satz,
den er mit eminenter Zurückhaltung formte, sodass inmitten des
Tastenfeuerwerks der Ecksätze eine
Zone verblüffender Ruhe entstand.
Genussvoll kostete Glemser auch die
in den Klaviersatz einkomponierten
Brechungen historischer (Virtuosen-)Konventionen aus. Schostakowitschs Opus 35 hat neben dem Klavier noch einen weiteres Soloinstrument, die Trompete. Gábor Vanyó,
Solotrompeter der Philharmoniker,
verstand sich nicht nur auf die grotesken Geschwindpassagen dieses
ungewöhnlichen Konzerts, sondern
fesselte auch mit den geheimnisvollfahlen Tönen, die er im Largo dem
gedämpften Instrument entlockte.
NORWEGISCHE NATIONALOPER
AUSZEICHNUNG
Kulturpreis Neumarkts
für Harry Meyer
Ob mit, ob ohne Orchester: Der Pianist Bernd Glemser ist in dieser Spielzeit von verschiedenen Seiten in Augsburger Konzerten zu
erleben.
Foto: Fred Schöllhorn
Bei Glemsers immer wieder aufblitzendem Furor geriet die begleitenden Streichergruppe der Philharmoniker fast ein wenig ins Hintertreffen. Dabei hatte das Orchester einleitend gezeigt, dass es sehr
wohl auch selbst einzuheizen vermochte, in der stürmisch bewegten
Ouvertüre zur Oper „L’isola disabitata“ von Joseph Haydn. Und hitzig
ging es auch im zweiten Teil des
Programms weiter mit der 1. Sinfonie von Johannes Brahms. Dem Dirigenten Lancelot Fuhry gelang im
ersten Satz das Kunststück, das extrem verdichtete Motivgefüge einerseits kantig vom Orchester meißeln zu lassen, dabei aber nie hakelig
zu werden. Fuhry übersetzte die
enormen harmonischen und intervallisch-gestischen Spannungen in
einen steten Vorwärtsdrang, was gerade dem Kopfsatz schneidende
Wucht verlieh.
Nur scheinbar kehrte mit dem
anschließenden Andante Ruhe ein.
Unterschwellig aber hielt Fuhry den
flackernden Puls auch im weiteren
Verlauf lebendig – einen Augenblick
des „Verweile doch ...“ gab es nicht
in dieser Brahms-Sinfonie. Das Finale, vor allem dessen abschließenden „Più allegro“-Teil, deutete der
Dirigent in geradezu Beethoven’scher Manier als hell leuchtendes Triumphbekenntnis. Auch
wenn man der Aufführung im ganzen noch einen Gran mehr Reflektiertheit gewünscht hätte: Fuhry,
Augsburgs so sympathischer Erster
Kapellmeister, bewies einmal mehr,
dass er nicht nur im Operngraben,
sondern auch auf dem Konzertpodest ein Garant für packende Lesarten ist.
Noch einen weiteren Brahms gab
es an diesem Abend. Als Zugabe
nach dem Schostakowitsch, von
Bernd Glemser am Klavier – das
A-Dur-Intermezzo aus Opus 118.
Wunderbar abgeklärt in der Führung der Linien, sinnend, ohne ins
Grüblerische
abzugleiten,
ließ
Glemser
diese
Blüte
des
Brahms’schen Spätstils aus dem
Konzertflügel steigen. Ein FünfMinuten-Traum, der hier vor einem
atemlos lauschenden Publikum vorüberzog und schon einmal einen
Vorgeschmack gab auf Glemsers
nächsten Residenz-Termin, eine
Solo-Matinee am 20. März mit
Schubert, Chopin – und Brahms.
Der Künstler Harry Meyer wird
heute mit dem Kulturpreis seiner
Geburtsstadt Neumarkt/Oberpfalz
ausgezeichnet. Seit 1987 wird der
Preis vergeben. Vor Meyer waren
Lizzy Aumeier (Musikerin), Bernhard Maria Fuchs (Künstler) und
Lothar Fischer (Künstler) mit dem
Kulturpreis gewürdigt worden. Der
von der Bode Galerie (Nürnberg)
vertretene Künstler Harry Meyer
erhält die Auszeichnung im Rahmen einer Festsitzung des Stadtrates. Der Preis wird vom Neumarkter Oberbürgermeister Thomas
Thumann überreicht. (AZ)
JAZZCLUB AUGSBURG
Quintett „groove desaster“
spielt Jazz zum Tanzen
Das zweite Konzert der Reihe
„dance at the jazzclub“ findet am
morgigen Donnerstag, 17. Dezember, um 20.30 Uhr im Jazzclub
Augsburg statt. Dort tritt das neu
gegründete Quintett „groove
desaster“ auf, das aus Kay Fischer
(Saxophon), Jörg Hartl (Trompete), Tom Jahn (Synthesizer), Bernhard Funk (Bass) und Tilman
Herpichböhm (Schlagzeug) besteht.
