Mona Küppers Newsletter für Engagement und Partizipation Deutscher Frauenrat in Europa 1/2016 Gewalt gegen Frauen – mit uns nicht! Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen darf nicht länger als frauenpolitisches Problem ein “sortiert“ werden, Gewaltschutz muss vielmehr eine politische, ressortübergreifende Aufgabe sein. Dieses Argument hat der DEUTSCHE FRAUENRAT bereits im Januar 2015 in einem Gespräch mit der Bundeskanzlerin vorgebracht. Gewalt gegen Frauen ist ein gesamtgesellschaftliches Problem und nicht zuletzt auch eine Frage der inneren Sicherheit, denn potentiell ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung gefährdet und jedem Opfer steht ein Täter / eine Täterin gegenüber. Der DEUTSCHE FRAUENRAT empfiehlt, eine Beauftragten-Stelle einzurichten, die sich mit Gewalt gegen Frauen befasst (analog der Stabsstelle für Kindesmissbrauch) und sieht einen sehr großen Bedarf für die Etablierung eines komplexen Systems zur Prävention als sinnvolle Ergänzung der Interventionsmaßnahmen und Hilfeangeboten zur Verhinderung von Gewalt. In Deutschland wird bereits viel gemacht, aber es fehlt ein Gesamtkonzept, so unter anderem auch Schulungen von beispielweise Polizei, Richtern, Pädagogen und anderen Personen. Zuweilen beginnt etwas Schreckliches mit einem einfachen kleinen Satz. „Das tun Mädchen nicht“ – das ist so ein Satz! Bestimmte Verhaltensweisen sind Mädchen und Frauen nicht erlaubt – was nicht erlaubt ist, ist verboten – wer etwas Verbotenes tut wird bestraft! Und das erleben Mädchen und Frauen auf der ganzen Welt jeden Tag, jede Stunde, jede Minute, jede Sekunde. Und sie müssen noch nicht einmal etwas Verbotenes tun, aufgrund von hierarchischen, patriarchalischen Machtstrukturen und viel zu oft, weil es legal erscheint und weil „Mann“ es kann, erleben Frauen immer noch, immer wieder, immer weiter Gewalt. Gewalt gegen Frauen! Und damit sind nicht nur tätliche Übergriffe gemeint, die direkte Auswirkung auf die Gesundheit und das Wohlbefinden von Frauen - mit ihren Kindern - haben, Gewalt gegen Frauen liegt immer strukturelle Gewalt zugrunde. Eine Gewaltform, die überall auf der Welt insbesondere Mädchen und Frauen betrifft, die oftmals versteckt praktiziert, teilweise aber sogar durch entsprechende Gesetze quasi legalisiert ist und die enorme Auswirkungen auf das Leben von Mädchen und Frauen hat. Überall auf der Welt, auch in Europa, auch in Deutschland. Strukturelle Gewalt beginnt dort, wo in Familien, aber auch in Kindergärten und Schulen noch nach einem tradierten Muster, was Mädchen können oder nicht können oder dürfen sollen, erzogen und 1 unterrichtet wird. Damit werden Mädchen (auf der anderen Seite ganz sicher auch Jungen) Wege für ihr weiteres Leben verschlossen. Es geht weiter mit ungleicher Bezahlung für die gleiche Arbeit und auch mit schlechterer Bezahlung in sog. typischen Frauenberufen oder sogar mit dem Verbot, eine Arbeit aufzunehmen. Strukturelle Gewalt findet unmittelbar Eingang in das Leben der Frauen, insbesondere beim Thema Altersarmut (die weiblich ist), wo auf der einen Seite Kinder den Fortbestand unserer Gesellschaft sichern (sollen und müssen), eine Frau dafür (also Geburt, Kindererziehung, Teilzeit) letztendlich mit einer geringeren, oftmals zu geringen Rente bestraft wird. Genauso ist es bei pflegenden Angehörigen, ein Synonym für pflegende Frauen. Und es wird besonders bedrohlich dort, wo Mädchen gezielt und bewusst der Zugang zu Bildung, zu Selbstständigkeit und einem selbstbestimmten Leben