Wenn weniger mehr ist

Diagnostik im Dialog • Ausgabe 46 • 04/2015 | Wenn weniger mehr ist | Labororganisation
Wenn weniger mehr ist
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Aus Prozessen alle
„Verschwendung“ zu
eliminieren, ist Grundprinzip und Benchmark
des Lean Managements.
Toyota hat es vorgemacht: Bereits in den
1950er Jahren hat der japanische Automobilhersteller altbewährte Denkweisen über
Bord geworfen und unter Federführung des
Ingenieurs und Produktionsleiters Taiichi
Ohno ein neuartiges Produktionskonzept
entwickelt. Er sagt: „Alles was wir tun ist,
auf die Durchlaufzeit zu achten von dem
Moment, in dem wir einen Kundenauftrag
erhalten bis zu dem Moment, in dem wir das
Geld in Empfang nehmen. Wir verkürzen die
Durchlaufzeit, indem wir alle Bestandteile
eliminieren, die keinen Mehrwert für den
Kunden erzeugen.“ Aus Prozessen alle „Verschwendung“, d. h. Nicht-Wertschöpfendes zu
eliminieren, ist Grundprinzip und Benchmark
des so genannten „Lean Managements“. Auch
Laborprozesse lassen sich mit diesem Ansatz
optimieren, wie das Beispiel vom Labor
Fleischauer in Wiesbaden zeigt. In Zusammenarbeit mit den Projektmanagern der Consulab®
hat das große Privatlabor seine Effizienz deutlich gesteigert und zugleich die Zufriedenheit
der Mitarbeiter am Arbeitsplatz erhöht.
Lean Management („lean“, englisch für
„schlank“, „mager“, „knapp“) setzt weniger
auf technische Ablaufautomation als vielmehr
auf die Prinzipien einer schlanken Organisation. Deshalb ist es universell einsetzbar. Es
beschränkt sich heutzutage nicht mehr auf
Produktionsprozesse, sondern umfasst auch
Bereiche wie Dienstleistungen oder unterstützende Prozesse bei der Auftragsabwicklung.
Der Begriff wird zwischenzeitlich umfassend
verstanden – als Gesamtheit aller Methoden,
Denkprinzipien und Verfahrensweisen, die
zur effizienten Gestaltung der gesamten
Wertschöpfungskette führen.
es funktioniert, wenn das Unternehmen eine
Kultur hegt, die Fehler toleriert und Probleme sichtbar macht, statt sie zu verstecken.
Verschwenden und Verstecken sind tabu
Basis des Lean-Ansatzes ist das „Lean
Thinking“, das Verschwendung bei bestehenden Prozessen offen benennt und bereit
ist, Ballast abzuwerfen. Der Leitgedanke
des Lean Managements lautet: überflüssige,
als Verschwendung identifizierte Tätigkeiten konsequent vermeiden und alle für die
Wertschöpfung notwendigen Aktivitäten
optimal aufeinander abstimmen (Kasten
rechts). Dabei muss die Neugestaltung von
Abläufen drei Perspektiven gerecht werden:
Oder Sicht des Kunden mit seinen Wünschen und Anforderungen
Oder Sicht des Unternehmens hinsichtlich
Profitabilität und Wettbewerbsfähigkeit
Oder Sicht der Mitarbeiter hinsichtlich
Arbeitszufriedenheit und Motivation.
Die Ergebnisse eines erfolgreiches Lean
Managements sind
Okundenorientierte Prozesse
Oeinfache Organisationsstrukturen und
transparente Abläufe
Oklar definierte Schnittstellen und Verantwortlichkeiten
OSensibilisierung aller Prozessbeteiligten,
auch etablierte Abläufe zu hinterfragen
und einen kontinuierlichen, gleichsam
routinemäßigen Verbesserungsprozess
einzuschlagen.
Lean Management ist keine Zauberformel
und es klappt nicht auf Knopfdruck. Aber
„Lean Thinking“ –
Basis des Lean Managements
Verschwendung vermeiden ist das
Schlüsselprinzip von Lean Thinking.