Sie spielen Musik zum Hören und
Tanzen. (AZ)
Sie wollen Augsburg umkrempeln
Premiere Die Gruppe Theter will die Kulturszene aufmischen und „klassische Theaterbesucher“ und
„junge Aktive“ zusammenbringen, zum Beispiel mit „Tschick“. Doch bis dahin ist es noch ein gutes Stück Weg
VON KATRIN FISCHER
Zwischen der Bühne des Augsburger Theaters und dem Obergeschoss
des City Clubs am Königsplatz liegen Welten. Hier: rote schwere
Vorhänge, große Kronleuchter – die
Theaterbühne glänzt im Stil der
50er Jahre. Dort: bröckelnder Putz,
verschrammte Holzböden – der City
Club verfällt mit morbidem Hipster-Charme. Diesen Ort hat das
„Theter“-Ensemble für seine Aufführungen ausgesucht. Die erste
Produktion namens „Gute Nachrichten“ ist bereits angelaufen, ab
heute wird dort auch die Gastproduktion „Tschick“ zu sehen sein.
Die Künstler wollen mit ihrem
Programm zwei Personengruppen
zusammenbringen: Nachtschwärmer, die im City Club Bier trinken,
und Kulturinteressierte, die gerne
ins Theater gehen. Leif Eric Young
ist der Kopf der Gruppe. Er sieht
sich als Bindeglied zwischen der
klassischen Augsburger Kulturszene und den „jungen Aktiven“. Im
vergangenen Jahr war er musikalischer Leiter des Jugendclubs am
Theater Augsburg. Parallel dazu haben er und sein Team als Künstlerkollektiv „Bring your own elephant“ Festivals ausgestattet. Eines
davon fand im Juni 2014 am Theater
statt. In Erinnerung geblieben ist
das „Dickicht“ mit kreativ bemalten
Stellwänden, Sofa-Fläzen auf der
Wiese und entspannter Live-Musik.
Doch mit Festivals soll vorerst
Schluss sein – die Künstler von Theter wollen wieder auf die Bühne.
Wobei es so etwas wie eine Bühne
im City Club nicht gibt. Sie spielen
auf dem Boden in dem Raum, wo
sich am Wochenende alle Besucher
zu entspannten Elektro-Sounds bewegen. Für Young ist dieser Ort ein
„Hort der jungen Reaktiven“. Wo
„Freigeister“ unterwegs sind, die
sich mit Umweltschutz und internationaler Fairness befassen. In diesem
Lebensgefühl liegt für ihn die
Schnittstelle zum Theater Augsburg: „Es ist das gleiche Gedankengut.“ Einziger Knackpunkt: Das institutionelle Theater spreche nicht
die Sprache der „jungen Aktiven“.
Die Diskussion um die Finanzierung des Theaters überschatte
künstlerische Inhalte. Theter will
diesen Schatten entfernen und alle
zusammenbringen.
Zum Beispiel zur Premiere von
„Tschick“. Theter hat die Produktion des Augsburger Theaters übernommen und will die Bühnenfassung nach dem Jugendroman von
Wolfgang Herrndorf in den City
Club bringen. Wie bereits im Augsburger Theater in etlichen ausverkauften Vorstellungen werden erneut Tjark Bernau (Tschick), Florian Innerebner (Maik) und Sarah Bo-
nitz (Isa) in den Hauptrollen zu sehen sein. An diesen Vorführungen
heute und am 28. Dezember beteiligt sich Theter als Produzent. Den
Künstlern geht es bei der Aktion um
die Spielstätte. „Es gibt sicher noch
viele, die das Stück sehen wollen.
Die müssen nun in den City Club
kommen“, sagt Young.
Mit ihrer eigenen Produktion haben Theter ihre Mission bereits in
die Wege geleitet. „Gute Nachrichten“ startete im Dezember vor rund
70 Zuschauern. Ein Großteil des
Lisanne Eisele
Amelie Seeger, Jonas Graber
Larissa Pfau
Lieselotte Fischer
Julia Just
Paul Lonnemann
Leif Eric Young
Fotos: Katrin Fischer
Ensembles war beteiligt. In Monologen und Liedern setzten sich zwölf
Schauspieler mit Texten von Kurt
Tucholsky, Georg Büchner, Franz
Kafka und Konstantin Wecker auseinander. Die Auswahl, die sie trafen, war geglückt. Die vorgetragenen Passagen über Patriotismus,
flüchtende Elefanten, über Menschen, die sich treten lassen, und
Überflutungen, die Tausende begraben, sind zeitlos und aktuell.
Die Darsteller schafften es, durch
den Wechsel von Flüstern und
Schreien, durch überraschende Auftritte und musikalische Begleitung
Spannung zu schaffen. Dennoch
wirkte die Aneinanderreihung vieler
Monologe befremdlich. Man hatte
den Eindruck, das Publikum wurde
mit der Moralkeule bearbeitet – so
zahlreich und offensichtlich waren
die Botschaften, die Theter vermitteln wollte. Vor allem auf Zuschauer, die sich nicht als Teil der „jungen
Aktiven“ sehen, wirkte das abschreckend. Damit könnten die Künstler
ihr Vorhaben, viele Personengruppen anzusprechen, verfehlt haben.
Dennoch bleiben genug Gelegenheiten, dieses Ziel weiter zu verfolgen.
Zum Beispiel mit der Vorstellung
von „Tschick“ am heutigen Abend.
O Vorstellung von „Tschick“ am
Mario Passow
Verena Gawert
Berna Celebi und Sabah Qalo
heutigen Mittwoch um 20 Uhr im CityClub. Restkarten an der Abendkasse