verwehrt wird. Ausgerechnet Deutschland, ein Staat, der zu den Erstunterzeichnern der sog. Istanbul Konvention gehört, hat bis heute nicht ratifiziert. Sicherlich haben unsere innerstaatlichen Regelungen, unser nationales Recht, dieses bis zu einem gewissen Grad bis heute noch nicht zugelassen und sicherlich ist Vieles bereits geregelt worden, damit auch Deutschland endlich das „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ ratifizieren kann: Der Vorstand des DEUTSCHEN FRAUENRATS arbeitet im Auftrag und in Zusammenarbeit mit seinen Mitgliedsverbänden intensiv daran, zu sensibilisieren, zu informieren und darauf hinzuwirken, dass wir eine Null-Toleranz-Haltung gegenüber Gewalt gegen Frauen in der deutschen Gesellschaft erhalten und vor allem auch mit all unseren Kräften dazu stehen und diese Haltung durchsetzen. Aber wir sehen, dass wir langsam Fortschritte machen und viele der in der Istanbul-Konvention geforderten Grundlagen erfüllt und umgesetzt werden sollen. Es fehlt aber immer noch eine Neuregelung der §§ 177, 179 im Strafgesetzbuch bzgl. der Strafbarkeit von sexuellen Handlungen gegen den Willen eines Erwachsenen und wir warten auch noch auf „Nachbesserungen“ im Opferschutzgesetz. Der entsprechende Referentenentwurf zur Gesetzesänderung der entsprechenden Paragraphen ist mittlerweile öffentlich und wird vom DEUTSCHEN FRAUENRAT kritisch kommentiert. In der Istanbul Konvention heißt es: „Alle nicht-einvernehmlichen sexuellen Handlungen müssen unter Strafe gestellt werden“. Das deutsche Recht muss dahingehend verändert werden. Wir Frauen in Deutschland sind nicht zufrieden und nicht einverstanden mit einer „aufgeweichten“ Fassung unserer Forderung: „Nein heißt nein! Immer!“ Und da das Rad nicht von jeder Institution, von jeder Organisation neu erfunden werden muss, unterstützt der DEUTSCHE FRAUENRAT Aktionen anderer Organisationen, hier zuletzt die Postkartenaktion des bff: Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe, in dem rund 170 Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe zusammengeschlossen sind. Gemeinsam sind wir stark! 2 Ein Meilenstein auf dem Weg zur Ratifizierung, aber vor allem eine wichtige Einrichtung für von Gewalt betroffene Frauen ist das bundesweite Hilfetelefon. Wir sehen es allerdings kritisch, dass nicht zeitgleich und überall (also in den Bundesländern, in den Kommunen) das dazu unbedingt gehörende nachhaltige Hilfesystem sichergestellt wurde, dass vorhandene Beratungsstellen nicht entsprechend ausgebaut wurden und dass ihre Existenz nicht gesichert ist. In der Zusammenarbeit mit unseren Mitgliedsorganisationen und den Landesfrauenräten drängen wir auch hier auf eine Umsetzung der lange bekannten und notwendigen Lösungen. Hier macht uns vor allem unser föderalistisches System das Leben schwer, denn die Sicherung eines nachhaltigen Hilfesystems ist Ländersache. Im Gespräch mit der Bundeskanzlerin Merkel haben wir darum auch angeregt, dass die Bundesregierung die Länder und Kommunen (analog der Kinderbetreuung) gesetzlich verpflichtet und finanziell unterstützt, damit sie ihre gleichzeitige Verantwortlichkeit erfüllen (können). Und sehr kritisch zu beurteilen ist, dass es immer noch nicht gelungen ist, eine europaweit einheitliche Hilfenummer (analog zum Euronotruf 112) einzurichten, da ist die Europäische Kommission in besonderem Maße gefordert. Die europaweit einheitliche 116 würde vielen Opfern von Gewalt helfen, in kurzer Zeit zumindest Ansprechpartner zu finden, die weiterhelfen