Unnötige Arbeitsschritte müssen identifiziert werden. Das führt zu geringeren Kosten bei gleichbleibender oder
sogar höherer Qualität, da auch potenzielle Fehlerquellen eliminiert werden.
Der Lean-Ansatz fokussiert nur auf
die wertschöpfenden Prozessschritte.
Er öffnet den Blick auf Probleme und
erhöht die Transparenz. In Folge kann
sich auch die Zufriedenheit der Mitarbeitenden steigern, da sie mehr Zeit
für qualitativ hochwertigere Aufgaben
haben. Die Mitarbeitenden werden
effizienter eingesetzt und sind somit
produktiver.
Das Lean Management kennt acht
Arten von Verschwendung, die analysiert und gegebenenfalls eliminiert
werden müssen:
OÜberschuss / Überproduktion
OVerzögerung
OTransport
OB earbeitung
OLagerbestände
OB ewegungsabläufe
OFehler
OÜberbesetzung.
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Labororganisation | Wenn weniger mehr ist | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 46 • 04/2015
Finden und Umsetzen kreativer Lösungen.
Schließlich geht es beim Umstieg auf Lean
Thinking nicht um kleine Retuschen hier und
da, sondern darum, eingeübte, altbewährte
Vorgehensweisen und Überzeugungen zu
hinterfragen, gegebenenfalls zu ändern und
einen grundlegenden Wandel nachhaltig im
Unternehmen zu verankern.
„Lean Thinking“ hinterfragt
„altbewährte“ Vorgehensweisen
und benötigt die Bereitschaft,
Ballast abzuwerfen.
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Die Probe aufs Exempel
So gelang es auch im Labor Fleischauer in
Wiesbaden, einem großen, regional und
überregional tätigen Labor mit Routine- und
Spezialanalytik. Auf dem Weg des Lean Thinking sind der begleitende Blick von außen
und eine fundierte Anleitung essenziell. Das
Labor Fleischauer hat 2013 gemeinsam mit
den externen Beratern der Consulab® das
Experiment gewagt.
Transparenz und Mitarbeiterimpulse
Das Labor Fleischauer, gegründet 1975 in
Wiesbaden, steht seit 2008 unter der Leitung von Dr. Ronald Fleischauer. Heute
werden täglich rund 2000 Laborproben
verarbeitet und 10 000 Messergebnisse
erzeugt. Mit dem starken Wachstum der
letzten Jahre wurden die internen Prozesse
vor allem bei der Probenannahme und
-bearbeitung immer komplexer, der Stresslevel der Mitarbeiter stieg deutlich an. Die
Zieldefinition des Lean-Management-Projekts räumte diesen Entwicklungen dann
auch einen hohen Stellenwert ein: Weniger
Stress am Probeneingang und eine einfachere Probenverteilung gehörten zu den
Hauptzielen. Weitere Fokusthemen waren
eine beschleunigte Durchlaufzeit (TAT) in
der Präanalytik sowie Verbesserungen bei
den Eilproben in punkto Identifikation und
Verfolgbarkeit.
Das Projekt begann mit der Aufnahme des
Ist-Zustandes bis ins letzte Detail. Jeder
einzelne Prozessschritt und alle dabei anfallenden Aktivitäten wurden vom Team aus
Consulab®- und Labormitarbeitenden präzise
festgehalten. Diese als „Wertstromanalyse“
bezeichnete Dokumentation stellt Prozesse
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mit festgelegten Symbolen schematisch dar
und zeigt so den Gesamtzusammenhang
aller Abläufe transparent und übersichtlich
auf. Dies eröffnete den Mitarbeitenden einen
völlig neuen Blick auf ihre tagtägliche Arbeit
– sie wurde in einer ganzheitlichen und eindrücklichen Form visualisiert (Abb. 1).