können. Deswegen ist es immens wichtig, dass die sog. NRO als Lobby der Frauen für Frauen kämpfen, streiten, Forderungen stellen und alles tun, damit die Lebenssituation von Frauen verbessert wird. Allerdings macht es aktuell wieder den Anschein, als ob alle Bemühungen und Anstrengungen vergeblich sind, es sieht so aus, als ob Gewalt derzeit eskaliert. Die Angst, selbst Opfer zu werden wird nach den öffentlichen Angriffen von Frauen in der Silvesternacht größer und bekommt eine neue Dimension. Es besteht die Befürchtung, dass in der Folge immer weniger Menschen bereit sein könnten, sich einzusetzen und einzuschreiten und zu helfen. Aber stehen denn nicht viel mehr Menschen einer nur kleinen Anzahl gewaltbereiter Täter gegenüber? Können wir nicht aufstehen und ein „STOP der Gewalt“ fordern? Können wir nicht Gesetze erlassen, so sie denn noch nicht vorhanden sind und diese dann auch endlich konsequent umsetzen? Doch! All das können wir tun! Für eine Frau, die Gewalt erfährt, ist es unerheblich, wer der Täter ist. Wichtig ist ihr Schutz! Wichtig ist, dass Täter schnell und rigoros bestraft werden, dass Gewalt gegen Frauen als Straftat und nicht wie in vielen Fällen als „Kavaliersdelikt“ eingestuft und - wenn überhaupt - als Ordnungswidrigkeit geahndet wird. Einheitlich und klar muss in allen Gerichten, bei allen damit befassten Personen die Überzeugung herrschen, dass Gewalt gegen Frauen ernst zu nehmen ist, kein Kavaliersdelikt, keine Nebenerscheinung des eigentlichen Delikts, wie zum Beispiel der vermeintliche Raub. Gewalt und insbesondere sexualisierte Gewalt müssen ernst genommen werden. 3 Dringend erforderlich ist ein Umdenken der Gesellschaft. Wir können und dürfen es nicht länger hinnehmen, dass wir nur in bestimmten Feldern (so gibt es zumindest auf dem Papier das Beschäftigtenschutzgesetz, das AGG) Regelungen haben, die aber nicht für alle Lebensbereiche von Frauen gelten. Allerdings steht auch hier die Forderung im Raum, dass zumindest diese Regelungen ernst genommen und bei Übergriffen auch entsprechend geahndet werden. Und das Thema Gewalt hat direkt mit dem Thema Gleichstellung zu tun: Denn so lange gegen Menschen einer bestimmten Gruppe – und Frausein, also das Geschlecht, ist dabei ein Kriterium Gewalt ausgeübt wird, können wir ganz sicher nicht von Gleichstellung sprechen. Und das zähe Ringen und die nur kleinen und langsamen Fortschritte sind auch darin begründet, dass zu wenige Frauen in Führung sind und zu wenige Frauen in der Regierungs(mit)verantwortlichkeit sind. Der DEUTSCHE FRAUENRAT wird sich auch zukünftig mit all den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln und Kräften dafür einsetzen, dass die Lebensbedingungen von Frauen und Mädchen in Deutschland, in Europa und der Welt verbessert werden. Dass Frauen und Mädchen die gleichen Rechte wie Männer und Jungen nicht nur auf dem Papier haben, sondern dass sie ein gewaltfreies Leben führen können. Autorin: Mona Küppers ist stellvertretende Vorsitzende im Deutschen Frauenrat. Sie ist seit vielen Jahren Expertin zum Thema Gewalt, Prävention und Intervention sexueller Gewalt im Sport. Kontakt: [email protected] Weitere Informationen: www.frauenrat.de Redaktion: BBE Europa-Nachrichten – Newsletter für Engagement und Partizipation in Europa Bundenetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) - Geschäftsstelle Michaelkirchstr. 17-18 10179 Berlin-Mitte +49 (0) 30 6 29 80-11 4 europa-bbe(at)b-b-e.de www.b-b-e.de 4
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