Das Team im Labor bekam dann zwei
Wochen Zeit, um die dokumentierten IstProzesse zu begutachten und zu kommentieren. Dabei taten sich verschiedene Problemfelder auf, beispielsweise
Ounvollständige oder redundante Informationen, dadurch fehlende oder mehrfache Probenidentifikation und -eingabe
OUnübersichtlichkeit am Arbeitsplatz
Omitunter keine durchgängige Probenprozessierung, weil Übergänge von einem
zum nächsten Schritt nicht klar definiert
waren. Dadurch entstanden Wartezeiten.
Olange Transportwege. Messungen mit
Schrittzählern in anderen Projekten der
Consulab® hatten aufgezeigt, dass MTAs
im Durchschnitt zehn bis zwölf Kilometer pro Tag laufen, das sind etwa zwei
Stunden reine Laufzeit! In speziellen
Diagrammen lassen sich diese Laufwege
visualisieren – eine wichtige Entscheidungshilfe, um später das optimale
Raumkonzept für die Laborarbeitsplätze
zu entwickeln.
Im Rahmen einer Aktionswoche hat sich
das Laborteam zunächst drei Tage lang
intensiv mit der Ist-Analyse der definierten
Fokusbereiche (s. o.) auseinandergesetzt und
daraus Verbesserungsvorschläge entwickelt.
Anschließend wurden die neu konzipierten
Prozesse auf die Probe gestellt – sie mussten
die Wirklichkeit des Arbeitsalltags bestehen.
Besonders groß war die Spannung am Tag
vier („Aktionstag“), denn am Vorabend
hatte das Consulab®-Team das Labor gemäß
dem neuem Konzept umgebaut. Jetzt mussten sich die Labormitarbeitenden bei den
vielen Veränderungen erst einmal zurechtfinden – keine einfache Sache. Obwohl sie
selbst tatkräftig mitgeplant hatten, empfanden sie etliche Modifikationen als äußerst
gewöhnungsbedürftig, wenn nicht gar als
mühsam.
An dieser Stelle des Projekts ist es essentiell,
die Belegschaft zu motivieren, sich auf das
Experiment „Lean Management“ einzulassen,
ihm Vorschussvertrauen und etwas Zeit einzuräumen. Es gilt, Enttäuschungen vorzubeugen, denn die gewünschten Auswirkungen
sind oft nicht unmittelbar sicht- und spürbar.
Im Labor Fleischauer ist dies gelungen. Die
Mitarbeitenden haben die eingeführten Veränderungen abschließend als sehr positiv
bewertet. „Es geht ein Ruck durch die Organisation.“ „Danke, es ist viel weniger Stress.“
und „Es freut mich, dass alle Mitarbeitenden
in unser Tun miteinbezogen sind“ – so das
Lob nach Abschluss des Projektes.
Messbare Erfolge
Lean Management ist nur erfolgreich, wenn
die Mitarbeitenden von Beginn an mit an Bord
sind. Es ist angewiesen auf ihr Know-how,
ihre Prozesskenntnis und ihre Erfahrungen.
Ohne die Mitarbeitenden ist eine fundierte
Analyse nicht möglich, geschweige denn das
Der Erfolg des Lean Managements resultiert
aus der Summe aller (kleinen) Änderungen
– Änderungen, die sich isoliert betrachtet
oft kaum zu lohnen scheinen. Im Gesamtprozess aufaddiert ergeben sich jedoch eindrucksvolle Einspareffekte.
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Abb. 1: „Liveaufnahme“ vom Lean-Management-Projekt im Labor Fleischauer. Der gesamte Ist-Prozess im Bereich Probenannahme und präanalytischer Probenbearbeitung (dargestellt sind nur Ausschnitte) wurde Schritt für Schritt erfasst und dokumentiert. Dies eröffnete einen völlig neuen Blick auf
die Routineabläufe und diente auch als Vorlage für die Visualisierung der Verbesserungsvorschläge.
Eine deutliche Optimierung des Zielbereichs
Probenannahme/präanalytische Probenbearbeitung war auch im Labor Fleischauer
messbar.
ODie gemäß dem neuen Raumkonzept
strukturierten Arbeitsplätze verkürzen
die Laufwege und sorgen für übersichtliche Abtrennungen einzelner Bereiche.
ODas sogenannte „Visual Management“
vereinfacht und verschlankt die Arbeitsorganisation im hektischen Laboralltag.
Die farblichen Kennzeichnungen von
Proben und Sammelboxen beispielsweise, zeigen auf einen Blick, um welche
Proben es sich handelt. Dies reduziert
die Verwechslungsgefahr und steuert
Transportwege effizient.
ODurch ein deutliches Infoschild mit den
Tourennummern eiliger Aufträge kom-
Das Wiesbadener Labor Fleischauer
unter der jetzigen Leitung von Dr. Ronald
Fleischauer stellt seit Jahrzehnten die
Versorgung in der labormedizinischen
Diagnose für Patienten in Wiesbaden
und der Region sicher. Zu den Kunden gehören rund 250 niedergelassene
Ärzte, Kliniken und Institute. Mit einem
täglichen Probenaufkommen von rund
2000 Proben, die von insgesamt 35 Mitarbeitenden bearbeitet werden, gehört
das Labor zu den großen Privatlaboren
der Region Wiesbaden.
biniert mit einer klar ausgewiesenen,
reservierten Fläche für diese Eilproben
(oder auch Notfallproben) gelingt deren
Bearbeitung wesentlich schneller.
ODiese Visualisierungen sowie übersichtlicher gestaltete Stundenpläne und transparente Kennzahlcharts ermöglichen den
nicht operativ am Prozess Beteiligten
(z. B. Laborleitung), jederzeit den Status quo auf einen Blick zu erfassen und
gegebenenfalls nachzustellen.
ODas Auspacken der Proben von den
Touren ist jetzt mit einer Zeitersparnis
gegenüber früher von mehr als einer
Stunde zu schaffen – noch dazu mit
geringerer Personalbindung im Prozess.
OEs gibt deutlich weniger Unterbrechungen und Rückfragen am „Klebeplatz“,
wo Röhrchen zur internen Probennummernvergabe umetikettiert werden. Die
Bearbeitungsdauer eines Tagesdurchsatzes fällt dadurch insgesamt um eine
Stunde kürzer aus.
OEin Großteil der EDTA-Proben geht
direkt in die Hämatologie. Dadurch
konnte der Zeitaufwand bis zur Bearbeitung sogar um rund 60 Prozent gesenkt
werden.
ODie Mitarbeitenden nutzen die eingesparte Zeit nun für qualifiziertere Aufgaben (z. B. Validierung, Bearbeitung von
Kundenanfragen).
ODie gewonnene Zeit hat den Stresslevel
im Labor erheblich gesenkt.
Die Mitarbeitenden des Labors Fleischauer
haben den Lean-Management-Ansatz verinnerlicht – das zeigten sie nach der Aktions-
woche. Sie identifizierten weitere Optimierungsmöglichkeiten und erfüllten damit das
Prinzip der kontinuierlichen Verbesserung
mit Leben, wie es der Begründer von Lean
Management, Taiichi Ohno, postuliert hatte:
„Fortschritt kann nicht erreicht werden,
wenn wir mit den bestehenden Lösungen
zufrieden sind.“
Lean-Management-Ansatz der
Consulab®
OPlanung und Ergebnisvorgaben mit
den Mitarbeitern vor Ort entwickeln.
OFortschritte durch die unmittelbare
Realisierung einer Vielzahl einfacher Lösungen erzielen.
ODie Abläufe vor Ort analysieren,
neu planen und organisieren.
OFehler sofort angehen. Prinzip der
kontinuierlichen Verbesserung
leben.
OMit Blick auf den Gesamtprozess,
nicht allein auf die wertschöpfendem Schritte, die Produktivität
erhöhen.
ODie Consulab®-Projektleiter fungieren als Coach.
Patricius Czogalla
Projektmanager
Consulab® –
Beratung für die
Diagnostik
0173 5861-603
patricius.czogalla@
roche.com
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